Urteil des EuGH vom 08.05.2014

Stadt Hamburg, Kontrolle, Universität, Vergabe Von Aufträgen

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)
8. Mai 2014
)
„Öffentliche Lieferaufträge – Richtlinie 2004/18/EG – Auftragserteilung ohne Einleitung
eines Ausschreibungsverfahrens – ‚In-House‘-Vergabe – Auftragnehmer, der vom
öffentlichen Auftraggeber rechtlich verschieden ist – Voraussetzung einer ‚Kontrolle wie
über eigene Dienststellen‘ – Öffentlicher Auftraggeber und Auftragnehmer, zwischen
denen kein Kontrollverhältnis besteht – Dritte öffentliche Stelle, die eine teilweise
Kontrolle über den öffentlichen Auftraggeber und eine Kontrolle über den Auftragnehmer
ausübt, die als eine Kontrolle ‚wie über eigene Dienststellen‘ qualifiziert werden kann –
‚Horizontales In-House-Geschäft‘“
In der Rechtssache C‑15/13
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom
Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 6.
November 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Januar 2013, in dem Verfahren
Technische Universität Hamburg-Harburg,
Hochschul-Informations-System GmbH
gegen
Datenlotsen Informationssysteme GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter E. Juhász
(Berichterstatter), A. Rosas, D. Šváby und C. Vajda,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21.
November 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Technischen Universität Hamburg-Harburg, vertreten durch Rechtsanwalt
T. Noelle und Rechtsanwältin I. Argyriadou,
– der Hochschul-Informations-System GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte
K. Willenbruch und M. Kober,
– der Datenlotsen Informationssysteme GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt
S. Görgens,
– der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
– der spanischen Regierung, vertreten durch J. García‑Valdecasas Dorrego als
Bevollmächtigte,
– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im
Beistand von S. Varone, avvocato dello Stato,
– der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Fehér, K. Szíjjártó und K. Molnár
als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Tokár und M. Noll-Ehlers als
Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. Januar
2014
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der
Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004
über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge,
Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Technischen Universität
Hamburg‑Harburg (im Folgenden: Universität) und der Hochschul‑Informations‑System
GmbH (im Folgenden: HIS) gegen die Datenlotsen Informationssysteme GmbH über die
Rechtmäßigkeit der Vergabe eines Auftrags, der HIS unmittelbar ohne Einleitung der von
der Richtlinie 2004/18 vorgesehenen öffentlichen Vergabeverfahren erteilt worden ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3
Die Richtlinie 2004/18 stellt den rechtlichen Rahmen für die von öffentlichen
Auftraggebern vergebenen Aufträge dar.
4
Art. 1 („Definitionen“) Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie bestimmt:
„‚Öffentliche Aufträge‘ sind zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und
einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern geschlossene schriftliche entgeltliche
einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern geschlossene schriftliche entgeltliche
Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die
Erbringung von Dienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie.“
5
Art. 1 Abs. 8 bestimmt:
„Die Begriffe ‚Unternehmer‘, ‚Lieferant‘ und ‚Dienstleistungserbringer‘ bezeichnen
natürliche oder juristische Personen, öffentliche Einrichtungen oder Gruppen dieser
Personen und/oder Einrichtungen, die auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen,
die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren bzw. die Erbringung von
Dienstleistungen anbieten.
Der Begriff ‚Wirtschaftsteilnehmer‘ umfasst sowohl Unternehmer als auch Lieferanten
und Dienstleistungserbringer. Er dient ausschließlich der Vereinfachung des Textes.
…“
6
Art. 1 Abs. 9 der Richtlinie 2004/18 legt detailliert fest, welche Einrichtungen als
öffentliche Auftraggeber anzusehen sind und daher für den Abschluss eines
entgeltlichen Vertrags mit einem Wirtschaftsteilnehmer ein Vergabeverfahren gemäß den
Regeln dieser Richtlinie einleiten müssen.
