Urteil des EuGH vom 06.05.2015

Klage auf Nichtigerklärung, Aeuv, Verordnung, Beherrschende Stellung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
6. Mai 2015
)
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche
Beihilfen – Markt für Paketdienste – Beschluss der Kommission – Verpflichtung zur
vollständigen Rückforderung der Beihilfe und zur Umgestaltung der Beihilferegelung für
die Zukunft – Zu ergreifende Maßnahmen – Art. 108 Abs. 2 AEUV – Verordnung (EG) Nr.
659/1999 – Art. 14 Abs. 3“
In der Rechtssache C‑674/13
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 108 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV,
eingereicht am 17. Dezember 2013,
Europäische Kommission,
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Bundesrepublik Deutschland,
Bevollmächtigte,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta und der Richter
J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev (Berichterstatter), J. L. da Cruz Vilaça und C. Lycourgos,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14.
Januar 2015,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne
Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1
Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die
Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 108 Abs. 2
Unterabs. 2 AEUV und Art. 288 AEUV, dem Effektivitätsgrundsatz, Art. 14 Abs. 3 der
Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere
Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. L 83, S. 1) sowie aus den
Art. 1 und 4 bis 6 des Beschlusses 2012/636/EU der Kommission vom 25. Januar 2012
über die Maßnahme C 36/07 (ex NN 25/07) Deutschlands zugunsten der Deutschen
Post AG (ABl. L 289, S. 1) verstoßen hat,
– dass sie im Rahmen der Umsetzung dieses Beschlusses keine eigenständige
Prüfung der Frage vorgenommen hat, ob der Dienst der Zustellung von Paketen,
die von Unternehmen an andere Unternehmen gesendet werden („Business to
Business“ oder „B2B“) (im Folgenden: B2B-Paketdienst), im Zeitraum von 2003 bis
2012 und seit 2012 (im Folgenden: maßgeblicher Zeitraum) einen eigenen sachlich
relevanten Markt darstellt,
– hilfsweise, dass sie bei der Umsetzung des Beschlusses 2012/636 die
Pensionssubventionen für diejenigen Beamten, die dem B2B-Paketdienst
zuzurechnen sind, für den Zeitraum 2003 bis 2012 nicht zurückgefordert hat und für
die Zukunft nicht aufgehoben hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
2
Der 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 659/1999 lautet:
„Bei rechtswidrigen Beihilfen, die mit dem Gemeinsamen Markt nicht vereinbar sind,
muss wirksamer Wettbewerb wiederhergestellt werden. Dazu ist es notwendig, die
betreffende Beihilfe einschließlich Zinsen unverzüglich zurückzufordern. Die
Rückforderung hat nach den Verfahrensvorschriften des nationalen Rechts zu erfolgen.
Die Anwendung dieser Verfahren sollte jedoch die Wiederherstellung eines wirksamen
Wettbewerbs durch Verhinderung der sofortigen und tatsächlichen Vollstreckung der
Kommissionsentscheidung nicht erschweren. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen,
sollten die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung der
Wirksamkeit der Kommissionsentscheidung treffen.“
3
Art. 14 („Rückforderung von Beihilfen“) der Verordnung Nr. 659/1999 bestimmt:
„(1) In Negativentscheidungen hinsichtlich rechtswidriger Beihilfen entscheidet die
Kommission, dass der betreffende Mitgliedstaat alle notwendigen Maßnahmen ergreift,
um
die
Beihilfe
vom
Empfänger
zurückzufordern
(nachstehend
‚Rückforderungsentscheidung‘ genannt). Die Kommission verlangt nicht die
Rückforderung der Beihilfe, wenn dies gegen einen allgemeinen Grundsatz des
Gemeinschaftsrechts verstoßen würde.
(2) Die aufgrund einer Rückforderungsentscheidung zurückzufordernde Beihilfe
umfasst Zinsen, die nach einem von der Kommission festgelegten angemessenen Satz
berechnet werden. Die Zinsen sind von dem Zeitpunkt, ab dem die rechtswidrige Beihilfe
dem Empfänger zur Verfügung stand, bis zu ihrer tatsächlichen Rückzahlung zahlbar.
(3) Unbeschadet einer Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen [Union]
nach Artikel [278 AEUV] erfolgt die Rückforderung unverzüglich und nach den Verfahren
des betreffenden Mitgliedstaats, sofern hierdurch die sofortige und tatsächliche
Vollstreckung der Kommissionsentscheidung ermöglicht wird. Zu diesem Zweck
unternehmen die betreffenden Mitgliedstaaten im Fall eines Verfahrens vor nationalen
Gerichten unbeschadet des Gemeinschaftsrechts alle in ihren jeweiligen
Rechtsordnungen verfügbaren erforderlichen Schritte einschließlich vorläufiger
Maßnahmen.“
4
Art. 23 („Nichtbefolgung von Entscheidungen und Urteilen“) Abs. 1 dieser Verordnung
sieht vor:
„Kommt der betreffende Mitgliedstaat mit Bedingungen und Auflagen verbundenen
Entscheidungen oder Negativentscheidungen, insbesondere in den in Artikel 14
genannten Fällen, nicht nach, so kann die Kommission nach Artikel [108 Abs. 2 AEUV]
den Gerichtshof … unmittelbar anrufen.“
Deutsches Recht
Postpersonalrechtsgesetz
5
Durch § 16 des Postpersonalrechtsgesetzes vom 14. September 1994 (BGBl. I S. 2325,
2353) wird die Deutsche Post AG (im Folgenden: DP) von einem Teil der Kosten
entlastet, die für die Zahlung der Pensionen an ihre ehemaligen Beamten entstehen.
