Urteil des EuGH vom 09.12.2010

EuGH: schutz der gesundheit, haftung des staates, spender, europäische kommission, mitgliedstaat, regierung, bevölkerung, sicherheit, bezahlung, lieferung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
9. Dezember 2010)
„Art. 28 EG und 30 EG – Nationale Regelung, die die Einfuhr von Blutprodukten verbietet, die nicht aus
gänzlich unbezahlt erfolgten Blutspenden stammen“
In der Rechtssache C-421/09
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Landesgericht für
Zivilrechtssachen Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 19. Oktober 2009, beim Gerichtshof
eingegangen am 28. Oktober 2009, in dem Verfahren
Humanplasma GmbH
gegen
Republik Österreich
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter J.‑J. Kasel (Berichterstatter), A. Borg
Barthet und M. Ilešič sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Humanplasma GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt W. Graziani-Weiss,
– der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
– der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,
– der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Fehér, K. Szíjjártó und Z. Tóth als
Bevollmächtigte,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. de Ree als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und G. Wilms als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge
über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 28 EG und 30 EG.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Humanplasma GmbH (im
Folgenden: Humanplasma), einer Gesellschaft österreichischen Rechts, und der Republik Österreich
wegen des gesetzlichen Verbots der Einfuhr von Erythrozythenkonzentraten aus Blutspenden, die nicht
gänzlich unbezahlt erfolgt sind.
Rechtlicher Rahmen
3 Die Erwägungsgründe 22 und 23 der Richtlinie 2002/98/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung,
Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen und zur
Änderung der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. L 33, S. 30) lauten:
„(22) Gemäß Artikel 152 Absatz 5 des Vertrags müssen die Bestimmungen dieser Richtlinie die
einzelstaatlichen Regelungen über Blutspenden unberührt lassen. Nach Artikel 152 Absatz 4
Buchstabe a) des Vertrags können die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert werden, strengere
Schutzmaßnahmen für die Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Blut und Blutbestandteile
beizubehalten oder einzuführen.
(23) Freiwillige, unbezahlte Blutspenden sind ein Faktor, der zu hohen Qualitäts- und
Sicherheitsstandards für Blut und Blutbestandteile und somit zum Gesundheitsschutz beitragen
kann. Die diesbezüglichen Bestrebungen des Europarates sollten unterstützt und alle
erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um freiwillige, unbezahlte Blutspenden durch
geeignete Maßnahmen und Initiativen sowie dadurch zu fördern, dass Blutspender größere
öffentliche Anerkennung erfahren; damit würde auch die Selbstversorgung der Gemeinschaft
verbessert. Die Definition des Europarates für freiwillige, unbezahlte Blutspenden sollte
berücksichtigt werden.“
4 Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2002/98 sieht vor:
„Diese Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten nicht, in ihrem Hoheitsgebiet strengere
Schutzmaßnahmen beizubehalten oder einzuführen, sofern diese in Einklang mit dem Vertrag stehen.
Insbesondere kann ein Mitgliedstaat Anforderungen für freiwillige, unbezahlte Blutspenden einführen
einschließlich des Verbots oder der Beschränkung der Einfuhren von Blut oder Blutbestandteilen, um
ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten und das in Artikel 20 Absatz 1 genannte Ziel zu
erreichen, soweit dies in Einklang mit den Bestimmungen des Vertrags geschieht.“
5 Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten ergreifen die notwendigen Maßnahmen, um freiwillige, unbezahlte Blutspenden zu
fördern, damit erreicht wird, dass Blut und Blutbestandteile so weit wie möglich aus solchen Spenden
stammen.“
6 Art. 21 der Richtlinie sieht vor:
„Die Blutspendeeinrichtungen gewährleisten, dass jede Spende von Blut und Blutbestandteilen gemäß
den Anforderungen in Anhang IV getestet wird.
Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Blut und Blutbestandteile, die in die Gemeinschaft eingeführt
werden, entsprechend den Anforderungen in Anhang IV getestet werden.“
7 Art. 2 der am 12. Oktober 1995 verabschiedeten Empfehlung R (95) 14 des Ministerkomitees des
Europarates an die Mitgliedstaaten über den Gesundheitsschutz von Spendern und Empfängern bei
Bluttransfusionen lautet: „Eine Spende gilt als freiwillig und unentgeltlich, wenn die Person, die Blut,
Plasma oder zelluläre Bestandteile spendet, dies aus eigenem, freiem Willen tut und keine Bezahlung
in Form von Bargeld oder anderen entsprechenden Leistungen erhält. Dies schließt auch eine
Vergütung in Form von Freizeit aus, die über den angemessenen Zeitaufwand für die Spende und die
An- bzw. Abreise hinausgeht. Geringfügige Anerkennungen, Erfrischungen und die Erstattung der
Reisekosten sind mit dem Begriff der freiwilligen, unentgeltlichen Spende vereinbar.“
8 § 7 Abs. 1 des Arzneiwareneinfuhrgesetzes 2002 in seiner im BGBl. I Nr. 153/2005 veröffentlichten
Fassung (im Folgenden: Arzneiwareneinfuhrgesetz) sah vor, dass die Einfuhr der in diesem Gesetz
angeführten Waren nur zulässig ist, wenn das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen deren
Verkehrsfähigkeit bestätigt hat.
9 In § 7 Abs. 3 dieses Gesetzes waren die Angaben aufgeführt, die u. a. die Importeure von
Blutprodukten nach Aufforderung der zuständigen Behörden zu machen hatten. Hierzu gehörten
Angaben über die Identität des Einzelspenders sowie der Nachweis, dass bei dessen Auswahl die nach
dem Stand der Wissenschaften international anerkannten Kriterien berücksichtigt worden waren und
dass er nicht an bestimmten Virusinfektionen erkrankt war.
10 Durch eine im BGBl. I Nr. 41/2006 veröffentlichte Gesetzesänderung wurde mit Wirkung vom 29. März
2006 ein Abs. 1a in § 7 des Arzneiwareneinfuhrgesetzes eingefügt. Dieser lautet:
„Bei der Einfuhr von Blutprodukten zur direkten Transfusion ist die Verkehrsfähigkeit jedenfalls nicht
gegeben, wenn die Blutspende, abgesehen von Fällen, in denen der Spender aufgrund eines
unmittelbaren Bedarfs in einer akuten Notfallsituation von der Blutspendeeinrichtung zur
unverzüglichen Spende aufgefordert wurde, nicht gänzlich unbezahlt erfolgt ist. Dies gilt nicht, wenn
die Einfuhr zur Sicherung der Versorgung mit äußerst seltenen Blutgruppen erforderlich ist.“
11 Durch diese Änderung wurde zudem eine Z 2a in § 7 Abs. 3 des Arzneiwareneinfuhrgesetzes
eingefügt; diese sieht vor, dass Importeure jedenfalls belegen müssen, „dass bei Blutprodukten zur
direkten Transfusion die Spende gänzlich unbezahlt erfolgt ist oder in Fällen, in denen der Spender
aufgrund eines unmittelbaren Bedarfs in einer akuten Notfallsituation von der Blutspendeeinrichtung
zur unverzüglichen Spende aufgefordert wurde, nur ein Aufwandersatz geleistet wurde …“
12 § 8 Abs. 4 des Blutsicherheitsgesetzes 1999 bestimmt in seiner im BGBl. I Nr. 63/2005 veröffentlichten
Fassung:
„Es ist untersagt, Spendern von Blut oder Blutbestandteilen oder dritten Personen für eine Spende
einen Gewinn zukommen zu lassen oder zu versprechen. Erfolgt die Blutspende (Vollblut) für Produkte
zur direkten Transfusion, so hat die Spende gänzlich unbezahlt zu erfolgen. Ein Aufwandersatz ist in
diesen Fällen nur dann zulässig, wenn der Spender aufgrund eines unmittelbaren Bedarfs in einer
akuten Notfallsituation von der Blutspendeeinrichtung zur unverzüglichen Spende aufgefordert wurde.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
13 Am 1. November 2005 wurde die Ausschreibung eines Auftrags zur Belieferung des Wiener
Krankenanstaltenverbunds
mit
Blutprodukten,
und
zwar
leukozytendepletierten
Erythrozythenkonzentraten, veröffentlicht. Diese Erythrozythenkonzentrate werden als Arzneimittel
verkauft.
14 Das Ende der Angebotsfrist war für den 1. März 2006 vorgesehen. Der Lieferauftrag bestand aus fünf
verschiedenen Losen; Angebote konnten für jedes Los einzeln abgegeben werden. Die
ausgeschriebenen Rahmenverträge sollten eine Laufzeit von drei Jahren mit einer Option für eine
einmalige Verlängerung um drei weitere Jahre haben.
