Urteil des FG Hamburg vom 01.07.2014

FG Hamburg: unternehmer, materielle rechtskraft, unternehmen, beruf, geldstrafe, verordnung, nötigung, wiederholungsgefahr, leistungsfähigkeit, mitgliedstaat

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1. Das in § 2 Abs. 3 GBZugV verwendete Merkmal eines "schweren Verstoßes" ist im Hinblick auf die in § 2 GBZugV geregelte
güterkraftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeit auszulegen. Die Regelbeispiele des § 2 Abs. 3 GBZugV erfassen nicht jede
Übertretung, sondern geben Fallkonstellationen vor, bei denen das Maß der individuellen Schuld bei dem Verstoß so schwer
wiegt, dass allein wegen der Tat grundsätzlich auf die güterkraftverkehrsrechtliche Unzuverlässigkeit des Betroffenen zu
schließen ist.
2. Anhaltspunkte dafür, ob ein schwerer Verstoß gegen Strafvorschriften vorliegt, können sich aus dem gesetzlichen
Strafrahmen und dem verhängten Strafmaß ergeben.
3. Bei einem fahrlässig begangenen Verstoß gegen strafrechtliche Vorschriften (hier: § 316 StGB) wiegt das Maß der
individuellen Schuld regelmäßig nicht so schwer, dass allein wegen dieser Tat zu erwarten ist, dass der Betroffene künftig
bei der Führung des Unternehmens die für den Güterkraftverkehr geltenden Vorschriften missachten oder die Allgemeinheit
gefährden wird.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 4. Senat, Beschluss vom 01.07.2014, 4 Bs 120/14
§ 2 Abs 3 GBZugV
Verfahrensgang
vorgehend VG Hamburg, 21. Mai 2014, Az: 15 E 2217/14, Beschluss
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts
Hamburg vom 21. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiliger Anordnung die Verlängerung seiner
Gemeinschaftslizenz zur Teilnahme am grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr.
Der Antragsteller betreibt als Einzelkaufmann ein Speditionsunternehmen. Im Februar
2009 wurde ihm nach Maßgabe der seinerzeit geltenden Verordnung (EWG) Nr. 881/92
des Rates die Gemeinschaftslizenz befristet bis zum 9. Februar 2014 erteilt.
Das Amtsgericht Hamburg verurteilte den Antragsteller mit Urteil vom 5. März 2012 wegen
versuchter Nötigung und vorsätzlicher Körperverletzung zur einer Gesamtgeldstrafe von
70 Tagessätzen. Das Amtsgericht Borken setzte gegen den Antragsteller mit Strafbefehl
vom 6. August 2012 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen eine
Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen fest. Mit Strafbefehl vom 14. Februar 2013
verhängte das Amtsgericht Uelzen gegen den Antragsteller wegen fahrlässiger
Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen, entzog seine Fahrerlaubnis
und setzte für die Wiedererteilung eine Sperrfrist von vier Monaten fest. Die Fahrerlaubnis
wurde dem Antragsteller bislang nicht wiedererteilt.
Im Dezember 2013 beantragte der Antragsteller erneut die Erteilung einer
Gemeinschaftslizenz. Nach Anhörung des Antragstellers lehnte die Antragsgegnerin den
Antrag mit Bescheid vom 10. Februar 2014 ab. Zur Begründung führte sie an, der
Antragsteller sei als unzuverlässig anzusehen, weil er mehrfach gegen strafrechtliche
Vorschriften verstoßen habe. Mit derselben Begründung untersagte die Antragsgegnerin
dem Antragsteller mit einem weiteren Bescheid vom gleichen Tag die Führung von
Güterkraftverkehrsgeschäften und erklärte den Antragsteller für ungeeignet, die
Verkehrstätigkeiten eines Unternehmens zu leiten. Gegen beide Bescheide erhob der
Antragsteller Widerspruch. Über die Widersprüche hat die Antragsgegnerin noch nicht
entschieden. Außerdem beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht wegen der
Versagung der Gemeinschaftslizenz einstweiligen Rechtsschutz. Diesen Antrag lehnte
das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 24. März 2014 (15 E 666/14) mit der
Begründung ab, der Antragsteller dürfte zwar als Güterkraftverkehrsunternehmer noch
hinreichend zuverlässig sein, jedoch habe er nicht glaubhaft gemacht, dass sein
Unternehmen finanziell hinreichend leistungsfähig sei. Daraufhin wies der Antragsteller
der Antragsgegnerin ein Eigenkapital von 61.493 Euro nach und bat, seinen
Widersprüchen abzuhelfen. Die Antragsgegnerin erklärte, dass damit der Nachweis des
erforderlichen Eigenkapitals erbracht sei, hielt aber an den Bescheiden fest.
