Urteil des FG Düsseldorf vom 24.11.2006

FG Düsseldorf: bemessungsgrundlage, einspruch, kirchensteuer, trennung von staat und kirche, verfassungskonforme auslegung, sachliche zuständigkeit, vorverfahren, anfechtung, behörde, begriff

Finanzgericht Düsseldorf, 1 K 1957/05 Ki
Datum:
24.11.2006
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 1957/05 Ki
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
1
Der Kläger gehört der evangelischen Kirche an; er wird einzeln zur Einkommensteuer
veranlagt.
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Im Einkommensteuerbescheid 2003 vom 22. Februar 2005 erfasste der Beklagte
Kapitaleinnahmen des Klägers, die dem Halbeinkünfteverfahren (vgl. § 3 Nr. 40 des
Einkommensteuergesetzes -EStG-) unterliegen, nur zur Hälfte; ein Betrag von 1.245
EUR blieb steuerfrei. Die Kirchensteuer berechnete der Beklagte unter Anwendung des
§ 51a Abs. 2 EStG wie folgt:
3
zu versteuerndes Einkommen
50.841
zzgl. steuerfreie Halbkünfte
1.245
maßgebendes zu versteuerndes Einkommen
52.086
darauf entfallende ESt
14.752 EUR
Bemessungsgrundlage
14.752 EUR
Davon 9 v.H. ev. KiSt
1.327,68 EUR
4
Die dem Bescheid beigefügte programmgesteuerte Rechtsbehelfsbelehrung lautet
(auszugsweise) wie folgt: "Gegen die Festsetzung der Kirchensteuer ist ebenfalls der
Einspruch gegeben. Der Einspruch ist bei dem vorbezeichneten Finanzamt
einzureichen, wenn er sich gegen die Höhe der der Festsetzung zugrunde gelegten
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Bemessungsgrundlage richtet. Ein Einspruch gegen die Festsetzung der Kirchensteuer,
der sich auf Gründe stützt, die nicht mit der Berechnung der zugrunde gelegten
Bemessungsgrundlage zusammenhängen, ist insoweit bei der zuständigen
evangelischen Kirchengemeinde einzureichen."
Der Kläger legte beim Beklagten unter dem Betreff "Hinzurechnung der steuerfreien
Halbeinkünfte bei der Kirchensteuer" Einspruch gegen den "Bescheid für 2003 über
Einkommensteuer usw." ein "wegen Verletzung der Schranken des für alle geltenden
Gesetzes betr. Halbeinkünfte durch die Kirchen, die bei der Erhebung der Kirchensteuer
autonom handeln. Die Einziehung durch den Staat geschieht aus Kostengründen, s. Art.
140 GG, Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV". Der Beklagte wies den Einspruch mit
Entscheidung vom 29. April 2005 als unbegründet zurück. Die Kirchensteuer sei auf der
Grundlage des § 51a Abs. 2 EStG zutreffend berechnet. Die Steuereinziehung durch
den Staat verstoße nicht gegen Art. 137 Abs. 3 WRV; die Festsetzung und Erhebung der
Kirchensteuer durch die Finanzverwaltung beruhe auf einem entsprechenden Antrag
der Kirchen i.S. von § 9 KiStG.
6
Mit der Klage macht der Kläger geltend, sein Vorbringen werde verdreht und
unterdrückt. Es gehe ihm nicht um die Steuererhebung, sondern um die Festsetzung, die
hier verfassungswidrig sei. Das Kirchensteuergesetz des Landes Nordrhein-Westfalen -
KiStG- privilegiere die Kirchen und sei zwar nicht wegen seines Zustandekommens,
aber im Hinblick auf seinen Inhalt verfassungswidrig; der Senat müsse die Sache daher
dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Man müsse auch fragen, ob der Staat im
autonomen Kirchensteuerrecht "überhaupt Gesetzgebungsrecht habe außer in der
Grenzziehung zur Privilegierung, die hier erfolgt sei unter Benutzung der Bestimmung
des § 51a EStG, die nur für den Bundesbereich gelte und nicht für eine autonome
Länderangelegenheit". Der Beklagte habe - obwohl es um die Festsetzung gehe - von
der "Einziehung der Steuer durch den Staat im Auftrag der Kirchen" geschrieben; das
sei nicht vereinbar mit der Trennung von Staat und Kirche.
