Urteil des EuGH vom 16.04.2015

Anerkennung, Begriff, Architektur, Beruf

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)
16. April 2015
)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2005/36/EG – Art. 10 – Anerkennung von
Berufsqualifikationen – Zugang zum Architektenberuf – Nicht in Anhang V Nr. 5.7.1
aufgeführte Nachweise – Begriffe ‚besondere und außergewöhnliche Gründe‘ und
‚Architekt‘“
In der Rechtssache C‑477/13
betreffend ein Ersuchen um Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom
Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 10. Juli 2013, beim
Gerichtshof eingegangen am 5. September 2013, in dem Verfahren
Eintragungsausschuss bei der Bayerischen Architektenkammer
gegen
Hans Angerer,
Beteiligte:
Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht,
Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, des Vizepräsidenten des
Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Vierten
Kammer, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin), des Richters J. Malenovský und
der Richterin A. Prechal,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli
2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– des Eintragungsausschusses bei der Bayerischen Architektenkammer, vertreten
durch die Rechtsanwälte A. Graf von Keyserlingk und J. Buntrock,
durch die Rechtsanwälte A. Graf von Keyserlingk und J. Buntrock,
– von Herrn Angerer, vertreten durch Rechtsanwalt H. Olschewski,
– der Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses, vertreten
durch C. Zappel und R. Käß als Bevollmächtigte,
– der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als
Bevollmächtigte,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und M. de Ree als
Bevollmächtigte,
– der rumänischen Regierung, vertreten durch R. Haţieganu und A. Văcaru als
Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun und H. Støvlbæk als
Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. November
2014
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 Buchst. c der
Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September
2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255, S. 22, berichtigt im
ABl. 2007, L 271, S. 18, im ABl. 2008, L 93, S. 28, und im ABl. 2009, L 33, S. 49) in der
durch die Verordnung (EG) Nr. 279/2009 der Kommission vom 6. April 2009 (ABl. L 93,
S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2005/36).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem
Eintragungsausschuss bei der Bayerischen Architektenkammer (im Folgenden:
Bayerische Architektenkammer) und Herrn Angerer über dessen Antrag auf Eintragung
in die Architektenliste der Bayerischen Architektenkammer.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3
Durch die Richtlinie 2005/36 wurde die Richtlinie 85/384/EWG des Rates vom 10. Juni
1985 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen
Befähigungsnachweise auf dem Gebiet der Architektur und für Maßnahmen zur
Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf
freien Dienstleistungsverkehr (ABl. L 223, S. 15) aufgehoben.
4
Die Erwägungsgründe 17, 19 und 28 der Richtlinie 2005/36 lauten:
4
Die Erwägungsgründe 17, 19 und 28 der Richtlinie 2005/36 lauten:
„(17) Damit alle Sachverhalte berücksichtigt werden, die bisher keiner Regelung zur
Anerkennung von Berufsqualifikationen unterliegen, sollte die allgemeine
Regelung auf die Fälle ausgedehnt werden, die nicht durch eine Einzelregelung
abgedeckt werden, entweder weil der Beruf unter keine der Regelungen fällt oder
weil der Beruf zwar unter eine bestimmte Regelung fällt, der Antragsteller aus
besonderen und außergewöhnlichen Gründen die Voraussetzungen für die
Inanspruchnahme dieser Regelung jedoch nicht erfüllt.
(19) Die Freizügigkeit und die gegenseitige Anerkennung der Ausbildungsnachweise
der … Architekten sollte[n] sich auf den Grundsatz der automatischen Anerkennung
der Ausbildungsnachweise im Zuge der Koordinierung der Mindestanforderungen
an die Ausbildung stützen. …
(28) Die nationalen Vorschriften für das Gebiet der Architektur und die Aufnahme und
Ausübung der Architektentätigkeit sind ihrem Geltungsumfang nach sehr
unterschiedlich. In den meisten Mitgliedstaaten werden die Tätigkeiten auf dem
Gebiet der Architektur de jure oder de facto von Personen mit dem Berufstitel
Architekt, gegebenenfalls in Verbindung mit einem weiteren Berufstitel, ausgeübt,
ohne dass deshalb ausschließlich diese Personen das Recht hätten, diese
Tätigkeiten auszuüben, es sei denn, es liegen gegenteilige Rechtsvorschriften vor.
