Urteil des FG Köln vom 17.06.2009

FG Köln (umsatzsteuer, firma, grund, betrag, höhe, verhältnis zu, gesetzlicher vertreter, haftung, bescheinigung, tilgung)

Finanzgericht Köln, 11 K 3017/05
Datum:
17.06.2009
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 3017/05
Rechtskraft:
VII B 221/09
Tenor:
Unter Änderung des Haftungsbescheids für Steuerschulden der P GmbH
aus Um-satzsteuer 2003 vom 27.05.2004 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 24.06.2005 wird die Haftungssumme auf
7.298 € herabgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin zu 47 % und dem
Beklagten zu 53 % auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung
in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten um die Haftung der Klägerin für Steuerschulden der P GmbH (im
folgenden: GmbH) aus Umsatzsteuer 2003 sowie für Säumniszuschläge.
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Die Klägerin war seit der Gründung der GmbH im Jahr 1988 deren alleinige
Geschäftsführerin. Sie stellte am 23.12.2003 für die GmbH einen Insolvenzantrag. Das
Insolvenzverfahren wurde am 09.02.2004 eröffnet. Die GmbH hatte am 27.05.2004 (Tag des
Erlasses des Haftungsbescheides gegenüber der Klägerin) nach den Angaben im
Haftungsbescheid u.a. die folgenden Rückstände:
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Fällig am
Betrag
Säumniszuschläge bis zum
23.12.2003
Umsatzsteuer II/2003
11.08.2003
30,50 €
Umsatzsteuer II/2003
28.10.2003 3.434,96 € 68,00 €
Umsatzsteuer Juli 2003
11.09.2003
14,00 €
Umsatzsteuer Juli 2003
28.10.2003 4.922,39 € 98,00 €
Umsatzsteuer August 2003
16.10.2003 6.800,00 € 204,00 €
4
Umsatzsteuer September
2003
10.11.2003 6.300,05 € 126,00 €
Umsatzsteuer Oktober 2003 10.12.2003 706,50 €
52,50 €
Umsatzsteuer Oktober 2003 16.01.2004 2.936,11 € -
25.100,01
593,00 €
Die Steuerschulden resultierten aus
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der eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldung für das 2. Quartal 2003 sowie der im
Anschluss daran eingereichten berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldung, die zu einer
Umsatzsteuererhöhung führte
der berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldung für Juli 2003
den eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen für August und September 2003
(später reduziert auf Grund von eingereichten berichtigten Voranmeldungen)
der eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldung für Oktober 2003 sowie der
anschließend eingereichten berichtigten Voranmeldung, die zu einer Steuererhöhung
führte.
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Die Inanspruchnahme der GmbH hatte keinen Erfolg. Der Beklagte teilte daraufhin der
Klägerin die beabsichtigte Haftungsinanspruchnahme für den Zeitraum vom 11.08.2003 (Tag
der ältesten Fälligkeit der Umsatzsteuer für das 2. Quartal bei fristgerechter Abgabe einer
zutreffenden Voranmeldung) bis zum 23.12.2003 (Tag des Eigenantrags der Klägerin auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens) mit und gab ihr gleichzeitig Gelegenheit, sich hierzu zu
äußern, insbesondere auch Auskunft über die in diesem Zeitraum bei der Gesellschaft noch
vorhandenen Mittel und über die eventuell erfolgte Befriedigung von Gläubigern zu erteilen.
Hierzu hatte der Beklagte der Klägerin den hierfür vorgesehenen Berechnungsbogen
übermittelt.
8
Nachdem sich die Klägerin weder in der Sache geäußert noch die geforderten Berechnungen
aus den Geschäftsunterlagen vorgelegt hatte, erließ der Beklagte am 27.05.2004 einen
Haftungsbescheid. Die Inanspruchnahme erfolgte nach §§ 191, 69, 34 AO i.V.m. § 35 GmbHG
wegen Verletzung der der Klägerin als Geschäftsführerin einer GmbH auferlegten Pflichten,
insbesondere der Verpflichtung, die von der GmbH geschuldeten Steuern pünktlich
anzumelden und an das Finanzamt abzuführen.
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Dabei nahm der Beklagte die Klägerin mit einer Quote von 70 % der rückständigen Beträge in
Höhe von 25.693,01 €, d.h. in Höhe von 17.985,10 €, in Haftung (70 % von 25.693,01 € =
17.985,10 €). Zwar habe die Klägerin ihre Mitwirkungspflicht hinsichtlich der Ermittlung der
Haftungsquote verletzt. Bei der deshalb gebotenen Schätzung sei aber davon auszugehen,
dass der GmbH keine ausreichenden Mittel zur Deckung aller Schulden zur Verfügung
gestanden hätten. Hierauf deute die bilanzielle Unterdeckung zum 31.12.2001 hin. Eine
Schätzung der Haftungsquote mit 70 % sei deshalb sachgerecht.
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Den daraufhin eingelegten Einspruch begründete die Klägerin damit, dass es zu dem
finanziellen Engpass der GmbH wegen des Ausbleibens sicher geglaubter Aufträge und
mehrerer Kundeninsolvenzen gekommen sei. Darüber hinaus habe der Beklagte zeitweise
die Konten gepfändet mit der Folge, dass keine Schulden hätten beglichen werden können.
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In der am 24.6.2005 ergangenen Einspruchsentscheidung wurde die Haftungssumme i.H.v.
2.452,07 € gemindert. Denn am 18.03.2004 und damit vor Erlass des Haftungsbescheides
seien Steuererstattungsansprüche der GmbH in Höhe von 3.502,96 € mit der
Umsatzsteuerschuld (und den Säumniszuschlägen) für das 2. Quartal 2003 verrechnet
worden, was allerdings bei Erlass des Haftungsbescheids nicht berücksichtigt worden sei. Im
Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet angesehen. Es verblieb bei einer
Haftungssumme i.H.v. 15.533,03 € (17.985,10 € - 2.452,07 € = 15.533,03 €). Dies wurde wie
folgt begründet:
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Rechtsgrundlage des Haftungsanspruchs sei § 69 AO i.V.m. § 34 AO und § 35 GmbHG. Die
Klägerin sei als alleinige Geschäftsführerin der GmbH als solche gesetzliche Vertreterin im
Sinne des § 34 AO i.V.m. § 35 GmbHG. In dieser Eigenschaft sei die Klägerin verpflichtet
gewesen, Steuererklärungen pünktlich einzureichen und fällige Steuern aus den von ihr
verwalteten Mitteln zu entrichten.
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Weiterhin liege eine Pflichtverletzung vor. Die Umsatzsteuer-Voranmeldungen Juli und
Oktober 2003 seien offenkundig pflichtwidrig mit einer zu geringen Umsatzsteuerschuld
vorgelegt worden. Die in der Folge eingereichten berichtigten Anmeldungen führten zu einer
erheblich höheren Steuerfestsetzung. Darüber hinaus habe die Klägerin während ihrer
Tätigkeit als Geschäftsführerin die Rückstände auf Grund der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen
für Juli bis Oktober 2003 aus den von ihr verwalteten Mitteln nicht beglichen. Durch diese
Handlungsweise seien die Pflichtverletzungen in der Person der Klägerin als gegeben
anzusehen. Hierbei sei auch zu beachten, dass die Pflicht zur Steuerentrichtung nicht erst bei
Fälligkeit der Steuerschulden bestanden habe. Ein gesetzlicher Vertreter verletze die ihm
auferlegten Pflichten schon dann, wenn er sich durch die Vorwegbefriedigung anderer
Gläubiger oder in sonstiger Weise vorsätzlich oder grob fahrlässig außer Stande setzte, eine
bereits entstandene, aber erst künftig fällig werdende Steuerforderung zu tilgen (BFH-Urteil v.
26.4.1984, V R 128/79, BStBl. II 1984, 776, BFH-Urteil v. 12.6.1986, VII R 192/83, BStBl. II
1986, 657).
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Die Pflichtverletzung der Klägerin sei auch grob fahrlässig erfolgt. Grob fahrlässig handele
nämlich derjenige, der die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und
Fähigkeiten verpflichtet und im Stande sei, in ungewöhnlich hohem Maße und in nicht
entschuldbarer Weise verletze (BFH-Urteil v. 3.2.1983, IV R 153/80, BStBl. II 1983, 324; BFH-
Urteil v. 21.7.1989, III R 303/84, BStBl. II 1989, 960). Wegen der Abgabe unrichtiger
Steuererklärungen und der Nichtentrichtung der festgesetzten fälligen Steuern sei das
Verhalten der Klägerin zumindest als grob fahrlässig und damit schuldhaft anzusehen. Die
Klägerin sei verpflichtet gewesen, für den Fall, dass die verfügbaren Mittel nicht zur Tilgung
der Ansprüche sämtlicher Gläubiger ausreichten, die rückständigen Ansprüche des Beklagten
im etwa gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten der privaten Gläubiger (BFH-
Urteil vom 26.4.1984, V R 128/79, BStBl. II 1984, 776).
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Zur Beantwortung der Frage, ob und ggf. in welcher Höhe die Klägerin die privaten Gläubiger
gegenüber dem Finanzamt vorrangig befriedigt habe, sei die Klägerin ergebnislos zur
Mitwirkung aufgefordert worden. Daher sei es unerheblich, dass grundsätzlich dem Beklagten
nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast die Pflicht treffe, die bevorzugte
16
Befriedigung anderer Gläubiger und die Höhe des Haftungsumfangs nachzuweisen.
Nachdem die Klägerin ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung nicht nachgekommen sei, sei es
dem Beklagten nicht ohne weiteres möglich, den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung
entwickelten Grundsatz der anteiligen Tilgung anzuwenden. Gleichwohl sei nach Lage der
Akten und den Verhältnissen des Falles ein Abschlag von der Haftungssumme vorzunehmen.
Ausweislich der für das 2. Quartal 2003 sowie die Monate Juli bis Oktober 2003 eingereichten
Umsatzsteuer-Voranmeldungen habe die Gesellschaft Nettoumsätze i.H.v. 330.828 € erzielt.