15 In Punkt 2.2. der Ausschreibungsbedingungen heißt es:
„Der Liefergegenstand muss ... dem österreichischen Arzneiwareneinfuhrgesetz in der geltenden
Fassung entsprechen, ... aus unbezahlt gewonnenen Spenden stammen und dem Stand der
Wissenschaft entsprechen.“
16 Punkt 6 („Ausfall der Lieferung“) der besonderen Vertragsbestimmungen sieht insbesondere vor:
„Der Auftragnehmer ist verpflichtet, die Versorgung sicherzustellen. Sollte es dennoch zu einem Verzug
oder Ausfall der Lieferung kommen, ist der Wiener Krankenanstaltenverbund (aufgrund seiner
Versorgungsverpflichtung) berechtigt, benötigte leukozytendepletierte Erythrozythenkonzentrate
außerhalb des Rahmenvertrages zu besorgen, wobei die dadurch entstandenen Mehr- und
Folgekosten der Auftragnehmer zu tragen hat.“
17 Zwei Bieter beteiligten sich an dem Verfahren, Humanplasma und das Österreichische Rote Kreuz. Wie
sich ergab, hatte Humanplasma für zwei der fünf Lose das günstigste Angebot unterbreitet.
18 In einem Begleitschreiben zu ihrem Angebot bestätigte Humanplasma, dass sie über sämtliche
erforderlichen Bewilligungen zur Erbringung der angebotenen Leistungen verfüge. Damit sei
gewährleistet, dass der Liefergegenstand im Zeitpunkt der Angebotslegung den in Punkt 2.2. der
Ausschreibungsbedingungen vorgegebenen Anforderungen entspreche. Hinsichtlich der künftigen
Rechtslage könne jedoch keine Gewährleistung bzw. Garantie übernommen werden; sollte eine
Änderung der Gesetzeslage und insbesondere des Arzneiwareneinfuhrgesetzes ihr die Einhaltung der
Verpflichtung zur Lieferung der fraglichen Produkte unmöglich machen, werde sie für etwaige Mehr-
und Folgekosten im Sinne von Punkt 6 der besonderen Vertragsbestimmungen keine Haftung
übernehmen.
19 Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass aufgrund der Änderung des Arzneiwareneinfuhrgesetzes
nach Ablauf der Angebotsfrist, die dahin ging, dass zur Transfusion eingeführte Blutprodukte – von
zwei Sonderfällen abgesehen – nicht mehr verkauft werden durften, wenn die Blutspenden nicht
gänzlich unbezahlt erfolgt waren, die von Humanplasma angebotenen Produkte, die nicht überwiegend
aus solchen Spenden stammten, den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mehr entsprachen.
20 Im Zuge der Angebotsprüfung forderte die ausschreibende Stelle Humanplasma auf, zu erklären, ob
sie die Einhaltung der in der Ausschreibung aufgestellten Lieferbedingungen gleichwohl garantieren
könne. Da Humanplasma diese Garantien nicht geben konnte, teilte die ausschreibende Stelle ihr mit,
dass ihr Angebot gemäß den nationalen Vergabebestimmungen ausgeschieden werde.
21 Der von Humanplasma beim Vergabekontrollsenat für Wien gestellte Antrag auf Nichtigerklärung der
Entscheidung, ihr Angebot auszuscheiden, wurde u. a. mit der Begründung zurückgewiesen, dass das
Angebot von Humanplasma den nationalen Bestimmungen nicht entspreche und nicht zuschlagsfähig
sei, da sie die Erbringung der ausgeschriebenen Leistungen zu den im Leistungsverzeichnis
festgelegten Voraussetzungen nicht garantieren könne. Die ausschreibende Stelle habe das Angebot
von Humanplasma daher zu Recht ausgeschieden.