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Im Laufe des Verfahrens hat der Beklagte am 28. Juni 2005 einen - aus hier nicht
streitgegenständlichen Gründen - geänderten Bescheid erlassen, der zum Gegenstand
des Klageverfahrens geworden ist.
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Der Kläger beantragt,
9
den angefochtenen Kirchensteuerbescheid 2003 in der Weise zu ändern, dass die
bei der Einkommensteuer steuerfrei gebliebenen Halbeinkünfte für Zwecke der
Kirchensteuer ebenfalls steuerfrei bleiben,
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hilfsweise die Frage dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Auf den gerichtlichen Hinweis, dass im Hinblick auf die Regelung des § 14 KiStG
zunächst die sachliche Zuständigkeit des Beklagten - statt der Kirchenbehörde - zu
prüfen sei, hat dieser bekräftigt, dass die für Zwecke der Kirchensteuerberechnung
vorzunehmenden Korrekturen nach § 51a EStG Bestandteil des Grundlagenbescheides
seien; das ergebe sich bereits aus § 4 Abs. 2 KiStG. Maßstabsteuer, gegen die der
14
Steuerpflichtige nur bei der Finanzbehörde Einwendungen geltend machen dürfe (§ 14
Abs. 6 Satz 1 KiStG), sei die fiktive Einkommensteuer nach § 51a EStG
In der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2006 hat der Kläger die
Berichterstatterin wegen Befangenheit abgelehnt, weil sie, wie der erteilte gerichtliche
Hinweis zeige, den Beklagten aus dem Verfahren habe drängen und auf diese Weise
seinen - des Klägers - Rechtsschutz habe vereiteln bzw. verzögern wollen. Der Senat
hat daraufhin die Sitzung unterbrochen und, nachdem die Berichterstatterin den
Sitzungssaal verlassen hatte, unter Hinzuziehung der geschäftsplanmäßigen
Vertreterin, Richterin am Finanzgericht A., das Befangenheitsgesuch durch Beschluss
abgelehnt. Nach Verkündung des Beschlusses ist die Sitzung in der ursprünglichen
Besetzung, unter Teilnahme der Berichterstatterin, fortgesetzt worden.
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Hinsichtlich der Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Klagevorbringen der Beteiligten
wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der dem Gericht vorgelegten
Verwaltungsakten Bezug genommen.
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Die Klage ist unzulässig.
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Gemäß § 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO- ist in den Fällen, in denen ein
außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, die Klage nur zulässig, wenn das
Vorverfahren über den Einspruch erfolglos geblieben ist. Das - erfolglos gebliebene -
Vorverfahren hat grundsätzlich dem gesetzlich vorgeschriebenen Vorverfahren zu
entsprechen; es muss das "richtige" Vorverfahren durchgeführt worden sein. Ein von
den gesetzlichen Vorgaben abweichendes Vorverfahren reicht jedenfalls dann als
Sachentscheidungsvoraussetzung nicht aus, wenn der adäquate, vollständige
außergerichtliche Rechtsschutz des Steuerpflichtigen nicht sichergestellt ist (von Groll in
Gräber, FGO, 6. A., § 44 Rdn. 23). Vorliegend fehlt es am richtigen Vorverfahren, weil
der Beklagte über den bei ihm eingelegten Einspruch entschieden hat, obwohl er weder
der richtige Einspruchsgegner noch zuständig zur Einspruchsentscheidung war. Die
stattdessen allein zuständige (Kirchen-)Behörde hat indes die Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Bescheides bisher nicht erneut und unter Berücksichtigung des
Einspruchsvorbringens des Klägers umfassend überprüft.
