Urteil des BVerwG vom 06.11.2013

Bad, Kritik, Projekt, Gutachter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 9 A 14.12
Verkündet
am 6. November 2013
Wolframm
Justizsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. und 23. Oktober 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Christ und Prof. Dr. Korbmacher
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bick
am 6. November 2013 für Recht erkannt:
Es wird festgestellt, dass der Planfeststellungsbeschluss
für den Neubau der Bundesautobahn A 20, Nord-West-
Umfahrung Hamburg, Teilstrecke B 206 westlich Witten-
born bis B 206 westlich Weede vom 30. April 2012 in der
Fassung des Planänderungsbescheides vom 16. Oktober
2013 und der in der mündlichen Verhandlung vom
22./23. Oktober 2013 erklärten Ergänzungen rechtswidrig
und nicht vollziehbar ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Kläger sind nach § 3 UmwRG als Naturschutzvereinigungen anerkannt.
Sie wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom
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30. April 2012 für den Neubau der Bundesautobahn A 20, Nord-West-Umfahr-
ung Hamburg, Teilstrecke B 206 westlich Wittenborn bis B 206 westlich Weede.
Die planfestgestellte Teilstrecke der A 20 ist die Verlängerung des Verkehrspro-
jektes Deutsche Einheit Nr. 10 (Neubau der Ostseeautzwischen
un. Etwa 340 km der A 20 zwischen dem Autobahnkreuz
Uckermark an der A 11 nahe der polnischen Grenze (Brandenburg) und Weede
bei Bad Segeberg (Schleswig-Holstein) sind bereits durchgängig befahrbar. Die
westlich des Autobahnkreuzes Lübeck gelegenen Abschnitte der A 20 werden
unter dem Oberbegriff „Nord-West-Umfahrung Hamburg“ zusammengefasst.
Sie sind in Ost-West-Richtung in insgesamt acht Streckenabschnitte unterteilt,
von denen die beiden ersten bereits fertiggestellt und für den Verkehr freigege-
ben sind. Die streitgegenständliche Teilstrecke betrifft den 3. Abschnitt; erst
beim 8. Abschnitt ist die Querung der Elbe zwischen der B 431 (Glückstadt) in
Schleswig-Holstein und der K 28 (Drochtersen) in Niedersachsen vorgesehen.
Sie soll nach derzeitiger Planung durch einen Tunnel erfolgen. Sämtliche Ab-
schnitte der „Nord-West-Umfahrung Hamburg“ sind im Bedarfsplan für die Bun-
desfernstraßen in der Stufe des vordringlichen Bedarfs ausgewiesen. Darüber
hinaus sind sie Bestandteil des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V).
Der planfestgestellte Abschnitt weist eine Gesamtlänge von ca. 10 km auf. Die
Trassenwahl folgt der Linienbestimmung des Bundesministeriums für Verkehr-,
Bau- und Wohnungswesen vom 28. Juli 2005. Die Trasse verläuft von Bad Se-
geberg/Weede (B 206) in westlicher Richtung als ortsnahe Südumfahrung von
Bad Segeberg, kreuzt die A 21 im Bereich der bestehenden Anschlussstellen
mit den Bundesstraßen B 206 und B 432 und wird nördlich um Wittenborn bis
auf die Trasse der bestehenden B 206 südlich des Standortübungsplatzes ge-
führt. Verknüpfungen mit dem Bundesfernstraßennetz sind über das Autobahn-
kreuz A 20/A 21 sowie mit dem nachgeordneten Straßennetz über die An-
schlussstellen A 20/K 73 (Wittenborn), A 20/K 7 (Segeberg-Ost) und im Zuge
der A 21 über die Anschlussstelle A 21/K 61 (Schackendorf) vorgesehen. Zur
Querung der Trave und des Travetals ist südwestlich von Bad Segeberg ein
Brückenbauwerk von 250 m Länge, 55 m Breite und 19 m Höhe geplant
(BW 5.08). Eine weitere Talbrücke von ca. 370 m Länge ist im Bereich der
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Ortsgrenze zwischen Bad Segeberg und Klein Gladebrügge nördlich des Gie-
selteichs vorgesehen (BW 5.12). Hierdurch sollen die Bahnstrecke Bad Sege-
berg - Bad Oldesloe sowie die verlegte B 206 und die L 83 gequert werden.
Die Trasse verläuft - ausgehend von ihrem östlichen Anfangspunkt - zunächst
in einer Entfernung von ca. 1,3 bis 1,9 km südlich des 3 ha großen FFH-Gebiets
DE 2027-302 „Segeberger Kalkberghöhlen“, das sich im Zentrum von Bad Se-
geberg befindet. Die Höhlen sind das größte bekannte Fledermausquartier
Deutschlands; in ihnen überwintern ca. 21 000 Tiere. Die Ansammlungen von
Fransen- und Bechsteinfledermäusen sind die größten bekannten Vorkommen
weltweit. Die Trasse schneidet dann über die vorgesehene Travebrücke in einer
Gesamtbreite von etwa 90 m das FFH-Gebiet DE 2127-391 „Travetal“, das über
eine Gesamtlänge von etwa 20 km in Nord-Süd-Richtung verläuft und insge-
samt eine Größe von 1 280 ha aufweist. Im weiteren Verlauf der Trasse liegt in
etwa 2 km Entfernung südlich von Wittenborn das 311 ha große FFH-Gebiet
DE 2127-333 „Leezener Au-Niederung und Hangwälder“ und in etwa 500 m
Entfernung westlich von Wittenborn das Vogelschutzgebiet DE 2026-401 „Bar-
ker und Wittenborner Heide“. Es setzt sich aus 2 Teilgebieten zusammen und
umfasst eine Gesamtfläche von 1 392 ha. Die kleinere, ca. 186 ha große „Bar-
ker Heide“ im Süden wird von der Bundesstraße B 206 und einem ca. 370 m
breiten Streifen entlang der Bundesstraße B 206 von der nördlich gelegenen,
1 206 ha umfassenden „Wittenborner Heide“ getrennt. Die „Barker Heide“ ist
sowohl als Vogelschutzgebiet als auch als FFH-Gebiet (DE 2026-304 „Barker
Heide“), die „Wittenborner Heide“ nur als Vogelschutzgebiet ausgewiesen.
Das Verwaltungsverfahren nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:
Die Linienbestimmung für den streitgegenständlichen Abschnitt erfolgte zu-
nächst in einem eigenständigen Verfahren unter der Bezeichnung „Neubau der
BAB A 20 Bad Segeberg - Lübeck, Abschnitt 5, Raum Segeberg“. Die Pla-
nungsunterlagen einschließlich einer Umweltverträglichkeitsstudie, bestehend
aus Raumempfindlichkeitsanalyse (UVS Teil I) und Variantenvergleich (UVS
Teil II) wurden zwischen November 1994 und April 1999 erarbeitet (sog. „Vor-
untersuchung Streckenabschnitt 5“). Gegenstand des Hauptvariantenvergleichs
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waren drei sich deutlich unterscheidende Trassenverläufe: eine kombinierte
Ausbau-/Neubauvariante (Ausbau der B 206 östlich Bad Segebergs und der
Ortsdurchfahrt Bad Segebergs sowie Neubau westlich der Ortslage Bad Sege-
berg, Variante 1), eine ortsnahe Südumfahrung Bad Segebergs als Neubauva-
riante (Variante 2) sowie eine weite Südumfahrung Bad Segebergs als Neu-
bauvariante mit Versatz auf der A 21 (Variante 3, sog. Schwissellinie). Nach
Abschluss der Voruntersuchungen wurden die Unterlagen in der Zeit vom
7. Juni bis zum 7. Juli 1999 in der Stadt Bad Segeberg sowie in den Ämtern
Segeberg-Land und Leezen öffentlich ausgelegt.
Für den sich westlich an den streitgegenständlichen Abschnitt anschließenden
deutlich längeren Abschnitt gab es ein separates Linienbestimmungsverfahren
unter der Bezeichnung „A 20, Nord-West-Umfahrung Hamburg, Abschnitt A 26
(Niedersachsen) bis Bad Segeberg (Schleswig-Holstein)“. Für diesen Abschnitt
fand eine großräumige Variantenprüfung zur Linienfindung statt. Die Unterlagen
(Untersuchung zur Linienfindung von Oktober 2002) wurden vom 6. Januar bis
6. Februar 2003 in 30 Städten, amtsfreien Gemeinden und Amtsverwaltungen
öffentlich ausgelegt, darunter auch im Rathaus der Stadt Bad Segeberg, der
Amtsverwaltung Leezen und der Amtsverwaltung Segeberg-Land (heute:
Trave-Land). Die Kläger nahmen zu der Planung jeweils Stellung.
Nachdem das Landesverkehrsministerium Schleswig-Holstein zunächst im
März und Juli 2004 zwei getrennte Anträge auf Linienbestimmung nach § 16
FStrG gestellt hatte, forderte das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (künftig: Bundesverkehrsministerium) das Landesverkehrsmi-
nisterium Schleswig-Holstein unter dem 20. Oktober 2004 zur Überarbeitung
der Unterlagen auf. Zur Begründung wurde u.a. darauf hingewiesen, dass im
Bereich Wahlstedt der Netzanschluss fehle; ohne den anschließenden Ab-
schnitt Wahlstedt - Weede sei die weitere Bearbeitung nicht möglich. Auch ha-
be sich gezeigt, dass die Linienbestimmungsabschnitte A 26, Wahlstedt und
Wahlstedt - Weede „sich überlappen, im Überlappungsbereich aber nicht de-
ckungsgleich“ seien; außerdem genüge die Begründung und Darstellung der
Linienfindung nicht den Anforderungen des Linienbestimmungsverfahrens für
eine Bundesautobahn, da sie im Wesentlichen auf Ortsentlastungseffekte für
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Bad Segeberg abziele. Darüber hinaus sei die Auswahl der Varianten nicht
nachvollziehbar dargestellt. Des Weiteren wurde angekündigt, dass das Linien-
bestimmungsverfahren künftig für beide Abschnitte gemeinsam fortgeführt wer-
de.
Im November 2004 stellten daraufhin die Länder Schleswig-Holstein und Nie-
dersachsen beim Bundesverkehrsministerium unter Vorlage eines gemeinsa-
men Erläuterungsberichts den formellen Antrag nach § 16 FStrG auf Bestim-
mung der Linie für die „A 20, Nord-West-Umfahrung Hamburg, Abschnitt A 26
(Niedersachsen) bis Weede, östlich Bad Segeberg (Schleswig-Holstein)“. Der
Antrag umfasste eine Strecke mit einer Gesamtlänge von ca. 95 km. Aufgrund
deutlicher Vorteile in verkehrlicher und städtebaulicher Hinsicht hatte man für
den streitgegenständlichen Abschnitt - den früheren „Streckenabschnitt 5“ - die
Variante 2 (ortsnahe Südumfahrung Bad Segebergs) in der Untervariante 2.1
als Vorzugsvariante ermittelt. Eine erhebliche Beeinträchtigung gemeldeter
FFH- oder Vogelschutzgebiete wurde verneint. Mit Schreiben vom 28. Juli 2005
bestimmte das Bundesverkehrsministerium im Benehmen mit den obersten
Landesplanungsbehörden der beiden Länder die beantragte Linienführung mit
verschiedenen Anmerkungen und Maßgaben.
Die Vorhabenträgerin beantragte im September 2006 die Durchführung des
Anhörungsverfahrens für eine im Wesentlichen der Linienbestimmung entspre-
chende Trassenführung. Die Planunterlagen wurden vom 14. November bis
14. Dezember 2006 ausgelegt. Einwendungen konnten bis einschließlich
11. Januar 2007 erhoben werden. Zwischen Februar und Mai 2008 fanden ver-
schiedene Erörterungstermine statt. Im August 2009 beantragte die Vorhaben-
trägerin die Durchführung eines Planänderungsverfahrens. Die geänderten Un-
terlagen und Pläne lagen in der Zeit vom 19. Oktober bis 19. November 2009
bzw. vom 9. November bis 9. Dezember 2009 öffentlich aus. Die Frist zur Ab-
gabe einer Stellungnahme endete am 17. Dezember 2009 bzw. am 6. Januar
2010. Im Juni/Juli 2010 fanden weitere Erörterungstermine statt.
Im August 2011 beantragte die Vorhabenträgerin die Durchführung eines
2. Planänderungsverfahrens. Die erneut geänderten Unterlagen und Pläne la-
gen in der Zeit vom 19. September bis 19. Oktober 2011 öffentlich aus. Die
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Einwendungsfrist endete am 16. November 2011. Auf die Festsetzung weiterer
Erörterungstermine wurde verzichtet. Beide Kläger nahmen zu der vorgenann-
ten Planung einschließlich der verschiedenen Planänderungen Stellung.
Im Laufe des Verwaltungsverfahrens teilte die Europäische Kommission in ihrer
Stellungnahme vom 11. Juni 2010 der Bundesrepublik Deutschland auf deren
Ersuchen nach Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates
vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildle-
benden Tiere und Pflanzen (ABI EG Nr. L 206 S. 7 - FFH-RL) ihre Auffassung
mit, dass die nachteiligen Auswirkungen des Baus der Autobahn A 20 auf das
Natura 2000-Gebiet DE 2127-391 „Travetal“ aus zwingenden Gründen des
überwiegenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt seien.
Mit Beschluss vom 30. April 2012 stellte der Beklagte den Plan für den Neubau
der A 20, Teilstrecke B 206 westlich Wittenborn bis B 206 westlich Weede fest.
Wesentliche Bestandteile des Vorhabens sind neben der Trasse der Bau des
Autobahnkreuzes A 21/A 20, verschiedene Anschlussstellen, zwei Brücken-
bauwerke, Lärmschutzwälle und -wände sowie Gestaltungswälle im Bereich
verschiedener Ortslagen. Gegenstand der Planung sind ferner naturschutzfach-
liche Maßnahmen zur Vermeidung und Minimierung von Beeinträchtigungen
von Natur und Landschaft sowie zur Kompensation der mit dem Vorhaben ver-
bundenen unvermeidbaren Eingriffe. Umstufungen sind ausdrücklich nicht Ge-
genstand des Planfeststellungsbeschlusses. Über den Neubau der Teilstrecke
der A 20 hinaus ist der Ausbau der bestehenden Bundesautobahn A 21 von
Betriebs-km 42+500 bis Betriebs-km 46+348,959 mit Anbau von Standstreifen
vorgesehen.
Hinsichtlich des FFH-Gebiets DE 2027-302 „Segeberger Kalkberghöhlen“ und
des Europäischen Vogelschutzgebiets DE 2026-401 „Barker und Wittenborner
Heide“ verneint der Planfeststellungsbeschluss eine erhebliche Beeinträchti-
gung. Demgegenüber nimmt er hinsichtlich des FFH-Gebiets DE 2127-391
„Travetal“ eine erhebliche Beeinträchtigung des Waldgürtels am Osthang der
Trave (Lebensraumtypen 9130, 9160, *9180, *7220 und *91E0) durch
verschiedene Wirkfaktoren (Flächenverlust, Zerschneidung, Störungen und
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Stickstoffbelastungen) an, lässt das Vorhaben aber nach § 34 Abs. 3 BNatSchG
unter Hinweis auf verkehrliche Belange zu. Zum Ausgleich sind zwei Kohärenz-
sicherungsmaßnahmen festgelegt. Diese sind nach Nebenbestimmung 2.3.8
Nr. 9 des Planfeststellungsbeschlusses entsprechend der Beschreibung in den
Unterlagen, die die deutschen Behörden der Europäischen Kommission über-
mittelt haben, durchzuführen und zu überwachen. Der Kommission ist zudem
ein ausführlicher Bericht vorzulegen.
