Urteil des EuGH vom 28.01.2016

Verkehr, Überführung, Bestimmungsort, Mitgliedstaat

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)
28. Januar 2016
)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Allgemeines Verbrauchsteuersystem –
Richtlinie 2008/118/EG – Unregelmäßigkeit, die während der Beförderung
verbrauchsteuerpflichtiger Waren eingetreten ist – Beförderung von Waren in einem Verfahren
der Steueraussetzung – Zum Zeitpunkt der Lieferung fehlende Waren – Erhebung der
Verbrauchsteuer mangels Nachweises der Zerstörung oder des Verlustes der Waren“
In der Rechtssache C‑64/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom
Bundesfinanzhof mit Entscheidung vom 11. November 2014, beim Gerichtshof eingegangen am
12. Februar 2015, in dem Verfahren
BP Europa SE
gegen
Hauptzollamt Hamburg-Stadt
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter J.‑C. Bonichot
(Berichterstatter) und E. Regan,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der BP Europa SE, vertreten durch die Rechtsanwälte D. Völker und A. Grin,
– des Hauptzollamts Hamburg-Stadt, vertreten durch J. Thaler als Bevollmächtigten,
– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand
von A. Collabolletta, avvocato dello Stato,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Tomat und M. Wasmeier als
Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne
Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2008/118/EG des Rates
vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der
Richtlinie 92/12/EWG (ABl. 2009, L 9, S. 12).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der BP Europa SE (im
Folgenden: BP Europa) und dem Hauptzollamt Hamburg-Stadt wegen der Energiesteuer, die
BP Europa aufgrund der bei der Lieferung an ein in Deutschland gelegenes Steuerlager
festgestellten Fehlmenge an Gasöl auferlegt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2008/118
3
Die Richtlinie 2008/118 enthält u. a. folgende Erwägungsgründe:
„(1) Die Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System,
den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren [(ABl.
L 76, S. 1)] wurde mehrfach in wesentlichen Punkten geändert. Da noch weitere
Änderungen vorgenommen werden müssen, empfiehlt es sich aus Gründen der Klarheit,
diese Richtlinie zu ersetzen.
(2) Um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten, müssen die
Voraussetzungen für die Erhebung von Verbrauchsteuern auf Waren, die der Richtlinie
92/12/EWG unterliegen …, harmonisiert bleiben.
(8) Da es nach wie vor für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich
ist, dass der Begriff der Verbrauchsteuer und die Voraussetzungen für die Entstehung des
Verbrauchsteueranspruchs in allen Mitgliedstaaten gleich sind, muss auf
Gemeinschaftsebene klargestellt werden, zu welchem Zeitpunkt die Überführung der
verbrauchsteuerpflichtigen Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr erfolgt und wer
der Verbrauchsteuerschuldner ist.
(9) Da die Verbrauchsteuer auf den Verbrauch bestimmter Waren erhoben wird, sollte sie
nicht auf Waren erhoben werden, die unter bestimmten Umständen zerstört wurden oder
unwiederbringlich verloren gegangen sind.
…“
4
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118 lautet:
„Diese Richtlinie legt ein allgemeines System für die Verbrauchsteuern fest, die mittelbar oder
unmittelbar auf den Verbrauch folgender Waren (nachstehend ‚verbrauchsteuerpflichtige
Waren‘ genannt) erhoben werden:
a) Energieerzeugnisse und elektrischer Strom gemäß der Richtlinie 2003/96/EG [des Rates
vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften
zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABl. L 283, S. 51)];
…“
5
Art. 4 der Richtlinie 2008/118 bestimmt:
5
Art. 4 der Richtlinie 2008/118 bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie und ihrer Durchführungsbestimmungen gelten folgende Definitionen:
7. Das ‚Verfahren der Steueraussetzung‘ ist eine steuerliche Regelung, die auf die
Herstellung, die Verarbeitung, die Lagerung sowie die Beförderung
verbrauchsteuerpflichtiger Waren, die keinem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren
unterliegen, unter Aussetzung der Verbrauchsteuer Anwendung findet.
11. Ein ‚Steuerlager‘ ist jeder Ort, an dem unter bestimmten von den zuständigen Behörden
des Mitgliedstaats, in dem sich das Steuerlager befindet, festgelegten Voraussetzungen
verbrauchsteuerpflichtige Waren im Rahmen eines Verfahrens der Steueraussetzung vom
zugelassenen Lagerinhaber in Ausübung seines Berufs hergestellt, verarbeitet, gelagert,
empfangen oder versandt werden.“
6
Art. 7 der Richtlinie sieht vor:
„(1) Der Verbrauchsteueranspruch entsteht zum Zeitpunkt und im Mitgliedstaat der
Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr.
