Urteil des EuGH vom 06.09.2012

Ware, Beendigung, Verwahrung, Entstehung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
6. September 2012
)
„Zollkodex der Gemeinschaften – Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 – Art. 204 Abs. 1
Buchst. a – Zolllagerverfahren – Entstehung der Zollschuld wegen Nichterfüllung einer
Pflicht – Verspätete Anschreibung der Entnahme der Ware aus dem Zolllager in den
Bestandsaufzeichnungen“
In der Rechtssache C‑28/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom
Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 25. November 2010, beim
Gerichtshof eingegangen am 18. Januar 2011, in dem Verfahren
Eurogate Distribution GmbH
gegen
Hauptzollamt Hamburg-Stadt
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters J. Malenovský, der
Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis (Berichterstatter) und
D. Šváby,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom
1. Dezember 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Eurogate Distribution GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte
U. Schrömbges und H. Bleier,
– der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als
Bevollmächtigte,
– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im
Beistand von G. Albenzio, avvocato dello Stato,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Bouyon und B.‑R. Killmann als
Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. März 2012
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 204 Abs. 1 Buchst. a
der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des
Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG)
Nr. 648/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 (ABl.
L 117, S. 13) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Eurogate
Distribution GmbH (im Folgenden: Eurogate) und dem Hauptzollamt Hamburg-Stadt (im
Folgenden: Hauptzollamt) über eine Einfuhrzollschuld, die Eurogate aufgrund
verspäteter Anschreibung der Entnahme der Ware aus einem Zolllager in den
Bestandsaufzeichnungen auferlegt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Der Zollkodex
3
Das Zolllagerverfahren ist ein Nichterhebungsverfahren und ein Zollverfahren mit
wirtschaftlicher Bedeutung im Sinne des Art. 84 Abs. 1 Buchst. a und b des Zollkodex.
Für das Zolllagerverfahren gelten die allgemeinen Bestimmungen in Titel IV Kapitel 2
Abschnitt 3 Punkt A und die besonderen Bestimmungen von Punkt C („Zolllager“) dieses
Abschnitts. Art. 89 des Zollkodex enthält Bestimmungen über die Beendigung von
Nichterhebungsverfahren. Die Art. 98 und 99 des Zollkodex geben Definitionen
betreffend das Zolllager. Nach Art. 105 besteht im Rahmen des Zolllagerverfahrens die
Pflicht zur Führung von Bestandsaufzeichnungen.
4
Art. 89 Abs. 1 des Zollkodex bestimmt:
„Ein Nichterhebungsverfahren mit wirtschaftlicher Bedeutung endet, wenn die in dieses
Verfahren übergeführten Waren oder gegebenenfalls die im Rahmen dieses Verfahrens
gewonnenen Veredelungs- oder Umwandlungserzeugnisse eine zulässige neue
zollrechtliche Bestimmung erhalten.“
5
Die Art. 98 und 99 des Zollkodex lauten:
„Artikel 98
(1) Im Zolllagerverfahren können folgende Waren im Zollgebiet der Gemeinschaft
gelagert werden:
a) Nichtgemeinschaftswaren, ohne dass diese Waren Einfuhrabgaben oder
handelspolitischen Maßnahmen unterliegen;
Artikel 99
Zolllager können öffentliche oder private Zolllager sein.
– ‚Öffentliche Zolllager‘ sind Zolllager, die jedermann für die Lagerung von Waren
zur Verfügung stehen;
– ‚private Zolllager‘ sind Zolllager, die auf die Lagerung von Waren durch den
Lagerhalter beschränkt sind.
Lagerhalter ist derjenige, der eine Bewilligung für den Betrieb eines Zolllagers erhalten
hat.
Der Einlagerer ist die Person, die durch die Anmeldung zur Überführung von Waren in
das Zolllagerverfahren gebunden ist, oder die Person, der die Rechte und Pflichten
dieser ersten Person übertragen worden sind.“
6
In Art. 105 Abs. 1 des Zollkodex heißt es:
„Die von den Zollbehörden bezeichnete Person hat über alle in das Zolllagerverfahren
übergeführten Waren in der von den Zollbehörden zugelassenen Form
Bestandsaufzeichnungen zu führen. …“
7
Titel VII („Zollschuld“) des Zollkodex enthält in seinem Kapitel 2 die Bestimmungen über
das Entstehen der Zollschuld. Zu diesem Kapitel gehören u. a. die Art. 201 bis 205, die
die für die Entstehung einer Einfuhrzollschuld maßgeblichen Tatbestände vorsehen.
