Urteil des BVerwG vom 11.09.2014

Echte Rückwirkung, Stadt, Materielles Recht, Lwg

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 22.14
OVG 9 B 34.12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. September 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Korbmacher
und Steinkühler
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Ber-
lin-Brandenburg vom 14. November 2013 wird zurückge-
wiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
als Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf
3 672 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde, die sich auf sämtliche in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zu-
lassungsgründe stützt, bleibt ohne Erfolg.
1. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensmangel geltend
gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Ohne Erfolg macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht habe in
verschiedener Hinsicht den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1
VwGO) verletzt.
Die Freiheit, die das Prozessrecht dem Tatsachengericht bei seiner Überzeu-
gungsbildung zugesteht, bezieht sich auf die Bewertung der für die Feststellung
des Sachverhalts maßgebenden Umstände. Sie ist von vornherein begrenzt
durch das jeweils anzuwendende materielle Recht und dessen Auslegung; alles
was (noch) materielle Rechtsfindung ist, entzieht sich einer Überprüfung an-
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hand des Überzeugungsgrundsatzes. Dieser verlangt, dass das Gericht seiner
Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt. Er
darf nicht für eine Würdigung in Anspruch genommen werden, bei der das Tat-
sachengericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt aus-
geht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich
ihm hätte aufdrängen müssen. Abgesehen davon kann die tatrichterliche Wür-
digung, die grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen ist, einen Verstoß
gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO dann begründen, wenn sie objektiv willkürlich
ist, gegen Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz miss-
achtet. Der Vorwurf, das Gericht habe einen Sachverhalt „aktenwidrig“ festge-
stellt, kann auf eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes führen, wenn
zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen An-
nahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt ein offensichtlicher, kei-
ner weiteren Beweiserhebung bedürftiger, zweifelsfreier Widerspruch vorliegt.
Auch dann, wenn das Tatsachengericht das durch § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO
vorgegebene Regelbeweismaß der Überzeugungsgewissheit verfehlt, verlässt
es den ihm bei der Tatsachenwürdigung eröffneten Spielraum (stRspr, vgl. nur
Urteil vom 21. Juni 2006 - BVerwG 6 C 19.06 - Buchholz 11 Art. 2 GG Nr. 264 =
juris Rn. 28, Beschlüsse vom 14. Juli 2010 - BVerwG 10 B 7.10 - Buchholz 310
§ 108 Abs. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 4 ff. und vom 10. Oktober 2013 - BVerwG 10 B
19.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 67 Rn. 4, jeweils m.w.N.).
Das Beschwerdevorbringen lässt nicht erkennen, dass das Berufungsgericht
gegen diese Vorgaben verstoßen hat.
aa) Die Beschwerde wirft dem Oberverwaltungsgericht vor, es habe entschei-
dungserheblichen, aktenkundigen Sachvortrag zur Höhe des beitragswirksa-
men Herstellungsaufwandes der beklagten Stadt übergangen. So seien An-
schaffungs- und Herstellungskosten für Neuinvestitionen in den Jahren 2004 bis
2008 in Höhe von insgesamt 12 572 789 € in die Beitragskalkulation eingegan-
gen, obwohl die Stadt der L. W. GmbH und Co. KG (LWG), die die Abwasser-
beseitigung nach Weisung der Stadt durchführt, zum Kalkulationsstichtag ver-
traglich nur ein Leistungsentgelt in Höhe eines vorkalkulatorisch ermittelten
Selbstkostenfestpreises von insgesamt 1 437 662 € geschuldet habe. Damit
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kann sie einen Verfahrensfehler in Gestalt eines Verstoßes gegen den Über-
zeugungsgrundsatz nicht belegen.
Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass zum beitragsfähigen
Aufwand auch die Anschaffungs- und Herstellungskosten rechnen, die einem
Dritten entstehen, dessen sich die Gemeinde bedient, soweit sie dem Dritten
von der Gemeinde geschuldet werden (§ 8 Abs. 4 Satz 4 Kommunalabgaben-
gesetz für das Land Brandenburg - KAG Bbg). Dabei hat es seiner Argumenta-
tion den Rechtssatz zugrunde gelegt, dass die Gemeinde dem Dritten in diesem
Sinne sowohl denjenigen Anschaffungs- und Herstellungsaufwand schuldet,
den sie dem Dritten bereits erstattet hat, als auch denjenigen Aufwand, der dem
Dritten prognostisch entstehen und den ihm die Gemeinde künftig zu erstatten
haben wird (UA S. 17 f.). Die Kritik der Beschwerde, mit den dem Dritten prog-
nostisch entstehenden und ihm zu erstattenden Aufwendungen könnten nur
diejenigen gemeint sein, die nach dem Stichtag für das Inkrafttreten der Bei-
tragssatzung (1. Januar 2009) entstanden seien, während es im Übrigen bei
den zum Stichtag abschließend geschuldeten Leistungsentgelten bewenden
müsse, greift der Sache nach die materielle Rechtsfindung des Oberverwal-
tungsgerichts an. Denn dieses hat den vorerwähnten, von ihm aufgestellten
Rechtssatz „im Lichte einer kalkulatorischen Betrachtungsweise“ erkennbar
weiter verstanden als die Beschwerde und ihn auf den insgesamt der LWG er-
statteten bzw. zu erstattenden Herstellungsaufwand bezogen.
