Urteil des FG Düsseldorf vom 14.05.2009

FG Düsseldorf: eugh, brd, einkünfte, krankenversicherung, rente, behandlung, ausschluss, vergleichsrechnung, niederlande, steuerrecht

Finanzgericht Düsseldorf, 16 K 4273/07 E
Datum:
14.05.2009
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 K 4273/07 E
Tenor:
Der Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 30.7.2007 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 10.10.2007 wird dahingehend
abgeändert, dass die Einkommensteuer auf 1.713 EUR herabgesetzt
wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu 77,89% und dem
Beklagten zu 22,11% auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
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Streitig ist die Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen als
Sonderausgaben im Rahmen der Veranlagung zur beschränkten Steuerpflicht.
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Der Kläger arbeitete bis Mitte 2005 bei einer Firma im Inland. Seit 2005 ist er Rentner.
Sein Wohnsitz befand sich im Streitjahr 2006 in den Niederlanden. Dort lebte er
zusammen mit seiner Ehefrau, die im Streitjahr nicht berufstätig war und keine eigenen
Einkünfte erzielte. Er selbst bezog von seiner ehemaligen Arbeitgeberin, einer
inländischen Firma, eine nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland (BRD) und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf
steuerlichem Gebiete vom 16. Juni 1959 (Bundesgesetzblatt II 1960, 1782, künftig DBA
Niederlande) in den Niederlanden zu versteuernde Betriebsrente in Höhe von ca.
28.733 EUR (Gesamtentgelt lt. Lohnabrechnungen 30.305,86 EUR abgl. RNGS Zinsen
1.572,36 EUR) und eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung der BRD in
Höhe von 16.032 EUR, die nach DBA im Inland zu versteuern war. Für beide Renten
wurden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für eine inländische (gesetzliche)
Krankenversicherung einbehalten.
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Für das Streitjahr gab der Kläger eine Einkommensteuererklärung ab, in der er die
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Zusammenveranlagung mit seiner Ehefrau beantragte. Ferner machte er u.a. die von
ihm geleisteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 4.257 EUR bei
den Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben sowie bestimmte außergewöhnliche
Belastungen geltend.
Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) folgte dem nicht, sondern führte für den Kläger eine
Einzelveranlagung durch. Im Einkommensteuerbescheid vom 30. Juli 2007 erfasste es
die bezogene Rente aus der BRD zu 50% (= 8.016 EUR) als Einkünfte gem. § 22 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) und setzte hierauf eine Mindeststeuer gem. § 50 Abs.
3 Satz 2 EStG in der im Streitjahr gültigen Fassung von 2.004 EUR (25% von 8.016
EUR) fest. Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen berücksichtigte es
nicht.
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Dagegen legte der Kläger fristgemäß Einspruch ein, den das FA mit
Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2007 als unbegründet zurückwies. Zur
Begründung führte es aus, dass natürliche Personen, die im Inland weder ihren
Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten, mit ihren inländischen Einkünften
beschränkt steuerpflichtig seien. Gem. § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG seien für beschränkt
Steuerpflichtige die Vorschriften betreffend die Sonderausgaben (§ 10 EStG) und die
außergewöhnlichen Belastungen (§§ 33, 33a EStG) nicht anzuwenden. Daher komme
der beantragte Sonderausgabenabzug für Vorsorgeaufwendungen nicht in Betracht.
Gleiches gelte für die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen.
