Urteil des BVerwG vom 12.08.2014

Gemeinde, Gewerbesteuer, Quellensteuer, Doppelbesteuerungsabkommen

Sachgebiet:
Sonstiges Abgabenrecht
BVerwGE: nein
Fachpresse: ja
Sachgebietsergänzung:
Gewerbesteuer
Rechtsquelle/n:
GewStG §§ 7, 8, 9, 11, 14, 16
AO § 182 Abs. 1 Satz 1, § 184 Abs. 1 Satz 4
Stichwort/e:
Gewerbesteuer; Quellensteuer; ausländische Quellensteuer;
Doppelbesteuerungsabkommen; Gewerbesteuerbescheid;
Gewerbesteuermessbescheid; Grundlagenbescheid; Bindungswirkung;
Finanzamt; Gemeinde.
Leitsatz/-sätze:
Für die Anrechnung ausländischer Quellensteuer auf die deutsche
Gewerbesteuer aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens ist das
Finanzamt und nicht die Gemeinde zuständig.
Beschluss des 9. Senats vom 12. August 2014 - BVerwG 9 B 23.14
I. VG Wiesbaden vom 14. Dezember 2011
Az: VG 1 K 343/11.WI
II. VGH Kassel vom 17. Dezember 2013
Az: VGH 5 A 329/12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 23.14
VGH 5 A 329/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. August 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Buchberger und Dr. Bick
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 17. Dezember 2013 wird zurückgewie-
sen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Be-
schwerdeverfahren auf 118 860 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Der Frage,
ob die Gemeinde im Rahmen der Festsetzung und Erhe-
bung der Gewerbesteuer gemäß § 16 GewStG zuständig
ist für die Anrechnung ausländischer Quellensteuer auf die
deutsche Gewerbesteuer, die gemäß einem Doppelbe-
steuerungsabkommen einbehalten und abgeführt wurde
und nach dem Doppelbesteuerungsabkommen in
Deutschland anrechenbar ist,
kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.
Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift, zu
der eine höchstrichterliche Entscheidung bislang noch nicht ergangen ist, ist
allein deshalb von grundsätzlicher Bedeutung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache viel-
mehr nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkre-
te fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts
von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und
zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwick-
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lung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt
sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen vorliegen.
Sollte die aufgeworfene Frage dahingehend gemeint sein, dass die Anrechen-
barkeit einer ausländischen Quellensteuer auf die deutsche Gewerbesteuer
aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens feststeht und (lediglich) geklärt
werden soll, ob für diese zwingend vorgeschriebene Anrechnung die Gemeinde
im Rahmen der Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer gemäß § 16
GewStG zuständig ist, unterstellt sie Umstände, die der Verwaltungsgerichtshof
so nicht festgestellt hat. Er hat sich gerade nicht mit der in der Literatur streiti-
gen Frage befasst, ob nach dem hier in Rede stehenden Doppelbesteuerungs-
abkommen (Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein-
kommen und bestimmter anderer Steuern, zur Verhinderung der Steuerverkür-
zung und zur Amtshilfe in Steuersachen, im Folgenden: DBA Kanada), das am
28. März 2002 in Kraft getreten ist, ausländische Quellensteuern in Deutschland
im Rahmen der Gewerbesteuer anrechenbar sind oder nicht (vgl. zu diesem
Streit etwa Frotscher, in: FS Frotscher 2013, S. 115 ff.; Becker/Loose, IStR
2012, 57 ff.; Kessler/Dietrich, IStR 2011, 108 ff. und 953 ff.; Eglmaier, IStR
2011, 951 ff. und 955 ff.). Dementsprechend hat das Gericht die Frage der An-
rechenbarkeit auch nicht, wie die Formulierung der Frage nahelegen könnte,
bejaht. Ebenso wenig steht die zwingende Anrechenbarkeit aufgrund sonstiger
Umstände, etwa eines eindeutigen Wortlauts des Abkommens, fest, wie der
Meinungsstreit belegt.
Hiervon ausgehend kann es nur um die Frage gehen, ob die Gemeinde für eine
sich aus dem DBA Kanada ergebende Anrechnung zuständig
ist. Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass (erstens) die
Frage der Anrechenbarkeit der kanadischen Quellensteuer in die ausschließli-
che Zuständigkeit des Finanzamtes fällt, das den Steuermessbetrag nac
i.V.m.s. 1, §O festzusetzen hat, dass (zwei-
tens) das Finanzamt im konkreten Fall - mit Bindungswirkung für die Gemein-
de - über die Frage der Anrechenbarkeit auch tatsächlich entschieden hat, was
sich aus der ausführlichen Einspruchsentscheidung vom 30. November 2010
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ergebe, und dass (drittens) das DBA Kanada in diese Aufgabenverteilung zwi-
schen Finanzamt und Gemeinde nicht eingreife; es stelle insoweit keine den
Steuergesetzen gemvorgehende Regelung dar (UA S. 9 f.).
Der Verwaltungsgerichtshof weist zutreffend darauf hin, dass die beschriebene
Zuständigkeitsverteilung zwischen Finanzamt und Gemeinde bei der Festset-
zung der Gewerbesteuer gefestigter Rechtsprechung entspricht; sie ergibt sich
im Übrigen eindeutig aus dem Gesetz. Danach ermitteln die Finanzämter zu-
nächst die steuerrelevanten Sachverhalte: Sie setzen den Gewerbesteuer-
messbetrag durch Anwendung eines Prozentsatzes (Steuermesszahl) auf den
Gewerbeertrag durch den Gewerbesteuermessbescheid fest (§§ 11, 14
GewStG i.V.m. § 184 AO). Der Gewerbeertrag ist nach §Abs. 1 Satz 1
GewStG der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes zu ermit-
telnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, vermehrt und vermindert um die in
denbezeichneten Beträge (Hinzurechnungen und Kürzun-
gen). Der vom Finanzamt erlassene Gewerbesteuermessbescheid entfaltet als
Grundlagenbescheid für die Gemeinde, die in einem zweiten Schritt nac
unter Anwendung ihres Hebesatzes die Gewerbesteuer festzusetzen
und zu erheben hat, nach § 184 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 182 Abs. 1 AO Bin-
dungswirkung (vgl. nur Urteil vom 15. Juni 2011 - BVerwG 9 C 4.10 - BVerwGE
140, 34 Rn. 20 sowie
- juris Rn. 3 und vom 30. Dezember 1997 - BVerwG 8 B 161.97 - Buch-
holz 401.0 § 184 AO Nr. 2; BFH, Urteile vom 21. Juli 1999 - I R 111/98 - NVwZ
2000, 838 <839> und vom 19. November 2003 - I R 88/02 - BFHE 204, 283
Rn. 22). Eine eigene Entscheidung über die Besteuerungsgrundlagen steht der
Gemeinde nicht zu. Die Gemeinden sollen keine eigenen Nachforschungen an-
stellen müssen, weil die Finanzbehörden die Besteuerungsgrundlagen ohne-
dies für die Zwecke anderer Steuern ermitteln. Zudem sollen die Gemeinden
von den komplexen und schwierigen Fragen, die das Gewerbesteuergesetz
insofern aufwirft, entlastet werden (vgl. nur Brandis, in: Tipke/Kruse, Abgaben-
ordnung Stand: Mai 2011 § 184 Rn. 4). Der Steuerpflichtige kann Einwendun-
gen gegen die Besteuerungsgrundlagen nur durch Anfechtung des Steuer-
messbescheides, also ausschließlich im finanzgerichtlichen Verfahren geltend
machen; im Anfechtungsverfahren gegen den von der Gemeinde erlassenen
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Gewerbesteuerbescheid sind Einwendungen gegen den Gewerbesteuermess-
bescheid ausgeschlossen (Urteil vom 17. Januar 1980 - BVerwG 7 C 56.78 -
Buchholz 401.5 § 5 GewStG Nr. 3).
Dies zugrunde gelegt bedarf es zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage
nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die Frage der Anrechnung
einer ausländischen Quellensteuer (hier auf steuerfreie Dividendenerträge
i.S.d. § 8b Abs. 1 KStG) auf die Gewerbesteuer fällt in die Zuständigkeit der
Finanzbehörde. Ein mögliches „Einfallstor“ für eine derartige Anrechnung stel-
len die Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschriften der §§ 8 und 9 GewStG dar
(vgl. speziell zu Dividendenerträgen Güroff, in: Glanegger/Güroff, GewStG,
8. Aufl. 2014, § 8 Nr. 5 Rn. 6 m.w.N. sowie allgemein zum Verhältnis gewerbe-
steuerlicher Hinzurechnungen oder Kürzungen zu bestimmten Doppelbesteue-
rungsabkommen BFH, Urteile vom 7. Dezember 2011 - I R 30/08 - BFHE 236,
159 Rn. 26 ff., vom 23. Juni 2010 - I R 71/09 - BFHE 230, 177 Rn. 10 ff. und
vom 22. Februar 2006 - I R 30/05 -PR 2006, 362 Rn. 10 ff.).
Neue Gesichtspunkte, aus denen in dem erstrebten Revisionsverfahren zusätz-
liche Erkenntnisse gewonnen werden könnten, legt die Beschwerde nicht dar.
Sie geht vielmehr selbst von dem beschriebenen zweigeteilten Besteuerungs-
verfahren und der aus der Grundlagenfunktion des Steuermessbescheides fol-
genden Bindungswirkung für die Gemeinde aus. Soweit sie dennoch die These
aufstellt, der „Feststellungsbereich“ des Gewerbesteuermessbescheides erfas-
se nicht die Anrechenbarkeit ausländischer Quellensteuern und falle deshalb in
den Zuständigkeitsbereich der Gemeinde, bleibt sie eine tragfähige Begründung
hierfür schuldig. Der bloße Hinweis darauf, dass die fragliche Anrechnung „als
Steuerermäßigung Teil der Steuerfestsetzung“ sei, so dass hierüber auch „im
Steuerfestsetzungsverfahren“ zu entscheiden sei, verkennt den systematischen
Zusammenhang der hier umstrittenen abkommensrechtlichen Steuerfreistellung
mit den oben erwähnten Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschriften der §§ 8
und 9 GewStG. Daraus ergibt sich ohne weiteres die vom Oberverwaltungsge-
richt insofern zu Recht angenommene Bindung der beklagten Gemeinde an den
Gewerbesteuermessbescheid im Rahmen des dem Finanzamt eröffneten Fest-
stellungsbereiches. Aus demselben Grund ist der von der Beschwerde ange-
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regten Aussetzung des Verfahrens (§ 94 VwGO) nicht näher zu treten; denn der
Umstand, dass die Klägerin beim Finanzamt nachträglich die gesonderte Fest-
stellung der kanadischen Quellensteuer beantragt hat, lässt die Bestandskraft
des die Beklagte bindenden Gewerbesteuermessbescheides unberührt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Dr. Bier
Buchberger
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