Urteil des BVerwG vom 08.10.2002

Rechtswidrigkeit, Anfechtungsklage, Eingriff, Upr

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BESCHLUSS
BVerwG 9 VR 16.02 (9 A 48.02)
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Oktober 2002
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
H i e n und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S t o r o s t und Dr. E i c h b e r g e r
beschlossen:
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den
Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners
vom 27. Juni 2002 wird abgelehnt.
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Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfah-
rens je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen den Planfeststellungsbe-
schluss des Antragsgegners vom 27. Juni 2002 für den Neubau
einer Ortsumgehung Oelsnitz im Zuge der Bundesstraße B 92. Sie
bewirtschaften im Haupterwerb einen Landwirtschaftsbetrieb mit
ca. 45 ha Nutzfläche. Mit ihrer Klage machen sie geltend, die
im Planfeststellungsbeschluss vorgesehene dauernde Inanspruch-
nahme von über 2 ha dieser Nutzfläche für den Straßenbau sei
abwägungsfehlerhaft; der Planfeststellungsbeschluss verstoße
gegen ihr Grundrecht auf Eigentum und gegen das Naturschutz-
recht.
II.
Der Antrag, gegen dessen Zulässigkeit keine Bedenken bestehen,
ist unbegründet. Das öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses, das in dem in
§ 17 Abs. 6 a Satz 1 FStrG und § 5 Abs. 2 Satz 1 VerkPBG gere-
gelten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungs-
klage zum Ausdruck kommt, überwiegt das Interesse der An-
tragsteller an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes bis
zur endgültigen Entscheidung über ihre Klage.
Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen
summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich,
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dass die Klage auf der Grundlage der zur Begründung des An-
trags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Bezug genom-
menen Gesichtspunkte voraussichtlich weder mit dem Hauptantrag
auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses noch mit dem
Hilfsantrag auf Feststellung seiner Rechtswidrigkeit Erfolg
haben kann. Unter diesen Umständen besteht kein hinreichender
Anlass dafür, von der gesetzlich vorgesehenen Regel der sofor-
tigen Vollziehbarkeit der Planfeststellung hier abzusehen.
Gegen die formelle Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbe-
schlusses erheben die Antragsteller keine Rügen. Auch eine
Verletzung des materiellen Rechts, die einen Anspruch der An-
tragsteller auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses
oder auf Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvoll-
ziehbarkeit begründen könnte, lässt sich dem mit dem Antrag in
Bezug genommenen bisherigen Klagevorbringen nicht entnehmen.
Dieses weist insbesondere nicht auf Mängel bei der durch § 17
Abs. 1 Satz 2 FStrG gebotenen Abwägung hin, die gemäß § 17
Abs. 6 c Satz 1 FStrG erheblich - also offensichtlich und auf
das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen - sind und nicht
durch Planergänzung behoben werden können.
Insoweit machen die Antragsteller zum einen geltend, der An-
tragsgegner habe die reale Möglichkeit der Existenzvernichtung
ihres landwirtschaftlichen Betriebes als zu beachtenden priva-
ten Belang nicht mit dem ihm zukommenden Gewicht in die Abwä-
gung eingestellt. Dies ist jedoch unzutreffend. Die Planfest-
stellungsbehörde ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass
nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Existenz des Be-
triebs bei Umsetzung des Vorhabens akut gefährdet sei. Sie hat
deshalb zunächst geprüft, ob auf einen Teil der in Anspruch zu
nehmen beabsichtigten Flächen verzichtet werden kann, und die-
se Frage mit nachvollziehbarer Begründung verneint. Sie hat
sodann geprüft, ob bis zum Zeitpunkt der Planfeststellung ge-
eignete, landwirtschaftlich nutzbare Austauschflächen ermit-
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telt werden konnten, die den Antragstellern zur Verfügung ge-
stellt hätten werden können. Da dies nicht der Fall war, hat
die Planfeststellungsbehörde weiter geprüft, ob die Betroffen-
heit der Antragsteller - den Wegfall ihres Betriebes als Exis-
tenzgrundlage unterstellt - der vorgesehenen Trassierung der
Verkehrsanlagen in diesem Bereich, insbesondere der hier ge-
wählten Trassenvariante generell entgegenstände. Dabei ist sie
aufgrund der bestehenden und ohne eine Ortsumgehung auch künf-
tig zu erwartenden hohen Verkehrsbelastung der Stadt Oelsnitz
und der im Rahmen der Variantenauswahl begründeten Vorzugswür-
digkeit einer Westvariante zu der Überzeugung gelangt, dass
die öffentlichen Belange für das planfestgestellte Vorhaben
höher zu gewichten seien als der konkret im Raum stehende Be-
lang der Existenzvernichtung des Betriebs der Antragsteller,
und hat diese auf eine entsprechende Entschädigung verwiesen
(vgl. S. 111 f. des Planfeststellungsbeschlusses).
Die Auffassung der Antragsteller, ihre Existenzgefährdung hät-
te durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bereits im
Planfeststellungsverfahren geprüft werden müssen, geht unter
diesen Umständen fehl. Nach der Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts begegnet es keinen grundsätzlichen Bedenken,
wenn die Planfeststellungsbehörde bei der Zusammenstellung des
Abwägungsmaterials einen für die Abwägung erheblichen Umstand
nicht selbst ermittelt, sondern entsprechend dem Vorbringen
des Betroffenen als gegeben unterstellt (vgl. BVerwG, Urteile
vom 27. März 1980 - BVerwG 4 C 34.79 - Buchholz 407.4 § 17
FStrG Nr. 34 und vom 23. Januar 1981 - BVerwG 4 C 4.78 -
BVerwGE 61, 295 <304>; Beschluss vom 5. Oktober 1990 - BVerwG
4 CB 1.90 - NVwZ-RR 1991, S. 129 <137>). Denn damit steht der
Betroffene innerhalb der Abwägung nicht schlechter, als er
stände, wenn der von ihm behauptete Umstand erst nach einer
behördlichen Sachverhaltsermittlung in die Abwägung aufgenom-
men worden wäre.
