Urteil des FG Düsseldorf vom 31.07.2003

FG Düsseldorf (Stadt, Verfassungsbeschwerde, Fahrtkosten, Belastung, Behandlung, Trennung, Eugh, Staat, Bedürftigkeit, Anerkennung)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Düsseldorf, 16 K 6207/01 E
31.07.2003
Finanzgericht Düsseldorf
16. Senat
Urteil
16 K 6207/01 E
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
In dem Verfahren macht der Kläger nachfolgende Kosten steuermindernd geltend:
1. Kosten der gütlichen Einigung in Höhe von 618,88 DM.
Der Kläger lebt von seiner Ehefrau seit dem 15.8.1996 dauernd getrennt und wohnte im
Streitzeitraum in Hessen. Die Ehefrau lebte in "F-Stadt". Die Kosten für Versuche der
gütlichen Einigung setzen sich zusammen aus den Kosten für ein Beratungsgespräch mit
dem Kinderschutzbund "F-Stadt" am 25.9.1998 (Telefonkosten sowie Fahrtkosten von "G-
Stadt" nach "F-Stadt" und zurück); ferner aus Kosten für ein Beratungsgespräch-
/Vermittlungsgespräch mit Pastor "O" ("D-Gemeinde" "F-Stadt") am 20.3.1998, diese
bestehend aus Fahrtkosten für die Strecke von "G-Stadt" nach "F-Stadt" und zurück sowie
aus Telefonkosten.
2. Kosten für Unterhaltszahlungen an die Kinder in Höhe von 6.570,-- DM.
Die Einzelzusammensetzung ergibt sich aus Anlage 3.3 zur Einkommensteuererklärung
und aus einem Vergleich vom 14.1.1998 vor dem Oberlandesgericht "H-Stadt" mit der
Ehefrau. Der Kläger und seine Ehefrau hatten im Streitzeitraum zwei gemeinsame
minderjährige Kinder.
3. Kosten für den Umgang mit den Kindern von insgesamt 29.282,27 DM.
Diese setzen sich ausweislich der Anlage 3.2 zur Steuererklärung aus Fahrtkosten von
Hessen nach "F-Stadt" zusammen, um die Kinder alle 14 Tage in "F-Stadt" abzuholen und
zurückzubringen, ferner aus Wohnungsmehrkosten in Gestalt anteiliger Miete für
Kinderzimmer und Nebenkosten, ferner aus einem "Kinderkontaktfreibetrag" (für Windeln,
Verpflegung, Schwimmbad - und sonstige Eintrittskosten, Eis, Getränke etc.) von jährlich
7.200,-- DM sowie aus Urlaubskosten ( ein Familienwochenende der Naturfreunde "C-
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Stadt" sowie eine Urlaubsfahrt mit den Kindern nach Ungarn) von insgesamt 2.564,-- DM.
Das Finanzamt hat die vorbenannten Beträge nicht zum steuermindernden Abzug
zugelassen.
Der Kläger ist der Ansicht, vorbezeichnete Kosten stellten eine Minderung seines
verfügbaren Einkommens dar. Wenn aber verfügbares Einkommen - wie hier - in
erheblichem Umfang gemindert sei, dürfe das Finanzamt nicht so tun, als sei es trotzdem
vorhanden. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber durch
Neufassung des § 1684 BGB eine Rechtspflicht zur Aufrechterhaltung der Elternteil-Kind-
Beziehung nach Trennung der Eltern statuiert habe. Wenn der Gesetzgeber dem Bürger,
hier dem getrennten Elternteil, eine Pflicht auferlege, so müsse er diesem auch die Mittel
belassen, dieser Pflicht auch nachkommen zu können, notfalls über die Sozialhilfe. Wenn
aber der Staat einem mittellosen Elternteil zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen müsse,
so dürfe er einem steuerpflichtigen Elternteil wegen des Diskriminierungsverbots diese
notwendigen Mittel nicht über die Verweigerung der steuermindernden Anerkennung der
Umgangskosten entziehen.
Was für den Umgang und seine Kosten gelte, gelte mindestens im gleichen Maße für den
Kindesunterhalt. Es verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn ein mittelloser
Barunterhaltspflichtiger die Allgemeinheit zur Befriedigung seiner Unterhaltspflicht in
Anspruch nehmen könne, ein steuerpflichtiger barunterhaltspflichtiger Elternteil jedoch
einerseits schon mit der Steuerklasse I bestraft werde, anderseits zusätzlich noch dadurch
bestraft werde, dass die ihm vom Staat auferlegte Barunterhaltspflicht als reines
Privatvergnügen - und damit nicht das verfügbare Einkommen mindernd - angesehen wird.
Die Kosten für die Versuche der gütlichen Einigung habe das Finanzamt "I-Stadt" in den
Steuerbescheiden für die Jahre 1996 und 1997 anerkannt. Schließlich stehe gerade die
Familie unter dem besonderen Schutz des Staates und damit sei es auch Aufgabe des
Staates, gütliche Einigungen bei Trennung und Scheidung zu fördern und dies durch
Anerkennung der Kosten zu erleichtern.