bb) Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht
nicht dadurch gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßen, dass es im Zu-
sammenhang mit dem am Stichtag der Kalkulation für die Stadt insgesamt zu
erwartenden Anschaffungs- und Herstellungskosten von 199 298 591 € das Re-
gelbeweismaß richterlicher Überzeugungsgewissheit verfehlt hat. Die freie
Entscheidung des Tatsachengerichts, ob es die nach § 108 Abs. 1 Satz 1
VwGO nötige Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen gewinnen
kann, ist von der Frage zu unterscheiden, welches Maß an Überzeugung nötig
ist. Hierfür besagen etwa bestehende Beweisschwierigkeiten grundsätzlich
nichts. Derartigen Schwierigkeiten ist vielmehr auf der Ebene der konkreten
Beweiswürdigung in der Weise Rechnung zu tragen, dass das Tatsachenge-
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richt alle verbleibenden Möglichkeiten der Sachaufklärung vollständig auszu-
schöpfen und die ihm zugänglichen Tatsachen sämtlich in seine Würdigung
einzubeziehen hat; dabei ist es lediglich an die Denk- und Naturgesetze gebun-
den (vgl. Urteil vom 21. Mai 2008 - BVerwG 6 C 13.07 - BVerwGE 131, 171
= Buchholz 402.7 BVerfSchG Nr. 11, jeweils Rn. 25 ff. m.w.N.).
Gemessen an diesem Maßstab ist der Gedankengang des Berufungsurteils
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ausgehend davon, dass das Gericht
die Beitragskalkulation nur auf substantiierte Rügen und sich aufdrängende
Plausibilitätsmängel überprüft und dabei den Prognosespielraum des Sat-
zungsgebers beachtet (Urteil vom 17. April 2002 - BVerwG 9 CN 1.01 -
BVerwGE 116, 188 <191 f., 196 f.> = Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 155), ist es
überwiegend, aber nicht in vollem Umfang, den als nachvollziehbar bewerteten
Erläuterungen des Beklagten gefolgt. Eine feste Beweisregel des Inhalts, dass
eine Kalkulation immer nur dann plausibel ist, wenn das Gericht bzw. der Kläger
„mit dem Finger auf einzelne Positionen zeigen“ und dann aus (noch) vorhan-
denen Belegen heraus der Nachweis erbracht werden kann, dass die betreffen-
den Kosten überhaupt und in dieser Höhe angefallen und notwendig sind, be-
steht entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht.
Die von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO geforderte richterliche Überzeugungsge-
wissheit wird auch nicht insoweit verfehlt, als das Berufungsgericht die vom Be-
klagten kalkulierten Sanierungskosten zum überwiegenden Teil für plausibel
erachtet hat. Im rechtlichen Ausgangspunkt hat sich das Gericht für die Über-
prüfung der Prognose des Beklagten auf diejenigen Erkenntnisse beschränkt,
die bereits am Stichtag des Inkrafttretens der Beitragssatzung vorhanden wa-
ren. Inwieweit die zu diesem Zeitpunkt bestehende Erkenntnisgrundlage
dadurch infrage gestellt wird, dass das Sanierungskonzept von 2007 fortge-
schrieben und angepasst werden muss, auch weil Siedlungsgebiete langfristig
einer baulichen Nutzung entzogen werden können (s. die von der Beschwerde
zitierte interne Hausmitteilung eines Mitarbeiters des Beklagten vom
26. November 2007), erschließt sich nicht und wird auch von der Beschwerde
nicht dargelegt. Ebenso wenig wird aus dem Beschwerdevorbringen deutlich,
warum das Berufungsurteil ausdrücklich auf den Umstand hätte eingehen müs-
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sen, dass nach der erwähnten Hausmitteilung aus den seinerzeit vorliegenden
Übersichten nicht erkennbar war, welche konkreten Leitungsabschnitte als sa-
nierungsbedürftig eingeschätzt wurden. Der von der Beschwerde zitierte
Schriftsatz an das Berufungsgericht vom 5. November 2013 war auf den haus-
internen Vermerk, den die Beschwerde in den Mittelpunkt ihres Vorbringens
stellt, nicht eingegangen.
cc) Auch im Zusammenhang mit der Auslegung derjenigen Satzungen, die der
zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Beitragssatzung der Stadt Cottbus vo-
rausgegangen waren, gelingt es der Beschwerde nicht, eine Verletzung des
Überzeugungsgrundsatzes darzutun. Soweit das Oberverwaltungsgericht nach
abschließender Prüfung im Hauptsacheverfahren an seiner schon bei summari-
scher Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vertretenen Auf-
fassung festgehalten hat, wonach alle früheren Beitragssatzungen an zumin-
dest einem nichtigkeitsbegründenden Fehler gelitten hätten, in dem sie die
Vollgeschosszahl für bebaute und unbebaute Grundstücke im unbeplanten In-
nenbereich unangemessen berücksichtigt bzw. keine Regelung über die Voll-
geschosszahl für bebaute Grundstücke im Außenbereich enthalten hätten (UA
S. 26), hat es materielles Recht ausgelegt und angewendet. Soweit einem Ge-
richt auf dieser Ebene ein Fehler unterlaufen sollte, handelt es sich nicht, nicht
einmal ausnahmsweise im Fall objektiver Willkür, um einen Verfahrensfehler
(vgl. Beschluss vom 16. Februar 2012 - BVerwG 9 B 71.11 - Buchholz 310
§ 124a VwGO Nr. 42 Rn. 8 m.w.N.).