Diese Kosten werden von der Bundesrepublik Deutschland übernommen.
Postgesetz
6
§ 4 Nr. 6 des Postgesetzes vom 22. Dezember 1997 (BGBl. 1997 I S. 3294, im
Folgenden: PostG) definiert als marktbeherrschend „jedes Unternehmen, das nach § 18
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen als marktbeherrschend anzusehen
ist“.
7
§ 19 („Genehmigungsbedürftige Entgelte“) PostG bestimmt:
„Entgelte, die ein Lizenznehmer auf einem Markt für lizenzpflichtige Postdienstleistungen
erhebt, bedürfen der Genehmigung durch die Regulierungsbehörde, sofern der
Lizenznehmer auf dem betreffenden Markt marktbeherrschend ist. Satz 1 gilt nicht für
Entgelte solcher Beförderungsleistungen, die ab einer Mindesteinlieferungsmenge von
50 Briefsendungen angewendet werden.“
8
§ 25 („Überprüfung nicht genehmigungsbedürftiger Entgelte“) PostG sieht vor:
„(1) Werden der Regulierungsbehörde Tatsachen bekannt, die die Annahme
rechtfertigen, dass nicht genehmigungsbedürftige Entgelte, die ein Anbieter auf einem
Markt für Postdienstleistungen verlangt, nicht den Maßstäben des § 20 Abs. 2
entsprechen, leitet die Regulierungsbehörde eine Überprüfung der Entgelte ein, sofern
der Anbieter auf dem betreffenden Markt marktbeherrschend ist. Die
Regulierungsbehörde teilt die Überprüfung dem betroffenen Unternehmen schriftlich mit.
§ 24 Abs. 2 gilt entsprechend.
(2) Stellt die Regulierungsbehörde fest, dass die Entgelte nicht den Maßstäben des
§ 20 Abs. 2 entsprechen, fordert sie das betroffene Unternehmen auf, die Entgelte
unverzüglich den genannten Maßstäben anzupassen. Die Aufforderung der
Regulierungsbehörde ist im Amtsblatt der Regulierungsbehörde zu veröffentlichen.
(3) Erfolgt eine nach Absatz 2 von der Regulierungsbehörde geforderte Anpassung
nicht, hat die Regulierungsbehörde das beanstandete Verhalten zu untersagen und die
Entgelte für unwirksam zu erklären.“
Vorgeschichte des Rechtsstreits
Beschluss 2012/636
9
In ihrem Beschluss 2012/636 stellte die Kommission fest, dass DP staatliche Beihilfen
erhalten habe, indem sie geringe Beiträge an die Versorgungseinrichtungen für Beamte
der ehemaligen staatlichen Post entrichtet habe, da die Bundesrepublik Deutschland
einen Teil der Kosten für die Pensionen dieser Beamten übernommen habe (im
Folgenden: Pensionssubvention). Sie war der Auffassung, dass diese niedrigen
Sozialbeiträge den Handel in einem Maß beeinträchtigten, das dem gemeinsamen
Interesse zuwiderlaufe, und daher mit dem Binnenmarkt unvereinbar seien. Sie ordnete
deshalb die Rückforderung der Beihilfe (im Folgenden: Verpflichtung zur Rückforderung)
und die Umgestaltung der Beihilferegelung für die Zukunft (im Folgenden: Verpflichtung
zur Umgestaltung) an, ohne sich im Beschluss auf konkrete Beträge festzulegen.
10
Der Beschluss 2012/636 unterscheidet hinsichtlich der Pensionssubvention zwischen
Zahlungen, die DP für Beamte erhält, die in preisregulierten Diensten tätig sind, und
Zahlungen, die DP für Beamte erhält, die in nicht preisregulierten Diensten tätig sind.
Erstere erklärt die Kommission aufgrund des besonderen wettbewerblichen und
regulatorischen Umfelds für mit dem Binnenmarkt vereinbar (Rn. 347 bis 353 dieses
Beschlusses); Letztere stuft sie hingegen als „mit dem Binnenmarkt unvereinbare
Beihilfen“ ein (Rn. 354 bis 357 des Beschlusses).