Die Kläger haben fristgerecht Klage erhoben.
Sie halten den Planfeststellungsbeschluss für materiell rechtswidrig. Zur Be-
gründung führen sie aus: Schon das Linienbestimmungsverfahren sei unter
verschiedenen Gesichtspunkten nicht ordnungsgemäß erfolgt. Des Weiteren
fehle die Planrechtfertigung, da die Fortführung der Nord-West-Umfahrung
Hamburgs wegen der absehbar fehlenden Finanzierbarkeit eines Elbtunnels
höchst ungewiss sei. Das FFH-Gebiet „Segeberger Kalkberghöhlen“ werde ent-
gegen der Auffassung des Beklagten erheblich beeinträchtigt; insoweit bemän-
geln die Kläger insbesondere die Methodik der Fledermauserfassung sowie die
Prüfung der charakteristischen Arten. Die Beeinträchtigung des FFH-Gebiets
„Travetal“ werde unterschätzt. Das FFH-Gebiet „Segeberger Kalkberghöhlen“
sowie das Vogelschutzgebiet „Barker und Wittenborner Heide“ seien zudem
unzutreffend abgegrenzt. Die Abweichungsprüfung sei zu beanstanden, da es
an zwingenden Gründen fehle und zudem vorzugswürdige Varianten zur Verfü-
gung stünden. Auch sei die Kohärenz des Netzes „Natura 2000“ durch die fest-
gesetzten Maßnahmen nicht gesichert. Darüber hinaus verstoße der Planfest-
stellungsbeschluss gegen Artenschutzrecht. Schließlich fehle eine ordnungs-
gemäße Abwägung.
Der Beklagte hat mit Planänderungsbescheid vom 16. Oktober 2013 den Plan-
feststellungsbeschluss um Ausnahmen für vereinzelte Verstöße gegen das ar-
tenschutzrechtliche Tötungsverbot für die Haselmaus und verschiedene Fle-
dermausarten ergänzt. Des Weiteren hat er den Planfeststellungsbeschluss in
der mündlichen Verhandlung in verschiedenen Punkten ergänzt.
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Die Kläger beantragen,
1. den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten für den
Neubau der Bundesautobahn A 20, Nord-West-Umfahr-
ung Hamburg, Teilstrecke B 206 westlich Wittenborn bis
B 206 westlich Weede vom 30. April 2012 in der Fassung
des Planänderungsbescheides vom 16. Oktober 2013 und
der in der mündlichen Verhandlung vom 22./23. Oktober
2013 erklärten Ergänzungen aufzuheben,
2. hilfsweise: festzustellen, dass der Planfeststellungsbe-
schluss rechtswidrig und nicht vollziehbar ist,
3. weiter hilfsweise: den Beklagten zu verpflichten, dem
Träger des Vorhabens unter Beachtung der Rechtsauffas-
sung des Gerichts geeignete Vorkehrungen bzw. die Er-
richtung und Unterhaltung von Anlagen aufzugeben, die
zur weitergehenden Vermeidung bzw. zur Kompensation
nachteiliger Umweltauswirkungen des Planfeststellungs-
beschlusses erforderlich sind.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält den Planfeststellungsbeschluss für rechtmäßig.
Der Beklagte hat auf Anregung des Senats eine Stellungnahme des Bundesam-
tes für Naturschutz (BfN) zur Frage der Methodik der Fledermauserfassung
eingeholt. Die Stellungnahme datiert vom 14. Oktober 2013.
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Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Der Planfeststellungsbeschluss
vom 30. April 2012 in der Gestalt der Planänderung vom 16. Oktober 2013 so-
wie der in der mündlichen Verhandlung erklärten Ergänzungen verstößt in Tei-
len gegen Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes und damit gegen
Vorschriften, deren Verletzung die Kläger als anerkannte Naturschutzvereini-
gungen gemäß § 64 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 BNatSchG 2010 rügen können.
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Der Vortrag der Kläger umfasst neben unberechtigten Einwänden auch solche
Rügen, die auf Mängel bei der Behandlung des Habitatschutzes, der FFH-
rechtlichen Ausnahmeprüfung und des Artenschutzes (A) sowie - infolge der
vorgenannten Mängel - der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung und der
fachplanerischen Abwägung führen (B). Diese Mängel rechtfertigen nicht die
Aufhebung, sondern nur die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvoll-
ziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses, weil Heilungsmöglichkeiten in
einem ergänzenden Verfahren verbleiben (C).
A. Ohne Erfolg machen die Kläger das Fehlen einer Planrechtfertigung (I.) so-
wie Mängel des Linienbestimmungsverfahrens (II.) geltend. Demgegenüber be-
anstanden sie zu Recht die Verträglichkeitsprüfung in Bezug auf das FFH-
Gebiet „Segeberger Kalkberghöhlen“, und zwar hinsichtlich der angewandten
Methodik der Fledermauserfassung sowie hinsichtlich der Prüfung der charakte-
ristischen Arten (III.). Nicht zu beanstanden sind die Ausführungen des Plan-
feststellungsbeschlusses zum Vogelschutzgebiet „Barker und Wittenborner Hei-
de“ (IV.). In Bezug auf das FFH-Gebiet „Travetal“ ist die Prüfung der Verträg-
lichkeit ebenfalls rechtens (V.). Einen beachtlichen Fehler enthält der Planfest-
stellungsbeschluss aber im Zusammenhang mit der Abweichungsprüfung nach
§ 34 Abs. 3 BNatSchG. Zwar fehlt es insoweit nicht an zwingenden Gründen,
auch greift die hinsichtlich der Kohärenzsicherungsmaßnahmen geäußerte Kri-
tik der Kläger im Ergebnis nicht durch; jedoch kann die Alternativenprüfung
nicht vollständig überzeugen (VI.). Insbesondere wegen der bereits im Zusam-
menhang mit dem Gebietsschutz festgestellten methodischen Mängel bei der
Erfassung der Fledermäuse erweist sich auch die artenschutzrechtliche Beurtei-
lung des Vorhabens als fehlerhaft (VII.).
I. Die Planrechtfertigung ist gegeben.
Ob das Erfordernis der Planrechtfertigung für ein Vorhaben auf die Klage eines
anerkannten Naturschutzvereins hin trotz dessen beschränkter Rügebefugnis
zu prüfen ist, kann (weiterhin) offenbleiben (vgl. hierzu Urteile vom 12. März
2008 --Rn. 42 = Buchholz 451.91 Europ.
UmweltR Nr. 30 und vom 28. März 2013 - BVerwG 9 A 22.11 - BVerwGE 146,
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145 Rn. 28). Denn die Planrechtfertigung ist für das planfestgestellte Vorhaben
gegeben. Es ist im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen zum Fernstraßen-
ausbaugesetz i.d.F. vom 20. Januar 2005 (BGBl I S. 201) - FStrAbG - als Vor-
haben des vordringlichen Bedarfs enthalten und damit gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1
FStrAbG, gemessen an den Zielsetzungen des § 1 Abs. 1 FStrG, vernünftiger-
weise geboten. Die gesetzliche Feststellung des Bedarfs ist für die Planfeststel-
lung wie auch das gerichtliche Verfahren verbindlich. Anhaltspunkte dafür, dass
der Gesetzgeber mit der Bedarfsfeststellung für die A 20 die Grenzen seines
gesetzgeberischen Ermessens überschritten hat, sind nicht ersichtlich. Das wä-
re nur der Fall, wenn die Bedarfsfeststellung evident unsachlich wäre, weil es
für die Aufnahme des Vorhabens in den Bedarfsplan im Hinblick auf die be-
stehende oder künftig zu erwartende Verkehrsbelastung oder auf die verkehrli-
che Erschließung eines zu entwickelnden Raums an jeglicher Notwendigkeit
fehlte oder wenn sich die Verhältnisse seit der Bedarfsentscheidung des Ge-
setzgebers so grundlegend gewandelt hätten, dass das angestrebte Planungs-
ziel unter keinen Umständen auch nur annähernd erreicht werden könnte
(stRspr; vgl. nur Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 43).
Davon ist bei der geplanten Autobahn nicht auszugehen. Hiergegen spricht
schon die aktuelle Überprüfung des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen
vom 11. November 2010, die ergeben hat, dass Anpassungen nicht erforderlich
sind. Zwar wurde die Überprüfung aufgrund der Vielzahl der Projekte nicht für
Einzelmaßnahmen vorgenommen. Allerdings wurde - der hier vorliegenden
Fragestellung entsprechend - untersucht, ob sich die seinerzeit der Bewertung
zugrunde gelegten verkehrlichen Rahmenbedingungen so gravierend verändert
haben, dass der Projektbedarf grundsätzlich in Frage gestellt werden muss.
Dies wurde verneint. Die Analysen führten vielmehr im Ergebnis zu einer Bestä-
tigung aller im geltenden Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen ausgewiese-
nen Straßenbauprojekte. An der Verwertbarkeit dieses Ergebnisses ändert sich
nichts durch die Kritik der Kläger, dass - anders als bei der Aufstellung des Be-
darfsplans im Jahre 2004 - bei dessen Überprüfung entgegen § 4 Satz 1
Halbs. 2 FStrAbG nur die global-verkehrlichen Belange, nicht aber die Belange
des Umweltschutzes einbezogen worden seien und zudem keine strategische
Umweltprüfung nach § 14b Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Anlage 3 Nr. 1.1 des Gesetzes
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über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) stattgefunden habe. Solange
sich die Verhältnisse nicht grundlegend gewandelt haben, wird der gesetzliche
Bedarfsplan nicht dadurch automatisch gegenstandslos, dass die Prüfung eines
etwaigen Anpassungsbedarfs nicht rechtzeitig oder nicht in jeder Hinsicht voll-
ständig stattgefunden hat (vgl. auch Urteil vom 27. Oktober 2000 - BVerwG 4 A
18.99 - BVerwGE 112, 140 <149> = Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr. 29
S. 10).
Die Planrechtfertigung fehlt auch nicht mit Blick auf die Finanzierungsprobleme
eines Elbtunnels. Dieser Tunnel betrifft erst den 8. Abschnitt des Gesamtvorha-
bens. Im Übrigen sind sämtliche schleswig-holsteinischen Abschnitte der A 20
im Bedarfsplan als vordringlicher Bedarf ausgewiesen. Diese Ausweisung un-
terstreicht nicht nur die Dringlichkeit der Planung, sondern auch die Vorrangig-
keit der Finanzierung (Urteil vom 20. Mai 1999 - BVerwG 4 A 12.98 - Buchholz
407.4 § 17 FStrG Nr. 154 S. 32). Die Planfeststellungsbehörden haben lediglich
vorausschauend zu beurteilen, ob dem Vorhaben „unüberwindliche“ finanzielle
Schranken entgegenstehen (stRspr, vgl. nur Urteil vom 20. Mai 1999 a.a.O.
S. 31; Beschluss vom 15. Januar 2008 - BVerwG 9 B 7.07 - Buchholz 406.25
§ 41 BImSchG Nr. 48). Davon kann hier keine Rede sein. Es steht keineswegs
fest, dass die Finanzierung, ggf. auch unter Beteiligung Privater, auf Dauer
ausgeschlossen ist.
Dem planfestgestellten Abschnitt kommt auch ein eigenständiger Verkehrswert
zu (vgl. zu diesem Kriterium Urteil vom 7. März 1997 --
<152 f.> m.w.N.). Es ist nicht zu erkennen, dass im Falle
des Scheiterns der Gesamtplanung die Verwirklichung des Projekts nicht sinn-
voll bliebe und lediglich einen Planungstorso darstellen würde. Der Planfeststel-
lungsbeschluss geht - gestützt auf Verkehrsprognosen - nachvollziehbar davon
aus, dass ein erhebliches Entlastungspotential für Bad Segeberg sowie für die
an der B 206 zwischen der A 21 und der L 78 liegenden Ortschaften sowohl bei
einem Ende der A 20 westlich des Autobahnkreuzes A 21/A 20 als Kurztrasse
(Netzfall 2a) als auch bei einem Ende der A 20 westlich von Wittenborn mit Ein-
bindung in die vorhandene B 206 (Netzfall 2b) besteht. Würde die A 20 bis zur
A 7 weitergebaut (Planfall 3), würde sich der Entlastungseffekt noch weiter ver-
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stärken (vgl. zum Vorstehenden Planfeststellungsbeschluss S. 336 ff. und
S. 425 ff. sowie Anlage B 1 „Karte Prognosebelastungen 2025 im Planfall 3“ zur
Klageerwiderung im früher selbständigen - inzwischen verbundenen - Verfahren
BVerwG 9 A 15.12).
II. Der Planfeststellungsbeschluss ist nicht infolge der von den Klägern aufge-
zeigten Fehler des Linienbestimmungsverfahrens rechtswidrig. Aufgrund der
nur verwaltungsinternen Bedeutung der Linienbestimmung können Fehler des
Linienbestimmungsverfahrens nur unter engen Voraussetzungen auf die
Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses durchschlagen (1.); solche
Fehler sind hier nicht festzustellen (2.).
1. Das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung enthält in Bezug auf die
Linienbestimmung nach § 16 Abs. 1 FStrG bestimmte formelle und inhaltliche
Vorgaben: Die Linienbestimmung ist nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 UVPG UVP-pflichtig,
es sei denn, die Umweltverträglichkeitsprüfung hat bereits in einem Raumord-
nungsverfahren stattgefunden (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 UVPG). Zudem ist eine
vereinfachte Öffentlichkeitsbeteiligung - ohne Durchführung eines Erörterungs-
termins - vorgeschrieben. Die Umweltverträglichkeit wird „nach dem jeweiligen
Planungsstand des Vorhabens“ geprüft. Alle ernsthaft in Betracht kommenden
Trassenvarianten sind einzubeziehen (vgl. § 9 und § 15 Abs. 1 und 2 UVPG).
Fehler, die die Linienbestimmung nach § 16 Abs. 1 FStrG betreffen, können
nach § 15 Abs. 5 UVPG nur im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen
die nachfolgende Zulassungsentscheidung - also im Rahmen der Klage gegen
den Planfeststellungsbeschluss - überprüft werden. Aufgrund der nur verwal-
tungsinternen Bedeutung der Linienbestimmung sind aber nur wenige Fehler
vorstellbar, die ohne Weiteres auf die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbe-
schlusses durchschlagen. Die Linienbestimmung nach § 16 Abs. 1 FStrG ist
weder eine formelle noch eine materielle Voraussetzung der Rechtmäßigkeit
der Planfeststellung. Sie ist nicht auf unmittelbare Rechtswirkungen nach außen
gerichtet, sondern hat innerhalb des Planungsverlaufs den Charakter einer vor-
bereitenden Grundentscheidung mit allein verwaltungsinterner Bedeutung.
