Urteil des FG Düsseldorf vom 18.05.2004

FG Düsseldorf (Prozessvertreter, Einspruch, Zugang, Behörde, Post, Steuerberater, Verwaltungsakt, Beweislastumkehr, Schriftstück, Original)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Düsseldorf, 6 K 2695/02 K
18.05.2004
Finanzgericht Düsseldorf
6. Senat
Urteil
6 K 2695/02 K
Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 18.04.2002 und des
Ablehnungsbescheides vom 01.03.2002 wird der Beklagte verpflichtet,
über den Einspruch vom 09.06.2000 unter Berücksichtigung der
Rechtsauffassung des Gerichtes zu entscheiden.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Gründe:
Die Klägerin ist eine GmbH, die auf dem Gebiet der "C" tätig ist. Weil die Klägerin die
Steuererklärungen 1998 nicht abgab, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen,
setzte am 07.06.2000 die Körperschaftsteuer für 1998 und stellte das verwendbare
Eigenkapital gemäß § 47 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz - KStG - zum 31.12.1998
entsprechend fest. Gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1998 legte der vormalige
steuerliche Berater der Klägerin am 09.06.2000 Einspruch ein.
Während des Einspruchsverfahrens änderte der Beklagte den angefochtenen
Körperschaftsteuerbescheid 1998 sowie die Feststellung des verwendbaren Eigenkapitals
zum 31.12.1998. Gegen beide Änderungsbescheide legte der Prozessvertreter für die
Klägerin Einspruch ein. Weil die Steuererklärungen auch im Einspruchsverfahren nicht
abgegeben wurden, wies der Beklagte den Einspruch gegen den
Körperschaftsteuerbescheid 1998 mit Entscheidung vom 06.02.2001 als unbegründet
zurück. Diese Einspruchsentscheidung wurde am 06.02.2001 mit einfachem an die
Geschäftsanschrift des Prozessvertreters adressierten Brief zur Post gegeben.
Mit Entscheidung vom 06.06.2001 wies der Beklagte auch den Einspruch gegen die
Feststellung des verwendbaren Eigenkapitals zum 31.12.1998 als unbegründet zurück. Am
07.06.2001 gingen bei dem Beklagten die Steuererklärungen für 1998 ein. Am 15.06.2001
rief ein Mitarbeiter des Prozessvertreters den zuständigen Sachbearbeiter bei dem
Beklagten an und wies darauf hin, dass die Steuererklärungen 1998 dem Beklagten bereits
seit geraumer Zeit vorlägen. Der Mitarbeiter des Beklagten erwiderte daraufhin, dass
bereits am 06.02.2001 eine Einspruchsentscheidung ergangen sei, woraufhin der
Mitarbeiter des Prozessvertreters erklärte, von einer solchen Entscheidung keine Kenntnis
zu haben. Mit Schreiben vom gleichen Tag erklärte der Prozessvertreter, dass ihm eine
frühere Einspruchsentscheidung als die vom 06.06.2001 betreffend den Bescheid gemäß §
47 Abs. 1 KStG zum 31.12.1998 nicht vorliege. Daraufhin forderte der Beklagte den
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Prozessvertreter auf, das Posteingangsbuch und Fristenkontrollbuch im Original
vorzulegen. Weil der Prozessvertreter die angeforderten Unterlagen nicht vorlegte, forderte
der Beklagte ihn förmlich auf, das Posteingangsbuch und Fristenkontrollbuch im Original
vorzulegen. Gegen diese Aufforderung legte der Prozessvertreter erfolglos Einspruch ein.
In einem sich anschließenden Klageverfahren (FG Düsseldorf 18 K 6556/01 AO) erklärten
zwei Mitarbeiter des Prozessvertreters schriftlich gegenüber dem Finanzgericht, dass in der
Praxis des Prozessvertreters kein Posteingangsbuch und kein Fristenkontrollbuch geführt
werde. Darauf hob der Beklagte die Aufforderung zur Vorlage der genannten Bücher auf.