22 Mit ihrer Klage gegen die Entscheidung des Vergabekontrollsenats für Wien begehrt Humanplasma
unter Berufung auf die Haftung des Staates für die Verletzung von Gemeinschaftsrecht die Zahlung
von Schadensersatz in Höhe von 840 000 Euro und die Erstattung von Nebengebühren. Zur Stützung
ihrer Klage machte sie geltend, § 7 Abs. 1a des Arzneiwareneinfuhrgesetzes stelle eine Maßnahme
gleicher Wirkung wie eine nach Art. 28 EG verbotene mengenmäßige Einfuhrbeschränkung dar. Da sie
ihre Produkte nicht überwiegend aus gänzlich unbezahlten Spenden erhalte, sei sie verpflichtet
gewesen, einen Vorbehalt zu setzen und auf die Unmöglichkeit der Einhaltung der Lieferbedingungen
für das betreffende Produkt hinzuweisen. Wäre das Arzneiwareneinfuhrgesetz nicht geändert worden,
hätte sie den Vorbehalt nicht setzen müssen, und ihr Angebot hätte nicht aus dem Vergabeverfahren
ausgeschieden werden dürfen.
23 Das mit der Rechtssache befasste Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien hat beschlossen, das
Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Steht Art. 28 EG (in Verbindung mit Art. 30 EG) der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen,
nach der die Einfuhr von Erythrozythenkonzentraten aus Deutschland nur unter der – auch für die
nationale Gewinnung von Erythrozythenkonzentraten geltenden – Vorgabe zulässig ist, dass die
Blutspende gänzlich unbezahlt (auch im Sinne eines Aufwandsersatzes) erfolgt ist?
Zur Vorlagefrage
24 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 28 EG in Verbindung mit Art. 30 EG
dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Einfuhr von Blut
oder Blutbestandteilen aus einem anderen Mitgliedstaat nur unter der auch für inländische Produkte
geltenden Bedingung zulässig ist, dass die Spender des Blutes, aus dem diese Produkte gewonnen
wurden, keinerlei Bezahlung, auch nicht im Sinne eines Aufwandsersatzes, erhalten haben.
25 Der freie Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ist ein elementarer Grundsatz des EG-Vertrags,
der in Art. 28 EG in dem Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten
sowie aller Maßnahmen gleicher Wirkung zum Ausdruck kommt (Urteil vom 5. Juni 2007, Rosengren
u. a., C‑170/04, Slg. 2007, I‑4071, Randnr. 31).
26 Das in Art. 28 EG aufgestellte Verbot von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige
Beschränkungen erfasst nach ständiger Rechtsprechung jede Regelung der Mitgliedstaaten, die
geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder
potenziell zu behindern (vgl. u. a. Urteile vom 11. Juli 1974, Dassonville, 8/74, Slg. 1974, 837, Randnr. 5,
Rosengren u. a., Randnr. 32, vom 20. September 2007, Kommission/Niederlande, C‑297/05, Slg. 2007,
I‑7467, Randnr. 53, und vom 8. November 2007, Ludwigs-Apotheke, C‑143/06, Slg. 2007, I‑9623,
Randnr. 26).
27 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die nationale Regelung, um die es
im Ausgangsverfahren geht, ein grundsätzliches Verbot der Einfuhr und des Inverkehrbringens von Blut
und Blutbestandteilen aus bezahlten Blutspenden enthält, wobei die Erstattung der Aufwendungen,
die dem Spender im Zusammenhang mit der Blutspende entstanden sind, nach dieser Regelung
ebenfalls als Bezahlung angesehen wird.
28 Das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verbot des Inverkehrbringens gilt in gleicher Weise für
Blutspenden, die in Österreich erfolgt sind, wie für Spenden, die in anderen Mitgliedstaaten
abgegeben wurden.
29 Da in einigen anderen Mitgliedstaaten im Einklang mit der Richtlinie 2002/98 die Aufwendungen für
Blutspenden erstattet werden, können Blut und Blutbestandteile, die in diesen Mitgliedstaaten
rechtmäßig gesammelt und in den Verkehr gebracht wurden, nicht nach Österreich eingeführt und
dort verkauft werden.
30 Daher ist festzustellen, dass, wie die österreichische Regierung im Übrigen ausdrücklich einräumt,
eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende geeignet ist, den
innergemeinschaftlichen Handelsverkehr zu behindern, und damit eine Maßnahme mit gleicher Wirkung
wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne des Art. 28 EG darstellt.
31 Um zu ermitteln, ob diese Regelung eine nach Art. 28 EG verbotene Beschränkung darstellt, ist weiter
zu prüfen, ob sie, wie insbesondere die österreichische Regierung und die Europäische Kommission
geltend gemacht haben, mit dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gerechtfertigt werden kann.