7
Art. 7 („Schwellenwerte für öffentliche Aufträge“) der Richtlinie 2004/18 legt die
Schwellenwerte fest, ab denen die Vergabe eines Auftrags gemäß den Regeln der
Richtlinie zu erfolgen hat. Diese Schwellenwerte werden in regelmäßigen Abständen
durch Verordnungen der Kommission geändert und den wirtschaftlichen Gegebenheiten
angepasst. Zu dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt war der
Schwellenwert für durch andere öffentliche Auftraggeber als die zentralen
Regierungsbehörden vergebene öffentliche Lieferaufträge durch die Verordnung (EG)
Nr. 1177/2009 der Kommission vom 30. November 2009 (ABl. L 314, S. 64) auf 193 000
Euro festgesetzt.
Die Erteilung eines öffentlichen Auftrags ohne Anwendung der von der Richtlinie
2014/18 vorgesehenen Verfahren – sogenannte „In-House“-Vergabe
8
Die Voraussetzungen einer solchen Erteilung wurden von der Rechtsprechung des
Gerichtshofs aufgestellt und entwickelt. Nach Auffassung des Gerichtshofs ist die
Ausschreibung eines Wettbewerbs durch die Einleitung eines Verfahrens gemäß der
Richtlinie 2004/18 nicht zwingend, wenn der öffentliche Auftraggeber über eine rechtlich
von ihm verschiedene Person eine Kontrolle ausübt wie über seine eigenen
Dienststellen und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im wesentlichen für die
Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile
innehaben (vgl. in diesem Sinne Urteil Teckal, C‑107/98, EU:C:1999:562, Rn. 50).
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
9
Die Universität Hamburg‑Harburg ist eine staatliche Hochschule des Bundeslands
Freie und Hansestadt Hamburg (im Folgenden: Stadt Hamburg). Sie ist eine Einrichtung
des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 1 Abs. 9 der Richtlinie 2004/18 und damit ein
öffentlicher Auftraggeber. Die Universität beabsichtigte die Beschaffung eines
öffentlicher Auftraggeber. Die Universität beabsichtigte die Beschaffung eines
IT‑Hochschul-Managementsystems und führte dazu ein Prüfverfahren durch, in dessen
Rahmen sie das von der Datenlotsen Informationssysteme GmbH und das von HIS
entwickelte Informatiksystem miteinander verglich. Nach dieser Prüfung entschied sie
sich für die Einführung des Systems von HIS und schloss mit dieser am 7. April 2011 im
Wege der direkten Auftragsvergabe ohne Durchführung der von der Richtlinie 2004/18
vorgesehenen Vergabeverfahren einen entsprechenden Vertrag. Der geschätzte Wert
dieses Auftrags betrug 840 000 Euro.
10
Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass HIS eine
privatrechtliche Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist, deren Kapital zu einem Drittel
von der Bundesrepublik Deutschland und zu zwei Dritteln von den 16 Bundesländern
gehalten wird, wobei der Anteil der Stadt Hamburg 4,16 % dieses Kapitals entspricht.
Gemäß § 2 der Satzung dieser Gesellschaft besteht ihr Gesellschaftszweck in der
Unterstützung der Hochschulen und der zuständigen Verwaltungen in ihrem Bemühen
um eine rationelle und wirtschaftliche Erfüllung der Hochschulaufgaben. Die
Informationssysteme von HIS werden in mehr als 220 öffentlichen und kirchlichen
Hochschuleinrichtungen in Deutschland genutzt.
11
Gemäß § 12 Abs. 1 der Satzung von HIS setzt sich der Aufsichtsrat dieser Gesellschaft
aus zehn Mitgliedern zusammen, von denen sieben auf Vorschlag der Ministerkonferenz
der Länder, zwei auf Vorschlag der Hochschulrektorenkonferenz, eines
Zusammenschlusses der deutschen Universitäten und staatlichen oder staatlich
anerkannten Hochschulen, und eines auf Vorschlag des Bundes ernannt werden. Nach
§ 15 Abs. 1 ihrer Satzung verfügt HIS über ein Kuratorium, von dessen 37 Mitgliedern 19
von der Ministerkonferenz der Länder bestellt werden. Was die Geschäftstätigkeit von
HIS betrifft, so beziehen sich 5,14 % des Umsatzes dieser Gesellschaft auf Tätigkeiten
für andere Einrichtungen als öffentliche Hochschulen.