dd) Fehl geht auch der Vorwurf der Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht
habe die sogenannten Betreiberverträge der Stadt Cottbus und der eingemein-
deten Stadtteile Groß Gaglow und Gallinchen mit der LWG aktenwidrig und un-
ter Verkennung des richtigen Sachverhalts ausgelegt. Im Hinblick auf die bei-
tragsfähigen Anschaffungs- und Herstellungskosten, die einem Dritten entste-
hen (§ 8 Abs. 4 Satz 4 KAG Bbg), hat das Oberverwaltungsgericht den Betrei-
bervertrag der Stadt mit der LWG aus dem Jahr 1999, die Betreiberverträge
betreffend Groß Gaglow vom 2. März 1998 und Gallinchen vom 10. Februar
2003 sowie den Abwasserbeseitigungsvertrag vom 15. Januar 2004 in der an-
gepassten Fassung vom 10. September 2007 für maßgeblich erachtet (UA
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S. 18). Es hat diesen Verträgen (nämlich dem jeweiligen § 12 der drei erstge-
nannten Betreiberverträge sowie den §§ 9 und 10 des Abwasserbeseitigungs-
vertrages 2004) den übereinstimmenden Rechtsgedanken entnommen, dass
sich die Stadt weder in der Vergangenheit darauf habe beschränken dürfen
noch dies künftig dürfe, der LWG ausschließlich ein periodisches Betreiberent-
gelt zu zahlen, sondern vielmehr „substantielle“ Beiträge zu erheben und an die
LWG weiterzuleiten habe.
Als „aktenwidrig“ könnte die Beschwerde diese Auslegung nur beanstanden,
wenn sie einen offensichtlichen, keiner weiteren Beweiserhebung bedürftigen,
zweifelsfreien Widerspruch zwischen den im Berufungsurteil diesbezüglich ge-
troffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt
offenbart hätte. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr verkennt die Beschwerde
mit ihrer Kritik, § 12 des Abwasserbeseitigungsvertrages 2004 regele nicht die
Entgeltfrage, dass das Oberverwaltungsgericht eine derartige Behauptung in
seinen differenzierten Ausführungen zu den einzelnen Verträgen gar nicht auf-
stellt. Von dem Fall der Aktenwidrigkeit abgesehen verstieße die beanstandete
Vertragsauslegung dann gegen den Überzeugungsgrundsatz, wenn das Ober-
verwaltungsgericht die vertraglichen Regelungen falsch gelesen oder sprachlich
falsch verstanden hätte; ob es den Auslegungsgrundsätzen analog §§ 133, 157
BGB hinreichend gerecht geworden ist, ist dagegen keine Frage des Verfah-
rensrechts, sondern des materiellen Rechts (vgl. Beschlüsse vom 6. November
2001 - BVerwG 9 B 46.01 - juris Rn. 3 f. und vom 30. April 2008 - BVerwG 7 B
6.08 - juris Rn. 7). Ausgehend davon ist dem Oberverwaltungsgericht bei der
umstrittenen Vertragsauslegung der gerügte Verfahrensfehler nicht unterlaufen.
Es hat unter Berücksichtigung des Wortlautes der einschlägigen Vertragsbe-
stimmungen deren Zweck eingehend diskutiert. Die Einwände der Beschwerde
zielen auf die tatrichterliche Würdigung bei der Vertragsauslegung und damit
auf die Anwendung sachlichen Rechts.
ee) Eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes hat die Beschwerde
schließlich auch nicht in Bezug auf die vom Oberverwaltungsgericht zugrunde
gelegte Veranlagungsfläche dargelegt, aus der sich - in Verbindung mit dem
beitragsfähigen Aufwand - der maximal zulässige Beitragssatz errechnet. Die
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Beschwerde bezieht sich auf eine „Plausibilitätslücke“ hinsichtlich einer Teilflä-
che von ca. 2,6 Mio. m
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, die sich daraus ergebe, dass der Beklagte die bei-
tragspflichtigen Flächen der Stadt zuletzt auf ca. 5,1 Mio. m
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beziffert habe;
demgegenüber hätten die Kläger schon im Berufungsverfahren darauf hinge-
wiesen, dass die Stadt laut Beitragskalkulation im Veranlagungsgebiet nur über
eigene Flächen von ca. 2,5 Mio. m
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verfüge. Dem ist das Oberverwaltungsge-
richt nicht vertieft nachgegangen, weil der in der Satzung festgelegte Beitrags-
satz auch dann nicht zu beanstanden sei, wenn die Stadt den Umfang ihrer ei-
genen, fiktiv beitragspflichtigen Flächen in dem genannten Ausmaß überschätzt
haben sollte. Zwar wäre bei der Berechnung des Beitragssatzes dann der Zäh-
ler in Gestalt des beitragsfähigen Aufwandes durch Abzug von Fördermitteln
um ca. 2 Mio. € niedriger; andererseits würde sich aber auch der Nenner in Ge-
stalt der Verteilungsfläche um ca. 2,6 Mio. m
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bislang zu viel angesetzter Flä-
che verringern, so dass der maximal zulässige Beitragssatz erhöht und nicht
abgesenkt würde (UA S. 20 f.).