Darüber hinaus seien in den Monaten November und Dezember 2003 wahrscheinlich weitere
Umsätze erzielt worden. Daraus sei zu schließen, dass im Haftungszeitraum grundsätzlich
ausreichend finanzielle Mittel vorhanden gewesen seien, um die rückständigen Steuern
zumindest teilweise zu begleichen. Diesbezüglich spiele es auch keine Rolle, dass nach dem
Vortrag der Klägerin eine Schuldenbegleichung der GmbH bereits wegen vorliegender
Pfändung des Beklagten nicht möglich gewesen sei. Denn die Kontenpfändung des
Beklagten, ausgebracht am 02.09.2003, sei am 12.09.2003 wieder aufgehoben worden. Eine
erneute Kontenpfändung sei erst am 04.12.2003 erfolgt. Zur Abgeltung verbleibender
Unsicherheiten hinsichtlich der Beurteilung der Zahlungsfähigkeit der GmbH in dem
Haftungszeitraum, insbesondere auch auf Grund der bilanziellen Unterdeckung zum
31.12.2001, sei es sachgerecht, von einer Haftungsquote von 70 % auszugehen.
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Weiterhin sei die Pflichtverletzung der Klägerin für den Steuerausfall auch ursächlich
gewesen. Die Umsatzsteuer-Voranmeldungen Juli und Oktober 2003 seien zunächst mit zu
geringen Beträgen abgegeben worden. Daher hätten die zutreffenden Steuerbeträge nicht
rechtzeitig festgesetzt werden können. Bei rechtzeitiger Anmeldung der richtigen Beträge
wäre die Fälligkeit hingegen in die Zeit der Kontenpfändung im September 2003 gefallen und
die Steuerbeträge wären beitreibbar gewesen.
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In die Haftung mit einzubeziehen seien die Steueransprüche, die in Folge schuldhafter
Pflichtverletzung der Klägerin nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden seien.
Dies treffe im Streitfall auf 70 % der im Haftungsbescheid aufgeführten Steuerbeträge zu. Der
Haftungszeitraum beginne am 11.08.2003, dem Tag der ältesten Fälligkeit bei fristgerechter
Abgabe der zutreffenden Anmeldung für Juli 2003. Der Haftungszeitraum ende mit dem
23.12.2003, dem Tag der Antragstellung der Klägerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Es sei davon auszugehen, dass ab dem 23.12.2003 keine ausreichenden Mittel zur
Schuldentilgung mehr zur Verfügung gestanden hätten.
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Die Umsatzsteuerrückstände für Oktober 2003 seien zwar erst am 16.01.2004 fällig geworden.
Gleichwohl seien sie in den Haftungsbescheid einzubeziehen, da sie bei fristgerechter
Einreichung der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Oktober 2003 bis zum 10.12.2003
(Fristverlängerung), also noch innerhalb des genannten Haftungszeitraums, fällig gewesen
seien.
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Bei Rückständen i.H.v. 22.190,05 € (25.693,01 € - 3.502,96 €) betrage die Haftungssumme
15.533,03 € (70 % von 22.190,05 €).
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§ 69 Satz 2 AO erweitere die Haftung grundsätzlich auch auf die Säumniszuschläge. Nach
der Rechtsprechung des BFH sei die Inanspruchnahme wegen entstandener
Säumniszuschläge nur dann unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung
der Steuern wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung nicht möglich gewesen sei. Im
Streitfall sei auch hinsichtlich der bis zum 23.12.2003 entstandenen Säumniszuschläge von
einer Haftungsquote von 70 % auszugehen.
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Schließlich erfolge die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin innerhalb der
Ermessensgrenzen des § 191 AO i.V.m. § 5 AO:
23
Der Beklagte habe die Steuerschuldnerin (GmbH) erfolglos zur Zahlung der rückständigen
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis aufgefordert. Es seien ihr gegenüber alle
erdenkbaren Vollstreckungsmaßnahmen zur Einziehung der Forderungen ergriffen worden.
Diese seien jedoch letztlich ohne Erfolg geblieben. Im Übrigen sei der Erlass eines
Haftungsbescheides bei Uneinbringlichkeit der den Haftungsansprüchen zugrunde liegenden
Steueransprüche im Hinblick auf die dem Steuergläubiger obliegende Aufgabe, geschuldete
Abgaben nach Möglichkeit vollständig und ohne Verzug zu erheben, nur unter ganz
außergewöhnlichen Umständen ermessensfehlerhaft (vgl. BFH-Urteil vom 29.09.1987, VII R
54/84, BStBl. II 1988, 176; BFH-Urteil v. 13.06.1997, VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4). Solche
außergewöhnlichen Umstände seien weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich.
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Da die Klägerin im Haftungszeitraum alleinige Geschäftsführerin der GmbH gewesen sei, sei
auch gerade die Inhaftungnahme der Klägerin ermessensgerecht. Nach Lage der Akten seien
darüber hinaus keine weiteren Personen (z.B. weitere Geschäftsführer) erkennbar, die zur
Haftung für die Steuerschulden der GmbH herangezogen werden könnten.
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Mit der am 27.07.2005 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin weiterhin ihr Begehren. Eine
Haftung komme nicht in Betracht, weil ihr keine schuldhafte Pflichtverletzung vorzuwerfen sei.
Sie habe unter Aufwendung erheblicher privater Mittel lange Zeit versucht, den
Verpflichtungen der Firma nachzukommen und eine mögliche Insolvenz abzuwenden. Noch
im Oktober 2003 habe sie Mittel aus einer Erbschaft für Zwecke der GmbH eingesetzt. Ihr sei
überdies von der Firma N GmbH, d.h. der Firma, die sie bei den umfangreichen Bauarbeiten
am Rathaus in G, H Bau, als Subunternehmer eingesetzt habe, ständig Hoffnung gemacht
worden, es könne nur noch Tage oder wenige Wochen dauern, bis die Stadt G das von ihr
selbst produzierte Problem mit dem Konservator gelöst habe und die GmbH tätig werden
könne. Außerdem habe sie dem Beklagten den Forderungsstand der GmbH gegenüber ihrem
damaligen einzigen Auftraggeber, der Firma N GmbH, ausdrücklich mitgeteilt. Dadurch habe
der Beklagte einen Betrag i.H.v. ca. 26.000 € pfänden können. Durch diese Mitteilung habe
sie den Beklagten sogar überproportional im Vergleich zu anderen Gläubigern der GmbH
bedacht. Dass die gepfändeten Beträge an den Insolvenzverwalter hätten herausgegeben
werden müssen, spiele keine Rolle, zumal dem Beklagten auch schon mehrere Monate vor
der ergriffenen Pfändungsmaßnahme im Dezember 2003 bekannt gewesen sei, dass die
Firma N GmbH der einzige Auftraggeber der GmbH gewesen sei. Eine Pfändung habe auch
zu einem vorherigen Zeitpunkt erfolgreich sein können. Da sie auf Grund der Ermöglichung
der Pfändung ihren Zahlungsverpflichtungen nachgekommen sei, sei es unerheblich, ob sie
zuvor Erklärungspflichten verletzt habe.
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Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass vom Beklagten mehr zu verlangen sei als
lediglich die Pfändung von 26.000 € gegenüber der Firma N GmbH. Es sei klar, dass die
GmbH einen Schadenersatzanspruch gegenüber dem Oberstadtdirektor der Stadt G habe
verfolgen können. Denn in der Tatsache, sich selbst die Baugenehmigung erteilt zu haben,
die zum Auftrag der Firma N GmbH und damit auch zum Subunternehmerauftrag an die
GmbH geführt habe, obwohl die Baugenehmigung auf Grund der Intervention des
Konservators keinen Bestand hätte haben können, liege eine tiefgreifende Pflichtverletzung
vor, die zu vertraglichen Schadenersatzansprüchen, wenn nicht sogar zu deliktischen
Schadenersatzansprüchen führe. Der Insolvenzverwalter habe sich im Umfang der
Betroffenheit der GmbH die Schadenersatzansprüche von der Firma N GmbH abtreten lassen
und gegenüber dem Oberstadtdirektor der Stadt G verfolgen können. Die Verfolgung dieser
27
Schadenersatzansprüche hätte dem Beklagten eine Erhöhung der Quote beschert, die einem
teilweisen Verzicht auf die Anfechtung gleichgekommen wäre. Diese Durchsetzung der
Ansprüche hätte der Beklagte anstoßen bzw. unterstützen sollen oder ggf. nach erfolgter
Unterabtretung selbst verfolgen sollen.
Anders als vom Beklagten gefordert, könne sie keine genauen Angaben zu Umsätzen,
Forderungen und Verbindlichkeiten zu bestimmten Zeitpunkten im Jahr 2003 machen. Sie sei
durch die Insolvenz der GmbH wirtschaftlich völlig ruiniert und daher nicht in der Lage, das
Jahr 2003 buchhalterisch und abschlusstechnisch aufarbeiten zu lassen. Sie könne also aus
ihren Büchern den genauen Umsatz nicht mitteilen, der im Übrigen, da es nur einen
Auftraggeber gegeben habe, auf das reduziert werden müsse, was die Firma N GmbH im
Jahre 2003 an die GmbH gezahlt habe. Zu Gunsten der Klägerin sei überdies zu
berücksichtigen, dass die GmbH die Ist-Versteuerung vereinbart habe und mit großen
Außenständen in Insolvenz gegangen sei, was der Insolvenzbericht bestätige. Bei
Auswertung des Insolvenzberichts müsste daher von Amtswegen zurückgerechnet werden.
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Schließlich gingen die existierenden Steuerschulden der GmbH einzig und allein kausal und
nachweislich auf einen schwerwiegenden Organisationsmangel bei dem Oberstadtdirektor
der Stadt G zurück. Dieser habe Aufträge erteilt, die er in der zunächst vertraglich geforderten
Frist überhaupt nicht vergeben konnte. Dadurch sei schließlich der Schaden bei der GmbH
entstanden, der zur Insolvenz geführt habe.
