Urteil des EuGH vom 12.07.2001

EuGH: erstellung, klage auf nichtigerklärung, ausführung, gemeindeverwaltung, eigentümer, offenes verfahren, verwaltungsrechtlicher vertrag, beitrag, bauherr, regierung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
12. Juli 2001
„Öffentliche Bauaufträge - Richtlinie 93/37/EWG - Nationale Rechtsvorschriften, wonach der durch eine
Baugenehmigung und einen genehmigten Erschließungsplan Berechtigte Erschließungsanlagen unter Abzug
der Kosten von einem Beitrag unmittelbar errichten darf - Nationale Rechtsvorschriften, wonachBehörden mit
einem Einzelnen unmittelbar den Inhalt ihn betreffender Verwaltungsakte aushandeln dürfen“
In der Rechtssache C-399/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Tribunale
amministrativo regionale per la Lombardia (Italien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Ordine degli Architetti delle Province di Milano et Lodi,
Piero De Amicis,
Consiglio Nazionale degli Architetti,
Leopoldo Freyrie
gegen
Comune di Milano,
Streithelferinnen:
Pirelli SpA,
Milano Centrale Servizi SpA,
Fondazione Teatro alla Scala,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom
14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann sowie der Richter V. Skouris (Berichterstatter), J.-P.
Puissochet und R. Schintgen und der Richterin F. Macken,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- des Ordine degli Architetti delle Province di Milano e Lodi und von P. De Amicis, vertreten durch P. Mantini,
avvocato,
- des Consiglio Nazionale degli Architetti und von L. Freyrie, vertreten durch A. Tizzano, avvocato,
- der Stadt Mailand, vertreten durch F. A. Roversi Monaco, G. Pittalis, S. De Tuglie, L. G. Radicati di Brozolo,
avvocati, und A. Kronshagen, avocat,
- der Pirelli SpA, vertreten durch G. Sala, A. Pappalardo und G. Greco, avvocati,
- der Milano Centrale Servizi SpA, vertreten durch G. Sala, A. Pappalardo und L. Decio, avvocati,
- der Fondazione Teatro alla Scala, vertreten durch P. Barile, S. Grassi und V. D. Gesmundo, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch U. Leanza als Bevollmächtigten zunächst im Beistand von P.
G. Ferri und sodann von M. Fiorilli, avvocati dello Stato,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Stancanelli und M. Molin als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Ordine degli Architetti delle Province di Milano e Lodi,
vertreten durch P. Mantini, des Consiglio Nazionale degli Architetti, vertreten durch F. Sciaudone, avvocato,
der Stadt Mailand, vertreten durch L. Radicati di Brozolo, der Pirelli SpA, vertreten durch G. Sala, A.
Pappalardo und G. Greco, der Milano Centrale Servizi SpA, vertreten durch L. Decio, der Fondazione Teatro
alla Scala, vertreten durch V. D. Gesmundo, der italienischen Regierung, vertreten durch M. Fiorilli, und der
Kommission, vertreten durch P. Stancanelli, in der Sitzung vom 12. Oktober 2000,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Dezember 2000,
folgendes
Urteil
1.
Das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia hat mit Beschluss vom 11. Juni 1998, beim
Gerichtshof eingegangen am 9. November 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG)
zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur
Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54, im Folgenden:
Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich im Zusammenhang mit zwei Klagen gegen die Stadt Mailand, von denen
die vom Ordine degli Architetti delle Province di Milano e Lodi (Architektenkammer der Provinzen
Mailand und Lodi, im Folgenden: Ordine degli Architetti) und von den Architekten P. de Amicis und die
andere vom Consiglio Nazionale degli Architetti (Nationaler Architektenrat, im Folgenden: CNA) und
vom Architekten L. Freyrie erhoben wurde. Den Unternehmen Pirelli SpA (im Folgenden: Pirelli) und
Milano Centrale Servizi SpA (im Folgenden: MCS) sowie der Fondazione Teatro alla Scala, früher Ente
Autonomo Teatro alla Scala (im Folgenden: FTS), wurde der Streit verkündet.
Rechtlicher Rahmen
3.
Die Richtlinie wurde auf der Grundlage der Artikel 57 Absatz 2 (nach Änderung jetzt Artikel 47 Absatz
2 EG), 66 (jetzt Artikel 55 EG) und 100a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 95 EG) erlassen.
4.
Laut ihrer zweiten Begründungserwägung erfordert die „gleichzeitige Verwirklichung der
Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen
Bauaufträge, die in den Mitgliedstaaten für Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften sowie
sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts vergeben werden, ... neben der Aufhebung
der Beschränkungen eine Koordinierung der einzelstaatlichen Verfahren zur Vergabe öffentlicher
Bauaufträge“.
5.
In ihrer zehnten Begründungserwägung heißt es: „Damit auf dem Gebiet des öffentlichen
Auftragwesens ein echter Wettbewerb entsteht, ist es erforderlich, dass die beabsichtigten
Auftragsvergaben der öffentlichen Auftraggeber der Mitgliedstaaten in der gesamten Gemeinschaft
bekannt gemacht werden.“
6.
Artikel 1 Buchstaben a, b und c der Richtlinie bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie
a) gelten als : die zwischen einem Unternehmer und einem unter Buchstabe
b) näher bezeichneten öffentlichen Auftraggeber geschlossenen schriftlichen entgeltlichen Verträge
über entweder die Ausführung oder gleichzeitig die Ausführung und die Planung von Bauvorhaben im
Zusammenhang mit einer der in Anhang II genannten Tätigkeiten oder eines Bauwerks im Sinne des
Buchstabens c) oder die Erbringung einer Bauleistung durch Dritte, gleichgültig mit welchen Mitteln,
gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen;
b) gelten als : der Staat, Gebietskörperschaften, Einrichtungen des
öffentlichen Rechts und Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder
Einrichtungen bestehen.
...
c) ist ein das Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- oder Hochbauarbeiten, das seinem
Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll.“
7.
Die „in Anhang II genannten Tätigkeiten“, die Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie erwähnt, sind
Tätigkeiten des Baugewerbes gemäß Klasse 50 des Allgemeinen Verzeichnisses der wirtschaftlichen
Tätigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft (NACE). Darunter fällt ausdrücklich die Tätigkeitsgruppe
des Hausbaugewerbes.
8.
Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Konzessionäre, die nicht selbst öffentliche Auftraggeber
sind, bei den von ihnen an Dritte vergebenen Aufträgen die in Artikel 11 Absätze 4, 6, 7 und 9 bis 13
und in Artikel 16 enthaltenen Bekanntmachungsvorschriften anwenden, wenn der Auftragswert 5 000
000 [Euro] oder mehr beträgt.“
9.
Die Artikel 4 und 5 der Richtlinie nennen die Arten von Aufträgen, für die die Richtlinie nicht gilt.
Dies sind die Bauaufträge, die unter die Richtlinie 90/531/EWG des Rates vom 17. September 1990
betreffend die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und
Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 297, S. 1) fallen, für geheim erklärte
Bauaufträge, wenn ihre Ausführung besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordert oder der Schutz
wesentlicher Interessen des Mitgliedstaats es gebietet, und öffentliche Aufträge, die anderen
Verfahrensregeln unterliegen und nach bestimmten internationalen Abkommen oder nach einem
besonderen Verfahren einer internationalen Organisation vergeben werden.
10.
Die Richtlinie gilt nach ihrem Artikel 6 Absatz 1 für öffentliche Bauaufträge, deren geschätzter
Auftragswert ohne Mehrwertsteuer 5 Millionen Euro oder mehr beträgt.