8
Art. 204 des Zollkodex bestimmt:
„(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht, wenn in anderen als den … genannten Fällen [in
denen eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen
wird]
a) eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen
Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des
Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, …
es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße
Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens
nicht wirklich ausgewirkt haben.
(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Pflicht, deren Nichterfüllung
die Zollschuld entstehen lässt, nicht mehr erfüllt wird, oder dem Zeitpunkt, in dem die
Ware in das betreffende Zollverfahren übergeführt worden ist, wenn sich nachträglich
Ware in das betreffende Zollverfahren übergeführt worden ist, wenn sich nachträglich
herausstellt, dass eine der Voraussetzungen für die Überführung dieser Ware in das
Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder einer
Einfuhrabgabenfreiheit aufgrund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken
nicht wirklich erfüllt war.
(3) Zollschuldner ist die Person, welche die Pflichten zu erfüllen hat, die sich bei einer
einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der
Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben, oder welche die
Voraussetzungen für die Überführung der Ware in dieses Zollverfahren zu erfüllen hat.“
Die Durchführungsverordnung
9
Nach den Art. 247 und 247a des Zollkodex werden die zur Durchführung dieses Kodex
erforderlichen Maßnahmen von der Europäischen Kommission erlassen, die von einem
Ausschuss für den Zollkodex unterstützt wird. Zu diesem Zweck hat die Kommission die
Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der
Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr.
402/2006 der Kommission vom 8. März 2006 (ABl. L 70, S. 35) geänderten Fassung (im
Folgenden: Durchführungsverordnung) erlassen.
10
In den Art. 529 und 530 der Durchführungsverordnung finden sich Vorschriften über die
Führung von Bestandsaufzeichnungen im Zolllager.
11
Art. 529 Abs. 1 der Durchführungsverordnung sieht vor:
„Aus den Bestandsaufzeichnungen muss der jeweils noch im Zolllagerverfahren
befindliche Warenbestand jederzeit ersichtlich sein. Der Lagerhalter legt der
Überwachungszollstelle zu den von den Zollbehörden festgesetzten Zeitpunkten ein
Verzeichnis des besagten Bestandes vor.“
12
Art. 530 Abs. 3 der Durchführungsverordnung lautet:
„Die Anschreibung in den Bestandsaufzeichnungen im Hinblick auf die Beendigung des
Verfahrens hat spätestens zu dem Zeitpunkt stattzufinden, in dem die Waren das
Zolllager oder die Lagereinrichtung des Inhabers verlassen.“
13
Art. 859 der Durchführungsverordnung bestimmt:
„Folgende Verfehlungen gelten im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 des Zollkodex als
Verfehlungen, die sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden
Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben,
sofern
– es sich nicht um den Versuch handelt, die Waren der zollamtlichen Überwachung
zu entziehen;
– keine grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt;
– alle notwendigen Förmlichkeiten erfüllt werden, um die Situation der Waren zu
bereinigen:
bereinigen:
1. die Überschreitung der Frist, vor deren Ablauf die Waren eine der im Rahmen
der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens
vorgesehenen zollrechtlichen Bestimmungen erhalten haben müssen, wenn
eine Fristverlängerung gewährt worden wäre, sofern sie rechtzeitig beantragt
worden wäre;
3. im Falle einer Ware in vorübergehender Verwahrung oder im
Zolllagerverfahren der Umstand, dass die Ware ohne vorherige Bewilligung
der Zollbehörden Behandlungen unterzogen wird, wenn diese Behandlungen
bewilligt worden wären, sofern ein entsprechender Antrag gestellt worden
wäre;
5. im Falle einer Ware in vorübergehender Verwahrung oder in einem
Zollverfahren deren nicht bewilligter Ortswechsel, sofern die Ware den
Zollbehörden auf Verlangen vorgeführt werden kann;
6. im Fall einer Ware in vorübergehender Verwahrung oder in einem
Zollverfahren das Verbringen dieser Ware aus dem Zollgebiet der
Gemeinschaft oder in eine Freizone des Kontrolltyps I im Sinne von Artikel
799 oder ein Freilager ohne Erfüllung der vorgeschriebenen
Zollförmlichkeiten;
10. die Überschreitung der zulässigen Frist für das vorübergehende Entfernen
aus dem Zolllager, sofern die Frist bei rechtzeitiger Antragstellung
entsprechend verlängert worden wäre.“
14
Art. 860 der Durchführungsverordnung lautet: „Die Zollbehörden betrachten eine
Zollschuld als im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 des Zollkodex entstanden, es sei
denn, der vermutliche Zollschuldner weist nach, dass die Voraussetzungen des Artikels
859 erfüllt sind.“
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage
15
Seit 2006 verfügt Eurogate über die zollrechtliche Bewilligung für den Betrieb eines
privaten Zolllagers. Die zollrechtlichen Bestandsaufzeichnungen für dieses Lager
erfolgen gemäß der Bewilligung mit einem EDV-Programm.