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Hiergegen richtet sich die fristgemäß erhobene Klage. Zur Begründung führt der Kläger
aus, dass es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) geboten
sei, einen im Ausland lebenden Steuerpflichtigen nach den gleichen Grundsätzen zu
besteuern wie einen im Inland ansässigen Steuerpflichtigen. Für 2005 sei er zusammen
mit seiner Ehefrau unter Berücksichtigung der Splittingtabelle und unter Anrechnung der
Vorsorgeaufwendungen in der BRD veranlagt worden. Es sei nicht nachvollziehbar,
warum dann für das Streitjahr 2006 seine persönlichen Umstände, die sich seit Jahren
nicht geändert hätten, unberücksichtigt bleiben würden und insbesondere die Kranken-
und Pflegeversicherungsbeiträge keine Berücksichtigung fänden, obwohl er diese
zwangsweise zahlen müsse. Dies führe zu einer höheren Belastung seiner
Alterseinkünfte, die nicht rechtens sein könne, zumal bei Gebietsansässigen die
geleisteten Vorsorgeaufwendungen berücksichtigt würden. Ein Ausgleich oder eine
Anrechnung hierfür sei in den Niederlanden nicht vorgesehen. Ferner habe das FA bei
der Berechnung der Mindeststeuer das BMF-Schreibens vom 10. September 2004 IV A
5-S 2301-10/04 (Bundessteuerblatt --BStBl-- I 2004, 860) außer Acht gelassen, wonach
eine Vergleichsrechnung vorgeschrieben sei.
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Der Kläger beantragt zuletzt sinngemäß,
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den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 30. Juli 2007 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2007 insoweit zu ändern, dass bei der
Steuerberechnung Sonderausgaben in Höhe von 4.257 EUR berücksichtigt
werden sowie den Steuersatz anzuwenden, der sich bei Anwendung des
progressiven Steuertarifs gem. § 32a EStG zzgl. eines Betrages in Höhe des
Grundfreibetrages ergibt, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Das FA beantragt,
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die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Eine Berücksichtigung der geltend gemachten Sonderausgaben bzw.
außergewöhnlichen Belastungen komme wegen § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG nicht in
Betracht. Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des EuGH beziehe sich
ausschließlich auf den Abzug von Betriebsausgaben, soweit sie mit inländischen
Einkünften im Zusammenhang stünden. Im Übrigen sei der vom Kläger angestellte
Vergleich mit den Berechnungskriterien des Jahres 2005 unzulässig. In dem Jahr 2005
sei er einer aktiven Tätigkeit als Arbeitnehmer nachgegangen und es hätten noch die
Grundsätze der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht gegolten. Dies treffe auf das
Streitjahr nicht mehr zu. Die zutreffend errechnete Mindeststeuer belaufe sich auf 1.713
EUR.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
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Die Klage ist unbegründet, soweit der Kläger eine Berücksichtigung seiner Kranken-
und Pflegeversicherungsbeiträge als Vorsorgeaufwendungen im Rahmen des hierfür
vorgesehenen Sonderausgabenabzugs begehrt (vgl. I.). Die Klage ist dagegen insoweit
begründet, als der Kläger die unzutreffende Berechnung der Mindeststeuer rügt (vgl. II.).
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I. 1. Die vom Kläger geltend gemachten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge
können nicht im Rahmen des Sonderausgabenabzugs für Vorsorgeaufwendungen gem.
§ 10 Abs. 1 Nr. 3 lit. a, Abs. 4 EStG berücksichtigt werden. Der Kläger war im Streitjahr
beschränkt einkommensteuerpflichtig gem. § 1 Abs. 4 EStG. Er hatte im Inland weder
einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt. Ferner bezog er in Gestalt der
Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung inländische Einkünfte gem. § 49 Abs. 1
Nr. 7 EStG i.V.m. § 22 Nr. 1 Satz 3 lit. a EStG. Das Recht zur Besteuerung dieser
Einkünfte oblag gem. Art. 12 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1 DBA Niederlande der BRD.
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2. Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG in der im Streitjahr gültigen Fassung ist § 10 EStG
bei beschränkt Steuerpflichtigen nicht anzuwenden. Das FA hat daher zu Recht die
geltend gemachten Vorsorgeaufwendungen nicht berücksichtigt. Soweit sich der Kläger
sinngemäß darauf beruft, dass die Versagung des Sonderausgabenabzugs im Rahmen
der Veranlagung als beschränkt Steuerpflichtiger gegen Gemeinschaftsrecht verstoße,
folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Der Ausschluss des Sonderausgabenabzugs für
Vorsorgeaufwendungen ist nach Ansicht des Senats europarechtskonform (gl.A. etwa
Wied, in Blümich, Kommentar zum EStG, KStG, GewStG, § 50 EStG Rn. 20; a.A.
jedenfalls in Bezug auf Altersvorsorgeaufwendungen Kulosa, in
Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG und KStG, § 10 EStG Anm. 14).