Ferner beträfen die Kosten der versuchten gütlichen Einigung von 618,88,-- DM den
Kernbereich menschlichen Lebens im Sinne der Bundesfinanzhof - BFH-Entscheidung,
BFH/NV 2002, 634. Daher seien diese Kosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33
EStG anzuerkennen. Außerdem gebe das Bundesverfassungsgericht - BVerfG - (NJW
2002, 1863) den Gerichten auf, einen gerechten Ausgleich der Lasten des Umgangs zu
bewerkstelligen. In Verbindung mit der vorzitierten Entscheidung des BFH seien damit
auch die Umgangskosten in Höhe von 29.282,27 DM als außergewöhnliche Belastung
steuermindernd zu berücksichtigen.
Auch stünde ihm ein Kinderfreibetrag zu, der im Änderungsbescheid vom 31.5.2000 nicht
enthalten sei. Er habe als getrennt veranlagter Kläger kein Kindergeld erhalten, dieses
habe vielmehr ausschließlich die Mutter erhalten.
Die gesamte steuerliche Behandlung in seinem Fall verstoße gegen das Grundgesetz und
gegen Europarecht.
Gegebenenfalls müsse das Gericht das Verfahren aussetzen und gemäß Artikel 100
Grundgesetz dem BVerfG das Verfahren zur Klärung der verfassungsrechtlichen
Problematik vorlegen; hilfsweise müsse die Sache dem EuGH vorgelegt werden. Wegen
der Einzelheiten wird auf den Klägerschriftsatz vom 28.7.2003 Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt
1. die Sache auf den Senat zurückzuübertragen,
2. das Verfahren auszusetzen und nach Artikel 100 Grundgesetz dem BVerfG zur
Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der im Schriftsatz vom 28.7.2003
angesprochenen Fragen vorzulegen;
3. hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof das
Verfahren zur Entscheidung der Fragen, so wie im Schriftsatz vom 28.7.2003
angesprochen, vorzulegen;
4. die Einkommensteuerfestsetzung 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
16.10.2001 dahingehend abzuändern, dass steuermindernd berücksichtigt werden; die
Kosten der gütlichen Einigung i.H.v. 618,88 DM, die Kosten für Unterhaltszahlungen an die
Kinder i.H.v. 6.570,-- DM und die Kosten für den Umgang mit den Kindern von insgesamt
29.282,27 DM.
Das Finanzamt beantragt
Klageabweisung.
Beide Beteiligten beantragen, hilfsweise für den Fall des jeweiligen Unterliegens, die
Revision zuzulassen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 31.7.2003 Bezug
genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
A. Die Sache ist entscheidungsreif.
Eine Rückübertragung auf den Senat scheidet aus. Die hierfür nötige wesentliche
Änderung
liegt nicht vor. Der Kläger hat schon vor Übertragung auf den Einzelrichter durch Beschluss
vom 1.7.2002 mit Schriftsatz vom 27.2.2002 die Unvereinbarkeit seiner steuerlichen
Behandlung mit höherrangigem Recht gerügt.
B. Die Klage ist unbegründet.
1. Die angefochtene Einkommensteuerfestsetzung in Gestalt der Einspruchsent- scheidung
ist rechtmäßig.
Das Gericht folgt der Begründung des Gerichtsbescheides vom 3.2.2003 ( § 90 a Abs. 4
FGO ). Das vom Kläger in der mündlichen Verhandlung nochmals erwähnte und zur
Gerichtsakte genommene Urteil des Finanzgerichts- FG- Köln vom 28.3.2003, 7 K 4897/02
steht dem nicht entgegen. Dort ging es um eine anders gelagerte Rechtsfrage, nämlich
darum, ob die Berücksichtigung von Unterhaltsaufwand im Sinne von § 33 a EStG eine
zivilrechtliche Bedürftigkeit des Empfängers im Sinne von § 1602 BGB voraussetzt. Nur zur
abschließenden Klärung dieser Frage wurde die Revision zugelassen. Die zivilrechtliche
Bedürftigkeit der beiden minderjährigen Kinder des Klägers steht im vorliegende Fall indes
außer Frage.
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2. Aus den Überlegungen zu 1. folgt zugleich, dass auch kein Anlaß bestand, das
Verfahren nach Artikel 100 GG dem BVerfG vorzulegen.
a. Der Familienleistungsausgleich für den Veranlagungszeitraum 1998 ist
verfassungsgemäß.
Die im ablehnenden zweiten Prozesskostenhilfebeschluss vom 2.7.2003 im einzelnen
wiedergegebenen Ausführungen des BFH in Bundessteuerblatt- BStBl- II 1997, 54 zur
Abgeltungswirkung bestehender steuerlicher Entlastungsvorschriften gelten dem Grunde
nach auch für die Neuregelung des Familienlastenausgleiches mit dem nach § 32 idF des
Jahressteuergesetzes 1996 vom 11.10.1995 ( BStBl I 1995, 438 ) zu gewährenden
Kinderfreibetrag bzw. dem Kindergeld nach den neu eingeführten §§ 62 ff. EStG.