Rechtliche Verbindlichkeit gegenüber dem Träger der Straßenbaulast und ge-
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genüber Dritten erlangt sie erst dadurch, dass sie in den Festsetzungen des
Planfeststellungsbeschlusses ihren Niederschlag findet (stRspr; vgl. nur
- BVerwGE 134, 308 Rn. 26 = Buch-
holz 407.4 § 17 FStrG Nr. 203). Da die Linienbestimmung nicht Teil eines ge-
stuften Verfahrens mit einer der Bestandskraft fähigen Vorabentscheidung ist,
sondern lediglich verwaltungsinterne Bedeutung entfaltet, können Fehler auf
dieser vorgelagerten Ebene regelmäßig im nachfolgenden Verfahren, in dem
„alle Optionen noch offen sind“ und „eine im Hinblick auf den Ausgang des Ent-
scheidungsverfahrens effektive Öffentlichkeitsbeteiligung“ noch möglich ist, ge-
heilt werden (EuGH, Urteil vom 15. Januar 2013 - Rs. C-416/10, Krizan - NVwZ
2013, 347 Rn. 85 ff., 88 f. m.w.N.). Etwas anderes kann allerdings gelten, so-
weit die Prüfung der Umweltverträglichkeit gemäß § 15 Abs. 4 UVPG im nach-
folgenden Verfahren ausdrücklich auf zusätzliche oder andere erhebliche Um-
weltauswirkungen des Vorhabens beschränkt wurde. Denn in diesem Fall setzt
sich ein Fehler, der im abgeschichteten Teil der auf die Linienbestimmung be-
zogenen Umweltverträglichkeitsprüfung aufgetreten ist, bis zum Erlass des
Planfeststellungsbeschlusses fort.
2. Vorliegend sind bereits keine Fehler des Verfahrens der Linienbestimmung
feststellbar.
a) Die Kläger beanstanden zum einen, dass die einheitliche Linienbestim-
mungsentscheidung des Bundesverkehrsministeriums vom 28. Juli 2005 auf
zwei eigenständigen Verfahren beruhte (A 20, Nord-West-Umfahrung Hamburg
einerseits und A 20, Südumfahrung Segeberg-Wittenborn bis Weede anderer-
seits); diese Verklammerung habe zu Beteiligungsausfällen geführt. Die Betei-
ligten des einen Abschnitts seien am jeweils anderen nicht beteiligt worden;
insbesondere habe die Öffentlichkeit nicht zum Gesamtkonzept Stellung neh-
men können.
Die Kritik trifft nicht zu. Dass die Öffentlichkeit bei einem abschnittsweise ge-
planten Vorhaben im Regelfall nur in dem jeweiligen Abschnitt beteiligt wird, ist
kein Verfahrensfehler; vielmehr liegt dies in der Natur jeder Abschnittsbildung.
Im vorliegenden Fall wurde die von dem planfestgestellten Abschnitt betroffene
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Öffentlichkeit allerdings doppelt angehört, nämlich zunächst im Rahmen des
Linienbestimmungsverfahrens zur Teilstrecke 5 (Auslegung der Unterlagen im
Jahre 1999), sodann später erneut im Rahmen der Linienfindung für die groß-
räumigere Nord-West-Umfahrung Hamburg (Auslegung der Unterlagen im Jah-
re 2003). Da die Auslegung jeweils übereinstimmend im Rathaus der Stadt Bad
Segeberg, der Amtsverwaltung Leezen und der Amtsverwaltung Segeberg-
Land (heute: Trave-Land) erfolgte, konnte die Öffentlichkeit zu dem später li-
nienbestimmten Gesamtvorhaben Stellung nehmen.
b) Ebenso wenig greift die Kritik durch, es habe im Linienbestimmungsverfahren
an ausreichenden Dokumenten nach §§ 11, 12 UVPG gefehlt. Nach § 11 Satz 4
UVPG kann die zusammenfassende Darstellung der Umweltauswirkungen auch
in der Zulassungsentscheidung selbst erfolgen, d.h. die Erstellung einer beson-
deren Unterlage ist nicht erforderlich. Gleiches gilt für die Bewertung der Um-
weltauswirkungen (§ 12 UVPG); auch insoweit ist keine besondere Form vorge-
schrieben (Beckmann, in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl. 2012, § 11
Rn. 29 ff. und § 12 Rn. 18 ff.). Von daher ist es nicht zu beanstanden, dass im
großräumigen Linienbestimmungsverfahren für die Nord-West-Umfahrung
Hamburg auf die entsprechenden Unterlagen aus dem früher selbständigen
Verfahren zur Teilstrecke 5 zurückgegriffen und nicht eine neue Gesamtunter-
lage nach §§ 11, 12 UVPG erstellt wurde.
c) Auch der Vorwurf der Kläger, die in der Linienbestimmungsentscheidung vom
28. Juli 2005 erwähnten FFH-Verträglichkeitsuntersuchungen seien zeitlich erst
nach der Öffentlichkeitsbeteiligung erstellt worden, führt nicht auf einen Fehler.
Es steht dem nationalen Gesetzgeber frei, auf ein vorgelagertes Verfahren der
Linienbestimmung zu verzichten. Eine Pflicht zur Durchführung eines derartigen
Verfahrens ergibt sich weder aus der UVP-Richtlinie (Richtlinie 2011/92/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die
Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projek-
ten, ABl EU Nr. L 26 S. 1) noch aus der SUP-Richtlinie
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prü-
fung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl EG
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Nr. L 197 S. 30). Beide Richtlinien regeln nur, dass bestimmte Projekte bzw. be-
stimmte Pläne oder Programme auf ihre Umweltverträglichkeit hin untersucht
werden müssen; zu der davon zu unterscheidenden Frage, ob und ggf. unter
welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten Pläne oder Programme erlassen
müssen, verhalten sich beide Richtlinien nicht. Infolgedessen besteht keine
Pflicht zur Wiederholung des Verfahrens, wenn ein vorgelagertes Linienbe-
stimmungsverfahren zu einer Zeit durchgeführt worden ist, zu der Art. 6 Abs. 3
FFH-RL mangels Listung der betroffenen Gebiete noch nicht anwendbar war.
Den Anforderungen des FFH-Rechts ist dann allerdings im Rahmen des Plan-
feststellungsverfahrens Rechnung zu tragen, d.h. der jeweilige Abschnitt - das
Projekt i.S.d. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL - ist mit seinen Auswirkungen auf die von
ihm betroffenen FFH-Gebiete in den Blick zu nehmen (Urteil vom 28. März 2013
- BVerwG 9 A 22.11 - BVerwGE 146, 145 Rn. 20). Nichts anderes gilt im vorlie-
genden Fall. Zwar bestand hier zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Li-
nienbestimmung (2005) nicht nur eine Pflicht zur Prüfung der Umweltverträg-
lichkeit, sondern nach § 35 Satz 1 i.V.m. § 34 BNatSchG auch eine solche zur
Prüfung der Verträglichkeit mit Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung
i.S.d. Art. 4 FFH-Richtlinie. Auch hatte die Kommission im Jahr 2004 bereits
eine - wenn auch noch vorläufige - Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher
Bedeutung veröffentlicht. Da die vorgeschaltete Öffentlichkeitsbeteiligung aber
schon in den Jahren 1999 und 2003 stattgefunden hatte, konnte in diese die
Prüfung der FFH-Verträglichkeit etwaiger Schutzgebiete noch nicht einbezogen
werden. Auch in der hier vorliegenden Konstellation besteht keine Pflicht zur
Wiederholung des Linienbestimmungsverfahrens bzw. zur erneuten Durchfüh-
rung der Öffentlichkeitsbeteiligung, sondern es genügt, dass dem FFH-Recht im
Rahmen des Planfeststellungsverfahrens Rechnung getragen wurde. Ob dies
der Fall ist, wird im Folgenden ausgeführt.
III. Den besonderen Anforderungen an den Schutz von FFH-Gebieten trägt der
Planfeststellungsbeschluss in Bezug auf das FFH-Gebiet „Segeberger Kalk-
berghöhlen“ nicht vollständig Rechnung.
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG, mit dem Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL um-
gesetzt worden ist, sind Projekte vor ihrer Zulassung auf ihre Verträglichkeit mit
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den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen. Sie dürfen
nach § 34 Abs. 2 BNatSchG nur zugelassen werden, wenn die Verträglichkeits-
prüfung ergibt, dass das Projekt nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen eines
solchen Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maß-
geblichen Bestandteilen führen kann. Abweichend von § 34 Abs. 2 BNatSchG
darf ein Projekt nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 3
BNatSchG zugelassen werden.
Die Verträglichkeitsprüfung, die ergeben hat, dass es nicht zu vorhabenbeding-
ten erheblichen Beeinträchtigungen des FFH-Gebiets „Segeberger Kalkberg-
höhlen“ kommen wird, enthält durchgreifende Mängel, so dass die Zulassung
des Vorhabens nicht auf sie gestützt werden kann. Zwar ist die Gebietsabgren-
zung entgegen der Auffassung der Kläger nicht zu beanstanden (1.). Die der
Verträglichkeitsprüfung zugrunde gelegte Methode der Fledermauserfassung
entspricht aber nicht den besten wissenschaftlichen Erkenntnissen (2.), zudem
ist der gewählte Prüfungsmaßstab in Bezug auf die charakteristischen Arten zu
eng (3.). Nicht durchsetzen können die Kläger sich hingegen mit ihrer grund-
sätzlichen Kritik hinsichtlich des Schutzkonzepts (4.) und der Monitoringbe-
1. Die Gebietsabgrenzung ist nicht zu beanstanden. Das FFH-Gebiet „Sege-
berger Kalkberghöhlen“ umfasst 3 ha; die eigentliche Höhle selbst ist ca. 2 km
lang; davon sind 300 m für Schauzwecke geöffnet. Die Höhle stellt laut Stan-
darddatenbogen das größte bekannte Fledermausquartier Deutschlands dar.
Nach der Installation neuer automatischer Erfassungsanlagen ergaben die Zäh-
lungen, dass im Jahr 2007 weit mehr als 21 000 Individuen die Höhle bewohnt
haben.
Die Maßstäbe für die Gebietsabgrenzung ergeben sich aus Art. 4 Abs. 1 i.V.m.
Anhang III Phase 1 FFH-RL. Diese Regelung ist nicht nur für die Identifizierung
von FFH-Gebieten, sondern auch für deren konkrete Abgrenzung anzuwenden.
Maßgebend sind ausschließlich die in Anhang III Phase 1 genannten natur-
schutzfachlichen Kriterien; den zuständigen Stellen ist insoweit ein naturschutz-
fachlicher Beurteilungsspielraum eingeräumt. Zwingend ist eine Gebietsmel-
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dung nur, wenn und soweit die fraglichen Flächen die von der Habitatrichtlinie
vorausgesetzte ökologische Qualität aufweisen. Gebietsteile, die den Auswahl-
kriterien zweifelsfrei entsprechen, dürfen nicht ausgespart werden, auch nicht
im Hinblick auf ein bestimmtes Vorhaben. Ein sich aufdrängender Korrekturbe-
darf muss im Planfeststellungsbeschluss berücksichtigt werden. Nach der Ent-
scheidung der EU-Kommission über die Gebietslistung spricht eine tatsächliche
Vermutung für die Richtigkeit der Gebietsabgrenzung. Deshalb bedürfen Ein-
wände dagegen einer besonderen Substantiierung; sie müssen geeignet sein,
die Vermutung zu widerlegen (stRspr, vgl. nur Urteile vom 28. März 2013
- BVerwG 9 A 22.11 - BVerwGE 146, 145 Rn. 36 und vom 14. April 2010
- BVerwG 9 A 5.08 - BVerwGE 136, 291 Rn. 38 ff. = Buchholz 451.91 Europ.
UmweltR Nr. 45).
Das ist den Klägern hier nicht gelungen. Sie halten das FFH-Gebiet für zu eng
abgegrenzt und meinen, richtigerweise hätte zumindest der Segeberger Forst
als Lebensraum für die Bechsteinfledermaus und das Gebiet der Trave für die
Teichfledermaus miteinbezogen werden müssen. Das ist, geht man von den Er-
haltungszielen des in dem FFH-Gebiet geschützten Lebensraumtyps 8310 aus,
nicht überzeugend. Unter dem Lebensraumtyp (LRT) 8310 „nicht touristisch
erschlossene Höhlen“ sind Höhlen und Balmen (Halbhöhlen), soweit sie nicht
touristisch erschlossen oder genutzt sind, einschließlich ihrer Höhlengewässer
zu verstehen. In bestimmten Höhlensystemen kommen sogenannte en-
demische Arten vor, also Arten, die auf das betreffende Höhlensystem be-
schränkt sind. Hier wurde nur eine nicht zu den Anhang-II-Arten zählende en-
demische Käferart (Chlidera holsatica, vgl. Fachgutachten zur FFH-Verträglich-
keitsprüfung „Segeberger Kalkberghöhlen“ 2009, aktualisiert Juni 2011, S. 7,
künftig: FFH-VP „Kalkberghöhlen“) nachgewiesen, die eine Gebietserweiterung
nicht erfordert. Höhlen werden zudem als Winterquartier von den meisten ein-
heimischen Fledermausarten genutzt. Gefährdet sind Höhlen vor allem durch
die touristische Nutzung, die z.B. zur Veränderung des Höhlenklimas führt und
störungsempfindliche Arten wie Fledermäuse bei ihrer Winterruhe beeinträch-
tigt. Auch die Fledermäuse, die die im Stadtgebiet liegenden Segeberger Kalk-
berghöhlen bevölkern, nutzen diese in erster Linie als Winterquartier; die Som-
merquartiere sind zum Teil weit entfernt, so dass eine Gebietserweiterung nicht
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nahe liegt, auch nicht eine Einbeziehung der Gebiete „Segeberger Forst“ und
„Trave“. Danach ist es nicht zu beanstanden, dass der Gebietsschutz auf die
Höhlen selbst und die unmittelbare nähere Umgebung beschränkt wird.
2. Die der Verträglichkeitsprüfung zugrunde gelegte Methode der Bestandser-
fassung der als Erhaltungsziel geschützten Fledermausarten nach Anhang II
FFH-RL (Bechsteinfledermaus, Teichfledermaus und Großes Mausohr) ent-
spricht nicht dem Standard der „besten einschlägigen wissenschaftlichen Er-
kenntnisse“ und reicht deshalb als Grundlage für die Verträglichkeitsprüfung
nicht aus.
