Urteil des EuGH vom 13.06.2013

Teilzeitarbeit, Zahl, Teilzeitbeschäftigung, Grundsatz der Nichtdiskriminierung

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)
13. Juni 2013
)
„Sozialpolitik – Richtlinie 2003/88/EG – Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub –
Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit – Vollzeitbeschäftigter, der seine Ansprüche auf
bezahlten Jahresurlaub im Bezugszeitraum nicht ausüben konnte – Übergang dieses
Arbeitnehmers zu einer Teilzeitbeschäftigung – Nationale Bestimmung oder
Gepflogenheit, nach der die Zahl der zuvor erworbenen Tage bezahlten Urlaubs im
Verhältnis zur Zahl der im Rahmen der Teilzeitbeschäftigung geleisteten wöchentlichen
Arbeitstage gekürzt wird“
In der Rechtssache C‑415/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV, eingereicht vom
Arbeitsgericht Nienburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 4. September 2012, beim
Gerichtshof eingegangen am 13. September 2012, in dem Verfahren
Bianca Brandes
gegen
Land Niedersachsen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Malenovský, des Richters M. Safjan und der
Richterin A. Prechal (Berichterstatterin),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, nach
Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen
Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Paragraf 4 der am 6. Juni
1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (im Folgenden:
1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (im Folgenden:
Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit) im Anhang der Richtlinie 97/81/EG des Rates
vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen
Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9) in der durch die
Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 (ABl. L 131, S. 10) geänderten Fassung
sowie jeder anderen im Hinblick auf den Ausgangsrechtsstreit für einschlägig erachteten
unionsrechtlichen Bestimmung.
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Brandes und
dem Land Niedersachsen über Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub für die Jahre 2010
und 2011, den Frau Brandes in diesen Jahren, die die Bezugszeiträume darstellen, nicht
nehmen konnte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3
Paragraf 4 („Grundsatz der Nichtdiskriminierung“) der Rahmenvereinbarung über
Teilzeitarbeit bestimmt in den Nrn. 1 und 2:
„1. Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen,
weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten
nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung
ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.
2. Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz.“
4
Die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.
November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9)
sieht in Art. 7 („Jahresurlaub“) vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder
Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der
Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den
einzelstaatlichen
Rechtsvorschriften
und/oder
nach
den
einzelstaatlichen
Gepflogenheiten vorgesehen sind.
(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.“
Deutsches Recht
5
Das Bundesurlaubsgesetz vom 8. Januar 1963 (BGBl. 1963 S. 2) bestimmt in § 3
Abs. 1, dass „[d]er Urlaub … jährlich mindestens 24 Werktage“ beträgt.
6
§ 11 Abs. 1 dieses Gesetzes sieht vor:
„Das Urlaubsentgelt bemisst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der
Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat,
mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. …“
mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. …“
7
§ 26 Abs. 1 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober
2006 in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 4 vom 2. Januar 2012 bestimmt:
„Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter
Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf
Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr bis zum
vollendeten 30. Lebensjahr 26 Arbeitstage, bis zum vollendeten 40. Lebensjahr 29
Arbeitstage und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage.
Arbeitstage sind alle Kalendertage, an denen die Beschäftigten dienstplanmäßig oder
betriebsüblich zu arbeiten haben oder zu arbeiten hätten … Bei einer anderen Verteilung
der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche erhöht oder vermindert sich
der Urlaubsanspruch entsprechend. Verbleibt bei der Berechnung des Urlaubs ein
Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag ergibt, wird er auf einen vollen
Urlaubstag aufgerundet; Bruchteile von weniger als einem halben Urlaubstag bleiben
unberücksichtigt. …“
8
Das deutsche Recht regelt nicht ausdrücklich, welche Auswirkungen eine Änderung der
Arbeitszeit auf nicht genommenen Urlaub hat.
9
§ 4 Abs. 1 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge vom 21.
Dezember 2000 lautet:
„Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter
behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn,
dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem
teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte
Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an
der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
10
Frau Brandes war beim Land Niedersachsen auf der Grundlage eines 2009
geschlossenen unbefristeten Arbeitsvertrags vollzeitbeschäftigt.
11
Im Jahr 2010 unterlag Frau Brandes wegen ihrer Schwangerschaft bis zur Entbindung
am 22. Dezember 2010 einem Beschäftigungsverbot. Nach dem Mutterschutz nahm sie
vom 17. Februar bis zum 21. Dezember 2011 Elternzeit in Anspruch.
