Urteil des FG Hamburg vom 12.08.2013

FG Hamburg: zypern, unternehmen, einkünfte, treu und glauben, wiener übereinkommen, nummer, kapitän, begriff, luftverkehr, besatzung

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Einkommensteuer, DBA-Zypern: Besteuerung eines Kapitäns
1. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) bereits mehrfach entschieden hat (BFH-Urteil vom 10. November 1993 I
R 53/91, BStBl II 1994, 218; Urteil vom 5. September 2001 I R 55/00, BFH/NV 2002, 478; Beschlüsse vom 26.
April 2005 I B 86/04, Juris, und vom 18. Mai 2010 I B 204/09, BFH/NV 2010, 1636), kann ein Unternehmen i.
S. des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern nur ein Unternehmen i. S. von Art. 8 Abs. 1 DBA-Zypern sein, das selbst
internationalen See- und Luftverkehr betreibt. Zugleich muss dieses Unternehmen wirtschaftlicher
Arbeitgeber des Besatzungsmitglieds im Sinne des Abkommensrechts sein.
2. Eine andere Auslegung des Begriffs des "Unternehmens" i. S. von Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern lässt sich
auch nicht aus dem erst für Veranlagungszeiträume ab dem 01.01.2012 geltenden DBA-Zypern 2011
ableiten, denn es ergibt sich weder ausdrücklich noch konkludent aus dem Protokoll oder der Denkschrift
(BT-DS 17/6259 S. 27), dass die von den Vertragsstaaten gewollte Regelung bezüglich des neuen Art. 14
DBA-Zypern 2011rückwirkend auch auf das DBA-Zypern 1974 anzuwenden ist.
Rev.: Az.: I R 63/13
FG Hamburg 6. Senat, Gerichtsbescheid vom 12.08.2013, 6 K 279/12
§ 34c EStG, Art 8 DBA CYP, Art 15 DBA CYP
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der vom Kläger bezogene Arbeitslohn der deutschen Besteuerung
unterliegt.
Der Kläger ist Kapitän und war in den Streitjahren auf den Kreuzfahrtschiffen "MS A", "MS B" und "MS C"
tätig. Arbeitsvertragliche Grundlage war ein Seaman´s Employment Contract vom ... 2000 mit der D Ltd (D)
mit Sitz in E auf Zypern. Die D stellte auf Grund eines Crewingvertrages mit der Schiffseignerin F-1 Ltd. die
Besatzung der Schiffe. Die Kreuzfahrtschiffe wurden von der Eignerin an die F-2 AG verchartert, die dann
ihrerseits die Schiffe an die F-3 GmbH mit Sitz in G weiter verchartert. Die D hat ca. 8.000 Seeleute
angestellt und verfügt über ca. 200 Mitarbeiter, die sich ausschließlich mit der Verwaltung der Seeleute
beschäftigen. Die D betreut ca. 300 Schiffe.
Für die Jahre 2002 bis 2005 führte der Kläger ein Verfahren beim Niedersächsischen Finanzgericht, weil er
die Ansicht vertrat, dass seine Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Deutschland nicht steuerpflichtig
seien. Durch Urteil vom 10.11.2009 wurde die Klage als unbegründet zurückgewiesen (13 K 186/07). Der
Bundesfinanzhof (BFH) wies die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde am 18.05.2010 als
unbegründet zurück (I B 204/09).
Der Kläger erklärte in 2006 einen in Deutschland steuerfreien Bruttoarbeitslohn in Höhe von 80.070 €.
Außerdem erklärte er Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 6.529 €. In 2007 erklärte er einen in
Deutschland steuerfreien Bruttoarbeitslohn in Höhe von 79.336 €. Weitere Einkünfte erklärte er nicht. In 2008
erklärte er Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 194 €. Außerdem erklärte er einen in Deutschland
steuerfreien Bruttoarbeitslohn in Höhe von 88.291 €. 2009 betrug der Bruttoarbeitslohn des Klägers 68.461 €.
Auch diesen erklärte er als in Deutschland steuerfrei. Weitere Einkünfte erklärte er nicht.