Für die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL hat eine sorgfältige
Bestandserfassung und -bewertung in einem Umfang zu erfolgen, der es zu-
lässt, die Einwirkungen des Projekts zu bestimmen und zu bewerten. Die Me-
thode der Bestandsaufnahme ist nicht normativ festgelegt; die Methodenwahl
muss aber die für die Verträglichkeitsprüfung allgemein maßgeblichen Stan-
dards der „besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse“ einhalten
(stRspr, vgl. nur Urteile vom 28. März 2013 a.a.O. Rn. 41 und vom 6. November
2012 - BVerwG 9 A 17.11 - BVerwGE 145, 40 Rn. 35; EuGH, Urteil vom
7. September 2004 - Rs. C-127/02 - Slg. 2004, I-7405 Rn. 54).
Das kann hier nicht festgestellt werden. Die geplante Autobahn soll in einem
Abstand von nur ca. 1,3 km an dem FFH-Gebiet „Segeberger Kalkberghöhlen“,
das sich im Zentrum von Bad Segeberg befindet, vorbeiführen. Bei diesen Höh-
len handelt es sich - wie bereits oben erwähnt - um das größte bekannte Fle-
dermausquartier Deutschlands, dem deshalb besondere Bedeutung zukommt,
weil Überwinterungsquartiere bei Fledermäusen zugleich als Balz- und Paa-
rungsquartiere dienen. Für die Bechsteinfledermaus besitzt das Winterquartier
Bedeutung für die gesamte schleswig-holsteinische Population, da hier der
Genaustausch während der Überwinterung stattfindet (vgl. zum Vorstehenden
FFH-VP „Kalkberghöhlen“ S. 2 und 17 f., sowie Stellungnahme des BfN vom
14. Oktober 2013 S. 2, künftig: BfN-Stellungnahme).
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In sämtlichen einschlägigen Arbeitshilfen und Leitfäden ist als Standardmetho-
de zur Bestandserfassung von Fledermäusen ein Methodenmix aus Habitatana-
lyse und Geländeuntersuchungen unter Einsatz von Detektoren, Horchboxen,
Netzfängen etc. vorgesehen (vgl. nur „Arbeitshilfe Fledermäuse und Straßen-
verkehr“ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Ent-
wurf Oktober 2011, S. 14 ff., künftig: Arbeitshilfe Fledermäuse; Landesbetrieb
Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein, „Fledermäuse und Straßenbau,
Arbeitshilfe zur Beachtung der artenschutzrechtlichen Belange bei Straßenbau-
vorhaben in Schleswig-Holstein“, Juli 2011, S. 10 ff.; Sächsisches Staatsminis-
terium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, „Planung und Gestaltung von Que-
rungshilfen für Fledermäuse - Eine Arbeitshilfe für Straßenbauvorhaben im
Freistaat Sachsen“ S. 42 ff.; weitere Nachweise finden sich in der BfN-
Stellungnahme S. 3).
Von der beschriebenen Standardmethode ist der Gutachter des Vorhabenträ-
gers, Dr. M., mit der von ihm gewählten Methode (sog. faunistische Potential-
analyse ohne nähere Vorort-Untersuchungen, kombiniert mit einem „Worst-
Case-Ansatz“) ausdrücklich abgewichen (vgl. zu den Einzelheiten der Methode
Planfeststellungsbeschluss S. 621 f.; Anlage 12.0 der Planfeststellungsunterla-
gen, Kap. 3.5.1.7 S. 117; FFH-VP „Kalkberghöhlen“ S. 39 ff. sowie Stellung-
nahme des Gutachters Dr. M. vom 27. August 2013 S. 1 - 11). Dabei ist er
- zusammengefasst - von folgenden Annahmen ausgegangen:
Bei dem Planungsraum handele es sich um ein Gebiet, dessen sehr hohe Be-
deutung für die Fledermausfauna schon seit langem bekannt sei. So habe der
Vorhabenträger bereits im Jahre 1995 eine umfassende Untersuchung zur Be-
deutung des Raums Segeberg für Fledermäuse in Auftrag gegeben, die von
ortskundigen Fachleuten (O. und L.) durchgeführt worden sei. In den folgenden
Jahren seien im Rahmen anderer Projekte oder zu Forschungszwecken weitere
fledermauskundliche Untersuchungen zu unterschiedlichen Fragestellungen
und mit unterschiedlichen Methodenansätzen hinzugekommen. Das Artenspek-
trum im Raum Segeberg sei infolge dieser Arbeiten mittlerweile hinreichend
erfasst. Eine Auswertung der Untersuchungen habe gezeigt, dass das Raum-
nutzungsmuster eines bestimmten Gebiets sehr komplex sein könne. Wolle
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man es vollständig erfassen, wäre angesichts der Anzahl der Fledermäuse im
Umfeld der Segeberger Höhlen ein Aufwand notwendig, der einem For-
schungsvorhaben gleichkomme. Eine auch nur annähernd vollständige Kartie-
rung des Raumnutzungsmusters setze eine intensive, alle Entwicklungsphasen
sowohl der Fledermäuse wie auch ihrer Beutetiere berücksichtigende Untersu-
chung voraus, die zudem artspezifische Verhaltensweisen und insbesondere
wechselnde Witterungsverläufe einbeziehen müsse. Hiervon ausgehend habe
man sich für eine faunistische Potentialanalyse entschieden, die alle vorliegen-
den Daten berücksichtige und davon ausgehe, dass alle geeigneten Habitate
und Strukturen im Laufe der Zeit von allen dort zu erwartenden Fledermausar-
ten zumindest zeitweilig genutzt werden. Diese Methode stelle eine deutlich
bessere Basis für die Entwicklung eines Maßnahmenkonzepts zur Vermeidung
artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände bzw. erheblicher Beeinträchtigungen
der FFH-Gebiete dar, als weitere „Momentaufnahmen“ durch zeitlich begrenzte
Geländekartierungen.
Das genaue methodische Vorgehen beschreibt der Gutachter in folgenden
Schritten: 1. Auswertung aller bereits vorliegenden Untersuchungen sowie der
einschlägigen Literatur, 2. flächendeckende Begehungen des Trassenbereichs
zur Erfassung aller fledermausrelevanten Strukturen einschließlich ihrer land-
schaftlichen Einbindung, 3. im Jahr 2009 flächendeckende Suche nach poten-
tiellen Quartieren in einem ca. 200 m breiten Korridor entlang der geplanten
Trasse, 4. Durchführung der eigentlichen Potentialanalyse, d.h. Bewertung des
vom Vorhaben betroffenen Raums hinsichtlich seiner potentiellen Nutzung
durch die Fledermausarten; Methode: „Verschneiden“ der Lebensraumansprü-
che und Verhaltensweisen aller im Raum Segeberg nachgewiesenen Arten mit
den im Gelände vorgefundenen Habitatstrukturen unter Berücksichtigung der
räumlichen Einbindung dieser Strukturen in die Landschaft (Worst-Case-
Ansatz), 5. Konfliktermittlung und 6. Entwicklung eines Maßnahmekonzepts.
Der Senat vermochte sich auch und gerade wegen der besonderen Bedeutung
des betroffenen Fledermaushabitats nicht davon zu überzeugen, dass diese
Methode den besten wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht. Zwar sind
Worst-Case-Annahmen nach der Rechtsprechung - auch bei der Bestandsauf-
50
51
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nahme - grundsätzlich zulässig, sofern hierdurch ein Ergebnis erzielt wird, das
hinsichtlich der untersuchten Fragestellung auf der „sicheren Seite“ liegt
(stRspr, vgl. nur Urteile vom 12. August 2009 - BVerwG 9 A 64.07 - BVerwGE
134, 308 Rn. 38 = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 203 und vom 17. Januar
2007 - BVerwG 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1 Rn. 64 = Buchholz 451.91 Europ.
UmweltR Nr. 26). Auch kann dem Gutachter noch darin gefolgt werden, dass
das Artenspektrum und die Häufigkeit der Arten im Untersuchungsraum, insbe-
sondere im Nahbereich der Höhlen, bereits hinreichend erforscht sind. Nicht
gefolgt werden kann ihm aber in der Annahme, durch eine Potentialanalyse lie-
ßen sich Flugrouten, Jagd-/Nahrungshabitate und Quartiere hinreichend sicher
ermitteln, um darauf aufbauend ein Schutzkonzept zu entwickeln. Die hier an-
gewandte Methode der faunistischen Potentialanalyse birgt schon von ihrem
theoretischen Ansatz her die Gefahr, dass scheinbar geeignete Habitate von
den Tieren nicht genutzt werden und dass andererseits Arten in Bereichen vor-
kommen, die dafür eigentlich nicht prädestiniert sind, kurz gesagt: In der Land-
schaft vorgefundene Strukturen können über- oder unterschätzt werden (vgl.
hierzu mit näherer Begründung Stellungnahme des Klägers zu 1, Verfasser:
Stefan Lüders, vom 12. Juli 2013 S. 13 f., künftig: Stellungnahme Lüders sowie
BfN-Stellungnahme S. 8). Hierzu trägt auch der Umstand bei, dass neben der
Habitatstruktur eines Lebensraums insbesondere dessen Lage im Raum ent-
scheidend ist; diese zu bewerten fällt allerdings schwer, wenn etwa die Lage
der Sommerlebensräume nicht ermittelt worden ist (vgl. hierzu Stellungnahme
Lüders S. 13). Zu kritisieren ist zudem, dass der behauptete Worst-Case-
Ansatz nicht konsequent durchgehalten wird, denn die vorgefundenen Struktu-
ren werden drei verschiedenen Bewertungsstufen zugeordnet (gering = Flug-
routen nicht auszuschließen, mittel = Flugrouten möglich und hoch = bedeuten-
de Flugrouten wahrscheinlich; vgl. hierzu Stellungnahme Lüders S. 12 und
20 f.). Im Übrigen erscheint eine Worst-Case-Betrachtung, bei der wie hier kei-
ne Unterschiede in der räumlichen Betroffenheit von Arten bzw. unterschiedli-
che räumliche Konfliktgrade herausgearbeitet werden, vor dem Hintergrund
problematisch, dass diese Angaben als Grundlage zur Bewertung von Beein-
trächtigungen notwendig sein können. Die räumliche Differenzierung ist zudem
notwendig, um zielgerichtet Maßnahmen zur Schadensbegrenzung konzipieren
zu können (vgl. hierzu genauer BfN-Stellungnahme S. 9 f.; vgl. zudem Stellung-
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nahme Lüders S. 13 f. zum weiteren Problem des Fehlens einer Skala mit ei-
nem absoluten Bezugspunkt). Die herkömmliche Methode verlangt entgegen
der Darstellung des Gutachters Dr. M. auch keinen Aufwand, der einem For-
schungsvorhaben gleichkommt. Das zeigen zum einen die dem Senat aus an-
deren Verfahren bekannten Bestandsaufnahmen von Fledermäusen; zum an-
deren weisen die Kläger zu Recht darauf hin, dass diese Methode - wenn auch
eingeschränkt im Rahmen der durchgeführten Nullaufnahme - auch im Zusam-
menhang mit dem vorliegenden Verfahren bereits ohne Probleme angewandt
wurde.
Dass die Gefahr der Fehleinschätzung der in der Landschaft vorgefundenen
Strukturen tatsächlich besteht, hat sich nicht zuletzt daran gezeigt, dass der
Gutachter des Vorhabenträgers, Dr. M., in der mündlichen Verhandlung aus-
drücklich einräumen musste, eine von den Klägern mit herkömmlicher Methode
ermittelte „lokal besonders bedeutsame Fledermaus-Flugroute“ wenige Kilome-
ter südöstlich der Kalkberghöhlen mit der Potentialanalyse nicht erkannt zu ha-
ben. Er hat dies damit erklärt, dass er die entsprechenden Knicks „in ihrer Be-
deutung unterschätzt“ habe. Sie hätten „scheinbar im Nirgendwo geendet“;
nach Norden hin habe man „keine Struktur, insbesondere keine Gehölze“ er-
kannt. Diese Fehleinschätzung stellt keinen Anwendungsfehler im Rahmen ei-
nes ansonsten methodengerechten Vorgehens dar, sondern verdeutlicht die
konzeptionelle Schwäche einer auf Vor-Ort-Ermittlungen der Fledermausvor-
kommen und -bewegungen gänzlich verzichtenden Potentialanalyse. Eine ver-
gleichbare Fehleinschätzung wäre bei sorgfältiger, den einschlägigen Arbeitshil-
fen entsprechender Durchführung der Standardmethode unterblieben. Denn
danach ist insbesondere in der näheren Umgebung eines europaweit bedeut-
samen Winterhabitats - wie hier der Kalkberghöhlen - eine besonders gründli-
che Untersuchung mittels verschiedener Erfassungsmethoden erforderlich.
3. Ebenfalls zu beanstanden ist der gewählte Prüfungsmaßstab in Bezug auf
die charakteristischen Arten des FFH-Gebiets „Segeberger Kalkberghöhlen“.
Für die Verträglichkeitsprüfung sind auch die in den einschlägigen Lebensraum-
typen vorkommenden charakteristischen Arten maßgeblich (Art. 1 Buchst. e
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- 24 -
FFH-RL). Charakteristische Arten sind solche Pflanzen- und Tierarten, anhand
derer die konkrete Ausprägung eines Lebensraums und dessen günstiger Er-
haltungszustand in einem konkreten Gebiet und nicht nur ein Lebensraumtyp im
Allgemeinen gekennzeichnet wird. Es sind deshalb diejenigen Arten auszuwäh-
len, die einen deutlichen Vorkommensschwerpunkt im jeweiligen Lebensraum-
typ aufweisen bzw. bei denen die Erhaltung der Populationen unmittelbar an
den Erhalt des jeweiligen Lebensraumtyps gebunden ist und die zugleich eine
Indikatorfunktion für potentielle Auswirkungen des Vorhabens auf den Lebens-
raumtyp besitzen (Urteile vom 6. November 2012 - BVerwG 9 A 17.11 -
BVerwGE 145, 40 Rn. 52, vom 14. April 2010 - BVerwG 9 A 5.08 - BVerwGE
136, 291 Rn. 55 = Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 45 und vom 12. März
2008 - BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 79 = Buchholz 451.91 Europ.
UmweltR Nr. 30). Richtigerweise hätte deshalb untersucht werden müssen,
welche Arten charakteristische Arten der Segeberger Kalkberghöhlen sind und
ob diese aufgrund des Vorhabens erheblich beeinträchtigt werden. Dass hierzu
auch Anhang IV-Arten - wie etwa die von den Klägern genannte Wasserfleder-
maus, Fransenfledermaus und das Braune Langohr - gehören können, ergibt
sich bereits daraus, dass die Erhaltung der einzigen Gips-Großhöhle Nord-
deutschlands als herausragender Lebensraum für zahlreiche Fledermausarten
der Anhänge II und IV FFH-RL „übergreifendes“ Erhaltungsziel des FFH-
Gebiets ist. Stattdessen hat sich die Verträglichkeitsprüfung hier ausdrücklich
darauf beschränkt, die ungestörte Erreichbarkeit der Höhlen nur für die drei
ausdrücklich als Erhaltungsziele genannten Fledermausarten (Teichfledermaus,
Bechsteinfledermaus und Großes Mausohr) zu prüfen (FFH-VP „Kalkberghöh-
len“ S. 37 f.). Soweit der Beklagte sein Vorgehen damit rechtfertigt, dass die
Höhlen gerade für diese Arten eine besondere Bedeutung hätten und es keine
weiteren Arten gebe, die noch empfindlicher gegenüber Zerschneidungswirkun-
gen seien als die drei geprüften Arten, hätte dies näherer Begründung bedurft.
Der knappe Hinweis (vgl. FFH-VP „Kalkberghöhlen“ S. 42), eine eigenständige
Prüfung der sonstigen Fledermausarten als charakteristische Arten des
LRT 8310 erübrige sich deshalb, weil diese Fledermausarten durch die gleichen
Wirkprozesse beeinträchtigt würden, kann angesichts der gegenteiligen Ein-
schätzung der Kläger nicht genügen.
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4. Aus dem Vorstehenden folgt, dass auch das Schutzkonzept, das zur Vermei-
dung erheblicher Beeinträchtigungen von Fledermäusen entwickelt worden ist,
keinen Bestand haben kann, denn es setzt genauere Kenntnisse über Flugrou-
ten, Jagdreviere etc. sowie ggf. die Einbeziehung weiterer charakteristischer
Arten voraus. Hiervon abgesehen sind grundsätzliche Mängel des Schutzkon-
zepts entgegen der Auffassung der Kläger nicht feststellbar.
