Urteil des FG Münster vom 12.03.2003

FG Münster (Krankheitskosten, Auflage, Heilbehandlung, Datum, Entziehen, Einspruch, Verpflegung, Anerkennung, Gefühl, Vertragserfüllung)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
1
2
3
4
5
6
Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 1 K 4172/02 E
12.03.2003
Finanzgericht Münster
1. Senat
Urteil
1 K 4172/02 E
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
Strittig ist der Ansatz von Trinkgeldern als außergewöhnliche Belastungen.
Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitjahr
2000 musste die Klägerin auf Grund teilweise chronischer Erkrankungen verschiedene
Ärzte, Kliniken und andere medizinische Einrichtungen aufsuchen. Hierbei angefallene
Trinkgelder machten die Kläger in Höhe von 600 DM als außergewöhnliche Belastungen in
der Einkommensteuererklärung des Streitjahres geltend.
Der Beklagte veranlagte die Kläger zur Einkommensteuer mit Bescheid vom 15. November
2001 ohne u.a. diese Trinkgelder zu berücksichtigen. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2001
legten die Kläger Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid ein. Bereits im Rahmen
des Einspruchsverfahrens wiesen sie auf die Entscheidung des BFH vom 22. Oktober 1996
(BStBl II 1997, 347) hin, wonach Trinkgelder bei Heilbehandlungen als außergewöhnliche
Belastungen anzuerkennen seien. Sie reichten eine handschriftliche Aufstellung ein, aus
der sich die gezahlten Trinkgelder ergeben sollen. Aufgeführt sind dort Beträge in Höhe
von 550 DM, wobei es sich sowohl um gezahlte Bargeldbeträge wie auch Ausgaben für
Pralinen- und Konfektgeschenke handelt. Die Beträge sind ohne Datum den jeweiligen
medizinischen Einrichtungen zugeordnet. Einzelne Empfänger werden nicht genannt.
Nachweise über die Höhe der gekauften Pralinen- und Konfektgeschenke fehlen.
Der Beklagte änderte den Einkommensteuerbescheid durch Bescheid vom 26. Juni 2002 in
anderer Sache und wies den Einspruch bezüglich der Trinkgelder wie auch des Ansatzes
weiterer 92 DM für Verpflegungsmehraufwand des Klägers als außergewöhnliche
Belastungen durch Einspruchsentscheidung vom 1. Juli 2002 zurück. Er verweist
hinsichtlich der Nichtanerkennung der Trinkgelder auf einen diesbezüglich geltenden
Nichtanwendungserlass des Bundesministeriums der Finanzen. Außerdem hält er die
Benennung der Empfänger dieser Trinkgelder und deren geltendgemachte Höhe für nicht
ausreichend substantiiert. Eine Schätzung gezahlter Trinkgelder sei nicht zulässig.
Mit ihrer Klage vom 31. Juli 2002 verfolgen die Kläger ihr Anliegen fort, die Trinkgelder in
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Höhe von 550 DM als außergewöhnliche Belastungen ansetzen zu können. Daneben
verfolgten sie ursprünglich auch das Ziel fort, die nicht anerkannten 92 DM für
Verpflegungsmehraufwand als außergewöhnliche Belastungen steuerlich zu
berücksichtigen. Hinsichtlich dieses Betrages hat der Beklagte am 11. Februar 2003 durch
Änderungsbescheid dem Klagebegehren statt gegeben. Daraufhin haben die Kläger mit
Schreiben vom 10. März 2003 die Klage auf die Geltendmachung des Trinkgeldes
beschränkt.
Die Kläger verweisen auf ihre Einspruchsbegründung und sind außerdem der Ansicht,
dass die eingereichte Auflistung der vorgeschriebenen Benennungspflicht der Empfänger
genüge, da die einzelnen an den Trinkgeldern partizipierenden Personen jeweils nur
Minimalbeträge erhielten, die zu keiner sich ändernden Besteuerung bei den Empfängern
führen könnten. Ein Steuerausfall, wie er vom Sinn und Zweck her durch § 160 AO zu
verhindern sei, erfolge gerade nicht.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1.7.2002
unter
Berücksichtigung weiterer außergewöhnlicher Belastungen in Höhe von 550 DM zu
ändern.
hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung.
Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage am 23. Januar 2003 erörtert. Im Rahmen
dieses Erörterungstermin erklärten die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne
mündliche Verhandlung einverstanden. Auf das Protokoll des Erörterungstermins wird
Bezug genommen. Hinsichtlich des Weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit
Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
Die Klage ist unbegründet.
Es fehlt an der für die Geltendmachung von außergewöhnlichen Belastungen nötigen
Zwangsläufigkeit der Aufwendungen sowie auch an der erforderlichen Substantiierung der
geleisteten Zahlungen nebst Benennung der Empfänger.