Diese Tätigkeiten, oder einige davon, können auch von Angehörigen anderer
Berufe ausgeübt werden, insbesondere von Ingenieuren, die auf dem Gebiet des
Bauwesens oder der Baukunst eine besondere Ausbildung erhalten haben. Im
Interesse der Vereinfachung dieser Richtlinie ist es angezeigt, die Bezeichnung
‚Architekt‘ zu verwenden, um den Anwendungsbereich der Bestimmungen über die
automatische Anerkennung der Ausbildungsnachweise auf dem Gebiet der
Architektur abzugrenzen, unbeschadet der Besonderheiten der nationalen
Vorschriften für diese Tätigkeiten.“
5
Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie sieht vor:
„Diese Richtlinie legt die Vorschriften fest, nach denen ein Mitgliedstaat, der den Zugang
zu einem reglementierten Beruf oder dessen Ausübung in seinem Hoheitsgebiet an den
Besitz bestimmter Berufsqualifikationen knüpft (im Folgenden ‚Aufnahmemitgliedstaat‘
genannt), für den Zugang zu diesem Beruf und dessen Ausübung die in einem oder
mehreren anderen Mitgliedstaaten (im Folgenden ‚Herkunftsmitgliedstaat‘ genannt)
erworbenen Berufsqualifikationen anerkennt, die ihren Inhaber berechtigen, dort
denselben Beruf auszuüben.“
6
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Die Anerkennung der Berufsqualifikationen durch den Aufnahmemitgliedstaat
ermöglicht der begünstigten Person, in diesem Mitgliedstaat denselben Beruf wie den,
für den sie in ihrem Herkunftsmitgliedstaat qualifiziert ist, aufzunehmen und unter
für den sie in ihrem Herkunftsmitgliedstaat qualifiziert ist, aufzunehmen und unter
denselben Voraussetzungen wie Inländer auszuüben.“
7
Titel III („Niederlassungsfreiheit“) der Richtlinie 2005/36 umfasst vier Kapitel. In Kapitel I
(„Allgemeine Regelung für die Anerkennung von Ausbildungsnachweisen“) dieses Titels
bestimmt Art. 10:
„Dieses Kapitel gilt für alle Berufe, die nicht unter Kapitel II und III dieses Titels fallen,
sowie für die folgenden Fälle, in denen der Antragsteller aus besonderen und
außergewöhnlichen Gründen die in diesen Kapiteln genannten Voraussetzungen nicht
erfüllt:
a) für die in Anhang IV aufgeführten Tätigkeiten, wenn der Migrant die Anforderungen
der Artikel 17, 18 und 19 nicht erfüllt,
b) für Ärzte mit Grundausbildung, Fachärzte, Krankenschwestern und Krankenpfleger
für allgemeine Pflege, Zahnärzte, Fachzahnärzte, Tierärzte, Hebammen, Apotheker
und Architekten, wenn der Migrant die Anforderungen der tatsächlichen und
rechtmäßigen Berufspraxis gemäß den Artikeln 23, 27, 33, 37, 39, 43 und 49 nicht
erfüllt,
c) für Architekten, wenn der Migrant über einen Ausbildungsnachweis verfügt, der
nicht in Anhang V Nummer 5.7. aufgeführt ist,
d) unbeschadet des Artikels 21 Absatz 1 und der Artikel 23 und 27 für Ärzte,
Krankenschwestern und Krankenpfleger, Zahnärzte, Tierärzte, Hebammen,
Apotheker und Architekten, die über einen Ausbildungsnachweis für eine
Spezialisierung verfügen, der nach der Ausbildung zum Erwerb einer der in
Anhang V Nummern 5.1.1., 5.2.2., 5.3.2., 5.4.2., 5.5.2., 5.6.2. und 5.7.1 aufgeführten
Bezeichnungen erworben worden sein muss, und zwar ausschließlich zum Zwecke
der Anerkennung der betreffenden Spezialisierung,
e) für Krankenschwestern und Krankenpfleger für allgemeine Pflege und für
spezialisierte Krankenschwestern und Krankenpfleger, die über einen
Ausbildungsnachweis für eine Spezialisierung verfügen, der nach der Ausbildung
zum Erwerb einer der in Anhang V Nummer 5.2.2. aufgeführten Bezeichnungen
erworben wurde, wenn der Migrant die Anerkennung in einem anderen
Mitgliedstaat beantragt, in dem die betreffenden beruflichen Tätigkeiten von
spezialisierten Krankenschwestern und Krankenpflegern, die keine Ausbildung für
die allgemeine Pflege absolviert haben, ausgeübt werden,
f) für spezialisierte Krankenschwestern und Krankenpfleger, die keine Ausbildung für
die allgemeine Pflege absolviert haben, wenn der Migrant die Anerkennung in
einem anderen Mitgliedstaat beantragt, in dem die betreffenden beruflichen
Tätigkeiten von Krankenschwestern und Krankenpflegern für allgemeine Pflege,
von spezialisierten Krankenschwestern und Krankenpflegern, die keine Ausbildung
für die allgemeine Pflege absolviert haben, oder von spezialisierten
Krankenschwestern und Krankenpflegern, die über einen Ausbildungsnachweis für
eine Spezialisierung verfügen, der nach der Ausbildung zum Erwerb einer der in
Anhang V Nummer 5.2.2. aufgeführten Bezeichnungen erworben wurde, ausgeübt
Anhang V Nummer 5.2.2. aufgeführten Bezeichnungen erworben wurde, ausgeübt
werden,
g) für Migranten, die die Anforderungen nach Artikel 3 Absatz 3 erfüllen.“
8
In Kapitel III („Anerkennung auf der Grundlage der Koordinierung der
Mindestanforderungen an die Ausbildung“) des Titels III der Richtlinie heißt es in Abs. 1
von Art. 21 („Grundsatz der automatischen Anerkennung“):
„Jeder Mitgliedstaat erkennt die in Anhang V unter [Nummer 5.7.1.] aufgeführten
Ausbildungsnachweise an, die die Mindestanforderungen für die Ausbildung nach
[Artikel 46] erfüllen und die Aufnahme der beruflichen Tätigkeiten … des Architekten
gestatten, und verleiht diesen Nachweisen in Bezug auf die Aufnahme und Ausübung
der beruflichen Tätigkeiten in seinem Hoheitsgebiet dieselbe Wirkung wie den von ihm
ausgestellten Ausbildungsnachweisen.
Diese Ausbildungsnachweise müssen von den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten
ausgestellt und gegebenenfalls mit den Bescheinigungen versehen sein, die in Anhang
V unter [Nummer 5.7.1.] aufgeführt sind.