29
Die Klägerin beantragt,
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den Haftungsbescheid für Steuerschulden der P GmbH aus Umsatzsteuer 2003 vom
27.05.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.06.2005 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte hält an seiner schon im Einspruchsverfahren geäußerten Auffassung fest.
Insbesondere liege entgegen der Auffassung der Klägerin ein Verschulden im Sinne der
haftungsrechtlichen Vorschriften vor. Hieran vermöge auch der Hinweis auf die Anfechtung
der Rechtshandlung (Vollstreckungsmaßnahme des Beklagten) und die Erstattung der
Beträge auf Grund der Anfechtung nichts zu ändern. Die Auskehrung der gepfändeten
Beträge hindere die Haftungsinanspruchnahme für diese Steuerbeträge grundsätzlich nicht.
Die Pflichtverletzung der Klägerin, die in der ursprünglichen Nichtzahlung der bereits früher
fälligen Beträge liege, wirke insoweit fort. Dies ergebe sich bereits aus dem
Schadenersatzcharakter des § 69 AO. Die Nichtzahlung durch die Klägerin am Fälligkeitstag
sei für den Schaden kausal.
35
Im Übrigen sei auf Grund der Anfechtungserklärung und der daran anschließenden
Auskehrung an die Insolvenzmasse von Beginn an keine Tilgung eingetreten. Deshalb fehle
es rechtlich an einer Zahlung, die Steueransprüche zum Erlöschen gebracht habe. Bei der
Berechnung der Haftungssumme seien solche Zahlungen nicht zu berücksichtigen. Diese
Beträge seien auch deshalb nicht zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen, da nur die im
Haftungszeitraum geleisteten Zahlungen zu berücksichtigen seien. Dieser habe jedoch
bereits am 23.12.2003 und damit vor Eingang der Drittschuldnerzahlungen am 09.01.2004
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geendet.
Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin in ihrer Eigenschaft als
Geschäftsführerin dazu verpflichtet gewesen sei, dem Insolvenzverwalter alle Ansprüche der
GmbH mitzuteilen. Wenn hier also tatsächlich die von ihr behaupteten Ansprüche gegenüber
der Stadt G bestanden haben sollten, hätte es ihr oblegen, den Insolvenzverwalter
entsprechend zu informieren. Ihr Versuch, diese Pflichten auf den Beklagten zu übertragen,
der naturgemäß nicht über ausreichende Sachverhaltskenntnisse verfüge, um den
Insolvenzverwalter ausreichend zu informieren, liege neben der Sache. Daneben bliebe es ihr
unbenommen, das Insolvenzgericht zu informieren, sollte der Insolvenzverwalter seinen
Verpflichtungen nicht ausreichend nachkommen. Eine Abwälzung entsprechender
Handlungspflichten auf den Beklagten, der von dem behaupteten Sachverhalt keine näheren
Kenntnisse besäße, sei abwegig.
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Soweit die Klägerin schließlich versuche, dem Beklagten ein (Mit-)Verschulden an dem
Steuerausfall anzulasten, sei anzumerken, dass der Beklagte durchgängig unter
Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze versucht habe, die rückständigen
Steuerschulden durch entsprechende Pfändungsmaßnahmen beizutreiben. Dieser Versuch
der Klägerin sei abwegig und gehe ins Leere. Im Übrigen verkenne die Klägerin, dass sie
selber dazu verpflichtet gewesen sei, die in Rede stehenden Steuerschulden pünktlich und in
zutreffender Höhe anzumelden und im Anschluss daran durch Zahlungen auszugleichen. Auf
mangelnde Vollstreckungsmaßnahmen könne sie sich schließlich auch allein auf Grund ihrer
vorangegangenen Pflichtverletzungen nicht erfolgreich berufen. Dies ergebe sich aus § 219
Satz 2 AO.
38
Soweit sich die Klägerin gegen die Ausführungen zur Ermittlung der Haftungsquote wende,
bleibe es ihr unbenommen, im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten den weiterhin
ausstehenden Berechnungsbogen mit vollständigen und schlüssigen Zahlen einzureichen.
Da der Klägerin für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe gewährt worden sei, könne sie
sich nicht erfolgreich darauf berufen, dass es ihr aus finanziellen Gründen nicht möglich sei,
den zur Ermittlung einer Haftungsquote erforderlichen Berechnungsbogen einzureichen.
Soweit sich die Klägerin auf "Umsatzsteuerrückforderungen" berufen würde, verkenne sie,
dass eine Umsatzsteuerkorrektur gemäß § 17 UStG erst zum Zeitpunkt des endgültigen
Forderungsausfalls vorzunehmen sei. So lange und so weit der Insolvenzverwalter also noch
von einer Realisierung der offenen Forderungen ausginge, komme eine Korrektur nicht in
Betracht. Im Übrigen wäre zu berücksichtigen, dass zugleich gemäß § 17 UStG
Vorsteuerkorrekturen vorzunehmen wären, soweit Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht
ausgeglichen werden können. Nach alledem sei nicht erkennbar, dass sich in der Summe
Rückforderungen ergeben würden. Abschließend sei anzumerken, dass die Voraussetzungen
der Haftungsnorm nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung zu
beurteilen seien. Zahlungseingänge oder Verrechnungen nach Ergehen der
Einspruchsentscheidung beeinträchtigten die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids nicht,
da es insoweit auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Bekanntgabe der
Einspruchsentscheidung ankäme.
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Am 23.08.2007 führte der zuständige Berichterstatter einen Erörterungstermin durch
(Protokoll: Blatt 134 ff. der Gerichtsakte). Innerhalb dieses Erörterungstermins wies der
Berichterstatter darauf hin, dass im Streitfall allenfalls eine Haftung der Klägerin für einen
Betrag i.H.v. ca. 1.500 € in Betracht komme. Dieser Betrag ermittele sich im Wege der nach
der Rechtsprechung insoweit zulässigen Schätzung auf der Grundlage des
Insolvenzeröffnungsgutachtens vom 21.01.2004 und den vom Vertreter des Beklagten
40
übergegebenen Kontoauszügen. Dabei berücksichtigte er folgende Beträge:
(1) Bruttoumsätze der GmbH im Haftungszeitraum: 380.000 €
41
(2) noch offene Forderungen zum Zeitpunkt des Insolvenzeröffnungsgutachtens: 20.000 €
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(3) Begleichung von Betriebsschulden der GmbH im Haftungszeitraum: 360.000 €.
43
(4) Gesamtverbindlichkeiten im Haftungszeitraum: ca. 780.000 €
44
(5) Begleichung von 360.000 €, d.h. i.H.v. 46 %.
45
(6) Steuerverbindlichkeiten im Haftungszeitraum: 26.693 €
46
(7) Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus Voranmeldungen vor dem Haftungszeitraum: 7.318 € 47
(8) Abzug des Betrages, der auf den Voranmeldungszeitraum Oktober 2003 entfällt:
2.936,11 €.
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(9) Relevante Umsatzsteuerschuld im Haftungszeitraum: 30.445 €
49
(10) Bezahlung von insgesamt: 12.354 €
50
(11) Anwendung der Quote i.H.v. 46 % auf die offenen Steuerschulden i.H.v. 30.445 €: 14.004
51
(12) Verbleibender Haftungsbetrag: 14.004 € abzüglich 12.356 € = 1.644 €
52
Auf Grund dieser Berechnungen wurde vom Berichterstatter vorgeschlagen, den
Haftungsbetrag auf einen Betrag i.H.v. 1.500 € zu reduzieren.
53
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärte sich mit dieser Lösung einverstanden.
54
Der Beklagte stimmte indessen nicht zu: Zunächst sei zu Punkt (1) zu berücksichtigen, dass
es sich bei den vorangemeldeten Umsätzen i.H.v. 380.000 € um den Nettobetrag gehandelt
habe. Daher müsse davon ausgegangen werden, dass der Klägerin im entsprechenden
Zeitraum 440.800 € zur Verfügung gestanden hätten (= 380.000 € zuzüglich 16 %
Umsatzsteuer). Daneben sei eine Reduzierung dieses Betrags um 20.000 € (siehe Punkt (2))
nicht möglich. Dieser Betrag resultiere aus den am Ende des Haftungszeitraumes noch
offenen Forderungen. Es müsse auf der anderen Seite aber auch berücksichtigt werden, dass
zu Beginn des Haftungszeitraums ebenfalls offene Forderungen bestanden hätten, die ggf. im
Haftungszeitraum bezahlt worden seien und zu einer zusätzlichen Liquidität der Klägerin
geführt hätten. Daher werde angeregt, die am Ende noch offenen Forderungen außen vor zu
lassen und gleichzeitig die zu Beginn des Haftungszeitraums bestandenen Forderungen nicht
weiter zu beachten. Soweit der Berichterstatter der Berechnung der Gesamtverbindlichkeiten
unter Punkt (3) die Angaben im Insolvenzgutachten zugrunde gelegt habe, sei zu beachten,
dass ein Teil der Verbindlichkeiten erst nach Ende des Haftungszeitraums entstanden sei.
Denn schließlich sei der Geschäftsbetrieb über den Tag der Insolvenzantragstellung hinaus
fortgeführt worden.
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Anhand dieser Punkte werde im Übrigen deutlich, welche Unsicherheiten bei der Berechnung 56
zu Gunsten der Klägerin in Kauf genommen worden seien. Deshalb sei der Beklagte
weiterhin der Auffassung, dass eine exakte Berechnung anhand der vorliegenden Unterlagen
nicht möglich sei und daher ein Sicherheitszuschlag erforderlich sei, um die unterlassene
Mitwirkung der Klägerin abzudecken.