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Als maßgebliche Vorschrift des EG-Vertrags, die verletzt sein könnte, ist im Streitfall
wohl Art. 18 EG i.V.m. Art. 12 EG einschlägig. Der - gegenüber Art. 18 EG vorrangige -
Artikel 39 EG (Arbeitnehmerfreizügigkeit) dürfte dagegen nicht greifen, da sich der
Kläger, der seit 1994 in den Niederlanden lebt, dorthin nicht zwecks Aufnahme einer
nichtselbständigen Arbeit begeben hat und im Übrigen im Streitjahr auch nicht mehr als
Arbeitnehmer tätig war (vgl. zur Negativabgrenzung beider Grundfreiheiten etwa das
EuGH-Urteil "Turpeinen" vom 9. November 2006 C-520/04, Sammlung der
Rechtsprechung -- Slg. --
Generalanwalts Léger in seinem Schlussantrag vom 18. Mai 2006, insb. Rn. 55 ff.).
18
Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen, da sich hinsichtlich der Schutzbereiche
keine Unterschiede ergeben dürften (vgl. etwa die Entscheidung "Pusa", in der der
EuGH auch der allgemeinen Freizügigkeit gem. Art. 18 EG den Schutzbereich der
Grundfreiheiten zuerkannt hat, EuGH-Urteil vom 29. April 2004 C-224/02, Slg. 2004, I-
5763). Sowohl Art. 18 EG als auch Art. 39 EG hat der EuGH in nunmehr ständiger
Rechtsprechung zu umfassenden Beschränkungsverboten ausgeweitet (vgl. in Bezug
auf Art. 18 EG das EuGH-Urteil zur Eigenheimzulage vom 17. Januar 2008 C-152/05,
Slg. 2008, I-39).
Wie vom EuGH seit der "Schumacker"-Entscheidung in ständiger Rechtsprechung
ausgeführt, ist die unterschiedliche Ausgestaltung von beschränkter und unbeschränkter
Steuerpflicht im Allgemeinen nicht diskriminierend, da der beschränkten Steuerpflicht
nur ein Teil der Gesamteinkünfte unterliegt und die Gesamt-Leistungskraft am
leichtesten im Wohnsitzstaat beurteilt werden kann (vgl. EuGH-Urteil vom 14. Februar
1995 Rs. C-279/93, Slg. 1995, I-225, Rn. 31 f.; kritisch Cordewener, Europäische
Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, 907 ff., der mit durchaus
überzeugenden Argumenten die Überzeugungskraft der "Schumacker-Doktrin" in Frage
stellt). Denn Gebietsansässige und Gebietsfremde befinden sich in der Regel nicht in
einer vergleichbaren Situation, so dass personenbezogene Abzüge im Quellenstaat
Gebietsfremden nicht unbedingt gewährt werden müssen. Eine unterschiedliche
Behandlung von beschränkt und unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Personen
ist vor diesem Hintergrund also regelmäßig nicht gemeinschaftsrechtswidrig, soweit es
um die Berücksichtigung der persönlichen und familiären Lebensumstände geht.
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Etwas anderes gilt nach der EuGH-Rechtsprechung nur dann, wenn der Gebietsfremde
in seinem Wohnsitzstaat keine nennenswerten Einkünfte erzielt und sein zu
versteuerndes Einkommen im Wesentlichen aus einer Tätigkeit bezieht, die er im
Beschäftigungsstaat ausübt, so dass der Wohnsitzstaat nicht in der Lage ist, ihm die
Vergünstigungen zu gewähren, die sich aus der Berücksichtigung seiner persönlichen
Verhältnisse und seines Familienstands ergeben (vgl. z.B. Urteile "Schumacker", a.a.O.,
Rn. 36; und "de Groot" vom 12. Dezember 2002 Rs. C-385/00, Slg. 2002, I-11819, Rn.