(2) Als Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr im Sinne dieser Richtlinie gilt
a) die Entnahme verbrauchsteuerpflichtiger Waren, einschließlich der unrechtmäßigen
Entnahme, aus dem Verfahren der Steueraussetzung;
(4) Die vollständige Zerstörung oder der unwiederbringliche Verlust einem Verfahren der
Steueraussetzung unterstellter verbrauchsteuerpflichtiger Waren aufgrund ihrer Beschaffenheit,
infolge unvorhersehbarer Ereignisse oder höherer Gewalt oder einer von den zuständigen
Behörden des Mitgliedstaates erteilten Genehmigung gelten nicht als Überführung in den
steuerrechtlich freien Verkehr.
Im Sinne dieser Richtlinie gelten Waren dann als vollständig zerstört oder unwiederbringlich
verloren gegangen, wenn sie nicht mehr als verbrauchsteuerpflichtige Waren genutzt werden
können.
Die vollständige Zerstörung oder der unwiederbringliche Verlust der betreffenden
verbrauchsteuerpflichtigen Waren ist den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem die
vollständige Zerstörung oder der unwiederbringliche Verlust eingetreten ist, oder, wenn nicht
festgestellt werden kann, wo der Verlust eingetreten ist, den zuständigen Behörden des
Mitgliedstaats, in dem der Verlust entdeckt wurde, hinreichend nachzuweisen.
…“
7
Art. 10 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Wurde bei der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der
Steueraussetzung eine Unregelmäßigkeit begangen, die eine Überführung dieser Waren in den
steuerrechtlich freien Verkehr nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a zur Folge hatte, so findet die
Überführung der verbrauchsteuerpflichtigen Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr in dem
Mitgliedstaat statt, in dem die Unregelmäßigkeit begangen wurde.
(2) Wurde bei der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der
Steueraussetzung eine Unregelmäßigkeit festgestellt, die eine Überführung dieser Waren in den
steuerrechtlich freien Verkehr nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a zur Folge hatte, und kann
steuerrechtlich freien Verkehr nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a zur Folge hatte, und kann
der Ort, an dem die Unregelmäßigkeit begangen wurde, nicht bestimmt werden, so gilt die
Unregelmäßigkeit als in dem Mitgliedstaat und zu dem Zeitpunkt eingetreten, in dem bzw. zu
dem sie entdeckt wurde.
(3) In den in den Absätzen 1 und 2 genannten Fällen unterrichten die zuständigen Behörden
des Mitgliedstaats, in dem die Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt wurden
oder als in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt gelten, die zuständigen Behörden des
Abgangsmitgliedstaats.
(4) Sind verbrauchsteuerpflichtige Waren, die in einem Verfahren der Steueraussetzung
befördert werden, nicht an ihrem Bestimmungsort eingetroffen und wurde während der
Beförderung keine Unregelmäßigkeit festgestellt, die eine Überführung dieser Waren in den
steuerrechtlich freien Verkehr nach Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a zur Folge hatte, so gilt eine
Unregelmäßigkeit als im Abgangsmitgliedstaat und zu dem Zeitpunkt begangen, zu dem die
Beförderung begonnen hat, es sei denn, dass den zuständigen Behörden des
Abgangsmitgliedstaats innerhalb von vier Monaten nach Beginn der Beförderung gemäß Artikel
20 Absatz 1 ein hinreichender Nachweis über die Beendigung der Beförderung nach Artikel 20
Absatz 2 oder über den Ort, an dem die Unregelmäßigkeit begangen wurde, erbracht wird.
(6) Als Unregelmäßigkeit im Sinne dieses Artikels gilt ein während der Beförderung
verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung eintretender Fall –
mit Ausnahme des in Artikel 7 Absatz 4 genannten Falls –, aufgrund dessen eine Beförderung
oder ein Teil einer Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren nicht nach Artikel 20 Absatz 2
beendet wurde.“
8
Nach Art. 16 Abs. 2 Buchst. c und d der Richtlinie 2008/118 muss der zugelassene
Lagerinhaber eine Buchhaltung über die Bestände und Warenbewegungen
verbrauchsteuerpflichtiger Waren führen sowie alle in einem Verfahren der Steueraussetzung
beförderten verbrauchsteuerpflichtigen Waren nach Beendigung der Beförderung in sein
Steuerlager verbringen und in seinen Büchern erfassen.
9
Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Verbrauchsteuerpflichtige Waren können in einem Verfahren der Steueraussetzung wie folgt
innerhalb des Gebiets der Gemeinschaft befördert werden, und zwar auch dann, wenn die
Waren über ein Drittland oder ein Drittgebiet befördert werden:
a) aus einem Steuerlager zu
i) einem anderen Steuerlager,
…“
10
Nach Art. 19 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie muss der registrierte Empfänger alle Kontrollen
dulden, die es den zuständigen Behörden des Bestimmungsmitgliedstaats ermöglichen, sich
vom tatsächlichen Empfang der Waren zu überzeugen.