Der Beklagte unterwarf die Einkünfte des Klägers aus seiner nichtselbständigen Tätigkeit der Besteuerung
und setzte mit Bescheid für 2006 vom 14.02.2008 die Einkommensteuer auf 25.503 €, mit Bescheid für 2007
vom 27.05.2010 die Einkommensteuer auf 22.541 €, mit Bescheid für 2008 vom 27.05.2010 die
Einkommensteuer auf 26.662 € und mit Bescheid vom 10.08.2010 die Einkommensteuer auf 17.520 € fest.
Der Kläger legte am 11.03.2008 für 2006, am 24.06.2010 für 2007 und 2008 und am 16.08.2010 für 2009
Einsprüche ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 04.12.2012 änderte der Beklagte die angefochtenen
Bescheide im Hinblick auf die streitigen Verpflegungsmehraufwendungen und setzte die Einkommensteuer
für 2006 auf 23.305 €, für 2007 auf 19.063 €, für 2008 auf 23.867 € und für 2009 auf 14.488 € fest. Im Übrigen
wies er die Einsprüche als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 21.12.2012 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, der Beklagte habe
seine Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit zu Unrecht besteuert.
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Sowohl das Niedersächsische Finanzgericht als auch der BFH seien bei ihren Entscheidungen von einer
falschen Auslegung ausgegangen, weil zu dem Zeitpunkt ihrer Entscheidungen das Protokoll zum
Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen
und vom Vermögen vom 18.02.2011 (Protokoll zum DBA-Zypern 2011) noch nicht vorgelegen habe.
Denn die Einkünfte aus der Tätigkeit als Seemann unterlägen gem. Art. 15 Abs. 3 des Abkommens zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem
Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 09.05.1974 (DBA-Zypern 1974) nicht der
deutschen Einkommensteuer.
Es ergebe sich aus dem Protokoll zum DBA-Zypern 2011, dass als Unternehmen im Sinne des Art. 14 Abs.
4 DBA-Zypern 2011, welcher gleichlautend mit der alten Fassung des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern 1974 sei,
das Unternehmen des Arbeitgebers des Bordpersonals gemeint sei. Die Vertragsparteien des DBA hätten
übereinstimmend hierdurch klargestellt, dass sie die von der deutschen Rechtsprechung praktizierte
Auslegung nicht teilten, wie der Begriff des Arbeitgebers zu verstehen sei. Da es sich um eine Klarstellung
handele, komme dieser auch rückwirkende Bedeutung für das DBA-Zypern 1974 zu. Denn durch die
Klarstellung und Beibehaltung der bisherigen Regelung hätten die Vertragsparteien deutlich gemacht, wie sie
die Regelung auch bereits vorher verstanden hätten. Auch werde an anderen Stellen der Denkschrift zum
DBA-Zypern 2011, z. B. bei Art. 8, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Regelung nicht rückwirkend
anzuwenden sei.
Die Finanzverwaltung habe diese Klarstellung, welche bereits im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und auch in
der Denkschrift zur Gesetzesvorlage DBA-Zypern neu vom 22.06.2011 bestätigt worden sei, bisher nicht zur
Kenntnis genommen.