Diese Argumentation ist frei von Willkür und lässt auch unter Berücksichtigung
des Beschwerdevorbringens keine offensichtlichen Widersprüche oder Denk-
fehler erkennen. Der pauschale Einwand der Beschwerde, bei einer Vergröße-
rung der städtischen Veranlagungsfläche müsste sich die Gesamtveranla-
gungsfläche entsprechend vergrößern, berücksichtigt nicht die jedenfalls ver-
tretbare Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts, dass sich die erwähnte
„Plausibilitätslücke“ nicht auf den Umfang der Gesamtfläche bezieht, sondern
lediglich auf die Zuordnung bestimmter Grundstücke innerhalb der unveränder-
ten Gesamtfläche.
b) Soweit die Beschwerde in dem zuletzt genannten Zusammenhang die man-
gelnde Aufklärung des Sachverhalts rügt, verfehlt sie schon deshalb die Darle-
gungsanforderungen des § 86 Abs. 1 VwGO, weil sie weder angibt, welcher
Beweismittel sich das Oberverwaltungsgericht mit welchem mutmaßlichen Er-
gebnis hätte bedienen sollen, noch, inwiefern sich dem Oberverwaltungsgericht
die unterbliebene Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen, obwohl die Klä-
ger keinen Beweisantrag gestellt hatten. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur er-
schöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es
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von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in
der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat. Die Aufklärungs-
rüge dient nicht dazu, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter zumutba-
rerweise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (stRspr, vgl.
Beschlüsse vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1
VwGO Nr. 265 S. 9 und vom 16. März 2011 - BVerwG 6 B 47.10 - Buchholz
421.2 Hochschulrecht Nr. 174 Rn. 12).
c) Die angeblichen Mängel bei der Urteilsbegründung verhelfen der Beschwer-
de ebenso wenig zum Erfolg. Sie beruft sich auf § 138 Nr. 6 VwGO, wonach ein
absoluter Revisionsgrund - und damit zugleich ein Verfahrensmangel im Sinne
von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO - vorliegt, wenn die Entscheidung nicht mit Grün-
den versehen ist. Abgesehen von dem Fall, dass dem Urteilstenor überhaupt
keine Gründe beigegeben sind, liegt dieser Verfahrensmangel nur dann vor,
wenn die Begründung völlig unverständlich und so verworren ist, dass sie über-
haupt nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßge-
bend gewesen sind (Beschlüsse vom 15. Juli 2010 - BVerwG 8 B 94.09 - juris
Rn. 13 und vom 15. Mai 2014 - BVerwG 9 B 14.14 - juris Rn. 14, jeweils
m.w.N.). Davon kann angesichts der umfangreichen, systematisch folgerichtig
aufgebauten Urteilsgründe des Oberverwaltungsgerichts schon im Ansatz keine
Rede sein.
Auch soweit die Beschwerde sinngemäß einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1
Satz 2 VwGO geltend machen will, führt dies nicht auf einen Verfahrensmangel.
Die Pflicht zur Angabe der Gründe, die für die richterliche Überzeugung leitend
gewesen sind, verlangt keine ausdrückliche Auseinandersetzung mit jedem
vorgetragenen Gesichtspunkt, sondern nur eine vernünftige, der Sache ange-
messene Gesamtwürdigung. Erst wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern
des Vorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von
zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, verletzt
dies regelmäßig die Begründungspflicht und zugleich den Anspruch auf Gewäh-
rung rechtlichen Gehörs (s. Beschlüsse vom 28. Januar 2010 - BVerwG 6 B
50.09 - Buchholz 442.066 § 135 TKG Nr. 1 Rn. 18 und vom 15. Mai 2014
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a.a.O.). Das Beschwerdevorbringen lässt nicht darauf schließen, dass dem
Oberverwaltungsgericht ein solcher Fehler unterlaufen ist.
aa) Das gilt zunächst für die Kritik, das Oberverwaltungsgericht bleibe jede Be-
gründung für die Aussage schuldig, die hier in Rede stehende Abwasserbesei-
tigungsanlage sei erst 1993 als kommunale Anlage entstanden. Nach den Ent-
scheidungsgründen kam es zwar darauf an, dass das Oberverwaltungsgericht
die Anlage für rechtlich nicht identisch mit der Anlage hält, die schon vor dem
3. Oktober 1990 auf dem Gebiet der beklagten Stadt bestand, nicht aber auf
das genaue Entstehungsjahr der kommunalen Anlage.
bb) Eine verfahrensfehlerhafte Begründungslücke offenbart das Berufungsurteil
auch nicht im Zusammenhang mit den sogenannten Altinvestitionen aus der
Zeit vor dem 3. Oktober 1990, die - mit Ausnahme der Übernahme von Verbind-
lichkeiten - nicht beitragsfähig sind (§ 18 KAG Bbg). In den Entscheidungsgrün-
den des Berufungsurteils ist dazu ausgeführt, dass in den „Herstellungsaufwand
gesamt“ der Anschaffungs- und Herstellungsaufwand für die zentrale Schmutz-
wasseranlage habe eingehen dürfen, bei dem es sich um eigenen Aufwand der
Stadt handele; das schließe die durch die Stadt übernommenen, gemäß § 18
Satz 2 KAG Bbg beitragsfähigen Altverbindlichkeiten ein (UA S. 17). Dass es
einer weiteren Vertiefung dieses Gesichtspunktes in den Entscheidungsgrün-
den bedurft hätte, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Beschwerde nicht
dargelegt.
cc) Defizitär ist die Begründung des Berufungsurteils schließlich auch nicht im
Hinblick auf die Auslegung der so genannten Betreiberverträge. Die Gesichts-
punkte, die für die Überzeugungsbildung des Oberverwaltungsgerichts leitend
waren, sind in den Urteilsgründen ausführlich und nachvollziehbar wiedergege-
ben. Dass die Beschwerde die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts in der
Sache für fehlerhaft hält, führt nicht auf einen Begründungsmangel.