11
In Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 heißt es:
„Die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung
endet in den in Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe a [Ziffer] i … genannten Fällen, wenn der
Empfänger die verbrauchsteuerpflichtigen Waren übernommen hat …“
Richtlinie 2003/96
12
Nach den Art. 1 und 2 der Richtlinie 2003/96 erheben die Mitgliedstaaten insbesondere auf
Gasöl im Sinne des Codes 2710 19 41 der Kombinierten Nomenklatur eine Steuer.
Deutsches Recht
13
In § 8 („Entstehung der Steuer bei Entnahme in den steuerrechtlich freien Verkehr“) des
Energiesteuergesetzes vom 15. Juli 2006 (BGBl. I S. 1534, im Folgenden: EnergieStG) heißt es:
„(1) Die Steuer entsteht dadurch, dass Energieerzeugnisse im Sinn des § 4 aus dem
Steuerlager entfernt werden, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren
anschließt, oder dass sie zum Ge- oder Verbrauch innerhalb des Steuerlagers entnommen
werden (Entnahme in den steuerrechtlich freien Verkehr). Schließt sich an die Entnahme in den
steuerrechtlich freien Verkehr ein Verfahren der Steuerbefreiung (§ 24 Abs. 1) an, kommt es zu
keiner Steuerentstehung.
(1a) Die Steuer entsteht nicht, wenn die Energieerzeugnisse auf Grund ihrer Beschaffenheit
oder infolge unvorhersehbarer Ereignisse oder höherer Gewalt vollständig zerstört oder
unwiederbringlich verloren gegangen sind. Energieerzeugnisse gelten dann als vollständig
zerstört oder unwiederbringlich verloren gegangen, wenn sie als solche nicht mehr genutzt
werden können. Die vollständige Zerstörung sowie der unwiederbringliche Verlust der
Energieerzeugnisse sind hinreichend nachzuweisen.
…“
14
§ 11 („Beförderungen aus anderen und in andere Mitgliedstaaten“) EnergieStG bestimmt:
„(1) Energieerzeugnisse im Sinne des § 4 dürfen unter Steueraussetzung, auch über
Drittländer oder Drittgebiete, befördert werden
2. aus Steuerlagern in anderen Mitgliedstaaten oder von registrierten Versendern vom Ort
der Einfuhr in anderen Mitgliedstaaten
a) in Steuerlager
im Steuergebiet
(4) … In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 2 endet die Beförderung unter
Steueraussetzung mit der Aufnahme der Energieerzeugnisse in das empfangende
Steuerlager …“
15
In § 14 („Unregelmäßigkeiten während der Beförderung“) EnergieStG heißt es:
„(1) Als Unregelmäßigkeit gilt ein während der Beförderung unter Steueraussetzung
eintretender Fall, mit Ausnahme der in § 8 Absatz 1a geregelten Fälle, auf Grund dessen die
Beförderung oder ein Teil der Beförderung nicht ordnungsgemäß beendet werden kann.
(3) Wird während der Beförderung unter Steueraussetzung aus einem Steuerlager in einem
anderen Mitgliedstaat oder von einem Ort der Einfuhr in einem anderen Mitgliedstaat im
Steuergebiet festgestellt, dass eine Unregelmäßigkeit eingetreten ist, und kann nicht ermittelt
werden, wo die Unregelmäßigkeit eingetreten ist, so gilt sie als im Steuergebiet und zum
Zeitpunkt der Feststellung eingetreten.
(4) Sind Energieerzeugnisse unter Steueraussetzung aus dem Steuergebiet in einen
anderen Mitgliedstaat befördert worden (§ 11 Absatz 1 Nummer 1, § 13 Absatz 1) und nicht an
ihrem Bestimmungsort eingetroffen, ohne dass während der Beförderung eine
Unregelmäßigkeit festgestellt worden ist, so gilt die Unregelmäßigkeit nach Absatz 1 als im
Steuergebiet zum Zeitpunkt des Beginns der Beförderung eingetreten, es sei denn, der
Versender führt innerhalb einer Frist von vier Monaten nach Beginn der Beförderung den
hinreichenden Nachweis, dass die Energieerzeugnisse
1. am Bestimmungsort eingetroffen sind und die Beförderung ordnungsgemäß beendet
wurde oder
2. auf Grund einer außerhalb des Steuergebiets eingetretenen Unregelmäßigkeit nicht am
Bestimmungsort eingetroffen sind.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
16
Im Januar 2011 verschiffte BP Europa 2,4 Mio. Liter Gasöl im Sinne des Codes 2710 19 41 der
Kombinierten Nomenklatur von einem in den Niederlanden gelegenen Steuerlager zu einem
Steuerlager in Deutschland. Der Transport erfolgte im Rahmen einer Beförderung
verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung gemäß den Art. 17 bis 31 der
Richtlinie 2008/118.
