Urteil des BVerwG vom 24.08.2009

Entschädigung, Rechtsnatur, Enteignung, Eigentumsentzug

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 32.09
OVG 7 KS 39/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. August 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte und Prof. Dr. Korbmacher
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 20. November 2008 wird zurück-
gewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beige-
ladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 € fest-
gesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
1. Die Voraussetzungen einer Zulassung der Beschwerde nach § 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO wegen entscheidungserheblicher Abweichung von einer Entschei-
dung des Bundesverwaltungsgerichts sind nicht erfüllt. Eine Abweichung im
Sinne dieser Vorschrift liegt nur dann vor, wenn sich das Oberverwaltungsge-
richt in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung
tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in einer Entscheidung des Bundes-
verwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch ge-
setzt hat (stRspr; vgl. z.B. Beschluss vom 12. Dezember 1991 - BVerwG 5 B
68.91 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302 m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Die Beschwerde rügt eine Abweichung der angefochtenen Entscheidung von
dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 1983 (BVerwG
4 C 40 und 41.80 - Buchholz 407.4 § 1 FStrG Nr. 5). Während das Bundesver-
waltungsgericht in diesem Urteil den abstrakten Rechtssatz aufgestellt habe, für
die Beantwortung der Frage, ob eine Bundesautobahn planfestgestellt worden
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sei, seien ausschließlich materielle Kriterien maßgeblich, habe das Oberverwal-
tungsgericht den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, die Rechtsnatur einer Bun-
desfernstraße - Bundesstraße oder Bundesautobahn - bestimme sich (aus-
schließlich) nach Titel und Inhalt des Planfeststellungsbeschlusses. Diese Rüge
ist bereits deshalb nicht geeignet, eine Divergenz zu begründen, weil das Ober-
verwaltungsgericht den ihm zugeschriebenen Rechtssatz weder ausdrücklich
noch sinngemäß aufgestellt hat. Mit der Formulierung, planfestgestellt sei „aus-
drücklich und inhaltlich der Ausbau einer Bundesfernstraße im Sinne von § 1
Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 (Bundesstraße) FStrG, nicht der einer Bundesautobahn
nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift“ (UA S. 10), hat das Oberverwaltungsgericht
gerade nicht allein auf den Titel des Beschlusses und die Angaben des Vorha-
benträgers in der Planbegründung abgestellt. Die Formulierung ist vielmehr er-
kennbar dahin zu verstehen, dass das Gericht aufgrund eigener Überprüfung
der zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Planfeststellungsbe-
schlusses und der Planunterlagen zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die
Klassifizierung der Bundesfernstraße als Bundesstraße in der Sache („inhalt-
lich“), also insbesondere hinsichtlich der geplanten technischen Ausführung und
der Verkehrsbedeutung, den rechtlichen Vorgaben des Bundesfernstra-
ßengesetzes entspricht.
2. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt der Rechtssache nicht zu.
a) Die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage
„Wird die Rechtsnatur einer Bundesfernstraße als Bun-
desautobahn oder Bundesstraße mit Ortsdurchfahrten be-
stimmt durch die Bezeichnung (Etikett) im Planfeststel-
lungsbeschluss oder durch die Abgrenzungsmerkmale
gem. § 1 Abs. 1 - 3 FStrG?“
rechtfertigt die Zulassung der Revision schon deswegen nicht, weil das Ober-
verwaltungsgericht - wie unter 1. dargelegt - nicht isoliert auf das „Etikett“ des
Planfeststellungsbeschlusses, sondern auch auf inhaltliche Kriterien abgestellt
hat. Die Frage ist mithin nicht entscheidungserheblich. Im Übrigen weist die
Beschwerde selbst darauf hin, dass Klärungsbedarf im Sinne des § 132 Abs. 2
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Nr. 1 VwGO deswegen nicht bestehe, weil die „Rechtsfrage … bereits höchst-
richterlich geklärt“ sei.
Auch die im Zusammenhang mit der vorgenannten Frage formulierten weiteren
Teilfragen
„Hat die Planfeststellungsbehörde das Recht, eine Bun-
desstraße planfestzustellen, wenn die planfestgestellte
Maßnahme nach dem Fernstraßengesetz eine Bundesau-
tobahn ist?“
„Ist es rechtsfehlerhaft, eine - nach dem erstrebten End-
zustand - gewollte Bundesautobahn zu planen und die
Planung als Bundesstraße planfestzustellen?“
„Ist es abwägungsfehlerhaft, bei der Planung einer Bun-
desautobahn unter dem Deckmantel einer Bundesstraße,
die zumindest in rechtlicher Hinsicht stärkere Belastung
durch Nutzungsbeschränkungen und zumindest durch tat-
sächliche zusätzliche Belastungen durch Lärmimmissio-
nen nicht in die Abwägung einzustellen?“
rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Diesen Fragestellungen liegt die
Auffassung zugrunde, der angefochtene Planfeststellungsbeschluss beruhe auf
einer unzutreffenden Klassifizierung der planfestgestellten Straße als Bundes-
straße. Dies entspricht - wie bereits dargelegt - nicht den Feststellungen des
Oberverwaltungsgerichts in dem angegriffenen Urteil.