Entscheidend sei der zivilrechtliche Arbeitgeber und damit grundsätzlich derjenige, der die Arbeitskraft
fordere und auf der anderen Seite das Arbeitsentgelt schulde. Konkretisiert werde dies durch das
Weisungsrecht seitens des Arbeitgebers. Da die D bestimme, auf welchem Schiff der Kläger tätig werde,
werde dadurch die Arbeitgeberstellung der D hinreichend belegt. Es könne auch nicht auf den Begriff des
wirtschaftlichen Arbeitgebers abgestellt werden, denn das Auseinanderfallen von wirtschaftlichem und
rechtlichem Arbeitgeber setze eine gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung voraus. Im DBA-Zypern 2011 sei
zwar eine Sonderregelung zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung in Art. 14 Abs. 3 DBA-Zypern 2011
erfolgt. Diese Regelung gelte jedoch nicht, wenn die Spezialregelung des Art. 14. Abs. 4 DBA-Zypern 2011
zur Anwendung gelange. Denn bei Seeleuten, die im internationalen Schifffahrtverkehr tätig seien, entstehe
gerade kein örtlicher Bezug zu einem Land, da die Seeleute weltweit tätig seien. Die mit dem Einsatz von
Seeleuten verbundenen spezifischen Aufgaben eines Arbeitgebers gingen weit über die Aufgaben eines
Arbeitgebers hinaus, der Arbeitnehmer an Land überlässt. Das Crewingunternehmen habe insbesondere
folgende Aufgaben:
- internationale Suche nach geeigneten Seeleuten,
- rechtliche Anstellung und Abschluss von Arbeitsverträgen, die alle durch die ILO für Seeleute
geforderten Bedingungen erfüllen,
- Risiko der Vergütungszahlungen bei Ausfall der Kundenzahlung oder Nichtbeschäftigung,
- Prüfung, Überwachung und Risiko der fachlichen Eignung,
- Ersatz bei Ausfall des Arbeitnehmers,
- Einhaltung internationaler Visa-Regelungen,
- Einhaltung internationaler Beschäftigungsvorschriften,
- Einhaltung internationaler Steuervorschriften und Sozialversicherungsregeln,
- Einhaltung der vorgeschriebenen Trainingsvorschriften,
- laufende Gesundheitskontrolle,
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- Gesundheitszertifikate,
- Anordnung und Überwachung der Regeln bezüglich Alkohol und Drogen,
- Ausrüstung mit Arbeitskleidung bzw. Uniformen,
- Beförderungen weltweit zum und vom Schiff,
- Lohnabrechnungen unter Beachtung von Vorschriften des Wohnsitz- und Arbeitgeberstaates,
- regelmäßige Kontrollbesuche an Bord durch Superintendenten der D.
Mit der Übernahme dieser Aufgaben erbringe die D wesentlich mehr Tätigkeiten, als dies bei einer Anstellung
an Land der Fall wäre. Wegen der typischerweise vorhandenen räumlichen Distanz sei der Arbeitnehmer auch
noch mehr auf die Fürsorge seines Arbeitgebers angewiesen. Für die Durchführung der bestehenden
Aufgaben unterhalte die D folgende Abteilungen: Personal, Aus- und Fortbildung, Heuer, Reise, EDV und
Recht. Gerade wegen dieses Organisationsaufwandes sei es für kleinere und mittlere
Schifffahrtsunternehmen wirtschaftlich nicht sinnvoll, alle diese Aufgaben selbst durchzuführen. Deshalb
stelle das sog. "Crewing" heute in der Seeschifffahrt die bevorzugte Anstellung von Seeleuten dar. Es
handele sich damit auch gerade nicht um eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung. Angesichts dieses
Umfangs der Tätigkeiten trete der Einfluss des Entleihers in den Hintergrund. Zumal der Kapitän eines
Schiffes an Bord keinen Weisungen des Schiffsbetreibers unterliege. Dies werde auch durch den
Anstellungsvertrag bestätigt, denn dieser enthalte kein Weisungsrecht des Reeders. Die vertragliche
Situation könne daher auch nicht mit einer Arbeitnehmerüberlassung gleichgesetzt werden.
Es könne auch nicht aus der Tatsache, dass es sich bei der D um ein dienstleistungsorientiertes
Unternehmen handele, welches natürlich die Wünsche der Reeder berücksichtige, geschlossen werden, dass
die Reederei der wirtschaftliche Arbeitgeber sei. Die D berechne das Gehalt der Seeleute auch nicht einfach
weiter, sondern die Abrechnung erfolge auf der Grundlage von kalkulatorischen Stundensätzen unter
Berücksichtigung des Stundenlohnes, weiter entstehender Kosten und einer Gewinnmarge. Bei dem Vertrag
zwischen der D und der F-1 Ltd. handele es sich um einen sog. "Lump-sum Crewing Vertrag", bei dem D eine
Pauschalsumme (lump-sum) für die gesamte Crewingleistung erhalte. Die D sei damit nicht nur
zivilrechtlicher, sondern auch wirtschaftlicher Arbeitgeber. Nur die D und nicht der Reeder könne den
Arbeitsvertrag kündigen.