Auf einen erneuten Antrag des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht die
Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine
auf ein Jahr befristete Gemeinschaftslizenz nach Art. 4 der Verordnung (EG) Nr.
1072/2009 zu erteilen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der
neuerliche Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sei entsprechend § 80 Abs. 7 VwGO
zulässig, da der Antragsteller nunmehr eine Eigenkapitalbescheinigung vorgelegt habe.
Der Antragsteller habe voraussichtlich auch den geltend gemachten Anspruch auf
Erteilung der Gemeinschaftslizenz. Seine finanzielle Leistungsfähigkeit stehe inzwischen
unzweifelhaft fest. Auch sei er noch hinreichend zuverlässig im gewerberechtlichen
Sinne. Bei den begangenen Straftaten handele es sich nicht um schwere Verstöße gegen
strafrechtliche Vorschriften im Sinne von § 2 Abs. 4 Nr. 2 der Berufszugangsverordnung
für den Güterkraftverkehr. Die begangenen Straftaten stellten sich nicht als hinreichend
schwer dar, um die Prognose zu rechtfertigen, dass der Antragsteller nicht die Gewähr
dafür biete, das Transportgewerbe zukünftig ordnungsgemäß zu führen. Es habe sich bei
der Alkoholfahrt um einen einmaligen Vorfall unter besonderen Umständen gehandelt und
zu den Körperverletzungen sei es im privaten Raum gekommen. Bei allen Straftaten sei
zu berücksichtigen, dass sie unter Alkoholeinfluss begangen worden seien. Insofern
bestehe keine Wiederholungsgefahr. Denn der Antragsteller habe nachgewiesen, seit
über 1 ½ Jahren auf den Konsum von Alkohol vollständig zu verzichten. Die Vielzahl von
Straftaten lasse auch nicht darauf schließen, dass der Antragsteller nicht willens oder in
der Lage sei, sein Fehlverhalten einzustellen. Unerheblich sei, dass ihm die
Fahrerlaubnis noch nicht wiedererteilt worden sei. Als Güterkraftverkehrsunternehmer
benötige er keine Fahrerlaubnis, denn er müsse seinen Lastkraftwagen nicht selbst
fahren. Der Antragsteller habe auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ohne die
begehrte einstweilige Anordnung müsse er seinen Gewerbebetrieb aufgeben, verliere
seinen Kundenstamm und müsse seine Mitarbeiter entlassen. Auch müsse er sein
Fahrzeug aufgeben, hätte aber gleichwohl seine finanziellen Verbindlichkeiten weiter zu
bedienen.
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Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde.
II.
A Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Die Antragsgegnerin hat allerdings die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts
mit dem Vorbringen erschüttert, bei Vorliegen schwerer Verstöße gegen strafrechtliche
Vorschriften müsse nicht noch zusätzlich eine negative Prognose oder eine
Wiederholungsgefahr begründet werden. Zwar hat das Verwaltungsgericht im rechtlichen
Ansatz ebenfalls keine derartige Prognose neben der Feststellung schwerer Verstöße
gefordert. Vielmehr hat es bei der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs
gewürdigt, ob sich aus den strafrechtlichen Verstößen Anhaltspunkte für eine
Unzuverlässigkeit des Antragstellers ergeben können. Gleichwohl hat es im Rahmen
dieser Würdigung des Begriffs einer schweren Straftat auf das Fehlen einer
Wiederholungsgefahr abgestellt, was die Antragsgegnerin mit gewichtigen Argumenten in
Frage stellt.