16
Als Lagerhalterin nahm Eurogate in ihrem privaten Zolllager Nichtgemeinschaftswaren
ihrer Kunden auf, die anschließend in Gebiete außerhalb der Europäischen Union
ausgeführt wurden. Bei der Entnahme dieser Waren aus dem Zolllager wurden
Zollanmeldungen für ihre Wiederausfuhr abgegeben.
17
Bei einer Zollprüfung am 31. Januar 2007 wurde festgestellt, dass die Entnahmen der in
Rede stehenden Waren erst mit einer zeitlichen Verzögerung von 11 bis 126 Tagen –
d. h. nach Art. 105 Abs. 1 des Zollkodex in Verbindung mit den Art. 529 Abs. 1 und
530 Abs. 3 der Durchführungsverordnung verspätet – in den Bestandsaufzeichnungen
angeschrieben wurden.
18
Mit Bescheid vom 1. Juli 2008 setzte das Hauptzollamt für die zu spät angeschriebenen
Waren Zoll und Einfuhrumsatzsteuer fest. Eurogate focht diesen Bescheid an.
19
Nach Erlass eines Teils der Abgaben mit Bescheid vom 11. August 2009 wies das
Hauptzollamt den Einspruch von Eurogate mit Einspruchsentscheidung vom
8. Dezember 2009 für die verbleibenden Abgaben als unbegründet zurück, weil die
verspäteten Buchungen in den Bestandsaufzeichnungen als Pflichtverletzung im
Rahmen des Zolllagerverfahrens zur Entstehung einer Zollschuld nach Art. 204 Abs. 1
des Zollkodex geführt hätten. Dabei stünde nach Ansicht des vorlegenden Gerichts eine
grobe Fahrlässigkeit von Eurogate der Annahme entgegen, dass sich die genannte
Verletzung nicht auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zollverfahrens ausgewirkt
habe. Im vorliegenden Fall seien somit die Voraussetzungen des Art. 859 der
Durchführungsverordnung nicht erfüllt.
20
Eurogate erhob daraufhin beim Finanzgericht Hamburg Klage auf Aufhebung des
Einfuhrabgabenbescheids vom 1. Juli 2008 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 11.
August 2009 und der Entscheidung vom 8. Dezember 2009, wobei sie insbesondere
geltend machte, dass die verspäteten Anschreibungen der Entnahmen aus dem
Zolllager in den Bestandsaufzeichnungen keine Verletzung ihrer Pflichten im Sinne von
Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex seien, weil es sich bei der Anschreibungspflicht
gemäß Art. 105 des Zollkodex in Verbindung mit Art. 530 Abs. 3 der
Durchführungsverordnung um eine Pflicht handele, die erst nach Beendigung des
Zolllagerverfahrens zu erfüllen sei.
21
Das Hauptzollamt hielt dem entgegen, dass es sich bei den Anschreibungen in den
Bestandsaufzeichnungen nicht um eine „nachverfahrensmäßige“ Pflicht handle. Die
Anschreibung habe vielmehr noch während des Zolllagerverfahrens zu erfolgen bzw.
zeitgleich mit dessen Beendigung. Das Zolllagerverfahren sei vorliegend erst nach
Entnahme der Nichtgemeinschaftswaren mit der zollamtlichen Überlassung zum
Versandverfahren als neuer zollrechtlicher Bestimmung beendet worden.
22
Das vorlegende Gericht hält die Auslegung, wonach der Verstoß gegen die Pflicht zur
sofortigen Anschreibung der Entnahme von Waren in den Bestandsaufzeichnungen eine
Zollschuld entstehen lässt, für zweifelhaft.