…“
9
Art. 46 („Ausbildung der Architekten“) der Richtlinie 2005/36 sieht in Abs. 1 vor:
„Die Gesamtdauer der Ausbildung des Architekten umfasst mindestens entweder vier
Studienjahre auf Vollzeitbasis oder sechs Studienjahre, die zumindest drei Jahre
Vollzeitstudium an einer Hochschule oder einer vergleichbaren Bildungseinrichtung
umfassen. Diese Ausbildung muss mit einer Prüfung auf Hochschulniveau erfolgreich
abgeschlossen werden.
Die Ausbildung muss durch einen Unterricht auf Hochschulniveau erfolgen, der
hauptsächlich auf Architektur ausgerichtet ist; sie muss ferner die theoretischen und
praktischen Aspekte der Architekturausbildung in ausgewogener Form berücksichtigen
und den Erwerb der folgenden Kenntnisse und Fähigkeiten gewährleisten:
…“
10
Art. 48 („Ausübung der Tätigkeiten des Architekten“) der Richtlinie bestimmt in Abs. 1:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie sind Tätigkeiten des Architekten die Tätigkeiten, die
üblicherweise unter der Berufsbezeichnung ‚Architekt‘ ausgeübt werden.“
11
Anhang V Nr. 5.7.1 der Richtlinie 2005/36 nennt für jeden Mitgliedstaat die
Ausbildungsnachweise, die zu deren Ausstellung befugten Stellen und die zusätzlichen
Bescheinigungen, die die Aufnahme des Architektenberufs erlauben.
Deutsches Recht
12
Nach dem Grundgesetz fällt das Berufsrecht der Architekten in Deutschland in die
Gesetzgebungskompetenz der Länder. Art. 4 des Gesetzes des Freistaats Bayern über
die Bayerische Architektenkammer und die Bayerische Ingenieurekammer-Bau vom 9.
die Bayerische Architektenkammer und die Bayerische Ingenieurekammer-Bau vom 9.
Mai 2007 (GVBl S. 308, im Folgenden: BauKaG) bestimmt:
„…
(2) In die Architektenliste ist auf Antrag einzutragen, wer
1. Wohnsitz, Niederlassung oder überwiegende berufliche Beschäftigung in Bayern,
2. eine erfolgreiche Abschlussprüfung in einem Studium
a) mit einer mindestens vierjährigen Regelstudienzeit für die in Art. 3 Abs. 1
genannten Aufgaben der Fachrichtung Architektur (Hochbau) oder
b) mit einer mindestens dreijährigen Regelstudienzeit für die in Art. 3 Abs. 2 und
3
genannten
Aufgaben
der
Fachrichtungen
Innen-
oder
Landschaftsarchitektur,
an einer deutschen Hochschule, an einer deutschen öffentlichen oder staatlich
anerkannten Ingenieurschule (Akademie) oder an einer dieser gleichwertigen
deutschen Lehreinrichtung abgelegt und
3. eine nachfolgende praktische Tätigkeit in der betreffenden Fachrichtung von
mindestens zwei Jahren ausgeübt
hat. Auf die Zeit der praktischen Tätigkeit sind berufsfördernde Fort- und
Weiterbildungsveranstaltungen der Architektenkammer im Aufgabenbereich der
technischen und wirtschaftlichen Planung sowie des Baurechts anzurechnen.
(5) Die Voraussetzungen nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und Nr. 3 sind auch
erfüllt, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder
eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum aus
besonderen und außergewöhnlichen Gründen im Sinn des Art. 10 Buchst. b, c, d und g
der Richtlinie [2005/36] die Voraussetzungen für eine Anerkennung seiner
Ausbildungsnachweise auf der Grundlage der Koordinierung der Mindestanforderungen
an die Ausbildung im Sinn der Richtlinie [2005/36] nicht erfüllt, wenn im Übrigen die
Voraussetzungen des Art. 13 der Richtlinie [2005/36] vorliegen; dabei sind
Ausbildungsgänge im Sinn des Art. 12 der Richtlinie [2005/36] gleichgestellt. …
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
13
Herr Angerer, der deutscher Staatsangehöriger ist, praktiziert seit März 2007 in
Österreich als „Planender Baumeister“. Er hat seinen privaten Wohnsitz sowohl in
Bayern als auch in Österreich. Am 25. April 2008 beantragte Herr Angerer bei der
Bayerischen Architektenkammer seine Eintragung in deren Liste der auswärtigen
Dienstleister.
14
Zum Zeitpunkt dieses Antrags war Herr Angerer Inhaber des österreichischen
Befähigungsnachweises für das Gewerbe Baumeister. Außerdem verfügte er über
weitere deutsche bzw. österreichische Qualifikationen, nämlich die Gesellen- und die
Meisterprüfung im Maler- und Lackierer-Handwerk, die Prüfung zum Betriebswirt des
Handwerks, die Meisterprüfung im Stuckateur-Handwerk, die Fortbildungsprüfung zum
Energieberater sowie die Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf Maurer.
15
Mit Bescheid vom 18. Juni 2009 lehnte die Bayerische Architektenkammer den Antrag
von Herrn Angerer ab. Dagegen wurde er mit Bescheid vom 17. März 2010 von der
Bayerischen Ingenieurekammer-Bau in eine nach Art. 61 Abs. 7 der Bayerischen
Bauordnung geführte Liste aufgenommen und erhielt damit in Bayern die
Bauvorlageberechtigung. Herr Angerer unterliegt somit bei der Ausübung seiner
Tätigkeit als „Planender Baumeister“, für die er einen österreichischen
Befähigungsnachweis besitzt, keiner Beschränkung.