32 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Gesundheit der Bevölkerung den ersten
Rang unter den in Art. 30 EG geschützten Gütern und Interessen einnimmt und dass es Sache der
Mitgliedstaaten ist, in den durch den Vertrag gesetzten Grenzen zu bestimmen, auf welchem Niveau sie
den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht
werden soll (Urteile vom 11. Dezember 2003, Deutscher Apothekerverband, C‑322/01, Slg. 2003,
I‑14887, Randnr. 103, vom 13. Juli 2004, Kommission/Frankreich, C‑262/02, Slg. 2004, I‑6569, Randnr.
24, Rosengren u. a., Randnr. 39, und Ludwigs-Apotheke, Randnr. 27).
33 Im vorliegenden Fall steht fest, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung, mit der
nach den Angaben der österreichischen Regierung zum einen gewährleistet werden soll, dass das Blut
und
die
Blutbestandteile,
die
in
Österreich
verkauft
werden,
hohe
Qualitäts-
und
Sicherheitsanforderungen erfüllen, und zum anderen das in Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2002/98
verankerte Ziel, freiwillige, unbezahlte Blutspenden zu fördern, erreicht werden soll, den in Art. 30 EG
anerkannten Belangen des Gesundheitsschutzes Rechnung trägt. Diese Ziele können eine
Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs somit grundsätzlich rechtfertigen.
34 Nach der Rechtsprechung lässt sich jedoch eine Regelung, die eine durch den Vertrag gewährleistete
Grundfreiheit wie den freien Warenverkehr beschränken kann, nur dann mit Erfolg rechtfertigen, wenn
sie geeignet ist, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und nicht über das
hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. u. a. Urteile vom 8. Mai 2003, ATRAL,
C‑14/02, Slg. 2003, I‑4431, Randnr. 64, vom 7. Juni 2007, Kommission/Belgien, C‑254/05, Slg. 2007,
I‑4269, Randnr. 33, vom 13. März 2008, Kommission/Belgien, C‑227/06, Randnr. 61, und vom
11. September 2008, Kommission/Deutschland, C‑141/07, Slg. 2008, I‑6935, Randnr. 48).
35 Was erstens die Geeignetheit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung angeht, ergibt
sich aus dem 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/98, dass freiwillige, unbezahlte Blutspenden ein
Faktor sind, der zu hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Blut und Blutbestandteile und somit
zum Gesundheitsschutz beitragen kann.
36 Da eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende verhindert, dass Blutspender einen
finanziellen Vorteil aus ihrer Spende ziehen können, ist eine solche Regelung geeignet, diesen
Bedenken Rechnung zu tragen und die Qualität und Sicherheit von Blut und Blutbestandteilen zu
verbessern; sie ist daher als zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung geeignet anzusehen.
37 Den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass – wie die
österreichische Regierung geltend gemacht hat – eine Regelung der im Ausgangsverfahren in Rede
stehenden Art, die es verbietet, den Blutspendern eine Erstattung z. B. der Fahrtkosten zu gewähren,
die sie aufgewendet haben, um sich zu der ihrer Wohnung oder ihrem Arbeitsplatz am nächsten
gelegenen Blutspendeeinrichtung zu begeben, geeignet ist, die Betroffenen zum Spenden von Blut zu
ermutigen. Daher ist festzustellen, dass mit einer solchen Regelung das zweite Ziel, das mit der
nationalen Regelung verfolgt werden soll, nicht erreicht werden kann.
38 Was zweitens die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Regelung der im Ausgangsverfahren in
Rede stehenden Art betrifft, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es, da Art. 30
EG eine eng auszulegende Ausnahme vom Grundsatz des freien Warenverkehrs innerhalb der
Gemeinschaft darstellt, Sache der nationalen Behörden ist, nachzuweisen, dass diese Regelung
erforderlich ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen, und dass dieses Ziel nicht durch Verbote oder
Beschränkungen
erreicht
werden
könnte,
die
weniger
umfangreich
sind
oder
den
innergemeinschaftlichen Handel weniger beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juli
1994, Van der Veldt, C‑17/93, Slg. 1994, I‑3537, Randnr. 15, vom 23. Oktober 1997, Franzén, C‑189/95,
Slg. 1997, I‑5909, Randnrn. 75 und 76, vom 28. September 2006, Ahokainen und Leppik, C‑434/04, Slg.
2006, I‑9171, Randnr. 31, und Rosengren u. a., Randnr. 50).