11.
Was die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge angeht, so führt Artikel 7 Absätze 2 und 3
der Richtlinie die Fälle auf, in denen die öffentlichen Auftraggeber das Verhandlungsverfahren
anwenden dürfen, das Artikel 1 Buchstabe g der Richtlinie als ein Verfahren definiert, bei dem „die
öffentlichen Auftraggeber ausgewählte Unternehmen ansprechen und mit einem oder mehreren
dieser Unternehmen über die Auftragsbedingungen verhandeln“.
12.
Gemäß Artikel 7 Absatz 2 muss dem Verhandlungsverfahren in drei Fällen eine
Vergabebekanntmachung vorausgehen. Artikel 7 Absatz 3 führt hingegen fünf Fälle auf, in denen dem
Verhandlungsverfahren keine Vergabebekanntmachung vorausgehen muss, nämlich erstens, wenn
sich ein offenes oder nicht offenes Verfahren als vergebens erweist, zweitens, wenn die Leistung aus
tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nur von einem bestimmten Unternehmer erbracht werden
kann, drittens bei zwingenden, dringlichen Gründen im Zusammenhang mit für die Auftraggeber
unvorhersehbaren Ereignissen, viertens bei zusätzlichen Bauarbeiten für einen bereits vergebenen
Auftrag und fünftens bei Wiederholung gleichartiger Bauleistungen, nachdem im offenen oder nicht
offenen Verfahren schon ein erster Auftrag vergeben worden war.
13.
In allen anderen Fällen vergibt der öffentliche Auftraggeber gemäß Artikel 7 Absatz 4 der Richtlinie
seine Bauaufträge im offenen oder nicht offenen Verfahren.
14.
Nach Artikel 11 Absatz 2 teilen öffentliche Auftraggeber, die einen Bauauftrag im Wege eines
offenen, eines nicht offenen oder - in den Fällen des Artikels 7 Absatz 2 - eines
Verhandlungsverfahrens vergeben wollen, ihre Absicht in einer Bekanntmachung mit.
15.
Die Bekanntmachung ist gemäß Artikel 11 Absatz 9 in vollem Umfang im
zu veröffentlichen.
Italienisches Städtbaurecht
16.
Laut den Akten wird die Bautätigkeit nach italienischem Recht von der öffentlichen Verwaltung
überwacht. Gemäß Artikel 1 des Gesetzes Nr. 10 vom 27. Januar 1977 über Bauland (Legge n° 10,
norme per la edificabilità dei suoli, GURI Nr. 27 vom 29. Januar 1977, im Folgenden: Gesetz Nr. 10/77)
ist „jede Tätigkeit, die das Gemeindegebiet städtebaulich und baulich verändert, mit einer Beteiligung
an den daraus entstehenden Kosten verbunden; für die Ausführung der Arbeiten ist eine
Genehmigung des Bürgermeisters erforderlich“.
17.
Nach Artikel 3 mit der Überschrift „Beitrag bei Erteilung der Baugenehmigung“ des Gesetzes Nr.
10/77 ist bei „Erteilung der Genehmigung ein Beitrag zu entrichten, dessen Höhe sich nach den
Erschließungs- und Baukosten richtet“ (im Folgenden: Erschließungsbeitrag).
18.
Der Erschließungsbeitrag wird bei Erteilung der Genehmigung an die Gemeinde gezahlt. Nach
Artikel 11 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 10/77 kann sich aber „der Genehmigungsinhaber ... verpflichten,
die Erschließungsanlagen nach Modalitäten und mit Garantien, die die Gemeinde festsetzt,
unmittelbar zu erstellen, und die Kosten hierfür ganz oder teilweise vom geschuldeten Betrag
abziehen“.
19.
Gemäß Artikel 4 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 847 vom 29. September 1964 über die Ermächtigung der
Gemeinden und Gemeindeverbände zur Darlehensaufnahme für den Grundstückserwerb gemäß dem
Gesetz Nr. 167 vom 18. April 1962 (Legge n° 847, autorizzazione ai Comuni e loro consorzi a contrarre
mutui per l'acquisizione delle aree ai sensi della legge 18 aprile 1962, n° 167), geändert durch Artikel
44 des Gesetzes Nr. 865 vom 22. Januar 1971 und Artikel 17 des Gesetzes Nr. 67 vom 11. März 1988
(im Folgenden: Gesetz Nr. 847/64), sind primäre Erschließungsanlagen die Gemeindestraßen,
Erholungs- und Parkflächen, Wasserversorgung und -entsorgung, Strom- und Gasversorgung,
öffentliche Beleuchtungsanlagen und Grünflächen.
20.
Sekundäre Erschließungsanlagen sind nach Artikel 4 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 847/64 Kinderhorte
und Kindergärten, Pflichtschulen sowie Anlagen und Gebäude für weiterführende Schulen,
Stadtteilmärkte, Außenstellen der Stadtverwaltung, Kirchen und andere Kultstätten, Stadtteil-
Sportanlagen, Sozialzentren sowie kulturelle und Gesundheitseinrichtungen und Stadtteil-
Grünanlagen.
21.
Eine ähnliche Regelung wie Artikel 11 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 10/77, aber nur für primäre
Erschließungsarbeiten, enthielt bereits Artikel 31 Absatz 4 des Gesetzes Nr. 1150 vom 17. August
1942 über Städtebau (Legge urbanistica, GURI Nr. 244 vom 17. August 1942) in der Fassung des
Rahmengesetzes Nr. 765 vom 6. August 1967 (im Folgenden: Gesetz Nr. 1150/42), wonach die
„Baugenehmigung ... in sämtlichen Fällen nur erteilt werden [kann], wenn primäre
Erschließungsanlagen vorhanden sind oder die Gemeinde ihre Erstellung in den nächsten drei Jahren
plant oder wenn sich Privatpersonen verpflichten, die Erschließungsanlagen gleichzeitig mit dem
genehmigten Bauwerk zu erstellen“.
22.
Speziell für die koordinierte Errichtung eines Komplexes von Bauwerken auf der Grundlage eines
Erschließungsplans - wie im Ausgangssachverhalt - bestimmt Artikel 28 Absatz 5 des Gesetzes Nr.
1150/42:
„Die Gemeinde erteilt die Genehmigung erst nach Abschluss eines Vertrages, den der Eigentümer
registrieren lassen muss und der vorsieht:
1. ... die unentgeltliche Übereignung der für die sekundären Erschließungsanlagen benötigten
Flächen im Rahmen von Nummer 2;
2. die Verpflichtung des Eigentümers zur Übernahme der Kosten für die primären
Erschließungsanlagen und einen Teil der sekundären Erschließungsanlagen des Erschließungsgebiets
oder für den Anschluss des Gebietes an das öffentliche Versorgungsnetz; dieser Teil bestimmt sich
nach der Größe und den Merkmalen der geplanten Bebauung des Erschließungsgebiets;
3. die Frist für die Erstellung der in Nummer 2 genannten Anlagen, die zehn Jahre nicht überschreiten
darf.“
23.
Nach Absatz 7 dieses Artikels beträgt „die Frist für die dem Eigentümer obliegende Erstellung der
Erschließungsanlagen zehn Jahre“.
24.
Was die regionalen Rechtsvorschriften anbelangt, so sieht Artikel 8 des Regionalgesetzes Nr. 60
der Lombardei vom 5. Dezember 1977 ( Nr. 49 vom 12.