12
Die direkte Erteilung des Auftrags durch die Universität an HIS sei, so die
Vertragsparteien, auch wenn kein Kontrollverhältnis zwischen den beiden
Körperschaften bestehe, dennoch gerechtfertigt, weil die von der angeführten
Rechtsprechung des Gerichtshofs herausgearbeitete Voraussetzung der „Kontrolle wie
über eigene Dienststellen“ erfüllt sei, weil beide Körperschaften unter der Kontrolle der
Stadt Hamburg stünden.
13
Datenlotsen Informationssysteme stellte gegen die direkte Erteilung dieses Auftrags bei
der Vergabekammer bei der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, der in
Vergabeverfahren zuständigen ersten Instanz, einen Nachprüfungsantrag, dem die
Vergabekammer stattgab. Zur Begründung führte sie aus, dass die von der
Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Voraussetzungen für eine „In-House“-
Vergabe nicht vorlägen. Konkret sei die Voraussetzung der „Kontrolle wie über eigene
Dienststellen“ nicht erfüllt, da die Universität als öffentlicher Auftraggeber nicht die
gleiche Kontrolle über HIS ausüben könne wie über ihre eigenen Dienststellen. Die
Universität sei zwar eine juristische Person des öffentlichen Rechts der Stadt Hamburg,
und diese halte 4,16 % des Kapitals von HIS. Jedoch handele es sich bei der Universität
und der Stadt Hamburg um verschiedene juristische Personen.
14
Auch die Erwägung, dass die Stadt Hamburg sowohl die Universität als auch HIS
kontrolliere, reiche nicht aus, um diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen, da eine
solche Form der „indirekten Kontrolle“ keine Grundlage in der Rechtsprechung des
Gerichtshofs finde. Die Vergabekammer wies außerdem darauf hin, dass die Universität
über Selbstverwaltungsautonomie verfüge und die von der Stadt Hamburg über sie
ausgeübte Rechts- und Fachaufsicht in Bezug auf die Mittelbewirtschaftung nicht mit
einer Leitungsbefugnis gleichgesetzt werden könne, die ein öffentlicher Auftraggeber
haben müsse. Es könne auch nicht von einer Kontrolle der Stadt Hamburg über HIS
ausgegangen werden, da diese keinen ständigen Vertreter im Aufsichtsrat dieser
Gesellschaft habe.
15
Gegen diese Entscheidung wendeten sich HIS und die Universität mit sofortigen
Beschwerden zum vorlegenden Gericht.
16
Dieses hat darauf hingewiesen, dass die in der Rechtslehre in Deutschland heftig
umstrittene Frage, ob eine Auftragsvergabe in einer Drei-Personen-Konstellation als
„horizontales In-House-Geschäft“ unter die Teckal-Rechtsprechung (EU:C:1999:562)
falle, bisher nicht Gegenstand der Rechtsprechung des Gerichtshofs gewesen sei. Nach
Auffassung des vorlegenden Gerichts könnten horizontale „In-House“-Geschäfte wie das
im Ausgangsverfahren in Rede stehende nach Sinn und Zweck der mit dieser
Rechtsprechung begründeten „In-House“-Ausnahme unter diese Ausnahme fallen. Im
vorliegenden Fall könne allerdings nicht von einer interkommunalen Zusammenarbeit im
Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile Kommission/Deutschland,
C‑480/06, EU:C:2009:357, sowie Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce u. a,
C‑159/11, EU:C:2012:817) die Rede sein, da weder die Universität noch HIS öffentliche
Verwaltungsträger seien und HIS nicht unmittelbar mit der Erledigung einer öffentlichen
Aufgabe betraut sei.
