Urteil des FG Düsseldorf vom 09.03.2004

FG Düsseldorf (Unerlaubte Handlung, Gesetzlicher Vertreter, Steuerhinterziehung, Einspruch, Aktionär, Subjektiv, Beihilfe, Einfluss, Vermögensschaden, Einkünfte)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Düsseldorf, 9 K 2666/03 E
09.03.2004
Finanzgericht Düsseldorf
9. Senat
Urteil
9 K 2666/03 E
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Ehegatten. Der Kläger war in
den Jahren 1984 bis 1988 Aktionär und alleiniges Vorstandsmitglied der "A" AG. Die AG
hatte mit Kenntnis und Billigung des Klägers für eine Vielzahl von Gaststätten und andere
Kunden unter fiktiven Namen Phantomkonten eingerichtet. Über diese Konten wurden
Getränkelieferungen verbucht. Die Abnehmer hatten die hierüber erfolgten Wareneinkäufe
nicht aufgezeichnet und ihre hierauf entfallenden Betriebseinnahmen nicht erfasst.
Mit Haftungsbescheid des Finanzamtes "B" vom 15. Februar 1995 wurde der Kläger gem. §
71 AO u.a. für Einkommensteuerschulden des Gastwirts P. in Höhe von 59.033,78 DM in
Anspruch genommen. Dieser Bescheid wurde auf den Einspruch des Klägers mit Bescheid
vom 15. Mai 1997 geändert und die Haftungssumme auf 58.082,02 DM reduziert. Der
Kläger hatte bereits am 23. Juni 1995 einen Gesamtbetrag von 59.033,78 DM zzg.
Vollstreckungskosten von 360 DM gezahlt.
Der Kläger beantragte bei seiner Einkommensteuerveranlagung für 1995 den Betrag von
59.393 DM - sowie weiterer 1.007 DM aus einer weiteren Inanspruchnahme als Haftender -
bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Der Beklagte folgte dem nicht und setzte die für 1995 geschuldete Einkommensteuer auf 0
DM fest. Der Gesamtbetrag der Einkünfte betrug nach dem Bescheid vom 31. Oktober 1996
./. 16.132 DM, wovon auf den Kläger 8.377 DM und auf die Klägerin 7.755 DM entfielen.
Der Beklagte trug diese Beträge mit Einkommen-steuerbescheid vom 2. Mai 1997 in das
Jahr 1993 zurück.
Der Kläger erhob am 9. Mai 1997 Einspruch und trug u.a. vor, die Aufwendungen auf den
Haftungsbescheid stellten Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger
Arbeit dar. Er sei als Organ der AG in Haftung genommen worden; hieraus ergebe sich die
berufliche Veranlassung. Mit Einspruchsentscheidung vom 11. April 2003 wies der
Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Er führte aus, die Zahlungen seien keine
Werbungskosten, weil es an einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der beruflichen
Tätigkeit des Klägers fehle. Das auslösende Moment der Zahlungen, die
Haftungsbescheide, seien nicht der einkommensteuerlich relevanten Erwerbssphäre
zuzuordnen. Die Haftungsschulden hätten weder dem Grunde noch der Höhe nach
Einfluss auf die Einnahmen des Klägers aus seiner Vorstandstätigkeit. Die Mittäterschaft an
den Steuerhinterziehungen stünden auch nicht in einem wirtschaftlichen Zusammenhang
mit der beruflichen Tätigkeit.
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Der Kläger hat am 12. Mai 2003 Klage erhoben zu deren Begründung er sein bisheriges
Vorbringen wiederholt und vertieft. Ergänzend trägt er vor, auch schuldhaft veranlasste
Aufwendungen seien als Werbungskosten zu berücksichtigen. Im Verhältnis zwischen
Aufwendungen und Einnahmen reiche das Veranlassungsprinzip aus; die subjektive
Absicht sei kein notwendiges Merkmal. Es komme auch nicht darauf an, nach welcher
haftungsrechtlichen Vorschrift der Kläger in Anspruch genommen worden sei. Der Kläger
sei als Beteiligter an den Steuerhinterziehungen nicht als Privatmann tätig geworden.