1. Gemäß § 33 Abs. 1 EStG wird auf Antrag die Einkommensteuer ermäßigt, wenn einem
Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl
der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse
und gleichen Familienstands erwachsen. Zwangsläufigkeit ist gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1
EStG dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige sich den Aufwendungen aus rechtlichen,
21
22
23
24
25
26
tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen
den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.
Zwangsläufigkeit i.S.d. § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG liegt zwar in Bezug auf Krankheitskosten
vor, nicht jedoch in Bezug auf damit zusammenhängende Trinkgelder, da deren Hingabe
freiwillig erfolgt.
Krankheitskosten erwachsen dem Steuerpflichtigen nach ständiger Rechtsprechung
zwangsläufig, weil er sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann (BFH-
Urteil vom 7. Juni 2000 III R 54/98, BFHE 193, 79, BStBl II 2001, 94; vom 26. Juni 1992,
BFHE 169, 37, BStBl II 1993, 278; vom 26. Juni 1992 III R 83/91, BFHE 169, 43, BStBl II
1993, 212). Hierzu gehören allerdings nur die Aufwendungen, die unmittelbar zum Zwecke
der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel gemacht werden, die Krankheit erträglich zu
machen (BFH-Urteil vom 22. Oktober 1996 III R 240/94, BFHE 181, 468, BStBl II 1997,
346).
Trinkgelder, die im Rahmen von Heilbehandlungen gezahlt werden, gehören nicht zu den
unmittelbar dem Zwecke der Heilung dienenden Aufwendungen. Auch werden sie nicht
unmittelbar dafür gezahlt, die Krankheit erträglich zu machen. Trinkgeldzahlungen sind
deshalb von den unmittelbaren Krankheitskosten zu trennen und gesondert auf ihre
Zwangsläufigkeit hin zu untersuchen. Der Senat tritt damit ausdrücklich der Ansicht des 3.
Senats des BFH entgegen, welche dieser in seinem Urteil vom 22. Oktober 1996 III R
240/94 (BFHE 181, 468, BStBl II 1997, 346) darlegte.
Soweit eine Krankheit zu Heilbehandlungsmaßnahmen führt, ist der Steuerpflichtige zur
Zahlung der Honorare verpflichtet. Die Zahlung erfolgt entweder durch Bezahlung der dem
Privatpatienten übersandten Rechnung oder bei Kassenpatienten durch Überreichen der
Krankenversicherungskarte und anschließende Ausgleichung durch die entsprechende
Krankenversicherung. Diese in Rechnung gestellten Honorare stellen das unmittelbare
Entgelt für die Heilbehandlung dar. Trinkgelder gehören nicht zu diesen Kosten. Sie
werden auch nicht mit dem Ziel gegeben, eine Krankheit erträglicher zu machen. Vielmehr
sollen sie das allgemeine Wohlbefinden und den Umgang mit dem Personal in den auf
Grund der Krankheit aufzusuchenden medizinischen Einrichtungen erleichtern. Soweit es
sich nicht um eine Art Zuneigungskauf handelt, werden sie als Zeichen der Dankbarkeit
nach erfolgter Gesundung oder aber, weil es einer Gepflogenheit entspricht, gegeben.
Trinkgelder können deshalb nicht als unmittelbare Krankheitskosten verstanden werden.
Sind Trinkgelder aber keine unmittelbaren Krankheitskosten, so stellen sie zwangsläufig
mittelbare Krankheitskosten dar, die gerade nicht als außergewöhnliche Belastungen
ansetzbar sind (BFH-Urteil vom 14. Oktober 1997 III R 18/97, BFH/NV 1998, 448).
Etwas anderes kann sich auch nicht auf Grund der zivilrechtlichen Einordnung von
Trinkgeldern ergeben. Trinkgelder werden zwar zivilrechtlich von einer vorherrschenden
Meinung als eine Art Zusatzvergütung für ordentliche Vertragserfüllung angesehen (vgl.
Kollhosser in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Auflage 1995, §
516 BGB Rz. 19), doch hat diese zivilrechtliche Sicht nicht zur Folge, dass dadurch die den
unmittelbaren Krankheitskosten eigene Zwangsläufigkeit der Aufwendungen auch auf
Trinkgelder auszudehnen ist. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, dass die
hingegebenen Trinkgelder auf Grund ihres eigenen Charakters einer von den Honoraren
getrennten Beurteilung zugänglich sind.
Diese getrennte Beurteilung der Trinkgelder von den Honoraren als unmittelbaren
Krankheitskosten ist auch im Rahmen einer ansonsten bei Krankheitskosten gebotenen
27
28
29
30
typisierenden Betrachtungsweise (BFH-Urteil vom 22. Oktober 1996 III R 240/94, BFHE
181, 468, BStBl II 1997, 346) leicht möglich. Über Trinkgelder werden keine Rechnungen
erteilt, so dass sie schon deshalb getrennt nachzuweisen sind. Auch ist es für die Gerichte
wie die Finanzverwaltung anders als im Fall von unmittelbaren Krankheitskosten leicht
möglich, Trinkgelder hinsichtlich ihrer Zwangsläufigkeit zu beurteilen.