11
Insbesondere ist in Art. 353 des Beschlusses 2012/636 ausgeführt: „Die Kommission
kommt daher zu dem Schluss, dass im Falle derjenigen Postbeamten-Sozialkosten, die
aus der Erbringung von preisregulierten Dienstleistungen entstanden sind, die unter die
Universaldienstverpflichtung fallen und für die [DP] eine marktbeherrschende Stellung
innehat, der Umstand, dass die Postregulierungsbehörde zugestimmt hat, diese für die
Erbringung der preisregulierten Dienstleistungen angefallenen Sozialkosten, selbst
wenn diese Sozialkosten über das von ihren Wettbewerbern in der Regel getragene
Niveau hinausgehen, vollumfänglich mittels höherer Entgelte zu finanzieren, de[n]
Handel nicht in einem Maße beeinträchtigt, das dem gemeinsamen Interesse
Handel nicht in einem Maße beeinträchtigt, das dem gemeinsamen Interesse
zuwiderläuft. Diese Schlussfolgerung liegt in dem besonderen wettbewerblichen und
regulatorischen Umfeld begründet, in dem diese Dienstleistungen erbracht werden. Sie
kann deshalb nicht auf andere Bereiche übertragen werden.“
12
In Rn. 354 dieses Beschlusses heißt es: „Es kann der Schluss gezogen werden, dass
[DP] ab 2003 für ihre Beamten, die in den nicht preisregulierten
Dienstleistungsbereichen tätig waren, Sozialbeiträge entrichtet hat, die um 11 bis 14
Prozentpunkte unter den Beitragssätzen ihrer Wettbewerber lagen.“
13
Die Begriffe „preisregulierte Dienste“ und „nicht preisregulierte Dienste“ werden in den
Rn. 87 bis 90 und 109 des Beschlusses 2012/636 definiert. Rn. 109 dieses Beschlusses
sieht vor: „Die Kommission bezeichnet im Rahmen dieses Beschlusses Dienste, bei
denen [DP] eine marktbeherrschende Stellung innehat und die entweder einer Ex-ante-
Preiskontrolle nach § 19 PostG … oder einer Ex-post-Preiskontrolle nach § 25 PostG …
unterliegen, als ‚preisregulierte Dienste‘. Alle anderen Dienste, bei denen [DP] keine
beherrschende Stellung innehat und die keiner Preiskontrolle unterliegen, werden als
‚nicht preisregulierte Dienste‘ bezeichnet.“
14
Die Methode zur Ermittlung der nicht mit dem Binnenmarkt vereinbaren Beihilfen wird in
der Tabelle 8 vor Rn. 357 des Beschlusses 2012/636 dargestellt.
15
Der verfügende Teil des Beschlusses 2012/636 lautet:
„Artikel 1
(1) Die Pensionssubvention für [DP] stellt eine staatliche Beihilfe nach Artikel 107
Absatz 1 AEUV dar und wurde von Deutschland unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz
3 AEUV rechtswidrig gewährt.
(2) Die Pensionssubvention ist nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar, soweit
Deutschland in unangemessener Höhe zur Finanzierung der Pensionen der in den
Ruhestand getretenen Beamten [von DP] beigetragen hat.
Artikel 4
(1) Deutschland fordert die in Artikel 1 genannte, nicht mit dem Binnenmarkt
vereinbare Beihilfe, die [DP] seit dem 1. Januar 2003 bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der
komparative Vorteil in vollem Umfang abgebaut ist, gewährt wurde bzw. wird, von [DP]
zurück.
(2) Der Rückforderungsbetrag nach Absatz 1 umfasst Zinsen, die ab dem Zeitpunkt,
zu dem die Beihilfe dem Empfänger zur Verfügung gestellt wurde, bis zu deren
tatsächlicher Rückzahlung berechnet werden.
(3) Die Zinsen werden nach Kapitel V der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 und nach
der Verordnung (EG) Nr. 271/2008 der Kommission zur Änderung der Verordnung (EG)
Nr. 794/2004 nach der Zinseszinsformel berechnet.
(4) Deutschland gewährleistet ab dem Datum der Bekanntgabe dieses Beschlusses,
dass [DP] unter Berücksichtigung der von der Postregulierungsbehörde genehmigten
Finanzierung der Lasten aus den Erlösen aus den preisregulierten Diensten kein
komparativer Vorteil für die nicht preisregulierten Dienste mehr erwächst.
Artikel 5
(1) Die in Artikel 1 genannte Beihilfe wird, wie in Artikel 4 vorgesehen, sofort und
tatsächlich zurückgefordert.
(2) Deutschland stellt sicher, dass dieser Beschluss binnen vier Monaten nach seiner
Bekanntgabe umgesetzt wird.
Artikel 6
(1) Deutschland übermittelt der Kommission binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe
dieses Beschlusses folgende Informationen:
a) von [DP] zurückzufordernder Gesamtbetrag (Hauptforderung und Zinsen);
b) ausführliche Beschreibung der Maßnahmen, die ergriffen wurden bzw. beabsichtigt
sind, um diesem Beschluss nachzukommen;
c) Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass an [DP] eine Anordnung zur Rückzahlung
der nicht mit dem Binnenmarkt vereinbaren Beihilfe ergangen ist.
(2) Deutschland unterrichtet die Kommission regelmäßig über den Fortgang seiner
Maßnahmen zur Umsetzung dieses Beschlusses, bis die Rückzahlung der in Artikel 1
genannten, nicht mit dem Binnenmarkt vereinbaren Beihilfe abgeschlossen ist. Auf
Anfrage der Kommission legt der Mitgliedstaat unverzüglich Informationen über die
Maßnahmen vor, die ergriffen wurden bzw. beabsichtigt sind, um diesem Beschluss
nachzukommen. Ferner übermittelt er ausführliche Angaben über die Beihilfebeträge und
die Zinsen, die von [DP] bereits zurückgezahlt wurden.
Artikel 7
Dieser Beschluss ist an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet.“
Die Klagen gegen den Beschluss 2012/636
16
Mit Klageschrift, die am 30. März 2012 bei der Kanzlei des Gerichts der Europäischen
Union einging, erhob die Bundesrepublik Deutschland Klage auf Nichtigerklärung des
Beschlusses 2012/636 (T‑143/12). Auch DP hat eine Klage auf Nichtigerklärung dieses
Beschlusses beim Gericht erhoben (T‑152/12). Die Klagen sind gegenwärtig beim
Gericht anhängig.
