Urteil des BVerwG vom 19.02.2015

Satzung, Offensichtlicher Mangel, Öffentlich, Verkehr

BVerwGE: nein
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Straßen- und Wegerecht, mit Ausnahme von Streitigkeiten über
Sondernutzungen
Rechtsquelle/n:
VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1, § 173 Satz 1
ZPO § 265 Abs. 1 und 2, § 563 Abs. 4
FlurbG § 44 Abs. 1 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 58 Abs. 4
GemO RP § 119 Abs. 1
Titelzeile:
Änderung eines Flurbereinigungsplans durch Gemeindesatzung
Stichworte:
Flurbereinigungsplan; Gemeindesatzung; Änderungssatzung; Zustimmung der
Gemeindeaufsichtsbehörde; Abwägung; Recht auf gerechte Abwägung;
Abwägungskontrolle; gemeinschaftliche Interessen; private Interessen; öffentliche
Interessen; Wirtschaftsweg; Ortsstraße; konkreter Erschließungsvorteil;
wertgleiche Abfindung; Landabzug; flurbereinigungsrechtliches Sonderregime;
finanzieller Ausgleich; Antragsbefugnis; Normenkontrollverfahren; Betroffenheit in
eigenen Rechten; Möglichkeit der Rechtsverletzung; Pächter streitbefangene
Sache; Veräußerung.
Leitsatz/-sätze:
1. Beim Erlass einer Satzung nach § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG, mit der im
gemeinschaftlichen Interesse der Beteiligten getroffene Festsetzungen des
Flurbereinigungsplans geändert oder aufgehoben werden, hat die Gemeinde das
Bestandsinteresse der Teilnehmer, insbesondere an einem durch einen
Wirtschaftsweg vermittelten konkreten Erschließungsvorteil, mit den für die
Änderung sprechenden öffentlichen oder sonstigen Belangen abzuwägen. Die
gerichtliche Abwägungskontrolle hat sich an den anerkannten Grundsätzen der
planerischen Abwägungskontrolle auszurichten.
2. Die Änderungssatzung ist regelmäßig nur dann ermessensfehlerfrei, wenn sich
die für die Festsetzung des Flurbereinigungsplans maßgebende Interessenlage
geändert hat, insbesondere weil der betreffende Weg die ihm ursprünglich
zugedachte Verkehrsbedeutung nicht erlangt oder nachträglich verloren hat
(im Anschluss an BVerwGE 117, 209).
Urteil des 9. Senats vom 19. Februar 2015 - BVerwG 9 CN 1.14
I. OVG Koblenz vom 11. Juni 2013
Az: 1 C 11147/12.OVG
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 9 CN 1.14
OVG 1 C 11147/12
Verkündet
am 19. Februar 2015
Franke
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Normenkontrollsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Korbmacher,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bick
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Külpmann und Steinkühler
für Recht erkannt:
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-
Pfalz vom 11. Juni 2013 wird aufgehoben. Die Sache wird
zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das
Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Die Antragsteller wenden sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen eine Sat-
zung der Antragsgegnerin, mit der ein durch Flurbereinigungsplan vom geschaf-
fener Wirtschaftsweg teilweise aufgehoben wird. Der Antragsteller zu 1) ist als
Rechtsnachfolger seiner Eltern, der Antragsteller zu 2) und 3), Inhaber eines
Landwirtschafts- und Weinbaubetriebes. Nachdem er den Betrieb schon seit
dem Jahr 2000 gepachtet hatte, erwarb er 2014 das Eigentum an der Hofstelle
(Flur … Flurstück 23) und den Betriebsgrundstücken.