17
Das vorlegende Gericht führt auch aus, dass die Hochschulen nach den einschlägigen
Rechtsvorschriften auf dem Gebiet von Forschung und Lehre über eine weitgehende
Selbstverwaltungsautonomie verfügten und dass die Wahrnehmung dieser
Selbstverwaltungsbefugnisse
nur
der
Rechtsaufsicht
unterliege.
Der
im
Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag betreffe aber den Bereich der
Bewirtschaftung der der Universität zugewiesenen Mittel, in dem die zuständigen
Behörden über eine Kontrollbefugnis verfügten, die bis zu der Möglichkeit reiche,
Beschaffungsmaßnahmen aufzuheben oder zu korrigieren.
18
Das vorlegende Gericht ist deshalb der Ansicht, dass für den Beschaffungsbereich der
Hochschulen die Voraussetzung der „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ erfüllt sei.
Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Voraussetzung nicht für sämtliche
Tätigkeitsfelder der untergeordneten Körperschaft gelten müsse, so dass bei einer
Begrenzung dieser Kontrolle auf Lieferaufträge diese Voraussetzung nicht erfüllt sei. In
diese Richtung weise die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach ein öffentlicher
Auftraggeber die Möglichkeit haben müsse, sowohl auf die strategischen Ziele als auch
auf die wichtigen Entscheidungen der untergeordneten Körperschaft Einfluss zu
nehmen.
19
Zu der Kontrolle der Stadt Hamburg über HIS hat das vorlegende Gericht festgestellt,
19
Zu der Kontrolle der Stadt Hamburg über HIS hat das vorlegende Gericht festgestellt,
dass die Tatsache, dass die Stadt Hamburg nur mit einem Anteil von 4,16 % am Kapital
dieser Gesellschaft beteiligt sei und nicht über einen ständigen Sitz in deren Aufsichtsrat
verfüge, gegen das Vorliegen einer Kontrolle wie über eigene Dienststellen sprechen
könne. Die zweite von der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellte Voraussetzung,
nämlich dass das beauftragte Unternehmen seine Tätigkeit „im Wesentlichen“ für den
öffentlichen Auftraggeber erbringen müsse, sei im zu entscheidenden Fall erfüllt, da sich
die Tätigkeit von HIS ganz überwiegend auf Hochschuleinrichtungen beziehe und ihre
sonstigen Tätigkeiten von nebensächlicher Natur seien.
20
Unter diesen Umständen hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg das
Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
1. Ist unter einem „öffentlichen Auftrag“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der
Richtlinie 2004/18 auch ein Vertrag zu verstehen, bei dem der Auftraggeber den
Auftragnehmer zwar nicht wie eine eigene Dienststelle kontrolliert, aber sowohl der
Auftraggeber als auch der Auftragnehmer von demselben Träger, der seinerseits
öffentlicher Auftraggeber im Sinne der Richtlinie 2004/18 ist, kontrolliert werden und
der Auftraggeber und der Auftragnehmer im Wesentlichen für ihren gemeinsamen
Träger tätig werden (horizontales In-House-Geschäft)?
Wenn die Frage 1 bejaht wird:
2. Muss sich die Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle auf die gesamte Tätigkeit
des Auftragnehmers erstrecken oder genügt es, wenn sie sich auf den
Beschaffungsbereich beschränkt?
Zu den Vorlagefragen
21
Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im
Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen
ist, dass ein Vertrag über die Lieferung von Waren, der zwischen einer Universität, die
ein öffentlicher Auftraggeber ist und die im Bereich der Beschaffung von Waren und
Dienstleistungen der Aufsicht eines deutschen Bundeslands unterliegt, und einem
privatrechtlichen Unternehmen, das sich in der Hand des Bundes und der Bundesländer,
darunter des genannten Bundeslands, befindet, geschlossen worden ist, einen
öffentlichen Auftrag im Sinne dieser Vorschrift darstellt.