Der Planfeststellungsbeschluss ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen,
dass die prognostizierten Beeinträchtigungen der Fledermäuse durch Scha-
densvermeidungsmaßnahmen der hier vorgesehenen Art verhindert werden
können. Nach der Arbeitshilfe Fledermäuse (S. 51), der als Ergebnis sachver-
ständiger Erkenntnisse besondere Bedeutung bei der Bewertung der Wirksam-
keit von Schutzmaßnahmen zukommt, hängt die Wirksamkeit vieler Maßnah-
men in hohem Maß von ihrer Einbettung in ein Gesamtkonzept ab. Ein solches
Gesamtkonzept, bestehend aus Querungshilfen in Verbindung mit entspre-
chenden Leit- und Sperreinrichtungen wurde hier entwickelt und im Planfeststel-
lungsbeschluss festgelegt. Die Prognosesicherheit bezüglich der Wirksamkeit
ist bei Unterführungen mit geeignetem Querschnitt sehr hoch (Arbeitshilfe Fle-
dermäuse S. 56). Soweit in Bezug auf die Wirksamkeit der Leit- und Sperrein-
richtungen wissenschaftlich bisher nicht zu beseitigende Unsicherheiten be-
stehen (vgl. hierzu Arbeitshilfe Fledermäuse S. 68), hat der Planfeststellungs-
beschluss dem durch die Anordnung eines Risikomanagements in Nebenbe-
stimmung 2.3.8 Nr. 4 Rechnung getragen (vgl. genauer zum Risikomanage-
ment Urteile vom 6. November 2012 a.a.O. Rn. 48 und vom 12. März 2008
a.a.O. Rn. 105). Soweit die Kläger unter Hinweis auf die Studie von Berthinus-
sen und Altringham die Auffassung vertreten haben, die geplanten Leitstruktu-
ren durch Anpflanzungen seien nicht wirksam, ist der Beklagte dem überzeu-
gend entgegengetreten. Danach werden die in der Studie beschriebenen Fle-
dermausbrücken und Ablenkungspflanzungen an der A 20 nicht eingesetzt, da
ihre Funktionslosigkeit in Deutschland bekannt sei. Von den drei in der Studie
untersuchten Tunneln habe einer einen sehr hohen Wirkungsgrad aufgewiesen.
Dieser Tunnel habe auf einer traditionellen Flugroute gelegen und eine hohe
Durchlasshöhe aufgewiesen. Die beiden anderen Tunnel könnten nicht mit den
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an der A 20 geplanten verglichen werden, denn sie seien niedriger, insbesonde-
re fehle ihnen eine funktionsfähige Anbindung an Leitstrukturen.
Bezüglich der Wirksamkeit von Fledermauskästen nimmt der Senat zur Ver-
meidung von Wiederholungen auf seine Rechtsprechung Bezug (Urteile vom
28. März 2013 - BVerwG 9 A 22.11 - NuR 2013, 565 Rn. 128
veröffentlicht in BVerwGE 146, 145> und vom 13. Mai 2009 - BVerwG 9 A
73.07 - Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 39 Rn. 83).
5. Auch die Kritik der Kläger in Bezug auf Einzelheiten des Monitorings kann
nicht überzeugen.
Die Kläger wenden sich zum einen dagegen, dass das Monitoring nach der Ne-
benbestimmung 2.3.8 Nr. 1 erst in der Ausführungsplanung näher festgelegt
werden soll. Diese Regelung ist nicht zu beanstanden. Sämtliche Grundbedin-
gungen des Monitorings (Art der Maßnahmen, Untersuchungsbereiche, Zeit-
punkt der Untersuchungen und Untersuchungsstandard) sind in der Nebenbe-
stimmung 2.3.8 Nr. 4 festgelegt worden. Auch die Möglichkeit der Nachsteue-
rung ist bereits in den Nebenbestimmungen 2.3.8 Nr. 1 und 2 geregelt; zudem
hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung die letztgenannte Nebenbe-
stimmung um einen allgemeinen Auflagenvorbehalt ergänzt. Die Verlagerung
der konkreten Ausgestaltung auf die spätere Abstimmung mit den Beteiligten in
der Ausführungsplanung ist angesichts dessen ausreichend. Sie ist darüber
hinaus auch sinnvoll, weil aus den Ergebnissen der Nullaufnahme noch nicht
absehbare Erkenntnisse folgen können. Der Beklagte hat insoweit zutreffend
darauf hingewiesen, dass es nicht möglich gewesen sei, konkrete Nachsteue-
rungsmaßnahmen für den Fall der Zielverfehlung festzulegen. Wäre dies der
Fall gewesen, wären sie bereits Bestandteil des Schutzkonzepts geworden.
Soweit die Kläger zum anderen beanstanden, dass sie bei der Nullaufnahme zu
den Fledermäusen nicht beteiligt wurden, ist nicht erkennbar, aus welcher
Rechtsnorm sich ein Beteiligungsrecht der Kläger ergeben soll.
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- 27 -
IV. In Bezug auf das Vogelschutzgebiet „Barker und Wittenborner Heide“ kön-
nen die Kläger weder mit ihrer Kritik an der Gebietsabgrenzung (1.) noch an der
Verträglichkeitsprüfung (2.) durchdringen.
1. Die Gebietsabgrenzung ist nicht zu beanstanden. Hinsichtlich der Anforde-
rungen an die Gebietsabgrenzung kann auf die Ausführungen unter A.III.1.
verwiesen werden; Gebietsteile, die den Auswahlkriterien zweifelsfrei entspre-
chen, dürfen nicht ausgespart werden, auch nicht im Hinblick auf ein bestimm-
tes Vorhaben. Der Senat ist der Behauptung der Kläger nachgegangen, der
gesamte Bereich des ehemaligen Standortübungsplatzes Wittenborner Heide
habe - insbesondere wegen seiner Bedeutung für den Ziegenmelker und die
Heidelerche - als Vogelschutzgebiet ausgewiesen werden müssen. Die Planung
wäre jedenfalls in Bezug auf die Überschreitung der Critical Loads zu einem
anderen Ergebnis gekommen, ginge man von einem unmittelbar an ein Vogel-
schutzgebiet angrenzenden Trassenverlauf aus (vgl. hierzu Planfeststellungs-
beschluss S. 517 unten mit näherer Begründung). Der Beklagte hat jedoch in
seinem Schriftsatz vom 29. August 2013 (S. 3 ff.) unter Hinweis auf die Stel-
lungnahme des Gutachters Dr. M. vom 27. August 2013 (S. 12 ff.), auf die der
Senat hinsichtlich der Einzelheiten Bezug nimmt, ausführlich und nachvollzieh-
bar dargelegt, dass die vorgenommene Gebietsabgrenzung fachlich gerechtfer-
tigt ist und für eine Nachmeldung angrenzender Gebiete keine Veranlassung
besteht. Die Kläger sind dem nicht entgegengetreten.
2. Auch die Verträglichkeitsprüfung für das Vogelschutzgebiet „Barker und Wit-
tenborner Heide“ aus November 2010 (künftig: VP-VSG) weist keine Fehler auf.
Sie hat alle aktuellen Brutvogelvorkommen behandelt, soweit sie für das Vogel-
schutzgebiet als Erhaltungsziel benannt sind (Neuntöter, Heidelerche, Raufuß-
kauz und Schwarzspecht) sowie den im Gebiet nachgewiesenen Sperlingskauz
(VP-VSG S. 12). Der Ziegenmelker wurde zu Recht nicht mituntersucht. Er stellt
kein Erhaltungsziel mehr dar, da er im Gebiet nicht mehr vorkommt und auch
keine Wiederansiedlung als Schutzziel formuliert worden ist (vgl. hierzu Plan-
feststellungsbeschluss S. 518). Dass der Brutbestand der Heidelerche im Vo-
gelschutzgebiet in den Jahren 1999 bis 2008 von 17 auf 7 Brutpaare zurückge-
gangen ist, wird in der Verträglichkeitsprüfung nachvollziehbar auf die Entwick-
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- 28 -
lung der Wald- und Vegetationsbestände (Neubepflanzung nach Windbrüchen)
zurückgeführt; diese Flächen sind aktuell nicht mehr durch die Heidelerche be-
siedelbar. Gleiches gilt für Heideflächen, die aufgrund ihrer Vegetationsentwick-
lung nicht mehr für die Art geeignet sind (VP-VSG S. 21 f.; vgl. zum Bestands-
rückgang der Heidelerche auch Stellungnahme Dr. M. vom 27. August 2013
S. 21 ff.). Auch die weiteren Annahmen sind nicht zu beanstanden: Erhebliche
Beeinträchtigungen durch Lärm können für die zu prüfenden fünf Vogelarten
ausgeschlossen werden. Mögliche Beeinträchtigungen durch Stickstoffeinträge
werden zwar für die Heidelerche und den Neuntöter als relevant eingestuft; dies
ist aber im Ergebnis unproblematisch, da der Bagatellwert von 3 % des Critical
Load bei der prognostizierten Verkehrsmenge in einem Abstand von 300 m zur
Trasse unterschritten wird. Damit können relevante Einträge in das mindestens
500 m entfernte Vogelschutzgebiet ausgeschlossen werden (vgl. hierzu Plan-
feststellungsbeschluss S. 517 sowie VP-VSG S. 35 ff.).
V. Die Verträglichkeitsprüfung hinsichtlich des FFH-Gebiets „Travetal“, das
durch die Trasse gequert wird, ist nicht zu beanstanden. Insoweit nimmt der
Planfeststellungsbeschluss eine erhebliche - nicht vermeidbare - Beeinträchti-
gung des Waldgürtels am Osthang der Trave (LRT 9130, 9160, *9180, *7220
und *91E0) durch verschiedene Wirkfaktoren (Flächenverlust, Zerschneidung,
Störung von charakteristischen Vogelarten und Stickstoffbelastung) an, lässt
das Vorhaben aber nach § 34 Abs. 3 BNatSchG unter Hinweis auf verkehrliche
Belange zu. Weitere erhebliche Beeinträchtigungen - u.a. der Teichfledermaus -
werden unter Einbeziehung verschiedener Maßnahmen zur Schadensbegren-
zung verneint (Planfeststellungsbeschluss S. 220 f.).
Die Kläger halten die Beeinträchtigung des FFH-Gebiets „Travetal“ insgesamt
für schwerwiegender als vom Planfeststellungsbeschluss angenommen. Soweit
sich diese Einschätzung darauf stützt, dass bestimmte Gefahren für Fleder-
mäuse - genannt werden insbesondere Teichfledermaus und Bechsteinfleder-
maus - unterschätzt werden, haben sie allerdings die gegenteilige Bewertung
der Planfeststellungsbehörde nicht substantiiert in Frage gestellt. Unbeschadet
der im Grundsatz berechtigten Kritik an der Methode der Fledermauserfassung
(s.o.) durfte die Behörde angesichts der Größe und Längenausdehnung des
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- 29 -
dem Flusslauf folgenden, von dem Autobahnvorhaben mittels einer Hochbrücke
überspannten FFH-Gebiets „Travetal“ zu dem Ergebnis gelangen, dass eine
Verschlechterung des Erhaltungszustands der dort geschützten Fledermausar-
ten nicht ernsthaft zu besorgen ist. Soweit die Kläger weitergehende Beein-
trächtigungen durch Schadstoffeinträge in Folge zu niedrig angesetzter Lkw-An-
teile in den Verkehrsprognosen mit der Begründung annehmen, die in der
Schalltechnischen Untersuchung angegebenen Werte lägen erheblich unter
den Standardwerten der 16. BImSchV (dort: Tabelle A), im Anwendungsbereich
des europäischen Naturschutzrechts seien Abweichungen von der einzig vor-
handenen gesetzlichen Wertung aber nicht zulässig, kann ihnen nicht gefolgt
werden. Der Planfeststellungsbeschluss (vgl. S. 330) verweist insoweit zutref-
fend auf Anlage 1 der 16. BImSchV, die auf die Werte der Tabelle A Bezug
nimmt, „sofern keine geeigneten projektbezogenen Untersuchungsergebnisse
vorliegen“ (genauer zu diesen Voraussetzungen Urteil vom 10. Oktober 2012
- BVerwG 9 A 19.11 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 228 Rn. 28 ff.). Auf solche
projektbezogenen Untersuchungsergebnisse beruft sich die Planung hier. Eine
Abweichung von normativen Vorgaben ist daher nicht erkennbar.
VI. Einen beachtlichen Fehler enthält der Planfeststellungsbeschluss im Zu-
sammenhang mit der Ausnahmeprüfung nacZwar
fehlt es insoweit nicht an zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses i.S.d.
§ 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG (1.), die die konkrete Beeinträchtigung überwiegen
(2.). Nicht vollständig überzeugen kann aber die Alternativenprüfung nach § 34
Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG (3.). Die Kohärenzsicherungsmaßnahmen sind nicht zu
beanstanden (4.).
1. Für das planfestgestellte Vorhaben streiten zwingende verkehrliche Gründe
innerhalb des deutschen wie des europäischen Netzes.
Als Abweichungsgründe kommen nach § 34 Abs. 4 BNatSchG für ein Vorha-
ben, das - wie hier - prioritäre Lebensraumtypen erheblich beeinträchtigen
kann, grundsätzlich nur zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen
Interesses im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen, der öffentli-
chen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbe-
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- 30 -
völkerung, oder den maßgeblich günstigen Auswirkungen des Projekts auf die
Umwelt in Betracht. Sonstige Gründe im Sinne des § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG
(Gründe sozialer oder wirtschaftlicher Art) können allerdings dann berücksich-
tigt werden, wenn die zuständige Behörde - wie hier - zuvor über das Bundes-
ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eine Stellungnahme
der Kommission eingeholt hat.
Mit dem Vorhaben werden überregional bedeutsame verkehrliche Ziele verfolgt,
wie sich aus der Aufnahme sämtlicher Abschnitte der „Nord-West-Umfahrung
Hamburg“ bis zur Elbquerung westlich Hamburg in den vordringlichen Bedarf
und in das transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-V) ergibt. Zwar entspricht die
Vorzugstrasse nicht exakt dem Bedarfsplan und dem TEN-V. Der Aufnahme
der A 20 in den Bedarfsplan und in das TEN-V-Netz lag ursprünglich eine ande-
re Linienführung (sog. Krausebogen) zugrunde. Diese leichte Abweichung im
Trassenverlauf ändert aber im Ergebnis nichts an der Bedeutung, die der Plan-
feststellungsbeschluss dem Vorhaben zu Recht zumisst. Der Bedarfsplan be-
lässt - entsprechend seiner Unbestimmtheit als grobmaschiges Konzept - den
nachfolgenden Verfahren der Linienbestimmung und der Planfeststellung plane-
rische Spielräume (vgl. auch Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 9 A
13.09 - BVerwGE 138, 226 Rn. 62 m.w.N.). Auch auf die Qualifizierung als po-
tentielles „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ (i.S.v. Art. 7 der TEN-V-
Leitlinien - Entscheidung Nr. 1692/96/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 23. Juli 1996 über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau
eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, ABI EG Nr. L 228 S. 1, geändert mit
Entscheidung Nr. 1346/2001/EG vom 22. Mai 2001, ABI EG Nr. L 185 S. 1 und
Entscheidung Nr. 884/2004/EG vom 29. April 2004, ABI EG Nr. L 167 S. 1) hat
die geänderte Linienführung keine Auswirkung (vgl. genauer Tausch, Gestufte
Bundesfernstraßenplanung, Diss. Hamburg 2011, S. 11 ff.).
