Urteil des BVerwG vom 02.03.2015

Berechnung der Beiträge, Gemeinde, Bier, Begriff

BVerwGE: ja
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Erschließungs-, Erschließungsbeitrags- und
Straßenbaubeitragsrecht
Rechtsquelle/n:
BauGB § 128 Abs. 1
Leitsatz/-sätze:
Rechtsanwaltskosten, die für die Berechnung von Erschließungsbeiträgen bzw.
die Erstellung der Heranziehungsbescheide entstanden sind, zählen nicht zu den
Kosten im Sinne des § 128 Abs. 1 BauGB.
Urteil des 9. Senats vom 2. März 2015 - BVerwG 9 C 7.14
I. VG Gießen vom 23. April 2013
Az: VG 8 K 1343/12.GI
II. VGH Kassel vom 17. Dezember 2013
Az: VGH 5 A 1555/13
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 9 C 7.14
VGH 5 A 1555/13
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. März 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Korbmacher,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bick und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessi-
schen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Dezember 2013
wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu einem Erschließungsbei-
trag für die Erschließungsanlage B.straße im Gemeindegebiet der Beklagten.
Mit Bescheid vom 26. September 2011 zog die Beklagte den Kläger als Eigen-
tümer des Grundstücks B.straße … für die endgültig hergestellte Erschlie-
ßungsanlage zu einem Beitrag von 25 404,93 € heran. Der Klage, mit der ge-
rügt wurde, die Beklagte habe zu Unrecht bei der Ermittlung des Erschlie-
ßungsaufwandes Kosten für die Bescheidberechnung und Bescheiderstellung
durch ein Rechtsanwaltsbüro in Höhe von 1 785 € berücksichtigt, haben das
Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen stattgege-
ben. Die Kosten für die Einschaltung des Rechtsanwaltsbüros gehörten nicht
zum umlagefähigen Erschließungsaufwand. Hiergegen wendet sich die Revisi-
on der Beklagten.
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Die Beklagte beantragt,
die Urteile de Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom
17. Dezember 2013 und des Verwaltungsgerichts Gießen
vom 23. April 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne münd-
liche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 141 Satz 1
VwGO), ist zulässig, aber nicht begründet. Das Berufungsurteil verstößt nicht
gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).
Das Berufungsgericht hat zu Recht die Kosten, die nach seiner Feststellung
durch die Beauftragung eines Rechtsanwaltsbüros mit der Berechnung der Er-
schließungsbeiträge und der Erstellung der Beitragsbescheide entstanden sind,
nicht als "Kosten" im Sinne des § 128 Abs. 1 BauGB angesehen.
Nach §§ 127 ff. BauGB darf nur derjenige Aufwand auf die Beitragspflichtigen
umgelegt werden, der zum "Erschließungsaufwand" im Sinne des § 128 Abs. 1
BauGB gehört. Dabei handelt es sich in erster Linie um Erwerbs- und Herstel-
lungskosten der Gemeinde, Kosten für die (vertragliche) Übernahme von Anla-
gen als gemeindliche Anlagen und um den Wertersatz für von der Gemeinde
bereitgestellte Flächen (BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1979 - 4 C 16.76 - Buchholz
406.11 § 128 BBauG Nr. 24 S. 18). Erfasst werden durch die Aufzählung in
§ 128 Abs. 1 BauGB nicht nur die Kosten, die im Bereich der Fläche der betref-
fenden Anlage selbst angefallen sind, sondern darüber hinaus auch sonstige
von der erstmaligen Herstellung der betroffenen Anlage erforderte und in die-
sem Sinne "notwendige" Kosten (BVerwG, Urteile vom 7. Juli 1989 - 8 C 86.87 -
BVerwGE 82, 215 <219 f.> und vom 23. Februar 1990 - 8 C 75.88 - BVerwGE
85, 1 <3 f.>). § 128 Abs. 1 BauGB führt abschließend die Kosten auf, die in den
beitragsfähigen Erschließungsaufwand eingehen (BVerwG, Urteile vom
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22. Februar 1974 - 4 C 18.73 - Buchholz 406.11 § 128 BBauG Nr. 14 S. 26 und
vom 4. Mai 1979 - 4 C 16.76 - Buchholz 406.11 § 128 BBauG Nr. 24 S. 18). Die
Aufzählung der Vorgänge in § 128 Abs. 1 BauGB, die allein den Erschließungs-
aufwand kostenmäßig belasten dürfen, sagt allerdings noch nichts darüber aus,
was im Einzelnen unter den Kosten dieser Vorgänge zu verstehen ist. Der Be-
griff der Kosten selbst wird im Gesetz nicht definiert, sondern ist nach der all-
gemeinen Verkehrsauffassung auszulegen (BVerwG, Urteil vom 21. Juni
1974 - 4 C 41.72 - BVerwGE 45, 215 <216>).