16
Auf die Klage von Herrn Angerer gegen den Ablehnungsbescheid vom 18. Juni 2009
hob das Bayerische Verwaltungsgericht mit Urteil vom 22. September 2009 diesen
Bescheid auf und verpflichtete die Bayerische Architektenkammer, Herrn Angerer in die
Liste der auswärtigen Dienstleister einzutragen.
17
Die Bayerische Architektenkammer legte gegen dieses Urteil Berufung zum
Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ein. Im Berufungsverfahren änderte Herr Angerer
auf Anregung des Gerichts sein ursprüngliches Klagebegehren mit Zustimmung der
Bayerischen Architektenkammer dahin gehend, in die Architektenliste und nicht in die
Liste der auswärtigen Dienstleister eingetragen zu werden.
18
Mit Urteil vom 20. September 2011 entsprach der Bayerische Verwaltungsgerichtshof
diesem geänderten Antrag von Herrn Angerer mit der Begründung, dass die
Voraussetzungen für die Eintragung in die Architektenliste nach Art. 4 Abs. 5 BauKaG
vorlägen.
19
Die Bayerische Architektenkammer legte Revision an das vorlegende Gericht ein.
Dieses weist darauf hin, dass Art. 4 Abs. 5 BauKaG zur Umsetzung der Richtlinie
2005/36 in das deutsche Recht diene. Die genannte Bestimmung verweise u. a. auf
Art. 10 Buchst. c dieser Richtlinie. Für die Entscheidung des beim vorlegenden Gericht
anhängigen Rechtsstreits seien daher die in Art. 10 Buchst. c der Richtlinie gestellten
Anforderungen durch eine Abgrenzung des Inhalts der Begriffe „besondere und
außergewöhnliche Gründe“ und „Architekt“ näher zu bestimmen.
20
Das vorlegende Gericht ist zum einen hinsichtlich des Begriffs „besondere und
außergewöhnliche Gründe“ der Auffassung, dass die in Art. 10 der Richtlinie 2005/36
unter den Buchst. b bis d und g aufgeführten Fälle nicht bereits für sich genommen
solche „besonderen und außergewöhnlichen Gründe“ im Sinne dieses Artikels
darstellten. Vielmehr müsse der Antragsteller darüber hinausgehende ‒ etwa in seiner
Biografie liegende ‒ Gründe geltend machen und nachweisen, die dazu geführt hätten,
dass er die Voraussetzungen für eine automatische Anerkennung der
Ausbildungsnachweise auf der Grundlage der Koordinierung der Mindestanforderungen
an die Ausbildung im Sinne der Richtlinie nicht erfülle.
an die Ausbildung im Sinne der Richtlinie nicht erfülle.
21
Zum anderen weist das vorlegende Gericht zum Begriff „Architekt“ darauf hin, dass ein
Planender Baumeister nach österreichischem Recht berechtigt sei, Hochbauten,
Tiefbauten und andere Bauten zu planen, zu berechnen, zu leiten, auszuführen und
abzubrechen. Diese Befugnisse der Baumeister bestünden neben denen der
Architekten. Dagegen sei klärungsbedürftig, ob der Begriff des Architekten im Sinne von
Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 2005/36 voraussetze, dass der Migrant im
Herkunftsmitgliedstaat über die technischen Tätigkeiten der Bauplanung, Bauaufsicht
und Bauausführung hinaus auch künstlerisch-gestaltende, stadtplanerische,
wirtschaftliche und gegebenenfalls denkmalpflegerische Tätigkeiten entfaltet habe oder
nach seiner Ausbildung hätte entfalten dürfen.
22
Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt
und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. a) Sind „besondere und außergewöhnliche Gründe“ im Sinne von Art. 10 der
Richtlinie 2005/36 diejenigen Umstände, die in den nachfolgenden
Fallgruppen (Buchst. a bis g) definiert werden, oder müssen zusätzlich zu
diesen Umständen „besondere und außergewöhnliche Gründe“ gegeben
sein, aus denen der Antragsteller die in den Kapiteln II und III des Titels III der
Richtlinie genannten Voraussetzungen nicht erfüllt?
b) Welcher Art müssen die „besonderen und außergewöhnlichen Gründe“ im
letztgenannten Fall sein? Muss es sich um persönliche Gründe ‒ etwa solche
der individuellen Biografie ‒ handeln, aus denen der Migrant die
Voraussetzungen für die automatische Anerkennung seiner Ausbildung nach
Kapitel III des Titels III der Richtlinie ausnahmsweise nicht erfüllt?