Im Übrigen komme er nach nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage zu dem
Ergebnis, dass die Umsatzsteuerschulden Oktober 2003, anders als auch von ihm im
Erörterungstermin vertreten (vgl. Blatt 134 ff. der Gerichtsakte), nicht aus dem
Haftungsanspruch ausgeschieden werden könnten. Im Urteil vom 27.02.2007 habe der BFH
nämlich keine generalisierende Aussage getroffen, dass in Bezug auf Steuerschulden, die in
einem Zeitraum von 3 Wochen vor Insolvenzantragstellung fällig geworden seien, keine
Pflichtverletzung anzunehmen sei. Vielmehr heiße es im Leitsatz nur, dass in diesem
Zeitraum ein die Haftung nach § 69 AO begründendes Verschulden ausgeschlossen sein
könne. Zugleich führe der BFH in diesem Urteil aus, dass sich derjenige, der bei vorliegender
Insolvenz erkenne, dass für das Unternehmen keine Sanierungsmöglichkeit mehr bestehe
und trotzdem nicht unverzüglich einen Insolvenzantrag stelle, nicht auf den Grundsatz der
Massesicherung und damit den 3-Wochen-Zeitraum wegen bestehender Pflichtenkollision
berufen könne. Letzteres greife vorliegend ein. Die Klägerin habe bereits deutlich mehr als 3
Wochen vor der Insolvenzantragstellung am 23.12.2003 erkennen können, dass das
Unternehmen nicht mehr dazu in der Lage gewesen sei, sämtliche Verbindlichkeiten
zurückzuführen. Denn übereinstimmend kämen der Berichterstatter und der Beklagte (wenn
auch mit unterschiedlichen Haftungsquoten) zu dem Ergebnis, dass die GmbH im
Haftungszeitraum (Beginn August 2003) nicht sämtliche Verbindlichkeiten habe tilgen
können. Es stelle jedoch einen Wertungswiderspruch dar, wenn man einerseits davon
ausgehe, dass schon ab August 2003 nicht mehr ausreichend Liquidität vorhanden gewesen
sei, andererseits aber davon ausgehe, dass die Klägerin erst Anfang Dezember 2003 die
Zahlungsunfähigkeit und/oder die Überschuldung habe erkennen können.
57
Nach Auffassung des Beklagten seien durch Pfändungsmaßnahmen im September 2003 nur
Umsatzsteuerschulden für das erste und zweite Quartal 2003 i.H.v. insgesamt 5.096,33 € und
darauf entfallene Säumniszuschläge i.H.v. 70,50 € beigetrieben worden. Nach alledem seien
die Steuerschulden für den Haftungszeitraum wie folgt zu berechnen:
58
Offene Steuerschulden laut Haftungsbescheid: 25.693 €
59
Zuzüglich Umsatzsteuer 1. und 2. Quartal 2003 -
60
ausgeglichen auf Grund einer Pfändung: 5.166 €
61
Zuzüglich durch Umbuchung der
62
Körperschaftsteuerguthaben ausgeglichenen Schulden: 4.960 €
63
Zu tilgende Steuerschulden insgesamt: 35.819 €
64
Davon seien insgesamt 10.126 € getilgt worden.
65
Soweit im Erörterungstermin vom Berichterstatter überlegt worden sei, dass bei seiner
Berechnung noch kein Erlass von Säumniszuschlägen i.H.v. 50 % berücksichtigt worden sei,
obwohl bei der Liquiditätslage der GmbH die Voraussetzungen sicherlich erfüllt gewesen
seien, sei dem Folgendes entgegenzuhalten: Säumniszuschläge seien nach der
66
Rechtsprechung des BFH nur dann teilweise zu erlassen, wenn sie ihren Zweck verloren
hätten, als Druckmittel zur pünktlichen Steuerzahlung zu dienen. Da jedoch noch im
September 2003 erfolgreich durch eine Pfändung Steuerschulden hätten beigetrieben werden
können und die Gesellschaft auch in der Folge sonstige Verbindlichkeiten offensichtlich
zumindest teilweise ausgeglichen habe, hätten die Säumniszuschläge zumindest bis zum
Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung eine Druckmittelfunktion gehabt und seien daher zu
Recht und in vollem Umfang einzubeziehen. Im Übrigen sei zu betonen, dass der Beklagte
nur Säumniszuschläge bis zum Tag der Insolvenzantragstellung berechnet habe. Nach der
Rechtsprechung des BFH sei es jedoch zulässig gewesen, auch die Hälfte der nach
Insolvenzantragstellung verwirkten Säumniszuschläge in den Haftungsanspruch
einzubeziehen (BFH-Urteil vom 19.12.2000, VII R 63/99). Eine weitere Minderung der hier
geltend gemachten Säumniszuschläge komme daher nicht in Betracht.
Soweit der Berichterstatter im Erörterungstermin außerdem auf das Urteil des Finanzgerichts
Düsseldorf vom 31.01.2006 hingewiesen habe, führe dies im vorliegenden Fall ebenfalls nicht
zu einer für die Klägerin günstigeren Beurteilung. Denn das Finanzgericht habe keine
Aussage dahingehend getroffen, dass in Insolvenzfällen generell eine Quote von (maximal)
50 % zu schätzen sei. Es habe nur in dem entschiedenen Einzelfall die vom Finanzamt
geschätzte Haftungsquote von 50 % bestätigt. Die Auffassung, dass bei Insolvenzfällen
generell eine Quote von 50 % angemessen sei, werde damit nicht getroffen.
67
Nachdem nach Durchführung des Erörterungstermins bekannt geworden sei, dass die
Klägerin durch Urteil des Amtsgerichts Köln vom 30.08.2005 (Az. 585 Ds 258/05) wegen
Urkundenfälschung verurteilt worden sei (Blatt 171 ff. der Gerichtsakte), komme es auf den
Grundsatz der anteiligen Tilgung hinsichtlich eines wesentlichen Teils der
Umsatzsteuerschulden gar nicht mehr an. Nach diesem Urteil habe die Klägerin eine am
16.11.2001 durch das Finanzamt R erteilte Freistellungsbescheinigung im Sinne des § 48b
EStG verfälscht (siehe Blatt 219 der Gerichtsakte). Die allgemeine Gültigkeit der
Bescheinigung sei auf den Zeitraum 01.01.2002 bis zum 31.12.2002 bestimmt gewesen.
Weitere Angaben zur Gültigkeit der Bescheinigung seien nicht vorgenommen worden. Bei
dieser Bescheinigung habe die Klägerin unter der Rubrik Ort und Gewerk "H Bau, Rathaus
G", bei der Firmenbezeichnung eine "N GmbH, ... Straße ..., ... G" und ein Kreuzchen bei der
Rubrik "bis zum Abschluss der Arbeiten" eingefügt. Das auf diese Weise ergänzte amtliche
Dokument habe sie der Firma N GmbH übergeben, die daraufhin keine Bauabzugssteuer
einbehalten und abgeführt habe. Auf Grund dieser Freistellungsbescheinigung habe der
Leistungsempfänger, die Firma N GmbH, davon ausgehen können, dass die
Freistellungsbescheinigung für das Projekt "H Bau" unabhängig von dem auf der
Bescheinigung ebenfalls angegebenen allgemeinen Gültigkeitszeitraum (01.01.2002 bis
31.12.2002) bis zum tatsächlichen Abschluss der Arbeiten an diesem Projekt gelte.
68
Dem Vortrag der Klägerin, die Firma N GmbH hätte die Freistellungsbescheinigung vom
16.11.2001 so verstehen müssen, dass diese nur bis zum 31.12.2002 Gültigkeit habe, könne
nicht gefolgt werden. Zwar sei auf dieser Bescheinigung ein allgemeiner Gültigkeitszeitraum
angegeben gewesen, der am 31.12.2002 geendet habe. Durch den von der Klägerin auf der
Bescheinigung angebrachten Zusatz habe indes die Firma N GmbH davon ausgehen können
und dürfen, dass die Bescheinigung unabhängig von der allgemeinen Gültigkeit für das
Projekt "H Bau" auch über den 31.12.2002 gültig gewesen sei. Durch diesen Zusatz sei der
Eindruck erzeugt worden, dass die Bescheinigung für das konkret angegebene Projekt und
den ausdrücklich genannten Leistungsempfänger bis zum Abschluss der entsprechenden
Arbeiten Gültigkeit gehabt habe.
69
Die Freistellungsbescheinigung vom 16.11.2001 sei mithin durch die Verfälschung für das
Jahr 2003 ungültig. Deshalb hätte bei sämtlichen Zahlungen des Jahres 2003 durch die Firma
N GmbH das Unterlassen der Einbehaltung und Abführung einer 15 %igen Bauabzugssteuer
nicht auf diese Bescheinigung gestützt werden können.
70
Die Firma N GmbH sei erst ab dem 16.9.2003 berechtigt gewesen, die Bauabzugssteuer nicht
einzubehalten und abzuführen. Dies ergebe sich aus den zusätzlich zur Bescheinigung vom
16.11.2001 übergebenen Freistellungsbescheinigungen, die nach Mitteilung der Firma N
GmbH dieser von der GmbH ausgehändigt worden seien. Im Einzelnen:
71
Datum der
Freistellungsbescheinigung
Gültigkeit der
Freistellungsbescheinigung
Eingang der
Freistellungsbescheinigung
bei der Firma N
16.11.2001
01.01.2002 – 31.12.2002
nach Verfälschung durch die
Klägerin für das Projekt "H
Bau" verlängert bis zum
Abschluss der Arbeiten
16.10.2002
30.01.2003
30.01.2003 – 30.04.2003
15.07.2004
16.09.2003
16.09.2003 – 15.09.2004
22.09.2003
72
Der Zugang der Freistellungsbescheinigungen bei der Firma N GmbH vom 16.11.2001 und
30.01.2003 ergebe sich aus Aufdrucken auf diesen Bescheinigungen. Ausweislich der
vorgelegten Kopien sei die Freistellungsbescheinigung vom 16.11.2001 per Fax am
16.10.2002 übermittelt worden. Die Freistellungsbescheinigung vom 30.01.2003 sei mit Fax
vom 15.07.2004 übermittelt worden (vgl. Blatt 219, 220 der Gerichtsakte).