22
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht das Hauptziel der Vorschriften des
Unionsrechts über das öffentliche Auftragswesen in der Öffnung für einen unverfälschten
Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten in den Bereichen der Ausführung von Bauaufträgen,
der Lieferung von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen, was die
Verpflichtung für jeden öffentlichen Auftraggeber einschließt, die einschlägigen
Vorschriften des Unionsrechts anzuwenden, wenn die darin vorgesehenen
Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Stadt Halle und RPL Lochau,
C‑26/03, EU:C:2005:5, Rn. 44).
23
Jede Ausnahme von der Geltung dieser Verpflichtung ist folglich eng auszulegen (vgl.
23
Jede Ausnahme von der Geltung dieser Verpflichtung ist folglich eng auszulegen (vgl.
Urteil Stadt Halle und RPL Lochau, EU:C:2005:5, Rn. 46).
24
Der Gerichtshof hat festgestellt, dass es im Hinblick auf die Anwendung der in der
Richtlinie 2004/18 vorgesehenen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge gemäß
Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie grundsätzlich genügt, dass ein entgeltlicher Vertrag
zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einer rechtlich von diesem verschiedenen
Person geschlossen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil Teckal, EU:C:1999:562, Rn. 50).
25
Die vom Gerichtshof anerkannte Ausnahme von der Anwendung dieses Grundsatzes,
die die sogenannte „In-House“-Vergabe von Aufträgen betrifft, ist auf die Erwägung
gestützt, dass eine öffentliche Stelle, die ein öffentlicher Auftraggeber ist, die Möglichkeit
hat, ihre im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben mit ihren eigenen
administrativen, technischen und sonstigen Mitteln zu erfüllen, ohne gezwungen zu sein,
sich an externe Einrichtungen zu wenden, die nicht zu ihren Dienststellen gehören, und
dass diese Ausnahme auf die Fälle ausgedehnt werden kann, in denen der
Vertragspartner eine rechtlich von dem öffentlichen Auftraggeber verschiedene
Einrichtung ist, wenn der öffentliche Auftraggeber über die fragliche Einrichtung eine
ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen und diese Einrichtung
ihre Tätigkeit im Wesentlichen mit der oder den öffentlichen Stellen verrichtet, die ihre
Anteile innehaben (vgl. in diesem Sinne Urteile Teckal, EU:C:1999:562, Rn. 50, sowie
Stadt Halle und RPL Lochau, EU:C:2005:5, Rn. 48 und 49). Der öffentliche Auftraggeber
greift in solchen Fällen auf seine eigenen Mittel zurück.
26
Der Gerichtshof hat die Wendung der „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ noch
weiter erläutert, indem er darauf hingewiesen hat, dass für den öffentlichen Auftraggeber
die Möglichkeit gegeben sein muss, sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die
wichtigen Entscheidungen der beauftragten Einrichtung ausschlaggebenden Einfluss zu
nehmen, und dass die von dem öffentlichen Auftraggeber ausgeübte Kontrolle wirksam,
strukturell und funktionell sein muss (vgl. in diesem Sinne Urteil Econord, C‑182/11 und
C‑183/11, EU:C:2012:758, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27
Ferner hat der Gerichtshof anerkannt, dass die „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“
unter bestimmten Voraussetzungen von mehreren öffentliche Stellen gemeinsam
ausgeübt werden kann, die gemeinsam die Anteile an der beauftragten Körperschaft
halten (vgl. in diesem Sinne Urteil Econord, EU:C:2012:758, Rn. 28 bis 31 und die dort
angeführte Rechtsprechung).
28
Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass kein Kontrollverhältnis zwischen der
Universität als öffentlichem Auftraggeber und der beauftragten Gesellschaft HIS besteht.
Die Universität ist nämlich nicht an dem Kapital dieser Gesellschaft beteiligt und hat
keinen Vertreter in deren Aufsichtsrat.
29
Folglich liegt der Rechtfertigungsgrund für die Ausnahme der sogenannten „In-House“-
Vergabe, nämlich das Bestehen einer besonderen internen Verbindung zwischen dem
öffentlichen Auftraggeber und der beauftragten Einrichtung, in einem Fall wie dem des
Ausgangsverfahrens nicht vor.