2. a) Setzt der Begriff des Architekten im Sinne von Art. 10 Buchst. c der Richtlinie
2005/36 voraus, dass der Migrant im Herkunftsmitgliedstaat über technische
Tätigkeiten der Bauplanung, Bauaufsicht und Bauausführung hinaus auch
künstlerisch-gestaltende, stadtplanerische, wirtschaftliche und gegebenenfalls
denkmalpflegerische Tätigkeiten entfaltet hat oder nach seiner Ausbildung
hätte entfalten dürfen, und gegebenenfalls in welchem Ausmaß?
b) Setzt der Begriff des Architekten im Sinne von Art. 10 Buchst. c der Richtlinie
voraus, dass der Migrant über eine Ausbildung auf Hochschulniveau verfügt,
die hauptsächlich auf Architektur in dem Sinne ausgerichtet ist, dass sie über
technische Fragen der Bauplanung, Bauaufsicht und Bauausführung hinaus
auch künstlerisch-gestaltende, stadtplanerische, wirtschaftliche und
gegebenenfalls denkmalpflegerische Fragen umfasst, und gegebenenfalls in
welchem Ausmaß?
c) i) Kommt es für a und b darauf an, wie die Berufsbezeichnung „Architekt“ in
anderen Mitgliedstaaten üblicherweise verwendet wird (Art. 48 Abs. 1
der Richtlinie);
ii) oder genügt es festzustellen, wie die Berufsbezeichnung „Architekt“ im
Herkunftsmitgliedstaat und im Aufnahmemitgliedstaat üblicherweise
verwendet wird;
iii) oder lässt sich das Spektrum der im Gebiet der Europäischen Union
üblicherweise mit der Bezeichnung „Architekt“ verbundenen Tätigkeiten
Art. 46 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie entnehmen?
Zu den Vorlagefragen
Zu Buchst. a der ersten Frage
23
Mit Buchst. a seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 10
Buchst. c der Richtlinie 2005/36 dahin auszulegen ist, dass der Antragsteller, der die in
Kapitel I des Titels III dieser Richtlinie vorgesehene allgemeine Regelung für die
Anerkennung von Ausbildungsnachweisen in Anspruch nehmen will, zusätzlich zu dem
Umstand, dass er über einen nicht in Anhang V Nr. 5.7.1 der Richtlinie aufgeführten
Ausbildungsnachweis verfügt, das Vorliegen von „besonderen und außergewöhnlichen
Gründen“ nachweisen muss.
24
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 10 der Richtlinie 2005/36 den
Anwendungsbereich der in Kapitel I ihres Titels III vorgesehenen allgemeinen Regelung
für die Anerkennung von Ausbildungsnachweisen festlegt. Nach dieser Regelung prüfen
die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats die vom Antragsteller in seinem
Herkunftsmitgliedstaat erworbenen Berufsqualifikationen jeweils im Einzelfall. Für
Architekten ist ihr Anwendungsbereich in Art. 10 Buchst. c der Richtlinie festgelegt.
25
Nach dem 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/36 sollte sich jedoch u. a. beim
Architektenberuf die gegenseitige Anerkennung der Ausbildungsnachweise auf den
Grundsatz der automatischen Anerkennung der Ausbildungsnachweise im Zuge der
Koordinierung der Mindestanforderungen an die Ausbildung stützen. Dieses System der
automatischen Anerkennung der Ausbildungsnachweise ist in Kapitel III des Titels III der
Richtlinie geregelt.
26
Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Bestimmung der Bedeutung einer
Vorschrift des Unionsrechts, wie hier von Art. 10 der Richtlinie 2005/36, sowohl ihr
Wortlaut als auch ihr Zusammenhang und ihre Ziele zu berücksichtigen (Urteil Spedition
Welter, C‑306/12, EU:C:2013:650, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27
Zum Wortlaut von Art. 10 der Richtlinie 2005/36 ist hervorzuheben, dass nach dem
Einleitungssatz dieses Artikels bei den Berufen, die grundsätzlich vom System der
automatischen Anerkennung der Ausbildungsnachweise erfasst werden, die Anwendung
der allgemeinen Regelung für die Anerkennung dieser Nachweise von zwei
Voraussetzungen abhängt, und zwar zum einen davon, dass der Antragsteller die
Voraussetzungen für die Anwendung des automatischen Systems nicht erfüllt, und zum
anderen davon, dass es besondere und außergewöhnliche Gründe gibt, aus denen sich
der Antragsteller in dieser Situation befindet.
28
Diese Auslegung wird durch den Wortlaut des 17. Erwägungsgrundes der Richtlinie
2005/36 bestätigt, nach dem die allgemeine Regelung für die Anerkennung beruflicher
2005/36 bestätigt, nach dem die allgemeine Regelung für die Anerkennung beruflicher
Befähigungsnachweise Anwendung findet, wenn der Antragsteller aus besonderen und
außergewöhnlichen Gründen die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des
Systems der automatischen Anerkennung nicht erfüllt.
29
Auf den Einleitungssatz von Art. 10 der Richtlinie 2005/36 folgen die Buchst. a bis g, in
denen die Tragweite einer der beiden dort aufgestellten Voraussetzungen präzisiert wird.
Sie gelten entweder für einen oder mehrere spezielle Berufe oder übergreifend für eine
Gesamtheit von Berufsangehörigen, die sich in einer besonderen Situation befinden.
30
Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 2005/36 regelt speziell für den Architektenberuf eine
besondere Sachlage, nämlich den Fall, dass ein Antragsteller über keinen der in Anhang
V Nr. 5.7.1 dieser Richtlinie aufgeführten Ausbildungsnachweise verfügt. Nach Art. 21
Abs. 1 der Richtlinie ist aber der Besitz eines in diesem Anhang aufgeführten
Ausbildungsnachweises Voraussetzung für die Anwendung des in Kapitel III des Titels III
der Richtlinie 2005/36 vorgesehenen Systems der automatischen Anerkennung der
Ausbildungsnachweise auf Architekten. Somit bezieht sich Art. 10 Buchst. c der
Richtlinie 2005/36 lediglich auf die erste der beiden im Einleitungssatz dieses Artikels
genannten Voraussetzungen, nämlich auf die Nichterfüllung der Voraussetzungen für die
Anwendung des automatischen Systems.
