Urteil des FG Baden-Württemberg vom 28.07.2014

erdgas, akte, anteil, verbrennung

FG Baden-Württemberg Urteil vom 28.7.2014, 11 K 1674/11
Steuerentlastung für zur Erzeugung von Percarbonat verwendetem Erdgas nach
§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG: dual-use-Verfahren, kein
Nachrangigkeitserfordernis des Heizzwecks
Tenor
Soweit der Beklagte in dem Bescheid vom 3. März 2008 (GZ...) die von der Klägerin
beanspruchte Entlastung für das in der Zeit vom 1. August 2006 bis zum 30.
September 2007 in den PC1- und PC3-Anlagen in Y verwendete Erdgas abgelehnt
und diese Entscheidung in der Einspruchsentscheidung vom 6. April 2011 (GZ 1..)
bestätigt hat, werden diese Verwaltungsakte aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die von ihr beantragten weiteren
Vergütungen in Höhe von
xx.xxx,xx EUR (für August bis Dezember 2006) sowie
xxx.xxx,xx EUR (für Januar bis September 2007 zu gewähren.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht
der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500
EUR, darf sie nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des darin festgesetzten
Erstattungsbetrages erfolgen. In anderen Fällen kann der Beklagte die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung
Sicherheit leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Energiesteuerentlastung für im
Rahmen eines chemischen Verfahrens verwendetes Erdgas.
2 Die Klägerin ist ein in der Spezialchemie tätiger Konzern, der in einer Betriebsstätte
in Y granuliertes Natriumpercarbonat (nachfolgend: Percarbonat) herstellt, welches
u. a. als Komponente von Bleichmitteln in Haushaltswaschmitteln verwendet wird.
Das Verfahren zur Herstellung dieser Substanz durchläuft mehrere Stufen. Zur
Darstellung des Herstellungsprozesses hat die Klägerin beim beklagten
Hauptzollamt (HZA) eine sog. „Betriebserklärung für die Anlage zur Herstellung von
Percarbonaten Standort Y“ vorgelegt (Besteuerungsakte Bl. 9 ff.), auf deren Inhalt
verwiesen wird. Bei der Herstellung des Percarbonats setzt die Klägerin
versteuertes Erdgas in den sog. Anlagen PC1 und PC3 wie folgt ein (vgl. die vom
HZA nicht bestrittene Darstellung im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der
Klägerin vom 11. Juli 2011; FG-Akte Bl. 41 ff. einerseits und Bl. 107 andererseits):
[……]
3 In zahlreichen Schreiben hat die Klägerin für Zeiträume von August 2006 bis
September 2007 jeweils Anträge auf Steuerentlastung für bestimmte Prozesse und
Verfahren nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d des Energiesteuergesetzes
(EnergieStG) für in diesen Monaten bei der Herstellung von Percarbonat in Y
verwendetes Erdgas gestellt. Die Vergütungsbeträge für in der sog. PC1- und in
der PC3-Anlage verwendete xxx.xxx,xxx Megawattstunden (MWh) Erdgas hat sie
für August bis Dezember 2006 mit xxx.xxx,xx EUR und für Januar bis September
2007 mit xxx.xxx,xx EUR, für den gesamten Zeitraum also mit insgesamt
xxx.xxx,xx EUR errechnet. Die Einzelheiten ergeben sich aus der nachstehenden
Tabelle:
4
HZA-Akte
Bl.
Antragseingang Zeitraum Erdgasmenge
(MWh)
Vergütungsbetrag
in EUR
xxxx
xxxxx
xxxxx
xxxxxx
xxxxxxxxxx
5 Das HZA setzte die - vorliegend nicht streitbefangene - Vergütung für das zur
Wasserstofferzeugung sowie das in der NHP3-Anlage verwendete Erdgas
antragsgemäß fest, versagte jedoch die Entlastung für das in den Anlagen PC1
und PC3 verwendete Erdgas zunächst vorläufig und mit Bescheid vom 3. März
2008 (HZA-Akte Bl. 125 - 131) endgültig. Zur Begründung führte es aus, dass das
Erdgas lediglich verheizt und zum Trocknungsprozess benötigt werde; weder das
Erdgas noch Teile des „Rauchgases“ (Abgas) gingen in das Produkt ein. Es fehle
mithin an der zweiten Voraussetzung des in § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d
EnergieStG geregelten Entlastungstatbestands.