Bereits in den 1960er Jahren waren der Antragsteller zu 2) und seine Eltern
Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens P.. Durch den Flurbereinigungsplan
vom 17. Oktober 1966 wurde der hier umstrittene Wirtschaftsweg (Flur … Flur-
stück 25) geschaffen. Er verläuft auf einer Länge von ca. 195 m zwischen der
R.straße, einer innerörtlichen Gemeindestraße, und der rückwärtigen Seite der
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Hofstelle der Antragsteller. Der Flurbereinigungsplan enthält in seinem Textteil,
u.a., folgende Festsetzungen:
"§ 10 Wirtschaftswege
(1) Die im Abfindungsnachweis unter der Ord.Nr. 3.02
aufgeführten Wirtschaftsweg werden, soweit dort nichts
anderweitiges bestimmt ist, der Gemeinde P. zu Eigentum
und Unterhaltung zugeteilt. (…)
(2) Für die Benutzung der Wirtschaftswege sind die im Ab-
findungsnachweis angegebene Zweckbestimmung und die
nachstehenden Festsetzungen maßgebend. (…)
(4) Die Benutzung der Wirtschaftswege ist, soweit in die-
sem § 10 nicht etwas anderes festgesetzt ist, den Teil-
nehmern des Flurbereinigungsverfahrens (…) zur land-
wirtschaftlichen Bewirtschaftung der neuen Grundstücke
(…) gestattet. (…)
§ 14 Festsetzungen mit der Wirkung von Gemeindesat-
zungen
Die Festsetzungen in (…) § 10 Nr. (3) - (6) (…) werden im
gemeinschaftlichen Interesse der Beteiligten oder im öf-
fentlichen Interesse getroffen. Sie haben daher gemäß
§ 58 Abs. 4 FlurbG die Wirkung von Gemeindesatzungen.
(…)"
In dem in § 10 Abs. 1 erwähnten Abfindungsnachweis zu Ordnungs-Nr. 3.02 ist
für die Wegeparzelle Flur … Flurstück 25 als Nutzungsart "Weg" und als
Zweckwidmung "Ortsstraße" verzeichnet.
Im Mai 2009 beschloss der Rat der Antragsgegnerin die Aufstellung eines Be-
bauungsplans, der auf dem an die Hofstelle der Antragsteller westlich angren-
zenden Grundstück (Flur … Flurstück 22), auf dem sich ehemals die Volksschu-
le und später der Kindergarten der Antragsgegnerin befand, eine Eigentums-
wohnanlage mit ca. 40 Wohneinheiten vorsah. In diesem Zusammenhang ent-
schloss sich die Antragsgegnerin, den Flurbereinigungsplan durch Satzung zu
ändern. In der Beschlussvorlage zur Sitzung des Ortsgemeinderates am
19. Oktober 2011 heißt es, das Areal des Bebauungsplans werde durch den
Weg Flur … Flurstück 25 erschlossen, der spätestens seit Errichtung der Volks-
schule in den 1960er Jahren öffentlich genutzt werde, ohne förmlich gewidmet
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zu sein. Im Zuge des Flurbereinigungsverfahrens sei die Wegeparzelle aus
heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen ausschließlich für eine landwirt-
schaftliche Nutzung gewidmet worden. Um den Widerspruch zu der tatsächlich
bestehenden wie auch künftig geplanten Wegenutzung zu beheben und die
Erschließung für das geplante Vorhaben auf dem Gelände des ehemaligen
Kindergartens zu sichern, werde der Erlass einer Satzung gemäß § 58 Abs. 4
FlurbG empfohlen.
Mit der am 19. Oktober 2011 beschlossenen Satzung wird von der Römerstra-
ße her ein ca. 115 m langes Teilstück des Wirtschaftsweges aufgehoben; das
etwa 80 m lange Reststück des Weges bis zum Anwesen der Antragsteller
bleibt hiervon unberührt. In der Begründung zu der Satzung ist ausgeführt, für
die Erschließung der geplanten Bebauung sei es erforderlich, die landwirt-
schaftliche Zweckbestimmung der Wegeparzelle in einem Teilbereich aufzuhe-
ben und diesen für den öffentlichen Verkehr zu widmen. Die Satzung wurde am
9. November 2011 öffentlich bekannt gemacht. Mit Schreiben vom 6. August
2013 stimmte die Kreisverwaltung T. der Satzung kommunalaufsichtlich zu.
