Urteil des BVerwG vom 17.09.2002

Aufschiebende Wirkung, Gebäude, Dringlichkeit, Vollziehung

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BESCHLUSS
BVerwG 9 VR 17.02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. September 2002
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
V a l l e n d a r , Prof. Dr. R u b e l und
Dr. E i c h b e r g e r
beschlossen:
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschie-
benden Wirkung des Widerspruchs der Antragstel-
ler gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom
22. August 2002 wird abgelehnt.
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Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 300 €
festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Antragsteller wenden sich gegen die Anordnung der soforti-
gen Vollziehung der Bescheide vom 22. August 2002, mit denen
die Antragsgegnerin den Antragstellern jeweils aufgegeben hat,
Rammkernsondierungen und Vermessungen auf ihren Flurstücken
1436/1, 1437 und 1440/1 als Vorarbeiten zur Ausführungsplanung
für den bereits planfestgestellten Südverbund Teil II, 3. Bau-
abschnitt im Zeitraum zwischen dem 16. September 2002 und dem
30. September 2002 zu dulden.
II.
1. Das Bundesverwaltungsgericht ist aufgrund der bindenden
Verweisung durch das Verwaltungsgericht für die Entscheidung
über den Antrag zuständig (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 a
Abs. 2 Satz 3 GVG). Die Annahme des Verwaltungsgerichts, das
Bundesverwaltungsgericht sei nach § 5 Abs. 1 VerkPBG zustän-
dig, trifft jedoch nicht zu. Der Zweck dieser Zuständigkeits-
vorschrift besteht darin, durch eine Verkürzung des Verwal-
tungsgerichtsverfahrens auf eine Instanz den Ausbau der Ver-
kehrswege zwischen alten und neuen Ländern zu beschleunigen
und dabei durch die Konzentration der Streitsachen beim Bun-
desverwaltungsgericht divergierende Entscheidungen zu vermei-
den (BTDrucks 12/1092 S. 10). Dieser Gesetzeszweck verlangt
zwar eine weite Auslegung der Vorschrift dahin, dass sie alle
Verwaltungsstreitsachen erfasst, die einen unmittelbaren Bezug
zu konkreten Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren
- 3 -
für Vorhaben nach § 1 VerkPBG haben. Ein solcher unmittelbarer
Bezug zu einem konkreten Planfeststellungsverfahren fehlt je-
doch, wenn - wie hier - um Maßnahmen gestritten wird, die den
Betroffenen nach Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses und
außerhalb eines Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsver-
fahrens auferlegt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Mai
2000 - BVerwG 11 A 6.99 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 11
m.w.N.).
2. Der zulässige Antrag ist unbegründet. Der Senat sieht die
Erfolgsaussichten einer Klage derzeit als offen an (a), so
dass eine vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens unabhängige In-
teressenabwägung geboten ist; sie ergibt, dass der Nachteil,
der für das öffentliche Interesse entstünde, wenn die auf-
schiebende Wirkung wiederhergestellt wird, die Klage aber er-
folglos bleiben sollte, eindeutig den Nachteil überwiegt, den
die Antragsteller bei sofortigem Vollzug der angefochtenen Be-
scheide und bei erfolgreicher Klage hinzunehmen hätten (b).
a) Die Erfolgsaussichten der Klage lassen sich derzeit nicht
mit hinreichender Gewissheit abschätzen. Sie hängen entschei-
dend davon ab, ob die Antragsgegnerin ihre Duldungsanordnung
vom 22. August 2002 auf § 16 a Abs. 1 Satz 1 FStrG stützen
konnte.
Die Antwort auf diese Frage liegt nicht auf der Hand. Dazu
müsste es sich bei den von der Antragsgegnerin vorgesehenen
Vermessungen und Bodenuntersuchungen um Maßnahmen zur "Vorbe-
reitung der Planung" im Sinne der genannten Vorschrift han-
deln. Insoweit besteht in Rechtsprechung, Verwaltungspraxis
und Literatur zwar Einigkeit darüber, dass hierunter jeden-
falls nicht solche Maßnahmen fallen, die bereits einen Teil
der Ausführung des Straßenbauvorhabens selbst darstellen
(BVerwG, Beschluss vom 7. August 2002 - BVerwG 4 VR 9.02 -
juris; Nr. 11 Abs. 1 Satz 4 der Planfeststellungsrichtlinien
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- PlaFeR 99 - VkBl 1999, 511; Ronellenfitsch in: Marschall/
Schroeter/Kastner, BFStrG, 5. Aufl., § 16 a Rn. 5; Hoppe/
Schlarmann/Buchner, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen
und anderen Verkehrsanlagen, 3. Aufl., Rn. 319). Ungeklärt ist
dagegen, ob - wie die Antragsteller meinen - die Ausführungs-
phase stets mit dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses
beginnt. Dafür mögen die systematische Stellung der Vorschrift
des § 16 a FStrG im Verhältnis zur Regelung in § 17 FStrG so-
wie der Umstand sprechen, dass zu diesem Zeitpunkt das Plan-
feststellungsverfahren abgeschlossen ist. Andererseits dienen
die vorgesehenen Maßnahmen nach den von den Antragstellern
nicht in Frage gestellten Ausführungen der Antragsgegnerin im
Bescheid vom 22. August 2002 der Erstellung der Ausschrei-
bungsunterlagen und der Ausführungsplanung und mithin noch
nicht der Bauausführung selbst, sondern ihrer Planung und Vor-
bereitung (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 7. August 2002,
a.a.O.), so dass es nicht ausgeschlossen erscheint, die Wer-
tung des § 16 a FStrG auch auf diese Phase zu erstrecken (vgl.