31
Dieser Umstand kann jedoch nicht dazu führen, dass bei Architekten, die über nicht in
Anhang V Nr. 5.7.1 der Richtlinie 2005/36 aufgeführte Ausbildungsnachweise verfügen,
die zweite im Einleitungssatz von Art. 10 dieser Richtlinie genannte Voraussetzung
unanwendbar ist, da die beiden Voraussetzungen kumulativ sind.
32
Folglich muss nach dem Wortlaut von Art. 10 der Richtlinie 2005/36 ein Antragsteller,
der die für Architekten geltende allgemeine Regelung für die Anerkennung von
Ausbildungsnachweisen in Anspruch nehmen will, nicht nur nachweisen, dass er sich in
der in Art. 10 Buchst. c der Richtlinie genannten Situation befindet, d. h., dass er über
keinen der in Anhang V Nr. 5.7.1 aufgeführten Ausbildungsnachweise verfügt, sondern
auch „besondere und außergewöhnliche Gründe“ anführen, aus denen er sich in dieser
Situation befindet.
33
Diese Auslegung entspricht dem Willen des Unionsgesetzgebers, wie er sich aus der
Entstehungsgeschichte der Richtlinie 2005/36 ergibt. Im ursprünglichen Vorschlag der
Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des
Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (KOM[2002] 119 endg.)
(ABl. 2002, C 181 E, S. 183) enthielt der spätere Art. 10 der Richtlinie 2005/36 weder den
Begriff „besondere und außergewöhnliche Gründe“ noch die Buchst. a bis g. Dieser
Begriff und diese Bestimmungen wurden auf Initiative des Rates der Europäischen
Union im Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 10/2005, vom Rat festgelegt am 21.
Dezember 2004 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2005/…/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom … über die Anerkennung von Berufsqualifikationen
(ABl. 2005, C 58 E, S. 1), hinzugefügt. Aus der Begründung des Rates (ABl. 2005,
C 58 E, S. 119) geht hervor, dass dem Rat der ursprüngliche Vorschlag der Kommission
für Art. 10 dieser Richtlinie zu weit erschien. Der Rat führte dort zudem aus, dass „die
allgemeine Regelung nur für Berufe gelten [sollte], die nicht unter Titel III Kapitel II und III
fallen, sowie für die speziellen in Artikel 10 Buchstaben a bis g des Gemeinsamen
Standpunkts aufgeführten Fälle, in denen der Antragsteller zwar zu einer von diesen
Kapiteln erfassten Berufsgruppe gehört, aber aus besonderen und außergewöhnlichen
Gründen die in diesen Kapiteln genannten Voraussetzungen nicht erfüllt“.
34
Überdies stehen die Systematik und das Ziel der Richtlinie 2005/36 einer weiten
Auslegung des Begriffs „besondere und außergewöhnliche Gründe“ entgegen, nach der
diese Gründe keine eigenständige, zu der in Art. 10 Buchst. c dieser Richtlinie
enthaltenen hinzutretende Voraussetzung darstellen.
35
Hinsichtlich der Systematik der Richtlinie 2005/36 geht in Bezug auf den
Architektenberuf aus ihrem 19. Erwägungsgrund hervor, dass die Berufsqualifikationen
der Architekten vorrangig nach dem in den Art. 21 und 46 sowie in Anhang V Nr. 5.7.1
der Richtlinie vorgesehenen System der automatischen Anerkennung der
Ausbildungsnachweise anerkannt werden.
36
Zum Ziel der Richtlinie 2005/36 geht aus deren Art. 1 und 4 hervor, dass die
gegenseitige Anerkennung hauptsächlich dazu dient, es dem Inhaber einer
Berufsqualifikation, die ihm in seinem Herkunftsmitgliedstaat die Aufnahme eines
reglementierten Berufs erlaubt, zu ermöglichen, im Aufnahmemitgliedstaat denselben
Beruf wie den, für den er in seinem Herkunftsmitgliedstaat qualifiziert ist, aufzunehmen
und ihn dort unter denselben Voraussetzungen wie Inländer auszuüben (Urteil Ordre des
architectes, C‑365/13, EU:C:2014:280, Rn. 19).
37
Eine Auslegung von Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 2005/36 dahin, dass Antragsteller,
die die Voraussetzungen von Kapitel III des Titels III dieser Richtlinie nicht erfüllen, keine
besonderen und außergewöhnlichen Gründe nachweisen müssten, könnte zur Folge
haben, dass der Aufnahmemitgliedstaat verpflichtet wäre, die Ausbildungsnachweise
eines Antragstellers selbst dann zu prüfen, wenn dieser nicht die Qualifikationen besäße,
die in seinem Herkunftsmitgliedstaat für die Ausübung des Architektenberufs erforderlich
sind, was dem Ziel der Richtlinie zuwiderliefe.
38
Nach alledem ist auf Buchst. a der ersten Frage zu antworten, dass Art. 10 Buchst. c der
Richtlinie 2005/36 dahin auszulegen ist, dass der Antragsteller, der die in Kapitel I des
Titels III dieser Richtlinie vorgesehene allgemeine Regelung für die Anerkennung von
Ausbildungsnachweisen in Anspruch nehmen will, zusätzlich zu dem Umstand, dass er
über einen nicht in Anhang V Nr. 5.7.1 der Richtlinie aufgeführten Ausbildungsnachweis
verfügt, das Vorliegen von „besonderen und außergewöhnlichen Gründen“ nachweisen
muss.