6 Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch (Schriftsatz vom 25. März 2008; Rb-
Akte Bl. 11 - 15) wies die Klägerin darauf hin, dass das verwendete Erdgas sowohl
als Wärmequelle als auch als Ausgangsstoff für die Gewinnung von CO2
eingesetzt werde, also einem doppelten Verwendungszweck diene. Sie hat zur
Untermauerung dieses Vorbringens mit Schreiben vom 19. Juni 2009 ergänzende
Unterlagen zur weiteren Erläuterung des stofflichen Verwendungszwecks des
Erdgases vorgelegt (Rb-Akte Bl. 109 bis 137); auf deren Inhalt wird Bezug
genommen. Daraufhin holte das HZA eine Stellungnahme des Bildungs- und
Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung (BWZ) -Abteilung
Wissenschaft und Technik- ein, in der es zur Frage, ob der Einsatz des Erdgases -
außer der Verwendung als Heizstoff - ggf. als Grund-, Roh- oder Hilfsstoff bewertet
werden könne, zwar heißt (Rb-Akte Bl. 157 ff., 159),
„Bei der ,Granulation‘ dient das eingesetzte Erdgas nicht ausschließlich der
Erzeugung der benötigten Prozesswärme, da ein Teil des bei der Verbrennung
anfallenden Kohlendioxids in Form von Natriumhydrocarbonat in das Produkt
(Percarbonat-Granulat) eingeht. Die Produkteigenschaften werden durch das
Einleiten des Kohlendioxidhaltigen Abgases gezielt verbessert. Das eingesetzte
Erdgas kann somit als ,Hilfsstoff‘ bei der Percarbonat-Herstellung angesehen
werden“,
7 in energiesteuerrechtlicher Hinsicht jedoch die Auffassung vertreten wurde, eine
Steuerentlastung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe d EnergieStG bei
doppelfunktionaler Verwendung von Erdgas setze voraus, dass der Einsatz zur
Erzeugung von thermischer Energie dabei in den Hintergrund trete, wogegen er
bei der Klägerin im Vordergrund stehe. Hauptsächlich mit dieser Begründung wies
auch das HZA in seiner Entscheidung vom 6. April 2011 den Einspruch als
unbegründet zurück.
8 Mit ihrer dagegen (am 5. Mai 2011) erhobenen Klage verfolgt die Klägerin die
geltend gemachten Vergütungsansprüche weiter. Zur Begründung lässt sie
ausführen, § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe d EnergieStG setze zwar voraus, dass das
Energieerzeugnis neben Heizzwecken auch für andere Zwecke eingesetzt und
auch bei diesen anderen Zwecken eine Wesentlichkeitsschwelle überschritten
werde. Nicht erforderlich sei aber, dass nach einer Gewichtung der mehreren
Einsatzzwecke festgestellt werden könne, dass der andere Zweck überwiege und
den Zweck als Heiz- oder Kraftstoff in den Hintergrund dränge. Abgesehen davon,
dass es für die - vom HZA vertretene - abweichende Auffassung im
Gesetzeswortlaut keine Grundlage gebe und eine Gewichtung wegen mangelnder
Vergleichbarkeit der verschiedenen Zwecke auch nicht praktikabel sei,
widerspreche sie auch den Gesetzesmaterialien. Soweit der BFH sich hierzu in
seinem Urteil vom 28. Oktober 2008 VII R 6/08 (BFHE 223, 280, BFH/NV 2009,
140) in einem anderen Sinne geäußert habe, trügen dessen Ausführungen die
getroffene Entscheidung nicht und stellten somit ein nicht bindendes obiter dictum
dar. Für die Annahme der Wesentlichkeit des anderen Zwecks reiche es vielmehr
aus, wenn durch den Einsatz des konkreten Energieerzeugnisses wichtige,
charakterbestimmende Eigenschaften des Produkts definiert werden. Das sei bei
dem bei der Verbrennung des Erdgases entstehenden Natriumhydrogencarbonat
indessen der Fall, auch wenn der Anteil dieser Substanz im Produkt lediglich
zwischen 2,6 und 2,9 % betrage. Wegen aller Einzelheiten der Klagebegründung
wird auf die Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 8. Juli (FG-
Akte Bl. 40 ff.) und 23. November 2011 (FG-Akte Bl. 79 ff.) sowie vom 30. April (FG-
Akte Bl. 99 ff.) und 17. Juni 2014 (FG-Akte Bl. 111 ff.) Bezug genommen.
