Urteil des BVerwG vom 07.08.2013

BVerwG: stand der technik, rechtliches gehör, plangenehmigung, gemeinde, vergleich, zustand, verfahrensmangel, überprüfung, billigkeit, gebärdensprache

BVerwG 7 B 41.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 41.12
Hessischer VGH - 12.06.2012 - AZ: VGH 2 C 165/11.T
In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. August 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Guttenberger
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Juni 2012 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 €
festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Klägerin wendet sich gegen eine Plangenehmigung vom 22. Dezember 2010 für das
Vorhaben „Umbau der Bahnübergänge L 3034, Dreikönigstraße und Neugasse“ im Ortsteil A.
ihres Gemeindegebiets. Die Maßnahme erfolgt im Zusammenhang mit dem Gesamtprojekt
„Neubau eines elektronischen Stellwerks auf der rechten Rheinstrecke“. Dieses Gesamtprojekt
soll durch Anpassung der Signalanlagen an den derzeitigen Stand der Technik die
Voraussetzung für eine wirtschaftlichere Abwicklung des Bahnbetriebs schaffen.
2 Die Klägerin macht unter anderem geltend, das Vorhaben ermögliche eine höhere
Zugkapazität. Deshalb sei mit einer Steigerung der Lärm- und Erschütterungsimmissionen zu
rechnen. Die Schallimmissionen an vielen Wohnhäusern im Gemeindegebiet überschritten
schon heute einen gemittelten Dauerschallpegel von 75 dB(A).
3 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage abgewiesen und zur Begründung unter anderem
ausgeführt:
Die genehmigte Maßnahme sei notwendig zur Rationalisierung des Betriebsablaufs und
Senkung der laufenden Betriebskosten. Die Immissionsbelastung steige durch das Vorhaben
nicht an. Dieses führe nicht zu einer Erhöhung der Streckenkapazität und der Zugzahl. Schon
deshalb liege keine Maßnahme vor, die gemäß § 41 BImSchG und der diese Bestimmung
konkretisierenden Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) zu Schallschutzansprüchen
führe. Es fehle auch an einem erheblichen baulichen Eingriff in den Schienenweg.
4 Die Planfeststellungsbehörde habe die Lärmproblematik im Rahmen der Abwägung gemäß §
18 Abs. 1 Satz 2 AEG nicht aufwerfen müssen, weil das Vorhaben im Vergleich zu dem Zustand
des Schienenwegs, der ohne die Planung bestünde, zu keiner Verschlechterung der
Lärmsituation führe.
5 Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde.
II
6 Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche
Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, vgl. 1.). Eine Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) wird
nicht prozessordnungsgemäß dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, vgl. 2.). Es liegt auch kein
geltend gemachter Verfahrensmangel vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, vgl. 3.).
7 1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur
dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich
ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall
hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO)
zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.
8 Die Klägerin hält für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage,
ob eine Gemeinde die Beeinträchtigung ihrer kommunalen Planungshoheit durch Immissionen
einer Bahnlinie von LAeq nachts 75 dB(A) und damit oberhalb der fachplanerischen
Zumutbarkeitsschwelle und der Schwelle eines enteignungsgleichen Eigentumseingriffs zu
Lasten von hunderten von Wohnhäusern beidseits der Bahnstrecke im Gemeindegebiet aus
Anlass einer Planungsänderung an der nicht planfestgestellten Eisenbahnanlage als
abwägungserheblichen Belang prozessual wehrfähig rügen kann.
9 Diese Frage ist im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich und schon deshalb
nicht klärungsbedürftig.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage der Klägerin als zulässig angesehen und ist bei der
Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Plangenehmigung zu dem Ergebnis
gelangt, dass die Planfeststellungsbehörde die Lärmproblematik auch im Rahmen der
Abwägung gemäß § 18 Satz 2 AEG nicht habe prüfen müssen, weil das Vorhaben im Vergleich
zu dem Zustand des Schienenwegs, der ohne die Planung bestünde, zu keiner
Verschlechterung der Lärmsituation führe. Damit hat die Vorinstanz einen materiellrechtlichen
Fehler der Plangenehmigung verneint, ohne dass es für sie darauf ankam, ob die Klägerin
diesen Fehler rügen konnte.
11 Selbst wenn man zu Gunsten der Beschwerde annimmt, sie halte für grundsätzlich
klärungsbedürftig auch die Frage, ob die genannte materiellrechtliche Auffassung des
Verwaltungsgerichtshofs zutrifft, hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung. Denn diese
Frage lässt sich - soweit sie im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist - ohne Weiteres
aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten:
12 Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 9. Juli
2008 - BVerwG 9 A 5.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 66 Rn. 17), der sich der erkennende
Senat in seinem Urteil vom 15. Dezember 2011 - BVerwG 7 A 11.10 - (Buchholz 406.25 § 41
BImSchG Nr. 59 Rn. 30) ausdrücklich angeschlossen hat, sind anlässlich eines
Änderungsvorhabens Lärmschutzbelange grundsätzlich nur dann in die planerische Abwägung
einzubeziehen, wenn die Lärmbelastung durch das Vorhaben ansteigt. Dies gilt auch dann,
wenn die für den Planfall prognostizierten Belastungswerte oberhalb der zur Abwehr einer
Gesundheitsgefährdung nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie unzumutbarer Eingriffe in das
Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 GG in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten
grundrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle von 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts liegen.