Die Antragsteller haben mit einem am 9. November 2012 beim Oberverwal-
tungsgericht eingegangenen Schriftsatz Normenkontrollantrag gegen die Sat-
zung zur Aufhebung des Wirtschaftsweges gestellt. Sie haben im Wesentlichen
geltend gemacht, der Wirtschaftsweg sei im Flurbereinigungsplan ausgewiesen
worden, um die Erschließung ihrer seinerzeit aus der Ortsmitte ausgesiedelten,
an der freien Strecke der Bundesstraße … gelegenen Hofstelle sowie eines
benachbarten Weinbaubetriebes sicherzustellen. Die teilweise Aufhebung des
Wirtschaftsweges sei aus formellen und materiellen Gründen rechtswidrig. Der
Weg sei nicht geeignet, über die ihm zugewiesene landwirtschaftliche Funktion
hinaus eine umfangreiche Wohnbebauung zu erschließen.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag als unzulässig ver-
worfen, da den Antragstellern die Antragsbefugnis fehle. Eine Verletzung eige-
ner Rechte der Antragsteller durch die Aufhebung des hier umstrittenen Wege-
teils sei unter den gegebenen Umständen ausgeschlossen. Der entstandene
konkrete Erschließungsvorteil bleibe uneingeschränkt vorhanden; nach Einzie-
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hung des Wirtschaftsweges und Eröffnung derselben Wegefläche für den öf-
fentlichen Verkehr sei die Nutzung durch die Antragsteller weder rechtlich noch
tatsächlich beschränkt. Für die Wertgleichheit der seinerzeit im Flurbereini-
gungsverfahren erzielten Abfindung sei es nicht erforderlich, dass der betref-
fende Weg ausschließlich dem landwirtschaftlichen Verkehr vorbehalten sei.
Vielmehr könne der Flurbereinigungsplan selbst Teile des im gemeinschaftli-
chen Interesse der Teilnehmer geschaffenen Wegenetzes dem öffentlichen
Verkehr eröffnen. Die Bewirtschaftung der Grundstücke an dem eingezogenen
Wegestück werde nicht konkret erschwert. Etwaigen Behinderungen für oder
durch andere Verkehrsteilnehmer sei durch verkehrspolizeiliche Maßnahmen zu
begegnen.
Zur Begründung der - vom Senat zugelassenen - Revision machen die Antrag-
steller geltend, sie seien entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts
antragsbefugt. Der Wirtschaftsweg vermittele ihnen einen konkreten Erschlie-
ßungsvorteil, der die ihnen im Flurbereinigungsverfahren auferlegten Flächen-
abzüge ausgleiche. Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Änderung des
Flurbereinigungsplans hätten zu keiner Zeit vorgelegen. Der Verpflichtung, neu
ausgewiesene Grundstücke durch Wege zugänglich zu machen, habe die Flur-
bereinigungsbehörde in der Regel und auch hier durch die Schaffung nicht öf-
fentlicher Wege zu genügen. Der umstrittene Wirtschaftsweg müsse angesichts
seiner besonderen Bedeutung für ihr Aussiedlungsvorhaben uneingeschränkt
aufrechterhalten bleiben.
Die Antragsteller beantragen,
den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-
Pfalz vom 11. Juni 2013 zu ändern und die Satzung der
Antragsgegnerin vom 19. Oktober 2011 für unwirksam zu
erklären,
hilfsweise: den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts
aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhand-
lung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zu-
rückzuverweisen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt im Ergebnis den angefochtenen Beschluss des Oberverwaltungs-
gerichts und meint, die Antragsteller hätten die neue Zweckbestimmung des
Weges im Hinblick auf die veränderte Interessenlage der Beteiligten hinzuneh-
men.
II
Die zulässige Revision der Antragsteller ist begründet. Der angefochtene Be-
schluss verletzt Bundesrecht und erweist sich auch nicht aus anderen Gründen
als richtig. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (§ 144
Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
1. Der Normenkontrollantrag ist zulässig, insbesondere sind die Antragsteller
antragsbefugt. Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, die im Re-
visionsverfahren als Sachurteilsvoraussetzung der Vorinstanz von Amts wegen
zu prüfen ist (BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1985 - 2 C 14.84 - BVerwGE 71,
73 <74 f.>), setzt voraus, dass sich die Antragsteller auf eine sie schützende
öffentlich-rechtliche Norm als Kontrollmaßstab für die angegriffene Rechtsvor-
schrift stützen können. Ferner müssen hinreichend substantiiert Tatsachen vor-
getragen sein, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass die Antrag-
steller durch die angegriffene Rechtsvorschrift in ihren Rechten verletzt werden.
Nur dann, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder
Betrachtungsweise ausscheidet, fehlt die Antragsbefugnis (stRspr, vgl.