Da die Antragsgegnerin die tragenden Gründe des Verwaltungsgerichts erschüttert hat, ist
das Beschwerdegericht berechtigt und verpflichtet, über die Beschwerde ohne die aus §
146 Abs. 4 Satz 6 VwGO folgende Beschränkung auf die Beschwerdebegründung zu
entscheiden. Dies führt jedoch zu keiner für die Antragsgegnerin günstigeren
Entscheidung, weil auch nach einer vom Beschwerdegericht vorzunehmenden
Vollprüfung die vom Antragsteller beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen ist. Der
Antrag ist zulässig; ihm steht nicht der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 24. März
2014 (15 E 666/14) entgegen (hierzu unter 1.). Der Antragsteller hat den erforderlichen
Anordnungsgrund (hierzu unter 2.) und auch einen Anordnungsanspruch (hierzu unter 3.)
glaubhaft gemacht. Hierfür ist es unerheblich, ob die vom Verwaltungsgericht
vorgenommene zeitliche Beschränkung der zu erteilenden Gemeinschaftslizenz auf ein
Jahr sachgerecht ist. Denn hiergegen hat der Antragsteller kein Rechtsmittel eingelegt.
1. Der vom Antragsteller erneut gestellte Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Gemeinschaftslizenz zu erteilen, ist
zulässig. Ihm steht die Rechtskraft des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 24.
März 2014 (15 E 666/14) nicht entgegen. Zwar erwachsen auch Beschlüsse, die im
Verfahren der einstweiligen Anordnung ergangen sind, in materielle Rechtskraft. Dies hat
zur Folge, dass das Gericht an die frühere gerichtliche Entscheidung gebunden ist und
eine andere, neue Entscheidung zwischen den Beteiligten über denselben
Streitgegenstand grundsätzlich nicht getroffen werden darf (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v.
10.2.2000, 4 Bs 424/99, juris Rn. 3; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl., § 121 Rn. 4). Eine
erneute Sachentscheidung kann in derartigen Fällen allerdings in entsprechender
Anwendung von § 80 Abs. 7 VwGO ergehen (Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl.
2014, § 123, Rn. 131).
Das ist hier geschehen. Der Antragsteller hat sich zur Begründung seines erneuten
Antrages nach § 123 VwGO auf die Bescheinigung des Steuerberaters vom 16. April
2014 über sein Eigenkapital berufen. Diesen Nachweis hat das Verwaltungsgericht zum
Anlass genommen, entsprechend § 80 Abs. 7 VwGO eine neue Sachentscheidung zu
treffen. Hierzu ist das Verwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache nach § 80 Abs. 7
Satz 1 VwGO jederzeit und sogar ohne Antrag berechtigt. Unter den engeren
Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO hat der Antragsteller sogar einen eigenen
Rechtsanspruch darauf, dass eine neue Sachentscheidung getroffen wird. Ob dessen
Voraussetzungen sämtlich erfüllt sind und der Antragsteller deshalb einen Anspruch auf
eine neue Sachentscheidung hatte, bedarf keiner Entscheidung. Die Ausführungen des
Verwaltungsgerichts sind dahin zu verstehen, dass es - zumindest auch - von seiner
Änderungsbefugnis nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO Gebrauch gemacht und über die
Änderung nicht nur deshalb entschieden hat, weil dem Antragsteller nach dem Satz 2
dieser Vorschrift ein entsprechender Anspruch zustand.
2. Dem Antragsteller steht ein Anordnungsgrund zur Seite. Der Antragsteller hat glaubhaft
gemacht, auf den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung dringend angewiesen
zu sein. Er hat in seinem ersten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (15 E
666/14) erklärt, dass er ohne die Gemeinschaftslizenz seinen Speditionsbetrieb nicht
weiterführen könne. Damit würde seine wirtschaftliche Grundlage entzogen und er erleide
wirtschaftliche Verluste in Höhe von monatlich ca. 7.000 Euro. Dass der Antragsteller
ohne die Gemeinschaftslizenz sein Unternehmen aufgeben muss, trifft offensichtlich zu.