9 Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids vom 3. März 2008 GZ... und der
Einspruchsentscheidung vom 6. April 2011 GZ 1.. das HZA zu verpflichten, zu
ihren Gunsten für die Monate August bis Dezember 2006 eine weitere
Energiesteuervergütung in Höhe von xxx.xxx,xx EUR und für die Monate Januar
bis September 2007 eine weitere Energiesteuervergütung in Höhe von xxx.xxx,xx
EUR festzusetzen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
10 Das HZA beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
11 Es hält an seiner Einspruchsentscheidung fest, in der es anknüpfend an die
Ausführungen in der BFH-Entscheidung vom 28. Oktober 2008 VII R 6/08, (a.a.O.)
ausgeführt hatte, dass die streitbefangene Entlastungsnorm richtlinienkonform
dahin auszulegen sei, dass Energieerzeugnisse nur dann gleichzeitig zu anderen
Zwecken als als Heizstoff verwendet würden und damit vom Gesetzgeber
aufgrund der Nichterfassung durch die EnergieStRL steuerlich begünstigt werden
könnten, wenn die Erzeugung thermischer Energie in den Hintergrund trete und
das Energieerzeugnis im Rahmen eines industriellen Prozesses oder Verfahrens
zugleich als Roh-, Grund- oder Hilfsstoff eingesetzt werde. Auf eine quantitative
Gewichtung der mehreren Zwecke könne nicht verzichtet werden. Danach sei der
von der Klägerin neben dem thermischen Zweck geltend gemachte weitere
Verwendungszweck nicht erheblich. Denn die Menge des von der Klägerin in den
streitbefangenen Anlagen verwendeten Erdgases richte sich nach der für das
Verfahren erforderlichen thermischen Energie und nicht danach, wie viel
Kohlendioxid im Produktionsprozess benötigt werde. Abgesehen davon könne
Percarbonat-Granulat auch ohne Zuführung von Kohlendioxid mittels elektrisch
erhitzter Raumluft hergestellt werden. Schließlich zeige auch der äußerst geringe
Anteil des Natriumhydrogencarbonats im Produkt, dass der Verwendungszweck
„Erzeugung von Kohlendioxid“ untergeordnete Bedeutung habe. Wegen weiterer
Einzelheiten seiner Klageerwiderung wird auf die Schriftsätze des HZA vom
27. September 2011 (FG-Akte Bl. 68 ff.) sowie vom 1. April (FG-Akte Bl. 92) und
vom 16. Mai 2014 (FG-Akte Bl. 107 f.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
12 Die Klage ist zulässig und auch begründet.
13 Der Bescheid vom 3. März 2008 ist rechtswidrig, soweit der Klägerin darin eine
Steuerentlastung für das in den Anlagen PC1 und PC3 zur Erzeugung von
Percarbonat verwendete Erdgas versagt worden ist. Die Klägerin kann für das so
verwendete Erdgas auf der Grundlage des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG
eine Entlastung von der Energiesteuer beanspruchen. Es ist von ihr im Rahmen
des streitbefangenen Verfahrens zur Herstellung von Percarbonat nicht
ausschließlich als Heiz- oder Kraftstoff, sondern gleichzeitig auch zu einem
anderen Zweck verwendet worden.
14 Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG wird auf Antrag eine
Steuerentlastung für nachweislich versteuerte Energieerzeugnisse gewährt, die
von einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes i.S. des § 2 Nr. 3 des
Stromsteuergesetzes (StromStG) gleichzeitig zu Heizzwecken und zu anderen
Zwecken als als Heiz- oder Kraftstoff verwendet worden sind.
15 Danach war auch für das vorliegend streitbefangene Erdgas eine Steuervergütung
zu gewähren.
16 1. Bei der Klägerin handelt es sich um ein Unternehmen des Produzierenden
Gewerbes im Sinne des § 2 Nr. 3 StromStG. Sie hat zur Herstellung von
Percarbonat Erdgas, eine Ware der Unterposition 2711 der Kombinierten
Nomenklatur und damit ein Energieerzeugnis im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2
EnergieStG verwendet. Dieses Erdgas war ordnungsgemäß versteuert worden.
Die Klägerin hat für dieses Erdgas innerhalb der hierzu geregelten Fristen beim
beklagten HZA formgerechte Entlastungsanträge gestellt.