39 Nach der in Randnr. 32 des vorliegenden Urteils angeführten ständigen Rechtsprechung des
Gerichtshofs ist zwar bei der Prüfung, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Bereich der
Gesundheit der Bevölkerung beachtet worden ist, zu berücksichtigen, dass der Mitgliedstaat
bestimmen kann, auf welchem Niveau er den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten will
und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Da dieses Niveau sich von einem Mitgliedstaat zum
anderen unterscheiden kann, ist den Mitgliedstaaten ein Beurteilungsspielraum zuzuerkennen (Urteil
Kommission/Deutschland, Randnr. 51).
40 Zudem bedeutet die bloße Tatsache, dass ein Mitgliedstaat Vorschriften erlässt, die weniger streng
sind als die in einem anderen Mitgliedstaat geltenden, nicht, dass Letztere mit den Art. 28 EG und 30
EG unvereinbar sind (vgl. u. a. Urteil Kommission/Deutschland, Randnr. 51).
41 Der Umstand, dass mehrere andere Mitgliedstaaten eine Erstattung der den Blutspendern
entstandenen Aufwendungen vorsehen, kann jedoch bei der Beurteilung der für die österreichische
Regelung vorgebrachten objektiven Rechtfertigung und insbesondere bei der Beurteilung ihrer
Verhältnismäßigkeit relevant sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Januar 2010,
Kommission/Frankreich, C‑333/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 105).
42 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wie sich u. a. aus Art. 21 der Richtlinie 2002/98 ergibt, jede
Blutspende, um die Qualität und die Sicherheit von Blut und Blutbestandteilen sicherzustellen, gemäß
den Anforderungen in Anhang IV der Richtlinie getestet werden muss, wobei es auf der Hand liegt,
dass diese Anforderungen nach Maßgabe des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts der
Weiterentwicklung bedürfen.
43 Daher ist die Vorgabe, dass die Blutspende ohne jede Erstattung der dem Spender entstandenen
Aufwendungen erfolgt sein muss, für sich genommen jedenfalls nicht erforderlich, um die Qualität und
die Sicherheit von Blut und Blutbestandteilen zu gewährleisten.
44 Diese Feststellung wird dadurch bestätigt, dass die Richtlinie 2002/98 und die Empfehlung R (95) 14,
auf die diese Richtlinie Bezug nimmt, zwar den Schutz der Gesundheit der Spender und der Empfänger
von Blut dadurch verbessern sollen, dass sie Normen und Grundsätze aufstellen, denen die freiwilligen
und unbezahlten Blutspenden entsprechen müssen; sie schreiben jedoch nicht vor, dass die Spenden
gänzlich unbezahlt sein müssen, sondern sehen vor, dass geringfügige Anerkennungen, Erfrischungen
und die Erstattung der mit der Spende verbundenen An- und Abreisekosten mit der freiwilligen und
unbezahlten Spende vereinbar sind, so dass diese Elemente nicht als geeignet anzusehen sind, die
Qualität und die Sicherheit dieser Spenden sowie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zu
beeinträchtigen.
45 Aus diesen Erwägungen ist zu folgern, dass eine Regelung der im Ausgangsverfahren in Rede
stehenden Art über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Ziels, die Qualität und die
Sicherheit von Blut und Blutbestandteilen zu gewährleisten, erforderlich ist.
46 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 28 EG in Verbindung mit Art. 30 EG
dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Einfuhr von Blut
oder Blutbestandteilen aus einem anderen Mitgliedstaat nur unter der auch für inländische Produkte
geltenden Bedingung zulässig ist, dass die Spender des Blutes, aus dem diese Produkte gewonnen
wurden, nicht nur keine Bezahlung, sondern auch keine Erstattung der Aufwendungen erhalten haben,
die ihnen im Rahmen dieser Spenden entstanden sind.
Kosten
47 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses
Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind
nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 28 EG in Verbindung mit Art. 30 EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen
Regelung entgegensteht, nach der die Einfuhr von Blut oder Blutbestandteilen aus einem
anderen Mitgliedstaat nur unter der auch für inländische Produkte geltenden Bedingung
zulässig ist, dass die Spender des Blutes, aus dem diese Produkte gewonnen wurden,
nicht nur keine Bezahlung, sondern auch keine Erstattung der Aufwendungen erhalten
haben, die ihnen im Rahmen dieser Spenden entstanden sind.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Deutsch.