BVerwG, Urteile vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215
<217 ff.> und vom 18. November 2002 - 9 CN 1.02 - BVerwGE 117, 209
<211>). Soweit im Zusammenhang mit der Überprüfung einer planungsrechtli-
chen Norm das Recht auf gerechte Abwägung in Rede steht, hängt die An-
tragsbefugnis davon ab, ob es auf der Grundlage des wechselseitigen schrift-
sätzlichen Vorbringens einen abwägungserheblichen Belang der Antragsteller
geben kann, dessen fehlerhafte Behandlung nicht ausgeschlossen ist (BVerwG,
Beschluss vom 10. Juli 2012 - 4 BN 16.12 - BauR 2012, 1771 Rn. 2 f.).
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a) Die Antragsteller können sich auf § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG als Schutznorm
berufen. Danach können Festsetzungen des Flurbereinigungsplans, die im ge-
meinschaftlichen Interesse der Beteiligten oder im öffentlichen Interesse getrof-
fen wurden (§ 58 Abs. 4 Satz 1 FlurbG), nach Beendigung des Flurbereini-
gungsverfahrens nur durch Gemeindesatzung mit Zustimmung der Gemeinde-
aufsichtsbehörde geändert oder aufgehoben werden. Der Senat hat dieser
Norm, soweit der Flurbereinigungsplan - wie hier - bestimmte dem besonderen
Schutz des § 58 Abs. 4 FlurbG unterfallende Anlagen festsetzt, die Pflicht der
Gemeinde entnommen, die berechtigten Interessen der Teilnehmer am Fortbe-
stand sie begünstigender Festsetzungen des Flurbereinigungsplans einerseits
und die für die Änderung sprechenden öffentlichen oder sonstigen Belangen
andererseits abzuwägen (BVerwG, Urteil vom 18. November 2002 - 9 CN
1.02 - BVerwGE 117, 209 <216 f.>). Davon ausgehend verkörpert die durch
den hier umstrittenen Wirtschaftsweg vermittelte landwirtschaftliche Erschlie-
ßung einen flurbereinigungsrechtlichen Sondervorteil (aa), auf den sich die An-
tragsteller des vorliegenden Rechtsstreits berufen können (bb).
aa) Rechtlich betroffen durch eine Änderungssatzung nach § 58 Abs. 4 Satz 2
FlurbG sind (jedenfalls) diejenigen, denen der Flurbereinigungsplan in Gestalt
des betreffenden Wirtschaftsweges einen konkreten Erschließungsvorteil ver-
schafft hat. Denn mit Rücksicht darauf, dass die Teilnehmer der Flurbereinigung
für das Wegenetz einen Landabzug hinnehmen müssen (§ 47 Abs. 1 FlurbG),
der nur deshalb als Inhalts- und Schrankenbestimmung mit Art. 14 Abs. 1 GG
vereinbar ist, weil das Wegenetz überwiegend ihnen zugute kommt, berührt die
nachträgliche Entziehung des einem Teilnehmer zugewendeten besonderen
Erschließungsvorteils den Grundsatz der wertgleichen Abfindung (§ 44 Abs. 1
Satz 1 FlurbG) und gefährdet damit den durch die Flurbereinigung angestrebten
Interessenausgleich (BVerwG, Urteil vom 18. November 2002 - 9 CN
1.02 - BVerwGE 117, 209 <212 f.>). Unter diesen Umständen ergibt sich die
schutzwürdige Rechtsposition des jeweiligen Teilnehmers und seiner Rechts-
nachfolger aus der sie begünstigenden Festsetzung des Flurbereinigungsplans,
in die durch die Satzung eingegriffen werden soll.
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Der Annahme eines derartigen besonderen Erschließungsvorteils für bestimmte
begünstigte Teilnehmer steht im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass der Ab-