17 Die Klägerin hat durch die Verbrennung des Erdgases die für die Granulation (bei
der durch Aufsprühen von Sodalösung und Wasserstoffperoxydlösung auf kleinste
Percarbonatpartikel Percarbonat in der gewünschten Korngröße erzeugt wird)
benötigte Prozesswärme erzeugt. Damit hat sie das Erdgas unzweifelhaft zu
Heizzwecken verwendet. Diesem thermischen Verwendungszweck kam nicht nur
nachrangige, sondern für den Herstellungsprozess durchaus wesentliche
Bedeutung zu.
18 All das ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und bedarf deshalb keiner
weiteren Ausführungen.
19 2. Die Klägerin hat das Erdgas bei der streitbefangenen Erzeugung von
Percarbonat indessen nicht lediglich in dem beschriebenen Sinne verheizt. Sein
Einsatz diente vielmehr gleichzeitig der Erzeugung von Kohlendioxid, einer
chemischen Verbindung, der im Rahmen des auf dieses Produkt gerichteten
Herstellungsprozesses besondere prozessfördernde und produktprägende
Bedeutung zukam. Darin lag unter den vorliegend gegebenen Umständen ein
eigenständiger Verwendungszweck, der die Entlastungsfähigkeit des eingesetzten
Erdgases nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG (sog. dual-use-Verfahren
oder Verwendung zu zweierlei Zwecken) begründete.
20 a) Während in § 2 Abs. 6 EnergieStG der Begriff des Verheizens als das
Verbrennen von Energieerzeugnissen zur Erzeugung von Wärme näher definiert
ist, hat der Gesetzgeber nirgends konkretisiert, in welchen Fällen er davon
ausgeht, dass ein Energieerzeugnis zugleich auch zu "anderen Zwecken" als zu
Heizzwecken (also zu nichtenergetischen Zwecken) verwendet wird. Unzweifelhaft
darf sich die Verwendung des Energieerzeugnisses jedenfalls nicht in der
Erzeugung thermischer Energie erschöpfen. Zur weiteren Konkretisierung des
Terminus „Verwendung zu zweierlei Zwecken“ ist die Entstehungsgeschichte der
Vorschrift und ihr unionsrechtlicher Hintergrund in den Blick zu nehmen.
21 aa) Der BFH hat in seinem Urteil vom 28. Oktober 2008 VII R 6/08 (a.a.O.; dort
unter II. 4. der Gründe) zur Auslegung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG
ausgeführt, diese Vorschrift sei richtlinienkonform dahin auszulegen, dass
„Energieerzeugnisse nur dann gleichzeitig zu anderen Zwecken als als Heizstoff
verwendet werden und damit vom Gesetzgeber aufgrund Nichterfassung durch die
EnergieStRL steuerlich begünstigt werden können, wenn die Erzeugung
thermischer Energie in den Hintergrund tritt und das Energieerzeugnis im Rahmen
eines industriellen Prozesses oder Verfahrens zugleich als Roh-, Grund- oder
Hilfsstoff eingesetzt wird“. Er ist zu diesem Auslegungsverständnis aufgrund einer
Analyse der Entstehungsgeschichte der Entlastungsnorm gelangt. Der inländische
Gesetzgeber habe ausweislich der Gesetzesbegründung mit der Normierung der
in § 51 Abs. 1 Nr. 1 EnergieStG aufgeführten Entlastungstatbestände beabsichtigt,
die Konsequenzen aus der EuGH-Rechtsprechung zum Begriff des Verheizens
(EuGH-Urteil vom 29. April 2004 Rs. C-240/01, EuGHE 2004, I-4733) zu ziehen
und die Vorgaben des Art. 2 Abs. 4 EnergieStRL in nationales Recht umzusetzen
(BTDrucks 15/5816 und 16/1172, S. 44). In der genannten Entscheidung habe der
EuGH die Auffassung vertreten, dass sich der in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie
92/81/EWG -RL 92/81/EWG- des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung
der Struktur der Verbrauchsteuern auf Mineralöle, ABlEG Nr. L 316/12) verwendete