2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssa-
che (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Grundsätzlich bedeutsam in die-
sem Sinne ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung
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eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Frage des revisiblen
Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten
und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterent-
wicklung des Rechts geboten ist. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich
nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
a) Die Frage,
wann in den neuen Bundesländern und insbesondere in
Brandenburg (hier Cottbus) die kommunalen Abwasser-
beseitigungsanlagen im rechtlichen Sinne entstanden sind
und wann die erstmalige Anschlussmöglichkeit und damit
der Anschlussvorteil bestand,
rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung der Revision, weil sie sich in ers-
ter Linie nach nicht revisiblem Landesrecht beurteilt; einen Bezug zu einer klä-
rungsbedürftigen Frage des Bundesrechts stellt die Beschwerde nicht her. Da-
von abgesehen kam es nach der Begründung des Berufungsurteils, wie schon
erwähnt, auf das genaue Entstehungsjahr der kommunalen Anlage nicht an.
b) Zur Zulassung der Revision führt auch nicht die Frage,
wann und unter welchen Umständen ein Betroffener zu
einem bestimmten Zeitpunkt damit rechnen muss, durch
ein zukünftiges Gesetz mit einer neu einzuführenden Ab-
gabe belegt zu werden.
Die Frage bezieht sich auf die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts (UA
S. 26), mit denen dieses bei der Anwendung des Kommunalabgabengesetzes
hinsichtlich der im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsätze des Vertrau-
ensschutzes und des Rückwirkungsverbotes auf den Beschluss des Verfas-
sungsgerichts des Landes Brandenburg vom 21. September 2012 - 46/11 - (ju-
ris Rn. 50 ff., 66 ff.) verwiesen hat. Danach konnte sich bei den Eigentümern
von Grundstücken, die bereits vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes
für das Land Brandenburg an eine Abwasserentsorgungsanlage angeschlossen
waren, ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, für Neuinvestitionen nicht zu Her-
stellungsbeiträgen herangezogen zu werden, generell nicht entwickeln; denn
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spätestens seit dem 3. Oktober 1990 sei eine Änderung der Finanzierung im
Bereich der öffentlichen Abwasserentsorgung mit großer Sicherheit zu erwarten
gewesen (VerfG Bbg a.a.O. Rn. 55, 61).
Im Hinblick auf das bundesverfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip zeigt die
Beschwerde insoweit keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Nach ständi-
ger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermag die Rüge der
Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Auslegung und Anwendung von Lan-
desrecht die Zulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Ausle-
gung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführ-
ten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher
Bedeutung aufwirft (vgl. etwa Beschlüsse vom 8. Mai 2008 - BVerwG 6 B
64.07 - Buchholz 421 Kultur- und Schulwesen Nr. 132 Rn. 5 und vom 16. Juli
2013 - BVerwG 9 B 15.13 - juris Rn. 5). Hierfür lässt sich der Beschwerde
nichts entnehmen. So würde sich die Frage nach den Umständen, unter denen
ein Betroffener mit der Einführung einer neuen Abgabe rechnen muss, in dieser
Allgemeinheit in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Vielmehr hat-
te das hier einschlägige Kommunalabgabengesetz für das Land Brandenburg
offensichtlich eine wiedervereinigungsbedingte Sonderproblematik zu bewälti-
gen. Mit den diesbezüglichen eingehenden Erwägungen des Landesverfas-
sungsgerichts, auf die das Berufungsgericht verweist, setzt sich die Beschwer-
de nicht substantiiert auseinander und zeigt nicht auf, inwieweit die bundesver-
fassungsrechtlichen Maßgaben des Rechtsstaatsprinzips unter diesem Ge-
sichtspunkt einer weiteren grundsätzlichen Klärung bedürfen.
c) Soweit die Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus
einem angeblichen Widerspruch des Berufungsurteils zu der finanzgerichtlichen
Rechtsprechung herleiten will, ist auch dem nicht zu folgen. Abgesehen davon,
dass die Beschwerde keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisib-
len Rechts formuliert, übersieht sie, dass sich die von ihr zitierten Entscheidun-
gen (FG Bbg, Urteil vom 19. März 1997 - 1 K 1491/95 U - EFG 997, 835; BFH,
Urteil vom 8. Januar 1998 - V R 32/97 - BFHE 185, 283) nicht mit der Frage
befassen, ob und zu welchem Zeitpunkt kommunale Anlagen auf dem Gebiet
der früheren DDR entstanden sind, sondern vielmehr damit, dass die Abwas-
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serentsorgung durch juristische Personen des öffentlichen Rechts seit jeher als
Ausübung öffentlicher Gewalt beurteilt wird, wie dies Voraussetzung für einen
so genannten Hoheitsbetrieb (§ 4 Abs. 5 KStG) ist.