findungsnachweis für die umstrittene Wegeparzelle - möglicherweise im Hin-
blick auf die dort nach Angaben der Antragsgegnerin im Jahr 1964 errichtete
Volksschule - als Zweckbestimmung "Ortsstraße" festlegt. Sogar eine Widmung
für den Gemeingebrauch, die hier allerdings nach dem übereinstimmenden
Vorbringen der Beteiligten vor Erlass der angegriffenen Satzung nicht ausge-
sprochen worden war, ließe das flurbereinigungsrechtliche Sonderregime unbe-
rührt, dem das vorrangig oder jedenfalls wesentlich im gemeinschaftlichen Inte-
resse geschaffene Wegenetz unterliegt (BVerwG, Urteil vom 18. November
2002 - 9 CN 1.02 - BVerwGE 117, 209 <216>; VGH München, Urteil vom
11. Mai 2011 - 13a N 10.577 - juris Rn. 30).
bb) Daran gemessen hat der Flurbereinigungsplan den Antragstellern zu 2) und
3) nach ihrem, von der Antragsgegnerin insoweit nicht bestrittenen Sachvortrag
einen konkreten Erschließungsvorteil verschafft, dessen nachträgliche Entzie-
hung bzw. Änderung ihre rechtlich geschützten Interessen berührt. Der Antrag-
steller zu 2) und die Rechtsvorgänger beider Antragsteller hatten als Teilneh-
mer des Flurbereinigungsverfahrens einen Landabzug nach § 47 Abs. 1 FlurbG
aufzubringen (vgl. § 7 des Textteils des Flurbereinigungsplans), der zumindest
auch dadurch ausgeglichen wurde, dass der in der Flurbereinigung geschaffene
Wirtschaftsweg ihren Aussiedlerhof - ohne unmittelbare Zufahrt auf die Bundes-
straße … - mit ihren landwirtschaftlichen bzw. weinbaulichen Nutzflächen sowie
mit dem öffentlichen Straßennetz verbindet. Dem steht nicht entgegen, dass
das bereits im Flurbereinigungsplan (§ 8 Abs. 3 des Textteils) vorgesehene
Aussiedlungsvorhaben der Antragsteller erst nach Abschluss des Flurbereini-
gungsverfahrens an seinem derzeitigen Standort verwirklicht werden konnte.
Entscheidend ist, dass erst der durch den Flurbereinigungsplan ausgewiesene
Wirtschaftsweg die Voraussetzung dafür schuf, die Hofstelle an die freie Stre-
cke der Bundesstraße (außerhalb der zur Erschließung bestimmten Ortsdurch-
fahrt, § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FStrG) zu verlegen.
Die während des Rechtsstreits erfolgte Veräußerung der Hof- und Betriebs-
grundstücke an den Antragsteller zu 1) hat keinen Einfluss auf die prozessuale
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Stellung der Antragsteller zu 2) und 3); dies ergibt sich aus § 173 VwGO in Ver-
bindung mit § 265 Abs. 2 ZPO. Im Normenkontrollverfahren streitbefangen
(§ 265 Abs. 1 ZPO) ist ein Grundstück im Hinblick auf seine durch die angegrif-
fene Norm festgesetzten öffentlich-rechtlichen Eigenschaften (BVerwG, Be-
schluss vom 1. August 2001 - 4 BN 43.01 - Buchholz 303 § 265 ZPO Nr. 6
S. 3). Wegen des bereits erwähnten Zusammenhangs der Ausweisung von
Wirtschaftswegen mit dem Grundsatz wertgleicher Landabfindung weist eine
Satzung nach § 58 Abs. 4 FlurbG den insoweit erforderlichen Grundstücksbe-
zug auf.
Unbeschadet dessen kann auch der Antragsteller zu 1) seine eigene rechtliche
Betroffenheit auf den erwähnten konkreten Erschließungsvorteil stützen. Maß-
geblich dafür ist der Umstand, dass er nach dem unstreitigen Vorbringen der
Antragsteller schon seit dem Jahr 2000 Pächter des landwirtschaftlichen Betrie-
bes seiner Eltern war. Auch der Pächter ist Träger schutzwürdiger, in der Ab-
wägung zu berücksichtigender Belange und insoweit in eigener Person klage-
bzw. antragsbefugt (vgl. zur fachplanerischen Abwägung etwa BVerwG, Urteile
vom 9. Juni 2004 - 9 A 16.03 - juris Rn. 25 und vom 21. Juni 2006 - 9 A
28.05 - BVerwGE 126, 166 Rn. 13; s. für das Flurbereinigungsverfahren auch
Wingerter/Mayr, FlurbG, 9. Aufl. 2013, § 41 Rn. 41 m.w.N.). Der besondere
Zweck des § 58 Abs. 4 FlurbG, die Nachhaltigkeit der Ergebnisse der Flurberei-
nigung zu sichern (BVerwG, Urteil vom 18. November 2002 - 9 CN 1.02 -
BVerwGE 117, 209 <214>), spricht ebenfalls dafür, neben den dinglichen
Rechtsnachfolgern der Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens die Pächter
der jeweiligen Abfindungsgrundstücke in den Kreis der geschützten Personen
einzubeziehen.