12
Ab dem 22. Dezember 2011 übte Frau Brandes gemäß einer Vereinbarung mit dem
Land Niedersachsen eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von drei Arbeitstagen pro
Woche aus.
13
In den Jahren 2010 und 2011 konnte Frau Brandes aufgrund des mit ihrer
Schwangerschaft zusammenhängenden Beschäftigungsverbots, des Mutterschutzes und
der in Anspruch genommenen Elternzeit unstreitig einen auf der Grundlage ihrer
Vollzeitbeschäftigung errechneten Urlaubsrest in Höhe von 22 bzw. 7 Tagen nicht
nehmen.
nehmen.
14
Im Rahmen des beim Arbeitsgericht Nienburg anhängigen Ausgangsrechtsstreits
beantragt Frau Brandes, ihren während ihrer Vollzeitbeschäftigung erworbenen
Anspruch auf diese 29 Tage bezahlten Urlaubs festzustellen.
15
Das Land Niedersachsen beruft sich für die Weigerung, diesem Antrag stattzugeben,
auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. April 1998, aus der
hervorgehe, dass bei einer Änderung der Arbeitszeit eines Arbeitnehmers die von
diesem bereits erworbenen Urlaubsansprüche entsprechend dem Verhältnis der neuen
Zahl zur alten Zahl der Arbeitstage anzupassen seien. Daraus folge, dass Frau Brandes
Anspruch auf einen Resturlaub von 17 Tagen habe, nämlich 29 Tage, geteilt durch 5
Tage, multipliziert mit 3 Tagen, ergibt 17,4 Tage, abgerundet auf 17 Tage.
16
Diese anteilige Berechnung der Urlaubstage im Verhältnis zu den Arbeitstagen habe
keine Auswirkungen auf die Dauer des Frau Brandes zustehenden Urlaubs, da sich an
dieser Dauer – in Urlaubswochen ausgedrückt – nichts ändere. Insoweit sei zu
berücksichtigen, dass Frau Brandes als Teilzeitbeschäftigte weniger Urlaubstage
benötige, um eine Woche freizubekommen. Würde die Zahl der Urlaubstage dagegen
nicht im Verhältnis zu den Arbeitstagen berechnet, hätte dies zur Folge, dass Frau
Brandes eine höhere Zahl von Urlaubswochen nehmen könnte als diejenige, auf die sie
Anspruch gehabt hätte, wenn sie weiter Vollzeit gearbeitet hätte, was ihr einen
ungerechtfertigten Vorteil gegenüber einem vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer
verschaffen würde.
17
Der bei dem vorlegenden Gericht anhängige Rechtsstreit unterscheide sich insoweit
von der dem Urteil vom 22. April 2010, Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser
Tirols (C‑486/08, Slg. 2010, I‑3527), zugrunde liegenden Rechtssache, als es dort um
eine Urlaubsregelung gegangen sei, in der der Urlaub in Stunden ausgedrückt gewesen
sei. Während der Arbeitnehmer im vorliegenden Rechtsstreit wegen der Verwendung
des Bezugszeitraums „Woche“ hinsichtlich des Umfangs des ihm zustehenden Urlaubs
keine Nachteile erleide, sei dies im Rahmen jener Rechtssache nicht der Fall gewesen,
weil sich bei in Stunden ausgedrücktem Urlaub jede Änderung der Arbeitszeit
unmittelbar auf die Urlaubsdauer auswirke.
18
Das Arbeitsgericht Nienburg ist der Überzeugung, dass aus dem Urteil
Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols eindeutig hervorgehe, dass eine
Quotierung der von einem vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer bereits erworbenen
Ansprüche auf Jahresurlaub, wie sie das Land Niedersachsen vorzunehmen versuche,
gegen das Unionsrecht verstoße. Insbesondere begründe eine solche Quotierung eine
nach Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit verbotene Diskriminierung
zwischen vollzeit- und teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern.
19
Zu dem in Randnr. 16 des vorliegenden Beschlusses angeführten Vorbringen des
Landes Niedersachsen führt das Arbeitsgericht Nienburg aus, dass dabei die Zeit des
„Urlaubs“ mit der Zeit der „betrieblichen Abwesenheit“ verwechselt werde. Die
Unzulässigkeit der Minderung des bereits im vorangegangenen Bezugszeitraum
erworbenen Anspruchs auf bezahlten Urlaub umfasse bei zutreffender Betrachtung zwei
Aspekte, und zwar die Urlaubsdauer und das Urlaubsentgelt.