Die Erörterungen vor Klageerhebung
17
DP zahlte bis zum 1. Januar 2014 entsprechend der ihr von der Bundesrepublik
Deutschland auferlegten Verpflichtungen 332 294 263,36 Euro auf ein besonderes Konto
ein. Die Berechnung dieses Betrags auf der Grundlage des Beschlusses 2012/636
ein. Die Berechnung dieses Betrags auf der Grundlage des Beschlusses 2012/636
sowie die Art und Weise der Rückzahlung erfolgten in enger Abstimmung mit der
Kommission.
18
Uneinigkeit besteht jedoch in der Frage, welche Bereiche der Wirtschaftstätigkeit von
DP überhaupt unter den Begriff „preisregulierter Dienst“ fallen. Es geht insbesondere um
die Einordnung des B2B-Paketdienstes. Die Bundesrepublik Deutschland ging davon
aus, dass er zu den preisregulierten und damit nicht von den Verpflichtungen zur
Rückforderung und Umgestaltung erfassten Diensten der Zustellung von Paketen
gehöre, die Geschäftskunden an andere Unternehmen oder private Empfänger
(„Business to X“ oder „B2X“) (im Folgenden: B2X-Paketdienst) versendeten. Nach
Auffassung der Kommission ist nicht der gesamte B2X-Paketdienst als preisreguliert
anzusehen und hätte geprüft werden müssen, ob nicht ein Markt für den B2B-Paketdienst
auszugliedern gewesen wäre, der keiner Preisregulierung unterlegen habe.
Zur Klage
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
19
Die Kommission ist der Ansicht, die Bundesrepublik Deutschland habe nicht alle
Maßnahmen ergriffen, die erforderlich seien, um den Beschluss 2012/636 durch die
Rückforderung der streitigen Beihilfe umsetzen zu können. In ihrem Hauptantrag wirft sie
ihr vor, im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Umsetzung des Beschlusses
2012/636 keine „eigenständige“ Prüfung der Frage vorzunehmen, ob der B2B-
Paketdienst im Verhältnis zu dem Dienst der Zustellung von Paketen, die von
Unternehmen an Privatpersonen gesendet würden („Business to Consumer“ oder „B2C“)
(im Folgenden: B2C‑Paketdienst), im maßgeblichen Zeitraum einen eigenen sachlich
relevanten Markt darstelle.
20
Die Kommission weist zunächst darauf hin, dass sie die Bundesrepublik Deutschland
im Verwaltungsverfahren dazu aufgefordert habe, die den B2B-Paketdienst betreffenden
Daten zu übermitteln. Diese habe das mit dem Hinweis abgelehnt, dies sei zur
Umsetzung des Beschlusses 2012/636 nicht erforderlich und könne in jedem Fall nur
nach vorheriger Zustimmung von DP erfolgen.
21
Die Kommission trägt sodann vor, die Abgrenzung eines sachlich relevanten Marktes
erfolge stets bezogen auf den Zeitpunkt, zu dem eine Entscheidung erlassen werde.
Daher könne sich die Bundesrepublik Deutschland nicht auf die von ihr geltend
gemachten Verwaltungsakte der nationalen Behörden berufen, nämlich den Beschluss
der Bundesnetzagentur vom 16. August 2000 (Beschluss der Fünften Beschlusskammer
der Bundesnetzagentur vom 16. August 2000, Aktenzeichen Bk 5d 99/014/1n, Infopost
Schwer, im Folgenden: Infopost-Beschluss) und den Beschluss des Bundeskartellamts
im Rahmen der Fusionskontrolle vom 20. November 2001 (Beschluss der Neunten
Beschlussabteilung des Bundeskartellamts vom 20. November 2001, Aktenzeichen B 9
– 64123-U-88/99 und B 9 – 64123-U-100/01, Deutsche Post/trans-o-flex, im Folgenden:
DP/trans-o-flex-Beschluss), weil diese nicht den maßgeblichen Zeitraum erfassten.
22
Schließlich sei eine eigenständige, neue Analyse durch die Bundesrepublik
22
Schließlich sei eine eigenständige, neue Analyse durch die Bundesrepublik
Deutschland umso mehr geboten, als eine Vielzahl von Indizien in der nationalen Praxis
und der Praxis der Union, insbesondere die Entscheidung K(2001) 728 endgültig der
Kommission vom 20. März 2001 in einem Verfahren nach Artikel [82 EG] (Sache
COMP/35.141 – Deutsche Post AG) (ABl. L 125, S. 27, im Folgenden: Deutsche-Post-
Entscheidung), dafür spreche, hinsichtlich des sachlich relevanten Marktes zwischen
einem Markt für den B2B-Paketdienst und einem Markt für den B2C‑Paketdienst zu
unterscheiden.
23
Mit ihrem Hilfsantrag macht die Kommission geltend, der einzige Beschluss, der für
einen einheitlichen Markt des B2X-Paketdienstes spreche, sei der Infopost-Beschluss,
und dieser sei veraltet.
24
In ihrer Erwiderung führt die Kommission aus, ihr Antrag umfasse entgegen der
Meinung der Bundesrepublik Deutschland sowohl den Hauptantrag als auch den
Hilfsantrag. Sowohl der eine als auch der andere führe nämlich zu der Feststellung, dass
dieser Mitgliedstaat nicht alle erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung des
Beschlusses 2012/636 ergriffen habe.
25
Im Rahmen ihres Hauptantrags stelle sich nicht die Frage, ob die Bundesnetzagentur
die in § 25 PostG vorgesehene Preiskontrolle tatsächlich vorgenommen habe, sondern
vielmehr, ob der B2B-Paketdienst einer solchen Kontrolle unterliege. Hierzu müssten die
zuständigen Zivilgerichte eigenständig feststellen, ob in dem betreffenden Zeitraum eine
marktbeherrschende Stellung vorgelegen habe. Eine neue, eigenständige
Marktabgrenzung sei demnach weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich.