18
Der Einspruch des Klägers richtete sich bei verständiger Auslegung gegen den
Kirchensteuerbescheid. Der Kläger hat zur Einspruchseinlegung Seite 2 des
Einkommen- und Kirchensteuerbescheides vom 22. Februar 2005 abgelichtet und um
handschriftliche Ausführungen ergänzt. Dort hat er die in der Rechtmittelbelehrung
ausgewiesene Formulierung "Festsetzung der Kirchensteuer" unterstrichen, die Rubrik
"Berechnung der Kirchensteuer" markiert, den Betreff seines Schreibens mit
"Hinzurechnung der steuerfreien Halbeinkünfte bei der Kirchensteuer" angegeben und
den angefochtenen Bescheid mit Bescheid für 2003 über Einkommensteuer "usw."
bezeichnet. In einem Telefonat mit dem Sachbearbeiter des Beklagten vom 18. 04. 2005
führte der Kläger erneut an, dass es ihm um die Berechnung und Festsetzung der
Kirchensteuer gehe.
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Der Beklagte war nicht der richtige Einspruchsgegner und auch nicht für die
Entscheidung über den Einspruch gegen den Kirchensteuerbescheid zuständig;
stattdessen war der Rechtsbehelf bei der Kirchenbehörde einzulegen und von ihr auch
zu bescheiden.
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Die gesetzliche Grundlage für das Rechtsbehelfsverfahren gegen einen
Kirchensteuerbescheid befindet sich in § 14 des Kirchensteuergesetzes des Landes
Nordrhein-Westfalen -KiStG-. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KiStG steht dem
Steuerpflichtigen gegen die Heranziehung zur Kirchensteuer als außergerichtlicher
Rechtsbehelf der Einspruch zu, der bei der Kirchengemeinde einzulegen ist, für die der
Steuerbescheid durch das Finanzamt erlassen worden ist (§ 25 Abs. 1 Satz 2 der
Kirchensteuerordnung -KiStO-). Die Kirchengemeinde ist gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1
KiStG i.V.m. § 25 Abs. 2 Satz 1 KiStO auch für die Entscheidung über den Einspruch
zuständig. Nach dieser Grundregel hätte der Einspruch, um das "richtige" Vorverfahren
zu gewährleisten, bei der Kirchenbehörde eingelegt und von dieser auch beschieden
werden müssen; die Entscheidung über den vom Kläger gegen den
Kirchensteuerbescheid eingelegten Einspruch fiel nicht in den Zuständigkeitsbereich
des Beklagten.
21
Eine von der Grundregel abweichende Zuständigkeit ausnahmsweise der beklagten
Finanzbehörde statt der Kirchengemeinde lässt sich insbesondere nicht aus der
Vorschrift des § 14 Abs. 6 Satz 1 KiStG herleiten. Diese Regelung bestimmt, dass
"Einwendungen gegen die zugrunde gelegte Maßstabsteuer (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3)
unzulässig" sind.
22
Legt man den dortigen Begriff der "Maßstabsteuer" dahin aus, dass er auch die
Berechnung der Bemessungsgrundlage nach § 51a Abs. 2 EStG umfasst, dann könnte
§ 14 Abs. 6 Satz 1 KiStG dahin verstanden werden, dass "Einwendungen gegen die
Berechnung der Bemessungsgrundlage unzulässig" sind. Das würde allerdings
bedeuten, dass gegen die Feststellung der Bemessungsgrundlage überhaupt kein
Rechtsmittel gegeben wäre. Bei derartiger Auslegung verstieße die Regelung gegen die
Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes -GG-. Die kirchenrechtliche
Norm ist allerdings nicht verfassungswidrig, sondern kann im Hinblick auf die
verschiedenen in Betracht kommenden Normdeutungen verfassungskonform ausgelegt
werden (vgl. Kruse/Druen in Tipke/Kruse, AO und FGO, § 4 AO Tz. 238). Indes führt
auch die verfassungskonforme Auslegung nicht dazu, dass Einwendungen gegen die
nach § 51a Abs. 2 EStG berechnete Bemessungsgrundlage bei der Finanzbehörde
anzubringen sind. Vielmehr verbleibt es dabei, dass derartige Einwendungen nach der
Grundregel des § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 KiStG mit dem Einspruch bei der
Kirchenbehörde zu verfolgen sind.