17
Nach Anlieferung des Gasöls am Bestimmungsort stellte der Inhaber des deutschen
Steuerlagers fest, dass er eine gegenüber den Angaben in dem für die Anwendung des
Verfahrens der Steueraussetzung ausgestellten elektronischen Verwaltungsdokument um 4 854
Liter reduzierte Menge, was 0,202 % der angemeldeten Menge entsprach, erhalten hatte, und
teilte dies den Zollbehörden in seiner Eingangsmitteilung mit.
18
Mit Bescheid vom 16. Januar 2012 setzte das Hauptzollamt Hamburg-Stadt Energiesteuer in
Höhe von 24,93 Euro für die Fehlmenge an Gasöl fest, die die von der deutschen Verwaltung
allgemein akzeptierte Toleranzschwelle von 0,2 % überstieg.
19
Das Finanzgericht Hamburg wies die Klage von BP Europa gegen diesen Bescheid ab. Es
vertrat die Auffassung, dass die Fehlmenge an Gasöl auf eine Unregelmäßigkeit
zurückzuführen sei, die als im Steuergebiet eingetreten gelte und eine Überführung des Gasöls
in den steuerrechtlich freien Verkehr zur Folge gehabt habe. Der mit der Revision befasste
Bundesfinanzhof möchte wissen, ob diese rechtliche Beurteilung des Rechtsstreits, die sich aus
der Anwendung des zur Umsetzung der Richtlinie 2008/118 ergangenen nationalen Rechts
ergebe, den Anforderungen dieser Richtlinie genüge, insbesondere in Bezug auf die
Voraussetzungen für die Entstehung des Verbrauchsteueranspruchs und die Bestimmung des
für die Steuererhebung zuständigen Mitgliedstaats, wenn nur eine Teilmenge der unter
Steueraussetzung beförderten Waren nicht am Bestimmungsort eintreffe.
20
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen
und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie 2008/118 dahin gehend auszulegen, dass dessen
Voraussetzungen nur dann erfüllt sind, wenn die gesamte Menge der in einem Verfahren
der Steueraussetzung beförderten Waren nicht an ihrem Bestimmungsort eingetroffen ist,
oder kann die Regelung unter Berücksichtigung von Art. 10 Abs. 6 der Richtlinie 2008/118
auch auf Fälle angewendet werden, bei denen nur eine Teilmenge der unter
Steueraussetzung beförderten verbrauchsteuerpflichtigen Waren nicht am
Bestimmungsort eintrifft?
2. Ist Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 dahin gehend auszulegen, dass die Beförderung
verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung erst dann
endet, wenn der Empfänger das bei ihm eingetroffene Transportmittel vollständig
entladen hat, so dass die Feststellung einer Fehlmenge während des Entladevorgangs
noch während der Beförderung erfolgt?
3. Steht Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/118 einer
nationalen Vorschrift entgegen, nach der die Erhebungskompetenz des
Bestimmungsmitgliedstaats (neben dem Ausschluss der in Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie
2008/118 geregelten Fälle) allein von der Feststellung des Eintritts einer
Unregelmäßigkeit und der Unmöglichkeit der Ermittlung des Orts, an dem die
Unregelmäßigkeit begangen worden ist, abhängig gemacht wird, oder ist zusätzlich die
Feststellung erforderlich, dass die verbrauchsteuerpflichtigen Waren durch ihre Entnahme
aus dem Verfahren der Steueraussetzung in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt
worden sind?
4. Ist Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/118 dahin gehend auszulegen, dass bei der
Feststellung einer Unregelmäßigkeit nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 eine
Überführung der in einem Verfahren der Steueraussetzung beförderten und am
Bestimmungsort nicht eingetroffenen verbrauchsteuerpflichtigen Waren in den
steuerrechtlich freien Verkehr in sämtlichen Fällen anzunehmen ist, in denen der in Art. 7
Abs. 4 der Richtlinie 2008/118 vorgesehene Nachweis der vollständigen Zerstörung oder
des unwiederbringlichen Verlustes der festgestellten Fehlmenge nicht erbracht werden
kann?
Zu den Vorlagefragen
Vorbemerkungen
21
Nach Art. 2 der Richtlinie 2008/118 sind die in ihrem Art. 1 genannten Waren
verbrauchsteuerpflichtig. Dazu zählen Energieerzeugnisse gemäß der Richtlinie 2003/96 bei
ihrer Herstellung innerhalb des Gebiets der Europäischen Union oder bei ihrer Einfuhr in dieses
Gebiet. Während die Verbrauchsteuerpflicht somit an die Herstellung der betreffenden Waren
innerhalb des genannten Gebiets oder ihre Einfuhr in dieses Gebiet anknüpft, entsteht nach
Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118 der Verbrauchsteueranspruch erst zum Zeitpunkt der
Überführung dieser Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr.