Die Gemeinschaftslizenz bildet die Grundlage für jede Tätigkeit des Antragstellers im
Güterkraftverkehrsgewerbe. Sie ermöglicht nicht nur den grenzüberschreitenden
Güterkraftverkehr (Art. 3 und 4 Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 21.10.2009, Amtsbl. L 300/72 v. 14.11.2009, im
Folgenden: VO (EG) Nr. 1072/2009). Sie ist für den Antragsteller auch erforderlich, um in
Deutschland seine Spedition zu betreiben. Denn nach § 5 Güterkraftverkehrsgesetz (v.
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22.6.1998, BGBl. I S. 1485, mit spät. Änd.) ersetzt die Gemeinschaftslizenz für
Unternehmer, deren Unternehmenssitz im Inland liegt, die nach § 3 dieses Gesetzes für
den gewerblichen Güterkraftverkehr erforderliche Erlaubnis. An die Glaubhaftmachung
der zu erwartenden Verluste sind keine strengen Anforderungen zu stellen. Es liegt auf
der Hand, dass ein Unternehmen Verluste erleidet, wenn es seit Jahren tätig ist und
seinen Betrieb einstellen muss, weil die zuvor nur befristet erteilte Erlaubnis nicht
verlängert wird, insbesondere wenn - wie es der Antragsteller mit seiner
Eigenkapitalbescheinigung nachgewiesen hat - weiterhin laufende Verbindlichkeiten zu
bedienen sind.
Dieses Vorbringen des Antragstellers in dem früheren Verfahren genügt auch zur
Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes in dem vorliegenden Verfahren. Die beiden
Verfahren sind insofern gemeinsam zu betrachten. Wie ausgeführt, begehrt der
Antragsteller im vorliegenden Verfahren der Sache nach eine Änderung des zuvor
ergangenen Beschlusses vom 10. Februar 2014, mit dem sein Antrag auf Erlass einer auf
Erteilung der Gemeinschaftslizenz gerichteten einstweiligen Anordnung zunächst
abgelehnt wurde.
Ein Anordnungsgrund kann entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin auch nicht
deshalb in Frage gestellt werden, weil der Antragsteller die Gemeinschaftslizenz, zu
deren Erteilung die Antragsgegnerin erstinstanzlich verpflichtet worden ist, noch nicht
abgeholt hat. Es spricht nicht gegen die Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit seines
Anliegens, dass der Antragsteller zunächst den Ausgang des Beschwerdeverfahrens
abwartet und nicht bereits auf der Grundlage der noch nicht rechtskräftig gewordenen
Entscheidung des Verwaltungsgerichts sein Gewerbe wieder aufnimmt und am
Güterkraftverkehr teilnimmt. Denn aufgrund der Beschwerde der Antragsgegnerin muss er
damit rechnen, dass diese Entscheidung geändert wird und er die Gemeinschaftslizenz
gewissermaßen von einem Tag auf den anderen wieder verliert.
3. Der Antragsteller hat auch den für den Erlass der einstweiligen Anordnung
erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es ist mit der für eine (teilweise)
Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon
auszugehen, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung der
Gemeinschaftslizenz besitzt und dass sein Widerspruch gegen die Versagung deshalb
Erfolg haben wird.
a) Rechtsgrundlage für die Erteilung der Gemeinschaftslizenz ist Art. 3 und 4 VO (EG) Nr.
1072/2009. Nach ihrem Art. 3 unterliegt der grenzüberschreitende Verkehr einer
Gemeinschaftslizenz. Diese wird nach Art. 4 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1072/2009 von einem
Mitgliedstaat gemäß dieser Verordnung jedem gewerblichen
Güterkraftverkehrsunternehmer erteilt, der in diesem Mitgliedstaat gemäß den
gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften und den innerstaatlichen Rechtsvorschriften
dieses Mitgliedstaats niedergelassen ist und in dem Niederlassungsmitgliedstaat gemäß
den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und den innerstaatlichen Rechtsvorschriften
dieses Mitgliedstaats über den Zugang zum Beruf des Verkehrsunternehmers zur
Durchführung des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs berechtigt ist. Den Zugang
zum Beruf des Verkehrsunternehmers zur Durchführung des grenzüberschreitenden
Güterkraftverkehrs regelt u.a. die Verordnung (EG) 1071/2009 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 21.10.2009 (v. 21.10.2009, Amtsbl. L 300/51 v.