89). Dem hat der deutsche Gesetzgeber – europarechtskonform (vgl. EuGH-Urteil
"Gschwind" vom 14. September 1999 Rs. C-391/97, Slg. 1999, I-5451) – mit der
Einführung der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht gem. §§ 1 Abs. 3, 1a EStG
Rechnung getragen. Die unter diese Regelung fallenden Steuerpflichtigen können die
anderen Gebietsansässigen im Hinblick auf ihre persönlichen Verhältnisse und ihren
Familienstand eingeräumten Abzugsmöglichkeiten – etwa den Sonderausgabenabzug
– beanspruchen. Die Voraussetzungen der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht sind im
Streitfall allerdings nicht einschlägig, da der Kläger mit seiner in den Niederlanden zu
versteuernden Betriebsrente die relative Wesentlichkeitsgrenze (90%-Grenze) des § 1
Abs. 3 Satz 2 EStG unterschreitet bzw. die absolute Wesentlichkeitsgrenze (6.136 EUR)
überschreitet. Angesichts des in den Niederlanden zur Verfügung stehenden
Steuersubstrates ist der Wohnsitzstaat daher vorliegend in der Lage, dem Kläger die
Vergünstigungen zu gewähren, die sich aus der Berücksichtigung seiner persönlichen
Lage und seines Familienstandes ergeben. Im Streitfall "greift" daher der Regelfall, dass
die Niederlanden zur Berücksichtigung der persönlichen Umstände verpflichtet sind.
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3. Bei dem hier begehrten Abzug von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge
handelt es sich auch um solche Aufwendungen, die der EuGH - mit wechselnder
Terminologie - als "personenbezogen" bzw. "familienbezogen" umschreibt und die
infolgedessen vom Wohnsitzstaat zu berücksichtigen sind.
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a) Allerdings können unter derartigen Aufwendungen im Sinne der EuGH-
Rechtsprechung nicht schlechthin sämtliche Aufwendungen der privaten Lebensführung
verstanden werden, die im deutschen Einkommensteuerrecht dem Bereich der
Sonderausgaben oder dem der außergewöhnlichen Belastungen zugeordnet werden.
So hat der EuGH etwa bereits in seinem Urteil "Schilling" (EuGH-Urteil vom 13.
November 2003 Rs. C-209/01, Slg. 2003 I-13389), das den Abzug von Aufwendungen
für eine Haushaltshilfe eines in Luxemburg ansässigen Ehepaares deutscher
Staatsangehörigkeit betraf, entschieden, dass es der Niederlassungsfreiheit
entgegenstehe, wenn § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG den Abzug dieser Aufwendungen davon
abhängig mache, dass Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in der BRD
gezahlt würden. Damit stellte der EuGH zugleich klar, dass nicht alle Sonderausgaben
per se den vom Wohnsitzstaat zu berücksichtigenden Aufwendungen zugeordnet
werden können (so zutreffend der Bundesfinanzhof --BFH-- in seinem Vorlagebeschluss
vom 26. Mai 2004 I R 113/03, Sammlung der Entscheidungen des BFH --BFHE-- 206,
347, BStBl II 2004, 994, vgl. auch die Anmerkung von Steinhauff, jurisPR-SteuerR
30/2004 Anm. 3; a.A. noch das FG Hamburg in seinem Urteil vom 11. November 2003
VII 205/00, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2004, 563, das dem nationalen
Gesetzgeber insoweit einen Spielraum zugestanden hatte).
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Diese Rechtsprechung fand ihre Fortsetzung im Urteil "Conijn" (vgl. EuGH-Urteil vom 6.