b) Die Frage
„Ist ein Planfeststellungsbeschluss rechtsfehlerhaft, wenn
die Planfeststellungsbehörde eine Abwägung einerseits
zwischen einer vom Einwendenden vorgetragenen, sich
aufdrängenden und andererseits vom Vorhabenträger ge-
planten Trassenführung nicht vornimmt und insbesondere
die Gründe für die geplante Trassenführung nicht nennt
und die Planfeststellungsbehörde soweit auch keine Ab-
wägung der Trassenführung vornimmt?“
rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Die Beschwerde legt
nicht dar (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), inwiefern vor dem Hintergrund der von
ihr selbst zitierten ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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zur abwägungsfehlerfreien Trassenauswahl noch weiterer Klärungsbedarf in
einem Revisionsverfahren bestehen soll. Sie wendet sich mit ihrer Grundsatz-
rüge vielmehr gegen die im Planfeststellungsbeschluss getroffene Trassenent-
scheidung und kritisiert, das Oberverwaltungsgericht habe die eigene Abwä-
gung an die Stelle einer Abwägung der Straßenbauverwaltung gesetzt und sei
mit nicht nachvollziehbarer Begründung zu dem Schluss gekommen, dass eine
erhebliche zusätzliche Wertminderung nicht eintreten werde. Damit erweist sich
die vorstehende Frage in Wahrheit als Angriff auf die konkrete Rechtsanwen-
dung des Oberverwaltungsgerichts, ohne anzugeben, worin die über den kon-
kreten Einzelfall hinausgehende fallübergreifende Bedeutung der Rechtssache
liegen soll (vgl. auch hierzu Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B
261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.).
c) Grundsätzliche Bedeutung kommt auch nicht der Frage zu:
„Ist ein Kläger mit der Geltendmachung des Übernahme-
anspruches präkludiert, wenn er einerseits erhebliche
Einwendungen gegen die Planung erhebt und auf die un-
zumutbaren Auswirkungen der Planung für die Nutzung
seines Grundstückes hinweist, andererseits einen Über-
nahmeanspruch erst im gerichtlichen Verfahren geltend
macht?“
Es fehlt an der Entscheidungserheblichkeit der Frage. Die Beschwerde über-
sieht, dass ihre Frage nur eine von zwei jeweils selbständig tragenden Begrün-
dungen betrifft, mit denen das Oberverwaltungsgericht den Einwand des Klä-
gers zurückgewiesen hat, die Beeinträchtigungen seines Grundstücks hätten
unter dem Aspekt eines Übernahmeanspruchs gegen Entschädigung gewürdigt
werden müssen. Denn das Oberverwaltungsgericht hat unabhängig von Erwä-
gungen zur Präklusion die Frage verneint, ob eine Verpflichtung des Beklagten
zur Übernahme des Grundstücks des Klägers bestand. Bei einer solchen mehr-
fachen, die Entscheidung jeweils selbständig tragenden Begründung kann die
Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen
ein Revisionsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr; vgl. etwa Be-
schluss vom 19. August 1997 a.a.O. S. 15). Daran fehlt es hier. Zwar hat die
Beschwerde die weitere Urteilsbegründung ebenfalls mit einer Grundsatzrüge
angegriffen. Auch die insoweit aufgeworfene Frage
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„Kann der enteignungsbetroffene Kläger verlangen, dass
im verwaltungsgerichtlichen Verfahren insgesamt über die
Zulässigkeit und Gebotenheit eines Übernahmeanspru-
ches entschieden wird?“
rechtfertigt aber nicht die Zulassung der Revision. Diese Frage ist in der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt.
Ob über einen Anspruch auf Grundstücksübernahme gegen Entschädigung
bereits im Planfeststellungsbeschluss zu befinden ist, richtet sich nach der Art
der anspruchsbegründenden Beeinträchtigungen. Ermöglicht ein Planfeststel-
lungsbeschluss den unmittelbaren Zugriff auf das Grundeigentum durch Entzug
oder Teilentzug dieser Rechtsposition, bildet er also die Grundlage für eine
Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG), so ist die Regelung der damit verbundenen
Entschädigungsfragen einschließlich der Frage einer Übernahme des Gesamt-
grundstücks dem von der Planfeststellung gesonderten Enteignungsverfahren
vorbehalten. Wirkt eine Planung demgegenüber nur mittelbar - ohne Grund-
stücksinanspruchnahme - durch die mit ihr verbundene Situationsveränderung
in der Umgebung des Planvorhabens auf Rechtspositionen Dritter ein, so ent-
faltet der Planfeststellungsbeschluss keine enteignende (Vor-)Wirkung im Sinne
von Art. 14 Abs. 3 GG, sondern bestimmt - unabhängig von der Intensität der
Beeinträchtigung - lediglich die Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14
Abs. 1 Satz 2 GG. Da mittelbare Beeinträchtigungen durch den Plan-
feststellungsbeschluss hervorgerufen werden, ohne dass es - wie beim Rechts-
entzug - eines gesonderten Rechtsakts in Gestalt des Enteignungsbeschlusses
bedarf, hat die Planfeststellungsbehörde dem Grunde nach schon im Planfest-
stellungsbeschluss über daraus resultierende Entschädigungsansprüche ge-
mäß § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG zu entscheiden. Dies trifft auch für den Über-
nahmeanspruch wegen schwerer und unerträglicher mittelbarer Beeinträchti-
gungen zu, denn bei ihm handelt es sich um eine besondere Art des Entschä-
digungsanspruchs nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG (vgl. Urteil vom 7. Juli 2004
- BVerwG 9 A 21.03 - Buchholz 406.16 Grundeigentumsschutz Nr. 87 S. 9 f.