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Anhaltspunkte dafür, dass der für die Abwägung maßgebende
Sachverhalt mit einer Wahrunterstellung in Wirklichkeit nicht
in sachdienlicher Weise erfasst werden konnte, sind nicht er-
sichtlich. Denn die Frage der Existenzgefährdung ist im We-
sentlichen tatsächlicher, nicht wertender Natur, und die Plan-
feststellungsbehörde hätte das Vorhaben so, wie es im Plan-
feststellungsbeschluss vorgesehen ist, offensichtlich auch
dann nicht in Frage gestellt und beispielsweise mit einer an-
deren Trassenführung festgestellt, wenn die mögliche Vernich-
tung der Existenz des landwirtschaftlichen Betriebs der An-
tragsteller nicht als solche unterstellt, sondern in den Ein-
zelheiten ermittelt worden wäre. Sie hat nämlich keinen Zwei-
fel daran gelassen, dass das planerische Ziel selbst um den
Preis der Existenzvernichtung dieses Betriebs verwirklicht
werden soll (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 28. Januar 1999
- BVerwG 4 A 18.98 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 146 S. 7).
Nach dem derzeit möglichen Beurteilungsstand sprechen auch
überwiegende Gründe dafür, dass die Planfeststellungsbehörde
ohne Rechtsverstoß ein Übergewicht der die Planung tragenden
Belange über die ihr entgegenstehenden Belange der Antragstel-
ler angenommen hat, so schwer der mit der Planung verbundene
Eingriff in den landwirtschaftlichen Betrieb für die An-
tragsteller auch sein mag. Der Planfeststellungsbeschluss
rechtfertigt die für diesen Eingriff ursächliche Wahl der
Westvariante damit, dass sich bei den östlichen Varianten die
Anbindung bestehender Industrie- und Mischgebiete nachteiliger
darstelle, eine Westumgehung Vorteile für den überregionalen,
weiträumigen Verkehr aus dem sächsischen Raum biete, über die
Westvariante eine vergleichsweise größere verkehrliche Entlas-
tung des eigentlichen Stadtkernbereichs von Oelsnitz erzielt
werden könne, bei den Ostvarianten Konflikte mit Siedlungsbe-
reichen nicht ausgeschlossen würden und bei einer Ostumgehung
das umweltrechtlich relevante Konfliktpotenzial stärker ausge-
prägt sei.
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Das Vorbringen der Antragsteller hierzu rechtfertigt weder den
Schluss, die Planfeststellungsbehörde sei hinsichtlich der von
ihr insoweit für die Planung eingesetzten Belange von unzu-
treffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen, noch die
Annahme einer unvertretbaren Fehlgewichtung. Dass die An-
tragsteller die Bewertung des umweltrechtlich relevanten Kon-
fliktpotenzials der Trassenvarianten durch den Antragsgegner
unsubstantiiert bestreiten, reicht hierfür ebenso wenig aus
wie der Hinweis auf die nahe Heranführung der Trasse an den
eigentlichen Stadtkernbereich und die nicht näher erläuterte
Bezugnahme auf ein vom Stadtrat beschlossenes "Marketing-
Konzept und Stadtleitbild" sowie einen Beschluss der Stadt zur
Bewerbung um die Sächsische Landesgartenschau. Die Erwartung
der Antragsteller, die planfestgestellte Straße werde zum Teil
auch die Funktion einer innerörtlichen Durchfahrts- bzw.
Hauptverkehrsstraße erfüllen, steht der nach § 1 Abs. 1 FStrG
erforderlichen Zweckbestimmung einer Bundesfernstraße zur Auf-
nahme des weiträumigen Verkehrs nicht entgegen.
Unzutreffend ist schließlich auch der Einwand der Antragstel-
ler, die zuletzt aufgrund einer FFH-Verträglichkeitsuntersu-
chung vom Januar 2002 getroffene Feststellung des Planfest-
stellungsbeschlusses, dass bei Umsetzung der technischen
Schutzmaßnahmen mit keiner erheblichen Beeinträchtigung des
potenziellen FFH-Gebiets Elstertal oberhalb Plauen zu rechnen
sei, verstoße gegen § 34 Abs. 2 BNatSchG, weil dabei techni-
sche Schutzmaßnahmen nicht berücksichtigt werden dürften. Nach
Wortlaut, Regelungszusammenhang, Entstehungsgeschichte und
Zweck dieser Vorschrift liegt es auf der Hand, dass im Rahmen
des Projekts vorgesehene Maßnahmen, die sicherstellen, dass
Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele eines Gebiets gar nicht
erst entstehen können oder minimiert werden, bei der Verträg-
lichkeitsprüfung zu berücksichtigen sind (vgl. OVG Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 11. Mai 1999 - 20 B 1464/98 –
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ZUR 2000, S. 155 <158>; Hoppe in: UPR 1999, S. 426 <427>;
Weihrich in: DVBl 1999, S. 1697 <1702>; Maaß, in: ZUR 2000,
S. 162 <164>; Cosack in: UPR 2002, S. 250 <252>).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 VwGO
i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf
§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 3 GKG.
Hien Dr. Storost Dr. Eichberger