Begriff „Verbrauch als Heizstoff“ auf alle Fälle beziehe, in denen Mineralöle
verbrannt werden und die so erzeugte thermische Energie zum Heizen genutzt
werde, und zwar unabhängig vom Zweck des Heizens, der auch die Umwandlung
oder Vernichtung des Stoffes umfassen könne, auf den die thermische Energie bei
einem chemischen und industriellen Prozess übertragen werde. Wenngleich die
RL 92/81/EWG zwischenzeitlich durch die Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom
27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen
Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem
Strom (EnergieStRL; ABlEU Nr. L 283/51) abgelöst worden sei und
Energieerzeugnisse, die nicht als Heiz- oder Kraftstoffe verwendet werden,
nunmehr vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen seien, bestehe
weiterhin das Grundprinzip, dass Energieerzeugnisse, die als Heiz- oder Kraftstoffe
bestimmt sind oder als solche verwendet werden, der harmonisierten
Energiesteuer unterliegen; deshalb könne die Rechtsprechung des EuGH zur
Auslegung des Art. 2 Abs. 2 RL 92/81/EWG weiterhin Geltung beanspruchen. Die
unionsrechtlichen Vorgaben stünden indessen einem Auslegungsverständnis
entgegen, nach dem § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG als Auffangtatbestand
solche Verwendungen umfasse, die nach der vom EuGH beanstandeten -
früheren - Rechtsprechung des BFH zum Begriff „Verheizen“ und den dazu
ergangenen Anwendungserlassen im Ergebnis steuerbefreit waren. Diese
Erwägungen führten den BFH zu der eingangs wiedergegebenen, den Wortlaut
einschränkenden Auslegung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG.
22 bb) Diese Rechtsprechung hat insofern Kritik erfahren, als darin als
Voraussetzung für die begehrte Steuerentlastung (auch) gefordert wurde, dass der
thermische Verwendungszweck gegenüber dem weiteren - nichtenergetischen
- Verwendungszweck in den Hintergrund treten müsse (vgl. etwa Bongartz, „Dual
use“ im Energiesteuerrecht, ZfZ 2009, 57 ff., 62; ders. in Bongartz/Schröer-
Schallenberg, Verbrauchsteuerecht, 2. Aufl. 2011, Rz. H 168; Möhlenkamp in
Möhlenkamp/Milewski, EnergieStG - StromStG, 2012, § 51 EnergieStG Rz. 17;
Stein/Thoms, Energiesteuern in der Praxis, 2. Aufl. 2013, S. 157;
Friedrich/Meißner, Energiesteuern, § 51 EnergieStG Rz. 25). Ihr wird zu Recht
entgegen gehalten, dass sich eine solche Einschränkung weder aus der
EnergieStRL noch aus § 51 Abs. 1 EnergieStG herleiten lasse. Der
Richtliniengeber hat vielmehr in seiner Definition in Art. 2 Abs. 4 Buchst. b zweiter
Spiegelstrich EnergieStRL das Vorliegen beider Verwendungszwecke
nebeneinandergestellt, ohne dabei bestimmte Anforderungen an das Verhältnis
zwischen den beiden Zwecken zu stellen. Falkenberg (in ZfZ 2012, 117 ff., 119)
weist zutreffend darauf hin, dass es inkonsequent wäre, den Einsatz von
Energieerzeugnissen als Verheizen anzusprechen, wenn das Verheizen (wenn
auch nur minimal) im Vordergrund steht, deren Einsatz aber nicht als Verwendung
zu anderen Zwecken im Sinne von Art. 2 Abs. 4 Buchst. b erster Spiegelstrich
EnergieStRL anzusehen, wenn der nichtenergetische Zweck im Vordergrund steht.
Die besondere Erwähnung von Energieerzeugnissen mit zweierlei
Verwendungszweck in Art. 2 Abs. 4 Buchst. b zweiter Spiegelstrich EnergieStRL
ergibt nur dann einen Sinn, wenn auch und gerade diejenigen Konstellationen
angesprochen sind, in denen von einem Überwiegen des energetischen Zwecks
gegenüber dem - ebenfalls feststellbaren - nichtenergetischen Zweck auszugehen
ist.