26
Zudem seien ihre früheren Entscheidungen, insbesondere die Deutsche-Post-
Entscheidung, die den gleichen Markt betreffe wie der Infopost-Beschluss und der
DP/trans-o-flex-Beschluss, weiter gültig, denn sie seien in Bestandskraft erwachsen. Die
Bundesnetzagentur wende hinsichtlich der Marktabgrenzung genau das gleiche
materielle Recht an. Daher sei die Bundesrepublik Deutschland an die Feststellung zur
Marktabgrenzung in dieser Entscheidung gebunden.
27
Nach Ansicht der Bundesrepublik Deutschland ist der Hilfsantrag unzulässig. Er werde
bei den Anträgen der Kommission nicht wiederholt und gehe weiter als der Hauptantrag.
Mit ihrem Hilfsantrag ersuche die Kommission den Gerichtshof nämlich um die
Feststellung, dass es einen gesonderten B2B-Markt gebe und die Bundesrepublik
Deutschland daher verpflichtet sei, den Beihilfebetrag unter Einbeziehung der dem
Bereich des B2B-Paketdienstes zuzurechnenden Beamten neu zu berechnen, für den
maßgeblichen Zeitraum zurückzufordern und für die Zukunft aufzuheben.
28
In der Sache trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, der Beschluss 2012/636
definiere die preisregulierten Dienste ausschließlich unter Verweis auf das deutsche
Recht. Die Bundesnetzagentur habe den Infopost-Beschluss erlassen und darin
festgestellt, dass der B2X‑Paketdienst den relevanten Markt bilde und DP auf diesem
Markt eine beherrschende Stellung innehabe. Der DP/trans-o-flex-Beschluss gehe in die
gleiche Richtung und sei entgegen der Auffassung der Kommission nicht vom
Oberlandesgericht aufgehoben worden. Dieses habe zwar Gründe gesehen, die für eine
Unterteilung des B2B- und B2C‑Marktes sprächen, diesen Beschluss aber gleichwohl
Unterteilung des B2B- und B2C‑Marktes sprächen, diesen Beschluss aber gleichwohl
bestätigt.
29
Die Bundesnetzagentur sei überdies eine unabhängige Behörde und – nur im
Einvernehmen mit dem Bundeskartellamt – für die Feststellung der sachlich relevanten
Märkte und der Marktbeherrschung ausschließlich zuständig. Die Bundesnetzagentur
prüfe derzeit die Eröffnung eines förmlichen Verfahrens gegen DP, in dessen Rahmen
noch Einvernehmen mit dem Bundeskartellamt über die neue Marktabgrenzung
hergestellt werden müsse. Jedoch hätte eine etwaige neue Marktabgrenzung nur
Wirkungen für die Zukunft.
30
Die von der Kommission angeführten „Indizien“ führten nicht zu der Feststellung, dass
der B2B-Paketdienst keiner Preisregulierung unterliege. Auf derartige Indizien
abzustellen, verstieße auch gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und den Grundsatz der
Rechtssicherheit, aufgrund deren eine eng am Wortlaut des Beschlusses 2012/636
orientierte Auslegung geboten sei.
31
Zum Hauptantrag trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, die Kommission verlange
ein Verhalten von ihr, das weder der Beschluss 2012/636 noch die weiteren von der
Kommission angeführten Bestimmungen geböten und das außerdem rechtlich und
tatsächlich unmöglich sei. Einen Teil des Marktes für B2X-Paketdienste durch eine neue
Marktabgrenzung für die Vergangenheit nachträglich auszugliedern, stelle nämlich eine
verbotene Rückwirkung dar und sei aus tatsächlichen Gründen falsch. Die in den
nationalen Beschlüssen vorgenommenen Feststellungen zur Marktabgrenzung und zur
Marktbeherrschung
gälten
jedenfalls
bis
zum
Erlass
einer
neuen
Regulierungsentscheidung fort.
32
Die Bundesrepublik Deutschland macht ferner geltend, die Kommission hätte, wenn sie
der Ansicht sei oder gewesen sei, dass die Marktabgrenzungen, die die zuständige
deutsche Regulierungsbehörde in ihren Verwaltungsakten getroffen habe, für die
Zwecke der Beihilfeaufsicht nicht geeignet seien, die von dem Beschluss 2012/636
erfassten Postdienstleistungen präziser definieren müssen.
33
In ihrer Gegenerwiderung stuft die Bundesrepublik Deutschland die Verbindung
zwischen dem Haupt- und dem Hilfsantrag der Kommission als „unzulässig“ ein, weil sie
nicht in einem Subsidiaritätsverhältnis zueinander stünden. Der Gerichtshof könne
überdies die Begründetheit des Hilfsantrags nicht prüfen, mit dem von ihm im
Wesentlichen verlangt werde, die in den Beschlüssen Infopost und DP/trans-o-flex von
den zuständigen Behörden vorgenommene Marktabgrenzung zu verwerfen und durch
eine eigene Feststellung zu ersetzen. Jedenfalls erlaubten weder die nationale
Entscheidungspraxis noch diejenige der Union dem Gerichtshof die Feststellung der
Existenz eines Marktes für den B2B-Paketdienst.