Dezember 1977, Beilage 2, im Folgenden: Regionalgesetz Nr. 60/77 der Lombardei) vor, dass
Privatpersonen in ihrem Antrag auf Erteilung einer einfachen Baugenehmigung beantragen können,
„ihnen die unmittelbare Herstellung einer oder mehrerer primärer oder sekundärer
Erschließungsanlagen zu genehmigen und die Kosten hierfür ganz oder teilweise vom
Erschließungsbeitrag abzuziehen“; der Bürgermeister genehmigt dies, „wenn die unmittelbare
Erstellung nach seiner Auffassung im öffentlichen Interesse liegt“.
25.
Die Errichtung in einem Erschließungsplan vorgesehener Erschließungsanlagen unterliegt dagegen
Artikel 12 des Regionalgesetzes Nr. 60/77 der Lombardei in der Fassung des Regionalgesetzes Nr. 31
vom 30. Juli 1986 ( Nr. 31 vom 4. August 1986, Beilage 2, im
Folgenden: Regionalgesetz Nr. 31/86 der Lombardei), dessen Absatz 1 bestimmt:
„[D]er Vertrag, von dessen Abschluss die Erteilung der Baugenehmigungen für die in
Erschließungsplänen ausgewiesene Maßnahmen abhängt, muss vorsehen:
a) ...;
b) die Erstellung aller primären Erschließungsanlagen und eines Teils der sekundären
Erschließungsanlagen oder der für den Anschluss des Gebietes an das öffentliche Versorgungsnetz
erforderlichen Anlagen durch die Eigentümer ...; sind die für die Erstellung der Anlagen aufgewandten
Kosten niedriger als die nach diesem Gesetz jeweils für die primäre und sekundäre Erschließung
vorgesehenen Kosten, so ist der Unterschiedsbetrag zu entrichten; die Gemeinde kann in jedem Fall
anstelle der unmittelbaren Erstellung der Anlagen die Entrichtung eines Beitrags verlangen, der den
tatsächlichen Erschließungkosten und der Größe und den Merkmalen der geplanten Bebauung
entspricht, der aber jedenfalls nicht unter den durch den Gemeinderatsbeschluß gemäß Artikel 3
dieses Gesetzes festgesetzten Kosten liegen darf.“
26.
Artikel 22 Buchstabe b des Regionalgesetzes Nr. 51 der Lombardei vom 15. April 1975 enthält
überdies eine Liste sekundärer Erschließungsanlagen, in der auch die kulturellen Einrichtungen
aufgeführt sind.
Italienisches Verwaltungsverfahrensrecht
27.
Gemäß Artikel 11 des Gesetzes Nr. 241 vom 17. August 1990 über neue
Verwaltungsverfahrensvorschriften und das Akteneinsichtsrecht (Legge Nr. 241, nuove norme in
materia di procedimento amministrativo e di diritto di accesso ai documenti amministrativi, GURI Nr.
192 vom 18. August 1992, im Folgenden: Gesetz Nr.241/90) kann die Verwaltung „unbeschadet der
Rechte Dritter und ausschließlich im öffentlichen Interesse mit den Beteiligten Verträge schließen, um
den Inhalt einer abschließenden Ermessensentscheidung festzulegen oder diese in den gesetzlich
vorgesehenen Fällen durch solche Verträge zu ersetzen“.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
28.
Laut Vorlagebeschluss wurde das Ausgangsverfahren, das zum vorliegenden
Vorabentscheidungsersuchen geführt hat, durch zwei Anfechtungsklagen gegen die Beschlüsse Nrn.
82/96 und 6/98 des Stadtrats von Mailand (im Folgenden: angefochtene Beschlüsse) eingeleitet.
29.
Mit dem Beschluss Nr. 82/96 vom 12. September 1996 billigte der Stadtrat von Mailand den Plan für
das verschiedene Maßnahmen umfassende Bauprojekt „Scala 2001“.
30.
Das Projekt sah folgende Baumaßnahmen vor:
- die Restaurierung und den Umbau des historischen Gebäudes des Teatro alla Scala mit einer
Fläche von etwa 30 000 m
2
;
- den Umbau der städtischen Gebäude des Ansaldo-Komplexes;
- den Bau eines neuen Theaters im Bicocca-Viertel (gemeinhin als Teatro alla Bicocca und offiziell als
Teatro degli Arcimboldi bezeichnet) mit etwa 2 300 Plätzen auf einer Fläche von 25 000 m
2
(zuzüglich 2
000 m
2
Parkfläche), in dem zunächst während der erforderlichen Bauzeit für Restaurierung und Umbau
des Teatro alla Scala dessen Theaterbetrieb fortgeführt werden sollte; anschließend sollte das
Gebäude allen erforderlichen Tätigkeiten für die Aufführung von Theatervorstellungen und für
sonstige Kulturveranstaltungen dienen.
31.
Wie aus den Akten hervorgeht, wurde damals im Bicocca-Viertel ein privates Großbauvorhaben, das
sogenannte „Bicocca-Projekt“, verwirklicht, in dessen Rahmen dieses frühere Industriegebiet
städtebaulich umgestaltet und große Gebäudekomplexe umgebaut wurden; Pirelli war zusammen mit
anderen Privatunternehmen Grundeigentümerin und Bauträgerin des Projekts. Zur Zeit der dem
Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Vorgänge stand das 1990 begonnene private Projekt kurz vor
der Vollendung. Im Rahmen der städtebaulichen Maßnahmen, die die Stadt Mailand für die
betroffenen Flächen geplant hatte, hatte sie bereits die Errichtung einer der Allgemeinheit dienenden
Anlage mit „Mehrzweckcharakter“ vorgesehen. Wie sie beschlossen hatte, sollte das im Rahmen des
Projekts „Scala 2001“ neu zu errichtende Theater in diese Anlage einbezogen werden.
32.
Mit dem Beschluss Nr. 82/96 nahm der Stadtrat von Mailand außerdem verschiedene
Verpflichtungen für die Durchführung der Arbeiten, die Fristen und die Finanzierung des Projekts
„Scala 2001“ an, indem er einen besonderen Vertrag der Stadt Mailand mit Pirelli, mit der Ente
Autonomo Teatro alla Scala und mit MCS als Beauftragtem der Bauträger des Bicocca-Projekts billigte.
In diesem am 18. Oktober 1996 unterzeichneten Vertrag waren u. a. für die Teil „Bicocca“ des Projekts
„Scala 2001“ folgende Durchführungsmodalitäten festgelegt:
- Pirelli sollte die Kosten für die Koordinierung der Vorplanung, der endgültigen Planung und der
Ausführungsplanung sowie der Durchführung der Restaurierung des Teatro alla Scala, des Umbaus
des Ansaldo-Komplexes und der Errichtung des Teatro alla Bicocca übernehmen, wobei die konkrete
Koordinierungstätigkeit MCS übertragen werden sollte;
- MCS als Beauftragte der Träger des Bauprojekts sollte im davon betroffenen Gebiet auf einem
eigens dafür vorgesehenen Grundstück, das die Bauträger der Stadt Mailand kostenlos zu übereignen
hatten, das Teatro alla Bicocca (mit Park- und Nebenanlagen) als sekundäre Erschließungsanlage
errichten und die Kosten hierfür von den der Stadt Mailand nach nationalem und regionalem Recht
geschuldeten Erschließungsbeiträgen abziehen. Diese Verpflichtung von MSC war auf die Errichtung
des „äußeren Baukörpers“ des Gebäudes mit Vorkehrungen für alle Installationen beschränkt. MSC
hatte das Gebäude bis Ende Ende 1998 zu übergeben;
- die gesamte Innenausstattung des Teatro alla Bicocca oblag der Stadt Mailand, die dafür einen
öffentlichen Bauauftrag ausschreiben sollte.