m.w.N.).
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Die Beschwerde zeigt keine Gesichtspunkte auf, die diese Beurteilung in Frage
stellen und Anlass zu einer revisionsgerichtlichen Prüfung geben könnten. Sie
beschränkt sich darauf, die Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittel-
baren Beeinträchtigungen und die danach gegebenen unterschiedlichen Zu-
ständigkeiten als wenig geglückt zu kritisieren und eine umfassende Prüfung
von Übernahmeansprüchen hinsichtlich unmittelbarer und mittelbarer Beein-
trächtigungen „im verwaltungsgerichtlichen Verfahren“ zu fordern. Diese Aus-
führungen berücksichtigen nicht, dass der Entscheidung im Planfeststellungs-
beschluss, welche Flächen für das Vorhaben benötigt werden und dem bisheri-
gen Eigentümer entzogen werden dürfen, die Abwägung vorauszugehen hat,
ob der Eigentumsentzug und die sonstigen mit der Inanspruchnahme verbun-
denen Nachteile für den Betroffenen im Interesse der für das Vorhaben spre-
chenden öffentlichen Belange in Kauf genommen werden sollen. Dabei hat der
Planfeststellungsbeschluss bei Entzug einer Teilfläche auch die von dem Vor-
haben ausgehenden Beeinträchtigungen des Restgrundstücks in die Abwägung
einzubeziehen. Die Frage, ob die Beeinträchtigungen in ihrer Summe das Maß
des Erträglichen übersteigen und zu einem Übernahmeanspruch führen, kann
der Planfestellungsbeschluss in einem solchen Falle allerdings offen lassen,
wenn er unabhängig von dieser Frage den für die Planung sprechenden Ge-
sichtspunkten den Vorrang einräumt (Urteil vom 7. Juli 2004 a.a.O. S. 8).
d) Die Frage
„Ist es rechtsfehlerhaft, wenn bei der Prüfung eines Über-
nahmeanspruches durch mittelbare Beeinträchtigung le-
diglich auf die Auswirkungen einer planfestgestellten Bun-
desstraße, nicht aber auf diejenigen einer tatsächlich
rechtlich planfestgestellten Bundesautobahn abgestellt
wird?“
rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Wie bereits oben unter
1. dargelegt, ist nach den nicht erfolgreich mit Revisionsrügen angegriffenen
Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts eine Bundesstraße und keine
Bundesautobahn planfestgestellt worden. Die von der Beschwerde formulierte
Grundsatzfrage ist mithin nicht entscheidungserheblich.
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e) Schließlich möchte die Beschwerde die Frage geklärt wissen:
„Welche Rechtsfolgen hat es, wenn der Vorhabensträger
im Erörterungstermin eine Planänderung zusichert, keinen
schriftlichen Planänderungsantrag stellt und die Planfest-
stellungsbehörde nach den eingereichten Planungen ent-
scheidet, ohne die zugesagte Planänderung zu berück-
sichtigen?“
Diese Frage bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie nicht
entscheidungserheblich ist. Das Oberverwaltungsgericht hat die Festsetzung
einer Kombination eines 1 m hohen Walles und einer 5 m hohen Lärmschutz-
wand nordöstlich des Grundstücks des Klägers als abwägungsfehlerfrei erach-
tet und daher die Frage, ob hinsichtlich des Wunsches des Klägers nach einer
reinen Lärmschutzwand durch den Vorhabenträger eine Zusage zur Planände-
rung abgegeben wurde, nicht angesprochen. Es hat lediglich im Rahmen zu-
sätzlicher, die Entscheidung nicht tragender Erwägungen zum Rechtsschutz-
bedürfnis darauf hingewiesen, dass nach den Erklärungen des Beklagten und
der Beigeladenen dem Kläger mehrfach erfolglos angeboten worden sei, statt
der Kombination eine reine Wandkonstruktion zu errichten. Die die Entschei-
dung tragende rechtliche Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, nach der es
auf die genannte Frage nicht ankommt, greift die Beschwerde zwar als rechts-
fehlerhaft an. Einen eigenständigen Revisionszulassungsgrund bringt sie inso-
weit aber nicht vor.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die
Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 1, § 47
Abs. 1 und 3 GKG.
Dr. Storost
Dr. Nolte
Prof. Dr. Korbmacher
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