Durch die Schwarzgeschäfte der Kunden habe sich die wirtschaftliche Situation der AG
erheblich verbessert, weil hierdurch Geschäfte getätigt wurden, die ansonsten nicht getätigt
worden wären. Der erheblich vergrößerte Umsatz habe sich im Gewinn der Brauerei
niedergeschlagen. Der Kläger habe hiervon als Aktionär profitiert, wie auch bei seinen
Vorstandsbezügen. Diese Einnahmen seien unabhängig davon gewesen, auf welche Art
sie erzielt worden waren. Ein schuldhafter Verstoß gegen Rechtsvorschriften mache eine
Handlung und die damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen nicht zu einer
privaten Zwecken dienenden Handlung. So habe etwa die Beihilfe eines Arbeitnehmers
zur Lohnsteuerhinterziehung und das Entstehen eines Haftungsanspruchs nichts mit der
privaten Lebensführung zu tun. Der Kläger habe im Zusammenhang mit seiner Haftung drei
finanzgerichtliche Verfahren geführt, die er allesamt gewonnen habe. Der
Haftungsbescheid vom 15. Mai 1997 sei nach einem entsprechenden Hinweis des FG Köln
in dem Verfahren 6 K 5710/99 mit Bescheid vom 24. April 2003 aufgehoben worden.
Mit Haftungsbescheid vom 3. Dezember 2003 hat das Finanzamt "B" einen
Haftungsbescheid gem. § 71 AO gegen den Kläger als Haftender für Steuerschulden des
Gastwirts P. in Höhe von 10.630 EUR (20.790,47 DM) erlassen.
Die Kläger beantragen schriftsätzlich sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid für 1993 zu ändern und im Wege
eines Verlustrücktrags aus dem Jahre 1995 weitere Werbungskosten in Höhe von 10.630
EUR zu berücksichtigen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, es sei von Bedeutung, auf welche Vorschrift sich die Inanspruchnahme
als Haftender stütze. Der Kläger sei gerade nicht als gesetzlicher Vertreter der AG wegen
Verletzung der Pflichten gem. §§ 69, 34 AO in Anspruch genommen worden. Vielmehr sei
die Inanspruchnahme nach § 71 AO als Gehilfe einer Steuerhinterziehung erfolgt. Der
Kläger sei vom Amtsgericht "C" wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 19 Fällen
rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Dieser
Haftungsgrund beinhalte nicht zwingend eine wirtschaftliche Veranlassung der
Aufwendungen des Klägers als Vorstandsmitglied. Wie der BFH zu Haftungs-, Bürgschafts-
und Schadensersatzzahlungen eines Arbeitnehmers entschieden habe, setze ein nur
ausnahmsweise in Betracht kommender Werbungskostenabzug voraus, dass die
Aufwendungen nachweislich in erster Linie aus beruflichen Interessen gemacht worden
seien. Es genüge nicht jede Beziehung zu den Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit.
Vielmehr müssten die Aufwendungen entweder durch die nicht gehörige Erfüllung der
übertragenen Aufgaben entstanden sein, oder mit der sich aus dem Arbeitsverhältnis
ergebenden Tätigkeit in einem durch die Art der Tätigkeit bedingten Zusammenhang
stehen. Diese Voraussetzungen seien nicht nachgewiesen. Zwar sei eine Verbesserung
der wirtschaftlichen Situation der AG durch die Schwarzgeschäfte möglich, jedoch nicht
nachgewiesen. Ebenso sei nicht nachgewiesen, welchen Einfluss auf die Einkünfte aus
nichtselbstständiger Arbeit diese Geschäfte gehabt haben. Jedenfalls stünde nach dem
eigenen Vortrag des Klägers die Steuerhinterziehung nicht nur mit den Einkünften aus
nichtselbstständiger Arbeit in Zusammenhang, sondern auch mit seiner Stellung als
Aktionär. Schließlich sei die Haftungsschuld gem. § 12 EStG als zu den Kosten der
privaten Lebensführung gehörig, nicht abziehbar, weil der Kläger sich bewusst an den
Steuerhinterziehungen durch Dritte beteiligt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
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Gerichtsakte und der vom Beklagten vorgelegten Steuerakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der Einkommensteuerbescheid für 1993 ist rechtmäßig und
verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -
FGO) Der Beklagte hat zu Recht die Zahlungen auf den Haftungsbescheid nicht als
Werbungskosten aus nichtselbständiger Tätigkeit berücksichtigt.