Aspekte, und zwar die Urlaubsdauer und das Urlaubsentgelt.
20
In Anbetracht insbesondere der in Randnr. 15 des vorliegenden Beschlusses
angeführten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hält es das Arbeitsgericht
Nienburg jedoch für erforderlich, den Gerichtshof um Klärung dieser Fragen zu ersuchen.
21
Unter diesen Umständen hat das Arbeitsgericht Nienburg beschlossen, das Verfahren
auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Paragraf 4 Nrn. 1 und 2 der
Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, dahin auszulegen, dass es nationalen
gesetzlichen oder tariflichen Bestimmungen oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach
denen bei einer mit der Änderung der Zahl der wöchentlichen Arbeitstage verbundenen
Änderung des Beschäftigungsausmaßes eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch
nicht verbrauchten Anspruchs auf Erholungsurlaub, dessen Ausübung dem
Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht möglich war, in der Weise angepasst wird, dass
der in Wochen ausgedrückte Urlaubsanspruch der Höhe nach zwar gleich bleibt, jedoch
hierbei
der
in
Tagen
ausgedrückte
Urlaubsanspruch
auf
das
neue
Beschäftigungsausmaß umgerechnet wird?
Zur Vorlagefrage
22
Nach Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn eine zur
Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage übereinstimmt, über die er bereits
entschieden hat, wenn die Antwort auf eine solche Frage klar aus der Rechtsprechung
abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung der zur Vorabentscheidung
vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des
Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung
treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.
23
Diese Verfahrensvorschrift ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.
24
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das einschlägige
Unionsrecht, insbesondere Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit,
dahin auszulegen ist, dass es nationalen Bestimmungen oder Gepflogenheiten wie den
im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach denen die Zahl der Tage
bezahlten Jahresurlaubs, die ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Bezugszeitraum
nicht in Anspruch nehmen konnte, wegen des Übergangs dieses Arbeitnehmers zu einer
Teilzeitbeschäftigung entsprechend dem Verhältnis gekürzt wird, in dem die von ihm vor
diesem Übergang geleistete Zahl der wöchentlichen Arbeitstage zu der danach
geleisteten Zahl steht.
25
Auch wenn sich das vorlegende Gericht in seiner Frage somit der Form nach speziell
auf Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit bezogen hat, hindert dies
den Gerichtshof nicht daran, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des
Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung der bei ihm anhängigen
Rechtssache von Nutzen sein können, unabhängig davon, ob es in seiner Frage darauf
Bezug genommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Zentralbetriebsrat der
Landeskrankenhäuser Tirols, Randnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im
Landeskrankenhäuser Tirols, Randnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im
Übrigen hat das vorlegende Gericht in seiner Frage selbst auf das gesamte einschlägige
Unionsrecht Bezug genommen.
26
Vorab ist allerdings darauf hinzuweisen, dass zu den unionsrechtlichen Bestimmungen,
die für die Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage einschlägig sind,
insbesondere Art. 7 der Richtlinie 2003/88, der den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub
betrifft, gehört, wie auch Frau Brandes, die deutsche Regierung und die Europäische
Kommission ausgeführt haben.
27
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, auf die das vorlegende Gericht im
Übrigen selbst Bezug genommen hat, ist dieser Anspruch jedes Arbeitnehmers auf
bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der
Union anzusehen (vgl. u. a. Urteil Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols,
Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
28
Der Gerichtshof hat ferner wiederholt darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf
bezahlten Jahresurlaub, der jedem Arbeitnehmer zusteht, als Grundsatz des Sozialrechts
der Union ausdrücklich in Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union verankert ist, der von Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den
Verträgen zuerkannt wird (vgl. u. a. Urteil vom 8. November 2012, Heimann und
Toltschin, C‑229/11 und C‑230/11, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29
Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich auch, dass der Anspruch auf bezahlten
Jahresurlaub nicht restriktiv ausgelegt werden darf (vgl. u. a. Urteile Zentralbetriebsrat
der Landeskrankenhäuser Tirols, Randnr. 29, sowie Heimann und Toltschin, Randnr. 23
und die dort angeführte Rechtsprechung).
30
Wie sowohl das vorlegende Gericht als auch Frau Brandes und die Kommission
hervorgehoben haben, hat der Gerichtshof in diesem Zusammenhang in Randnr. 32 des
Urteils Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols bereits entschieden, dass die
Inanspruchnahme des Jahresurlaubs zu einer späteren Zeit als dem Bezugszeitraum in
keiner Beziehung zu der in dieser späteren Zeit vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitszeit
steht und dass folglich durch eine Veränderung, insbesondere eine Verringerung, der
Arbeitszeit beim Übergang von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung der
Anspruch auf Jahresurlaub, den der Arbeitnehmer in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung
erworben hat, nicht gemindert werden darf.
31
Zu Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit genügt hier der Hinweis,
dass der Gerichtshof in Randnr. 33 des Urteils Zentralbetriebsrat der
Landeskrankenhäuser Tirols zu dem in Nr. 2 dieser Vorschrift genannten Pro-rata-
temporis-Grundsatz ausgeführt hat, dass dieser zwar auf die Gewährung des
Jahresurlaubs für eine Zeit der Teilzeitbeschäftigung anzuwenden ist. Denn für diese
Zeit ist die Minderung des Anspruchs auf Jahresurlaub gegenüber dem bei
Vollzeitbeschäftigung bestehenden Anspruch aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.
Hingegen kann dieser Grundsatz nicht nachträglich auf einen Anspruch auf Jahresurlaub
angewandt werden, der in einer Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben wurde.
32
Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass weder aus den einschlägigen Bestimmungen
32
Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass weder aus den einschlägigen Bestimmungen
der Richtlinie 2003/88 noch aus Paragraf 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über
Teilzeitarbeit der Schluss gezogen werden kann, dass eine nationale Regelung als eine
der Modalitäten der Ausübung des Anspruchs auf Jahresurlaub den teilweisen Verlust
eines in einem Bezugszeitraum erworbenen Urlaubsanspruchs vorsehen dürfte, und
daran erinnert, dass dies nur gilt, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich nicht die
Möglichkeit hatte, diesen Anspruch auszuüben (Urteil Zentralbetriebsrat der
Landeskrankenhäuser Tirols, Randnr. 34).
33
In Beantwortung der Frage, die ihm in der jenem Urteil zugrunde liegenden
Rechtssache zur Vorabentscheidung vorgelegt worden war, hat der Gerichtshof
entschieden, dass das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Paragraf 4 Nr. 2 der
Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, dahin auszulegen ist, dass es einer nationalen
Bestimmung entgegensteht, nach der bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes
eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs in der
Weise angepasst wird, dass der von einem Arbeitnehmer, der von einer Vollzeit- zu einer
Teilzeitbeschäftigung übergeht, in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene
Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer während
dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird oder der Arbeitnehmer diesen Urlaub nur
mehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann (Urteil Zentralbetriebsrat
der Landeskrankenhäuser Tirols, Randnr. 35).
34
Wie das vorlegende Gericht selbst ausgeführt hat und wie auch Frau Brandes und die
Kommission geltend gemacht haben, liegt es auf der Hand, dass die in den Randnrn. 27
bis 33 des vorliegenden Beschlusses wiedergegebenen Erwägungen implizieren, dass
die im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens vorgelegte Frage
entsprechend zu beantworten ist.
35
Im vorliegenden Fall steht nämlich fest, dass Frau Brandes Ansprüche auf bezahlten
Jahresurlaub übertragen hat, deren Ausübung ihr in den fraglichen Bezugszeiträumen, in
denen sie vollzeitbeschäftigt war, wegen eines mit ihrer Schwangerschaft
zusammenhängenden Beschäftigungsverbots, des anschließenden Mutterschutzes und
der darauffolgenden Elternzeit nicht möglich war. Das vorlegende Gericht und die
Parteien des Ausgangsverfahrens sehen es ferner als unstreitig an, dass der
übertragene bezahlte Jahresurlaub, auf den Frau Brandes Anspruch gehabt hätte, wenn
sie nach ihrer Elternzeit weiter vollzeitbeschäftigt gewesen wäre, 29 Tage betragen
hätte.