d) Mit den Fragen,
ob Herstellungsbeiträge ohne vorheriges Abwasserbesei-
tigungskonzept erhoben werden können,
welche Anforderungen an die notwendige Gewissheit oder
Wahrscheinlichkeit für die freie richterliche Überzeugung
zu stellen sind, wenn einschlägige Unterlagen wegen Zeit-
ablaufs vernichtet werden durften und
ob es für die Plausibilität einer Beitragssatzkalkulation
ausreichen kann, wenn ohne den Rechenweg zu benen-
nen und ohne die Ausgangswerte und deren Zustande-
kommen zu kennen, Rückrechnungen behauptet werden,
die durch keine der Parteien und auch nicht durch das Ge-
richt objektiv nachprüfbar sind,
bezeichnet die Beschwerde insgesamt keine konkreten, fallübergreifenden und
bislang ungeklärten Gesichtspunkte des revisiblen Rechts, deren Klärung im
Revisionsverfahren zu erwarten wäre. Soweit sie insbesondere auf Beweis-
schwierigkeiten abhebt, die daraus resultieren, dass bestimmte Unterlagen
nicht mehr vorgelegt werden können, ist - wie bereits erwähnt - in der Recht-
sprechung ausreichend geklärt, dass derartige Schwierigkeiten grundsätzlich
nicht das Regelbeweismaß richterlicher Überzeugungsgewissheit herabsetzen,
sondern ihnen auf der Ebene der konkreten Beweiswürdigung Rechnung zu
tragen ist (s. etwa Urteil vom 21. Mai 2008 - BVerwG 6 C 13.07 - BVerwGE
131, 171 = Buchholz 402.7 BVerfSchG Nr. 11, jeweils Rn. 25 ff m.w.N.).
e) Auch mit der Frage,
welche konkreten Voraussetzungen vorliegen müssen,
damit eine Gemeinde noch Träger einer öffentlichen Ab-
wasseranlage ist und „das Heft (noch) in der Hand hat“,
um einen jederzeit beherrschenden Einfluss auf den priva-
ten Dritten ausüben zu können,
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wird von der Beschwerde nicht näher dargelegt, inwieweit das erstrebte Revisi-
onsverfahren die Klärung oder Fortentwicklung revisiblen Rechts erwarten lie-
ße.
f) Soweit die Beschwerde im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) fragt,
wie weit der Entscheidungsspielraum der Länder bei der
Regelung der Verjährung bzw. von Ausschlussfristen zur
Beachtung des Rechtsstaatsprinzips wirklich ist,
formuliert sie keinen fallübergreifenden, grundsätzlichen Klärungsbedarf im
Hinblick auf das Bundes-(Verfassungs-)recht. In dem erwähnten Beschluss hat
das Bundesverfassungsgericht allgemein geklärt, dass der Grundsatz der
Rechtssicherheit davor schützt, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher
Hinsicht abgeschlossene Vorgänge zeitlich unbegrenzt zur Anknüpfung neuer
Lasten herangezogen werden können. Vielmehr muss ein Vorteilsempfänger in
zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen können, ob und in welchem Umfang
er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss. Die berechtigten
Interessen der Allgemeinheit und der einzelnen Vorteilsempfänger zu einem
angemessenen Ausgleich zu bringen, ist Aufgabe des Gesetzgebers, dem da-
bei ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Begrenzt ist dieser Gestaltungs-
spielraum dadurch, dass der Gesetzgeber die Interessen der Vorteilsempfänger
nicht völlig unberücksichtigt lassen und ganz von einer Regelung absehen darf,
die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt (BVerfG
a.a.O. Rn. 46).
Im Anschluss daran hat das Berufungsgericht dem Kommunalabgabengesetz
für das Land Brandenburg in der bei Erlass des Berufungsurteils geltenden
Fassung den Gedanken entnommen, dass die Eigentümer der schon mit einem
Altanschluss oder einer entsprechenden Anschlussmöglichkeit versehenen
Grundstücke jedenfalls bis zum 31. Dezember 2011 mit einer Beitragserhebung
rechnen mussten (vgl. § 12 Abs. 3a KAG Bbg i.d.F. vom 2. Oktober 2008,
GVBl I S. 218). Ob die so verstandene konkrete landesrechtliche Regelung den
bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht wird, stellt für sich genommen
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keine allgemein klärungsbedürftige Frage des Bundesrechts dar. Inwieweit die
bundesrechtlichen Maßgaben im Hinblick auf die vom Oberverwaltungsgericht
für einschlägig erachtete landesrechtliche Regelung ihrerseits einer weiteren
grundsätzlichen Klärung bedürfen, lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen
und ist unter Berücksichtigung der Weite des in dem Beschluss des Bundesver-
fassungsgerichts beschriebenen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums
auch nicht ersichtlich.
Soweit die von der Beschwerde gestellte Frage darauf abzielt, ob die erst nach
der Verkündung des Berufungsurteils erlassene Neuregelung, wonach Abgaben
zum Vorteilsausgleich nur innerhalb einer - allerdings aufgrund der Sondersitua-
tion nach der Deutschen Einheit bis zum 3. Oktober 2000 gehemmten - Frist bis
zum Ablauf des 15. Kalenderjahres ab dem Eintritt der Vorteilslage festgesetzt
werden dürfen (§ 19 Abs. 1 KAG Bbg i.d.F. vom 5. Dezember 2013, GVBl I
Nr. 40), den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht, ist auch dies nicht
erheblich für die Zulassung der Revision. Denn das Berufungsgericht hat da-
rauf, im Hinblick auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung konsequent, nicht ab-
gestellt. Eine Rechtsfrage, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt hat, kann
regelmäßig - und auch hier - nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr,
vgl. Beschlüsse vom 14. November 2008 - BVerwG 6 B 61.08 - Buchholz 422.2
Rundfunkrecht Nr. 47 Rn. 3 und vom 6. Mai 2010 - BVerwG 6 B 73.09 - juris
Rn. 4, insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 448.0 § 29 WPflG).