22
Nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2008/118 können verbrauchsteuerpflichtige
Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung innerhalb des Gebiets der Union u. a., wie im
Ausgangsverfahren, aus einem in einem Mitgliedstaat gelegenen Steuerlager in ein in einem
anderen Mitgliedstaat gelegenes Steuerlager befördert werden. Ein solches
Aussetzungsverfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass der Verbrauchsteueranspruch für die
darunter fallenden Waren noch nicht entstanden ist, obwohl der Steuertatbestand bereits erfüllt
ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Cipriani, C‑395/00, EU:C:2002:751, Rn. 42). In Bezug auf die
verbrauchsteuerpflichtigen Waren bewirkt diese Regelung daher den Aufschub der
Steuerpflicht, bis eine Voraussetzung des Steueranspruchs erfüllt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil
Dansk Transport og Logistik, C‑230/08, EU:C:2010:231, Rn. 78).
23
Bei solchen, einem Verfahren der Steueraussetzung unterliegenden Waren gilt nach Art. 7
Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/118 die Entnahme, einschließlich der unrechtmäßigen
Entnahme, aus diesem Verfahren als Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr.
24
Während die Richtlinie 92/12 in ihrem Art. 6 Abs. 1 vorsah, dass die Steuer nicht nur mit der
Überführung der betreffenden Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr, sondern auch „mit
der Feststellung von Fehlmengen“ entstand, wurde dieser die Fehlmengen betreffende Fall der
Entstehung des Steueranspruchs nicht in die Richtlinie 2008/118 übernommen.
25
Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Vorschriften über die
25
Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Vorschriften über die
Entstehung des Steueranspruchs nach der Richtlinie 2008/118 auf die in einem Verfahren der
Steueraussetzung beförderten Waren anzuwenden sind, wenn zum Zeitpunkt der Lieferung
festgestellt wird, dass die Warenmenge geringer ist als am Abgangsort.
26
Da die Richtlinie 2008/118 nach ihrem Art. 7 Abs. 2 Buchst. a die Entstehung des
Steueranspruchs für Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung an die Entnahme aus
diesem Verfahren knüpft, ist zunächst auf die zweite Frage zu antworten, die Art. 20 Abs. 2 der
Richtlinie 2008/118 betrifft, wonach die Beförderung solcher Waren endet, wenn der Empfänger
sie übernommen hat.
Zur zweiten Frage
27
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 20 Abs. 2 der
Richtlinie 2008/118 dahin auszulegen ist, dass die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger
Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung im Sinne dieser Bestimmung in einem Fall wie
dem des Ausgangsverfahrens dann endet, wenn der Empfänger dieser Waren nach
vollständiger Entladung des sie befördernden Transportmittels festgestellt hat, dass die
Warenmenge geringer ist als die Menge, die ihm hätte geliefert werden sollen.
28
Da in der Richtlinie 2008/118 nicht definiert wird, was darunter zu verstehen ist, dass „der
Empfänger die verbrauchsteuerpflichtigen Waren übernommen hat“, ist darauf hinzuweisen,
dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer Vorschrift des
Unionsrechts sowohl ihr Wortlaut als auch ihr Kontext und ihre Ziele zu berücksichtigen sind
(vgl. u. a. Urteil Spanien/Parlament und Rat, C‑44/14, EU:C:2015:554, Rn. 44).
29
Erstens ist zum Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 festzustellen, dass er sich
auf die Waren selbst bezieht, ohne in irgendeiner Weise auf ihre Beförderungsmittel Bezug zu
nehmen. Bei der Bestimmung ihres Lieferzeitpunkts ist daher auf den tatsächlichen Erhalt der
Waren als solche durch ihren Empfänger abzustellen und nicht auf das bloße Eintreffen des sie
enthaltenden, wie auch immer gearteten Behältnisses beim Empfänger.
30
Zweitens ist zum Kontext, in dem die fraglichen Bestimmungen der Richtlinie 2008/118 stehen,
festzustellen, dass Art. 20 der Richtlinie Teil ihres Kapitels IV („Beförderung
verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung“) ist. Zu den Bestimmungen dieses
Kapitels gehört Art. 19 Abs. 2 Buchst. c, wonach der Empfänger alle Kontrollen dulden muss, die
es den zuständigen Behörden des Bestimmungsmitgliedstaats ermöglichen, sich vom
tatsächlichen Empfang der betreffenden Waren zu überzeugen. Der Unionsgesetzgeber wollte
damit den tatsächlichen Empfang der Waren zum maßgeblichen Bestandteil der
Voraussetzungen machen, unter denen die Beförderung dieser Waren in einem Verfahren der
Steueraussetzung bei ihrer Lieferung zu beurteilen ist. Keine andere Bestimmung von Kapitel IV
gebietet eine abweichende Auslegung.