Das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit obliege damit ausschließlich
Zypern. Zypern habe hingegen auf sein Besteuerungsrecht grundsätzlich bei allen nicht in Zypern ansässigen
Besatzungsmitgliedern verzichtet. Dies ergebe sich insbesondere aus der als Anlage 6 vorgelegten
Bescheinigung.
Der Kläger beantragt, die Einkommensteuerbescheide 2006, 2007, 2008 und 2009, jeweils in der Fassung der
Einspruchsentscheidung vom 04.12.2012, dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus nichtselbständiger
Tätigkeit nicht der deutschen Besteuerung unterworfen werden und die Einkommensteuer jeweils auf 0 €
herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf seine Einspruchsentscheidung vom 04.12.2012. Ergänzend führt er aus,
dass das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit Deutschland zustehe. Dies habe
bereits das Niedersächsische Finanzgericht für die Vorjahre entschieden. Der Sachverhalt habe sich
gegenüber den Vorjahren auch nicht verändert. Auch der BFH habe im Rahmen der
Nichtzulassungsbeschwerde unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass Unternehmen
im Sinne von Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern 1974 nur ein Unternehmen im Sinne des Art. 8 Abs. 1 DBA-Zypern
1974 sein könne, das selbst internationalen See- und Luftverkehr betreibe. Außerdem müsse dieses
Unternehmen zugleich wirtschaftlicher Arbeitgeber des Besatzungsmitgliedes im Sinne des
Abkommensrechts sein. Diese im Anwenderstaat Deutschland gefundene Auslegung könne auch nicht
rückwirkend durch eine Protokollerklärung zum neuen DBA-Zypern 2011 beseitigt werden. In diesem
Zusammenhang werde auf das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 06.05.2013 (6 K 645/12)
verwiesen. Durch das Protokoll zum Abkommen seien nur Klarstellungen hinsichtlich des Abkommens vom
18.02.2011 erfolgt und nicht auch bezüglich des DBA-Zypern 1974. Es könne auch nicht aus dem Fehlen des
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Satzes "Diese Regelung ist nicht rückwirkend anzuwenden" darauf geschlossen werden, dass die Regelung
für Art. 14 DBA-Zypern 2011 bzw. Art. 15 DBA-Zypern 1974 rückwirkend anzuwenden sei. Es ergebe sich im
Gegenteil gerade aus der Klarstellung, dass keine Rückwirkung für die erweiterte Anwendung des Art. 8 DBA-
Zypern 2011 habe erfolgen sollen und die Vertragsparteien die bestehende Rechtsprechung des BFH nur für
die Zukunft und nicht für die Vergangenheit hätten ändern wollen.
Die D betreibe unstreitig keine Kreuzfahrtschiffe und scheide bereits daher als möglicher Arbeitgeber aus.
Die D sei auch nicht wirtschaftlicher Arbeitgeber des Klägers, denn der Kapitän eines Schiffes besitze eine
exponierte Stellung, und es sei deshalb für die Reederei von erheblichem Interesse, welcher Kapitän auf
welchem Schiff eingesetzt werde. Der Kapitän müsse an Bord auch selbst entscheiden, wie die vorgegebene
Route im Einzelnen umgesetzt werden solle. Im Einzelfall werde er Neuerungen bei der Umsetzung auch mit
der Reederei und nicht mit der D besprechen. Die vom Kläger vorgetragene vertragliche Situation werde
gerade nicht durch die von ihm eingereichten Verträge bestätigt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den
Schriftsatz der Beklagten vom 22.07.2013 verwiesen.
Auf die Sitzungsniederschrift des Erörterungstermins vom 10.05.2013 wird verwiesen. Dem Gericht haben die
Einkommensteuerakten und die Rechtsbehelfsakten zu der Steuernummer .../.../... vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht gem. § 90a Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Gerichtsbescheid.
I. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2006 bis 2009 in der Fassung der Einspruchsentscheidung
vom 04.12.2012 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO), denn
der Beklagte hat zu Recht die Einkünfte des Klägers aus seiner nichtselbständigen Arbeit der deutschen
Besteuerung unterworfen.