Juli 2006 C-346/04, Slg. 2006, I-06137), in dem der EuGH entschied, dass der
Ausschluss des Abzugs von Steuerberatungskosten für beschränkt Steuerpflichtige
gegen Artikel 43 EG verstoße. Zur Begründung führte er aus, dass die – im deutschen
Einkommensteuerrecht den Sonderausgaben zugeordneten – Steuerberatungskosten in
einem unmittelbaren Zusammenhang mit den in diesem Mitgliedstaat erzielten
Einkünften stünden. Diese würden die Einkünfte aller Steuerpflichtigen, ob
gebietsansässig oder nicht, in gleicher Weise belasten. Im Hinblick auf die Komplexität
des nationalen Steuerrechts, das offenbar den Abzug der Steuerberatungskosten für
unbeschränkt Steuerpflichtige rechtfertige, befänden sich Gebietsansässige und
Gebietsfremde in einer vergleichbaren Situation. Dagegen sah der EuGH die
Steuerberatungskosten, ungeachtet ihrer Verortung bei den Sonderausgaben,
ausdrücklich nicht als eine Steuervergünstigung an, die mit den persönlichen
Verhältnissen und dem Familienstand des Gebietsfremden zusammenhängt (vgl.
insoweit auch die ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Frage durch den
Generalanwalt Léger im Schlussantrag vom 9.3.2006, Rn. 33 ff.). Damit machte der
EuGH erneut deutlich, dass er unabhängig von der systematischen Einordnung der
Abzugsvorschrift im nationalen Steuerrecht allein danach differenzieren will, ob und in
welcher Weise die fraglichen Aufwendungen mit der persönlichen Lage des
Steuerpflichtigen zusammen hängen.
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b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze handelt es sich aber jedenfalls bei den hier
maßgeblichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge um Aufwendungen, die dem
Bereich der personen- bzw. familienbezogenen Aufwendungen im Sinne der EuGH-
Rechtsprechung zuzuordnen sind. Nach Ansicht des Senats dürfte insoweit im
Wesentlichen Deckungsgleichheit mit den Aufwendungen bestehen, die nach
deutschem Einkommensteuerrecht dem subjektiven Nettoprinzip unterfallen (vgl. etwa
Seer, Internationale Wirtschafts-Briefe --IWB-- Nr. 19 vom 8. Oktober 2003, Gruppe 2,
573, 577 ff.). Auch wenn darunter keineswegs sämtliche der unter den Sonderausgaben
und außergewöhnlichen Belastungen geregelten Aufwendungen fallen, betrefft der hier
in Frage stehende Abzug der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge den
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Kernbereich des subjektiven Nettoiprinzips (eingehend Lang, in Tipke/Lang,
Steuerrecht, 19. Aufl., § 9 Rn. 68 ff. und 771). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
hat in seinem Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06 (Neue juristische
Wochenschrift --NJW-- 2008, 1868) zutreffend Versicherungsbeiträge für die Kranken-
und Pflegeversicherung als Teil des einkommensteuerrechtlich zu verschonenden
Existenzminimums qualifiziert. In dieser Entscheidung ist das BVerfG explizit der vom
XI. BFH-Senat und einem Teil der Literatur vertretenen Auffassung entgegengetreten,
dass beim Existenzminimum zwischen dem gegenwärtigen Grundbedarf und der
Vorsorge für künftige Zeiten zu unterscheiden sei und es sich bei letzterem um eine
Sparleistung handle, die der Steuergesetzgeber nicht als existenznotwendigen Aufwand
anerkennen müsse (vgl. etwa BFH-Urteil vom 16. Oktober 2002 XI R 41/99, BFHE 200,
529, BStBl II 2003, 179). Nach der zutreffenden Auffassung des BVerfG haben Kranken-
und Pflegeversicherungsbeiträge keinen Sparcharakter, so dass gegen die
Einbeziehung einer reinen Risikoversicherung mit kalenderjahrmäßig abgrenzbaren
Beiträgen in das Existenzminimum keine Bedenken bestehen. Dementsprechend sind
die hier fraglichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge gemeinschaftsrechtlich
nicht anders als etwa der Grundfreibetrag, der ebenfalls den Bereich des
Existenzminimums betrifft und der vom EuGH als den "persönlichen" Lebensbereich
betreffend anerkannt ist (vgl. das EuGH-Urteil "Gerritse" vom 12. Juni 2003 C-234/01,
Slg. 2003, I-05933 Rn. 48), zu behandeln.