13 2. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nur dann hinreichend
bezeichnet (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten,
die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die
Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten
ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die
Beschwerde muss also die angeblich widersprüchlichen abstrakten Rechtssätze einander
gegenüberstellen.
14 Dem genügt die Beschwerde nicht. Sie rügt vielmehr die unrichtige Anwendung der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im vorliegenden Einzelfall.
15 Die Beschwerde zitiert zunächst umfangreich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
16. Dezember 1988 - BVerwG 4 C 40.86 - (BVerwGE 81,95 = Buchholz 442.40 § 30 LuftVG Nr.
1) und meint, der Verwaltungsgerichtshof verkenne zum einen bei der Beurteilung der Änderung
einer Betriebsanlage der Eisenbahn die in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum
Luftverkehrsrecht aufgestellten Anforderungen an die Wesentlichkeit der Änderung als
Voraussetzung für eine Plangenehmigung oder Planfeststellung und zum anderen den Anspruch
einer durch Schienenverkehrslärm betroffenen Gemeinde auf Durchführung des gesetzlich
vorgesehenen Verfahrens mit einer abschließenden Sachentscheidung.
16 Mit diesem Vorbringen wird weder ausdrücklich noch sinngemäß ein Rechtssatz bezeichnet,
mit dem der Verwaltungsgerichtshof von einem in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Rechtssatz hätte abgewichen sein können. Im Übrigen
liegt auf der Hand, dass dem zum Luftverkehrsrecht ergangenen Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts nichts für die Beantwortung der Frage entnommen werden kann,
unter welchen Voraussetzungen bei der Änderung einer Bahnstrecke eine Genehmigung bzw.
Planfeststellung für die Änderung genügt und wann aus Anlass einer Änderung eine
Planfeststellung für die Gesamtanlage der Eisenbahnstrecke notwendig ist.
17 Schließlich wird auch eine Abweichung von Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts, die
sich mit dem Schutz kommunalen Grundeigentums in Planfeststellungsverfahren befassen, nicht
prozessordnungsgemäß dargelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klagebefugnis der
Klägerin als Eigentümerin von Grundstücken ausdrücklich bejaht und ausgeführt, ihr vermittle
ihre einfachrechtliche Eigentümerstellung eine abwägungserhebliche Position. In der
Beschwerdebegründung wird weder ausdrücklich noch sinngemäß ein Rechtssatz genannt, mit
dem der Verwaltungsgerichtshof von einem in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Rechtssatz zu Lasten der Klägerin abgewichen sein
könnte.
18 3. Es liegt kein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene
Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
19 Der Verwaltungsgerichtshof hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs.
2 VwGO) nicht verletzt. Danach ist das Gericht zwar verpflichtet, die Ausführungen der
Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und ernsthaft in seine Erwägungen einzubeziehen (BVerfG,
Beschluss vom 28. März 1985 - 1 BvR 1245, 1254/84 - BVerfGE 69, 233 <246>). Es ist jedoch
nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu
befassen. Grundsätzlich ist vielmehr davon auszugehen, dass das Gericht insbesondere
schriftsätzlichen Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat,
soweit nicht gegenteilige Anhaltspunkte vorhanden sind (BVerfG, Beschluss vom 3. April 1979 -
1 BvR 733/78 - BVerfGE 51, 126 <129>).
20 An solchen Anhaltspunkten fehlt es hier.
21 Für den Verwaltungsgerichtshof war entscheidend, dass die Immissionsbelastung in der
Gemeinde durch das Vorhaben nicht zunehmen kann. Die Frage, ob der gegenwärtige
Bahnbetrieb (in vollem Umfang) rechtmäßig erfolgt, war für die Überprüfung der hier allein
streitgegenständlichen Plangenehmigung nach der - für die Prüfung eines Verfahrensmangels
maßgebenden - Rechtsauffassung des Gerichts ohne Bedeutung. Dies wird in dem
angefochtenen Urteil ausdrücklich ausgeführt (vgl. UA S. 20).
22 Auch mit dem Verlust von drei Parkplätzen der Klägerin hat sich der Verwaltungsgerichtshof
ausdrücklich befasst (vgl. UA S. 15). Er hat die Eigentümerposition der Klägerin hinsichtlich ihrer
von der Planung betroffenen Parkplätze gewürdigt und die Abwägung als frei von rechtlichen
Fehlern erachtet. Damit hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit dem Vorbringen der Klägerin in
ausreichendem Maße befasst.
23 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Da die
Beigeladene einen Antrag gestellt hat und damit ein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154
Abs. 3 VwGO), entsprach es der Billigkeit, deren außergerichtliche Kosten der Klägerin
aufzuerlegen.
24 Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Nolte
Krauß
Guttenberger