1. Der im Inland wohnhafte Kläger ist gem. § 1 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) grundsätzlich mit
allen seinen erzielten Einkünften unbeschränkt steuerpflichtig. Die Einkünfte aus der nichtselbständigen
Tätigkeit werden nicht gem. Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Zypern 1974 von der
Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen. Insbesondere steht nach Art. 15 Abs. 3 DBA-
Zypern 1974 das Recht der Besteuerung hierfür nicht Zypern zu.
Anwendbar auf den Streitfall ist das DBA-Zypern 1974, da das neue DBA-Zypern 2011 erst ab dem
01.01.2012 zur Anwendung gelangt.
2. Gemäß Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Zypern 1974 werden bei einer in der Bundesrepublik
ansässigen Person von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer u. a. die Einkünfte aus Zypern
ausgenommen, die dort nach dem Abkommen besteuert werden können. Die Frage, ob die Einkünfte des
Klägers in Zypern besteuert werden können, beantwortet sich nach Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern 1974. Danach
können Vergütungen für unselbständige Arbeit, die von einem Mitglied der Besatzung an Bord eines
Seeschiffes im internationalen Verkehr ausgeübt wird, in dem Staat besteuert werden, in dem sich der Ort der
tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet.
a) Wie der Bundesfinanzhof (BFH) bereits mehrfach entschieden hat (BFH-Urteil vom 10. November 1993 I R
53/91, BStBl II 1994, 218; Urteil vom 5. September 2001 I R 55/00, BFH/NV 2002, 478; Beschlüsse vom 26.
April 2005 I B 86/04, Juris, und vom 18. Mai 2010 I B 204/09, BFH/NV 2010, 1636 - Verfahren des Klägers
für die Vorjahre -), kann ein Unternehmen i. S. des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern 1974 nur ein Unternehmen i.
S. von Art. 8 Abs. 1 DBA-Zypern sein, das selbst internationalen See- und Luftverkehr betreibt. Zugleich
muss dieses Unternehmen wirtschaftlicher Arbeitgeber des Besatzungsmitglieds im Sinne des
Abkommensrechts sein.
b) Diese Voraussetzungen werden im Streitfall nicht erfüllt. Arbeitgeber des Klägers war das Crewing-
Unternehmen D mit Sitz in Zypern, das selbst keinen internationalen Seeverkehr betreibt. Aber auch die
Einschaltung eines Arbeitnehmerverleihers als sog. Crewing-Ausrüster führt nicht dazu, dass die
Arbeitgeberfunktion auf das das Schiff betreibende Unternehmen als "Nutzer" des entliehenen Arbeitnehmers
übertragen würde und diesem die Funktion zuzurechnen wäre.
c) Ebenfalls ist geklärt, dass es nicht darauf ankommt, ob seitens der zypriotischen Steuerbehörden ein
abweichendes Abkommensverständnis vertreten wird, das auf den dort ansässigen Arbeitnehmerverleiher als
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i. S. von Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern 1974 maßgebendes Unternehmen abstellt.
d) Scheidet damit ein Besteuerungsrecht Zyperns nach Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern 1974 aus, entfällt eine
Steuerfreistellung der in Rede stehenden Einkünfte nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Zypern 1974, und es
bleibt beim inländischen Besteuerungsrecht nach Maßgabe des Einkommensteuergesetzes.
e) Eine andere Auslegung des Begriffs des "Unternehmens" i. S. von Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern 1974 lässt
sich auch nicht aus dem erst für Veranlagungszeiträume ab dem 01.01.2012 geltenden DBA-Zypern 2011
ableiten.
aa) Zwar haben sich die Vertragsstaaten im Protokoll zum DBA-Zypern 2011 in Nummer 4 zu Art. 14 darauf
geeinigt, dass die Vergütung von Besatzungsmitgliedern Absatz 4 dieses Artikels unterliegt, und der
Ausdruck "Unternehmen" in diesem Absatz das Unternehmen des Arbeitgebers der Besatzungsmitglieder
bedeutet. Auch ist die Vorschrift des Art. 15 Abs. 3 DBA-Zypern1974 im Wesentlichen wortgleich in Art. 14
Abs. 4 DBA-Zypern 2011 übernommen worden. Gem. Art. 29 DBA-Zypern 2011 ist dieses beigefügte
Protokoll auch Bestandteil des Abkommens. Eine ausdrückliche Regelung dazu, ob diese Neuregelung auch
auf das DBA-Zypern 1974 anwendbar sein soll, ist jedoch weder im Protokoll noch in der Denkschrift (BT-DS
17/6259 S. 27) erfolgt.