33.
Der Ordine degli Architetti und Herr De Amicis erhoben beim Tribunale amministrativo regionale per
la Lombardia Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses Nr. 82/96.
34.
Nachdem die neue Stadtverwaltung, die das Teatro alla Bicocca für ein größeres Publikum als das
Teatro alla Scala auslegen wollte, Anfang 1998 neue Grundentscheidungen getroffen hatte, fasste
der Stadtrat von Mailand am 16. und 17. Februar 1998 den Beschluss Nr. 6/98, mit dem er u. a.
- den Vorentwurf für den Bau des neuen Theaters im Bicocca-Viertel genehmigte;
- bestätigte, dass das Bauwerk teilweise von den Bauträgern „gemäß ihren vertraglichen
Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Erschließungsplan“ mit einem Kostenaufwand von 25
Milliarden ITL unmittelbar erstellt und teilweise im Wege einer Ausschreibung der Stadt Mailand
errichtet werden sollte;
- den Vertrag vom 18. Oktober 1996 hinsichtlich der Fristen für die Durchführung bestimmter
geplanter Maßnahmen änderte; dabei wurde der Zeitpunkt für die Fertigstellung des Teatro alla
Bicocca auf den 31. Dezember 2000 festgesetzt.
35.
Der CNA und Herr Freyrie erhoben beim Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia Klage
auf Nichtigerklärung des Beschlusses Nr. 6/98.
36.
Mit ihren beiden Anfechtungsklagen, die das vorlegende Gericht verbunden hat, machen die Kläger
geltend, die angefochtenen Beschlüsse seien nach italienischem Städtebau- und Vergaberecht sowie
nach Gemeinschaftsrecht ungültig. Zum Gemeinschaftsrecht führen sie aus, das Teatro alla Bicocca
falle unter den Begriff eines öffentlichen Bauwerks, so dass der Stadtrat ein gemeinschaftliches
Ausschreibungsverfahren hätte durchführen müssen; stattdessen habe er den Auftrag mit den
angefochtenen Beschlüssen unter Schädigung der berufsständischen Interessen des Ordine degli
Architetti und der klagenden Architekten willkürlich vergeben.
37.
Das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia führt im Vorlagebeschluss aus, die Stadt
Mailand habe das italienische nationale und regionale Städtebaurecht fehlerfrei angewandt. Da es
aber für fraglich hält, ob diese Rechtsvorschriften, wonach eine Erschließungsanlage auch oberhalb
des Schwellenwerts der Richtlinie ohne vorherige Ausschreibung errichtet werden dürfe, nicht
unangewendet bleiben müssten, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende
Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Verstoßen die nationalen und regionalen Rechtsvorschriften, wonach ein (durch eine
Baugenehmigung und einen genehmigten Erschließungsplan berechtigter) Bauherr
Erschließungsanlagen selbst erstellen und die Kosten hierfür ganz oder teilweise vom geschuldeten
Erschließungsbeitrag abziehen darf (Artikel 11 des Gesetzes Nr. 10/77, Artikel 28 und 31 des Gesetzes
Nr. 1150 vom 17. August 1942 und Artikel 8 und 12 des Regionalgesetzes Nr. 60 der Lombardei vom 5.
Dezember 1977), gegen die Richtlinie 93/37/EWG oder den den Mitgliedstaaten durch die
Gemeinschaftsrechtsordnung vorgeschriebenen strikten Grundsatz, dass öffentliche Aufträge im Wert
von 5 Millionen ECU oder mehr stets im Ausschreibungsverfahren zu vergeben sind?
2. Können (gemäß Artikel 11 des Gesetzes Nr. 241 vom 7. August 1990 generell zulässige)
Vereinbarungen zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Einzelnen auf Gebieten, die
dadurch gekennzeichnet sind, dass die Verwaltung einen Einzelnen auswählt und mit ihm die
Erbringung bestimmter Leistungen vereinbart, in Fällen, in denen diese Leistungen den in den
einschlägigen Richtlinien vorgesehenen Schwellenwert überschreiten, trotz der erwähnten
grundsätzlichen Pflicht zur Durchführung von Ausschreibungen als mit dem Gemeinschaftsrecht
vereinbar angesehen werden?
Zur ersten Vorlagefrage
38.
Die Stadt Mailand und die FTS bestreiten, dass zwischen der ersten Frage und dem
Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens ein Zusammenhang bestehe.
39.
Da Kläger des Ausgangsverfahrens Architekten und deren Berufsvertretungen seien, habe das
vorlegende Gericht ihre Klagen nur zugelassen, soweit sie die Vergabe der Planungsarbeiten für das
Teatro alla Bicocca beträfen, nicht aber hinsichtlich der Ausführung der Bauarbeiten. Eine solche
Planungsarbeit sei eine Dienstleistung. Mit der ersten Frage werde aber eine Auslegung der Richtlinie
93/37 begehrt, die öffentliche Bauaufträge regele, nicht hingegen öffentliche Dienstleistungsaufträge,
für die die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur
Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge gelte (ABl. L 209, S. 1).
40.
Da die fraglichen Planungsarbeiten der Stadt Mailand einfach zur Verfügung gestellt worden seien,
gehörten ihre Kosten außerdem nicht zu den Baukosten des Teatro alla Bicocca, dessen unmittelbare
Errichtung „unter Abzug der Kosten“ vom Erschließungsbeitrag angeblich Interessen der Architekten
beeinträchtigt habe.
41.
Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen der durch Artikel 177 EG-Vertrag geschaffenen
Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem
Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende
gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die
Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem
Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. u. a. Urteil in der Rechtssache C-379/98 vom 13.
März 2001, PreussenElektra, Slg. 2001, I-2099, Randnr. 38). Der Gerichtshof kann die Entscheidung
über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des
Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand
des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über
die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm
vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteil PreussenElektra, Randnr. 39).
42.
Ausweislich des Vorlagebeschlusses fechten die Kläger des Ausgangsverfahrens die fraglichen
Beschlüsse im vorliegenden Fall an, weil diese die unmittelbare Errichtung eines öffentlichen
Bauwerks, nämlich des Teatro alla Bicocca, ohne Durchführung eines gemeinschaftlichen
Ausschreibungsverfahrens zuließen und damit ihre Interessen schädigten. Dem Vorlagebeschluss ist
weiter zu entnehmen, dass ihre Klagen für zulässig erklärt wurden.
43.
Es steht außer Zweifel, dass, hätte für die Errichtung des Teatro alla Bicocca ein
gemeinschaftliches Ausschreibungsverfahren durchgeführt werden müssen, dieses auchdie Seite der
Planungsarbeiten hätte erfassen können. Dass dies im Rahmen der Richtlinie möglich ist, bestätigt
auch der Wortlaut ihres Artikels 1 Buchstabe a, wonach „öffentliche Bauaufträge“ im Sinne der
Richtlinie Verträge entweder über die Ausführung oder gleichzeitig die Ausführung und die Planung
von Bauvorhaben sind.
44.
Das Argument, die erste Frage habe keinen Bezug zum Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens,
weil sie die Auslegung der Richtlinie betreffe, ist deshalb zurückzuweisen.
45.
Demnach ändert auch das Argument, die Planungsarbeiten für das Teatro alla Bicocca seien
unentgeltlich geleistet worden, nichts an der Relevanz der ersten Frage.
46.
Diese Frage ist daher zu beantworten.
47.