Darüber hinaus werden regional bedeutsame Planungsziele (Förderung und
Entwicklung der verkehrlichen Wechselbeziehungen zwischen den Bundeslän-
dern Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, wirtschaftliche und
touristische Erschließung des gesamten Ostseeraums, verbesserte Verkehrs-
anbindung Bad Segebergs an die schleswig-holsteinischen Oberzentren Lü-
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- 31 -
beck und Kiel, Entlastung der Ortslage von Bad Segeberg sowie regionale Er-
schließung und Wirtschaftsförderung) verfolgt. Das Projekt ist zudem im aktuel-
len Landesentwicklungsplan Schleswig-Holstein als vordringliches Infrastruktur-
projekt vorgesehen und damit als Ziel der Raumordnung zwingend zu beach-
ten.
2. Die vorgenannten Gründe des öffentlichen Interesses überwiegen das Inte-
resse an der Integrität des FFH-Gebiets. Der Beklagte hat festgestellt, dass der
Waldgürtel am Osthang der Trave, ein gebietsweit seltener Komplex aus priori-
tären und nicht prioritären Lebensraumtypen, durch das Vorhaben in Gestalt
von vier kumulativen Beeinträchtigungen betroffen wird, nämlich durch Flä-
chenverlust, Zerschneidung, Zunahme von Störungen und Stickstoffbelastung
(Planfeststellungsbeschluss S. 233). Ob er bei der Gewichtung des Ausmaßes
dieser Beeinträchtigungen die vorgesehenen Kohärenzsicherungsmaßnahmen
mindernd berücksichtigen durfte (unter bestimmten Voraussetzungen bejahend:
Urteil vom 9. Juli 2009 - BVerwG 4 C 12.07 - BVerwGE 134, 166 Rn. 28; offen
lassend demgegenüber: Urteil vom 28. März 2013 - BVerwG 9 A 22.11 -
BVerwGE 146, 145 Rn. 100), kann unter den hier gegebenen Umständen da-
hinstehen. Ein etwaiger Fehler könnte sich auf das Ergebnis der Abwägung
nicht ausgewirkt haben. Denn der Beklagte hat auf die seiner Auffassung nach
mit der Kohärenzsicherungsmaßnahme einhergehende Minderung des Integri-
tätsinteresses nicht entscheidend abgehoben, sondern vielmehr unbeschadet
dessen die besondere Schwere der Beeinträchtigung ausdrücklich festgestellt
(Planfeststellungsbeschluss S. 235).
Hiervon ausgehend hält die Abwägung des Beklagten, wonach das Integritäts-
interesse trotz des Ausmaßes seiner Beeinträchtigung hinter das öffentliche
Interesse an der Verwirklichung des Vorhabens zurückzutreten hat, der Über-
prüfung stand. Insoweit müssen nach ständiger Rechtsprechung keine Sach-
zwänge vorliegen, denen niemand ausweichen kann; Art. 6 Abs. 4 FFH-RL
setzt lediglich ein durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleitetes
staatliches Handeln voraus, wobei allerdings Gemeinwohlbelange minderen
Gewichts wie freizeitbedingte Bedürfnisse in Gebieten mit prioritären Arten aus-
scheiden (Urteile vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 - BVerwGE 128, 1
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- 32 -
Rn. 129 = Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 26 und vom 28. März 2013
a.a.O. Rn. 99 m.w.N.). Der Beklagte durfte dem Konzept einer weiträumigen
grenzüberschreitenden Küstenautobahn, die mehrere regionale Zentren und
strukturschwache Räume an die Seehäfen anbindet und innerorts zu einer Ent-
lastung von nachteiligen verkehrlichen Auswirkungen wie Lärm und Luftschad-
stoffen führt, in der Gesamtschau den Vorrang gegenüber den Nachteilen für
den FFH-Gebietsschutz einräumen.
3. Die Prüfung, ob nach § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG zumutbare Alternativen
gegeben sind, mit denen der mit dem Projekt verfolgte Zweck an anderer Stelle
ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen erreicht werden kann, enthält
Mängel. An die Alternativenprüfung für ein Vorhaben, das wie hier mehrere pri-
oritäre Vorkommen erheblich beeinträchtigt, sind besonders strenge Anforde-
rungen zu stellen (a). In Bezug auf die Variante einer Stadtautobahn wird der
Planfeststellungsbeschluss diesen strengen Anforderungen gerecht (b); dem-
gegenüber durfte er weiträumige Südumfahrungen nicht ohne nähere Untersu-
chung aufgrund einer bloßen Grobanalyse verwerfen (c).
a) Mit § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG wird Art. 6 Abs. 4 FFH-RL umgesetzt. Der
Begriff der Alternative ist deshalb aus der Funktion des durch Art. 4 FFH-RL be-
gründeten Schutzregimes zu verstehen. Er steht in engem Zusammenhang mit
den mit einem Vorhaben verfolgten Planungszielen. Zwar darf eine Autobahn
nach der vom Gesetzgeber igetroffenen Grundentscheidung
grundsätzlich nur gebaut werden, wenn für sie ein überörtlicher Verkehrsbedarf
besteht. Eine Bündelung mit anderen - lokalen oder regionalen - Zielen ist aber
nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. Urteil vom 17. Mai 2002 - BVerwG
4 A 28.01 - BVerwGE 116, 254 <260 ff.> m.w.N. = Buchholz 451.91 Europ.
UmweltR Nr. 7 S. 25 f.). Lässt sich das Planungsziel bzw. das
Planungszielbündel an einem günstigeren Standort oder mit geringerer Ein-
griffsintensität verwirklichen, so muss der Projektträger von dieser Möglichkeit
Gebrauch machen. Ein Ermessen wird ihm insoweit nicht eingeräumt. Art. 6
Abs. 4 Unterabs. 1 FFH-RL bzw. § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG enthalten ein
strikt zu beachtendes Vermeidungsgebot. Inwieweit Abstriche von einem Pla-
nungsziel hinzunehmen sind, hängt maßgebend von seinem Gewicht und dem
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Grad seiner Erreichbarkeit im jeweiligen Einzelfall ab (Urteil vom 9. Juli 2009
a.a.O. Rn. 33; Beschlüsse vom 1. April 2009 -- NVwZ 2009,
910 Rn. 62
und vom 16. Juli 2007 -- juris Rn. 42). Nur gewichtige na-
turschutzexterne Gründe können es danach rechtfertigen, zulasten des Integri-
tätsinteresses des durch Art. 4 FFH-RL festgelegten kohärenten Systems eine
Alternativlösung auszuschließen. Der Vorhabenträger darf von einer ihm tech-
nisch an sich möglichen Alternative erst Abstand nehmen, wenn diese ihm un-
verhältnismäßige Opfer abverlangt oder andere Gemeinwohlbelange erheblich
beeinträchtigt; hierzu zählen auch Kostengründe. Der Vorhabenträger braucht
sich nicht auf eine Alternativlösung verweisen zu lassen, wenn diese auf ein
anderes Projekt hinausläuft, weil die vom Vorhabenträger in zulässiger Weise
verfolgten Ziele nicht mehr verwirklicht werden könnten, oder auf eine Alternati-
ve, bei der sich die naturschutzrechtlichen Schutzvorschriften als ebenso wirk-
same Zulassungssperre erweisen wie an dem von ihm gewählten Standort
(stRspr, vgl. zuletzt Urteile vom 28. März 2013 - BVerwG 9 A 22.11 - BVerwGE
146, 145 Rn. 105 und vom 6. November 2012 - BVerwG 9 A 17.11 - BVerwGE
145, 40 Rn. 70, jeweils m.w.N.; vgl. zur Alternativenprüfung auch EuGH, Urteil
vom 26. Oktober 2006 - Rs. C-239/04, Castro Verde - Slg. 2006, I-10183
Rn. 38).
Berühren sowohl die planfestgestellte Lösung als auch eine Planungsalternative
FFH-Gebiete, so ist im Rahmen einer Grobanalyse allein auf die Schwere der
Beeinträchtigung nach Maßgabe der Differenzierungsmerkmale des Art. 6 FFH-
RL abzustellen, d.h. es ist nur zu untersuchen, ob Lebensraumtypen des An-
hangs I oder Tierarten des Anhangs II der FFH-Richtlinie beeinträchtigt werden
und ob die beeinträchtigten Lebensraumtypen prioritär oder nicht prioritär sind.
Demgegenüber haben die bei der Gebietsmeldung zu beachtenden Feindiffe-
renzierungskriterien (Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 FFH-RL i.V.m. Anhang III
Phase 1) beim Trassenvergleich außer Betracht zu bleiben; innerhalb der ge-
nannten Gruppen ist also nicht nochmals nach der Wertigkeit und der Anzahl
der betroffenen Lebensraumtypen oder Arten sowie der jeweiligen Beeinträchti-
gungsintensität zu differenzieren (Urteil vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 -
BVerwGE 130, 299 Rn. 170 f. = Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 30). Die
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Alternativenprüfung darf auch dann, wenn auf den vorgelagerten Planungsstu-
fen noch keine korridorübergreifende FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt
werden musste, nicht auf den „Planungskorridor“ beschränkt werden. Vielmehr
kommen grundsätzlich auch Trassen in einem Alternativkorridor in Betracht. Da
solche Trassen außerhalb des Planungskorridors regelmäßig nicht im Einzel-
nen untersucht worden sind, reicht insoweit eine summarische Würdigung des
Beeinträchtigungspotentials aus (Urteil vom 28. März 2013 a.a.O. Rn. 106 unter
Hinweis auf Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 270 zur Vorausschau der habi-
tatrechtlichen Realisierbarkeit der Folgeabschnitte nach Art eines „vorläufigen
positiven Gesamturteils“).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat sich die Planfeststellungsbehörde ab-
wägungsfehlerfrei gegen die Variante einer Stadtautobahn entschieden.
aa) Der Senat braucht nicht der zwischen den Beteiligten streitigen Frage nach-
zugehen, ob für die Variante einer Stadtautobahn eine zweite Travequerung
erforderlich wäre und ob mit dieser zwingend die Inanspruchnahme des prioritä-
ren LRT *91E0 (Auenwälder) verbunden wäre. Denn der Planfeststellungsbe-
schluss hat entscheidungstragend auch auf die negativen städtebaulichen
Auswirkungen auf die Stadt Bad Segeberg sowie auf verkehrliche Erwägungen
abgestellt (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 226 und S. 413 f.). Der Senat hält
diesen Teil der Abwägung für überzeugend begründet. Die beiden genannten
Aspekte stellen - jedenfalls zusammen betrachtet - so gewichtige naturschutz-
externe Gründe dar, dass sie einer Stadtautobahn selbst dann entgegenstehen,
wenn - wovon die Kläger ausgehen - mit der Stadtautobahn eine Inanspruch-
nahme prioritärer Vorkommen gänzlich vermieden werden könnte.
bb) Der Planfeststellungsbeschluss geht zu Recht davon aus, dass mit einer
Stadtautobahn gleich mehrere wichtige Teilziele, die mit dem Autobahnprojekt
verfolgt werden, nicht - jedenfalls nicht vollständig - erreicht werden könnten. So
könnte insbesondere die für eine Fernautobahn geforderte Verbindungsqualität
bei einer Führung durch die Innenstadt von Bad Segeberg nicht eingehalten
werden. Ursächlich hierfür sind einerseits die Überlagerung innerstädtischer
Verkehrsfunktionen mit den Ansprüchen des Fernverkehrs und andererseits die
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- 35 -
Abstände zwischen den Anschlussstellen. Diese Abstände - im Mittel in
Deutschland etwa alle 10 km - müssten auf 2 km reduziert werden. Im Übrigen
müsste die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h festgelegt werden.
Zugleich würde die angestrebte gleichbleibende Streckencharakteristik für die
A 20, die in ihrer gesamten Streckenführung überwiegend außerhalb bebauter
Gebiete verläuft, durchbrochen. Auch würde die Verkehrsstärke infolge ver-
drängten Stadtverkehrs sprunghaft ansteigen. Nicht erreichen ließe sich auch
eine Entlastung der Ortsdurchfahrt von Bad Segeberg; diese würde im Gegen-
teil sogar zusätzlich belastet, weil auf den parallel zur A 20 verlaufenden Inner-
ortsstrecken der Verkehr zunehmen würde (vgl. genauer Anhang I zur FFH-
Ausnahmeprüfung S. 9 ff. = „Fachbeitrag: Verkehr“ von S. Consult aus
Mai 2009; Stellungnahme von S. Consult aus März 2011 S. 30 f. = Anlage B 3
zur Klageerwiderung im Verfahren BVerwG 9 A 15.12; Planfeststellungsbe-
schluss S. 375 ff. und S. 413).
Ob die Rechtsauffassung des Beklagten zutrifft, dass die vorgenannten Um-
stände die Variante einer Stadtautobahn bereits als ein „anderes Projekt“ im
Sinne der oben unter 3a) genannten Rechtsprechung erscheinen lassen (so
Planfeststellungsbeschluss S. 399; ähnlich Erläuterungsbericht zur FFH-
Ausnahmeprüfung, Juni 2009, S. 63 „keine Alternativen im Rechtssinne“), ist
dennoch zweifelhaft, im Ergebnis aber unerheblich. Da das strikte Vermei-
dungsgebot des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nur durchbrochen werden darf, soweit
dies mit dem Zweck der größtmöglichen Schonung der durch die FFH-Richtlinie
geschützten Rechtsgüter vereinbar ist, bedarf es einer sorgfältigen Untersu-
chung im Einzelfall, welche Bedeutung einem Teilziel und seiner etwaigen
Nichterreichung oder nicht vollständigen Erreichung nach der Planungskonzep-
tion zukommen (Urteil vom 9. Juli 2009 - BVerwG 4 C 12.07 - BVerwGE 134,
166; vgl. auch Winter, NuR 2010, 601 <605>). Gegen die Bewertung als „ande-
res Projekt“ spricht, dass eine Stadtautobahn, auch wenn sie nicht durchgehend
sämtliche Entwurfs- und Betriebsmerkmale einer Fernautobahn aufweist, in das
Netz der Fern- oder Überregionalautobahnen integriert sein kann (vgl. Richtli-
nien für die Anlage von Autobahnen, Ausgabe 2008, S. 16). Insoweit spricht
einiges dafür, dass es sich bei den vom Beklagten herausgestellten Nachteilen
der Stadtautobahnvariante lediglich um Abstriche von Planungszielen handelt,
79
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denen allerdings unter den hier gegebenen Umständen in der Gesamtabwä-
gung ein erhebliches Gewicht zukommt.