Zu Buchst. b der ersten Frage
39
Mit Buchst. b seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Art
von Umständen „besondere und außergewöhnliche Gründe“ im Sinne von Art. 10
Buchst. c der Richtlinie 2005/36 darstellen können.
40
Herr Angerer, die deutsche und die rumänische Regierung sowie die Kommission sind
der Auffassung, der Begriff „besondere und außergewöhnliche Gründe“ beziehe sich auf
Umstände, die mit möglichen aus der konkreten Situation des betreffenden Mitgliedstaats
Umstände, die mit möglichen aus der konkreten Situation des betreffenden Mitgliedstaats
resultierenden institutionellen und strukturellen Hindernissen zusammenhingen. Nach
Auffassung von Herrn Angerer, der Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des
öffentlichen Interesses und der Kommission erstreckt sich dieser Begriff auch auf
Umstände, die die persönliche Situation des Antragstellers betreffen, u. a. seinen
Lebenslauf, seine Schulausbildung oder sein Privatleben. Die deutsche Regierung
macht geltend, wenn derartige persönliche Umstände „besondere und
außergewöhnliche Gründe“ darstellen könnten, müsse sichergestellt werden, dass der
Antragsteller für die Ausübung der Tätigkeit eines Architekten fachlich in vollem Umfang
geeignet sei.
41
Der Gerichtshof hat insoweit im Urteil Dreessen (C‑31/00, EU:C:2002:35, Rn. 27 und
28) entschieden, dass die Mitgliedstaaten ihre sich aus der Auslegung der Art. 49 AEUV
und 53 AEUV durch den Gerichtshof ergebenden Verpflichtungen im Bereich der
gegenseitigen Anerkennung beruflicher Qualifikationen bei jeder Prüfung eines Antrags
auf Zulassung zum Architektenberuf beachten müssen, wenn der Antragsteller nicht den
Mechanismus automatischer Anerkennung der Berufsqualifikationen in Anspruch
nehmen kann. Dies kann u. a. der Fall sein, wenn der Ausbildungsnachweis des
Antragstellers aufgrund eines Fehlers der zuständigen Stellen des betreffenden
Mitgliedstaats der Kommission nicht mitgeteilt worden war.
42
Weiter ergibt sich aus dem Urteil Hocsman (C‑238/98, EU:C:2000:440, Rn. 23), dass
die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von
Berufsqualifikationen im Hinblick auf Art. 49 AEUV beachten müssen, wenn der
Antragsteller
den
in
der
maßgebenden
Richtlinie
vorgesehenen
Anerkennungsmechanismus für Berufsqualifikationen wegen des Orts, an dem er den
fraglichen Ausbildungsnachweis erworben hat, und seiner akademischen und
beruflichen Laufbahn nicht in Anspruch nehmen kann.
43
Aus der Entstehungsgeschichte der Richtlinie 2005/36, insbesondere der in Rn. 33 des
vorliegenden Urteils angeführten Begründung des Rates, geht hervor, dass
insbesondere die Sachverhalte, die Gegenstand der Urteile Hocsman (C‑238/98,
EU:C:2000:440) und Dreessen (C‑31/00, EU:C:2002:35) waren, zum Erlass von Art. 10
dieser Richtlinie führten. Daher kann es sich bei den in diesem Artikel genannten
„besonderen und außergewöhnlichen Gründen“ sowohl um Umstände handeln, die mit
möglichen aus der konkreten Situation des betreffenden Mitgliedstaats resultierenden
institutionellen und strukturellen Hindernissen zusammenhängen, als auch um
Umstände, die die persönliche Situation des Antragstellers betreffen.
44
Für die Abgrenzung der Tragweite des Begriffs „besondere und außergewöhnliche
Gründe“ ist im Übrigen das in Rn. 36 des vorliegenden Urteils angeführte Ziel der
Richtlinie 2005/36 zu berücksichtigen, das darin besteht, es dem Inhaber einer
Berufsqualifikation, die ihm in seinem Herkunftsmitgliedstaat die Aufnahme eines
reglementierten Berufs erlaubt, zu ermöglichen, im Aufnahmemitgliedstaat denselben
Beruf wie den, für den er in seinem Herkunftsmitgliedstaat qualifiziert ist, aufzunehmen.
45
Nach alledem ist auf Buchst. b der ersten Frage zu antworten, dass Art. 10 Buchst. c der
Richtlinie 2005/36 dahin auszulegen ist, dass sich der Begriff „besondere und
außergewöhnliche Gründe“ im Sinne dieser Bestimmung auf die Umstände bezieht,
außergewöhnliche Gründe“ im Sinne dieser Bestimmung auf die Umstände bezieht,
aufgrund deren der Antragsteller keinen in Anhang V Nr. 5.7.1 dieser Richtlinie
aufgeführten Nachweis besitzt, wobei er sich jedoch nicht darauf berufen kann, dass er
Berufsqualifikationen besitzt, die ihm in seinem Herkunftsmitgliedstaat die Aufnahme
eines anderen als des Berufs erlauben, den er im Aufnahmemitgliedstaat ausüben will.