Werbungskosten i. S. d. § 9 EStG sind alle Aufwendungen, die durch die Erzielung von
steuerpflichtigen Einnahmen veranlasst sind. Eine solche Veranlassung liegt im Falle der
Erzielung von Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit jedoch nur dann vor, wenn objektiv
ein Zusammenhang mit der auf Einnahmeerzielung gerichteten beruflichen Tätigkeit
besteht und subjektiv die Aufwendungen zur Förderung dieser steuerlich relevanten
Tätigkeit gemacht werden (vgl. Schmidt-Drenseck, § 9 EStG, Anm. 2 d, m. w. N.). Für
Haftungs-, Schadensersatz- und Bürgschaftszahlungen eines Arbeitnehmers kommt zudem
ein Wk-Abzug ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn die Aufwendungen
nachweislich in erster Linie in beruflichem Interesse gemacht wurden (vgl. BFH, Urteil vom
09. Februar 1993 - VIII R 83/91, BFH-NV 1993, S. 644 f. a. E., m. w. N.). Es kann
dahinstehen, ob ein objektiver Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit des
Klägers und den geleisteten Aufwendungen besteht. Ebenfalls braucht nicht entschieden
zu werden, ob ein Steuerpflichtiger, der auf derartige Haftungsverpflichtungen zahlt, die von
ihm geleisteten Zahlungen subjektiv zur Förderung seiner beruflichen Tätigkeit erbracht hat
(ablehnend: Finanzgericht Münster, 11 K 2448/94 E, EFG 1996, 742, nicht rechtskräftig, Az.
des BFH VI R 35/96). Selbst wenn dies zu Gunsten des Klägers angenommen werden
kann, so können solche Zahlungen nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus
nichtselbstständiger Arbeit abgezogen werden, weil dies dem Zweck des § 71 AO
widerspricht.
Diese Bestimmung hat - wie der Bundesfinanzhof bereits ausgeführt hat (Urteile vom 5.
September 1989 VII R 61/87 BFHE 158, 13, BStBl II 1989, 979 und vom 26.02.1991 - VII R
3/90, BFH/NV 1991, 504) - ihrer Rechtsnatur nach Schadensersatzcharakter. Schon der
Reichsfinanzhof (RFH) hatte zu § 112 AO als der Vorgängervorschrift des § 71 AO 1977
ausgeführt, dass durch diese Bestimmung eine Haftung desjenigen begründet werden
sollte, der nicht zum eigenen, sondern zum Vorteil des Steuerschuldners eine
Steuerhinterziehung als Täter oder Teilnehmer begangen hatte. Es sollte ein selbständiger
Verpflichtungsgrund für die Zahlung der verkürzten, hinterzogenen Steuereinnahmen
geschaffen und für denjenigen, der eine unerlaubte Handlung begangen hat, eine
Schadenersatzpflicht in Höhe der verkürzten, hinterzogenen Beträge begründet werden
(RFH Urteil vom 7. Oktober 1936 IV A 86/36, RFHE 40, 118, 120 f.). Die Haftung gemäß §
71 AO 1977 soll allein den durch die Hinterziehungshandlung verursachten
Vermögensschaden des Fiskus ausgleichen (vgl. BFH Urteile vom 26. August 1992 VII R
50/91, BFHE 169, 13, BStBl II 1993, 8 m.w.N.; vom 22. Juli 1993 VI R 116/90, BFHE 171,
547, BStBl II 1993, 775 und vom 13. Juli 1994 - I R 112/93, BStBl II 1995, 198). Dieser
Zweck würde unterlaufen, wenn der Haftende Zahlungen auf seine Haftungsschuld bei
seiner eigenen Einkommensteuer als Werbungskosten geltend machen könnte. In Höhe
der hierdurch eintretenden Steuerermäßigung bliebe es bei einem Vermögensschaden des
Fiskus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung und auf Grund der Tatsache, dass seit
1996 beim Bundesfinanzhof eine Revisionsverfahren (Az.: VI R 35/96) gegen das Urteil
des Finanzgerichtes Münster anhängig ist, die Revision zugelassen.