23
Die Bestimmung des § 14 Abs. 6 Satz 1 KiStG ist offensichtlich angelehnt an die
Vorschriften des § 351 Abs. 2 AO und des § 51a Abs. 5 EStG.
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Nach § 351 Abs. 2 AO können Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid nur durch
Anfechtung dieses Bescheides, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheides,
angegriffen werden. Die Regelung bedeutet nicht etwa eine Einschränkung der Rechte
des Steuerpflichtigen, sondern dient - bei Wahrung umfassenden Rechtsschutzes - der
Klarstellung. Ein Verwaltungsakt kann nur wegen derjenigen Regelung angefochten
werden, die er selbstständig und verbindlich trifft. Da Grundlagenbescheide eine
selbstständige, verbindliche und bindende Regelung treffen, die Folgebescheide diese
Regelung aber lediglich übernehmen, können wegen einer solchen Regelung allein die
Grundlagenbescheide angefochten werden; nur sie lösen insoweit die Beschwer oder
Rechtsverletzung aus. Nicht aber kann deswegen der Folgebescheid angefochten
werden, der diese Regelung nicht verbindlich trifft, sondern lediglich aus dem
Grundlagenbescheid übernimmt, an den er gebunden ist (Tipke in Tipke/Kruse, AO und
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FGO, § 351 AO Tz. 45); wenn auf den Einspruch gegen den Grundlagenbescheid (§ 171
Abs. 10 AO) hin dieser Bescheid zugunsten des Steuerpflichtigen geändert wird, wird
die Änderung von Amts wegen auch im Folgebescheid umgesetzt, § 175 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 AO. Das Prinzip des § 351 Abs. 2 AO gilt auch umgekehrt: Unabhängige
Entscheidungen in einem Folgebescheid können nur durch Anfechtung dieses
Bescheids, nicht auch durch Anfechtung des Grundlagenbescheids angegriffen werden.
Der Betroffene muss stets den Bescheid anfechten, durch dessen verantwortliche und
verbindliche Regelung er betroffen und beschwert ist (Tipke in Tipke/Kruse, AO und
FGO, § 351 AO Tz. 45).
Für die Einkommen- und Kirchensteuerfestsetzung folgt aus § 351 Abs. 2 AO, dass
Entscheidungen und verbindliche Regelungen im Einkommensteuerbescheid nur durch
Einspruch gegen diesen Bescheid angegriffen werden können (und müssen). Das stellt
§ 14 Abs. 6 Satz 1 KiStG nochmals klar; derartige Einwendungen sind in einem
Rechtsbehelfsverfahren gegen den Kirchensteuerbescheid "unzulässig".
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Die hier vom Kläger erhobenen Einwendungen gegen die Berechnung der
Bemessungsgrundlage nach § 51a Abs. 2 EStG sind davon allerdings nicht betroffen.