c) Im Streitfall ist auch keine Differenzierung zwischen den Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträgen, die von der Betriebsrente einbehalten wurden, und
denjenigen, die auf die Sozialversicherungsrente entfallen, geboten. Es kommt insoweit
nicht darauf an, dass das Besteuerungsrecht für beide Einkünfte auseinander fällt.
Maßgeblich ist allein, dass es sich bei diesen insgesamt um personen- und
familienbezogene Abzugsbeträge handelt. Denn solche sind bei beschränkt
Steuerpflichtigen in Gänze im Ansässigkeitsstaat zu berücksichtigen. Einem
proportionalen Abzug im Wohnsitzstaat entsprechend den jeweils im Inland bezogenen
Einkünften hat der EuGH in der Entscheidung "de Groot" ausdrücklich eine Absage
erteilt (vgl. EuGH-Urteil vom 12. Dezember 2002 C-385/00, Slg. 2002 I-11819, Rn. 98).
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d) Die hier vertretene Auffassung, dass es sich bei den fraglichen Aufwendungen
insgesamt um solche handelt, die gemeinschaftsrechtlich vom Wohnsitzstaat zu
berücksichtigen sind, wird – jedenfalls mittelbar – durch die EuGH-Entscheidung
"Rüffler" gestützt (vgl. EuGH-Urteil vom 23. April 2009 C-544/07, derzeit noch nicht
veröffentlicht). Darin hatte sich der EuGH erstmals mit der Frage der
grenzüberschreitenden steuerlichen Behandlung von Krankenversicherungsbeiträgen
zu befassen, wobei der Ausgangsfall von der Grundkonstellation her deutliche
Parallelen zu dem hier zu entscheidenden Verfahren aufwies. Ebenso wie der Kläger
hatte der in Polen ansässige Steuerpflichtige sowohl eine Rente aus der deutschen
Sozialversicherung als auch eine Betriebsrente bezogen. Letztere war in Polen zu
versteuern. Die polnische Finanzbehörde lehnte eine Berücksichtigung der hierauf
entfallenden Krankenversicherungsbeiträge ab, da nach dem polnischem EStG nur
Krankenversicherungsbeiträge berücksichtigt werden konnten, die im Rahmen der
gesetzlichen Krankenversicherung Polens geleistet wurden. Hierin sah der EuGH eine
Verletzung des Grundrechts der Freizügigkeit (Art. 18 EG). Eine solche Regelung
nehme eine Ungleichbehandlung gebietsansässiger Steuerpflichtiger vor, je nachdem,
ob die Krankenversicherungsbeiträge, die für den Abzug von der in Polen geschuldeten
Einkommensteuer in Betracht kommen, im Rahmen der nationalen gesetzlichen
Krankenversicherung gezahlt worden seien oder nicht. Was die Besteuerung ihres
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Einkommens in Polen angehe, befänden sich gebietsansässige Steuerpflichtige, die
Beiträge an das polnische Krankenversicherungssystem entrichten würden, und solche,
die unter die gesetzliche Krankenversicherung eines anderen Mitgliedstaats fallen
würden, nicht in objektiv unterschiedlichen Situationen, die diese Ungleichbehandlung
nach dem Ort, an dem die Beiträge gezahlt werden, erklären könnten. Die Situation
eines steuerpflichtigen Rentners, der in Polen lebe und Rentenleistungen im Rahmen
der gesetzlichen Krankenversicherung eines anderen Mitgliedstaats beziehe, und
diejenige eines polnischen Rentners, der auch in Polen lebe, aber seine Rente im
Rahmen der polnischen Krankenversicherung beziehe, seien in Bezug auf die
Besteuerungsgrundsätze vergleichbar, da beide in Polen unbeschränkt steuerpflichtig
seien. Somit müsse die Besteuerung ihrer Einkünfte in diesem Mitgliedstaat nach
denselben Grundsätzen und daher auf der Grundlage derselben Steuervergünstigungen
erfolgen. Diese unterschiedliche steuerliche Behandlung sei auch nicht durch die
Besonderheiten aufgrund der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
gerechtfertigt.