Die erste Vorlagefrage geht dahin, ob die im Ausgangsverfahren einschlägigen nationalen und
regionalen Vorschriften, wonach eine Erschließungsanlage unmittelbar errichtet werden darf und die
Kosten dafür vom geschuldeten Beitrag abgezogen werden dürfen, mit der Richtlinie vereinbar sind.
48.
Vorab ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof in einem nach Artikel 177 EG-Vertrag
eingeleiteten Verfahren nicht zur Entscheidung über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit
dem Gemeinschaftsrecht befugt ist. Er kann jedoch dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur
Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben, die es diesem ermöglichen, die Frage der Vereinbarkeit
bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens zu beurteilen (vgl. u. a. Urteil vom 30. April
1998 in den Rechtssachen C-37/96 und C-38/96, Sodiprem u. a., Slg. 1998, I-2039, Randnr. 22).
49.
Die erste Frage ist deshalb dahin aufzufassen, dass das vorlegende Gericht mit ihr wissen möchte,
ob die Richtlinie nationalen städtebaurechtlichen Vorschriften entgegensteht, wonach ein Bauherr,
der sich auf eine Baugenehmigung und einen genehmigten Erschließungsplan stützen kann, eine
Erschließungsanlage, deren Wert den in der Richtlinie festgesetzten Schwellenwert erreicht oder
höher ist, unmittelbar erstellen und die Kosten hierfür ganz oder teilweise von dem wegen der
Baugenehmigung geschuldeten Beitrag abziehen kann.
50.
Um die so umformulierte Frage zu beantworten, ist zu prüfen, ob die unmittelbare Erstellung einer
Erschließungsanlage wie die des Ausgangsverfahrens einen öffentlichen Bauauftrag im Sinne von
Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie bildet.
51.
Nach der in dieser Bestimmung gegebenen Definition muss ein öffentlicher Bauauftrag folgende
Merkmale aufweisen: Es muss sich um einen schriftlichen entgeltlichen Vertrag zwischen einem
Unternehmer und einem öffentlichen Auftraggeber im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie
insbesondere über die Ausführung entwedereines Bauwerks oder eines Bauvorhabens einer
bestimmten Art handeln, die die Richtlinie definiert.
52.
Da das Vorliegen eines „öffentlichen Bauauftrags“ eine Voraussetzung für die Anwendung der
Richtlinie darstellt, ist Artikel 1 Buchstabe a so auszulegen, dass die praktische Wirksamkeit der
Richtlinie gewährleistet ist. Wie aus ihren Begründungserwägungen, insbesondere der zweiten und
der dritten hervorgeht, soll die Richtlinie Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien
Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge beseitigen, um diese Märkte
einem echten Wettbewerb zu öffnen. Damit ein solcher Wettbewerb entstehen kann, ist es laut der
zehnten Begründungserwägung erforderlich, dass beabsichtigte Auftragsvergaben in der gesamten
Gemeinschaft bekannt gemacht werden.
53.
Die Richtlinie legt außerdem selbst fest, was unter einem „öffentlichen Auftraggeber“ (Artikel 1
Buchstabe b), einem „Bauvorhaben“ (Artikel 1 Buchstabe a und Anhang II) und einem „Bauwerk“
(Artikel 1 Buchstabe c) zu verstehen ist.
54.
Diese vom Gemeinschaftsgesetzgeber gegebenen Definitionen bestätigen die Bedeutung, die
diesen Begriffen für den Normzweck der Richtlinie zukommt. Sie spielen deshalb eine
ausschlaggebende Rolle bei der Beurteilung der Frage, ob ein „öffentlicher Bauauftrag“ im Sinne der
Richtlinie vorliegt.
55.
Dies bedeutet, dass Fälle, in denen die Ausführung oder gleichzeitig die Ausführung und die
Planung von Bauvorhaben oder die Errichtung eines Bauwerks für einen öffentlichen Auftraggeber im
Sinne der Richtlinie in Frage stehen, in Bezug auf die übrigen Tatbestandsmerkmale des Artikels 1
Buchstabe a der Richtlinie so zu beurteilen sind, dass die praktische Wirksamkeit der Richtlinie nicht
beeinträchtigt wird, und zwar insbesondere dann, wenn diese Fälle Besonderheiten aufweisen, die
sich aus den auf sie anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften ergeben.
56.
Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob die unmittelbare Erstellung einer Erschließungsanlage
wie des äußeren Baukörpers eines Theaters unter den Voraussetzungen, die die italienischen
städtebaurechtlichen Bestimmungen vorsehen, ein „öffentlicher Bauauftrag“ ist.
Zum Tatbestandsmerkmal „öffentlicher Auftraggeber“
57.
Die im Ausgangsverfahren betroffene Kommune ist unstreitig eine Gebietskörperschaft im Sinne von
Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie und fällt daher unter die in dieser Vorschrift enthaltene Definition
des öffentlichen Auftraggebers.
Zum Tatbestandsmerkmal der Ausführung eines Bauvorhabens oder der Errichtung eines Bauwerks im
Sinne von Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie
58.
Gemäß Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie können öffentliche Bauaufträge betreffen
- die Ausführung oder gleichzeitig die Ausführung und die Planung von Bauvorhaben im
Zusammenhang mit einer der in Anhang II genannten Tätigkeiten;
- die Ausführung oder gleichzeitig die Ausführung und die Planung eines Bauwerks im Sinne von
Artikel 1 Buchstabe c, d. h. eines Bauwerks, das Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- oder
Hochbauarbeiten ist und das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion
erfüllen soll;
- die Erbringung einer Bauleistung, gleichgültig mit welchen Mitteln, gemäß den vom öffentlichen
Auftraggeber genannten Erfordernissen.
59.
Die in Artikel 4 des Gesetzes Nr. 847/64 aufgeführten Erschließungsanlagen werden durch Tief-
oder Hochbauarbeiten geschaffen und fallen damit unter die in Anhang II genannten Tätigkeiten oder
aber sind Bauwerke, die ihrem Wesen nach eine wirtschaftliche und technische Funktion erfüllen
sollen. Sie erfüllen damit zumindest die unter dem ersten und dem dritten Gedankenstrich der
vorstehenden Randnummer genannten Kriterien.
60.
Was speziell die Errichtung des äußeren Baukörpers eines Theaters anbelangt, wie sie im
Ausgangsverfahren in Rede steht, so ist sie eine Tätigkeit der Gruppe 501 „Rohbaugewerbe“ gemäß
Anhang II der Richtlinie.
61.
Die Errichtung eines Bauwerks wie die Fertigung des äußeren Baukörpers eines Theaters fällt damit
unter die Bauvorhaben im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie.
62.
Wie sich aus den vorstehenden Randnummern 57 bis 61 ergibt, sind die beiden wesentlichen
Tatbestandsmerkmale für das Vorliegen eines „öffentlichen Bauauftrags“, die sich auf den
öffentlichen Auftraggeber und auf die fraglichen Bauvorhaben oder -werke beziehen, in einem Fall wie
dem des Ausgangsverfahrens gegeben.
Zum Tatbestandsmerkmal des Vorliegens eines Vertrages
63.
Die Stadt Mailand, Pirelli, MCS und die FTS machen geltend, dieses Tatbestandsmerkmal sei nicht
erfüllt, weil die unmittelbare Errichtung von Erschließungsanlagen in nationalen und regionalen
städtebaurechtlichen Bestimmungen, die sich nach ihrem Gegenstand, ihrem Zweck und ihren
Merkmalen sowie nach den durch sie geschützten Interessen vom gemeinschaftlichen Vergaberecht
unterschieden, als Regelfall vorgesehen sei.
64.