31
Drittens soll mit den Bestimmungen von Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118, die näher
regeln, wann die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der
Steueraussetzung endet, festgelegt werden, wann solche Waren, wie in Rn. 23 des
vorliegenden Urteils ausgeführt, als in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt gelten und
wann infolgedessen der Steueranspruch bei diesen Waren entsteht.
32
Zudem ist, da die Verbrauchsteuer, wie dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/118
zu entnehmen ist, eine anhand der Menge der zum Verbrauch angebotenen Waren bemessene
Steuer darstellt, der Zeitpunkt der Entstehung des Steueranspruchs so zu wählen, dass die
Menge der betreffenden Waren genau gemessen werden kann. Angesichts dieses Ziels ist die
in Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie aufgestellte Regel, dass die Beförderung
verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung endet, wenn der
Empfänger diese Waren übernommen hat, dahin auszulegen, dass die Übernahme zu dem
Zeitpunkt als erfolgt anzusehen ist, zu dem der Empfänger genaue Kenntnis von der Menge der
tatsächlich erhaltenen Waren haben kann.
33
Wäre die Übernahme bereits zu dem Zeitpunkt als erfolgt anzusehen, zu dem das mit den
verbrauchsteuerpflichtigen Waren beladene Transportmittel an ihrem Bestimmungsort
eingetroffen ist, ohne dass der Empfänger die tatsächlich gelieferte Menge ermitteln konnte,
entstünde der Steueranspruch unter Verstoß gegen die mit der Natur der fraglichen Steuer
selbst zusammenhängenden Anforderungen, die – wie in der vorstehenden Randnummer
ausgeführt – eine genaue Kenntnis der Menge der in den steuerrechtlich freien Verkehr
überführten Waren voraussetzt. In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens kann daher vor
der vollständigen Entladung des die fraglichen Waren befördernden Transportmittels nicht
davon ausgegangen werden, dass ihre Übernahme erfolgt ist.
34
Überdies wollte der Unionsgesetzgeber dadurch, dass er vom Lagerinhaber in Art. 16 Abs. 2
Buchst. d der Richtlinie 2008/118 verlangt, alle in einem Verfahren der Steueraussetzung
beförderten verbrauchsteuerpflichtigen Waren nach Beendigung der Beförderung in sein
Steuerlager zu verbringen und in seinen Büchern zu erfassen, und damit vorsieht, dass diese
materiellen und buchhalterischen Vorgänge zeitlich mit der Beendigung der Beförderung
zusammenfallen, ihre Beendigung zu einem Zeitpunkt eintreten lassen, zu dem der
Lagerinhaber die fraglichen Waren tatsächlich erhalten hat und deren Menge im Hinblick auf
ihre buchhalterische Erfassung in den Lageraufzeichnungen genau ermittelt werden konnte.
35
Unter diesen Umständen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 20 Abs. 2 der
Richtlinie 2008/118 dahin auszulegen ist, dass die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger
Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung im Sinne dieser Bestimmung in einem Fall wie
dem des Ausgangsverfahrens dann endet, wenn der Empfänger dieser Waren nach
vollständiger Entladung des sie befördernden Transportmittels festgestellt hat, dass die
Warenmenge geringer ist als die Menge, die ihm hätte geliefert werden sollen.
Zur dritten und zur vierten Frage
36
Mit seiner dritten und seiner vierten Frage, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das
vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Abs. 2 Buchst. a in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 der
Richtlinie 2008/118 dahin auszulegen ist, dass der von Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie erfasste Fall
nicht zu den von ihnen geregelten Fällen gehört und dass sie einer nationalen Vorschrift
entgegenstehen, mit der Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie dergestalt umgesetzt wird, dass seine
Anwendung nicht von der Voraussetzung abhängt, dass die verbrauchsteuerpflichtigen Waren
durch ihre Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung in den steuerrechtlich freien
Verkehr überführt worden sind.
37
Nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 gilt, wenn bei der Beförderung
verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung eine
Unregelmäßigkeit festgestellt wurde, die eine Überführung dieser Waren in den steuerrechtlich
freien Verkehr nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie zur Folge hatte, und der Ort, an dem
die Unregelmäßigkeit begangen wurde, nicht bestimmt werden kann, die Unregelmäßigkeit als
in dem Mitgliedstaat und zu dem Zeitpunkt eingetreten, in dem bzw. zu dem sie entdeckt wurde.
38
Aus diesen Bestimmungen geht hervor, dass sie den Fall betreffen, in dem eine bei der
Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung
festgestellte Unregelmäßigkeit eine Überführung dieser Waren in den steuerrechtlich freien
Verkehr durch die Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung zur Folge hatte.
39
Daher darf eine nationale Vorschrift, mit der Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 umgesetzt
wird, grundsätzlich nicht vorsehen, dass eine solche Unregelmäßigkeit als in dem Mitgliedstaat
und zu dem Zeitpunkt eingetreten gilt, in dem bzw. zu dem sie entdeckt wurde, ohne diese
Vermutung an die Voraussetzung zu knüpfen, dass die Unregelmäßigkeit die Überführung der
betreffenden Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr zur Folge hatte.