Insoweit ist das Begehren nicht durch Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid
zu verfolgen, sondern - entsprechend der Grundregel des § 14 Abs. 1 KiStG - gegen den
Kirchensteuerbescheid geltend zu machen. Die Feststellung der Bemessungsgrundlage
für Zwecke der Berechnung der Kirchensteuer (hier unter Einbeziehung der nicht um
Verlustvorträge gekürzten Halbeinkünfte) stellt keine selbstständige und verbindliche
Regelung innerhalb des Einkommensteuerbescheids dar. Mit dem
Einkommensteuerbescheid wird über das Bestehen eines bestimmten
Einkommensteueranspruchs entschieden; die Regelungswirkung dieses
Steuerbescheides nach § 157 Abs. 1 AO als Verwaltungsakt i.S.von § 118 AO besteht in
der Festsetzung der Steuer, § 155 Abs. 1 Satz 1 AO. Demgegenüber bildet die
Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 157 Abs. 2 AO einen mit
Rechtsbehelfen grundsätzlich nicht selbstständig anfechtbaren Teil; eine Ausnahme
besteht nur bei gesonderter Feststellung der Besteuerungsgrundlagen. Damit sind
Besteuerungsgrundlagen regelmäßig nur unselbstständige Bestandteile des
Bescheides, die keine selbstständige und verbindliche Regelung darstellen und damit
nicht als "Entscheidung" - etwa i.S. von § 351 Abs. 2 AO - einzuordnen sind. Zu diesen
(unselbstständigen) Besteuerungsgrundlagen gehören nach allgemeiner Auffassung
etwa die der Einkommensteuerfestsetzung zugrunde gelegten Einkünfte,
Sonderausgaben, Freibeträge etc. des Steuerpflichtigen. Gleiches gilt hier für die
Bestimmung der Bemessungsgrundlage nach § 51a EStG; auch insoweit liegt keine
selbstständige und verbindliche Regelung vor - und erst recht keine gesonderte
Feststellung nach § 157 Abs. 2 2. Halbs. AO - , sondern eine unselbstständige
Berechnung ohne bindende Außenwirkung. Ebenso wie etwa die Darstellung der
Einkünfte, Sonderausgaben und sonstigen Besteuerungsgrundlagen die Berechnung
der mit Einkommensteuerbescheid festzusetzenden Einkommensteuer erläutert, zeigt
die Berechnung der Bemessungsgrundlage unter der Rubrik "Berechnung der
Kirchensteuer" die Verhältnisse auf, die für die Bemessung der Kirchensteuer
maßgebend sind (vgl. insoweit die Legaldefinition der Besteuerungsgrundlagen in § 199
Abs. 1 AO).
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Damit folgt aus § 14 Abs. 6 Satz 1 KiStG selbst bei Auslegung der Vorschrift in
Anlehnung an § 351 Abs. 2 AO nicht, dass Einwendungen gegen die
Bemessungsgrundlage bei der Kirchengemeinde "unzulässig" sind und stattdessen -
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abweichend von der Grundregel - mit dem Einspruch gegen den
Einkommensteuerbescheid bei der Finanzbehörde geltend zu machen sind; die
Berechnung nach § 52a EStG erfüllt mangels selbstständigen Regelungscharakters
nicht den Begriff der "Maßstabsteuer" i.S. von § 14 Abs. 6 Satz 1 KiStG.
Eine derartige Auslegung ist im Übrigen auch deshalb nicht möglich, weil die
Feststellung der Bemessungsgrundlage - unabhängig davon, dass sie nicht den
Charakter einer selbstständigen und verbindlichen Regelung hat - nicht einmal
(unselbstständiger) Bestandteil des Einkommensteuerbescheides ist, sondern materiell
dem Kirchensteuerbescheid angehört. Die Berechnung nach § 51a Abs. 2 EStG fällt im
rechtlichen Sinne nicht in die Zuständigkeit der Finanzbehörde, sondern gehört zum
Aufgabenbereich der Kirche. Die Vorschrift des § 51a EStG hat, weil es sich um eine
bundesgesetzliche Regelung handelt, für die Kirchensteuern unmittelbar keine
Bedeutung. Jedoch hat der Landesgesetzgeber die Regelung des § 51a EStG in das
Kirchensteuerrecht des Landes übernommen, indem § 4 Abs. 2 Satz 1 KiStG bestimmt,
dass vor Berechnung der Kirchensteuer die Einkommensteuer nach Maßgabe des §
51a EStG zu ermitteln ist. Zwar hat hier im Steuerbescheid der Beklagte, nicht die
Kirchenbehörde, die Berechnung nach § 51a Abs. 2 EStG durchgeführt und dargelegt;
insoweit ist er indes - ebenso wie bei der Kirchensteuerfestsetzung selbst - im Auftrag
der Kirchenverwaltung tätig geworden (vgl. § 9 KiStG); die Berechnung ist der
Kirchenbehörde als eigene zuzurechnen.