Trinkgeldern fehlt die in § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG vorgeschriebene Zwangsläufigkeit. Selbst
bei der zivilrechtlichen Charakterisierung von Trinkgeldern als Zusatzvergütung scheitert
es, wie dargestellt, an einer rechtlichen Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Zahlung.
Dass die Trinkgeldzahlung adäquat kausal zu einer Heilbehandlung oder Krankheit ist,
also deshalb erfolgt, weil eine Krankheit vorliegt bzw. vorgelegen hat, reicht nicht aus, eine
rechtliche Verpflichtung zu begründen. Da eine sachgerechte Behandlung auch ohne
Hingabe von Trinkgeldern möglich ist, fehlt es auch an tatsächlichen Gründen, weshalb der
Steuerpflichtige zur Zahlung dieser Aufwendungen gezwungen ist. Ein Nicht-Entgehen-
Können des Steuerpflichtigen aus sittlichen Gründen scheidet auch aus. Diese Art von
Zwangsläufigkeit setzt nämlich voraus, dass nach dem Urteil billig und gerecht denkender
Menschen eine Verpflichtung zur Leistung besteht (BFH-Urteil vom 7. Dezember 1962 VI R
115/62 U, BFHE 76, 367, BStBl III 1963, 135). Allein ein subjektives Gefühl, sich zur
Leistung verpflichtet zu fühlen, reicht nicht aus, wenn die Sittenordnung dieses Handeln
nicht fordert (Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 21. Auflage 2002, § 33 Rdnr. 25
m. w. N.). Eine solche sittliche Verpflichtung zur Hingabe von Trinkgeldern an Personal von
medizinischen Einrichtungen besteht in Deutschland nicht. Es ist zwar ein schöner Brauch,
wenn dies aus Dankbarkeit für eine gute Leistung erfolgt, aber es wird von niemandem
verlangt. Vielmehr dürfte es sogar vielfach sittlich als fragwürdig angesehen werden, wenn
Trinkgelder mit dem Ziel einer bevorzugten Behandlung gegeben werden.
2. Neben der Zwangsläufigkeit der Trinkgeldzahlung fehlt es im konkreten Fall auch an der
notwendigen Substantiierung der geleisteten Zahlungen wie der Benennung der
Empfänger.
Da es bei Trinkgeldern an das Personal von medizinischen Einrichtungen an
Erfahrungswerten in Bezug auf die Höhe fehlt, ist eine Schätzung solcher Zahlungen
gemäß § 162 AO nicht möglich (BFH-Urteil vom 22. Oktober 1996 III R 240/94, BFHE 181,
468, BStBl II 1997, 346). Die gezahlten Trinkgelder sind deshalb substantiiert
nachzuweisen. Auf Grund der Vorschrift des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Abzug von
Trinkgeldern als außergewöhnliche Belastungen dabei aber nur denkbar, wenn die hieraus
resultierenden Einnahmen bei den benannten Empfängern dieser Gelder steuerlich erfasst
werden können. Dabei kommt es nicht auf die ggf. geringen Einzelbeträge an, die der
einzelne Steuerpflichtige diesen Personen zukommen ließ, sondern darauf, dass
grundsätzlich die Erfassung der Trinkgeldeinnahmen bei den Empfängern möglich bleibt.
Eine Vielzahl von kleinen Beträgen kann bei letzteren zu einem steuerlich relevanten
Betrag führen, der aber mangels Benennung der Empfänger im Einzelfall ansonsten
steuerlich nicht erfassbar wäre.
Die vorgelegte Liste der von den Klägern hingegebenen Trinkgelder und sonstigen
Geschenke ist nicht geeignet, diesen Anforderungen gerecht zu werden. So werden weder
die einzelnen Empfänger der Trinkgelder genannt noch ist erkennbar, wann diese
Trinkgelder hingegeben worden sind. Bezüglich der Geschenke fehlen die
Einkaufsnachweise. Auch erscheint fraglich, ob die nunmehr geltend gemachte Höhe der
Trinkgelder auch tatsächlich angefallen ist, da ursprünglich ein höherer Betrag geltend
gemacht worden war.
31
32
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Anerkennung der im
Klageverfahren auch geltend gemachten Mehraufwendungen für Verpflegung durch den
Beklagten führt hinsichtlich ihrer Höhe zu keiner Änderung der Kosten und ist deshalb nicht
zu berücksichtigen.
4. Da die Entscheidung des Senats von der Entscheidung des 3. Senats des BFH vom 22.
Oktober 1996 III R 240/94, BFHE 181, 468, BStBl II 1997, 346 in der Beurteilung der
Zwangsläufigkeit von Trinkgeldzahlungen abweicht, war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO
die Revision zuzulassen.