14.11.2009, im Folgenden: VO (EG) Nr. 1071/2009). Die Anforderungen für die Ausübung
des Berufs des Kraftverkehrsunternehmers sind in Art. 3 VO (EG) Nr. 1071/2009 näher
bestimmt. Nach dessen Abs. 1 müssen Unternehmen, die den Beruf des
Kraftverkehrsunternehmers ausüben, über eine tatsächliche und dauerhafte
Niederlassung in einem Mitgliedstaat verfügen, zuverlässig sein, eine angemessene
finanzielle Leistungsfähigkeit und die geforderte fachliche Eignung besitzen. Die
Voraussetzungen der erforderlichen Zuverlässigkeit regelt Art. 6 VO (EG) Nr. 1071/2009.
Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 1 legen die Mitgliedstaaten u.a. fest, welche
Voraussetzungen ein Unternehmen erfüllen muss, damit die Anforderung der
Zuverlässigkeit erfüllt ist. Nach Art. 6 Unterabsatz 3 Buchstabe a VO (EG) Nr. 1071/2009
darf die Zuverlässigkeit nicht zwingend in Frage gestellt sein, etwa durch Verurteilungen
oder Sanktionen aufgrund eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die dort näher
bezeichneten einzelstaatlichen Vorschriften, etwa über den Straßenverkehr (Unterpunkt
iv).
Bei diesen von den Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Voraussetzungen für die
Annahme der Zuverlässigkeit zu berücksichtigenden Punkten handelt es sich um
Mindestvoraussetzungen. Das ergibt sich aus der Formulierung „mindestens“ in Art. 6
Abs. 1 Unterabsatz 3 der VO Nr. 1071/2009. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 1071/2009
lässt damit Raum für weitergehende - national - zu bestimmende
Zuverlässigkeitsanforderungen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 13.1.2014, 7 ME 110/13,
juris Rn. 3; OVG Münster, Beschl. v. 10.12.2013, 13 A 2914/12, juris Rn. 6, und v.
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12.4.2013, 13 B 255/13, juris Rn. 11). Ausgehend hiervon bestimmt § 2 Abs. 1 der
Berufszugangsverordnung für den Güterkraftverkehr (v. 21.12.2011, BGBl. I S. 3120, mit
spät. Änd., im Folgenden: GBZugV), dass der Unternehmer zuverlässig im Sinne des Art.
6 der VO (EG) Nr. 1071/2009 (nur) dann ist, wenn keine Tatsachen dafür vorliegen, dass
bei der Führung des Unternehmens gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen oder bei
dem Betrieb des Unternehmens die Allgemeinheit geschädigt oder gefährdet wird. Nach §
2 Abs. 3 GBZugV kann der Unternehmer darüber hinaus insbesondere dann
unzuverlässig sein, wenn er rechtskräftig verurteilt worden ist oder ein gegen ihn
ergangener Bußgeldbescheid unanfechtbar geworden ist wegen u.a. eines schweren
Verstoßes gegen strafrechtliche Vorschriften (Nr. 2) oder wegen eines schweren
Verstoßes gegen Vorschriften, die im Interesse der Verkehrs-, Betriebs- oder
Lebensmittelsicherheit erlassen wurden, insbesondere gegen die Vorschriften der
Straßenverkehrsgesetzes, der Straßenverkehrsordnung oder der
Straßenverkehrszulassungsverordnung (Nr. 3 Buchst. c).
