Urteil des FG Düsseldorf vom 26.03.2003

FG Düsseldorf (Berechnung der Steuer, Unechte Rückwirkung, Steuersatz, Arztpraxis, Gestaltungsspielraum, Vollziehung, Gesetzesänderung, Steuerprogression, Belastung, Gesellschafter)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Düsseldorf, 13 K 5675/01 E
26.03.2003
Finanzgericht Düsseldorf
13. Senat
Urteil
13 K 5675/01 E
Die Einkommensteuerfestsetzung für 1999 wird dahingehend geändert,
daß der laufende Gewinn der Klägerin aus selbständiger Arbeit um 1.403
DM gemindert und dementsprechend die Steuer herabgesetzt wird. Im
übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen (§ 100 Abs. 2
Satz 2 FGO).
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e:
I.
Die Kläger sind für das Streitjahr 1999 durch Bescheid vom 12.4.2001 zur
Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute. Streitig ist die Besteuerung des durch
die Veräußerung der Arztpraxis der Klägerin erzielten Veräußerungsgewinnes.
Die Klägerin war als Kinderärztin tätig. Aus Altersgründen, sie war im Streitjahr 67 Jahre
alt, veräußerte sie ihre Praxis im sogenannten Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Abs.
4 Sozialgesetzbuch V mit Wirkung zum 31.12.1999. Durch das Gesundheitsstrukturgesetz
vom 21.12.1992 war sie gehalten, ihre kassenärztliche Zulassung spätestens bis zur
Vollendung des 68. Lebensjahres zu beenden. Den erzielten Veräußerungsgewinn von
293.228 DM kürzte der Beklagte gem. § 16 Abs. 4 Einkommensteuergesetz -EStG- um
60.000 DM und führte ihn im übrigen der Besteuerung nach dem tariflichen Steuersatz zu.
Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg. Daraufhin haben die Kläger am
8.10.2001 Klage erhoben.
Im Klageverfahren wird zusätzlich geltend gemacht, dass der laufende Gewinn aus der
Arztpraxis aufgrund der Ergebnisse einer zwischenzeitlich durchgeführten steuerlichen
Betriebsprüfung um 1.403 DM zu mindern sei. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten
kein Streit mehr.
Die Kläger tragen vor,
es sei verfassungsrechtlich zu beanstanden, dass der für eine ermäßigte Besteuerung von
Veräußerungsgewinnen mit dem halben tariflichen Steuersatz bis zum
Veranlagungszeitraum 1998 geltende § 34 EStG durch das Steuerbereinigungsgesetz
1999 vom 24.3.1999 (BGBl. I S. 402) ohne eine Übergangsregelung und ohne die
Berücksichtigung eines Bestandsschutzes unter Abschaffung der begünstigten
Besteuerung mit dem halben Steuersatz geändert worden sei. Die Tatsache, dass die
Vorschrift des § 34 EStG bereits durch das Steuersenkungsergänzungsgesetz vom
19.12.2000 (BGBl. I 1812) erneut geändert und damit der hälftige Steuersatz für
Veräußerungsgewinne wieder eingeführt worden sei, belege, dass das gesetzgeberische
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Handeln von Willkür bestimmt sei.
Von besonderer Bedeutung sei, dass die Klägerin den Veräußerungszeitpunkt nicht habe
frei bestimmen können, sondern mit Vollendung des 68. Lebensjahres gezwungen
gewesen sei, ihre Tätigkeit aufzugeben. Sie habe auch vorher nicht kurzfristig auf die
Gesetzesänderung reagieren können, da das Nachbesetzungsverfahren wenigstens ein
Jahr Zeit in Anspruch nehme.
Die Kläger beantragen,
1. die Einkommensteuerfestsetzung 1999 dahingehend zu ändern, dass der
Veräußerungsgewinn i.H.v. 293.228 DM abzüglich des Freibetrages von 60.000 DM mit
dem halben Steuersatz (§ 34 EStG a.F.) versteuert wird und der laufende Gewinn um 1.403
DM gemindert wird.
2. die Volllziehung des Einkommensteuerbescheides vom 12.4.2001 soweit die
Vollziehung bereits erfolgt ist, im Umfange des Antrages zu 1. aufzuheben.
3. die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Meinung,
weder Vertrauenstatbestände noch der Gleichheitsgrundsatz seien verletzt. Die Klägerin
habe nicht erwarten können, dass ein Gesetz unverändert über Jahre, wenn nicht
Jahrzehnte, Bestand habe.
II.
Die Klage ist nur zum Teil begründet.
Soweit die Aufhebung der Vollziehung beantragt wird, handelt es sich um ein außerhalb
des Klageverfahren gesondert zu entscheidendes Antragsverfahren.
Die Klage ist begründet, soweit eine Minderung des laufenden Gewinnes aus der
Arztpraxis im Streitjahr i.H.v. 1.403 DM begehrt wird. Diesbezüglich besteht zwischen den
Beteiligten auch kein Streit mehr.
Im übrigen ist die Klage unbegründet. Denn der Beklagte hat zu Recht den
Veräußerungsgewinn der Klägerin der Besteuerung nach § 34 EStG i.d.F. des StEntlG
1999/2000/2002 vom 24.3.1999 unterworfen.