34
Dass der Beschluss 2012/636 ihr nur eine Frist von zwei Monaten eingeräumt habe, um
die zur Rückforderung der Beihilfe notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, zeige, dass
die von der Kommission geforderte eigenständige Prüfung von ihr erst nachträglich und
zusätzlich konstruiert worden sei.
Würdigung durch den Gerichtshof
35
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission mit ihrer Klage beantragt,
festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen
aus Art. 108 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV und Art. 288 AEUV, dem Effektivitätsgrundsatz,
Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 659/1999 sowie aus den Art. 1 und 4 bis 6 des
Beschlusses 2012/636 verstoßen hat, dass sie nicht alle erforderlichen Maßnahmen
ergriffen hat, um diesen Beschluss zu vollstrecken.
36
Art. 288 AEUV, auf den die Kommission ihre Klage ebenfalls stützt, stellt eine
allgemeine Bestimmung dar, während staatliche Beihilfen speziell in Art. 108 AEUV und
der Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung dieses
Artikels geregelt sind. Daher ist ein Verstoß auch gegen Art. 288 AEUV nicht
festzustellen. Dasselbe gilt für den Grundsatz der Effektivität, der sich aus Art. 14 der
Verordnung ergibt (Urteil Kommission/Deutschland, C‑527/12, EU:C:2014:2193, Rn. 60).
Zum Hauptantrag
37
Die Aufhebung einer rechtswidrigen Beihilfe durch Rückforderung ist, wie der
Gerichtshof wiederholt entschieden hat, die logische Folge der Feststellung ihrer
Rechtswidrigkeit (Urteil Kommission/Spanien, C‑529/09, EU:C:2013:31, Rn. 90 und die
dort angeführte Rechtsprechung).
38
Folglich hat der Mitgliedstaat, an den eine Entscheidung gerichtet ist, die ihn zur
Rückforderung rechtswidriger Beihilfen verpflichtet, nach Art. 288 AEUV alle geeigneten
Maßnahmen zu ergreifen, um die Durchführung der Entscheidung sicherzustellen. Er
muss
die
geschuldeten
Beträge
tatsächlich
wiedererlangen,
um
die
Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen, die durch den mit der rechtswidrigen Beihilfe
verbundenen Wettbewerbsvorteil verursacht wurde (Urteil Kommission/Spanien,
C‑529/09, EU:C:2013:31, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).
39
Gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 659/1999 hat die durch eine Entscheidung
der Kommission angeordnete Rückforderung einer für rechtswidrig und unvereinbar
erklärten Beihilfe, wie sich auch aus dem 13. Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt,
unverzüglich und nach den Verfahren des innerstaatlichen Rechts des betreffenden
Mitgliedstaats zu erfolgen, sofern diese Verfahren die sofortige und tatsächliche
Vollstreckung dieser Entscheidung ermöglichen; diese Bedingung spiegelt die
Erfordernisse des in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten
Effektivitätsgrundsatzes wider (Urteil Kommission/Spanien, C‑529/09, EU:C:2013:31,
Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).
40
Ferner ist die Kommission nach ständiger Rechtsprechung nicht verpflichtet, bei der
Anordnung der Rückzahlung einer für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärten
Beihilfe den genauen Betrag der zu erstattenden Beihilfe festzusetzen. Es genügt, dass
die Entscheidung der Kommission Angaben enthält, die es ihrem Adressaten
ermöglichen, diesen Betrag ohne übermäßige Schwierigkeiten selbst zu bestimmen (vgl.
Urteil Mediaset, C‑69/13, EU:C:2014:71, Rn. 21 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
41
Im vorliegenden Fall war die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 5 Abs. 1 des
41
Im vorliegenden Fall war die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 5 Abs. 1 des
Beschlusses 2012/636 verpflichtet, sicherzustellen, dass die in Rede stehende Beihilfe
„sofort und tatsächlich“ zurückgefordert wird. Nach Abs. 2 dieses Artikels stand ihr dafür
eine Frist von vier Monaten ab der Bekanntgabe des Beschlusses zur Verfügung.
42
In dem Rechtsstreit zwischen der Kommission und der Bundesrepublik Deutschland
geht es insbesondere um die Frage, ob der Mitgliedstaat im Rahmen des
Verwaltungsverfahrens zur Umsetzung dieses Beschlusses den relevanten Markt
eigenständig abgrenzen musste, um gegebenenfalls zu ermitteln, ob der B2B-
Paketdienst im maßgeblichen Zeitraum einen eigenen sachlich relevanten Markt
darstellte, der zu dem nicht preisregulierten und damit von den Verpflichtungen zur
Rückforderung und Umgestaltung erfassten Dienst gehörte oder nicht. Die Kommission
hat nämlich im Beschluss 2012/636 die Pensionssubventionen nur insoweit als
unvereinbar mit dem Binnenmarkt angesehen, als die Beamten bei der Erbringung von
Leistungen in nicht preisregulierten Diensten eingesetzt wurden oder werden.
43
Für die Beurteilung, ob der Hauptantrag der Kommission begründet ist, ist daher zu
prüfen, ob die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Umsetzung des
Beschlusses 2012/636 den relevanten Markt hätte eigenständig abgrenzen müssen, um
zu ermitteln, ob der B2B-Paketdienst im maßgeblichen Zeitraum einen eigenen sachlich
relevanten Markt darstellte und, wenn ja, ob DP im gleichen Zeitraum auf einem solchen
Markt eine marktbeherrschende Stellung innehatte.