Zur zweiten Frage
46
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 10 Buchst. c
der Richtlinie 2005/36 dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Architekt“ im Sinne dieser
Bestimmung zum einen anhand der Rechtsvorschriften des Herkunftsmitgliedstaats, der
Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats, der Rechtsvorschriften anderer
Mitgliedstaaten oder der in Art. 46 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen zu
definieren ist, und zum anderen verlangt, dass der Antragsteller über eine Ausbildung
und über Erfahrung verfügt, die nicht nur technische Tätigkeiten der Bauplanung,
Bauaufsicht und Bauausführung umfassen, sondern auch künstlerisch-gestaltende,
stadtplanerische, wirtschaftliche und gegebenenfalls denkmalpflegerische Tätigkeiten.
47
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung zur Richtlinie 85/384 in
den nationalen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats festzulegen ist, welche
Tätigkeiten zum Gebiet der Architektur gehören, da die genannte Richtlinie weder die
Voraussetzungen für den Zugang zum Beruf des Architekten regeln noch die Art der
Tätigkeiten festlegen soll, die von den Angehörigen dieses Berufs ausgeübt werden
können (vgl. in diesem Sinne Urteil Ordine degli Ingegneri di Verona e Provincia u. a.,
C‑111/12, EU:C:2013:100, Rn. 42).
48
Die Feststellung in der vorstehenden Randnummer ist auf das in der Richtlinie 2005/36
vorgesehene System der automatischen Anerkennung der Ausbildungsnachweise der
Architekten entsprechend anwendbar. Dies ergibt sich insbesondere aus dem 28.
Erwägungsgrund dieser Richtlinie, wonach darin die Bezeichnung „Architekt“ verwendet
wird, um den Anwendungsbereich der Bestimmungen über die automatische
Anerkennung der Ausbildungsnachweise auf dem Gebiet der Architektur abzugrenzen,
unbeschadet der Besonderheiten der nationalen Vorschriften für diese Tätigkeiten.
49
Wie der Generalanwalt in Nr. 56 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wollte der
Unionsgesetzgeber, wenn er den Begriff „Architekt“ im Rahmen des in der Richtlinie
2005/36
vorgesehenen
Systems
der
automatischen
Anerkennung
der
Ausbildungsnachweise nicht definieren wollte, dies erst recht nicht in der allgemeinen
Regelung tun.
50
Es ist noch klarzustellen, dass die in Art. 46 der Richtlinie 2005/36 aufgestellten
Anforderungen als solche nicht im Rahmen der allgemeinen Regelung für die
Anerkennung der Ausbildungsnachweise der Architekten gelten. In diesem Artikel, der
zum System der automatischen Anerkennung im Zuge der Koordinierung der
Mindestanforderungen an die Ausbildung gehört, werden nämlich diese
Mindestforderungen beschrieben.
51
Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 10 Buchst. c der Richtlinie
2005/36 dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Architekt“ im Sinne dieser Bestimmung
2005/36 dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Architekt“ im Sinne dieser Bestimmung
anhand der Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats zu definieren ist und somit
nicht notwendigerweise voraussetzt, dass der Antragsteller über eine Ausbildung und
über Erfahrung verfügt, die nicht nur technische Tätigkeiten der Bauplanung, Bauaufsicht
und Bauausführung umfassen, sondern auch künstlerisch-gestaltende, stadtplanerische,
wirtschaftliche und gegebenenfalls denkmalpflegerische Tätigkeiten.
Kosten
52
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem
beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen
vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
1 . Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von
Berufsqualifikationen in der durch die Verordnung (EG) Nr. 279/2009 der
Kommission vom 6. April 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen,
dass der Antragsteller, der die in Kapitel I des Titels III dieser Richtlinie
vorgesehene
allgemeine
Regelung
für
die
Anerkennung
von
Ausbildungsnachweisen in Anspruch nehmen will, zusätzlich zu dem
Umstand, dass er über einen nicht in Anhang V Nr. 5.7.1 der Richtlinie
aufgeführten Ausbildungsnachweis verfügt, das Vorliegen von „besonderen
und außergewöhnlichen Gründen“ nachweisen muss.
2 . Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 2005/36 in der durch die Verordnung Nr.
279/2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sich der Begriff
„besondere und außergewöhnliche Gründe“ im Sinne dieser Bestimmung auf
die Umstände bezieht, aufgrund deren der Antragsteller keinen in Anhang V
Nr. 5.7.1 dieser Richtlinie aufgeführten Nachweis besitzt, wobei er sich jedoch
nicht darauf berufen kann, dass er Berufsqualifikationen besitzt, die ihm in
seinem Herkunftsmitgliedstaat die Aufnahme eines anderen als des Berufs
erlauben, den er im Aufnahmemitgliedstaat ausüben will.
3 . Art. 10 Buchst. c der Richtlinie 2005/36 in der durch die Verordnung Nr.
279/2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Begriff
„Architekt“ im Sinne dieser Bestimmung anhand der Rechtsvorschriften des
Aufnahmemitgliedstaats zu definieren ist und somit nicht notwendigerweise
voraussetzt, dass der Antragsteller über eine Ausbildung und über Erfahrung
verfügt, die nicht nur technische Tätigkeiten der Bauplanung, Bauaufsicht
und Bauausführung umfassen, sondern auch künstlerisch-gestaltende,
stadtplanerische, wirtschaftliche und gegebenenfalls denkmalpflegerische
Tätigkeiten.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Deutsch.