bb) Es ergibt sich auch nicht konkludent aus dem Protokoll oder der Denkschrift (BT-DS 17/6259 S. 27),
dass diese von den Vertragsstaaten gewollte Regelung rückwirkend ebenso auf das DBA-Zypern 1974
anzuwenden ist.
aaa) Zwar haben die Vertragsstaaten eines DBA grundsätzlich die Möglichkeit zu vereinbaren, wie die von
den Vertragsstaaten in einem völkerrechtlichen Vertrag verwandten Begriffe auszulegen sind. Dies folgt aus
ihrer Stellung als Subjekte der durch den Vertrag zwischen ihnen geschaffenen Rechtsbeziehungen (Ipsen,
Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, S. 121).
Da die Vertragsstaaten nicht ausdrücklich geregelt haben, ob die Regelung im Protokoll zum DBA-Zypern
2011 in Nummer 4 zu Art. 14 rückwirkende Bedeutung haben soll, muss diese Frage durch Auslegung des
DBA entschieden werden.
Maßgeblich für die Auslegung von Verträgen zwischen zwei Staaten und damit auch von
Doppelbesteuerungsabkommen ist das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom
23.05.1969, das in Deutschland am 20.08.1987 in Kraft getreten ist (BGBl 1987 II, 757) - WÜRV -.
Gem. Art. 31 Abs. 1 und 2 WÜRV ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der
gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte
seines Zieles und Zweckes auszulegen. Für die Auslegung eines Vertrags bedeutet der Zusammenhang
außer dem Vertragswortlaut samt Präambeln und Anlagen jede sich auf den Vertrag beziehende
Übereinkunft, die zwischen allen Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses getroffen wurde, und
jede Urkunde, die von einer oder mehreren Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses abgefasst
und von den anderen Vertragsparteien als eine sich auf den Vertrag beziehende Urkunde angenommen
wurde.
Gem. Art. 31 Abs. 3 WÜRV gilt:
"Außer dem Zusammenhang sind in gleicher Weise zu berücksichtigen
a) jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die
Anwendung der Bestimmungen;
b) jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien
über seine Auslegung hervorgeht;
c) jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz."
Gem. Art. 31 Abs. 4 WÜRV ist einem Ausdruck eine besondere Bedeutung beizulegen, wenn feststeht, dass
die Vertragsparteien dies beabsichtigt haben.
Damit finden die klassischen Auslegungsmethoden des deutschen Rechts auch Anwendung, wenn es um die
Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen geht, wobei hier insbesondere die Auslegungshoheit der
beteiligten Staaten zu beachten ist, falls diese sich explizit zu einem Thema bzw. einem Begriff geäußert
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haben. Auch besteht bei völkerrechtlichen Verträgen die Möglichkeit, spätere Übereinkommen oder
Klarstellungen rückwirkend einzubeziehen. Grundsätzlich steht es den Vertragsparteien frei, die von ihnen
verwandten Begriffe selbständig auszulegen, zu verändern oder neu zu definieren. Dieses Recht wird auch
nicht dadurch eingeschränkt, dass die Staaten sich bei dem Abschluss des DBA an dem OECD-Muster-DBA
orientieren. Denn es ist nicht zwingend, dass sich die Vertragsstaaten in jedem Fall an dem
Musterabkommen orientieren.
bbb) Im Streitfall haben die Vertragsparteien jedoch weder ausdrücklich noch konkludent vereinbart, dass die
Regelung im Protokoll zum DBA-Zypern 2011 in Nummer 4 zu Art. 14 rückwirkend auch für das DBA-Zypern
1974 anzuwenden sein soll.