Die gegen ein anderes BFH-Urteil vom 22.2.2001 VI R 115/96 ( BFH/NV 2001, 1110 )
anhängige Verfassungsbeschwerde 2 BvR 940/01 spricht nicht dagegen.
Der BFH hatte in jenem Verfahren die Begrenzung des Besucherfreibetrages des
zwischenzeitlich aufgehobenen § 33 a Abs. 1 a EStG aF auf 600 DM verfassungsrechtlich
nicht beanstandet. Dies geschah vor dem Hintergrund von Entscheidungen des BVerfG,
welche die Regelung des § 33 a Abs. 1 a als verfassungsgemäß angesehen hatten ( vgl.
hierzu in Höchtstrichterliche Finanzrechtsprechung-HFR- 1993,594, Deutsche
Steuerzeitung- DStZ- 1996, 112 ). Damit erscheint die anhängige Verfassungsbeschwerde
auch insoweit aussichtslos, als sie dem Kläger die steuerliche Geltendmachung seiner mit
knapp 30.000 DM ungleich höheren "Umgangskosten"- den tatsächlichen Anfall dieser
Kosten einmal als richtig unterstellt- ermöglichen soll.
b. Die Neuregelung des Familienlastenausgleiches mit dem zu gewährenden
Kinderfreibetrag bzw. dem Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG , soweit günstiger, ist für 1998
verfassungsrechtlich auch der Höhe nach nicht zu beanstanden ( vgl. Schmidt, EStG-
Kommentar, 22. Auflage 2003, § 32 EStG, Rz 3 vgl. auch auf BFH in BStBl II, 2000, 566;
vgl. ferner das Finanzgericht - FG- Köln in Entscheidungen der Finanzgerichte- EFG- 2003,
1018, welches den Familienleistungsausgleich auch für das Folgejahr 1999 als
verfassungsgemäß ansieht, die Revision wurde dort nur wegen der begrenzt abziehbaren
Vorsorgeaufwendungen zugelassen; vgl. auch FG München in EFG 2003, 1020, dass die
Verfassungsmäßigkeit des Familienleistungsausgleichs selbst für den
Veranlagungszeitraum 2000 festgestellt und die Revision wohl nur im Hinblick auf ein beim
BFH anhängiges Verfahren zur Verfassungswidrigkeit des Familienleistungsausgleichs im
VZ
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Damit kann der Kläger Aufwendungen für den Umgang und den Unterhalt betreffend seine
Kinder nicht zusätzlich über die außergewöhnliche Belastung nach §§ 33, 33 a EStG
geltend machen.
Die gesetzliche Verpflichtung ( § 1684 Abs. 1 BGB in der schon im Streitzeitraum
anwendbaren Neufassung ) zum Umgang mit den Kindern ändert hieran nichts. Sie stellt
ebenso eine Pflicht dar wie die Unterhaltsgewährung als solche und wird damit von der
Abgeltungswirkung der im Streitjahr bestehenden kindbedingten steuerlichen
Entlastungsvorschriften miterfasst.
Dies gilt auch für den Fall, dass der Kläger im Jahr 1998 kein Kindergeld erhalten hat
sondern dies an den anderen Elternteil gezahlt wurde und infolge der Günstigerprüfung (
Kindergeld oder Kinderfreibetrag ) im Einkommensteueränderungsbescheid vom 31.5.
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2000 für den Kläger zu Recht kein Kinderfreibetrag mehr angesetzt wurde. Durch die
Auszahlung an den anderen Elternteil hat der Kläger einen zivilrechtlichen
Anrechnungsanspruch erworben ( vgl. § 1612 b Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch- BGB );
dieser bestehende Ausgleichsanspruch wird nach § 31 Satz 5 EStG 1998 einem dem
Ausgleichsberechtigten ( also dem Kläger ) gezahlten Kindergeld gleichgestellt.
Für die Richtigkeit der hier vertretenen Ansicht spricht schließlich noch der Umstand, dass
die Verfassungsbeschwerde des Klägers gegen die beiden früheren ablehnenden
Beschlüsse des Gerichts im PKH- Verfahren seitens des BVerfG mit Beschluss 2 BvR
420/03 vom 3.6.2003 nicht zur Entscheidung angenommen worden ist.
3. Das Verfahren war auch nicht dem Europäischen Gerichtshof- EuGH- vorzulegen.
Die vom Kläger unter Ziffer 5 seines Schriftsatzes vom 28.7.2003 herangezogenen
europarechtlichen Normen enthalten gegenüber dem Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland keine strengeren Maßstäbe dahingehend, finanzielle Belastungen durch
Kinder stärker als nach deutschem Steuerrecht vorgesehen steuermindernd zu
berücksichtigen.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht
vorliegen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.