auch BVerwG, Beschluss vom 5. August 1997 - BVerwG 4 VR 7.97 -
n.v.). Allerdings könnten die vorgesehenen Maßnahmen ihre
Rechtsgrundlage möglicherweise statt in § 16 a FStrG unmittel-
bar im bereits erlassenen und wegen § 17 Abs. 6 a Satz 1 FStrG
jedenfalls vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss finden.
Insoweit wäre zwar nicht die materiellrechtliche Duldungs-
pflicht der Antragsteller, wohl aber die Zuständigkeit der An-
tragsgegnerin und die von ihr gewählte Verfahrensweise in Fra-
ge gestellt, falls dieser Umstand zur Folge hätte, dass die
Antragsgegnerin ihr Ziel nur im Wege der vorzeitigen Besitz-
einweisung (§ 18 f FStrG) erreichen könnte, wogegen freilich
der gegenüber § 16 a FStrG deutlich engere Adressatenkreis
sprechen mag.
Eine abschließende Prüfung dieser für die Hauptsacheentschei-
dung erheblichen Rechtsfragen kann vom Senat im Hinblick auf
den im Bescheid vom 22. August 2002 vorgesehenen Zeitrahmen
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für die Durchführung der Maßnahmen hier nicht vorgenommen wer-
den.
b) Die mithin gebotene Interessenabwägung steht dem Erfolg des
Antrages entgegen.
Das öffentliche Interesse würde erhebliche Nachteile erleiden,
wenn der Senat dem Antrag stattgeben würde. Wie die Antrags-
gegnerin schon in der - den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO
ohne weiteres entsprechenden (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom
18. September 2001 - 1 DB 26.01 - juris m.w.N.) - Begründung
der Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgeführt hat, hätte
eine weitere Verzögerung der Maßnahmen Auswirkungen auf die
Realisierung des bereits planfestgestellten Abschnitts des
Südverbundes, von dem als Teil eines Gesamtverkehrskonzepts
zur Entlastung der Innenstadt von Chemnitz und zur Verknüpfung
regionaler und überregionaler Verbindungen wesentliche ver-
kehrliche Effekte ausgehen sollen. Ferner drohe der Verlust
befristeter Sonderförderungsmittel. Die Antragsteller haben
diese Umstände nicht substantiiert in Frage gestellt, sondern
im Wesentlichen geltend gemacht, die zeitlichen Vorgaben für
das Vorhaben seien unverbindlich und die jetzige Dringlichkeit
der Maßnahmen auf Versäumnisse der Antragsgegnerin zurückzu-
führen. Diese Umstände vermögen das öffentliche Interesse an
der Durchführung der Maßnahmen jedoch nicht zu schmälern. Da-
bei ist vor allem zu berücksichtigen, dass der Planfeststel-
lungsbeschluss jedenfalls vollziehbar ist und dem Vorhaben,
das unter den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 2 VerkPBG
fällt, bereits nach der Wertung des Gesetzgebers besondere
Dringlichkeit beizumessen ist.
Demgegenüber sind nennenswerte Interessen der Antragsteller,
die dem dargelegten öffentlichen Interesse vorzuziehen wären
oder die Durchführung der Maßnahme gar als unzumutbar erschei-
nen ließen, weder vorgetragen noch erkennbar. Die zeitliche
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und räumliche Inanspruchnahme des Grundstücks der Antragstel-
ler (an maximal fünf Tagen bei einer Arbeitsfläche von 4 m²)
ist gering und schließt das Gebäude der Antragsteller nicht
ein. Erschütterungseinwirkungen auf das Gebäude haben die An-
tragsteller lediglich behauptet. Es ist aufgrund der vorgese-
henen Abstände und nach offenbar schadensfrei verlaufenen ähn-
lichen Maßnahmen im Jahre 1997 sowie mangels substantiierter
Einwendungen der Antragsteller jedoch nicht davon auszugehen,
dass hierdurch wesentliche Beeinträchtigungen oder gar Schäden
entstehen könnten. Etwaige Beeinträchtigungen der Grundstücks-
pächter berühren die Duldungspflicht der Antragsteller nicht
und sind im Übrigen nach Abschluss der Ernte auch nicht er-
kennbar. Sonstige und zumal unumkehrbare Beeinträchtigungen
sind weder ersichtlich noch dargetan. Ein Anspruch der An-
tragsteller auf Entschädigung besteht dem Grunde nach in jedem
Fall entweder unmittelbar und ohne dass es hierzu einer Anord-
nung im Bescheid vom 22. August 2002 bedurft hätte aus § 16 a
FStrG oder nach den Regelungen der vorzeitigen Besitzeinwei-
sung.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die
Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 und
§ 20 Abs. 3 GKG.
Vallendar Prof. Dr. Rubel Dr. Eichberger