b) Hiernach erfüllt der Antragsteller die Voraussetzungen, unter denen ihm eine
Gemeinschaftslizenz zu erteilen ist. Er ist als gewerblicher Güterkraftverkehrsunternehmer
in Deutschland niedergelassen, besitzt die erforderliche fachliche Eignung sowie die
finanzielle Leistungsfähigkeit zum Beruf des Verkehrsunternehmers zur Durchführung des
grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs, wovon auch die Antragsgegnerin ausgeht. Ihm
fehlt auch nicht die für den Beruf des Güterkraftverkehrsunternehmers erforderliche
Zuverlässigkeit. Seine Zuverlässigkeit wird entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin
nicht nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 Buchst. c GBZugV in Frage gestellt. Im Einzelnen:
aa) § 2 GBZugV geht von einem güterkraftverkehrsrechtlichen Begriff der Zuverlässigkeit
aus. Das ergibt sich unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 GBZugV, der auf die Führung des
Unternehmens und seinen Betrieb abstellt. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung muss mithin die Prognose gerechtfertigt sein, dass der
Unternehmer auch in Zukunft nicht die Gewähr dafür bietet, das Transportgewerbe
ordnungsgemäß zu führen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 13.1.2014, 7 ME 110/13, juris
Rn. 4; OVG Münster, Beschl. v. 12.4.2013, 13 B 255/13, juris Rn.13). Die in § 2 Abs. 3
GBZugV genannten weiteren die Zuverlässigkeit in Frage stellenden Umstände sind
ebenfalls auf die Führung und den Betrieb des Güterkraftverkehrsunternehmens zu
beziehen. Die dort verwendete Formulierung „darüber hinaus“ bezieht sich nicht auf den
Absatz 1 der Regelung und nennt mithin keine Umstände, unter denen eine
Unzuverlässigkeit selbst dann angenommen werden könnte, wenn nicht zu erwarten ist,
dass durch die Führung und den Betrieb des Unternehmens gegen gesetzliche
Vorschriften verstoßen oder die Allgemeinheit gefährdet wird. Vielmehr knüpft die
Formulierung „darüber hinaus“ an den vorstehenden Absatz 2 an, in dem geregelt ist,
dass die erforderliche Zuverlässigkeit u.a. der Unternehmer dann in der Regel nicht
besitzt, wenn er wegen eines so genannten schwersten Verstoßes gegen
Gemeinschaftsvorschriften im Sinne des Anhangs IV der VO (EG) Nr. 1071/2009
rechtkräftig bzw. unanfechtbar belangt worden ist. Bei diesen schwersten Verstößen, die
hier allerdings nicht betroffen sind, handelt es sich ausschließlich um Verstöße bei der
Ausübung des Güterkraftverkehrsgewerbes. Wenn anschließend in § 2 Abs. 3 GBZugV
„darüber hinaus“ die Unzuverlässigkeit von weiteren Verurteilungen oder
Bußgeldbescheiden abhängig gemacht wird, dann verlässt die Norm nach ihrer
Systematik nicht den Ansatz, dass die Unzuverlässigkeit auf das
Güterkraftverkehrsgewerbe bezogen sein muss, sondern sie benennt lediglich weitere
Umstände, aus denen sich über die in Absatz 2 genannten Fälle hinaus diese
güterkraftverkehrsrechtliche Unzuverlässigkeit ergeben kann.
Da § 2 GBZugV von einem güterkraftverkehrsrechtlichen Begriff der Zuverlässigkeit
ausgeht, ist das in § 2 Abs. 3 GBZugV verwendete Merkmal eines „schweren Verstoßes“
im Hinblick auf die güterkraftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeitsbeurteilung auszulegen
(vgl. auch zur entsprechenden Rechtslage im Personenbeförderungsrecht: OVG
Hamburg, Beschl. v. 3.11.2011, 3 Bs 182/11, NordÖR 2012, 207, juris Rn. 9; Beschl. v.
15.9.2008, 3 Bs 26/08, juris Rn. 4). Die Regelbeispiele des § 2 Abs. 3 GBZugV erfassen
nicht jede Übertretung, sondern geben Fallkonstellationen vor, bei denen das Maß der
individuellen Schuld bei dem Verstoß so schwer wiegt, dass allein wegen der Tat
grundsätzlich auf die Unzuverlässigkeit des Betroffenen zu schließen ist (vgl. zum
Personenbeförderungsrecht: OVG Magdeburg, Beschl. v. 19.8.2011, 3 M 491/10, NVwZ-
RR 2011, 979, juris Rn. 5). Ein schwerer Verstoß gegen strafrechtliche Vorschriften im
Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 2 GBZugV oder gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften im
Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c GBZugV liegt vor, wenn aus diesem Verstoß
generalisierend darauf geschlossen werden kann, dass der Unternehmer (auch) künftig
bei der Führung des Unternehmens die für den Güterkraftverkehr geltenden Vorschriften
missachten oder die Allgemeinheit bei dem Betrieb des Unternehmens schädigen oder
gefährden wird (OVG Hamburg, Beschl. v. 3.11.2014, a.a.O., juris Rn. 10, zum
Personenbeförderungsrecht).