44
Wie aus dem Beschluss 2012/636 hervorgeht, hängt die Einstufung der Postdienste als
„preisregulierte Dienste“ von einer marktbeherrschenden Stellung von DP ab, die ihr die
Querfinanzierung von Sozialkosten ermöglicht hätte. Es ist insoweit unstreitig, dass der
in Rede stehende Postdienst als preisreguliert anzusehen wäre, sofern und solange DP
auf dem relevanten Markt eine marktbeherrschende Stellung einnimmt.
45
Der Umstand, dass im Beschluss 2012/636 auf die §§ 19 und 25 PostG verwiesen wird,
ist darauf zurückzuführen, dass die Bundesnetzagentur für die Regulierung der Entgelte
zuständig ist, die DP auf den Briefmärkten erhebt, auf denen sie über eine
marktbeherrschende Stellung verfügt. Nach den genannten Bestimmungen kann die von
ihr für diese Preisregulierung durchgeführte Kontrolle entweder ex ante durch Festlegung
einer Maßgröße oder ex post im Rahmen von Preiskontrollen erfolgen. Insbesondere
prüft die Bundesnetzagentur nach § 25 PostG nicht systematisch und regelmäßig für alle
Postdienstleistungen die Marktabgrenzung und die Marktbeherrschung, sondern führt
eine Ex-post-Kontrolle durch, wenn sie eine Beschwerde eines Wettbewerbers erhält.
Dies war für den Paketdienst mit den Beschwerden in den Jahren 1999 und 2011 der
Fall, von denen die eine zum Erlass des Infopost-Beschlusses und die andere zur
Einleitung des in Rn. 29 des vorliegenden Urteils angeführten Verfahrens geführt hat,
das derzeit bei der Bundesnetzagentur anhängig ist.
46
Folglich ging es im Rahmen des nationalen Verwaltungsverfahrens zur Umsetzung des
Beschlusses 2012/636 nicht darum, ob die Bundesnetzagentur eine solche
Preiskontrolle durchgeführt hat, sondern darum, ob die Postdienstleistungen dieser
Kontrolle unterworfen waren oder werden konnten.
47
Es war daher u. a. zu ermitteln, ob der B2B-Paketdienst im maßgeblichen Zeitraum der
Ex-post-Kontrolle unterzogen werden konnte, und dafür musste geklärt werden, ob DP
auf dem relevanten Markt eine marktbeherrschende Stellung innehatte. Ob eine solche
durch die Bundesnetzagentur festgestellt wurde oder nicht, ist hierbei unerheblich.
48
Mithin setzte die Beantwortung der Frage, ob der B2B-Paketdienst preisreguliert ist oder
nicht, eine eigenständige Prüfung der wirtschaftlichen Stellung des Unternehmens, das
die Beihilfen erhalten hat, auf dem relevanten Markt voraus. Zur Umsetzung des
Beschlusses 2012/636 gehörte demnach eine Verpflichtung zur Durchführung einer
solchen Prüfung.
49
Der Verweis auf das nationale Recht in Rn. 109 des Beschlusses 2012/636 kann die
Bundesrepublik Deutschland nicht von dieser Pflicht entbinden.
50
Insoweit ist das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, der Beschluss 2012/636
verpflichte sie nicht, eine eigenständige Marktabgrenzung vorzunehmen, und jedenfalls
sei eine solche zur Umsetzung dieses Beschlusses ungeeignet, zurückzuweisen.
51
Wie in Rn. 42 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat die Kommission im Beschluss
2012/636 die Pensionssubventionen nämlich nur insoweit als unvereinbar mit dem
Binnenmarkt angesehen, als die Beamten bei der Erbringung von Leistungen in nicht
preisregulierten Diensten eingesetzt wurden oder werden.
52
Zudem wurden die Beschlüsse Infopost und DP/trans-o-Flex, auf die sich die
Bundesrepublik Deutschland beruft, in den Jahren 2000 und 2001 erlassen und ist ihnen
weder zu entnehmen, ob der B2B-Paketdienst im gesamten maßgeblichen Zeitraum
einen gesonderten Markt bildete oder nicht, noch, ob DP – sollte dies zu bejahen sein –
auf diesem eine marktbeherrschende Stellung innehatte.
53
Da die Deutsche-Post-Entscheidung dasselbe Unternehmen und denselben Markt
betrifft wie die Beschlüsse Infopost und DP/trans-o-flex, musste die Bundesrepublik
Deutschland diese Entscheidung im Rahmen der Umsetzung des Beschlusses 2012/636
berücksichtigen. Daraus geht hervor, dass die Kommission seit 2001 zwischen dem
B2B‑Paketdienst und dem B2C‑Paketdienst unterschieden hat und von zwei sachlich
relevanten Märkten ausgegangen ist.
54
Unter diesen Umständen durfte sich die Bundesrepublik Deutschland zur Umsetzung
des Beschlusses 2012/636 nicht darauf beschränken, auf der Grundlage der
Verwaltungsakte der nationalen Behörden zu unterstellen, dass der B2B-Paketdienst im
gesamten maßgeblichen Zeitraum keinen gesonderten Markt darstellte, sondern Teil des
Marktes für den B2X-Paketdienst war, der zu den nicht von den Verpflichtungen zur
Rückforderung und Umgestaltung erfassten preisregulierten Diensten gehört.
55
Zwar durften solche nationalen Verwaltungsakte bei der im Rahmen der Umsetzung
des
Beschlusses
2012/636
verlangten
eigenständigen
Marktabgrenzung
Berücksichtigung finden, doch waren sie nicht entscheidend.