Gemessen hieran zählen die Rechtsanwaltskosten, die für die Berechnung von
Erschließungsbeiträgen und die Erstellung der Heranziehungsbescheide ent-
standen sind, nicht zu den Kosten im Sinne des § 128 Abs. 1 BauGB. Diese
Aufwendungen können zwar im vorliegenden Fall eindeutig und ausschließlich
der Erschließungsanlage B.straße zugeordnet werden, weshalb sie nicht von
vornherein aus dem Begriff der berücksichtigungsfähigen Verwaltungskosten
ausscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 1974 - 4 C 41.72 - BVerwGE 45,
215 <216 f.>). Es fehlt aber an dem für die Einbeziehung in den Kostenbegriff
erforderlichen inneren Zusammenhang gerade mit der der Er-
schließungsanlage. Die Aufwendungen für die Beitragsberechnung und Be-
scheiderstellung sind nicht durch die Herstellung der Erschließungsanlage als
solche begründet. Sie sind weder Kosten "der" erstmaligen Herstellung noch
Kosten "für" die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage. Es handelt
sich bei ihnen vielmehr um Kosten, die der Gemeinde als Folge der erstmaligen
Herstellung und des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht für die Umlegung
des Erschließungsaufwandes entstehen. Sie unterfallen daher nicht dem Kos-
tenbegriff des § 128 Abs. 1 BauGB (ebenso VGH München, Beschluss vom
26. Januar 2006 - 6 ZB 03.385 - BayVBl. 2006, 471; Driehaus, Erschließungs-
und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 13 Rn. 4; Becker, Erschließungsbeitrags-
recht in der kommunalen Praxis, 2004, Rn. 247; Ruff, KStZ 2012, 226 <227,
231>; Eiding, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 2. Aufl. 2014, § 128 Rn. 6.2;
Kröninger/Kniest, in: Ferner/Kröninger/Aschke, BauGB, 3. Aufl. 2013, § 128
Rn. 4).
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Die Kosten für die Beauftragung eines externen Dritten können auch nicht mit
den von der Beklagten genannten Kosten für naturschutzrechtliche Aus-
gleichsmaßnahmen (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl.
2012, § 13 Rn. 57) oder die Herstellung von Abbiegespuren an einer Verbin-
dungsstraße (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 1990 - 8 C 75.88 - BVerwGE
85, 1 <3 f.>) verglichen werden. In beiden von der Beklagten herangezogenen
Fällen handelt sich um Kosten "für" die Herstellung der Anlage, bei denen der
innere Zusammenhang mit dem Herstellungsaufwand besteht, auch wenn die-
ser nicht auf der Fläche der betreffenden Erschließungsanlage selbst angefal-
len ist. Auch die von der Beklagten behaupteten Schwierigkeiten kleinerer Ge-
meinden bei der Berechnung des Erschließungsaufwandes und der Erstellung
der Erschließungsbeitragsbescheide durch eigenes Personal können - die Rich-
tigkeit der Behauptung unterstellt - nichts daran ändern, dass Aufwendungen für
die Beauftragung eines externen Dritten mit diesen Tätigkeiten nicht zu den
"durch die Erschließung erforderten Kosten" zählen, die die Gemeinde auf die
Beitragspflichtigen umzulegen berechtigt und verpflichtet ist (vgl. BVerwG, Urteil
vom 23. Februar 1990 - 8 C 75.88 - BVerwGE 85, 1 <4>; Reif/Rieche/Gloser,
BWGZ 2005, 595 <604> und Ruff, ZKF 2013, 252 <252 f.>). Eine Berücksichti-
gung der Kosten für die Bescheiderstellung durch ein Rechtsanwaltsbüro oder
einen anderen externen Dritten kommt im Übrigen auch deshalb nicht in Be-
tracht, weil der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit die Gemeinde verpflich-
tet, ihre Aufgaben grundsätzlich durch eigene Verwaltungseinrichtungen, also
mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzu-
nehmen (BVerfG, Urteil vom 20. Dezember 2007 - 2 BvR 2433, 2434/04 -
BVerfGE 119, 331 <367, 372 f.>). Dies schließt es aus, ohne besondere ge-
setzliche Ermächtigung einen privaten Geschäftsbesorger mit der eigenständi-
gen Erstellung von Beitragsbescheiden zu beauftragen (BVerwG, Urteil vom
23. August 2011 - 9 C 2.11 - BVerwGE 140, 245 Rn. 14). Soweit die Beklagte
geltend macht, ihr Auftrag an das Rechtsanwaltsbüro habe sich nur auf die
Überprüfung der Kosten und die Verteilung auf die erschlossenen Flächen er-
streckt, während sie die Bescheide auf der Grundlage dieser Vorarbeiten selbst
erstellt habe, steht dem die mit Verfahrensrügen nicht angegriffene und daher
im Revisionsverfahren bindende (§ 137 Abs. 2 VwGO) Feststellung des Beru-
fungsgerichts entgegen, der angefochtene Bescheid enthalte Rechtsanwalts-
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kosten für die Berechnung der Beiträge und die Bescheiderstellung. Abgesehen
davon würde sich auch dann, wenn die umstrittenen Aufwendungen der Beklag-
ten allein für die externe Ermittlung der Erschließungsbeiträge angefallen sein
sollten, nichts an dem Ergebnis ändern, dass es sich aus den genannten Grün-
den um keine Kosten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage
handelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Dr. Bier
Buchberger
Prof. Dr. Korbmacher
Dr. Bick
Steinkühler
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 697,12 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG).
Dr. Bier
Prof. Dr. Korbmacher
Steinkühler
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