40
Es steht fest, dass § 14 EnergieStG, mit dem die Umsetzung vorgenommen wurde, keine
solche Voraussetzung erwähnt.
41
Nach ständiger Rechtsprechung müssen die nationalen Gerichte das innerstaatliche Recht bei
seiner Anwendung jedoch so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der
fraglichen Richtlinie auslegen, um das darin festgelegte Ziel zu erreichen und damit Art. 288
Abs. 3 AEUV nachzukommen. Die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des
nationalen Rechts ist dem System des AEU-Vertrags immanent, da es den nationalen Gerichten
dadurch ermöglicht wird, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die volle Wirksamkeit des
Unionsrechts sicherzustellen, wenn sie über die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten
entscheiden (vgl. u. a. Urteil Dominguez, C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 24).
42
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 10 Abs. 6 der Richtlinie 2008/118 als
„Unregelmäßigkeit“ im Sinne dieses Artikels ein während der Beförderung
verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung eintretender Fall –
mit Ausnahme des in Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie genannten Falles – gilt, aufgrund dessen eine
Beförderung oder ein Teil einer Beförderung von Waren nicht nach Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie
beendet wurde.
43
Die Feststellung von Fehlmengen bei der Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem
Verfahren der Steueraussetzung stellt aber eine notwendigerweise vergangene Situation dar, in
der die fehlenden Waren nicht Teil der Lieferung waren, so dass ihre Beförderung nicht nach
Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 beendet wurde. Es handelt sich folglich um eine
Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 10 Abs. 6 der Richtlinie. Eine derartige Unregelmäßigkeit
führt notwendigerweise zu einer Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung und gilt
somit nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie als Überführung in den steuerrechtlich freien
Verkehr.
44
In diesem Kontext kann, wenn in einer nationalen Vorschrift zur Umsetzung von Art. 10 Abs. 2
der Richtlinie 2008/118 wie § 14 EnergieStG nicht erwähnt wird, dass ihre Anwendung davon
abhängt, dass die Unregelmäßigkeit die Überführung der betreffenden Waren in den
steuerrechtlich freien Verkehr zur Folge hatte, dies einer Anwendung der nationalen Vorschrift
bei der Feststellung von Fehlmengen, die notwendigerweise eine Überführung in den
steuerrechtlich freien Verkehr nach sich ziehen, nicht entgegenstehen.
45
Überdies ist festzustellen, dass von der Unregelmäßigkeit, auf die sich Art. 10 Abs. 2 der
Richtlinie 2008/118 bezieht, der in Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie genannte Fall – wie in Rn. 42 des
vorliegenden Urteils ausgeführt – ausgenommen ist, so dass sie nicht „die vollständige
Zerstörung oder de[n] unwiederbringliche[n] Verlust … verbrauchsteuerpflichtiger Waren“
erfasst.
46
Wird der Nachweis einer solchen vollständigen Zerstörung oder eines unwiederbringlichen
Verlustes der einem Verfahren der Steueraussetzung unterstellten verbrauchsteuerpflichtigen
Waren erbracht, kann es daher nicht zur Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr im
Sinne von Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/118 und folglich auch nicht zur Anwendung
von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie kommen. Somit ist der von Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie erfasste
Fall vom Anwendungsbereich dieser Bestimmungen ausgenommen.
47
Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die dritte und die vierte Frage zu antworten,
dass Art. 7 Abs. 2 Buchst. a in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 dahin
auszulegen ist, dass
– zu den von ihnen geregelten Fällen der von Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie erfasste Fall nicht
gehört und
– der Umstand, dass in einer nationalen Vorschrift zur Umsetzung von Art. 10 Abs. 2 der
Richtlinie 2008/118 wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht ausdrücklich erwähnt
wird, dass die Unregelmäßigkeit im Sinne dieser Richtlinienbestimmung die Überführung
der betreffenden Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr zur Folge gehabt haben
muss, der Anwendung dieser nationalen Vorschrift bei der Feststellung von Fehlmengen,
die notwendigerweise eine solche Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr nach
die notwendigerweise eine solche Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr nach
sich ziehen, nicht entgegenstehen kann.
Zur ersten Frage
48
Mit seiner ersten Frage, die zuletzt zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob
Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie 2008/118 dahin auszulegen ist, dass er nicht nur dann anwendbar
ist, wenn die gesamte Menge der in einem Verfahren der Steueraussetzung beförderten Waren
nicht an ihrem Bestimmungsort eingetroffen ist, sondern auch dann, wenn nur eine Teilmenge
dieser Waren nicht am Bestimmungsort eintrifft.