g) Soweit die Beschwerde der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst
im Hinblick auf die neueste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
zur konstitutiven Wirkung einer nachträglichen Klarstellung des geltenden
Rechts durch den Gesetzgeber (Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL
5/08 - NVwZ 2014, 577), macht sie nach Art einer Revisionsbegründung gel-
tend, die vom Landesgesetzgeber nachträglich geänderten bzw. neu eingefüg-
ten Vorschriften über die Entstehung der Beitragspflicht und den Eintritt der
Festsetzungsverjährung (§ 8 Abs. 7 KAG Bbg i.d.F. vom 17. Dezember 2003,
GVBl I S. 294, § 12 Abs. 3a KAG Bbg i.d.F. vom 2. Oktober 2008, GVBl I S. 218
und § 19 Abs. 1 KAG Bbg i.d.F. vom 5. Dezember 2013, GVBl I Nr. 40) entfalte-
ten jeweils eine echte Rückwirkung, die nach den Maßstäben des Bundesver-
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fassungsgerichts verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt sei. Die Beschwerde
unterlässt es in diesem Zusammenhang aber, konkrete, fallübergreifende
Rechtsfragen des revisiblen Rechts aufzuwerfen und dabei herauszuarbeiten,
inwieweit für die bundesverfassungsrechtlichen Maßstäbe über die bereits er-
folgte Klärung hinaus ein weiterer allgemeiner Klärungsbedarf besteht.
3. Die Zulassung der Revision kann auch nicht auf eine Abweichung des ange-
fochtenen Urteils von den in der Beschwerde genannten Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts gestützt wer-
den. Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nur dann hinrei-
chend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die ange-
fochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die
Vorinstanz einem die höchstrichterliche Entscheidung tragenden abstrakten
Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Der-
artige Abweichungen zeigt die Beschwerde nicht auf.
a) Die Beschwerde entnimmt den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts
zum verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot (UA S. 26 mit Verweisung auf
VerfG Bbg, Beschluss vom 21. September 2012 - 46/11 - juris Rn. 50 ff.) den
Rechtssatz, dass sich bei den Eigentümern von Grundstücken, die bereits vor
Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes an eine Abwasserentsorgungsan-
lage angeschlossen oder anschließbar waren, ein schutzwürdiges Vertrauen
darauf, für Neuinvestitionen nicht zu Herstellungsbeiträgen herangezogen zu
werden, generell nicht habe entwickeln können, da spätestens seit dem 3. Ok-
tober 1990 eine Änderung der Finanzierung im Bereich der öffentlichen Abwas-
serentsorgung mit großer Sicherheit zu erwarten gewesen sei. Davon abwei-
chende abstrakte Rechtssätze sind in den von der Beschwerde zitierten Be-
schlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Februar 1973 - BVerwG 7 B
37.72 - und vom 22. Januar 1986 - BVerwG 8 B 123.84 - (NVwZ 1986, 483)
nicht enthalten. Die Beschlüsse behandeln jeweils eigene, besondere Fallkons-
tellationen. Ihnen lassen sich keine abschließenden Aussagen zu den Voraus-
setzungen und Grenzen des Vertrauensschutzes entnehmen, namentlich nicht
unter den zeitgeschichtlichen einmaligen Umständen der Neuentstehung kom-
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munaler Einrichtungen auf dem Gebiet der früheren DDR nach der Wiederher-
stellung der deutschen Einheit.
b) Die Darlegungen der Beschwerde lassen auch nicht erkennen, dass das
Oberverwaltungsgericht bei seinen Ausführungen zur Festsetzungsverjährung
von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR
2457/08 - (BVerfGE 133, 143) abgewichen ist. Dem Berufungsurteil (UA
S. 27 f.) lässt sich im Wesentlichen übereinstimmend mit dem Beschwerdevor-
bringen der Rechtssatz entnehmen, dass für Beitragsbescheide, die - wie hier -
bis zum 31. Dezember 2011 ergangen sind und bei denen die Festsetzungsver-
jährung bei Inkrafttreten des § 12 Abs. 3a KAG Bbg i.d.F. vom 2. Oktober 2008
(GVBl I S. 218) noch nicht eingetreten war, eine dem rechtsstaatlichen Gebot
der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit entsprechende Verjährungsbe-
stimmung in Gestalt dieser Rechtsnorm vorhanden sei; denn mit ihr gebe das
Gesetz klar zu erkennen, dass die Eigentümer der mit einem Anschluss oder
einer Anschlussmöglichkeit versehenen Grundstücke jedenfalls bis zum
31. Dezember 2011 mit einer Beitragserhebung rechnen mussten. Unbescha-
det dessen, dass damit die zeitliche Obergrenze einer Festsetzungsverjährung
noch keine vollständige Regelung gefunden hatte (vgl. dazu nunmehr § 19
Abs. 1 KAG Bbg i.d.F. vom 5. Dezember 2013, GVBl I Nr. 40), ist für die vor
dem Stichtag ergangenen Beitragsbescheide ein Widerspruch des vom Beru-
fungsgericht formulierten Rechtssatzes zu dem Rechtssatz des Bundesverfas-
sungsgerichts - namentlich in Anbetracht der Weite des dem Gesetzgeber für
die Ausgestaltung angemessener Verjährungsbestimmungen zugebilligten Re-
gelungsspielraums (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 46) - we-
der konkret dargelegt noch ersichtlich.
