Urteil des EuGH vom 02.03.2017

Zugang, Europäische Kommission, Verfahrensordnung, Verordnung

Vorläufige Fassung
BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)
2. März 2017(
*
)
„Rechtsmittel – Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Dokumente der ungarischen Regierung zum EU-Pilotverfahren Nr. 8572/15
(CHAP[2015]00353 und 6874/14/JUST) über einen Ungarn zur Last gelegten Verstoß gegen Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union – Antrag auf Übermittlung von Dokumenten – Keine Antwort der Europäischen Kommission“
In der Rechtssache C‑625/16 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 1. Dezember 2016,
Anikó Pint,
Rechtsmittelführerin,
andere Partei des Verfahrens:
Europäische Kommission,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und D. Šváby,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit
Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Frau Anikó Pint begehrt mit ihrem Rechtsmittel die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 14. November 2016,
Pint/Kommission (T‑660/16, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2016:661), mit dem ihr Antrag, der Europäischen
Kommission aufzugeben, ihr Zugang zu allen Dokumenten der ungarischen Regierung zum EU-Pilotverfahren Nr. 8572/15 (CHAP[2015]00353 und
6874/14/JUST) zu gewähren, wegen offensichtlicher Unzuständigkeit zurückgewiesen wurde.
Sie macht als einzigen Rechtsmittelgrund geltend, das Gericht habe das Konzept der „stillschweigenden Ablehnung“ von Anträgen auf Zugang zu
Dokumenten, wie es in Art. 8 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den
Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) niedergelegt sei,
verkannt.
Zum Rechtsmittel
Nach Art. 181 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof ein Rechtsmittel, das ganz oder teilweise offensichtlich unzulässig oder offensichtlich
unbegründet ist, auf Vorschlag des Berichterstatters nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit ganz oder teilweise durch mit Gründen versehenen
Beschluss zurückweisen.
Diese Vorschrift kommt hier zum Tragen.
Der Generalanwalt hat am 2. Februar 2017 wie folgt Stellung genommen:
„1. Frau Pint begehrt mit ihrem Rechtsmittel die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, mit dem ihre Nichtigkeitsklage mit der Begründung
als unzulässig abgewiesen wurde, dass sie damit die Erteilung einer Weisung an die Kommission erwirken wolle, das Gericht nach ständiger
Rechtsprechung aber nicht befugt sei, Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union zu einem bestimmten Verhalten zu
zwingen, und somit ein Fall offensichtlicher Unzuständigkeit vorliege.
2. Unter Berücksichtigung der Rechtsmittelschrift sowie der Schriftstücke des Verfahrens vor dem Gericht schlage ich dem Gerichtshof aus den im
Folgenden dargelegten Gründen vor, das Rechtsmittel als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen und Frau Pint ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.
3. Die Rechtsmittelführerin macht als einzigen Rechtsmittelgrund geltend, das Gericht habe das Konzept der ‚stillschweigenden Ablehnung‘ von
Anträgen auf Zugang zu Dokumenten, wie es in Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 niedergelegt sei, verkannt. Es hätte erkennen müssen,
dass sie – wie sich insbesondere aus den Rn. 17 und 18 der Klageschrift ergebe – nicht die Erteilung einer Weisung an die Kommission beantrage,
sondern die Nichtigerklärung der stillschweigenden Ablehnung ihres Antrags auf Zugang zu den Dokumenten. Die genannte Vorschrift berechtige
den erfolglosen Antragsteller nämlich, Klage gegen das Organ zu erheben, wenn es nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist geantwortet habe.