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Die vom Beklagten angenommene Zuständigkeit der Finanzverwaltung für
Einwendungen gegen die Berechnung der Bemessungsgrundlage ergibt sich auch nicht
aus § 51a Abs. 5 Satz 1 EStG. Nach dieser Bestimmung kann mit einem Rechtsbehelf
gegen die Zuschlagsteuer weder die Bemessungsgrundlage noch die Höhe des zu
versteuernden Einkommens angegriffen werden. Die Vorschrift ist nicht etwa dahin zu
verstehen, dass Einwendungen gegen die Berechnung nach § 51a Abs. 2 EStG nicht
bei der Kirchenbehörde anzubringen wären. Eine derartige Folge ergibt sich aus dieser
Regelung schon deshalb nicht, weil es sich um ein Bundesgesetz handelt und dieses
daher für die Kirchen unmittelbar keine Anwendung findet; aus der - an seiner Stelle - im
Kirchensteuerrecht getroffenen Bestimmung des § 14 Abs. 6 KiStG ist eine solche
Folgerung - wie dargelegt - gerade nicht zu ziehen. Zudem hat § 51a Abs. 5 EStG
lediglich deklaratorische Bedeutung (vgl. Pust in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 51a Rdn.
176); sie gibt nur die sich schon aus § 351 Abs. 2 AO ergebenden Rechtsfolgen wieder.
Die dort ausgesprochene Beschränkung auf Rechtsbehelfsmöglichkeiten gegen den
Grundlagenbescheid (Einkommensteuerbescheid) gilt nur, soweit die festgesetzte
Einkommensteuer nach der gesetzlichen Regelung auch tatsächlich
Bemessungsgrundlage der Zuschlagsteuer ist. Soweit die Einkommensteuer bzw. das
zu versteuernde Einkommen für Zwecke der Zuschlagsteuer verändert wird - etwa beim
Ausscheiden der Wirkung des Halbeinkünfteverfahrens -, erfolgt das außerhalb der
Bindung an die Maßstabsteuer und des Verhältnisses von Grundlagen- und
Folgebescheid. Insoweit erfolgt die Entscheidung (erst) im Bescheid über die
Festsetzung der Kirchensteuer, so dass über Streitigkeiten hinsichtlich der Vornahme
solcher Veränderungen der Bemessungsgrundlage nur nach Anfechtung dieses
Bescheides entschieden werden kann (vgl. Frotscher, EStG, § 51a Rdn. 40; Pust in
Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 51a Rdn. 176; Schlief in Kirchhof/Söhn, EStG, § 51a Rdn. A
43). Der Auffassung des 18. Senats dieses Gerichts, dass Einwendungen gegen die für
Zwecke der Kirchensteuer vorgenommene Änderung der Bemessungsgrundlage nach §
51a Abs. 1 Satz 1 EStG (Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen ungeachtet der Höhe
des Kindergeldes) gegen den Einkommensteuerbescheid geltend zu machen sind
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(Urteil vom 14. Januar 2000 18 K 5985/98 E, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG-
2000, 439), schließt sich der erkennende Senat nicht an; der 18. Senat ist
stillschweigend davon ausgegangen, dass die Berechnung der Bemessungsgrundlage
nach § 51a EStG den Charakter eines Grundlagenbescheids hat und eine
selbstständige und verbindliche Regelung darstellt.
Der Senat verkennt nicht, dass gewichtige Gründe dafür sprechen mögen, die
Überprüfung der Bemessungsgrundlage nach § 51a EStG den Finanzbehörden zu
übertragen. So lange es hierzu aber an einer verfahrensrechtlichen
Übertragungsregelung im KiStG fehlt, sieht sich der Senat sowohl durch den derzeitigen
Gesetzeswortlaut als auch durch die aufgezeigten verfahrensrechtlichen
Systemzusammenhänge daran gehindert, zu diesem Ergebnis zu gelangen.