23
Folge man der Auffassung einiger deutscher Universitätsprofessoren, die sich auf den
Wortlaut des Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex stützten, könnte im vorliegenden
Fall von einem Verstoß gegen die Pflicht zur sofortigen Anschreibung der Entnahme von
Waren in den Bestandsaufzeichnungen „während“ der Inanspruchnahme des in Rede
stehenden Zollverfahrens und nicht „aus“ dessen Inanspruchnahme ausgegangen
werden. Somit wäre keine Zollschuld entstanden. Da die Waren bereits eine neue
zollrechtliche Bestimmung erhalten hätten, so dass ihr Status durch diesen
zollrechtliche Bestimmung erhalten hätten, so dass ihr Status durch diesen
Pflichtenverstoß nicht mehr berührt werde, sei außerdem fraglich, inwieweit eine
Zollschuld überhaupt noch entstehen könne und ob bestimmte Verfahrensverstöße nicht
auf andere Weise zu sanktionieren seien.
24
Da die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits seines Erachtens eine
Auslegung des Unionsrechts erfordert, hat das Finanzgericht Hamburg beschlossen, das
Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung
vorzulegen:
Ist Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex dahin auszulegen, dass bei
Nichtgemeinschaftsware, die sich im Zolllagerverfahren befunden hat und die mit
Beendigung des Zolllagerverfahrens eine neue zollrechtliche Bestimmung erhalten hat,
die Verletzung der Pflicht, die Entnahme der Ware aus dem Zolllager in dem dafür
vorgesehenen EDV-Programm bereits bei Beendigung des Zolllagerverfahrens – und
nicht erst wesentlich später – anzuschreiben, zur Entstehung einer Zollschuld für die
Ware führt?
Zur Vorlagefrage
25
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 204 Abs. 1 Buchst. a
des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass bei Nichtgemeinschaftsware die Nichterfüllung
der Pflicht, die Entnahme der Ware aus einem Zolllager unmittelbar in den dafür
vorgesehenen Bestandsaufzeichnungen anzuschreiben, zur Entstehung einer Zollschuld
für diese Ware führt, obwohl sie mit Beendigung des Zolllagerverfahrens wieder
ausgeführt wurde.
26
Gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn
eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus
der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben.
27
Es ist daran zu erinnern, dass das Zolllagerverfahren die Lagerung in einem Lager für
Nichtgemeinschaftswaren unter Aussetzung der Einfuhrzölle für diese Waren gestattet.
Obwohl die Waren sich physisch im Zollgebiet der Union befinden, werden sie doch als
Nichtgemeinschaftsware angesehen. Die Teilnahme an einem solchen Verfahren setzt
die Einhaltung bestimmter Pflichten voraus, die es den Zollbehörden ermöglichen, sich
jederzeit, wie in Art. 529 Abs. 1 der Durchführungsverordnung vorgesehen, Kenntnis
über den Warenbestand zu verschaffen. Zu den wesentlichen Pflichten im
Zusammenhang mit dem Zolllagerverfahren gehört dabei die in Art. 105 des Zollkodex
vorgesehene Pflicht, über die in dieses Verfahren übergeführten Waren
Bestandsaufzeichnungen zu führen (Urteil vom 27. Oktober 2011, Groupe Limagrain
Holding, C‑402/10, Slg. 2011, I‑10827, Randnrn. 33 und 37). Ein Verstoß gegen die
Pflicht, Warenausgänge unverzüglich in den entsprechenden Bestandsaufzeichnungen
zu erfassen, beeinträchtigt die zollamtliche Überwachung.
28
Überdies ist hervorzuheben, dass das Vorhandensein von Nichtgemeinschaftswaren im
Zollgebiet der Union die Gefahr birgt, dass diese Waren letztlich unverzollt in den
Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten gelangen, wobei Art. 204 des Zollkodex, wie die
Kommission ausführt, dazu beiträgt, dass diese Gefahr sich nicht verwirklicht (vgl. Urteil
Kommission ausführt, dazu beiträgt, dass diese Gefahr sich nicht verwirklicht (vgl. Urteil
vom 15. Juli 2010, DSV Road, C‑234/09, Slg. 2010, I‑7333, Randnr. 31).