Eine Divergenz besteht in diesem Zusammenhang entgegen der Behauptung
der Beschwerde auch nicht zu dem Kammerbeschluss des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 3. September 2013 - 1 BvR 1282/13 - (juris Rn. 7). Zwar
kommt darin zum Ausdruck, dass das Kommunalabgabengesetz für das Land
Brandenburg in der damals geltenden Fassung, soweit es (noch) eine zeitlich
unbegrenzte Festsetzung von Beiträgen nach Erlangung des Vorteils ermög-
lichte, aus den Gründen des Senatsbeschlusses vom 5. März 2013 verfas-
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sungsrechtlichen Bedenken begegnete. Der im Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes ergangene Kammerbeschluss betont aber zugleich, dass im
Hauptsacheverfahren geklärt werden müsse, wie den Maßgaben des genann-
ten Senatsbeschlusses Rechnung getragen werden könne; mit § 12 Abs. 3a
KAG Bbg in der vom Berufungsgericht vertretenen Auslegung setzt sich der
Kammerbeschluss nicht auseinander.
Auch soweit die Beschwerde die Länge des in § 12 Abs. 3a KAG Bbg bezeich-
neten Zeitraums bis 31. Dezember 2011 als unangemessen beanstandet, ge-
lingt ihr die Darlegung einer Divergenz nicht. Denn das Bundesverfassungsge-
richt (Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O.) hat dem Landesgesetzgeber keine
konkrete zeitliche Vorgabe gemacht. Auf verfassungsrechtliche Überlegungen
zu § 19 KAG Bbg in der Fassung vom 5. Dezember 2013 kann die Divergenz-
beschwerde schon deshalb nicht gestützt werden, weil sich das Berufungsge-
richt damit nicht befasst und dazu keinen Rechtssatz aufgestellt hat.
c) Dem Beschwerdevorbringen lässt sich schließlich nicht entnehmen, dass das
Oberverwaltungsgericht mit seinen Erwägungen zur Entstehung der Beitrags-
pflicht gemäß § 8 Abs. 7 KAG Bbg i.d.F. vom 17. Dezember 2003 (GVBl I
S. 294) von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember
2013 - 1 BvL 5/08 - (NVwZ 2014, 577) abgewichen ist. In dem Berufungsurteil
(UA S. 26 mit Verweisung auf VerfG Bbg, Beschluss vom 21. September 2012
- 46/11 - juris Rn. 66 ff.) ist der Rechtssatz angelegt, dass das genannte Lan-
desgesetz, indem es die Entstehung der Beitragspflicht nunmehr ausdrücklich
an das Inkrafttreten einer rechtswirksamen Satzung anknüpft und nicht - wie
zuvor in der Rechtsprechung zu der früheren Gesetzesfassung vertreten - an
den Zeitpunkt der ersten Beitragssatzung mit formellem Geltungsanspruch, eine
(unechte) Rückwirkung entfaltet, die verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Die
Beschwerde stellt auch zutreffend heraus, dass das Bundesverfassungsgericht
den Rechtssatz aufgestellt hat, dass der Gesetzgeber den Inhalt geltenden
Rechts mit Wirkung für die Vergangenheit nur in den verfassungsrechtlichen
Grenzen für eine rückwirkende Rechtssetzung feststellen oder klarstellend prä-
zisieren kann; eine nachträgliche Klärung der Rechtslage ist auch dann als
konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn die geänderte Norm in
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ihrer ursprünglichen Fassung von den Gerichten in einem Sinn ausgelegt wer-
den konnte und ausgelegt worden ist, der mit der Neuregelung ausgeschlossen
werden soll (Beschluss vom 17. Dezember 2013 a.a.O. Rn. 52 ff.). Indessen ist
ein Widerspruch zwischen den genannten Rechtssätzen weder dargelegt noch
ersichtlich.
Die Beschwerde übersieht bei ihrer Argumentation, dass auch das Berufungs-
gericht in Bezug auf § 8 Abs. 7 KAG Bbg n.F. - durch Bezugnahme auf den zi-
tierten Beschluss des Landesverfassungsgerichts (vom 21. September 2012
a.a.O. Rn. 73 ff.) - ausdrücklich von einer konstitutiven Rechtsänderung aus-
geht, dabei aber unter eingehender Würdigung des früheren Rechtszustandes
in ihrer Auslegung durch die Fachgerichtsbarkeit keine echte, sondern eine un-
echte Rückwirkung annimmt, der ein schutzwürdiges Vertrauen der Betroffenen
nicht entgegenstehe. Den Hintergrund dafür bildet der Umstand, dass der Er-
lass einer wirksamen Beitragssatzung auch nach der zu § 8 Abs. 7 KAG Bbg
a.F. seinerzeit ergangenen Rechtsprechung für die Entstehung der sachlichen
Beitragspflicht stets erforderlich war, sodass die Festsetzungsverjährung zuvor
von Rechts wegen nicht eintreten konnte und der Gesetzgeber in eine weniger
schutzwürdige Vertrauensposition eingriff. Mit dem Hinweis darauf, dass dem-
gegenüber das Bundesverfassungsgericht in der von ihm entschiedenen Fall-
konstellation, die durch die nachträgliche Abänderung einer bereits entstande-
nen Abgabenschuld gekennzeichnet war (Beschluss vom 17. Dezember 2013
a.a.O. Rn. 42), eine echte Rückwirkung erkannt hat, lässt sich eine im Sinne
von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erhebliche Divergenz der von der Beschwerde
bezeichneten abstrakten Rechtssätze nicht belegen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die
Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Dr. Bier
Prof. Dr. Korbmacher
Steinkühler
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