Die Kommune könne sich auch nicht aussuchen, wem sie die Ausführung des Bauvorhabens
übertrage, denn diese obliege kraft Gesetzes dem Eigentümer des Baugrunds.
65.
Die Beklagte und die Streithelferinnen des Ausgangsverfahrens führen schließlich aus, dass selbst
dann, wenn die unmittelbare Erstellung zur Erfüllung der im Erschließungsvertrag eingegangenen
Verpflichtungen erbracht werde, das Tatbestandsmerkmal eines Vertrages nicht gegeben sei. Der
Erschließungsvertrag sei nämlich ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der die Ausübung hoheitlicher
Gewalt einschließe und nicht der Privatautonomie unterliege, weshalb von einem „Vertrag“ im Sinne
der Richtlinie nicht gesprochen werden könne. Die Gemeinde behalte ihre hoheitlichen Befugnisse der
Bauleitplanung „einschließlich der Befugnis, die städtebaulichen Pläne je nach Entwicklung der Lage
zu ändern oder zurückzunehmen oder diesen Erfordernissen besser genügende neue
Beurteilungskriterien zu erlassen“ (Urteil Nr. 6941 der Corte di Cassazione [Vereinigte Kammern] vom
25. Juli 1994). Aus dem gleichen Grund liege auch nicht der Tatbestand eines vertraglichen
„Kausalgeschäfts“ vor, wie er einen geschäftlichen Vertrag kennzeichne.
66.
Dass sich die nationalen Rechtsvorschriften über die unmittelbare Erstellung von
Erschließungsanlagen in einen städtebaurechtlichen Regelungszusammenhang mit besonderen
Merkmalen und einem spezifischen, gegenüber der Richtlinie unterschiedlichen Zweck einfügen,
genügt jedoch nicht, um die unmittelbare Erstellung der Anlagen dem Anwendungsbereich der
Richtlinie zu entziehen, wenn deren Tatbestandsmerkmale erfüllt sind.
67.
Wie das vorlegende Gericht ausführt, sind die in Artikel 4 des Gesetzes Nr. 847/64 genannten
Bauvorhaben ohne weiteres als öffentliche Bauvorhaben einzustufen, da sie nach ihren funktionellen
Eigenschaften über bloße Einzelwohnstätten hinausgehende Erschließungszwecke erfüllen sollen und
der Herrschaft der zuständigen Behörden unterliegen, die rechtliche Befugnisse besitzen, mit denen
sie die Verfügbarkeit der Anlagen sicherstellen können, um allen örtlichen Nutzern den Zugang zu
gewährleisten.
68.
Diese Gesichtspunkte sind deshalb bedeutsam, weil sie die öffentliche Zweckbestimmung
bestätigen, denen die auszuführenden Bauvorhaben von Anfang an gewidmet sind.
69.
Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich zwar, dass Artikel 28 Absatz 5 des Gesetzes Nr. 1150/42 die
Möglichkeit vorsieht, im Rahmen eines Bauvorhabens sekundäre Erschließungsanlagen unmittelbar zu
erstellen, und dass nach Artikel 12 des Regionalgesetzes Nr. 60/77 der Lombardei, geändert durch
Artikel 3 des Regionalgesetzes Nr. 31/86 der Lombardei, die unmittelbare Erstellung die Regel ist.
Diese Vorschriften schließen aber das in Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie enthaltene
Tatbestandsmerkmal des Vorliegens eines Vertrages nicht aus.
70.
Denn zum einen behält die Gemeindeverwaltung nach den genannten regionalen
Rechtsvorschriften der Lombardei die Möglichkeit, an Stelle der unmittelbaren Erstellung der Anlagen
die Zahlung eines Betrages zu verlangen, der sich nach den tatsächlichen Kosten, der Bedeutung und
den Merkmalen der Bauwerke richtet. Zum anderen ist bei unmittelbarer Errichtung der
Erschließungsanlagen zwischen derGemeindeverwaltung und dem Eigentümer oder den Eigentümern
der zu bebauenden Grundstücke in jedem Fall ein Erschließungsvertrag zu schließen.
71.
Zwar kann die Gemeindeverwaltung ihren Vertragspartner nicht wählen, weil dieser nach dem
Gesetz der Eigentümer der zu bebauenden Grundstücke ist. Dies allein kann aber der zwischen der
Gemeindeverwaltung und dem Bauherrn eingegangenen Rechtsbeziehung nicht ihren vertraglichen
Charakter nehmen, denn es ist der zwischen ihnen geschlossene Erschließungsvertrag, der die vom
Bauträger in jedem Einzelfall zu errichtenden Erschließungsanlagen und die entsprechenden
Bedingungen einschließlich der gemeindlichen Genehmigung der Pläne für die Anlagen festlegt.
Ebenso beruht auf den vom Bauträger mit dem Vertrag eingegangenen Verpflichtungen die rechtliche
Befugnis der Gemeinde, die Verfügbarkeit der darin bezeichneten Anlagen im Interesse ihrer
öffentlichen Zweckbestimmung sicherzustellen.
72.
Diese Feststellung wird im Ausgangsverfahren auch dadurch bestätigt, dass das Teatro alla
Bicocca laut den angefochtenen Beschlüssen teils im Wege unmittelbarer Erstellung durch die
Bauträger „gemäß ihren vertraglichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Erschließungsplan“
und teils über eine Ausschreibung der Stadt Mailand erbaut werden sollte.
73.
Dass der Erschließungsvertrag dem öffentlichen Recht unterliegt und die Ausübung hoheitlicher
Gewalt einschließt, steht entgegen der Auffassung der Beklagten und der Streithelferinnen des
Ausgangsverfahrens dem Vorliegen einer Vertragsbeziehung im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a der
Richtlinie nicht entgegen, sondern spricht sogar dafür. In mehreren Mitgliedstaaten ist nämlich ein
Vertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen ein verwaltungsrechtlicher
Vertrag, der als solcher dem öffentlichen Recht unterliegt.
74.
Demnach genügen die Regelungen, die der Erschließungsvertrag und die in seinem Rahmen
geschlossenen Vereinbarungen enthalten, für das Vorliegen einer Vertragsbeziehung, wie sie Artikel 1
Buchstabe a der Richtlinie verlangt.
75.
Diese Auslegung steht im Übrigen in Einklang mit dem Hauptzweck der Richtlinie, der, wie oben in
Randnummer 52 ausgeführt, darin besteht, öffentliche Bauaufträge dem Wettbewerb zugänglich zu
machen. Es ist nämlich die Öffnung dieses Bereichs für den gemeinschaftlichen Wettbewerb mittels
der in der Richtlinie vorgesehenen Verfahren, die die Gefahr von Bevorzugungen durch die öffentliche
Verwaltung ausschließt. Dass die öffentliche Verwaltung nicht die Möglichkeit hat, ihren
Vertragspartner auszuwählen, kann deshalb allein nicht genügen, um die Nichtanwendung der
Richtlinie zu rechtfertigen, denn dies entzöge die Errichtung eines Bauwerks, auf die die Richtlinie
andernfalls anwendbar wäre, dem gemeinschaftlichen Wettbewerb.
Zum Tatbestandsmerkmal eines entgeltlichen Vertrages
76.