73
Da die Freistellungsbescheinigung vom 30.01.2003 der Firma N GmbH durch die GmbH erst
am 15.07.2004 vorgelegt worden sei, hätte auch bei den Zahlungen im Zeitraum 30.01.2003
bis 30.04.2003 durch die Firma N GmbH Bauabzugssteuer einbehalten und abgeführt werden
müssen. Denn der Leistungsempfänger könne nur vom Steuerabzug absehen, wenn der
Leistende eine Freistellungsbescheinigung vorlege, noch bevor für die Bauleistung eine
Gegenleistung erbracht worden sei. Die Freistellungsbescheinigung vom 16.09.2003 sei der
Firma N GmbH zeitnah vorgelegt worden. Für den Zeitraum ab dem 16.09.2003 sei der
Klägerin daher diesbezüglich kein schuldhaftes Verhalten anzulasten. Für den Zeitraum
01.05.2003 bis 15.09.2003 habe weder der Firma N GmbH eine andere
Freistellungsbescheinigung als die verfälschte Bescheinigung vom 16.11.2001 vorgelegen,
noch habe der Beklagte für diesen Zeitraum überhaupt eine Freistellungsbescheinigung
ausgestellt.
74
Nach alledem habe die Firma N GmbH im Zeitraum 01.01.2003 bis 15.09.2003
Bauabzugssteuer einbehalten und abführen müssen. Denn ihr hätten bei Anweisung der
entsprechenden Zahlungen keine (gültigen) Freistellungsbescheinigungen vorgelegen. Es
sei, wie schon ausgeführt, unerheblich, dass objektiv eine Bescheinigung für den Zeitraum
30.01.2003 bis 30.04.2003 existiert habe. Denn diese sei nicht zeitnah übergeben worden.
75
Zusammenfassend sei festzuhalten, dass der Grundsatz der anteiligen Tilgung insoweit nicht
76
zur Anwendung gelange. Wäre nämlich die Bescheinigung vom 16.11.2001 durch die
Klägerin nicht verfälscht worden, so hätte für die Firma N GmbH kein Grund bestanden, im
Zeitraum 01.01.2003 bis 15.09.2003 von der Einbehaltung und Abführung von
Bauabzugssteuer abzusehen. Die Klägerin habe also letztlich die Abführung dieser Steuer für
diesen Zeitraum i.H.v. 40.133 € (15 % von 267.553 €, Zusammenstellung vergleiche Blatt 221
der Gerichtsakte) durch das vorsätzliche Verfälschen der Freistellungsbescheinigung und die
Übergabe an die Firma N GmbH vereitelt. Dies habe kausal dazu geführt, dass
Verrechnungsmöglichkeiten, insbesondere der Ausgleich wesentlicher Teile der in den
Haftungsbescheid einbezogenen Umsatzsteuerschulden, vereitelt worden sei.
Der in Rede stehende Betrag der Bauabzugssteuer für das Jahr 2003 belaufe sich nach dem
Urteil des Amtsgerichts Köln vom 30.08.2005 auf 40.133,08 €. Da für das Jahr 2003 eine
Körperschaftsteuerschuld i.H.v. 0,- € im Wege der Schätzung ermittelt worden sei, wäre
dieses Guthaben auf Grund einbehaltener Bauabzugssteuer mit der Durchführung der
Jahresveranlagung 2003 frei geworden und hätte zunächst gem. § 48c EStG mit
rückständigen Lohnsteuerschulden (ca. 19.000 €) verrechnet werden können. Das danach
verbliebene Guthaben i.H.v. ca. 21.100 € hätte dann gemäß § 226 AO auf die in Rede
stehenden rückständigen Umsatzsteuerschulden angerechnet werden können.
77
Der erforderliche haftungsbegründende Kausalzusammenhang zwischen der hier gegebenen
Urkundenfälschung (= vorsätzliche Verletzung der steuerlichen Pflichten) und dem
Haftungsschaden sei vorliegend also teilweise auch darin begründet, dass durch die
gefälschte Freistellungsbescheinigung und der damit verbundenen unterlassenen
Einbehaltung und Abführung von Bauabzugsteuer Verrechnungsmöglichkeiten des Beklagten
in Bezug auf die in Rede stehenden Umsatzsteuerschulden vereitelt worden seien (vgl. z.B.
BFH-Urteil vom 05.03.1991, BStBl. II 1991, 678). In diesem Fall erfolge die
Haftungsinanspruchnahme unabhängig von dem Umfang der sonstigen
Gläubigerbefriedigung insoweit uneingeschränkt, als bei pflichtgemäßem Verhalten die
rückständigen Steuern durch Verrechnungen ausgeglichen worden wären. Sei die
Freistellungsbescheinigung nicht verfälscht und daher Bauabzugssteuer einbehalten und an
das Finanzamt R abgeführt worden, seien die in Rede stehenden Umsatzsteuerschulden bei
Durchführung der Körperschaftsteuerveranlagung 2003 zumindest i.H.v. ca. 21.100 €
ausgeglichen worden. Die Fälschung sei also letztlich kausal für den eingetretenen
Steuerausfall. Da die Haftungsnorm des § 69 AO Schadenersatzcharakter habe, habe die
Klägerin für diesen Steuerausfall im Haftungswege einzustehen. Danach wäre sogar die
Annahme einer Haftungsquote von 100 % für einen wesentlichen Teil der
Umsatzsteuerschulden zutreffend gewesen. In jedem Falle aber sei die durch das Finanzamt
geschätzte Haftungsquote von 70 % und die festgelegte Haftungssumme von 15.533 € (diese
sei deutlich geringer als das bei pflichtgemäßen Verhalten zur Verrechnung mit den
Umsatzteuerschulden zur Verfügung stehende Guthaben) nicht zu beanstanden. Dies gelte
selbst dann, wenn der Grundsatz der anteiligen Tilgung zur Anwendung gelange.
78
Die Frage, ob die Klägerin neben der Urkundenfälschung auch eine Steuerhinterziehung
begangen habe, sei vorliegend nicht entscheidungserheblich. Insofern sei es auch
unerheblich, dass das Verfahren wegen Steuerhinterziehung nach § 154a StPO eingestellt
worden sei (vgl. Blatt 171 ff. der Gerichtsakte). Denn bereits die Urkundenfälschung sei
ursächlich für den eingetretenen Steuerschaden. Der Beklagte habe bisher auch nie den
Haftungsanspruch mit einer Steuerhinterziehung begründet. Denn der Haftungsbescheid
werde ausschließlich auf § 69 AO gestützt. Auf Grund der Einstellung des Strafverfahrens
wegen Steuerhinterziehung gemäß § 154a StPO sei keine abschließende Prüfung erfolgt, ob
durch die Klägerin neben der Urkundenfälschung auch eine Steuerhinterziehung begangen
79
worden sei.
Schließlich führten auch die Ausführungen der Klägerin zu ihren "umsatzsteuerlichen
Vorstellungen," die sie sich bei der Verfälschung der Freistellungsbescheinigung gemacht
haben wolle, zu keiner anderen Beurteilung. Denn die Freistellungsbescheinigung finde ihre
Grundlage im Einkommensteuergesetz und damit im Ertragssteuerrecht. Sie erfordere daher
keine Überlegungen, die für die Umsatzbesteuerung von Relevanz seien. Der
Zusammenhang bzw. die Verbindung zur Umsatzsteuer ergebe sich aus dem System der
Anrechnung von einbehaltener Bauabzugssteuer. Soweit nämlich entsprechende Beträge
durch den Leistungsempfänger an das Finanzamt abgeführt worden seien, würden diese
entsprechend der in § 48c EStG festgelegten Reihenfolge angerechnet. Soweit danach noch
ein Guthaben verbliebe, werde dieses mit den übrigen Steuerschulden nach allgemeinen
Grundsätzen verrechnet. Im konkreten Fall wäre daher nach Anrechnung auf die
rückständigen Lohnsteuerschulden eine Verrechnung mit den hier in Rede stehenden
Umsatzsteuerschulden erfolgt. Auf Grund dieser Aufrechnungsmöglichkeit nach § 226 AO, die
die Klägerin durch die Verfälschung der Freistellungsbescheinigung vereitelt habe, komme es
auch nicht darauf an, dass die Umsatzsteuer nicht zu den durch § 48b EStG zu sichernden
Steueransprüchen gehöre. Insoweit zu § 48b EStG ergangene Rechtsprechung (z. B. FG
Hamburg v. 6.3.2003, II 47/03) sei daher auch unerheblich.
80
Zu der nach der Durchführung des Erörterungstermins bekannt gewordenen Verurteilung der
Klägerin durch Urteil des Amtsgerichts Köln vom 30.08.2005 nimmt die Klägerin wie folgt
Stellung: Es sei unzutreffend, sie sei für schuldig befunden worden, eine
Freistellungsbescheinigung im Sinne des § 48b EStG gefälscht zu haben. Diese sei lediglich
verfälscht worden. Sie habe geglaubt, die Angaben in den freigebliebenen Rubriken ergänzen
zu müssen. Sie habe also alles besonders gut machen wollen. Ihre Schuld sei gering
gewesen, was auch in dem Urteil seinen Ausdruck gefunden habe. Die mitangeklagte
Steuerhinterziehung sei gemäß § 154a StPO vom Strafgericht nicht weiter verfolgt worden.
Eine Steuerhinterziehung habe auch nicht vorgelegen, weil eben keine
Freistellungsbescheinigung gefälscht worden sei. Bei Vorlage der ergänzten
Freistellungsbescheinigung habe sich die Firma N GmbH genauso verhalten, wie sie sich
verhalten hätte, wenn die Beklagte die Freistellungsbescheinigung nur dahingehend
verfälscht hätte, dass sie auf das Bauvorhaben "H Rathaus", G, beschränkt worden sei. Es sei
daher unzutreffend, dass die Nichtabführung der Bauabzugssteuer an das beklagte
Finanzamt durch eine Fälschung der Klägerin verursacht worden sei. Denn die
Bauabzugssteuer sei auch bei Verwendung der allgemeinen Freistellungserklärung und ohne
die Verfälschung durch die Klägerin nicht an den Beklagten abgeführt worden.