23 Soweit der BFH bei seiner Argumentation auf die RL 92/81/EWG zurückgreift,
überzeugt das schon deshalb nicht, weil unter der Geltung der außer Kraft
getretenen - alten - Richtlinie der Einsatz von Energieerzeugnissen zu zweierlei
Verwendungszwecken noch keine eigenständige Würdigung erfahren hatte,
vielmehr eine Entscheidung zwischen einem „Verheizen“ und dem „Einsatz zu
anderen Zwecken“ getroffen werden musste; war (auch) ein Verheizen
festzustellen, unterlag die Verwendung zwingend der harmonisierten
Energiesteuer. Der Umstand, dass der Richtliniengeber in der EnergieStRL neben
den bislang zwei Fallgruppen nunmehr für deren Überlappungsbereich eine dritte
Fallgruppe „Energieerzeugnisse mit zweierlei Verwendungszweck“ gebildet und
diese Fallgruppe aus ihrem Anwendungsbereich ausgenommen hat, gibt nichts für
die Annahme her, dass darunter nur Konstellationen fielen, in denen der
energetische Verwendungszweck von dem anderen - nichtenergetischen
- Verwendungszweck dominiert wird. Dementsprechend hat auch die
Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache C-426/12
vom 22. Mai 2014 (betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen des Gerechtshof
te’s-Hertogenbosch, dort unter Rz. 31 ff., 38; abrufbar auf der Homepage der EU)
ausgeführt, dass der Wortlaut von Art. 2 Abs. 4 Buchst. b zweiter Spiegelstrich
EnergieStRL weit genug sei, um Energieerzeugnisse zu erfassen, die für
Wärmeerzeugung und für die Freisetzung von CO2 verwendet werden, aber keine
Erwägungen dazu angestellt, ob das auch voraussetze, dass der Zweck der
Wärmeerzeugung dabei in den Hintergrund tritt.
24 cc) Beschränkt sich aber das Unionsrecht zum Terminus „zweierlei
Verwendungszweck“ (in Art. 2 Abs. 4 Buchst. b zweiter Spiegelstrich EnergieStRL)
auf eine Definition, die keine besonderen Anforderungen im Sinne einer
Vorrangigkeit des nichtenergetischen Verwendungszwecks stellt, dann können
solche Anforderungen jedenfalls nicht durch eine richtlinienkonforme Auslegung
geboten sein.
25 Eine andere Frage ist es, ob der nationale Gesetzgeber solche Anforderungen
stellen wollte und gestellt hat. Aber auch insofern ist zu konstatieren, dass der
Wortlaut des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG keinen Hinweis auf das vom
BFH postulierte, den Anwendungsbereich der Entlastungsvorschrift einengende
Auslegungsverständnis bietet. Mehr als dass die Energieerzeugnisse „gleichzeitig
zu Heizzwecken und zu anderen Zwecken als als Heiz- oder Kraftstoff verwendet“
werden, wird von dem dort geregelten Entlastungstatbestand nicht verlangt. Die
Einführung zusätzlicher Anforderungen an die Bedeutung des nichtenergetischen
Verwendungszwecks waren aber offenbar vom Gesetzgeber auch gar nicht
beabsichtigt. Vielmehr sollte die Steuerentlastung nach der Gesetzesbegründung
(BTDrucks 16/1172 Seite 44) „als Auffangtatbestand solche Verwendungen
umfassen, die nach der [damaligen] Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum
Begriff Verheizen und den dazu ergangenen Anwendungserlassen im Ergebnis
steuerbefreit waren“.
26 dd) Mithin gibt es für die Auffassung, die in § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG
geregelte Steuerentlastung hänge (auch) davon ab, dass der andere -
nichtenergetische - Verwendungszweck den thermischen Verwendungszweck in
den Hintergrund drängt, keine Grundlage. Ausreichend, aber auch erforderlich ist
vielmehr, dass ein solcher eigenständiger nichtenergetischer Verwendungszweck
neben dem thermischen Zweck festgestellt werden kann.
27 b) Hiervon ausgehend sind in Bezug auf das streitbefangene Erdgas die in § 51
Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG geregelten Voraussetzungen erfüllt.