Den Eingang der Körperschaftsteuererklärung 1998 wertete der Beklagte als Antrag auf
Änderung der Steuerfestsetzung, den er mit Bescheid vom 01.03.2002 unter Hinweis auf
die seiner Auffassung nach bestandskräftige Einspruchsentscheidung vom 06.02.2001
ablehnte. Der Beklagte war der Ansicht, der Prozessvertreter habe den Zugang der
Einspruchsentscheidung nicht substantiiert bestritten. Es könne daher sein, dass die
Einspruchsentscheidung zugegangen und dann verlegt, vernichtet oder sonst wie
abhanden gekommen oder unauffindbar sei. Mit dem gegen die Ablehnung gerichteten
Einspruch machte der Prozessvertreter geltend, die Einspruchsentscheidung sei bei ihm
nicht eingegangen. Anstelle eines Fristenkontrollbuchs werde in seiner Praxis eine
Fristenmappe geführt, wodurch die Überwachung von Terminen gewährleistet werde;
allerdings auch nur dann, wenn die Schriftstücke ihm tatsächlich zugegangen seien. Mit
Einspruchsentscheidung vom 18.04.2002 wies der Beklagte den Einspruch als
unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, zwar habe die Behörde grundsätzlich
den Zugang des Verwaltungsaktes nachzuweisen. Angesichts der hohen
Wahrscheinlichkeit, dass ein abgesandtes Schriftstück seinen Empfänger auch erreiche,
könnten bestimmte Verhaltensweisen des Steuerpflichtigen dazu führen, dass im Wege
einer freien Beweiswürdigung von einem Zugang des Verwaltungsaktes ausgegangen
werden müsse. Hätte der Prozessvertreter ein Posteingangsbuch oder ein
Fristenkontrollbuch geführt, wäre ihm ein substantiiertes Bestreiten des Zugangs möglich
gewesen. Führe ein Steuerberater, obwohl er hierzu verpflichtet sei, kein
Posteingangsbuch und kein Fristenkontrollbuch, könne er sich nicht darauf zurückziehen,
es sei nicht möglich festzustellen, dass ihm ein Schriftstück zugegangen sei. Er müsse sich
die Folgen dieser Pflichtverletzung zurechnen lassen.
Mit der dagegen erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, der Prozessvertreter habe
die Einspruchsentscheidung nicht erhalten. Der Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass
die Einspruchsentscheidung ordnungsgemäß bekannt gegeben worden wäre.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist für die Klägerin niemand erschienen.
Schriftsätzlich beantragt die Klägerin sinngemäß,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 18.04.2002 und des
Ablehnungsbescheides vom 01.03.2002 den Beklagten zu verpflichten, über den
Einspruch vom 09.06.2000 zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung. Darüber hinaus ist er der
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Ansicht, dass im Falle einer ordnungsgemäßen Büroorganisation des Steuerberaters der
Nachweis des Nichtzugangs des fraglichen Schriftstücks durch Vorlage des
Fristenkontrollbuchs sehr wohl möglich gewesen wäre. Dem Beklagten wäre der Nachweis
möglich gewesen, indem er den Prozessvertreter zur Vorlage des Fristenkontrollbuchs
aufgefordert hätte. Zur Vorlage sei dieser auch verpflichtet. Wenn dieser grundsätzlich
mögliche Nachweis daran scheitere, dass der Prozessvertreter entgegen seiner
Verpflichtung ein Fristenkontrollbuch nicht führe, müsse die Finanzbehörde vom strengen
Nachweis des Zugangs des fraglichen Schriftstücks entbunden werden. Dem
Beweisverderber bzw. dem Beweisvereitler sollten keine Vorteile aus seinem Tun
erwachsen.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der den Änderungsantrag ablehnende Bescheid vom 01.03.2002 und die
Einspruchsentscheidung vom 18.04.2002 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in
ihren Rechten.
Eine Änderung des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheides 1998 war aufgrund des
noch laufenden Einspruchsverfahrens noch möglich (§ 367 Abs. 2 Abgabenordnung - AO -
). Das mit Einspruch vom 09.06.2000 eröffnete Einspruchsverfahren über den
Körperschaftsteuerbescheid 1998 ist nicht durch Bekanntgabe einer
Einspruchsentscheidung beendet worden.
Die Einspruchsentscheidung vom 6.02.2001 ist der Klägerin, bzw. deren Vertreter, nicht
bekanntgegeben worden. Nach § 122 Abs. 2 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der
per Post übermittelt wird, als am dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben.
Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes nachzuweisen (§ 122 Abs. 2
AO).
Die Klägerin hat den Zugang der Einspruchsentscheidung vom 6.02.2001 bestritten. Der
Beklagte hat den ihm obliegenden Nachweis des Zugangs nicht zu führen vermocht.
Zu den in Betracht kommenden objektiven Beweismitteln für den Zugang einer
Einspruchsentscheidung gehören zwar insbesondere die Eintragung des
Eingangszeitpunktes in ein Posteingangsbuch und der Vermerk des hieraus sich
ergebenden Fristendes in ein Fristenkontrollbuch. Solche Beweismittel konnten aber nicht
vorgelegt werden, weil sie im Streitfall nicht existieren. Der Prozessvertreter hat
unwidersprochen dargelegt, dass er weder ein Posteingangsbuch noch ein
Fristenkontrollbuch führt.