49
Es ist darauf hinzuweisen, dass nach der genannten Bestimmung, wenn
verbrauchsteuerpflichtige Waren, die in einem Verfahren der Steueraussetzung befördert
werden, nicht an ihrem Bestimmungsort eingetroffen sind und während der Beförderung keine
Unregelmäßigkeit festgestellt wurde, die eine Überführung dieser Waren in den steuerrechtlich
freien Verkehr nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/118 zur Folge hatte, eine
Unregelmäßigkeit als im Abgangsmitgliedstaat und zu dem Zeitpunkt begangen gilt, zu dem die
Beförderung begonnen hat.
50
Somit ist schon nach dem Wortlaut von Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie 2008/118 die Anwendung
dieser Bestimmung keineswegs Fällen vorbehalten, in denen die gesamte Menge der in einem
Verfahren der Steueraussetzung beförderten Waren nicht an ihrem Bestimmungsort
eingetroffen ist.
51
Eine andere Tragweite kann dieser Bestimmung weder aufgrund ihres Kontextes noch
aufgrund ihrer Zielsetzung beigemessen werden.
52
Zum einen regelt Abs. 4 von Art. 10 der Richtlinie 2008/118 ebenso wie dessen Abs. 1 und 2
die Fälle, in denen bei der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren in einem Verfahren
der Steueraussetzung Unregelmäßigkeiten begangen wurden. Wie in Rn. 42 des vorliegenden
Urteils ausgeführt, gilt nach Art. 10 Abs. 6 der Richtlinie 2008/118 als „Unregelmäßigkeit“ im
Sinne dieses Artikels ein Fall, aufgrund dessen eine Beförderung oder ein Teil einer
Beförderung von Waren nicht nach Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie beendet wurde. Art. 10 Abs. 4
der Richtlinie 2008/118 steht somit in einem Kontext, in dem der Unionsgesetzgeber alle Fälle
von Unregelmäßigkeiten erfassen wollte, also auch solche, die nur einen Teil der Beförderung
betreffen.
53
Zum anderen dienen die Vorschriften von Art. 10 der Richtlinie 2008/118 zur Festlegung der
Regeln für die Bestimmung des Mitgliedstaats, in dem die verbrauchsteuerpflichtigen Waren in
einem Verfahren der Steueraussetzung infolge während einer Beförderung eingetretener
Unregelmäßigkeiten als in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt anzusehen sind.
Angesichts dieses Ziels gibt es keinen Grund zur Annahme, dass der Unionsgesetzgeber durch
den Erlass von Art. 10 Abs. 4, der den Fall betrifft, in dem die Unregelmäßigkeit zwar während
einer Beförderung eingetreten ist, dabei jedoch nicht festgestellt wurde, die Anwendung der in
diesem Absatz enthaltenen Regelung nur den Fällen vorbehalten wollte, in denen die gesamte
Menge der in einem Verfahren der Steueraussetzung beförderten Waren nicht an ihrem
Bestimmungsort eingetroffen ist.
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In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 10
Abs. 4 der Richtlinie 2008/118 dahin auszulegen ist, dass er nicht nur dann anwendbar ist, wenn
die gesamte Menge der in einem Verfahren der Steueraussetzung beförderten Waren nicht an
ihrem Bestimmungsort eingetroffen ist, sondern auch dann, wenn nur eine Teilmenge dieser
Waren nicht am Bestimmungsort eintrifft.
Kosten
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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses
Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof
sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über
das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie
92/12/EWG ist dahin auszulegen, dass die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger
Waren in einem Verfahren der Steueraussetzung im Sinne dieser Bestimmung in
einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens dann endet, wenn der Empfänger
dieser Waren nach vollständiger Entladung des sie befördernden Transportmittels
festgestellt hat, dass die Warenmenge geringer ist als die Menge, die ihm hätte
geliefert werden sollen.
2. Art. 7 Abs. 2 Buchst. a in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 ist
dahin auszulegen, dass
– zu den von ihnen geregelten Fällen der von Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie
erfasste Fall nicht gehört und
– der Umstand, dass in einer nationalen Vorschrift zur Umsetzung von Art. 10
Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht
ausdrücklich erwähnt wird, dass die Unregelmäßigkeit im Sinne dieser
Richtlinienbestimmung die Überführung der betreffenden Waren in den
steuerrechtlich freien Verkehr zur Folge gehabt haben muss, der Anwendung
dieser nationalen Vorschrift bei der Feststellung von Fehlmengen, die
notwendigerweise eine solche Überführung in den steuerrechtlich freien
Verkehr nach sich ziehen, nicht entgegenstehen kann.
3. Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie 2008/118 ist dahin auszulegen, dass er nicht nur dann
anwendbar ist, wenn die gesamte Menge der in einem Verfahren der
Steueraussetzung beförderten Waren nicht an ihrem Bestimmungsort eingetroffen
ist, sondern auch dann, wenn nur eine Teilmenge dieser Waren nicht am
Bestimmungsort eintrifft.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Deutsch.