b) Die Möglichkeit, dass die Antragsteller durch die angegriffene Satzung in ei-
genen Rechten verletzt werden, ist entgegen der Auffassung des Oberverwal-
tungsgerichts nicht deshalb ausgeschlossen, weil ihnen ihr Erschließungsvorteil
unabhängig von der Satzung erhalten bleibt. Das Oberverwaltungsgericht sieht
die Teilnehmerrechte der Antragsteller von der Änderungssatzung unberührt,
da die Einziehung der Wegefläche als Wirtschaftsweg, verbunden mit ihrer Er-
öffnung für den öffentlichen Verkehr, die Nutzung durch die Antragsteller weder
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rechtlich noch tatsächlich beschränke. Diese Argumentation berücksichtigt nicht
hinreichend das Interesse der Antragsteller daran, dass ihnen die landwirt-
schaftliche Erschließungsfunktion des Weges ungestört, d.h. ohne (mehr als
nur geringfügige) Beeinträchtigungen durch Dritte, erhalten bleibt. Da das flur-
bereinigungsrechtliche Sonderregime den konkreten Erschließungsvorteil der
betroffenen Teilnehmer als Ausgleich für den entschädigungslosen Landabzug
schützt, müssen sich diese nicht auf den bloßen Fortbestand einer "hinreichen-
den" Erschließung verweisen lassen (BVerwG, Urteil vom 18. November 2002
- 9 CN 1.02 - BVerwGE 117, 209 <217>). Im Hinblick darauf kann dem Anliegen
der Antragsteller, den ihnen seinerzeit zugewendeten konkreten Erschließungs-
vorteil zu verteidigen, die Schutzwürdigkeit nicht von vornherein abgesprochen
werden; auch der pauschale Hinweis des Oberverwaltungsgerichts auf gegebe-
nenfalls erforderliche "verkehrspolizeiliche Maßnahmen" erschöpft ihr Ab-
wehrinteresse nicht.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Verletzung eigener Rechte der Antrag-
steller schon deshalb als jedenfalls möglich, weil deren bereits vorprozessual
erhobener substantiierter Einwand, der durch das geplante Wohnbauvorhaben
ausgelöste fließende und ruhende Verkehr werde zu erheblichen Erschwernis-
sen für die Erreichbarkeit ihres Weinbaubetriebes führen, von der Antragsgeg-
nerin erkennbar überhaupt nicht berücksichtigt worden ist.
2. Erweist sich somit die Prozessabweisung als fehlerhaft, könnte der Senat in
der Sache nur entscheiden, wenn der Rechtsstreit entscheidungsreif wäre. Das
ist nicht der Fall, weil die Entscheidung einerseits irrevisibles, vom Oberverwal-
tungsgericht bislang nicht angewendetes Landesrechts berührt (a), andererseits
tatsächliche Feststellungen erfordert, die das Oberverwaltungsgericht nicht ge-
troffen hat (b).
a) Die formelle Rechtmäßigkeit der angegriffenen Satzung richtet sich unter
anderem nach landesrechtlichen Bestimmungen, die das Oberverwaltungsge-
richt, von seinem Standpunkt aus konsequent, bisher nicht herangezogen hat.