Die vom Beklagten geltend gemachte Beweislastumkehr in Fällen, in denen ein
Steuerberater ein Posteingangsbuch bzw. Fristenkontrollbuch nicht führt, findet keine
Stütze im Gesetz. Dort (§ 122 Abs. 2 AO) ist der Nachweis des Zugangs der Behörde
auferlegt worden. Der Prozessbevollmächtigte ist nicht verpflichtet, Aufzeichnungen zu
führen, um der Behörde diesen Zugangsnachweis zu ermöglichen.
Aber auch aus der Notwendigkeit, ein Fristenkontrollbuch oder ein Posteingangsbuch zu
führen, um gegebenenfalls die Beachtung einer Frist nachzuweisen, lässt sich keine
Beweislastumkehr begründen. Ein Berater oder Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, ein
Posteingangsbuch zu führen, um seiner Verpflichtung an eine ordnungsgemäße
Büroorganisation zu genügen (Finanzgericht Baden-Württemberg Urteil vom 12.07.2000 2
K 98/99 Juris Nr: STRE200171146). Er muss wegen der verfahrensrechtlichen Bedeutung
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von Fristen aber dafür Sorge tragen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig
hergestellt und innerhalb der Frist bei der zuständigen Behörde bzw. dem zuständigen
Gericht eingereicht wird. Eine Möglichkeit hierzu ist die Führung von Posteingangs- und
Fristenkontrollbüchern. Daher führt ein Berater regelmäßig ein Fristenkontroll- bzw.
Posteingangsbuch, um Fristen, die er zu beachten hat, zu verfolgen und deren Beachtung
im Zweifel nachweisen zu können. Solche Aufzeichnungen sind nämlich geeignet, einen
von gesetzlichen Vermutungen abweichenden Fristbeginn, die Beachtung einer Frist oder
Wiedereinsetzungsgründe glaubhaft zu machen. Das Fehlen solcher Aufzeichnungen
kann, ebenso wie andere Organisationsmängel, dazu führen, dass ein Berater sich bei
einer Fristversäumung nicht zu entschuldigen vermag und eine Wiedereinsetzung nach
den Grundsätzen des § 56 Finanzgerichtsordnung - FGO - nicht gewährt werden kann (vgl.
z.B. Bundesfinanzhof - BFH - Urteile vom 7. August 1970 VI R 24/67, Bundessteuerblatt -
BStBl - II 1970, 814, vom 5. November 1998 I R 90/97, Sammlung nicht amtlich
veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1999, 512-513, vom 17. Februar 1993
VIII R 61/91, BFH/NV 1993, 614). Eine Auswirkung auf die Verpflichtung der Behörde, den
Zugang eines Verwaltungsaktes im Zweifel nachzuweisen, haben solche
Organisationsmängel aber nicht. Sie können allenfalls Indizien für einen Zugang
verstärken. Der Nachweis des Zugang ist aufgrund von Indizien möglich (BFH Urteil vom
15. September 1994 XI R 31/94, BStBl II 1995, 41). Indizien, die indessen für einen Zugang
der Einspruchsentscheidung sprechen, hat der Beklagte nicht vorgetragen und sind auch
sonst wie nicht erkennbar. Insbesondere lassen sich aus dem Verhalten des
Prozessvertreters keine Anhaltspunkte gewinnen, die darauf hinweisen könnten, er habe
die Einspruchsentscheidung vom 06.02.2001 tatsächlich erhalten.
Es sind keine Gründe erkennbar, die - wie der Beklagte fordert - eine Abweichung von der
gesetzlichen Verteilung der Feststellungslast zu Lasten des Steuerpflichtigen rechtfertigen
könnten, wenn der Steuerpflichtige einen Berater als Empfangsbevollmächtigten benannt
hat. Zu einer Lockerung der gesetzlichen Voraussetzungen, wie vom Beklagten begehrt,
besteht kein Anlass, denn die Behörde hat --worauf bereits auch das BFH-Urteil in BFHE
156, 66, BStBl II 1989, 534 hinweist-- die Möglichkeit, den Verwaltungsakt förmlich
zuzustellen oder die Form des Einschreibens mit Rückschein zu wählen (BFH in BStBl II
1995, 41).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat
und eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich ist (§ 115 Abs. 2 FGO).