30
Daher kann ein solcher Fall nicht unter die genannte Ausnahme fallen; anderenfalls
würden die von der Rechtsprechung des Gerichtshofs klar umrissenen Grenzen für deren
Anwendung so ausgedehnt, dass die Tragweite des in Rn. 24 des vorliegenden Urteils
angeführten Grundsatzes erheblich eingeschränkt würde.
31
Im Übrigen ist festzustellen, dass jedenfalls auf der Grundlage der dem Gerichtshof zur
Verfügung gestellten Aktenstücke und im Licht der oben dargestellten Rechtsprechung
die Stadt Hamburg nicht in der Lage ist, über die Universität eine „Kontrolle wie über
eigene Dienststellen“ auszuüben.
32
Die von der Stadt Hamburg über die Universität ausgeübte Kontrolle bezieht sich
nämlich nur auf einen Teil von deren Tätigkeiten, und zwar allein auf den
Beschaffungsbereich, nicht aber auf die Bereiche Lehre und Forschung, in denen die
Universität über eine weitgehende Autonomie verfügt. Würde in einem solchen Fall einer
teilweisen Kontrolle eine „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ bejaht, liefe dies der
in Rn. 26 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zuwider.
33
Unter diesen Umständen braucht nicht geprüft zu werden, ob die Ausnahme für die „In-
House“-Vergabe auf sogenannte „horizontale In-House“-Geschäfte angewendet werden
kann, d. h. auf Fälle, in denen derselbe oder dieselben öffentlichen Auftraggeber eine
„Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ über zwei verschiedene Wirtschaftsteilnehmer
ausüben, von der eine einen Auftrag an den anderen vergibt.
34
Zur Anwendbarkeit der Rechtsprechung über die Zusammenarbeit zwischen
Gebietskörperschaften gemäß den Urteilen Kommission/Deutschland (EU:C:2009:357),
sowie Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce u. a. (EU:C:2012:817) auf das
Ausgangsverfahren ist in Übereinstimmung mit der Auffassung des vorlegenden Gerichts
festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der in dieser
Rechtsprechung festgelegten Ausnahme aus den in Rn. 16 des vorliegenden Urteils
genannten Gründen nicht vorliegen.
35
Die Zusammenarbeit zwischen der Universität und HIS dient nämlich nicht der
Erledigung einer gemeinsamen öffentlichen Aufgabe im Sinne dieser Rechtsprechung
(vgl. Urteil Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce u. a, EU:C:2012:817, Rn. 34
und 37).
36
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der
Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen ist, dass ein Vertrag über die Lieferung von Waren,
der zwischen einer Universität, die ein öffentlicher Auftraggeber ist und die im Bereich
der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen der Aufsicht eines deutschen
Bundeslands unterliegt, und einem privatrechtlichen Unternehmen, das sich in der Hand
des Bundes und der Bundesländer, darunter des genannten Bundeslands, befindet,
geschlossen worden ist, einen öffentlichen Auftrag im Sinne dieser Vorschrift darstellt
und somit den Vorschriften dieser Richtlinie über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen
unterliegt.
Kosten
37
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem
37
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem
bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen
vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe
öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin
auszulegen, dass ein Vertrag über die Lieferung von Waren, der zwischen einer
Universität, die ein öffentlicher Auftraggeber ist und die im Bereich der
Beschaffung von Waren und Dienstleistungen der Aufsicht eines deutschen
Bundeslands unterliegt, und einem privatrechtlichen Unternehmen, das sich in der
Hand des Bundes und der Bundesländer, darunter des genannten Bundeslands,
befindet, geschlossen worden ist, einen öffentlichen Auftrag im Sinne dieser
Vorschrift darstellt und somit den Vorschriften dieser Richtlinie über die Vergabe
von öffentlichen Aufträgen unterliegt.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Deutsch.