Die Beklagte und die Streithelferinnen des Ausgangsverfahrens machen weiter geltend, jedenfalls
liege kein gegenseitiger Vertrag vor, denn die Gemeinde habe keine Gegenleistung zu erbringen. Die
Zahlung des Erschließungsbeitrags oder die unmittelbare Erstellung von Erschließungsanlagen bilde
nämlich nicht das Pendant zum Anspruch des Bauträgers auf Erteilung der Baugenehmigung, und die
Erschließung von Grundstücken, die im Zuge der sich wandelnden Bodennutzung stattfinde, hänge
nicht von dem daraus entstehenden Gewinn oder von den Vorteilen ab, die der Inhaber der
Baugenehmigung daraus ziehe.
77.
Der entgeltliche Charakter des Vertrages bezieht sich auf die Gegenleistung der öffentlichen
Verwaltung für die Ausführung von Bauvorhaben, die Gegenstand des in Artikel 1 Buchstabe a der
Richtlinie genannten Vertrages sind und die der öffentlichen Verwaltung zur Verfügung gestellt
werden.
78.
Die Frage, ob der bei unmittelbarer Erstellung einer Erschließungsanlage geschlossene Vertrag für
die Gemeindeverwaltung entgeltlich ist, stellt sich in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens
wegen der Besonderheiten des anwendbaren italienischen Städtebaurechts unter einem speziellen
Blickwinkel.
79.
So haben nach Artikel 28 Absatz 5 Nummer 2 des Gesetzes Nr. 1150/42 und Artikel 12 Buchstabe b
des Regionalgesetzes Nr. 60/77 der Lombardei, geändert durch Artikel 3 des Regionalgesetzes Nr.
31/86 der Lombardei, die Eigentümer der zu bebauenden Grundstücke die Kosten für die primären
Erschließungsanlagen und einen Anteil der Kosten für die sekundären Erschließungsanlagen des
Bauvorhabens oder für die Anlagen zu tragen, die für den Anschluss des Baugebiets an das
öffentliche Versorgungsnetz erforderlich sind.
80.
Ferner kann sich gemäß Artikel 11 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 10/77 „der Genehmigungsinhaber ...
verpflichten, die Erschließungsanlagen ... unmittelbar zu erstellen, und die Kosten hierfür ganz oder
teilweise vom geschuldeten Betrag“ des nach Artikel 3 des Gesetzes bei Erteilung der
Baugenehmigung anfallenden Erschließungsbeitrags abziehen.
81.
Der in Artikel 11 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 10/77 verwendete Ausdruck „abziehen“ lässt den
Schluss zu, dass die Gemeindeverwaltung mit der Erlaubnis einer unmittelbaren Erstellung der
Erschließungsanlagen darauf verzichtet, den als Beitrag gemäß Artikel 3 dieses Gesetzes
geschuldeten Geldbetrag einzuziehen.
82.
Die Beklagte, die Streithelferinnen des Ausgangsverfahrens und die italienische Regierung machen
jedoch geltend, diese Auslegung sei insbesondere deshalb unzutreffend, weil die Entrichtung des
Erschließungsbeitrags die Alternative zur unmittelbaren Erstellung der Anlagen bilde und deshalb
nicht angenommen werden könne, dass die Gemeinde einen in jedem Fall entstehenden
Zahlunganspruch habe und bei unmittelbarer Erstellung auf seine Erfüllung verzichte. Die
unmittelbare Erstellung der Anlagen habe den sinnvollen Zweck, dass der Eigentümer und Bauherr
von der Baugenehmigung freien Gebrauch machen könne, indem er von der Verpflichtung
zurEntrichtung des mit der Erteilung der Baugenehmigung anfallenden Erschließungsbeitrags
freigestellt werde. Der Ausdruck „abziehen“ betreffe somit diese befreiende Wirkung der Erstellung
der Anlagen und nicht eine Gegenleistung oder sonstige Vergünstigung, die die Gemeinde den
Bauherren gewähre.
83.
Da diese Einwände die Auslegung des italienischen Städtebaurechts und seiner Konzeption des
Verhältnisses zwischen Erschließungsbeitragsschuld und unmittelbarer Erstellung der Anlagen
betreffen, unterliegen sie der Beurteilung durch das vorlegende Gericht.
84.
Dieses stellt entgegen der Argumentation der Beklagten und der Streithelferinnen des
Ausgangsverfahrens im Vorlagebeschluss fest, dass der aus einer Baugenehmigung oder einem
genehmigten Erschließungsplan berechtigte Bauherr, der Erschließungsanlagen erstelle, keine
unentgeltliche Leistung erbringe, da er, nur nicht durch Zahlung, in gleicher Höhe eine gegenüber der
Gemeinde bestehende Schuld begleiche, nämlich den Erschließungsbeitrag, ohne dass die
Alternativform der Verpflichtung - Barzahlung oder unmittelbare Erstellung der Anlagen - eine
Differenzierung je nach gewähltem (oder vom Gesetzgeber vorgegebenem) Erfüllungsmodus zulasse.
85.
Diese Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften entspricht dem oben in Randnummer 52
genannten Zweck der Richtlinie und ist deshalb geeignet, deren praktische Wirksamkeit zu
gewährleisten.
86.
Demnach ist anzunehmen, dass ein entgeltlicher Vertrag vorliegt.
Zum Tatbestandsmerkmal eines schriftlichen Vertrages
87.
Insoweit genügt der Hinweis, dass das Vorliegen dieses Tatbestandmerkmals nicht bestritten wurde
und dass der Erschließungsvertrag zwischen der Gemeinde und dem oder den Eigentümern und
Bauherren tatsächlich schriftlich geschlossen wird.
Zum Tatbestandsmerkmal der Unternehmereigenschaft
88.
Nach Meinung der Beklagten und der Streithelferinnen des Ausgangsverfahrens sowie der
italienischen Regierung ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, da der Bauträger nicht als Unternehmer
oder Bauunternehmer, sondern nur wegen seines Eigentums am Baugrund Beteiligter sei. Er brauche,
abgesehen von den der Gemeinde zu stellenden ausreichenden Garantien, für die im
Erschließungsvertrag eingegangenen Verpflichtungen keine besonderen technischen oder
vermögensrechtlichen Voraussetzungen zu erfüllen.
89.
Aus den Antworten auf eine Frage des Gerichtshofes gehe weiter hervor, dass die Auswahl der mit
der Planung und Ausführung der Anlagen beauftragten Unternehmer ausschließlich dem durch die
Baugenehmigung berechtigten Bauherrn obliege. Dieserführe das Bauvorhaben im eigenen Namen
und nicht für die Gemeinde aus, der gegenüber er sich zur Übereignung der fertigen Anlagen
verpflichtet habe.
90.
Gemäß Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie braucht der Vertragspartner des öffentlichen
Auftraggebers, um als Unternehmer eingestuft zu werden, nicht in der Lage zu sein, die Leistung
unmittelbar mit eigenen Mitteln zu erbringen; es genügt, dass er die Ausführung der fraglichen
Leistung veranlassen kann und hierfür die erforderlichen Garantien bietet.
91.
So kann der öffentliche Auftraggeber nach Artikel 20 der Richtlinie in „den Verdingungsunterlagen
... den Bieter auffordern, ihm in seinem Angebot den Teil des Auftrags anzugeben, den er
gegebenenfalls im Wege von Unteraufträgen an Dritte zu vergeben gedenkt“.
92.
Im gleichen Sinne hat der Gerichtshof zur Richtlinie 92/50 entschieden, dass diese es einem
Dienstleistungserbringer gestattet, für den Nachweis, dass er die wirtschaftlichen, finanziellen und
technischen Voraussetzungen für die Teilnahme an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen
Dienstleistungsauftrags erfüllt, auf die Leistungsfähigkeit anderer Einrichtungen zu verweisen, welcher
Rechtsnatur seine Verbindungen zu ihnen auch sein mögen, sofern er beweisen kann, dass er
tatsächlich über die Mittel dieser Einrichtungen, die zur Ausführung des Auftrags erforderlich sind,
verfügt (Urteil vom 2. Dezember 1999 in der Rechtssache C-176/98, Holst Italia, Slg. 1999, I-8607)
93.