29
Im vorliegenden Fall war die Eurogate erteilte Bewilligung für den Betrieb eines privaten
Zolllagers an die Bedingung geknüpft, Bestandsaufzeichnungen über alle in das
Zolllagerverfahren übergeführten Waren zu führen. Im Ausgangsverfahren steht fest,
dass Eurogate die Entnahme von Waren, die im Übrigen ordnungsgemäß wieder
ausgeführt wurden, verspätet in diesen Aufzeichnungen angeschrieben hat.
30
Eurogate ist der Auffassung, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende
Verfehlung im Hinblick auf Art. 204 des Zollkodex nicht zur Entstehung einer Zollschuld
führen könne, weil es sich bei der verletzten Pflicht um eine nachverfahrensmäßige
Pflicht und nicht um eine materielle Verpflichtung im Zusammenhang mit dem
Zolllagerverfahren handele, so dass ihre Verletzung nur eine einfache
Zollordnungswidrigkeit darstelle. Die Kommission ist insoweit der Ansicht, dass das
Zolllagerverfahren zu dem Zeitpunkt, zu dem Eurogate verpflichtet gewesen wäre, die
Warenausgänge in die entsprechenden Bestandsaufzeichnungen aufzunehmen, noch
nicht beendet gewesen sei.
31
Der Gerichtshof hat hierzu ausgeführt, dass keine Bestimmung des Zollkodex und
seiner Durchführungsverordnung den Schluss zulässt, dass in Bezug auf die Auswirkung
der Nichterfüllung einer Pflicht auf die Entstehung einer Zollschuld nach Art. 204 des
Zollkodex zwischen einer vor Beendigung des betreffenden Zollverfahrens zu
erfüllenden Pflicht und einer nach dessen Beendigung zu erfüllenden Pflicht oder
zwischen „Hauptpflichten“ und „Nebenpflichten“ zu unterscheiden wäre (vgl. Urteil vom 6.
September 2012, Döhler Neuenkirchen, C‑262/10, Randnr. 38).
32
Wie der Generalanwalt in Nr. 47 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, stellt die Pflicht
zur Entrichtung von Zöllen in einem solchen Fall keine Sanktion verwaltungs-, steuer-
oder strafrechtlicher Natur dar, sondern ist die bloße Folge der Feststellung, dass die
Voraussetzungen für die Gewährung des Vorteils, der sich aus der Anwendung der
Regelung über das Zolllagerverfahren ergibt, nicht erfüllt sind, was zur Unanwendbarkeit
der Aussetzung führt und infolgedessen die Erhebung von Zöllen rechtfertigt. Dieses
Verfahren bedeutet nämlich die Gewährung eines bedingten Vorteils, der nicht gewährt
werden kann, wenn die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind.
33
Außerdem gehört die verspätete Anschreibung in den Bestandsaufzeichnungen nicht
zu den in der abschließenden Liste in Art. 859 der Durchführungsverordnung
aufgeführten Verfehlungen, die sich möglicherweise auf die ordnungsgemäße
Abwicklung des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben.
34
Insoweit ist daran zu erinnern, dass Art. 859 der Durchführungsverordnung eine
wirksam zustande gekommene und abschließende Regelung der Verfehlungen im Sinne
des Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex enthält, die „sich auf die ordnungsgemäße
Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens
nicht wirklich ausgewirkt haben“ (Urteil vom 11. November 1999, Söhl & Söhlke,
C‑48/98, Slg. 1999, I‑7877, Randnr. 43).
35
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des
35
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 204 Abs. 1 Buchst. a des
Zollkodex dahin auszulegen ist, dass bei Nichtgemeinschaftsware die Nichterfüllung der
Pflicht, die Entnahme der Ware aus einem Zolllager spätestens zum Zeitpunkt ihrer
Entnahme in den dafür vorgesehenen Bestandsaufzeichnungen anzuschreiben, auch
dann zur Entstehung einer Zollschuld für diese Ware führt, wenn sie wieder ausgeführt
wurde.
Kosten
36
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem
bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen
vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12.
Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die
Verordnung (EG) Nr. 648/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
13. April 2005 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass bei
Nichtgemeinschaftsware die Nichterfüllung der Pflicht, die Entnahme der Ware aus
einem Zolllager spätestens zum Zeitpunkt ihrer Entnahme in den dafür
vorgesehenen Bestandsaufzeichnungen anzuschreiben, auch dann zur
Entstehung einer Zollschuld für diese Ware führt, wenn sie wieder ausgeführt
wurde.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Deutsch.