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bb) Hieran gemessen stellen die Straftaten, wegen derer der Antragsteller belangt worden
ist, weder jeweils für sich noch in ihrer Gesamtheit schwere Verstöße gegen
Strafvorschriften oder straßenverkehrsrechtliche Vorschriften im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr.
2 und Nr. 3 Buchst. c GBZugV dar.
Bei der Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB handelt es sich bereits deshalb nicht um einen
schweren Verstoß in diesem Sinne, weil der Antragsteller diese Tat nicht vorsätzlich,
sondern fahrlässig begangen hat. Bei einem fahrlässig begangenen Verstoß gegen
strafrechtliche Vorschriften wiegt das Maß der individuellen Schuld regelmäßig nicht so
schwer, dass allein wegen dieser Tat zu erwarten ist, dass der Betroffene künftig bei der
Führung des Unternehmens die für den Güterkraftverkehr geltenden Vorschriften
missachten oder die Allgemeinheit gefährden wird (vgl. zum Personenbeförderungsrecht:
OVG Magdeburg, Beschl. v. 19.8.2011, 3 M 491/10, NVwZ-RR 2011, 979, juris Rn. 5;
offenlassend: OVG Bautzen, Beschl. v. 3.8.2012, 4 A 724/11, juris Rn. 6). Umstände, die
ausnahmsweise eine andere Sicht gebieten könnten, liegen nicht vor. Das mag in
Betracht kommen, wenn das fahrlässige Verhalten unmittelbar die Führung des
Unternehmens betrifft. Das mit der Trunkenheitsfahrt gezeigte Verhalten betraf jedoch
nicht die unternehmerische Tätigkeit des Antragstellers. Dabei ist es unerheblich, dass
der Gegenstand des Unternehmens der Güterkraftverkehr ist und dass der Antragsteller
dabei mit seinem Lastkraftwagen gefahren ist. Offen bleiben kann, ob diese Fahrt - wie
der Antragsteller geltend macht – als eine rein private Fahrt im Anschluss an eine Feier
stattgefunden hat, oder ob - was die Antragsgegnerin vermutet - der Antragsteller im
Rahmen seines Gewerbebetriebs unterwegs war. Bei der Ausübung seines Gewerbes
begangene Verkehrsverstöße lassen jedenfalls dann keinen Rückschluss auf die
gewerberechtliche Zuverlässigkeit zu, wenn das Gewerbe nicht gerade in der Teilnahme
am Straßenverkehr besteht. So ist es hier. Die Tätigkeit als Speditionsunternehmer
besteht nicht typischerweise darin, selbst am Straßenverkehr teilzunehmen; dies ist die
Aufgabe des Fahrpersonals. Der Unternehmer muss weder geeignet sein, am
Straßenverkehr teilzunehmen, noch muss er überhaupt hierzu berechtigt sein.
Das bei der Trunkenheitsfahrt konkret gezeigte Verhalten des Antragstellers deutet auch
sonst nicht darauf hin, dass er als Unternehmer künftig gegen Vorschriften verstoßen wird
und dass deshalb der Verstoß als schwer im Sinne des § 2 Abs. 3 GBZugV angesehen
werden könnte. Der Trunkenheitsfahrt lag nach den Feststellungen der Polizei ein
außergewöhnlicher Vorfall zugrunde, der keine Rückschlüsse auf künftiges
unternehmerisches Verhalten zulässt. Denn zu der Trunkenheitsfahrt kam es offenbar nur
deswegen, weil sich der Antragsteller in Sicherheit bringen wollte, nachdem er auf einer
Feier in eine Schlägerei verwickelt und dabei von mehreren Personen geschlagen und
verletzt worden war (vgl. Vermerk der Polizei vom 2.10.2012, Sachakte der
Antragsgegnerin). Indizien dafür, dass es sich bei dem Verstoß nicht um einen schweren
Verstoß im Sinne des § 2 Abs. 3 GBZugV handelt, sind schließlich der Strafrahmen des §
316 StGB sowie die konkret erfolgte Strafzumessung (zu diesem Maßstab im
Personenbeförderungsrecht vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 2.3.2007, 1 Bs 340/06,
GewArch 2007, 253, juris Rn. 4). Als Strafrahmen sieht § 316 StGB Freiheitsstrafe von bis
zu einem Jahr oder Geldstrafe vor; die Geldstrafe kann nach § 40 Abs. 1 StGB bis zu 360
Tagessätze umfassen. Schon der Strafrahmen deutet darauf hin, dass der Verstoß gegen
diese Strafvorschrift nicht so schwer wiegt, dass der generelle Schluss gerechtfertigt ist,
dass derjenige, der gegen diese Strafvorschrift verstößt, künftig bei der Führung seines
Unternehmens die maßgeblichen Vorschriften missachten oder die Allgemeinheit
gefährden wird. Das gilt erst recht für das konkrete Strafmaß, das sich mit 30 Tagessätzen
im unteren Bereich bewegt.