Wie aus den Akten hervorgeht, ist der Bauträger, dem die Baugenehmigung erteilt wurde, in einem
Fall wie dem des Ausgangsverfahrens aufgrund des mit der Gemeindeverwaltung geschlossenen
Erschließungsvertrags verpflichtet, der Gemeinde ausreichende Garantien für die Erstellung der ihr
später zu übereignenden Anlagen zu bieten, und wählt den Unternehmer aus, der die in den
Verträgen mit der Gemeindeverwaltung festgelegten Anlagen errichtet. So verhält es sich im
vorliegenden Fall, da sich MCS an den Vereinbarungen zwischen der Stadt Mailand und Pirelli
beteiligte.
94.
Das Vorliegen des fraglichen Tatbestandsmerkmals wird im vorliegenden Fall weder dadurch
ausgeschlossen, dass der Bauträger die Anlagen nicht mit eigenen Mitteln errichten kann, noch
dadurch, dass er als Inhaber der Baugenehmigung und nicht die Gemeindeverwaltung den mit der
Errichtung der Anlagen beauftragten Unternehmer auswählt.
95.
Dass die Erschließungsanlagen vom Inhaber der Baugenehmigung im eigenen Namen errichtet
werden, bevor er sie der Gemeinde übereignet, kann der Gemeinde im Übrigen nicht ihre Stellung als
öffentlicher Auftraggeber für die Errichtung einer solchen Anlage nehmen.
96.
Die Voraussetzung der Unternehmereigenschaft ist deshalb ebenfalls als erfüllt anzusehen.
97.
Demnach bildet die unmittelbare Erstellung einer Erschließungsanlage unter den im italienischen
Städtebaurecht festgelegten Voraussetzungen einen „öffentlichen Bauauftrag“ im Sinne von Artikel 1
Buchstabe a der Richtlinie.
98.
Daher ist die Richtlinie anwendbar, wenn der geschätzte Wert einer solchen Anlage ohne
Mehrwertsteuer den in Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie festgesetzten Schwellenwert erreicht oder
überschreitet.
99.
Daraus folgt, dass die Gemeindeverwaltung zur Einhaltung der in der Richtlinie vorgesehenen
Verfahren verpflichtet ist, wenn sie einen solchen öffentlichen Bauauftrag vergibt.
100.
Dies heißt nicht, dass es bei der Erstellung einer Erschließungsanlage zur Einhaltung der Richtlinie
auch erforderlich wäre, dass die Gemeindeverwaltung die in der Richtlinie vorgesehenen Verfahren
selbst durchführt. Die praktische Wirksamkeit der Richtlinie wäre auch dann gewahrt, wenn nach
nationalem Recht die Gemeindeverwaltung den Bauträger und Genehmigungsinhaber in den mit ihm
geschlossenen Vereinbarungen dazu verpflichten könnte, für die Erstellung der fraglichen Anlagen die
in der Richtlinie festgelegten Verfahren anzuwenden, um so die Verpflichtungen der
Gemeindeverwaltung gemäß der Richtlinie zu erfüllen. In diesem Fall ist der Bauträger aufgrund seiner
Vereinbarung mit der Gemeinde, die ihn als Gegenleistung für die Erstellung einer
Erschließungsanlage von der Entrichtung des Erschließungsbeitrags befreit, als von der Gemeinde
ausdrücklich zur Erstellung der Anlage ermächtigt anzusehen. Eine solche Anwendung der
Bekanntmachungsvorschriften der Richtlinie auf andere Personen als den öffentlichen Auftraggeber
sieht Artikel 3 Absatz 4 der Richtlinie im Übrigen für öffentliche Bauvorhaben, die Gegenstand einer
Konzession sind, ausdrücklich vor.
101.
Was die Verfahren der Richtlinie angeht, so folgt aus Artikel 7 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 11
Absätze 2 und 9 der Richtlinie, dass öffentliche Auftraggeber, die einen öffentlichen Bauauftrag zu
vergeben beabsichtigen, diese Absicht durch Mitteilung im
bekannt machen, sofern nicht einer der in Artikel 7 Absatz 3 der Richtlinie
abschließend aufgeführten Fälle vorliegt, in denen sie das Verhandlungsverfahren ohne vorherige
Bekanntmachung anwenden dürfen.
102.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten nichts dafür, dass die unmittelbare Erstellung einer
Erschließungsanlage unter den im italienischen Städtebaurecht festgelegten Voraussetzungen unter
einen der Fälle des Artikels 7 Absatz 3 der Richtlinie fallen könnte.
103.
Demnach ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Richtlinie nationalen städtebaurechtlichen
Vorschriften entgegensteht, wonach ein Bauherr, der sich auf eine Baugenehmigung und einen
genehmigten Erschließungsplan stützen kann, eine Erschließungsanlage, deren Wert den in der
Richtlinie festgesetzten Schwellenwert erreicht oder übersteigt, unmittelbar erstellen und die Kosten
hierfür ganz oderteilweise von dem wegen der Baugenehmigung geschuldeten Beitrag abziehen kann,
ohne dass die in der Richtlinie festgelegten Verfahren eingehalten werden.
Zur zweiten Vorlagefrage
104.
Der CNA macht geltend, diese Frage sei unbeachtlich. Da im Ausgangsrechtsstreit keine der
Voraussetzungen des Artikels 11 des Gesetzes Nr. 241/90 erfüllt sei und Vereinbarungen über die
Vergabe öffentlicher Aufträge ohne Einhaltung der Verfahren der Richtlinie zweifelsfrei die Rechte von
Unternehmern oder Angehörigen freier Berufe schädigten, die die Erteilung des fraglichen Auftrags
begehrten, sei Artikel 11 des Gesetzes Nr. 241/90 im Ausgangsverfahren nicht anwendbar.
105.
Ohne dass hierzu Stellung genommen werden müsste, ist festzustellen, dass das vorlegende
Gericht weder die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, deren Auslegung es begehrt, noch die
genauen Aspekte der fraglichen italienischen Rechtsvorschriften benennt, deren Anwendung im
Ausgangsrechtsstreit gemeinschaftsrechtlich problematisch sein könnte.
106.
Mangels dieser Hinweise lässt sich das konkrete gemeinschaftsrechtliche Auslegungsproblem, das
sich im Ausgangsrechtsstreit stellen könnte, nicht abgrenzen.
107.
Die zweite Frage ist daher unzulässig.
Kosten
108.
Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen
abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das
Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm vom Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia mit Beschluß 11. Juni 1998
vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Die Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur
Vergabe öffentlicher Bauaufträge steht nationalen städtebaurechtlichen Vorschriften
entgegen, wonach ein Bauherr, der sich auf eine Baugenehmigung und einen
genehmigten Erschließungsplan stützen kann, eineErschließungsanlage, deren Wert den
in der Richtlinie festgesetzten Schwellenwert erreicht oder übersteigt, unmittelbar
erstellen und die Kosten hierfür ganz oder teilweise von dem wegen der Baugenehmigung
geschuldeten Beitrag abziehen kann, ohne dass die in der Richtlinie festgelegten
Verfahren eingehalten werden.
Gulmann
Skouris
Puissochet
Schintgen Macken
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Juli 2001.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
C. Gulmann
Verfahrenssprache: Italienisch.