81
Im Übrigen fehle es auch an dem für § 69 AO schuldhaften Handeln der Klägerin. Da bei ihr
keine absichtliche Steuerhinterziehung vorliege, fehle es an diesem Merkmal.
82
Soweit die Firma N GmbH bestimmte Eingangsdaten hinsichtlich der Freistellungsbescheide
angebe, würden diese bestritten. Sie seien unglaubhaft. Nach dem 22.09.2003 seien keine
freiwilligen Zahlungen der Firma N GmbH mehr erfolgt, weil diese wohl schon auf die
Insolvenz der GmbH spekuliert habe. Zum Zeitpunkt des 15.08.2004 sei die GmbH schon ein
halbes Jahr in Insolvenz gewesen.
83
Schließlich habe das Strafurteil des AG Köln bezüglich der Bauabzugssteuer keine
Feststellung getroffen, sondern im Tatbestand die diesbezüglich unzutreffende Ansicht der
Strafsachenstelle lediglich wiederholt.
84
Letztlich komme es für die Frage der Haftung für Umsatzsteuerschulden nicht auf die
Verfälschung der Freistellungsbescheinigung durch die Klägerin an. Denn nach h. M. gehöre
die Umsatzsteuer nicht zu den durch § 48b EStG zu sichernden Steueransprüchen.
85
Auf das Gutachten im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der GmbH vom
21.01.2004, vorgelegt durch die Klägerin mit Klagebegründung vom 30.09.2005, wird
verwiesen (Blatt 34 ff. der Gerichtsakte).
86
Entscheidungsgründe
87
Die Klage ist teilweise begründet.
88
Der Beklagte hat die Klägerin dem Grunde nach zu Recht für die
Umsatzsteuerverbindlichkeiten Juli bis Oktober 2003 der P GmbH sowie die
Säumniszuschläge in Haftung genommen. Die Inanspruchnahme ist indes in der Höhe zum
Teil zu Unrecht erfolgt.
89
1. Gemäß § 69 i.V.m. § 34 AO haften die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen, soweit
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) in Folge vorsätzlicher oder grob
fahrlässiger Pflichtverletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig
festgesetzt oder erfüllt werden.
90
a) Gesetzlicher Vertreter einer GmbH ist ihr Geschäftsführer, § 34 Abs. 1 AO i.V.m. § 35
GmbHG. Er muss für die Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten sorgen und deshalb
Steuererklärungen rechtzeitig und wahrheitsgemäß abgeben (§ 18 Abs. 1, 3 UStG). Aus der
Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 2 AO ergibt sich darüber hinaus die Verpflichtung, die fälligen
Steuern aus den verwalteten Mitteln zu bezahlen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung
ist der gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft auch dazu verpflichtet, bereits vor Fälligkeit von
Steuerforderungen Vorsorge für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit zu treffen
(vgl. BFH-Urteil vom 11.03.2004, VII R 19/02, BStBl. II 2004, 967; BFH-Beschluss vom
16.02.2006, VII B 122/05, BFH/NV 2006, 1051).
91
Die Klägerin, die seit der Gründung der GmbH im Jahr 1988 deren alleinige Geschäftsführerin
war, hat diese Pflichten verletzt.
92
In den Umsatzsteuervoranmeldungen für Juli und Oktober 2003 wurde eine zu geringe
Umsatzsteuerschuld ausgewiesen. Die in der Folge eingereichten berichtigten Anmeldungen
führten zu einer erheblich höheren Steuerfestsetzung. Dies lässt den Schluss zu, dass die
zunächst abgegebenen Voranmeldungen nicht sorgfältig und vollständig erstellt worden sind.
Außerdem hat die Klägerin die ihr als Geschäftsführerin obliegenden Pflichten zur
rechtzeitigen Zahlung der von der GmbH geschuldeten Umsatzsteuerbeträge Juli bis Oktober
2003 nicht erfüllt.
93
b) Die Klägerin hat die ihr obliegenden Pflichten zumindest auch in grob fahrlässiger Weise
und damit schuldhaft verletzt. Denn nach der Rechtsprechung des BFH indiziert die in der
Nichtentrichtung von Steuern liegende Pflichtwidrigkeit den gegenüber dem Geschäftsführer
zu erhebenden Schuldvorwurf (BFH-Beschluss vom 25.07.2003, VII B 240/02, BFH/NV 2003,
1540; BFH-Urteil vom 04.12.2007, VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521).
94
Soweit die Klägerin einwendet, sie habe auf Grund der Kontenpfändung durch den Beklagten
keine Zahlungen leisten können, vermag dies am Vorliegen der schuldhaften
95
Pflichtverletzung nichts zu ändern. Denn die vom Beklagten im Haftungszeitraum
ausgebrachte Kontenpfändung vom 02.09.2009 wurde am 12.09.2003 schon wieder
aufgehoben. Eine erneute Kontenpfändung erfolgte erst am 04.12.2003. Ebenso wenig entfällt
der Schuldvorwurf, entgegen der Auffassung der Klägerin, weil sie dem Beklagten durch
Nennung ihres Hauptauftraggebers die Möglichkeit der Pfändung eröffnet hat und der
Beklagte tatsächlich (zunächst) einen Betrag in Höhe von 26.000,- € erhalten hat. Denn auf
Grund der Anfechtung durch den Insolvenzverwalter musste der Betrag vom Beklagten wieder
herausgegeben werden. Die Steuerschuld ist nicht beglichen worden. Zwar führt die Zahlung
der Steuerschuld regelmäßig zu ihrem Erlöschen und damit (insoweit) zur Beendigung des
Steuerschuldverhältnisses. Bei Steuerfälligkeiten, die in insolvenzreife Zeit fallen, bleibt
dieses Steuerschuldverhältnis aber selbst bei fristgerechter Zahlung wegen der gesetzlich
vorgesehenen Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters zunächst in der Schwebe.
Die erfolgreiche Anfechtung und Rückgewähr nach § 143 InsO bewirkt gemäß § 144 InsO,
dass die Steuerschuld rückwirkend wieder auflebt. Die Beendigung des
Steuerschuldverhältnisses ist insoweit auflösend bedingt (BFH-Urteil v. 11.11.2008, VII R
19/08, BStBl. II 2009, 342).
Letztlich ändert auch der Einwand der Klägerin am Schuldvorwurf nichts, dass die
Zahlungsschwierigkeiten maßgeblich durch die Bauverzögerungen bei ihrem einzigen
großen Auftrag 2003 und durch die Hinhaltetaktik der Firma N GmbH verursacht worden
seien. Denn zum Einen hingen die Umsatzsteuerverpflichtungen auf Grund der Ist-
Versteuerung der GmbH von den tatsächlichen Zahlungen des Auftraggebers ab. Zudem
gehört es bei Zahlungsschwierigkeiten zu den Pflichten der GmbH, ihre Steuerschulden in
gleicher Weise zu tilgen wie die übrigen Schulden der Gesellschaft. Ein Geschäftsführer, der
hiergegen verstößt, handelt in der Regel, d.h., soweit nicht besondere Umstände vorliegen,
die die Annahme einer leichteren Form des Verschuldens rechtfertigen, zumindest grob
fahrlässig (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BFH-Urteil vom 11.03.2004, VII R 52/02, BStBl.
II 2004, 579).
96
c) Zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung der Klägerin und dem Eintritt des durch die
Nichtentrichtung der geschuldeten Abgabenbeträge entstandenen Vermögensschadens
besteht allerdings nur teilweise ein adäquater Kausalzusammenhang aufgrund des
haftungsbegrenzenden Grundsatzes der anteiligen Tilgung.
97
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist u.a. bei der Haftung für Umsatzsteuer der
haftungsbegrenzende Grundsatz der anteiligen Tilgung zu beachten. Dieser besagt, dass der
gesetzliche Vertreter nach §§ 69, 34 AO nur in dem Umfang in Anspruch genommen werden
kann, in dem er bei der Tilgung der Gesamtverbindlichkeiten das Finanzamt gegenüber
anderen Gläubigern benachteiligt hat (BFH-Urteil vom 12.06.1986, VII R 192/83, BStBl. II
1986, 657; BFH-Urteil vom 14.07.1987, VII R 188/82, BStBl. II 1988, 172; BFH-Urteil vom
27.02.2007, VII R 60/05, BStBl. II 2008, 508; BFH-Urteil vom 04.12.2007, VII R 18/06, BFH/NV
2008, 521). Denn verlangt wird von einem GmbH-Geschäftsführer, dass er in Erfüllung seiner
steuerlichen Pflichten die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu einer in etwa anteiligen
Befriedigung des Finanzamts und der übrigen Gläubiger verwendet. Der zu fordernde
Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt entfällt,
wenn mangels ausreichender Zahlungsmittel auch bei fristgerechter Abgabe der
Steueranmeldung die geschuldete Steuer nicht hätte an das Finanzamt abgeführt werden
können.
98
Die Feststellungslast für eine nicht anteilige, sondern nachteilige Befriedigung des
Finanzamts trägt dieses (BFH-Urteil vom 11.07.1989, VII R 81/87, BStBl. II 1990, 357). Der
99
Haftungsschuldner hat jedoch eine gesteigerte Mitwirkungspflicht. Im Rahmen dieser
Mitwirkungspflicht besteht die Verpflichtung, die zur Feststellung des Haftungsumfangs
notwendigen Auskünfte über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige
Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum zu erteilen. Unter Berücksichtigung der
vorhandenen Daten und Zahlen hat das Finanzamt die Haftungsquote zu ermitteln oder -
soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann - im Schätzungswege gem. § 162 AO die
Quote festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (BFH-Urteil vom
27.02.2007, VII R 60/05, BStBl. II 2008, 508). Die Berechnung erfolgt überschlägig (vgl. BFH-
Urteil vom 12.7.1988, VII R 108-109/87, BFH/NV 1988, 764, m. w. N.; Rüsken in Klein, § 69
AO Rz. 58). Eine ungerechtfertigte Weigerung des Haftungsschuldners, in seinem
Wissensbereich liegende Auskünfte zu erteilen, kann das Finanzamt bzw. das Finanzgericht
zu einer unter Umständen für den Geschäftsführer nachteiligen Schätzung der
Haftungssumme berechtigen (BFH-Urteil vom 25.05.2004, VII R 8/03, BFH/NV 2004, 1498;
BFH-Urteil vom 04.12.2007, VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521).
bb) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Grundsatz der anteiligen Tilgung
vorliegend anzuwenden.