Auch die am 5. März 2012 erfolgte Verurteilung des Antragstellers wegen versuchter
Nötigung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtgeldstrafe von 70
Tagessätzen ist nicht im vorgenannten Sinne als schwer anzusehen. Das ergibt sich
bereits daraus, dass diese im privaten Bereich begangenen Straftaten nichts mit der
unternehmerischen Tätigkeit zu tun haben. Sie lassen nicht die Prognose künftigen
Fehlverhaltens bei der Führung des Unternehmens zu. Zudem spricht auch hier das
geringe Strafmaß dagegen, in den Taten schwere Verstöße im Sinne des § 2 Abs. 3
GBZugV zu sehen. § 223 StGB sieht als Strafrahmen Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren
oder Geldstrafe vor, § 240 StGB Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
Hiernach bleiben die einzelnen Geldstrafen von 20 Tagessätzen für die versuchte
Nötigung und 60 Tagessätzen für die vorsätzliche Körperverletzung am unteren Rand des
Möglichen. Dasselbe gilt auch für die Verhängung einer Gesamtgeldstrafe von 60
Tagessätzen wegen Körperverletzung in zwei Fällen. Auch diese Straftaten hat der
Antragsteller im rein privaten Bereich begangen; Bezüge zu seiner unternehmerischen
Tätigkeit bestanden nicht. Das Strafmaß liegt auch hier im unteren Bereich.
Schließlich deutet die Vielzahl der innerhalb eines Jahres begangenen Straftaten nicht
darauf hin, dass der Antragsteller als güterkraftverkehrsrechtlich unzuverlässig anzusehen
wäre. Da es sich bei den einzelnen Straftaten jeweils für sich genommen nicht um
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schwere Verstöße im Sinne des § 2 Abs. 3 GBZugV handelt, kommt als Maßstab für die
Beurteilung der Zuverlässigkeit nur § 2 Abs. 1 GBZugV in Betracht. Dessen
Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Die Körperverletzungen und die versuchte
Nötigung lassen nicht darauf schließen, der Antragsteller werde künftig bei der Führung
des Unternehmens gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen oder bei dem Betrieb
des Unternehmens die Allgemeinheit schädigen oder gefährden. Die Taten hat der
Antragsteller sämtlich im privaten Umfeld begangen. Sie dürften zwar Ausdruck einer
Unbeherrschtheit und Gewaltbereitschaft sein, doch lässt dies noch keine Rückschlüsse
darauf zu, dass der Antragsteller sein Unternehmen im Bereich des Güterkraftverkehrs
nicht ordnungsgemäß führen wird. Hieraus ergibt sich insbesondere nicht, dass er
gegenüber Kunden oder Angestellten gewalttätig werden könnte. Auch lassen diese
Taten sowie die Trunkenheitsfahrt nicht darauf schließen, dass der Antragsteller generell
dazu neigt, Rechtsvorschriften entweder selbst zu missachten oder Mitarbeiter nicht
ausreichend zur Beachtung der für den Betrieb maßgeblichen Vorschriften anzuhalten.
B Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts
beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Der nach Nr. 47.1 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18. Juli 2013 (NordÖR 2014, 11
ff.) für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts von 30.000 Euro ist für das
vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren.