Urteil des EuGH vom 03.04.2014

Verordnung, Händler, In Verkehr Bringen, Kommission

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
3. April 2014
)
„Vorabentscheidungsersuchen – Energie – Angabe des Energieverbrauchs von
Fernsehgeräten mittels Etiketten – Delegierte Verordnung (EU) Nr. 1062/2010 –
Verantwortlichkeiten der Händler – Fernsehgerät, das dem Händler vor Beginn der
Geltung der Verordnung ohne das entsprechende Etikett geliefert worden ist –
Verpflichtung des Händlers, ein solches Fernsehgerät von Beginn der Geltung der
Verordnung an zu etikettieren und sich nachträglich ein Etikett zu verschaffen“
In der Rechtssache C‑319/13
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom
Thüringer Oberlandesgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 5. Juni 2013, beim
Gerichtshof eingegangen am 11. Juni 2013, in dem Verfahren
Udo Rätzke
gegen
S+K Handels GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Vizepräsidenten des
Gerichtshofs K. Lenaerts (Berichterstatter) sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça,
G. Arestis und J.‑C. Bonichot,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und B. Beutler als
Bevollmächtigte,
– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im
Beistand von A. De Stefano, avvocato dello Stato,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann und B. Eggers als
Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne
Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 4 Buchst. a der
Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1062/2010 der Kommission vom 28. September 2010
zur Ergänzung der Richtlinie 2010/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates
im Hinblick auf die Kennzeichnung von Fernsehgeräten in Bezug auf den
Energieverbrauch (ABl. L 314, S. 64, im Folgenden: Delegierte Verordnung).
2
Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Rätzke und der S+K
Handels GmbH (im Folgenden: S+K), einer Wettbewerberin von Herrn Rätzke im Bereich
des Handels mit Elektrogeräten, insbesondere Fernsehgeräten, wegen einer
Unterlassungsklage nach dem deutschen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2010/30/EU
3
Der 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/30/EU des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 19. Mai 2010 über die Angabe des Verbrauchs an Energie und anderen
Ressourcen durch energieverbrauchsrelevante Produkte mittels einheitlicher Etiketten
und Produktinformationen (ABl. L 153, S. 1) lautet:
„Der Kommission sollte die Befugnis übertragen werden, gemäß Artikel 290 AEUV
delegierte Rechtsakte bezüglich der Angabe des Verbrauchs an Energie und anderen
wichtigen Ressourcen durch energieverbrauchsrelevante Produkte während des
Gebrauchs mittels einheitlicher Etiketten und Produktinformationen zu erlassen. Es ist
von besonderer Bedeutung, dass die Kommission bei ihren vorbereitenden Arbeiten
angemessene Konsultationen – auch auf Expertenebene – durchführt.“
4
Der 25. Erwägungsgrund dieser Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten sollten bei der Umsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie nach
Möglichkeit auf den Erlass von Maßnahmen verzichten, mit denen den betreffenden
Marktteilnehmern, insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen [KMU], unnötig
bürokratische und schwerfällige Verpflichtungen aufgebürdet würden.“
5
Nach Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2010/30 gilt:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:
g) ‚Händler‘ einen Einzelhändler oder jede andere Person, die Produkte an
Endverbraucher verkauft, vermietet, zum Ratenkauf anbietet oder ausstellt;
h) ‚Lieferant‘ den Hersteller oder dessen zugelassenen Vertreter in der Union oder
den Importeur, der das Produkt in der Union in Verkehr bringt oder in Betrieb nimmt.
In Ermangelung dessen gilt jede natürliche oder juristische Person als Lieferant, die
durch diese Richtlinie erfasste Produkte in Verkehr bringt oder in Betrieb nimmt;
i) ‚Inverkehrbringen‘ die erstmalige Zurverfügungstellung eines Produkts auf dem
Unionsmarkt im Hinblick auf den Vertrieb oder die Nutzung des Produkts innerhalb
der Union, ob gegen Entgelt oder kostenlos und unabhängig von der Art des
Vertriebs;
…“
6
Art. 5 („Verantwortlichkeiten der Lieferanten“) dieser Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass
a) Lieferanten, die die unter einen delegierten Rechtsakt fallenden Produkte
vertreiben oder in Betrieb nehmen, Etiketten und Datenblätter gemäß der
vorliegenden Richtlinie und dem delegierten Rechtsakt mitliefern;
d) im Hinblick auf die Etikettierung und Produktinformation die Lieferanten den
Händlern die erforderlichen Etiketten kostenlos zur Verfügung stellen.
Unbeschadet des von den Lieferanten gewählten Verfahrens für die Lieferung der
Etiketten liefern die Lieferanten die von Händlern angeforderten Etiketten
unverzüglich;
…“
7
Art. 6 („Verantwortlichkeiten der Händler“) der Richtlinie 2010/30 lautet:
„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass
a) Händler die Etiketten in lesbarer und sichtbarer Form ordnungsgemäß ausstellen
und das Datenblatt in der Produktbroschüre oder in anderen das Produkt beim
Verkauf an Endverbraucher begleitenden Unterlagen zur Verfügung stellen;
b) bei der Ausstellung eines von einem delegierten Rechtsakt erfassten Produkts die
Händler an der in dem entsprechenden delegierten Rechtsakt vorgeschriebenen
Stelle ein geeignetes Etikett in der entsprechenden Sprache deutlich sichtbar
anbringen.“
8
Art. 10 („Delegierte Rechtsakte“) Abs. 1 bis 3 dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Kommission legt Einzelheiten in Bezug auf das Etikett und das Datenblatt in
delegierten Rechtsakten gemäß den Artikeln 11, 12 und 13 bezüglich jedes Produkttyps
gemäß diesem Artikel fest.
Erfüllt ein Produkt die in Absatz 2 genannten Kriterien, so wird es von einem delegierten
Rechtsakt im Sinne von Absatz 4 erfasst.
Bestimmungen in delegierten Rechtsakten bezüglich Angaben auf dem Etikett und im
Datenblatt über den Verbrauch an Energie und anderen wichtigen Ressourcen während
des Gebrauchs haben es dem Endverbraucher zu ermöglichen, Kaufentscheidungen
besser informiert zu treffen, und haben den Marktaufsichtsbehörden die Prüfung zu
ermöglichen, ob Produkte den Angaben entsprechen.
Enthält ein delegierter Rechtsakt Bestimmungen sowohl bezüglich der Energieeffizienz
als auch des Verbrauchs eines Produkts an anderen wichtigen Ressourcen, ist durch
Gestaltung und Inhalt des Etiketts die Energieeffizienz des Produkts zu betonen.
(2) Die in Absatz 1 genannten Kriterien sind die Folgenden:
a) laut den neuesten verfügbaren Angaben und in Anbetracht der auf dem
Unionsmarkt platzierten Mengen weisen die Produkte ein erhebliches Potenzial für
die Einsparung von Energie und gegebenenfalls anderen wichtigen Ressourcen
auf;
b) auf dem Markt verfügbare Produkte mit gleichwertigen Funktionen weisen große
Unterschiede bei den einschlägigen Leistungsniveaus auf;
c) die Kommission berücksichtigt einschlägige unionsrechtliche Bestimmungen und
Maßnahmen zur Selbstregulierung, wie freiwillige Vereinbarungen, von denen zu
erwarten ist, dass sie die Erreichung der politischen Ziele schneller oder
kostengünstiger als zwingende Vorschriften ermöglichen.
(3) Bei der Ausarbeitung eines Entwurfs eines delegierten Rechtsakts geht die
Kommission wie folgt vor:
d) sie macht Terminvorgaben für die Durchführung, legt abgestufte Maßnahmen oder
Übergangsmaßnahmen oder ‑zeiträume fest und berücksichtigt dabei
insbesondere die möglichen Auswirkungen auf KMU oder auf spezifische,
hauptsächlich von KMU hergestellte Produktgruppen.“
9
Die Art. 11, 12 und 13 der Richtlinie 2010/30 legen den Rahmen fest, in dem die
delegierten Rechtsakte nach Art. 290 Abs. 2 AEUV erlassen werden. Art. 11 dieser
Richtlinie regelt die Dauer der Ausübung der Befugnisübertragung durch die
Kommission und verpflichtet diese, spätestens sechs Monate vor Ablauf eines am 19.
Juni 2010 beginnenden Zeitraums von fünf Jahren einen Bericht über die übertragenen
Befugnisse vorzulegen. Daneben verpflichtet er die Kommission, alle delegierten
Rechtsakte gleich bei ihrem Erlass dem Europäischen Parlament und dem Rat der
Rechtsakte gleich bei ihrem Erlass dem Europäischen Parlament und dem Rat der
Europäischen Union zu übermitteln. Art. 12 der Richtlinie betrifft die Möglichkeit eines
Widerrufs der Befugnisübertragung und ihr Art. 13 das Verfahren, das das Parlament und
der Rat befolgen müssen, wenn sie gegen delegierte Rechtsakte Einwände erheben
wollen.
10
Art. 16 („ Umsetzung“) Abs. 1 der Richtlinie 2010/30 sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten setzen spätestens am 20. Juni 2011 die Rechts- und
Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie
nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser
Vorschriften mit.
Sie wenden diese Vorschriften ab dem 20. Juli 2011 an.
…“
11
Art. 18 („Inkrafttreten“) der Richtlinie lautet:
„Diese Richtlinie tritt am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen
Union in Kraft.
Artikel 5 Buchstaben d, g und h gelten ab dem 31. Juli 2011.“
Delegierte Verordnung
12
Der dritte Erwägungsgrund der Delegierten Verordnung hat folgenden Wortlaut:
„Es sollten harmonisierte Vorschriften zur Angabe der Energieeffizienz und des
Energieverbrauchs von Fernsehgeräten mittels einheitlicher Etiketten und
Produktinformationen erlassen werden, um den Herstellern Anreize zur Verbesserung
der Energieeffizienz von Fernsehgeräten zu geben, die Verbraucher zur Anschaffung
energieeffizienter Modelle zu bewegen, den Stromverbrauch dieser Geräte zu verringern
und einen Beitrag zum Funktionieren des Binnenmarktes zu leisten.“
13
Der neunte Erwägungsgrund der Delegierten Verordnung lautet:
„Zur Förderung der Herstellung energieeffizienter Fernsehgeräte sollten Lieferanten, die
Fernsehgeräte in Verkehr bringen möchten, die den Anforderungen höherer
Energieeffizienzklassen genügen, bereits vor dem Zeitpunkt, an dem die Angabe dieser
Effizienzklassen verbindlich wird, Etiketten benutzen dürfen, auf denen diese Klassen
erscheinen.“
14
Art. 3 („Verantwortlichkeiten der Lieferanten“) der Delegierten Verordnung sieht vor:
„(1) Die Lieferanten stellen sicher, dass
a) jedes Fernsehgerät mit einem gedruckten Etikett geliefert wird, dessen Gestaltung
und Informationsgehalt den Vorgaben in Anhang V entspricht;
(3) Die Gestaltung des Etiketts gemäß den Vorgaben in Anhang V gilt nach folgendem
Zeitplan:
a) Bei Geräten, die ab 30. November 2011 in Verkehr gebracht werden, müssen die
Etiketten für Fernsehgeräte der Energieeffizienzklassen
i) A, B, C, D, E, F und G Anhang V Nummer 1 oder, falls die Lieferanten dies für
zweckmäßig halten, Nummer 2 entsprechen;
ii) A+ Anhang V Nummer 2 entsprechen;
iii) A++ Anhang V Nummer 3 entsprechen;
iv) A+++ Anhang V Nummer 4 entsprechen.
b) Bei den ab 1. Januar 2014 in Verkehr gebrachten Fernsehgeräten der
Effizienzklassen A+, A, B, C, D, E und F müssen die Etiketten Anhang V Nummer 2
oder, falls die Lieferanten dies für zweckmäßig halten, Nummer 3 entsprechen.
c) Bei den ab 1. Januar 2017 in Verkehr gebrachten Fernsehgeräten der
Effizienzklassen A++, A+, A, B, C, D und E müssen die Etiketten Anhang V
Nummer 3 oder, falls die Lieferanten dies für zweckmäßig halten, Nummer 4
entsprechen.
d) Bei den ab 1. Januar 2020 in Verkehr gebrachten Fernsehgeräten der
Effizienzklassen A+++, A++, A+, A, B, C und D müssen die Etiketten Anhang V
Nummer 4 entsprechen.“
15
In Art. 4 („Verantwortlichkeiten der Händler“) der Delegierten Verordnung heißt es:
„Die Händler stellen sicher, dass
a) alle Fernsehgeräte in der Verkaufsstelle das von den Lieferanten gemäß Artikel 3
Absatz 1 bereitgestellte Etikett deutlich sichtbar an der Vorderseite tragen;
…“
16
Art. 9 („Inkrafttreten“) der Delegierten Verordnung bestimmt:
„Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der
Europäischen Union in Kraft.
Sie gilt ab 30. November 2011. …
Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem
Mitgliedstaat.“
Deutsches Recht
17
§ 3 Abs. 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in seiner auf das
Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (BGBl. 2010 I, S. 254, im Folgenden: UWG)
schreibt vor:
schreibt vor:
„Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig, wenn sie geeignet sind, die
Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu
beeinträchtigen.“
18
§ 4 UWG bestimmt:
„Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Unlauter handelt insbesondere, wer
11. einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im
Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.“
19
§ 5a Abs. 2 und 4 UWG lautet:
„(2) Unlauter handelt, wer die Entscheidungsfähigkeit von Verbrauchern im Sinne des
§ 3 Absatz 2 dadurch beeinflusst, dass er eine Information vorenthält, die im konkreten
Fall unter Berücksichtigung aller Umstände einschließlich der Beschränkungen des
Kommunikationsmittels wesentlich ist.
(4) Als wesentlich im Sinne des Absatzes 2 gelten auch Informationen, die dem
Verbraucher auf Grund gemeinschaftsrechtlicher Verordnungen oder nach
Rechtsvorschriften zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Richtlinien für kommerzielle
Kommunikation einschließlich Werbung und Marketing nicht vorenthalten werden
dürfen.“
20
§ 8 Abs. 1 Satz 1 UWG lautet:
„Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf
Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen
werden.“
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage
21
S+K bot am 20. Januar 2012 in ihrer Schaufensterauslage ein Fernsehgerät zum
Verkauf an, das nicht das Etikett über den Energieverbrauch gemäß Anhang V der
Delegierten Verordnung trug. Das Fernsehgerät war von seinem Hersteller, der Haier
Deutschland GmbH, an einen Großhändler, die ElectronicPartner Handel SE, geliefert
worden, die es ihrerseits am 20. Mai 2011 an S+K lieferte. Fernseher dieses Typs
wurden am 20. Januar 2012 noch produziert.
22
Nach einer Abmahnung durch Herrn Rätzke erhob S+K eine negative
Feststellungsklage, auf die Herr Rätzke eine Widerklage erhob, mit der er beantragte,
S+K zu untersagen, Fernsehgeräte zum Verkauf anzubieten, die nicht mit dem Etikett
nach Anhang V der Delegierten Verordnung versehen sind.
nach Anhang V der Delegierten Verordnung versehen sind.
23
Diese auf § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 und § 8 Abs. 1 UWG gestützte Widerklage wirft die
Frage auf, ob S+K nach Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung verpflichtet war, das
ihr am 20. Mai 2011 ohne Etikett gelieferte Fernsehgerät mit einem Etikett zu versehen.
24
Das Landgericht Mühlhausen wies die Widerklage mit der Begründung ab, dass die vor
dem 30. November 2011 im Einklang mit der vor diesem Tag geltenden Rechtslage ohne
das fragliche Etikett gelieferten Fernsehgeräte auch nach dem 30. November 2011 nicht
mit einem Etikett versehen sein müssten.
25
Das vorlegende Gericht, bei dem gegen das Urteil des Landgerichts Mühlhausen
Berufung eingelegt wurde, fragt sich, wie Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung
auszulegen ist, der seiner Ansicht nach eine Marktverhaltensregel im Sinne des § 4
UWG darstellt. Dazu führt es aus, die Formulierung „von … bereitgestellt“ in Art. 4
Buchst. a der Delegierten Verordnung könnte darauf hindeuten, dass den Händler nur
dann ab dem 30. November 2011 eine Verpflichtung zur Kennzeichnung der
Fernsehgeräte treffe, wenn der Lieferant diese Geräte entsprechend seiner eigenen ab
diesem Tag geltenden Verpflichtung mit Etikett geliefert habe. Der Zweck der
Kennzeichnungspflicht, wie er im dritten Erwägungsgrund der Delegierten Verordnung
angegeben sei, könnte jedoch für eine ab dem 30. November 2011 geltende
Kennzeichnungspflicht für alle von Händlern ausgestellten Fernsehgeräte einschließlich
der vor diesem Zeitpunkt gelieferten sprechen. Nach Ansicht von Herrn Rätzke lässt sich
aus dem Zusammenhang mit Art. 5 Buchst. d der Richtlinie 2010/30 herleiten, dass die
Lieferanten in allen Fällen, d. h. auch bei vor dem 30. November 2011 gelieferten
Geräten, zur kostenlosen und unverzüglichen Bereitstellung der Etiketten verpflichtet
seien, damit die Händler von diesem Tag an ihrer Kennzeichnungspflicht nachkommen
könnten.
26
Unter diesen Umständen hat das Thüringer Oberlandesgericht das Verfahren
ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung dahin auszulegen,
– dass den Händler (ab dem 30. November 2011) nur dann eine Pflicht zur
Etikettierung von Fernsehgeräten trifft, wenn diese Fernsehgeräte vom Lieferanten
gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der genannten Verordnung (ab dem 30. November
2011) bereits mit einem entsprechenden Etikett geliefert wurden,
– oder trifft den Händler die Kennzeichnungspflicht (ab dem 30. November 2011)
auch für solche Fernsehgeräte, die vom Lieferanten vor dem 30. November 2011
ohne entsprechende Etiketten geliefert wurden, so dass der Händler zur
(rechtzeitigen, nachträglichen) Anforderung von Etiketten für solche Fernsehgeräte
verpflichtet ist?
Zur Vorlagefrage
27
Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob Art. 4 Buchst. a der
Delegierten Verordnung dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung der Händler,
Delegierten Verordnung dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung der Händler,
sicherzustellen, dass jedes Fernsehgerät in der Verkaufsstelle ein Etikett trägt, das
Informationen über die Energieeffizienz des Geräts enthält, nur für Fernsehgeräte gilt, die
ab dem 30. November 2011 in Verkehr gebracht wurden.
28
Dazu ist, wie auch die Beteiligten vorgetragen haben, unter Berücksichtigung des
Aufbaus der Delegierten Verordnung insbesondere im Licht der Bestimmungen der
Richtlinie 2010/30 eine Gesamtschau der Pflichten vorzunehmen, die den Händlern und
den Lieferanten hinsichtlich der Etikettierung von Fernsehgeräten durch diese
Verordnung auferlegt worden sind.
29
Nach Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung sind die Händler nämlich verpflichtet,
auf allen Fernsehern das von den Lieferanten „gemäß Artikel 3 Absatz 1“ dieser
Verordnung bereitgestellte Etikett anzubringen.
30
Zudem enthält Art. 4 der Delegierten Verordnung im Gegensatz zu deren Art. 3 keinen
eigenen Zeitplan für seine zeitliche Anwendung. Nach Art. 6 Buchst. b der Richtlinie
2010/30 bezieht sich die die Händler treffende Kennzeichnungspflicht jedoch nur auf von
einem delegierten Rechtsakt erfasste Produkte, und Art. 10 Abs. 3 Buchst. d dieser
Richtlinie stellt klar, dass der entsprechende delegierte Rechtsakt den zeitlichen
Geltungsbereich der Kennzeichnungsverantwortlichkeit festlegt. Diese Bestimmung sieht
nämlich vor, dass die Kommission bei der Ausarbeitung eines Entwurfs eines
delegierten Rechtsakts „Terminvorgaben für die Durchführung [macht], … abgestufte
Maßnahmen oder Übergangsmaßnahmen oder ‑zeiträume fest[legt] und … dabei
insbesondere die möglichen Auswirkungen auf KMU oder auf spezifische, hauptsächlich
von KMU hergestellte Produktgruppen [berücksichtigt]“.
31
Da demnach Art. 4 der Delegierten Verordnung keinen eigenen Zeitplan enthält,
sondern auf Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung über die Verantwortlichkeiten der
Lieferanten verweist, entspricht der zeitliche Geltungsbereich von Art. 4 der Delegierten
Verordnung dem ihres Art. 3. Die Verpflichtung eines Händlers zur Anbringung der
Etiketten ist daher im Verhältnis zur Verpflichtung des Lieferanten zur Bereitstellung der
entsprechenden Etiketten akzessorisch.
32
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 3 der Delegierten Verordnung in
Übereinstimmung mit dem zeitlichen Geltungsbereich dieser Verordnung, die nach ihrem
Art. 9 ab 30. November 2011 gilt, für vor diesem Tag in Verkehr gebrachte Fernsehgeräte
kein Erfordernis aufstellt. Diese Bestimmung regelt nämlich gerade die Erfordernisse, die
für „[Geräte], die ab 30. November 2011“ und sodann schrittweise ab 1. Januar 2014, 1.
Januar 2017 bzw. 1. Januar 2020 „in Verkehr gebracht werden“, gelten.
33
Folglich ist zur Beantwortung der Vorlagefrage, wie auch die Beteiligten vorgetragen
haben, die in Art. 3 Abs. 3 Buchst. a der Delegierten Verordnung gebrauchte Wendung
„in Verkehr gebracht werden“ auszulegen.
34
Nach Art. 2 Buchst. i der Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „‚Inverkehrbringen‘ die
erstmalige Zurverfügungstellung eines Produkts auf dem Unionsmarkt im Hinblick auf
den Vertrieb oder die Nutzung des Produkts innerhalb der Union, ob gegen Entgelt oder
kostenlos und unabhängig von der Art des Vertriebs“. Entscheidend ist danach die
kostenlos und unabhängig von der Art des Vertriebs“. Entscheidend ist danach die
erstmalige Zurverfügungstellung auf dem Markt unabhängig von der Vertriebsart.
35
Somit trifft die Händler die Kennzeichnungspflicht nur für Fernsehgeräte, die auf dem
Unionsmarkt ab dem 30. November 2011 zur Verfügung gestellt wurden, d. h. für die vom
Hersteller ab diesem Tag in die Vertriebskette eingeführten Geräte.
36
Dieser Ansatz, der auf der Berücksichtigung der Systematik des Art. 4 Buchst. a der
Delegierten Verordnung beruht, wird durch eine teleologische Auslegung dieser
Bestimmung nicht in Frage gestellt.
37
Zwar könnte, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, eine Verpflichtung zur
Kennzeichnung der vor dem 30. November 2011 gelieferten Fernsehgeräte im Einklang
mit dem mit der Delegierten Verordnung verfolgten Zweck, wie er in deren drittem und
neuntem Erwägungsgrund beschrieben worden ist, die Verbraucher zur Anschaffung
energieeffizienter Modelle bewegen.
38
Dieser Anreiz erweist sich jedoch als begrenzt, da der Zeitraum, in dem die genannten
Fernsehgeräte zur Verfügung gestellt worden sind, relativ kurz ist.
39
Die begrenzte Wirkung einer Kennzeichnungspflicht auch für vor dem 30. November
2011 gelieferte Fernsehgeräte stünde im Übrigen außer Verhältnis zu dem
Verwaltungsaufwand, den die Maßnahme für die Lieferanten und Händler mit sich
brächte. So wären insbesondere die KMU gezwungen, für alle schon vor dem 30.
November 2011 gelieferten Fernsehgeräte Energieverbrauchsetiketten beim Hersteller
anzufordern. Nach dem 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/30 sollte jedoch auf den
Erlass von Maßnahmen verzichtet werden, mit denen den betreffenden
Marktteilnehmern, insbesondere KMU, unnötig bürokratische und schwerfällige
Verpflichtungen aufgebürdet würden.
40
Art. 5 Buchst. d der Richtlinie 2010/30 kann entgegen dem Vorbringen von Herrn
Rätzke vor dem vorlegenden Gericht kein anderes Ergebnis begründen. Diese
Bestimmung regelt nämlich weder die Umstände, unter denen die Lieferung der Etiketten
erforderlich ist, noch den zeitlichen Rahmen dieser Verpflichtung. Vielmehr verweist die
Richtlinie, speziell ihr Art. 10 Abs. 3 Buchst. d, hinsichtlich dieser Frage auf die
Bestimmungen eines delegierten Rechtsakts. In dem betreffenden delegierten Rechtsakt
ist indessen der zeitliche Geltungsbereich der Kennzeichnungspflicht eindeutig in der
Weise festgelegt worden, dass sich die Delegierte Verordnung nur auf erstmals ab dem
30. November 2011 in Verkehr gebrachte Fernsehgeräte bezieht.
41
Demgemäß ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Buchst. a der Delegierten
Verordnung dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung der Händler, sicherzustellen,
dass jedes Fernsehgerät in der Verkaufsstelle das von den Lieferanten gemäß Art. 3
Abs. 1 dieser Verordnung bereitgestellte Etikett trägt, nur für Fernsehgeräte gilt, die ab
dem 30. November 2011 in Verkehr gebracht wurden, d. h. vom Hersteller erstmals zum
Zweck ihres Vertriebs in die Vertriebskette eingeführt wurden.
Kosten
42
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem
bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen
vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1062/2010 der Kommission
vom 28. September 2010 zur Ergänzung der Richtlinie 2010/30/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Kennzeichnung von
Fernsehgeräten in Bezug auf den Energieverbrauch ist dahin auszulegen, dass die
Verpflichtung der Händler, sicherzustellen, dass jedes Fernsehgerät in der
Verkaufsstelle das von den Lieferanten gemäß Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung
bereitgestellte Etikett trägt, nur für Fernsehgeräte gilt, die ab dem 30. November
2011 in Verkehr gebracht wurden, d. h. vom Hersteller erstmals zum Zweck ihres
Vertriebs in die Vertriebskette eingeführt wurden.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Deutsch.