100
Dem Beklagten ist zwar grundsätzlich zuzustimmen, dass nach höchstrichterlicher
Rechtsprechung des BFH der Grundsatz der anteiligen Tilgung im Ergebnis nicht zum Tragen
kommt, wenn durch die unterlassene oder verspätete Abgabe von Steueranmeldungen bzw. -
erklärungen aussichtsreiche Vollstreckungsmöglichkeiten vereitelt oder
Aufrechnungsmöglichkeiten des Finanzamtes verhindert werden. Solche Pflichtverletzungen
können nämlich in diesen Fällen einen gesonderten Kausalverlauf in Gang setzen. In Fällen
bestehender Aufrechnungsmöglichkeiten spielt die (teilweise) Zahlungsunfähigkeit der
Steuerschuldnerin (GmbH) deshalb keine Rolle, weil die Aufrechnungsmöglichkeit der
Finanzbehörden unabhängig von der Zahlungsfähigkeit der GmbH besteht (vgl. nur BFH-
Urteil vom 25.04.1995, VII R 99-100/94, BFH/NV 1996, 97 m. w. N.; Rüsken in Klein, 9. Aufl., §
69 AO Rz. 60).
101
Allerdings folgt das Gericht dem Beklagten insoweit nicht, als er einen haftungsbegründenden
Kausalzusammenhang zwischen der Urkundenfälschung und dem mit dem Haftungsanspruch
geltend gemachten Schaden annimmt. Hieran fehlt es nach Auffassung des Gerichts. Ob es
sich bei der Urkundenfälschung um eine vorsätzliche Verletzung der steuerlichen Pflichten im
Sinne von § 69 AO handelt, kann daher dahin gestellt bleiben.
102
Die für die Haftung nach §§ 34, 69 AO erforderliche Kausalität zwischen der Pflichtverletzung
und dem mit dem Haftungsanspruch geltend gemachten Schaden richtet sich nach der sog.
Adäquanztheorie. Danach sind solche Pflichtverletzungen für den Erfolg ursächlich, die
allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet sind, diesen Erfolg zu verursachen (BFH-Urteil
vom 25.04.1995, VII R 99-100/94, BFH/NV 1996, 97; Rüsken in Klein, 9. Aufl., § 69 AO Rz.
130).
103
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Dies ergibt sich vor allem aus dem zeitlichen Ablauf
sowie der Verrechnungsreihenfolge des § 48c EStG. Die von der Klägerin nach dem Urteil
des Amtsgerichts Köln vom 30.08.2005 begangene Urkundenfälschung erfolgte Ende 2001 /
Anfang 2002. Der "Erfolg" bestand darin, dass nach der Durchführung der
Körperschaftsteuerveranlagung 2003 der GmbH im März 2004 (Schätzung der
Besteuerungsgrundlagen) wegen des fehlenden Einbehalts und der fehlenden Abführung der
Bauabzugssteuer durch die Firma N GmbH kein Verrechnungsguthaben vorhanden war, das
mit den noch offenen Umsatzsteueransprüchen Juli 2003 bis Oktober 2003 bzw. den offenen
104
Säumniszuschlägen aufgerechnet werden konnte.
Bei der Verfälschung der Freistellungsbescheinigung war es für die Klägerin nicht
vorhersehbar, inwieweit sich die Bescheinigung im Jahr 2003 überhaupt auswirkt, da der
Umfang der Bauverzögerungen auf Grund des Abstimmungsbedarfs mit dem Konservator
nicht absehbar war. Ebenso wenig dürfte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt damit gerechnet
haben, dass für das Jahr 2003 die Körperschaftsteuer mit "0" geschätzt wurde.
105
Schließlich war die Urkundenfälschung auch deshalb weder allgemein noch
erfahrungsgemäß dazu geeignet, die Verrechnung der Abzugsbeträge mit der Umsatzsteuer
Juli bis Oktober 2003 zu verhindern, weil eine Verrechnung mit Umsatzsteuer nach § 48c
EStG lediglich subsidiär in Betracht kommt. Zunächst sieht das Gesetz ausdrücklich eine
Anrechnung auf Lohnsteuer, Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer sowie auf vom Leistenden
im Sinne der §§ 48, 48a EStG anzumeldende und abzuführende Abzugsbeträge vor (§ 48c
Abs. 1 Satz 1 EStG). Erst dann ist unter Beachtung der Voraussetzungen des § 226 AO eine
weitergehende Aufrechnung möglich (Ebling in Blümich, § 48c EStG Rz. 23). Dass die
Umsatzsteuer im Zusammenhang mit der Bauabzugsteuer regelmäßig keine Rolle spielt, wird
schließlich auch dadurch bestätigt, dass im Rahmen des § 48b EStG, d.h. bei Erteilung der
Freistellungsbescheinigung, maßgeblich Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit Lohn-,
Einkommen- oder Körperschaftsteuer relevant sind. Dies folgt ebenfalls aus der
Anrechnungsvorschrift des § 48c Abs. 1 EStG, die Umsatzsteuerschulden nicht erwähnt. Für
diese gibt es eine eigenständige Sicherung über die Regelung des Übergangs der
Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger in § 13b UStG (FG Hamburg, Beschluss
vom 06.03.2003, II 47/03, DStRE 2003, 928; vgl. auch FG Münster, Urteil v. 27.03.2007, 1 K
3554/06 S, DStRE 2008, 448; Ebling in Blümich, § 48b EStG Rz. 30). Eine Vernachlässigung
steuerlicher Pflichten in Bezug auf die Umsatzsteuer kann lediglich Indiz für mangelnde
Erfüllung steuerlicher Pflichten allgemein sein (FG Hamburg, Beschluss vom 06.03.2003, II
47/03, DStRE 2003, 928; Ebling in Blümich, § 48b EStG Rz. 30).
106
Auf Grund des fehlenden adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen der
Urkundenfälschung durch die Klägerin und dem mit dem Haftungsanspruch geltend
gemachten Schaden kommt es nicht darauf an, ob die Firma N GmbH gegebenenfalls aus
anderen Gründen zumindest zeitweilig vom Steuerabzug absehen konnte. So kann es offen
bleiben, ob bzw. wann die Klägerin die Freistellungsbescheinigung vom 30.01.2003 der
Firma N GmbH übermittelt hat und inwieweit sich eine erteilte, ggf. erst nachträglich
übergebene Bescheinigung im Rahmen des Steuerabzugs auswirkt.
107
cc) Der Beklagte hat die Klägerin in Anbetracht des Grundsatzes der anteiligen Tilgung zwar
nur prozentual für die Umsatzsteuerschulden der GmbH in Haftung genommen. Allerdings hält
die Höhe der durch den Beklagten ermittelten Haftungssumme einer Überprüfung nicht stand.
108
Die Klägerin hat dem Beklagten den für die Errechnung der Tilgungsquote vorgesehenen
Berechnungsbogen nicht übermittelt und ist daher ihren Mitwirkungsverpflichtungen nicht
nachgekommen. Gleichwohl ist die Anwendung eines Prozentsatzes in Höhe von 70 % auf
die noch bestehenden Steuerschulden der GmbH zu pauschal. Es ist nicht ausreichend,
lediglich die sich aus den Umsatzsteuervoranmeldungen (2. Quartal bis einschließlich
Oktober 2003) ergebenden Nettoumsätze in Höhe von 330.828 € unter dem Aspekt zu
berücksichtigen, dass ausreichend finanzielle Mittel vorhanden gewesen seien, um die
rückständigen Steuern zumindest teilweise zu begleichen und den Aspekt in die Betrachtung
mit einzubeziehen, dass schon zum 31.12.2001 bei der GmbH eine bilanzielle Unterdeckung
vorhanden gewesen sei. Dies wird der Anforderung des BFH, dass im Schätzungswege die
109
Quote festzustellen ist, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (BFH-Urteil vom
27.02.2007, VII R 60/05, BStBl. II 2008, 508), nicht gerecht. Da zudem weiteres
Zahlenmaterial auf Grund des Insolvenzgutachtens und der Umsatzsteuervoranmeldungen
zur Verfügung stand, ist die vorgenommene Schätzung auch nicht unter dem Aspekt zu
rechtfertigen, dass die fehlende Mitwirkung zu einer unter Umständen nachteiligen Schätzung
der Haftungssumme berechtigt. Schließlich wird bei der alleinigen Anwendung der
Haftungsquote in Höhe von 70 % auf die "verbliebene" Steuerschuld der GmbH die
Haftungssumme nicht zutreffend berechnet. Zum einen ist die Haftungsquote auf die
Steuerverbindlichkeiten im Haftungszeitraum anzuwenden. Zum anderen sind die im
Haftungszeitraum beglichenen Steuerschulden der GmbH abzuziehen (vgl. Nacke, Die
Haftung für Steuerschulden, 2. Aufl. 2007, Rz. 113 f.).
dd) Das Insolvenzgutachten, die Umsatzsteuervoranmeldungen, die inzwischen Grundlage
des Umsatzsteuerjahresbescheids 2003 geworden sind, und schließlich die vom Beklagten
vorgelegten Kontoauszüge der GmbH bieten eine ausreichende Grundlage, die anteilige
Haftungsquote überschlägig sowie die Haftungssumme zu berechnen.