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Insgesamt verbleibt es damit bei der Grundregel des § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1
KiStG, dass über die hier vom Kläger geltend gemachten Einwendungen die
Kirchenbehörde zu entscheiden hat. Da der Kläger bisher nur beim Beklagten
Einspruch eingelegt hat, müsste er, um seine Einwendungen gegenüber der
zuständigen Kirchen-Behörde wirksam verfolgen zu können, dort eine
Einspruchseinlegung nachholen. Möglicherweise wäre ein solcher Rechtsbehelf gegen
den Kirchensteuerbescheid vom 22. Februar 2005 auch noch zulässig. Zwar ist seit der
Bekanntgabe des Bescheides deutlich mehr als ein Monat vergangen und damit die
regelmäßige Rechtsbehelfsfrist nach § 355 Abs. 1 Satz 1 AO verstrichen. Diese Frist
greift hier indes nicht ein, weil der Beklagte eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung
erteilt hatte. Im Steuerbescheid hatte er belehrt, dass ein Einspruch gegen die
Festsetzung der Kirchensteuer in den Fällen, in denen sich der Steuerpflichtige gegen
die Höhe der Bemessungsgrundlage wende, beim Finanzamt und in allen anderen
Fällen bei der Kirchenbehörde einzulegen sei; diese Belehrung war indes unrichtig, weil
- wie oben dargelegt - die Berechnung der Bemessungsgrundlage tatsächlich Teil des
Kirchgeldbescheides ist und der hiergegen gerichtete Einspruch bei der
Kirchenbehörde einzulegen und von dieser zu bescheiden ist. Eine unrichtige
Rechtsbehelfsbelehrung bewirkt nach § 356 Abs. 2 Satz 1 AO zunächst, dass die
Einlegung eines Einspruchs binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Bescheides
zulässig ist. Die zeitliche Grenze der Jahresfrist - die hier ebenfalls bereits verstrichen ist
- gilt allerdings nach § 356 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. AO nicht, wenn die
Rechtsbehelfseinlegung innerhalb dieses Zeitraums infolge höherer Gewalt unmöglich
war; der Begriff der höheren Gewalt erfasst hier auch Fälle, in denen der Steuerpflichtige
durch das Verhalten einer Behörde davon abgehalten wird, eine Frist zu wahren
(Beschluss des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 28. Oktober 2004 III R 53/03, Sammlung
amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2005, 374). Eine
solche Fallgestaltung könnte hier vorliegen; möglicherweise ist der Kläger durch die
Rechtsbehelfsbelehrung im Einkommen- und Kirchensteuerbescheid von einer
Einspruchseinlegung bei der Kirchenbehörde abgehalten worden. Sollte der Kläger den
Einspruch bei der zuständigen Kirchenbehörde nachholen wollen, wird er die
Anforderungen nach §§ 356 Abs. 2 Satz 2, 110 Abs. 2 AO - insbesondere die dort
geregelte Frist - zu beachten haben. Anschließend, nach Durchführung dieses
Rechtsbehelfsverfahrens, besteht ggf. die Möglichkeit der Erhebung einer zulässigen
Klage.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 137 Satz 2 FGO. Zwar hat der Beklagte obsiegt,
jedoch beruhen die Verfahrenskosten auf der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung und
der Durchführung des falschen Vorverfahrens (vgl. BFH-Urteil vom 27. September 1994
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VIII R 36/89, BFHE 176, 289, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1995, 353; Tipke/Kruse, AO
und FGO, § 137 FGO Tz. 8). Der Kläger ist vom Beklagten mit dem Bescheid
rechtsfehlerhaft dahin belehrt worden, dass Einwendungen gegen die der
Kirchensteuerfestsetzung zugrunde gelegte Bemessungsgrundlage beim Beklagten
anzubringen seien. Hierdurch ist der Kläger zur Einleitung des "falschen" Vorverfahrens
und anschließend zur Erhebung der unzulässigen Klage veranlasst worden.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, §
115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
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