Unter dieser Prämisse lässt sich als ein weiteres wesentliches Argument gegen
die Stadtautobahn ins Feld führen, dass sie die Zerschneidungswirkung für die
Stadt Bad Segeberg verfestigen würde, deren Südstadt schon jetzt durch die
Ortsdurchfahrt der B 206 von der Altstadt getrennt wird. Aufgrund der erforderli-
chen Immissionsschutzbauwerke würde sich diese Zäsur noch deutlich verstär-
ken. Die Lärmschutzwände müssten in der Ortslage von Bad Segeberg eine
Höhe von durchgehend 4 m bzw. aufgrund der Überschreitung des Grenzwer-
tes für PM
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sogar teilweise von 6 m haben (vgl. Planfeststellungsbeschluss
S. 377 ff. unter Hinweis auf den im Linienbestimmungsverfahren erstellten
Städtebaulichen Fachbeitrag von B.-P.-W. zur UVS aus dem Jahre 1999 sowie
negative städtebauliche Folgen. Durch die mit dem Ausbau der B 206 verbun-
denen Verkehrsverlagerungen würden Planungsziele des Bebauungsplans
Nr. 69 der Stadt Bad Segeberg aus dem Jahr 2005 sowie das städtebauliche
Entwicklungsziel einer Entlastung der Kurhausstraße konterkariert. Zudem wür-
de sich die Luftschadstoffsituation verschlechtern, wodurch nach Einschätzung
der Stadt Bad Segeberg Status und Entwicklungspotential des Luftkurortes und
Heilbades in Frage gestellt würden; hiervon betroffen wären gerade auch
schutzwürdige Nutzungen im Stadtgebiet wie Schulen und Wohngebäude. Von
den im Falle einer Stadtautobahn sogar ansteigenden Verkehrsstärken in der
Ortslage wäre vor allem die Wohnsiedlung Christiansfelde (mit über
31 000 Kfz/d) betroffen; dies ginge voraussichtlich mit einer Lärmpegelerhö-
hung nachts von rund 3 dB(A) einher. Zwar führt auch die Vorzugstrasse zur
Neubelastung von Wohnbereichen von Klein Gladebrügge; diese Belastung
beträfe aber mit 100 m gegenüber 1,2 km eine deutlich kürzere Strecke (vgl.
genauer Stellungnahme von S. Consult aus März 2011 S. 24, 28 = Anlage B 3
zur Klageerwiderung im Verfahren BVerwG 9 A 15.12).
cc) Die Kläger können dagegen nicht einwenden, die Planung stütze sich hin-
sichtlich der negativen städtebaulichen Folgen auf den Städtebaulichen Fach-
beitrag zur UVS aus Mai 1999; diese Unterlage sei jedoch veraltet, genüge kei-
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nen wissenschaftlichen Anforderungen und sei sachlich weitgehend falsch. Die
Planfeststellungsbehörde ist der Frage nachgegangen, ob sich an den Kern-
aussagen zur städtebaulichen Situation, insbesondere der dauerhaften Zer-
schneidungs- und Barrierewirkung für die Stadt Bad Segeberg und der Ein-
schränkung ihrer Entwicklungsmöglichkeiten, etwas geändert hat. Dies wurde
mit nachvollziehbarer Begründung unter Auswertung neuerer Erkenntnisse ver-
neint; der Planfeststellungsbeschluss kommt sogar zu dem Ergebnis, dass die
städtebaulichen Veränderungen seit der Linienbestimmung einer Stadtautobahn
noch stärker entgegenstehen.
Eine aktuelle und nachvollziehbare Kostenaufstellung liegt entgegen der Auf-
fassung der Kläger vor (vgl. Anhang VII zur FFH-Ausnahmeprüfung „Fachbei-
trag: Aktualisierung der Baukosten“ von S. Consult aus Mai 2009 sowie Stel-
lungnahme von S. Consult aus März 2011 S. 31 ff. = Anlage B 3 zur Klageerwi-
derung im Verfahren BVerwG 9 A 15.12).
Die Kläger können die Abwägungsentscheidung auch nicht erfolgreich mit dem
Hinweis darauf angreifen, dass ein Rückbau der B 206 angesichts der in der
Innenstadt verbleibenden Verkehrsmengen ausgeschlossen sei. Von einem si-
cheren Rückbau der B 206 geht der Planfeststellungsbeschluss schon nicht aus
(vgl. nur S. 415: „realistische Chance“, „möglicher Rückbau“). Zwar teilt der
Senat die Bedenken der Kläger, dass selbst die angenommene Möglichkeit ei-
nes Rückbaus angesichts der prognostizierten Verkehrszahlen eher unrealis-
tisch erscheint. Hierauf kommt es aber nicht entscheidend an. Denn die Frage
des Rückbaus ändert im Rahmen der zu treffenden Abwägungsentscheidung
nichts an dem Gewicht der beschriebenen negativen Folgen der Stadtautobahn;
demgegenüber liegt es auf der Hand, dass jede Trasse - so auch die Vorzugs-
trasse -, die zu einer nennenswerten Verkehrsentlastung in der Ortslage Bad
Segebergs führt, schon angesichts der Reduzierung von Lärm und Schadstof-
fen mit Vorteilen für die städtebaulichen Entwicklungsmöglichkeiten verbunden
ist, und zwar unabhängig davon, ob dieser Vorteil tatsächlich gerade in dem
Rückbau der innerstädtischen Haupt-Durchgangsstraße liegt.
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dd) Schließlich führen auch die weiteren Argumente der Kläger zu keiner ande-
ren Einschätzung. Den Vorschlag eines Kurztunnels von 30 m Länge mit jeweils
anschließendem zweimal 200 m langem Trogbauwerk zwischen dem Knoten-
punkt Bahnhofstraße/Burgfeldstraße und der Abfahrt „Am Landratspark“ (vgl.
hierzu Stellungnahme von R.Consult „Alternativen zur planfestgestellten Varian-
te der A 20 und Variantenvergleich“ aus Mai 2012 S. 12 ff., vorgelegt im Paral-
lelverfahren BVerwG 9 A 9.12) hat der Beklagte mit nachvollziehbaren Erwä-
gungen zurückgewiesen: Die Belastung der Wohngebiete mit Lärm und Schad-
stoffen würde im Zentrum von Bad Segeberg extrem ansteigen, da über die
Kurztunnel-/Troglösung der gesamte innerstädtische Verkehr abgewickelt wer-
den müsste. Zudem lägen die vorgesehenen Anschlussstellen der A 20 im
Ortsbereich zu eng beieinander und stellten eine erhebliche Gefahr für die Ver-
kehrssicherheit dar. Auch erschienen die von R.Consult angesetzten Troglän-
gen und daran anknüpfend die Baukosten nicht plausibel, zudem würden keine
Kosten für die erforderlichen Arbeiten an Versorgungsleitungen, die zwischen
der Nord- und Südstadt von Bad Segeberg verlaufen und insofern einen infra-
strukturellen Riegel bilden, sowie für Ausbaumaßnahmen im nachgelagerten
Straßennetz veranschlagt. Auf die Varianten B und C aus dem Gutachten
R.Consult kommt es nach dem Vorstehenden schon deshalb nicht an, weil die-
se nur den westlichen Anschluss an die problematische Stadtdurchfahrt betref-
fen. Hiervon ausgehend muss auch der Frage nicht weiter nachgegangen wer-
den, ob eine Inanspruchnahme des bestehenden Kasernengeländes (Lettow-
Vorbeck-Kaserne) in Betracht gekommen wäre.
c) Der Beklagte durfte aber eine weiter südliche Umfahrung von Bad Segeberg
nicht im Wege einer Grobanalyse verwerfen.
Insoweit stellt der Planfeststellungsbeschluss (S. 224 und S. 353 f.) darauf ab,
dass die Trasse im Falle einer weiträumigen Südumfahrung Bad Segebergs
in einem weiten Bogen um das FFH-Gebiet DE 2127-333 „Leezener Au-
Niederung und Hangwälder“ und um den Neversdorfer See geführt werden
müsste, um ohne Zerschneidung weiterer Natura 2000-Gebiete und ohne Ver-
satz auf der A 21 weiter in Richtung Westen verlaufen zu können. Eine so weit
südliche Trassenführung wäre verkehrlich aber nicht mehr sinnvoll; sie würde
84
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- 39 -
die Ost-West-Orientierung der A 20 für ein erhebliches Teilstück in eine Nord-
Süd-Richtung verschwenken und zugleich die Gesamtstrecke erheblich verlän-
gern. Alle denkbaren Varianten wären mit einem größeren Flächenverbrauch,
einer Zerschneidung von verkehrsarmen Räumen und - wegen der erheblichen
Streckenverlängerung - mit höheren Gesamtimmissionen verbunden. Dies wi-
derspreche den selbständigen Planungszielen der Sicherung und Gewährleis-
tung einer angemessenen Verbindungsqualität und der Minimierung von Fahrt-
zeit und Transportkosten. Auch könnten die selbständigen Planungsziele der
Entlastung der B 206 westlich von Bad Segeberg und der Ortsdurchfahrt nicht
mehr erreicht werden. Eine geradlinige Fortführung auf der sog. „Schwissellinie“
über die A 21 hinweg scheide aufgrund des erheblichen Konfliktpotentials im
Hinblick auf den Mözener See und das FFH-Gebiet „Leezener Au-Niederung
und Hangwälder“ von vornherein aus.
Diese Begründung greift zu kurz. Insbesondere durchlaufende, d.h. einen Ver-
satz vermeidende Trassenvarianten in dem Korridor zwischen einer derart weit-
räumigen Südumfahrung und der Plantrasse durften nicht von vornherein aus-
geblendet werden. Der Umstand allein, dass eine in diesem Korridor verlaufen-
de Trasse neben dem FFH-Gebiet „Travetal“ ein weiteres FFH-Gebiet queren
müsste, reicht nicht als Ausschlussgrund. Vielmehr hätte - wie sich aus der
oben angegebenen Rechtsprechung zu den Differenzierungsmerkmalen des
Art. 6 FFH-RL ergibt - näher untersucht werden müssen, ob die jeweilige Alter-
nativtrasse, und zwar unter Einbeziehung von Schadensvermeidungsmaßnah-
men, ebenso wie die Vorzugstrasse zwingend prioritäre Vorkommen in An-
spruch nehmen müsste. Das liegt bei einer großräumigen Südumfahrung trotz
der Querung eines weiteren FFH-Gebiets nicht ohne Weiteres auf der Hand.
Denn das FFH-Gebiet „Travetal“ könnte bei einem südlicheren Trassenverlauf
möglicherweise an einer weniger empfindlichen Stelle gequert werden, so dass
nicht - wie bei der jetzigen Vorzugstrasse - drei prioritäre LRT in einer beson-
ders seltenen Kombination und Ausprägung (vgl. genauer hierzu Anhang V zur
FFH-Ausnahmeprüfung S. 6 ff.) beeinträchtigt werden müssten. Ebenso hätte
näher untersucht werden müssen, ob die Querung des FFH-Gebiets „Leezener
Au-Niederung und Hangwälder“, zu dessen Erhaltungszielen der prioritäre
LRT *91E0 (Auenwälder mit Alnus glutinosa und Fraxinus excelsior) gehört,
87
- 40 -
zwingend mit der Inanspruchnahme gerade dieses prioritären Vorkommens
verbunden wäre oder ob auch insoweit ein schonenderer Trassenverlauf in Be-
tracht käme.
Eine solche Untersuchung hat nicht stattgefunden. Im Rahmen der sog. „Vor-
untersuchung Streckenabschnitt 5“ wurden zwischen November 1994 und April
1999 verschiedene Planungsunterlagen erarbeitet, darunter eine Umweltver-
träglichkeitsstudie, bestehend aus Raumempfindlichkeitsanalyse (UVS Teil I)
und Variantenvergleich (UVS Teil II). Dabei war der Untersuchungsbereich bei-
der Teile aufgrund eines vorangegangenen Scopings von vornherein deutlich
eingegrenzt, d.h. südlichere Varianten als die sog. Schwissellinie schieden von
vornherein aus. Selbst die Schwissel-Variante ist erst aufgrund einer nachträgli-
chen Erweiterung des Untersuchungsraums hinzugenommen worden (vgl. Vor-
untersuchung UVS I S. 5 unten ).
Im Planfeststellungsverfahren hat der Vorhabenträger zwar, nachdem sich die
erhebliche Beeinträchtigung des FFH-Gebiets „Travetal“ herausgestellt hatte,
eine spezielle Abweichungsprüfung durchgeführt (vgl. Erläuterungsbericht zur
FFH-Ausnahmeprüfung S. 46 ff. sowie Anhang II zur FFH-Ausnahmeprüfung
„Beurteilung der Alternativen aus Sicht der Belange von Natura 2000“). Hierbei
hat er aber nur die bereits im Linienbestimmungsverfahren untersuchten Va-
rianten nochmals näher betrachtet, also die Stadtautobahn (Variante 1), die
sog. Schwissellinie (Variante 3), die aber einen verkehrstechnisch von vornhe-
rein ungünstigen Versatz auf der A 21 aufweist, sowie eine Untervariante (2.2)
der Vorzugstrasse, die sich von der Vorzugslinie (Untervariante 2.1) vor allem
dadurch unterscheidet, dass die Querung der Trave etwa 230 m südlich liegt
und die Hangbereiche der Trave schräg und nicht rechtwinklig gequert werden.
Hinsichtlich der weiträumigen südlichen Varianten enthält die spezielle Alterna-
tivenprüfung lediglich einen knappen Hinweis darauf, dass die Trasse nach Sü-
den hin in einem weiten Bogen um das FFH-Gebiet „Leezener Au-Niederung
und Hangwälder“ und um den Bebensee (gemeint ist offenbar der Neversdorfer
See in der Gemeinde Bebensee) geführt werden müsste. Da die Niederung der
Leezener Au von Hangwäldern umrahmt werde und auf dem Talgrund stellen-
weise Übergangsmoore (LRT 7140) sowie quellige Feuchtgrünländer ausgebil-
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- 41 -
det seien, sei eine Querung der Niederung der Leezener Au - zusätzlich zur
ohnehin notwendigen Querung des Travetals - als kritisch zu bewerten (An-
hang II zur FFH-Ausnahmeprüfung S. 6).
Die genauere Untersuchung anderer südlicher Trassenvarianten war auch nicht
deshalb von vornherein entbehrlich, weil naturschutzexterne, insbesondere ver-
kehrstechnische Gegenargumente ohne Weiteres den Vorzug verdienten. Der
pauschale Hinweis darauf, dass die verkehrliche Entlastung Bad Segebergs
umso geringer ausfällt, je weiter von der Plantrasse nach Süden abgewichen
wird, genügt nicht. Er verkennt zum einen, dass auch eine durchgehende südli-
chere Trasse den Fernverkehr in Ost-West-Richtung aufnehmen und einer Ent-
lastung von Wahlstedt und Fahrenkrug über den bestehenden Anschluss an die
A 21 herbeiführen würde. Zum anderen wird übersehen, dass nach den bisher
vorliegenden Untersuchungen auch die Vorzugstrasse aufgrund des starken
Quell- und Zielverkehrs in Bad Segeberg nur eine relativ geringe Entlastung der
Ortslage bewirkt.