110
In der Berechnung sind auch die vom Beklagten in die Haftung nach § 69 Satz 2 AO
miteinbezogenen Säumniszuschläge bis zum 23.12.2003 zu berücksichtigen. Denn die
Haftung für Säumniszuschläge ist ebenfalls in ihrer Höhe von den möglicherweise nur
anteiligen Tilgungspflichten für die Steuerschulden abhängig (Rüsken in Klein, § 69 AO Rz.
15).
111
( Verbindlichkeiten im Haftungszeitraum
112
Mangels konkreter Details zu den Verbindlichkeiten der GmbH zu Beginn des
Haftungszeitraums und zum Zuwachs der Verbindlichkeiten während des Haftungszeitraums
sind die Gesamtverbindlichkeiten vorliegend im Wege der Rückrechnung ausgehend von den
Angaben im Insolvenzgutachten vom 21.01.2004 zu ermitteln. Auf der Grundlage des
Insolvenzgutachtens ist von einer Summe in Höhe von 215.000 € an Verbindlichkeiten am
Ende des Haftungszeitraums auszugehen, wobei Steuerverbindlichkeiten an dieser Stelle
grundsätzlich nicht eingerechnet werden. Lediglich die Lohnsteuer, soweit sie im
Haftungszeitraum nicht getilgt wurde, ist bei der Berechnung mit einzubeziehen (vgl. BFH vom
27.02.2007, VII R 60/05, BStBl. II 2008, 508; OFD Hannover vom 11.12.2008, juris). Die
Beträge im Einzelnen ergeben sich aus der nachstehenden Tabelle:
113
Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen
45.000,-
Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten
75.000,-
Verbindlichkeiten aus Miete/Leasing
0,-
Löhne/Gehälter: (Sozialabgaben: 54.000,- Nettolöhne: 22.000,- Lohnsteuer:
15.000,-)
85.000,-
Steuern
0,-
Sonst. Verbindlichkeiten
10.000,-
Kosten Insolvenzverfahren, Masseverbindlichkeiten
0,-
Summe
215.000,-
114
Diese Werte sind im Vergleich zum Insolvenzgutachten teilweise abgeändert. Bei den
Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten ist ein Betrag i.H.v. 75.000 € anzunehmen, da
insoweit davon auszugehen ist, dass die Verbindlichkeiten im Haftungszeitraum fällig waren
(245.000,- abzüglich 170.000,-). Verbindlichkeiten aus Miete und Leasing werden nicht
berücksichtigt, da sie erst nach dem Haftungszeitraum angefallen sind. Bei den Löhnen und
Gehältern ist ein Abzug vorzunehmen, da Lohn sowie Lohnsteuer für einen Monat erst nach
dem Haftungszeitraum angefallen ist. Daher ist von dem im Insolvenzgutachten angesetzten
Betrag in Höhe von 91.000 € ein Abschlag i.H.v. 6.000 € (5.000 € Nettolohn zuzüglich 1.000 €
Lohnsteuer) abzuziehen. Steuerverbindlichkeiten sind bei diesem Berechnungspunkt
gänzlich auszulassen. Schließlich bestanden im Haftungszeitraum auch noch keine
Verbindlichkeiten für die Kosten des Insolvenzverfahrens. Ebenso bestanden noch keine
Masseverbindlichkeiten, weshalb sie nicht zu berücksichtigen sind.
115
Zur Berechnung der Gesamtverbindlichkeiten ist zu dieser Summe der Betrag hinzu zu
addieren, der an Zahlungen im Haftungszeitraum an die GmbH geflossen ist. Soweit nämlich
diese Mittel nicht mehr vorhanden sind, ist davon auszugehen, dass sie zur Begleichung von
Verbindlichkeiten verwendet wurden. Der Eingang von Zahlungen im Haftungszeitraum wird
unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer-Voranmeldungen ermittelt, da nach Angabe der
Klägerin die GmbH der Ist-Versteuerung unterlag. Im Einzelnen handelt es sich für die Monate
August bis Oktober 2003 um folgende Werte:
116
Monat
Nettoumsätze
Umsatzsteuer
August 2003
62.000,-
9.920,-
September 2003
41.370,-
6.619.-
Oktober 2003
78.512,-
12.562,-
Summe
181.882,-
29.101,-
117
Für die Monate November und Dezember 2003 wurden keine Voranmeldungen abgegeben.
Da davon auszugehen ist, dass auch in diesen Monaten (bis zum 23.12.2003) Mittel
zugeflossen sind, wird zum Ausgleich des ansonsten fehlenden Betrages der Betrag für den
August zu 100 % herangezogen, obwohl der Haftungszeitraum erst am 11.08.2003 begonnen
hat. Zusätzlich wird im Schätzungsweg ein Betrag i.H.v. 29.017 € (brutto) hinzuaddiert. Damit
ergibt sich ein Zahlungszufluss für den Haftungszeitraum i.H.v.
240.000 €
118
Die Gesamtsumme der Verbindlichkeiten im Haftungszeitraum beläuft sich damit auf
455.000
119
Schließlich werden bei dieser Berechnung aus Vereinfachungsgründen Forderungen sowohl
zu Beginn als auch am Ende des Haftungszeitraums außen vorgelassen. Insoweit wird
unterstellt, dass diese von der Höhe vergleichbar sind. Dies entspricht auch dem Vortrag des
Beklagten.
120
(
Steuerverbindlichkeiten im Haftungszeitraum
121
Weiterhin sind die Steuerverbindlichkeiten zu berechnen. Hierbei wird die Lohnsteuer nicht
berücksichtigt.
122
Der Steuerbetrag laut Haftungsbescheid beläuft sich auf 25.693 €. Während des
Haftungszeitraums ist Umsatzsteuer bzw. damit verbundene Nebenleistungen beglichen
worden in folgender Höhe:
123
Datum
Umsatzsteuer / Zahlungsweise
Betrag
21.08.2003
Sondervorauszahlung/Scheckzahlung
898,00
21.10.2003
Juli 2003, Überw./Lastschr.
1.400,00
15.09.2003
1. Vj. 2003, DSZ
2.036,00
15.09.2003
2. Vj. 2003, DSZ
3.060,00
15.09.2003
SZ, DSZ
8,50
21.10.2003
SZ, Überw./Lastschr.
14,00
15.09.2003
SZ, DSZ
40,00
15.09.2003
SZ, DSZ
30,50
Summe
7.487,00
124
Aus der Addierung der beiden vorstehenden Beträge i.H.v. 25.693 € und 7.487 € ergibt sich
der Betrag der Steuerverbindlichkeiten, der im Haftungszeitraum fällig war. Allerdings ist
dieser Betrag noch um 1.350 € zu erhöhen. Denn um diesen Betrag wurde die Steuerschuld
im Haftungsbescheid auf Grund einer am 18.03.2004 erfolgten Verrechnung verringert. Auch
dieser Betrag war indes eine während des Haftungszeitraums fällige Steuerverbindlichkeit.
Daher beläuft sich die Summe auf einen Betrag i.H.v.
34.530 €.
125
Soweit im Laufe des Gerichtsverfahrens streitig war, ob von dieser Summe der auf den
Oktober 2003 entfallene Betrag zu kürzen sei, ist dies durch die Entscheidung des BFH vom
23.09.2008 (VII R 27/07, BStBl. II 2009, 129) geklärt. Denn nach diesem Urteil hält der BFH an
seiner vorherigen Rechtsprechung zum sogenannten "Drei-Wochen-Zeitraum", von dem noch
in der BFH-Entscheidung vom 27.02.2007 (VII R 67/05, BStBl. II 2009, 348) die Rede war, auf
Grund der geänderten BGH-Rechtsprechung nicht mehr fest. Auf Grund der Entscheidung des
BFH vom 23.09.2008 haftet die Klägerin auch für die Umsatzsteuer Oktober 2003.
126
(
Haftungsquote
127
Zur Berechnung der Haftungsquote sind die Verbindlichkeiten zu den Zahlungen im
Haftungszeitraum ins Verhältnis zu setzen. Verbindlichkeiten liegen vor i.H.v. 489.530 €
(455.000 € + 34.530 €). Zahlungen im Haftungszeitraum sind erfolgt i.H.v. 247.487 € (240.000
€ + 7.487 €). Dies ergibt eine Haftungsquote von ca. 50 %.
128
(
Haftungssumme
129
Diese Quote ist nun abschließend auf den Betrag der im Haftungszeitraum fälligen
Steuerverbindlichkeiten anzuwenden. Allerdings ist vor Anwendung der Haftungsquote von
diesem Betrag i.H.v. 34.530 € noch ein Abzug vorzunehmen i.H.v. 4.960 €, da nach Ende des
Haftungszeitraums in dieser Höhe eine Verrechnung mit Körperschaftsteuerguthaben der
GmbH erfolgte. Die Verrechnung gerade an dieser Stelle des Berechnungsschemas beruht
130
auf der Entscheidung des BFH vom 30.12.2004 (VII B 145/04, BFH/NV 2005, 665). Es
verbleiben damit nach Abzug von 4.960 € noch 29.570 €. 50 % dieses Betrages ergeben
14.785 €. Als letzter Schritt ist von diesem Betrag noch der Wert der Zahlungen im
Haftungszeitraum abzuziehen. Daraus ergibt sich die Haftungssumme i.H.v. 7.298 € (14.785 €
./. 7.487 €).
d) Schließlich sind die vom Beklagten angestellten Ermessenserwägungen nach § 191 i.V.m.
§ 5 AO nicht zu beanstanden.
131
e) Die Klägerin haftet mithin für Umsatzsteuerschulden der GmbH sowie angefallene
Säumniszuschläge nach §§ 34, 69 AO in Höhe von 7.298 €.
132
2. Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Revisionsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO
vorliegt. Das Gericht misst der Rechtssache insbesondere auf Grund der gegebenen
Besonderheiten des Sachverhalts keine grundsätzliche Bedeutung zu.
133
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO i. V. m. § 709 ZPO.
134