56
Zum Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, eine Abgrenzung des B2B-
Paketdienstes sei wegen des Rückwirkungsverbots unmöglich, ist festzustellen, dass die
Kommission von ihr im vorliegenden Fall nicht verlangt, eine tatsächliche und rechtliche
Kommission von ihr im vorliegenden Fall nicht verlangt, eine tatsächliche und rechtliche
Situation nachträglich zu ändern, sondern zu ermitteln, wie sich die Situation des
relevanten Marktes und die wirtschaftliche Lage von DP im maßgeblichen Zeitraum
darstellte.
57
Wie die Kommission geltend gemacht hat, geht es bei der Marktabgrenzung nicht um
eine Regulierungs- oder Kontrollentscheidung, sondern um eine Feststellung zu der
Frage, ob die Bundesnetzagentur im maßgeblichen Zeitraum die Möglichkeit gehabt
hätte, eine Ex-post-Kontrolle vorzunehmen, und die fraglichen Postdienstleistungen
deshalb unter § 25 PostG fielen.
58
Zum Vorbringen, eine Abgrenzung des B2B-Paketdienstes sei unmöglich, weil der
deutschen Regierung die Kompetenz für die Bestimmung der einer Preiskontrolle
unterliegenden Dienste fehle, ist darauf hinzuweisen, dass für die Einstufung eines
Postdienstes als „preisregulierter Dienst“ im Sinne des Beschlusses 2012/636, wie sich
aus den Rn. 46 und 47 des vorliegenden Urteils ergibt, nicht entscheidend ist, ob die
Bundesnetzagentur
von
den
ihr
nach
§
25
PostG
zustehenden
Regulierungskompetenzen Gebrauch gemacht hat oder nicht. Vielmehr ist zu ermitteln,
ob der betreffende Dienst der Möglichkeit der Ex-Post-Kontrolle nach § 25 PostG
unterlag oder unterliegt.
59
Jedenfalls ist im vorliegenden Fall unerheblich, ob eine solche Prüfung von der
deutschen Regierung oder der Bundesnetzagentur – gegebenenfalls im Einvernehmen
mit dem Bundeskartellamt – durchzuführen ist. Ein Mitgliedstaat kann sich insoweit nach
ständiger Rechtsprechung nicht auf Bestimmungen seiner internen Rechtsordnung, auch
nicht auf solche verfassungsrechtlicher Art, berufen, um die Nichteinhaltung der aus dem
Unionsrecht folgenden Verpflichtungen zu rechtfertigen (vgl. u. a. Urteil
Kommission/Belgien, C‑317/14, EU:C:2015:63, Rn. 33 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
60
Folglich hätte die Bundesrepublik Deutschland, wie die Kommission vorgetragen hat,
im Rahmen der Umsetzung des Beschlusses 2012/636 den relevanten Markt
eigenständig abgrenzen müssen, um zu ermitteln, ob der B2B-Paketdienst einen vom
Markt für den B2C‑Paketdienst getrennten Markt darstellte und, wenn ja, ob DP auf
diesem Markt eine marktbeherrschende Stellung innehatte und daher der Preiskontrolle
nach § 25 PostG unterlag. Das Ergebnis einer solchen Abgrenzung hätte der
Kommission zudem nach Art. 6 dieses Beschlusses übermittelt werden müssen.
61
Nach alledem ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen
ihre Verpflichtungen aus Art. 108 Abs. 2 AEUV und Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr.
659/1999 sowie aus den Art. 1 und 4 bis 6 des Beschlusses 2012/636 verstoßen hat,
dass sie im Rahmen der Umsetzung dieses Beschlusses keine eigenständige
Marktabgrenzung vorgenommen hat, um zu ermitteln, ob der B2B-Paketdienst im
maßgeblichen Zeitraum einen eigenen sachlich relevanten Markt darstellte.
Zum Hilfsantrag
62
Mit ihrem Hilfsantrag macht die Kommission geltend, dass die Bundesrepublik
Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 288 AEUV, Art. 108 Abs. 2
AEUV, dem Effektivitätsgrundsatz, Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 659/1999 sowie aus
AEUV, dem Effektivitätsgrundsatz, Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 659/1999 sowie aus
den Art. 1 und 4 bis 6 des Beschlusses 2012/636 verstoßen hat, dass sie bei der
Umsetzung des Beschlusses 2012/636 die Pensionssubventionen für diejenigen
Beamten, die dem B2B-Paketdienst zuzurechnen sind, für den Zeitraum 2003 bis 2012
nicht zurückgefordert hat und für die Zukunft nicht aufgehoben hat.
63
Da dem Hauptantrag der Kommission stattgegeben worden ist, ist der Hilfsantrag nicht
zu prüfen.
Kosten
64
Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende
Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik
Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der
Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und
entschieden:
1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus
Art. 108 Abs. 2 AEUV und Art. 14 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des
Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung
von Artikel [108 AEUV] sowie aus den Art. 1 und 4 bis 6 des Beschlusses
2012/636/EU der Kommission vom 25. Januar 2012 über die Maßnahme
C 36/07 (ex NN 25/07) Deutschlands zugunsten der Deutschen Post AG
verstoßen, dass sie im Rahmen der Umsetzung dieses Beschlusses keine
eigenständige Marktabgrenzung vorgenommen hat, um zu ermitteln, ob der
Dienst der Zustellung von Paketen, die von Unternehmen an andere
Unternehmen gesendet werden, im Zeitraum von 2003 bis 2012 und seit 2012
einen eigenen sachlich relevanten Markt darstellte.
2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Deutsch.