28 aa) Die Klägerin hat schlüssig und nachvollziehbar - und ohne dass dies vom
HZA bestritten worden wäre - dargelegt, dass der Einsatz des Erdgases auch mit
dem Ziel erfolgt sei, durch dessen Verbrennung Kohlendioxid zu erzeugen. Die
Erzeugung von Kohlendioxid ist für den von ihr betriebenen Prozess der
Herstellung des Percarbonats in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Zum einen
werden - wie im Tatbestand dieser Entscheidung näher erläutert - die
physikalischen Eigenschaften (das Löseverhalten, die Bruchfestigkeit, der Abrieb,
das Schüttgewicht) und die chemische Stabilität dieses Produkts durch dessen
Reaktion mit aus dem Verbrennungsvorgang entstandenem Kohlendioxid
wesentlich bestimmt. Insbesondere weist das erzeugte Percarbonat aufgrund des
Einsatzes von Erdgas und des durch dessen Verbrennung entstehenden
Kohlendioxids eine für die Produktqualität wesentliche, deutlich höhere - durch
sog. Microcalorimetrie ermittelte und in µW/ggemessene - Stabilität auf, als wenn
es nur mit elektrisch erhitzter Raumluft erhitzt worden wäre. Die Klägerin hat das im
Einspruchsverfahren durch die Vorlage einer auf eigenen Untersuchungen
basierenden Dokumentation belegt (Rb-Akte Bl. 109 ff.). Zum anderen wird im
Granulator nicht umgesetztes Kohlendioxid zur Bildung von Hydrogencarbonat
verwendet, das seinerseits bei der Granulation dazu dient, homogen verteilt in den
Percarbonat-Partikeln seine stabilisierende Wirkung zu entfalten. Das aus dem
Verbrennungsvorgang des Erdgases gewonnene Kohlendioxid prägt danach die
Eigenschaften des von der Klägerin hergestellten Produkts Percarbonat
entscheidend und wird überdies auch Bestandteil dieses Produkts.
29 bb) Diese Feststellungen wurden von dem im Einspruchsverfahren von der
beklagten Behörde beigezogenen BWZ weder widerlegt, noch auch nur in Frage
gestellt, sondern vielmehr ausdrücklich bestätigt. Die wissenschaftliche
Dienststelle der Bundesfinanzverwaltung gelangte nach einer Überprüfung der
Angaben der Klägerin ausweislich ihrer eigenen gutachterlichen Äußerung vom
28. Februar 2011 (Rb-Akte Bl. 157 ff.) zu der Erkenntnis, dass ein Teil des bei der
Verbrennung des Erdgases entstehenden Kohlendioxids in das Produkt
Percarbonat-Granulat eingehe, dass dessen Produkteigenschaften durch das
Einleiten des kohlendioxidhaltigen Abgases verbessert würden und dass deshalb
das eingesetzte Erdgas als „Hilfsstoff“ bei der Percarbonat-Herstellung angesehen
werden könne. Mehr ist als objektive Voraussetzung für die Annahme eines
eigenständigen Zwecks nicht erforderlich.
30 cc) Der erkennende Senat ist ferner davon überzeugt, dass die Klägerin das
Erdgas bei der Herstellung des Percarbonats gerade auch zu dem Zweck
eingesetzt hat, Kohlendioxid zu erzeugen und diese chemische Verbindung für
den weiteren Produktionsprozess und die Produktqualität nutzbar zu machen.
Auch das BWZ stellte in seiner gutachterlichen Äußerung fest, dass das Einleiten
des kohlendioxidhaltigen Abgases gezielt geschieht (Rb-Akte Bl. 159),
dementsprechend also nicht lediglich zufälliges Resultat der thermischen
Verwendung des Erdgases ist. Dann aber lag und liegt darin ein eigenständiger
nichtenergetischer Verwendungszweck für den Einsatz von Erdgas. Damit wurde
das Erdgas in einer nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG
entlastungsfähigen Weise (sog. dual-use-Verfahren oder Verwendung zu zweierlei
Zwecken) verwendet.
31 dd) Dem kann nicht mit Erfolg entgegen gehalten werden, dass der aus der
Verwendung des Erdgases resultierende Anteil von Natriumhydrogencarbonat im
Produkt zu gering sei, um für die steuerliche Beurteilung als relevant angesehen
werden zu können. Soweit das HZA in diesem Zusammenhang ursprünglich
geltend gemacht hatte, dass der Gehalt an Natriumhydrogencarbonat im Produkt
lediglich 0,1 % betrage, war es von unzutreffenden Voraussetzungen
ausgegangen. Es hatte sich bei seinem diesbezüglichen Einwand nämlich ebenso
wie zuvor das BWZ (vgl. den letzten Absatz der gutachterlichen Stellungnahme
vom 28. Februar 2011; Rb-Akte Bl. 161) auf die von der Klägerin dort als Anlagen 4
bis 6 zum Schreiben vom 19. Juni 2009 vorgelegten Produktdatenblätter gestützt
(Rb-Akte Bl. 131 bis 135). Diese Datenblätter beziehen sich jedoch auf die von der
Klägerin zu Vergleichszwecken vorgelegten Analysedaten bei - von ihr gerade
nicht praktizierter - Granulation mit elektrisch erhitzter Raumluft. Bei der
Verwendung von Gas hat der quantitative Anteil von Natriumhydrogencarbonat
demgegenüber tatsächlich zwischen 2,6 und 2,9 % betragen; das zeigen die aus
Anlage 3 zum Schreiben der Klägerin vom 19. Juni 2009 (Rb-Akte Bl. 129)
ersichtlichen Daten und die zusammenfassende Gegenüberstellung der
Analysedaten in der von der Klägerin mit der ebenfalls vorgelegten „Ergänzenden
Betriebserklärung zur Herstellung von Percarbonaten -unter Berücksichtigung der
Korrespondenz im Einspruchsverfahren-“ enthaltenen Tabelle (Rb-Akte Bl. 113).