36
Unter diesen Umständen kann, wie insbesondere aus dem Urteil Zentralbetriebsrat der
Landeskrankenhäuser Tirols hervorgeht, dessen einschlägige Randnummern in den
Randnrn. 30 bis 33 des vorliegenden Beschlusses angeführt sind, die Verringerung der
Arbeitszeit von Frau Brandes, die auf dem Übergang von einer Vollzeit- zu einer
Teilzeitbeschäftigung beruht, nicht mit einem nachträglichen Teilverlust des bereits
erworbenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, wie er sich aus der im
Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung ergibt, einhergehen, insbesondere
in Ermangelung eines sachlichen Grundes, der diesen Verlust rechtfertigen könnte.
37
Dem Vorbringen des Landes Niedersachsen, der von Frau Brandes bereits erworbene
Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub werde nicht gekürzt, weil er – in Urlaubswochen
Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub werde nicht gekürzt, weil er – in Urlaubswochen
ausgedrückt – vor und nach ihrem Übergang zu einer Teilzeitbeschäftigung unverändert
bleibe, kann, wie sowohl das vorlegende Gericht als auch die Kommission ausgeführt
haben, nicht gefolgt werden.
38
Dass ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, der normalerweise drei volle Tage pro
Woche arbeitet, in einer bestimmten Woche nicht im Betrieb erscheint, bedeutet nämlich
entgegen dem Vorbringen des Landes Niedersachsen keineswegs, dass er damit das
Äquivalent von fünf Urlaubstagen erhielte, die, da er sie während seiner
Vollzeitbeschäftigung erworben hat, offenkundig als fünf volle Tage zu verstehen sind,
während deren der Betreffende von seiner Arbeitspflicht, die ihn ohne diesen Urlaub
treffen würde, befreit ist.
39
Wird ihm aber, im Rahmen seiner neuen Teilzeitbeschäftigung im Umfang von drei
vollen Arbeitstagen pro Woche, eine „Woche“ Urlaub zuerkannt, wird er damit
offensichtlich nur für drei volle Tage von seiner Arbeitspflicht befreit.
40
Zurückzuweisen ist auch die entsprechende – und im Übrigen schon in der dem Urteil
Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols zugrunde liegenden Rechtssache
vorgebrachte – Argumentation der deutschen Regierung, wonach die im
Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung nicht unionsrechtswidrig sei, weil ein
Arbeitnehmer, der nicht mehr an sämtlichen Arbeitstagen der Woche zur Arbeitsleistung
verpflichtet sei, an weniger Tagen von der Arbeit freigestellt werden müsse, um eine
gleich lange Freizeitphase wie zuvor in Anspruch nehmen zu können.
41
Eine solche Argumentation verwechselt nämlich die Ruhephase, die dem Zeitabschnitt
eines tatsächlich genommenen Urlaubs entspricht, und die normale berufliche Inaktivität
während eines Zeitabschnitts, in dem der Arbeitnehmer aufgrund des
Arbeitsverhältnisses, das ihn an seinen Arbeitgeber bindet, nicht zu arbeiten braucht.
42
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass das einschlägige
Unionsrecht, insbesondere Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 und Paragraf 4 Nr. 2 der
Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, dahin auszulegen ist, dass es nationalen
Bestimmungen oder Gepflogenheiten wie den im Ausgangsverfahren fraglichen
entgegensteht, nach denen die Zahl der Tage bezahlten Jahresurlaubs, die ein
vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht in Anspruch nehmen konnte,
wegen des Übergangs dieses Arbeitnehmers zu einer Teilzeitbeschäftigung
entsprechend dem Verhältnis gekürzt wird, in dem die von ihm vor diesem Übergang
geleistete Zahl der wöchentlichen Arbeitstage zu der danach geleisteten Zahl steht.
Kosten
43
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem
bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen
vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:
Das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie
2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003
über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Paragraf 4 Nr. 2 der am 6.
Juni 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der
Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP
und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in der durch die
Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 geänderten Fassung, ist dahin
auszulegen, dass es nationalen Bestimmungen oder Gepflogenheiten wie den im
Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach denen die Zahl der Tage
bezahlten Jahresurlaubs, die ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im
Bezugszeitraum nicht in Anspruch nehmen konnte, wegen des Übergangs dieses
Arbeitnehmers zu einer Teilzeitbeschäftigung entsprechend dem Verhältnis
gekürzt wird, in dem die von ihm vor diesem Übergang geleistete Zahl der
wöchentlichen Arbeitstage zu der danach geleisteten Zahl steht.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Deutsch.