4. Hierzu ist erstens festzustellen, dass die Rechtsmittelführerin in der Klageschrift nur einen Sachantrag gestellt hatte, der dahin ging, der
Kommission aufzugeben, ihr Zugang zu den betreffenden Dokumenten zu gewähren, und beantragt hatte, der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Zweitens wird in den Rn. 17 und 18 der Klageschrift, anders als die Rechtsmittelführerin behauptet, lediglich ausgeführt, dass sie am 25. Juli 2016
und am 23. August 2016 Zugang zu den der Kommission von der ungarischen Regierung im Verwaltungsabschnitt eines
Vertragsverletzungsverfahrens übermittelten Dokumenten beantragt habe und dass die Kommission diesen Antrag ignoriert habe. Mithin ergibt sich
aus keiner dieser beiden Randnummern – und auch aus keiner anderen Randnummer der Klageschrift –, dass die Rechtsmittelführerin mit ihrer Klage
die Nichtigerklärung der betreffenden stillschweigenden abschlägigen Bescheide beantragt hätte.
5. Zum Vorbringen der Rechtsmittelführerin, bei einem stillschweigenden abschlägigen Bescheid im Sinne von Art. 8 Abs. 3 der Verordnung
Nr. 1049/2001 habe der erfolglose Antragsteller keine andere Wahl als die Erhebung einer Nichtigkeitsklage, ist festzustellen, dass diese Vorschrift
den Kläger nicht der in Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und in Art. 76 Buchst. d und e der Verfahrensordnung des
Gerichts aufgestellten Verpflichtung enthebt, seine Klagegründe und Argumente sowie seine Anträge eindeutig zu bezeichnen. Eine Klageschrift wie
die dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegende, deren einziger Antrag nicht zu dem rechtlichen Vorbringen passt, auf das er gestützt wird,
genügt diesen Anforderungen nicht, weshalb die Klage im Übrigen als unzulässig hätte abgewiesen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom
9. Januar 2003, Italien/Kommission, C‑178/00, EU:C:2003:7, Rn. 40 und 41, und Beschluss vom 12. Juli 2012, Land Wien/Kommission, C‑608/11 P,
EU:C:2012:467, Rn. 26).
6. Somit ist festzustellen, dass das Gericht in den Rn. 3 und 7 des angefochtenen Beschlusses rechtsfehlerfrei angenommen hat, dass die Klage
nach der in Rn. 6 des angefochtenen Beschlusses angeführten ständigen Rechtsprechung, wonach das Gericht im Rahmen der
Rechtmäßigkeitskontrolle aufgrund von Art. 263 AEUV nicht befugt ist, den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union Weisungen zu
erteilen (vgl. Beschluss vom 22. September 2016, Gaki/Kommission, C‑130/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:731, Rn. 14 und die dort angeführte
Rechtsprechung), gemäß Art. 126 seiner Verfahrensordnung wegen offensichtlicher Unzuständigkeit abzuweisen sei.
7. Folglich ist der einzige Rechtsmittelgrund, den die Rechtsmittelführerin geltend macht, und damit das Rechtsmittel als offensichtlich
unbegründet zurückzuweisen.“
Das Rechtsmittel ist aus den vom Generalanwalt dargelegten Gründen als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
Hinzuzufügen ist, dass es der Rechtsmittelführerin unbenommen bleibt, nach einem erneuten Antrag unter den Voraussetzungen des Art. 263 AEUV
Nichtigkeitsklage gegen einen stillschweigenden abschlägigen Bescheid im Sinne von Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 zu erheben, mit
dem der Zugang zu den Dokumenten abgelehnt wird.
Kosten
Nach Art. 137 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, wird über
die Kosten in dem das Verfahren beendenden Beschluss entschieden. Da der vorliegende Beschluss ergangen ist, bevor die Rechtsmittelschrift der
Beklagten zugestellt wurde und dieser Kosten entstehen konnten, ist zu entscheiden, dass Frau Pint ihre eigenen Kosten trägt.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) beschlossen:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Frau Anikó Pint trägt ihre eigenen Kosten.
Luxemburg, den 2. März 2017
Der Kanzler Der Präsident der Achten Kammer
A. Calot Escobar M. Vilaras
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Verfahrenssprache: Deutsch.