Von Bundesrechts wegen ist in § 58 Abs. 4 Satz 2 FlurbG festgelegt, dass die
Gemeindesatzung, mit der eine im gemeinschaftlichen Interesse der Beteiligten
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getroffene Festsetzung des Flurbereinigungsplans geändert oder aufgehoben
wird, der Zustimmung der Gemeindeaufsichtsbehörde bedarf. Die weiteren Ein-
zelheiten des bei der Aufstellung und Bekanntmachung der Satzung zu beach-
tenden Verfahrens sind demgegenüber ebenso dem Landesrecht zu entneh-
men wie etwaige Fehlerfolgen. Insoweit ist von Belang, dass die Kreisverwal-
tung T. die kommunalaufsichtliche Zustimmung zu der am 9. November 2011
öffentlich bekanntgemachten Satzung der Antragsgegnerin erst am 6. August
2013 nachträglich erteilt hat. Dieser erst im Revisionsverfahren vorgetragene,
aber unstreitige, nicht weiter beweisbedürftige und daher vom Revisionsgericht
zu berücksichtigende Umstand ist zu messen an § 119 Abs. 1 Satz 1 GemO
RP, wonach Satzungen, die der Genehmigung der Aufsichtsbehörde unterlie-
gen, erst nach der Erteilung der Genehmigung bekannt gemacht werden dür-
fen. Der Senat macht - auch mit Blick auf etwaige landesrechtliche Heilungs-
vorschriften - von dem ihm in § 173 VwGO in Verbindung mit § 563 Abs. 4 ZPO
eingeräumten prozessualen Ermessen dahin Gebrauch, dass er die Sache an
das Oberverwaltungsgericht zurückverweist, um diesem Gelegenheit zur Aus-
legung und Anwendung des von ihm bislang nicht angewandten irrevisiblen
Landesrechts zu geben.
b) Die materielle Rechtmäßigkeit der Satzung kann abschließend nicht ohne
weitere tatsächliche Feststellungen beurteilt werden.
Das Satzungsermessen der Antragsgegnerin war, wie schon erwähnt, im Hin-
blick auf die in § 58 Abs. 4 Satz 1 FlurbG angesprochenen öffentlichen und pri-
vaten Belange dahin eingeschränkt, dass sie die berechtigten Interessen der
Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens am Fortbestand der sie begünsti-
genden Festsetzungen des Flurbereinigungsplans abwägend zu berücksichti-
gen hatte (BVerwG, Urteil vom 18. November 2002 - 9 CN 1.02 - BVerwGE
117, 209 <217>). Die gerichtliche Kontrolle muss sich an den Grundsätzen aus-
richten, die in der Rechtsprechung für die Begrenzung der planerischen Gestal-
tungsfreiheit entwickelt worden sind. Dementsprechend ist zu prüfen, ob eine
Abwägung überhaupt stattgefunden hat, ob die nach Lage der Dinge abwä-
gungsbeachtlichen Belange in sie eingestellt worden sind und ob weder die Be-
deutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der
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Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen worden ist, die zu der
objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (stRspr, vgl.
etwa BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2011 - 4 A 4001.10 - BVerwGE 141, 1
Rn. 45 m.w.N).
Zu den einschlägigen Maßgaben für die gerichtliche Abwägungskontrolle gehö-
ren auch die Grundsätze über die eingeschränkte Beachtlichkeit von Abwä-
gungsfehlern, die etwa in § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB und im Fachplanungs-
recht Niederschlag gefunden haben, aber darüber hinaus Ausdruck des allge-
meinen Rechtsgedankens der Planerhaltung sind. Ein Mangel im Abwägungs-
vorgang ist danach nur erheblich, wenn er offensichtlich und auf das Abwä-
gungsergebnis von Einfluss gewesen ist (so BVerwG, Urteil vom 23. August
2006 - 10 C 4.05 - BVerwGE 126, 303 Rn. 32 für die Abwägungskontrolle ge-
genüber Festsetzungen des Flurbereinigungsplans). Offensichtlich in diesem
Sinne sind insbesondere Fehler, die die Zusammenstellung und Aufbereitung
des Abwägungsmaterials, die Erkenntnis und Einstellung aller wesentlichen
Belange in die Abwägung oder die Gewichtung der Belange betreffen und die
sich aus Akten, der Entwurfsbegründung oder aus sonstigen Umständen erge-
ben. Von Einfluss auf das Abwägungsergebnis ist ein Mangel, wenn ohne ihn
die konkrete Möglichkeit einer anderen Entscheidung bestanden hätte (stRspr,
vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 - 9 A 13.09 - BVerwGE 138,
226 Rn. 80 f. m.w.N.).
Nach diesem Maßstab dürfte der Antragsgegnerin in Bezug auf einen konkreten
Erschließungsvorteil, soweit er den Antragstellern und etwaigen weiteren
Landwirten durch die Festsetzungen des Flurbereinigungsplans verschafft wor-
den ist, ein offensichtlicher Mangel im Abwägungsvorgang unterlaufen sein.