Die Entscheidung "Rüffler" betrifft im Kern zwar allein die Rechtsfrage, ob der nationale
Sonderausgabenabzug davon abhängig gemacht werden kann, dass die
Beitragsleistung tatsächlich auch dem nationalen Sozialversicherungssystem zugute
gekommen ist. Explizite Ausführungen zur Frage, welcher Mitgliedsstaat richtigerweise
zum Abzug der Krankenversicherungsbeiträge verpflichtet gewesen wäre, beinhaltet die
Entscheidung nicht. Insoweit findet sich in den Entscheidungsgründen lediglich der
Hinweis, dass der EuGH davon ausgehe, dass eine steuerliche Berücksichtigung der
Krankenversicherungsbeiträge in Deutschland nicht erfolgt sei (vgl. Rn. 61). Dennoch
legt die Entscheidung nahe, dass der EuGH unausgesprochen davon ausging, dass
Polen auch in materiell-rechtlicher Hinsicht zur Berücksichtigung der
Krankenversicherungsbeiträge verpflichtet war. Andernfalls (also für den Fall, dass nach
Ansicht des EuGH die Pflicht zur Berücksichtigung der BRD oblegen hätte) hätte es –
jedenfalls nach Auffassung des Senats – nahegelegen, dass der EuGH zumindest auf
der Rechtfertigungsebene die Frage aufgeworfen hätte, ob der Ausschluss des Abzugs
der Krankenversicherungsbeiträge in Polen nicht gerechtfertigt gewesen sein könnte.
Nämlich dadurch, dass der Kläger mit seinen Einkünften aus der gesetzlichen
Rentenversicherung in der BRD beschränkt steuerpflichtig war und daher die
Krankenversicherungsbeiträge – jedenfalls hypothetisch – von diesen Einkünften im
Rahmen des Sonderausgabenabzugs hätten in Abzug gebracht werden können.
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II. Die Klage hat dagegen Erfolg, soweit sich der Kläger gegen die Anwendung eines
Mindeststeuersatzes von 25% gem. § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG in der im Streitjahr gültigen
Fassung wendet. Beide Beteiligten sind sich darin einig, dass das vom FA im Rahmen
seiner – erstmals im Klageverfahren angestellten – Vergleichsrechnung gefundene
(günstigere) Ergebnis der Vergleichsrechnung (Nettoeinkünfte zzgl. Grundfreibetrag
unter Anwendung der Grundtabelle) in Höhe von 1.713 EUR zugrunde zu legen ist.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung
(FGO). Die Kosten waren nach dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen
verhältnismäßig zu teilen. Die Klage hatte lediglich insoweit Erfolg, als der Kläger eine
Minderung der festgesetzten Einkommensteuer in Bezug auf die unzutreffende
Berechnung der "Mindeststeuer" auf 1.713 EUR erreicht hat. In Bezug auf die von ihm
letztlich begehrte Herabsetzung der Steuer auf 688 EUR, die sich unter
Berücksichtigung des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen ergeben hätte, ist der Kläger
unterlegen. Daraus ergab sich das im Tenor ersichtliche Verhältnis von Obsiegen und
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Unterliegen.
IV. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 115 Abs. 2 Nr.
1 FGO zugelassen.
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