32 Ein Anteil von 2,6 bis 2,9 % des im Rahmen der ablaufenden chemischen
Reaktionen mit Kohlendioxid entstehenden Natriumhydrogencarbonats an der
Substanz der von der Klägerin hergestellten Endprodukte (Percarbonat) mag zwar
nicht gerade hoch sein. Dies ist aber schon deshalb unschädlich, weil die Klägerin
den Einsatz des Erdgases jenseits des energetischen Zwecks ohnehin nicht in
erster Linie (sondern allenfalls ergänzend) mit dem verbleibenden stofflichen Anteil
der über das Erdgas in den Herstellungsprozess eingehenden Moleküle im
Endprodukt begründet. Wesentlich für den nichtenergetischen Verwendungszweck
des Einsatzes von Erdgas sind nach ihrer Darstellung vielmehr die damit
angestrebten - und nur mittels des Einsatzes von Erdgas in der gewünschten
Form erreichbaren - physikalischen Eigenschaften der von ihr hergestellten
Produkte.
33 ee) Die Verwendung des Erdgases zu energetischen Zwecken (zu Heizzwecken)
und zu nichtenergetischen Zwecken (anderen Zwecken als als Heiz- oder
Kraftstoff) ist schließlich auch „gleichzeitig“ im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst.
d EnergieStG erfolgt.
34 Dabei wird nicht verkannt, dass das Kohlendioxid und das im weiteren Ablauf des
Granulationsprozesses gebildete Natriumhydrogencarbonat als Folge des
Verbrennungsvorgangs entstehen, die Realisierung des nichtenergetischen
Verwendungszwecks also an die bereits zuvor eingeleitete energetische
Verwendung des Energieerzeugnisses anknüpft. Der erkennende Senat geht
nämlich davon aus, dass die Anforderung der „Gleichzeitigkeit“ nicht in dem Sinne
zu verstehen ist, dass die beiden eigenständigen Verwendungszwecke zeitgleich
(in der gleichen Sekunde) verwirklicht werden müssten. Er pflichtet insoweit den
überzeugenden Ausführungen des FG Rheinland-Pfalz in dessen noch nicht
rechtskräftigem Urteil vom 4. September 2012 6 K 2297/09 Z (ZfZ-Beilage 2013,
Nr. 1, S. 12 -15; dort I. 2.2.2. der Entscheidungsgründe) bei und macht sie sich zu
eigen. Danach genügt es, wenn die Verwendung des Energieerzeugnisses den
beiden unterschiedlichen Verwendungszwecken gleichermaßen dient. Davon ist
vorliegend auszugehen. Sowohl der energetische Zweck (das Verheizen des
Erdgases) als auch der darüber hinausgehende nichtenergetische Zweck (die
Gewinnung von Kohlendioxid) werden im gleichen Stadium des
Herstellungsprozesses, nämlich bei der Granulation der Percarbonatpartikel
realisiert.
35 Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
36 Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf den
§§ 708 Nr. 11, 709 und 711 ZPO i. V. m. § 151 Abs. 3 FGO.
37 Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, weil er
hinsichtlich der Anforderungen für eine Steuerentlastung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. d EnergieStG vom Urteil des BFH vom 28. Oktober 2008 VII R 6/08 (BFHE
223, 280, BFH/NV 2009, 140) insofern abgewichen ist, als er es nicht für
notwendig erachtet, dass der energetische Verwendungszweck gegenüber dem
nichtenergetischen Verwendungszweck in den Hintergrund tritt.