Denn sowohl die Beschlussvorlage zu der angegriffenen Satzung als auch die
Satzungsbegründung lassen erkennen, dass es der Antragsgegnerin aus-
schließlich darum ging, den (vermeintlichen) Widerspruch zwischen der seiner-
zeit festgelegten und der tatsächlichen Wegenutzung zu beheben und die Er-
schließung des geplanten Bauvorhabens sicherzustellen, ohne dass ein rele-
vanter landwirtschaftlicher Erschließungsvorteil überhaupt in den Blick genom-
men wurde.
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Für die Entscheidung, ob bei einer Einbeziehung der Belange der Antragsteller
und etwaiger weiterer betroffener Landwirte in die Abwägung die konkrete Mög-
lichkeit einer anderen Entscheidung bestanden hätte, wird das Oberverwal-
tungsgericht zu berücksichtigen haben, dass eine Änderungssatzung nach § 58
Abs. 4 Satz 2 FlurbG regelmäßig nur dann ermessensfehlerfrei ergehen kann,
wenn sich die für die Festsetzung des Flurbereinigungsplans maßgebende Inte-
ressenlage geändert hat; das ist insbesondere dann der Fall, wenn die betref-
fenden Straßen oder Wege die ihnen ursprünglich zugedachte Verkehrsbedeu-
tung nicht erlangt oder nachträglich verloren haben (BVerwG, Urteil vom
18. November 2002 - 9 CN 1.02 - BVerwGE 117, 209 <215 f.>). Die für die
Funktionslosigkeit bauplanerischer Festsetzungen entwickelten Grundsätze
(vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 28. April 2004 - 4 C 10.03 - Buchholz 406.12 § 3
BauNVO Nr. 15 S. 4 m.w.N.) gelten auch für Festsetzungen eines Flurbereini-
gungsplans (BVerwG, Urteil vom 18. November 2002 - 9 CN 1.02 - BVerwGE
117, 209 <218>; Beschluss vom 26. April 2005 - 10 BN 1.04 - juris Rn. 2).
Funktionslos kann die betreffende Festsetzung danach sein, wenn und soweit
die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, ihre Verwirklichung auf
unabsehbare Zeit ausschließen und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass
ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient.
In diesem Zusammenhang macht die Antragsgegnerin geltend, das Wegestück
zur R. hin sei schon seit den frühen 1960er Jahren, mithin vor der Parzellierung
des Weges im Flurbereinigungsverfahren, und seither durchgehend öffentlich
genutzt worden, und zwar zunächst für die Volksschule, dann für den Kinder-
garten auf dem ehemaligen Schulgelände und schließlich für den neuen Kin-
dergarten, der auf der gegenüberliegenden Seite des Weges errichtet wurde
und ebenfalls über diesen erschlossen wird. Insoweit ist allerdings fraglich, ob
die von Volksschule und Kindergarten ausgelöste Verkehrsbelastung in der
Vergangenheit ein derartiges Ausmaß erreicht hat, dass sie die Verwirklichung
der besonderen landwirtschaftlichen Erschließungsfunktion des Weges auf un-
absehbare Zeit offensichtlich ausschloss.
Sollte das Oberverwaltungsgericht feststellen, dass die Antragsteller und etwai-
ge weitere Begünstigte weiterhin ein rechtlich geschütztes Interesse am Fortbe-
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stand des flurbereinigungsrechtlichen Sonderregimes für den Wirtschaftsweg
haben, muss dieses Interesse gegenüber einem gegenläufigen öffentlichen In-
teresse allenfalls dann zurückstehen, wenn den Begünstigten ein angemesse-
ner - unter Umständen finanzieller - Ausgleich geboten wird und ihnen der Ver-
zicht auf ihren konkreten Erschließungsvorteil unter Berücksichtigung dieses
Ausgleichs zumutbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2002 - 9 CN
1.02 - BVerwGE 117, 209 <218 f.>).
3. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist der Schlussentschei-
dung vorzubehalten.
Dr. Bier
Prof. Dr. Korbmacher
Dr. Bick
Dr. Külpmann
Steinkühler
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 10.000 €
festgesetzt § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG).
Dr. Bier
Prof. Dr. Korbmacher
Steinkühler
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