Eine Ermäßigung der auf den Veräußerungsgewinn entfallenden Steuer auf die Hälfte des
durchschnittlichen Steuersatzes nach näherer Maßgabe des § 34 Abs. 1 EStG in der bis
zum Veranlagungszeitraum 1998 geltenden Fassung kam nicht in Betracht. Insbesondere
war die geänderte Vorschrift des § 34 EStG nicht verfassungswidrig, so dass die nach
Auffassung der Kläger sich ergebende Folge der Fortwirkung des § 34 EStG in seiner
ursprünglichen Fassung nicht eintreten konnte.
Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -BFH-
(Beschluß vom 21.1.2003 X B 106/02, amtlich nicht veröffentlicht, und Beschluß vom
27.8.2002 XI B 94/02, Bundessteuerblatt II 2003, 18).
Danach verstößt die für die Veranlagungszeiträume 1999 und 2000 geltende Regelung des
§ 34 EStG nicht gegen Art. 3 i.V.m. Art. 20 des Grundgesetzes -GG-:
1. Die Reduzierung der bis 1998 geltenden steuertariflichen Begünstigung von
Veräußerungsgewinnen hat nicht den dem Gesetzgeber einzuräumenden
Gestaltungsspielraum überschritten. Dem Gesetzgeber muß es möglich sein, zu reagieren,
wenn ein ursprünglich mit einer Steuervergünstigung verfolgter Zweck wegfällt oder ein seit
dem In-Kraft-Treten des Gesetzes eingetretener Missstand aus Gründen der
verfassungsrechtlich gebotenen steuerlichen Belastungsgleichheit beseitigt werden soll.
Die tarifbegünstigte Besteuerung nach § 34 EStG a.F., die ausschließlich der
Progressionsglättung bei zusammengeballtem Zufluß von Einkünften dienen sollte, die
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typischerweise über mehrere Veranlagungszeiträume erzielt oder erwirtschaftet werden,
hatte zu unberechtigten Steuervorteilen bei solchen Steuerpflichtigen geführt, die auf Grund
ihrer "regulären" hohen Einkommen dem höchsten Steuersatz unterlagen, bei denen die
hohe Steuerprogression also nicht durch den zusammengeballten Zufluß von
außerordentlichen Einkünften veranlasst war. Dem Gesetzgeber war ein
Gestaltungsspielraum einzuräumen, um dieser aus der Sicht der Steuergerechtigkeit als
misslich empfundenen Rechtslage durch eine Gesetzesänderung alsbald abzuhelfen.
Demgegenüber hat ein Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Fortgeltung des § 34 EStG
a.F. zurückzutreten.
2. Die Klägerin wurde auch nicht nachträglich einer höheren steuerlichen Belastung
unterworfen. Der zu besteuernde Gewinn aus der Veräußerung der Praxis entstand in dem
Zeitpunkt, in dem das rechtliche oder zumindest das wirtschaftliche Eigentum an der Praxis
überging, im Falle der Klägerin am 31.12.1999 und damit in dem Geltungszeitraum des
geänderten § 34 EStG. Die der geänderten Besteuerung innewohnende tatbestandliche
Rückanknüpfung (sog. unechte Rückwirkung) an den in früheren Veranlagungszeiträumen
erwirtschafteten Praxiswert ist durch den vorgenannten Gesetzeszweck hinreichend
gerechtfertigt.
3. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 34 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
spricht im Streitfall auch nicht, dass der Gesetzgeber den ermäßigten Steuersatz auf
Veräußerungsgewinne unter geänderten Voraussetzungen und unter Ausgestaltung als
Sozialzwecknorm zur Sicherung einer Altersvorsorge ab dem Veranlagungszeitraum 2001
wieder eingeführt hat. Das gesetzgeberische Verhalten kann im Hinblick auf den
geänderten Regelungszweck und unter Berücksichtigung der Neuregelung auch als Folge
der Einführung des sog. Halbeinkünfteverfahrens nicht als willkürlich angesehen werden.
An der Beurteilung ändert auch nicht, dass die Klägerin spätestens im Streitjahr nach dem
Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.1992 gezwungen war, ihre kassenärztliche
Zulassung abzugeben. Der Senat vermag keinen grundlegenden Unterschied zu den o.g.
BFH-Entscheidungen, denen jeweils der Tatbestand der Veräußerung eines Anteils an
einer GmbH zugrundelag, zu sehen. Denn der Klägerin stand es bis dahin frei, die
Zulassung auch zu einem früheren Zeitpunkt abzugeben und nicht bis zum letztmöglichen
Zeitpunkt zuzuwarten. Anders als dem Gesellschafter einer GmbH war es ihr lediglich nicht
möglich, die Veräußerung auf einen späteren Zeitpunkt aufzuschieben und darauf zu
spekulieren, dass sich irgendwann einmal wieder die Rechtslage zu ihren Gunsten ändern
werde. Allein diese der Klägerin fehlende, aus Sicht des Jahres 1999 völlig ungewisse,
Ausweichmöglichkeit lässt keine verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition
erwachsen. Vielmehr wurde auch im Falle der Klägerin allein die Erwartung der
Fortgeltung des bis dahin bestehenden Rechts enttäuscht.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.
Die zu entscheidende Rechtsfrage war, soweit ersichtlich, noch nicht Gegenstand einer
Entscheidung des BFH in einem Hauptsacheverfahren. Die streitige Regelung des § 34
EStG wurde zwar mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2001 wieder geändert, dürfte
aber noch aktuelle Bedeutung über den hier zu entscheidenden Fall hinaus haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 Finanzgerichtsordnung.