Insbesondere ergibt sich eine Rückwirkung nicht daraus, dass in der Denkschrift zu Art. 14 DBA-Zypern 2011
eine Rückwirkung nicht ausgenommen ist.
Bei der Auslegung muss einbezogen werden, dass die Besteuerung im internationalen Schifffahrtsverkehr
eine komplexe Regelungsmaterie darstellt und die diesen betreffende Vorschriften des DBA in
Wechselwirkung zueinander stehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH zu Art. 15 DBA-Zypern
1974 stand fest, dass Deutschland das Besteuerungsrecht für sich in Anspruch nahm, wenn der Unternehmer
im Sinne von Art. 15 DBA-Zypern 1974 nicht ein Schiff im internationalen Verkehr betrieb und somit nicht die
Voraussetzungen gem. Art. 8 DBA-Zypern 1974 erfüllte. Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren des
Klägers für die Vorjahre wies der BFH zudem ausdrücklich darauf hin, dass es dem Gericht im Hinblick auf
Art. 20 Abs. 3 GG verwehrt sei, entgegen Wortlaut, Vorschriftenzusammenhang und Zweck eines
Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung aus tatsächlichen Erwägungen (hier: betreffend den
internationalen Seeverkehr) heraus Abhilfe zu schaffen; dies müsse den Vertragsstaaten vorbehalten bleiben
(BFH-Beschluss vom 18. Mai 2010 I B 204/09 unter Hinweis auf sein Urteile vom 10. November 1993 I R
53/91 und vom 11. Oktober 2000 I R 44-51/99).
Diese Rechtsprechung war den Vertragsstaaten bewusst, wie die Ausführungen in der Denkschrift zu Art. 8
DBA-Zypern 2011 zeigen. Die Vertragsstaaten haben auch reagiert und Art. 8 DBA-Zypern 2011 angepasst
(Wegfall der Rückfallklausel des Art. 8 Abs. 3 DBA-Zypern 2011, Erweiterung des Anwendungsbereichs auf
die Binnenschifffahrt gem. Art. 8 Abs. 2 DBA-Zypern 2011 und Regelung der gelegentlichen Leervermietung
von Schiffen sowie der Nutzung oder Vermietung von Containern gem. Art. 8 Abs. 3 DBA-Zypern 2011). Eine
weitere Änderung erfolgte in diesem Zusammenhang durch die im Protokoll zum Abkommen in Nummer 3 zu
Art. 8 festgehaltene Einigung der Vertragsstaaten darüber, dass Gewinne aus dem Betrieb von Seeschiffen
(auch) Gewinne von Unternehmen erfassen, die die verschiedenen Aufgaben beim Betrieb von Seeschiffen
für die Schifffahrtsgesellschaften übernehmen, wie zum Beispiel Besatzung, technisches und
kaufmännisches Management. Gemäß Art. 29 DBA-Zypern 2011 ist das angefügte Protokoll Bestandteil des
Abkommens und damit ebenfalls erst ab dem 01.01.2012 verbindlich.
In der Denkschrift zum Gesetzentwurf (BT-Drucks 17/6259) zu Art. 8 des Abkommens wird hierzu
ausgeführt: "In Abweichung zu dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10. November 1993 (I R 53/91) haben
sich die Vertragsparteien in der Nummer 3 des Protokolls zum Abkommen geeinigt, dass mit der Anwendung
des neuen Doppelbesteuerungsabkommens zu den Einkünften aus dem Betrieb von Schiffen auch solche
aus technischem und wirtschaftlichem Management sowie die Ausrüstung mit Schiffspersonal gehören.
Diese Regelung ist nicht rückwirkend anzuwenden (vgl. hierzu die Ausführungen des Bundesfinanzhofs in der
Entscheidung vom 18. Mai 2010, I B 204/09 NV)."
Im Gegensatz zu diesen Ausführungen zu Art. 8 DBA-Zypern 2011 enthält die Denkschrift zum
Gesetzentwurf zu Art. 14 DBA-Zypern 2011 keine ausdrückliche Regelung über die Frage der Rückwirkung.
Hier wird in der Denkschrift lediglich ausgeführt: "Nach Nummer 4 des Protokolls zum Abkommen bedeutet
der Ausdruck "Unternehmen" in diesem Absatz das Unternehmen des Arbeitgebers des Bordpersonals".
Hieraus leitet der Kläger im Umkehrschluss ab, dass die Vertragsstaaten die rückwirkende Auslegung auch
für das DBA-Zypern 1974 gewollt haben, da sie anderenfalls eine Rückwirkung wie bei Art. 8 DBA-Zypern
2011 ausgeschlossen hätten.
Dieser Ansicht folgt der Senat nicht, denn die Vertragsstaaten hätten eine solche Auswirkung auf das alte
DBA ausdrücklich vereinbaren müssen. Sowohl die Denkschrift als auch das Protokoll beziehen sich
ausschließlich auf das DBA-Zypern 2011, so dass die Vertragsschließenden hätten zum Ausdruck bringen
müssen, wenn sie auch Auswirkungen für die Vergangenheit beabsichtigt hätten (im Ergebnis so auch:
Rauert, Das neue DBA-Zypern aus Sicht der Schifffahrt - ein Überblick, IStR 05/2012). Dabei muss
einbezogen werden, dass die Auslegung dieser Vorschriften zwischen den Vertragsstaaten zum Teil
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kontrovers gewesen ist und das DBA-Zypern 2011 deshalb neue Regelungen beinhaltet. So haben sich für
die den Betrieb von Seeschiffen betreffenden Vorschriften des Art. 8 und Art. 14 DBA-Zypern 2011 wichtige
Änderungen ergeben; diese Vorschriften müssen insoweit im Gesamtzusammenhang ausgelegt werden.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass durch das DBA-Zypern 2011 von der Freistellungsmethode zur
Anrechnungsmethode (Art. 22 Abs. 1 DBA-Zypern 2011; siehe hierzu die Erläuterungen in der Denkschrift
BT-DS 17/6259 S. 30) übergegangen wurde. Außerdem ist die Rückfallklausel gem. Art. 8 Abs. 3 DBA-
Zypern 1974 weggefallen, wonach das Besteuerungsrecht unter bestimmten Voraussetzungen an
Deutschland zurückfiel (siehe: Rauert, a. a. O., S. 165). Auch andere Bestimmungen sind in diesem
Zusammenhang angepasst worden, um insbesondere von Deutschland nicht gewollte Ergebnisse zu
korrigieren (z. B. Definition des Ortes der Geschäftsleitung in Nr. 1 des Protokolls). Es kann deshalb nicht
davon ausgegangen werden, dass die Vertragspartner ohne ausdrückliche Ausnahme Bestimmungen bereits
vorher anwenden wollten, wenn die anderen Regelungen erst ab dem 01.01.2012 anwendbar sein sollten. Dies
gilt insbesondere, weil sich durch eine Anwendung der Neuregelung des Art. 14 DBA-Zyperns 2011 auf die
Streitjahre das Besteuerungsrecht dahingehend geändert hätte, dass statt Deutschland nunmehr Zypern für
die Besteuerung zuständig gewesen wäre.
Der Senat ist deshalb der Ansicht, dass es sich bei der Bestimmung in Nummer 4 zu Art. 14 des Protokolls
zum Abkommen nicht nur um eine gesetzgeberische Klarstellung eines schon seit langem bestehenden
unbestimmten Rechtsbegriffs handelt, sondern gemäß Art. 29 DBA-Zypern 2011 um eine Neuregelung im
DBA-Zypern 2011, welche nicht rückwirkend auf die Streitjahre anwendbar ist (so auch Urteil des FG Baden-
Württemberg vom 06. Mai 2013 6 K 645/12, zitiert nach juris).
II. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO wegen der Frage zugelassen, ob der Regelung in Nr. 4
zu Art. 14 im Protokoll zum DBA-Zypern 2011 rückwirkende Bedeutung für das DBA-Zypern 1974 zukommt.
Obwohl es sich bei dem DBA-Zypern 1974 um auslaufendes Recht handelt, gibt es noch eine Vielzahl an
offenen Verfahren zu dieser Problematik.