Je nach dem Ergebnis der danach erforderlichen naturschutzfachlichen und
verkehrlichen Untersuchung einer weiträumigen Südumfahrung wird sich he-
rausstellen, ob es weiterhin sinnvoll erscheint, die Trasse - wie bislang geplant -
westlich der A 21-Querung an der „Gelenkstelle Wittenborn“ auf die B 206 zu-
rückzuführen. Zwar ist den Klägern zuzugestehen, dass dieser Gelenkpunkt vor
dem Hintergrund der geänderten Trassierung (nicht mehr entlang der B 206
durch den Segeberger Forst) nicht mehr zwingend erscheint. Dennoch mag ein
Festhalten an dem Gelenkpunkt plausibel sein, um die angestrebten Entlas-
tungswirkungen im Zentrum sowie im Westen von Bad Segeberg bestmöglich
zu erreichen. Dass die mit einer Straßenplanung verfolgten Teilziele auch re-
gionale und lokale Ziele einschließen dürfen, ergibt sich aus der o.g. Recht-
sprechung. Daher darf sich der Beklagte im Grundsatz auch auf die stark auf
Bad Segeberg zugeschnittenen Teilziele, also die Entlastung der Ortsdurch-
fahrt, die Entlastung der B 206 westlich von Bad Segeberg, die verbesserte
Verkehrsanbindung Bad Segebergs an Lübeck und Kiel und die Verknüpfung
mit dem nachgeordneten Straßennetz von Bad Segeberg berufen, ohne dass
ihm der von den Klägern erhobene Vorwurf einer „unionsrechtswidrigen Veren-
90
91
- 42 -
gung der Planungsziele“ gemacht werden kann. Gerade die Entlastung des
Großraums Bad Segeberg, insbesondere der Ortsdurchfahrt, gehörte bereits in
der „Voruntersuchung zum Streckenabschnitt 5“ seit Mitte der 90er Jahre zu
den beabsichtigten Zielen (vgl. Allgemeinverständliche Zusammenfassung ge-
mäß § 6 UVPG S. 4 f. und UVS I S. 33), die mit der jetzigen Planung weiterver-
folgt werden sollen. Ob die genannten Ziele sowie insbesondere das überge-
ordnete Planungsziel einer Trassenbündelung zur Vermeidung der Zerschnei-
dung bislang unzerschnittener Räume die bisherige Plantrasse rechtfertigen
können, kann allerdings abschließend erst auf einer vollständigen Tatsachen-
grundlage entschieden werden.
4. Die nach § 34 Abs. 5 BNatSchG festgesetzten Maßnahmen sichern die Ko-
härenz des FFH-Gebietsnetzes.
Wird ein Projekt nach § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG zugelassen, sind nach § 34
Abs. 5 BNatSchG die zur Sicherung des Zusammenhangs des Netzes „Natura
2000“ notwendigen Maßnahmen vorzusehen. Die durch die Beeinträchtigung
entstehende Funktionseinbuße im FFH-Gebiet ist durch Maßnahmen, die zu
dem Projekt hinzutreten, zu kompensieren. Die Ausgestaltung der Kohärenzsi-
cherungsmaßnahmen hat sich funktionsbezogen an der jeweiligen Beeinträch-
tigung auszurichten, derentwegen sie ergriffen wird. Sie muss die beeinträchtig-
ten Lebensräume und Arten in vergleichbaren Dimensionen erfassen, sich auf
die gleiche biogeographische Region im gleichen Mitgliedstaat beziehen und
Funktionen vorsehen, die mit den Funktionen, aufgrund deren die Auswahl des
ursprünglichen Gebiets begründet war, vergleichbar sind (EU-Kommission,
Natura 2000 - Gebietsmanagement - Die Vorgaben des Artikels 6 der Habit
2000, S. 49 ff.). Zu den Maßnahmen gehören die Wie-
derherstellung oder die Verbesserung des verbleibenden Lebensraums oder die
Neuanlage eines Lebensraums, der in das Netz „Natura 2000“ einzugliedern ist
(EU-Kommission, Auslegungsleitfaden zu Artikel 6 Absatz 4 der „Habitat-Richt-
linie Januar 2007, S. 11, 16 und 21, künftig: EU-Auslegungsleit-
faden; vgl. auch Urteile vom 6. November 2012 - BVerwG 9 A 17.11 - BVerwGE
145, 40 Rn. 82 f. und vom 12. März 2008 --
Rn. 199 = Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 30). Der Ausgleich zur Ko-
92
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- 43 -
härenzsicherung muss nicht notwendig unmittelbar am Ort der Beeinträchtigung
erfolgen; es reicht vielmehr aus, dass die Einbuße ersetzt wird, die das Gebiet
hinsichtlich seiner Funktion für die biogeographische Verteilung der beeinträch-
tigten Lebensräume und Arten erleidet (EU-Auslegungsleitfaden S. 20 f.). In
zeitlicher Hinsicht muss zumindest sichergestellt sein, dass das Gebiet unter
dem Aspekt des beeinträchtigten Erhaltungsziels nicht irreversibel geschädigt
wird (Urteil vom 17. Januar 2007 --
Rn. 148 = Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 26). Ist das gewährleistet, lässt
sich die Beeinträchtigung aber - wie im Regelfall - nicht zeitnah ausgleichen, so
ist es hinnehmbar, wenn die Kohärenzsicherungsmaßnahmen rechtzeitig bis
zur Vollendung des Vorhabens ergriffen, die Funktionseinbußen hingegen erst
auf längere Sicht wettgemacht werden (Urteile vom 6. November 2012 a.a.O.
Rn. 82 und vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 200).
Die Eignung einerist ausschließlich nach na-
turschutzfachlichen Maßstäben zu beurteilen. An die Beurteilung sind weniger
strenge Anforderungen zu stellen als an diejenigen der Eignung von Schadens-
vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen. Während für letztere der volle
Nachweis ihrer Wirksamkeit zu fordern ist, weil sich nur so die notwendige Ge-
wissheit über die Verträglichkeit eines Plans oder Projekts gewinnen lässt (vgl.
Urteil vom 17. Januar 2007 a.a.O. Rn. 54 ff.), genügt es für die Eignung einer
dass nach aktuellem wissenschaftlichen Er-
kenntnisstand eine hohe Wahrscheinlichkeit ihrer Wirksamkeit besteht. Anders
als bei der Schadensvermeidung und -minderung geht es bei der Kohärenzsi-
cherung typischerweise darum, Lebensräume oder Habitate wiederherzustellen
oder neu zu entwickeln. Dieser Prozess ist in aller Regel mit Unwägbarkeiten
verbunden. Deshalb lässt sich der Erfolg der Maßnahme nicht von vornherein
sicher feststellen, sondern nur prognostisch abschätzen. Würde man gleichwohl
die Gewissheit des Erfolgseintritts fordern, müsste eine positive Abwägungs-
entscheidung regelmäßig am Kohärenzerfordernis scheitern. Das widerspräche
dem Regelungszweck des Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 1 FFH-RL. Schon mit Rück-
sicht auf den prognostischen Charakter der Eignungsbeurteilung verfügt die
Planfeststellungsbehörde bei der Entscheidung über
über eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative. Das
94
- 44 -
Gericht hat seine Prüfung insoweit auf eine Vertretbarkeitskontrolle zu be-
schränken. Um sie vornehmen zu können, muss die Eingriffs- und Kompensa-
tionsbilanz im Planfeststellungsbeschluss nachvollziehbar offengelegt werden.
Dafür genügt eine verbal-argumentative Darstellung, sofern sie rational nach-
vollziehbar ist und erkennen lässt, ob der Bilanzierung naturschutzfachlich be-
gründbare Erwägungen zugrunde liegen (Urteil vom 6. November 2012 a.a.O.
Rn. 83 m.w.N.).
Diesen Grundsätzen genügen die planfestgestellt
mit denen der erhebliche Eingriff in das FFH-Gebiet „Travetal“ ausge-
glichen werden soll. Die Kritik der Kläger greift weder hinsichtlich der Kohärenz-
sicherungsmaßnahme „Seitental der Trave“ (a), noch bezüglich der Kohärenz-
sicherungsmaßnahme „Süderbeste“ (b) durch. Die naturschutzfachliche Ein-
schätzung der Planfeststellungsbehörde, dass durch beide Maßnahmen ge-
meinsam der Zusammenhang des Netzes „Natura 2000“ gesichert wird, ist ver-
tretbar (c).
a) Die Kohärenzsicherungsmaßnahme „Seitental der Trave“ ist am Höftgraben
in einer Entfernung von ca. 1,5 km Luftlinie vom Eingriffsort geplant. Die derzeit
am Maßnahmeort vorhandenen LRT *91E0 (Ausprägung als Quellwald), *9180
sowie LRT 9130 und 9160 sind hinsichtlich Alter und Entwicklungsstadien mit
denen des Eingriffsgebiets vergleichbar. Durch ihre Lage im Biotopverbund der
Trave haben sie sehr gute standörtliche Voraussetzungen, damit hier ein Le-
bensraumkomplex, bestehend aus LRT 9130, 9160 und *9180 durch Waldum-
bau und Waldentwicklungsmaßnahmen entstehen kann; der bereits vorhande-
ne LRT *91E0 soll durch Umwandlung einer artenarmen Feuchtgrünlandfläche
mit Flutrasenvegetation in einen Quell- und Auenwald entwickelt werden. Nach
Durchführung der erforderlichen Entwicklungsmaßnahmen sollen die Wald-
Lebensraumtypen sämtlich aus der forstwirtschaftlichen Nutzung genommen
werden. Da die für die Kohärenzsicherung vorgesehene Fläche zugleich im Be-
einträchtigungsband der A 20 liegen wird - der überwiegende Teil des Maß-
nahmegebiets befindet sich in einem Abstand von weniger als 100 m zur ge-
planten Trasse -, sieht die Planung verschiedene Maßnahmen vor, um der
Stickstoffbelastung durch die Autobahn entgegenzuwirken. So ist nach Norden,
95
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- 45 -
also zur Trasse hin, die Anlage eines Immissionsschutzwalls sowie einer Im-
missionsschutzpflanzung vorgesehen. Zur südlich angrenzenden landwirt-
schaftlich genutzten Offenlandschaft hin ist die Entwicklung einer Pufferzone
(Anlage eines Knicks und eines Unterhaltungswegs) geplant, um stoffliche Ein-
träge durch Einschwemmung und Einwehung von Ackerboden sowie Dünge-
und Pflanzenschutzmitteln zu senken. Zur Sicherstellung des Erfolgs der Kohä-
renzsicherungsmaßnahme ist ein umfangreiches Monitoring vorgesehen, bei
dem u.a. die Entwicklung und Funktionsfähigkeit der Immissionsschutzpflan-
zungen überprüft wird (vgl. zum Vorstehenden Planfeststellungsbeschluss
S. 236 f. sowie Nebenbestimmungen 2.3.8 Nr. 11 und 12, Maßnahmenblätter
A 9.2, 9.4, 9.5, 10.3 und 10.4 sowie Anhang IV zur FFH-Ausnahmeprüfung
„Maßnahmen zur Kohärenzsicherung“ Mai 2009, künftig: Unterlage Kohärenzsi-
cherung).
Der Senat weist zur Klarstellung darauf hin, dass die vorgesehenen Maßnah-
men zur Stickstoffreduzierung nicht als Schadensvermeidungsmaßnahmen für
die Beeinträchtigung des FFH-Gebiets „Travetal“ geplant sind. Als solche
Schadensvermeidungsmaßnahme wurde allerdings - neben einer Einhausung -
eine vergleichbare Maßnahme, nämlich eine beidseitige Verwallung mit einer
Höhe von 10 m über Gradiente entlang der geplanten Trasse östlich der Trave-
querung näher untersucht. Letzteres wurde verworfen, weil deutliche Reduzie-
rungen nur im absoluten Trassennahbereich erzielt werden könnten und der-
artige Anlagen zudem aus landschaftsplanerischen und Kostengründen kaum
vertretbar seien (vgl. Erläuterungsbericht zur FFH-Ausnahmeprüfung S. 37 f.).
Die hier in Rede stehenden Maßnahmen im Traveseitental (Immissionsschutz-
wall sowie Immissionsschutzpflanzung) können und sollen indes keinen unmit-
telbaren Ausgleich für im FFH-Gebiet „Travetal“ entstehende vorhabenbedingte
Stickstoffbelastungen bewirken; schon wegen ihrer Entfernung zum Eingriffsort
scheiden sie als Schadensvermeidungsmaßnahme aus. Sie sind vielmehr Be-
standteil der Kohärenzsicherungsmaßnahme „Traveseitental“, die zum Ziel hat,
den Habitatverbund des betroffenen Traveabschnitts durch die Integration des
Seitentals der Trave in das Netz „Natura 2000“ zu erweitern. Dabei sollen Wall
und Pflanzungen - sozusagen als Schadensvermeidungsmaßnahmen im Rah-
men einer Kohärenzsicherungsmaßnahme - langfristig dafür sorgen, dass die
97
- 46 -
Stickstoffeinträge zu keiner erheblichen Beeinträchtigung des neu zu melden-
den FFH-Gebiets führen.
Die pauschale Kritik der Kläger, die vorgesehenen Schutzstreifen seien zu
schmal, kann nicht überzeugen. Abgesehen davon, dass die in den Maßnah-
menblättern A 9.4 und A 10.3 festgesetzten Schutzstreifen teilweise bis zu 20 m
breit sind, wird in den Planungsunterlagen nachvollziehbar dargelegt, dass ge-
rade in den ersten 50 bis 100 m vom Trassenbereich, d.h. unmittelbar hinter
dem Gestaltungswall, die höchste Abschirmungswirkung gegeben ist. Da das
Tal sehr schmal ist (50 bis 100 m) und weitgehend trassenparallel verläuft, wird
der überwiegende Teil des Kohärenzgebiets in dem Bereich dieser größten Ab-
schirmungswirkung liegen (Unterlage Kohärenzsicherung S. 10, 13). Zwar wur-
de die Stickstoffbelastung bzw. die aufgrund von Immissionsschutzwall und
-pflanzungen zu erreichende Reduzierung nicht im Einzelnen untersucht; es
lassen sich aber hinreichend aussagekräftige Rückschlüsse aus der bereits er-
wähnten Untersuchung zur Einhausung bzw. Verwallung ziehen.
b) Die Kohärenzsicherungsmaßnahme „Süderbeste“ ist ca. 30 km vom Eingriff-
sort entfernt im Tal der Süderbeste, einem Zufluss der Trave, in Lasbek im
Kreis Stormarn geplant. Die große Entfernung hängt damit zusammen, dass die
im Travetal beeinträchtigten Lebensraumtypen zum Teil sehr selten und in der
Kombination der LRT 3260, *7220, 9130, *9180 und *91E0 in Schleswig-
Holstein bisher nur im Travetal vertreten sind. Daher wurde für die Kohärenzsi-
cherung eine landesweite Standortsuche durchgeführt. Die Maßnahmefläche ist
insgesamt 19,2 ha groß, davon entfallen 17 ha auf alte Waldstandorte. Das
Maßnahmegebiet umfasst eine in einen größeren Wald eingebettete Bach-
schlucht der Süderbeste; hier sind auf einer Fläche von 0,21 ha gut ausgebilde-
te Kalktuffquellen des prioritären LRT *7220, sowie darüber hinaus der LRT
9130, grundwassergeprägte Eichen-Hainbuchenwälder des LRT 9160 sowie
prioritäre Auenwälder des Typs *91E0 (Auenwälder mit Alnus glutinosa
und Fraxus excelsior ) in quelliger und bach-
begleitender Ausprägung vorhanden. Sämtliche Lebensraumtypen sind in aus-
gereiftem Zustand vorhanden. Auf dem nicht bewaldeten Teil des Flurstücks
10/2 ist zudem ein unter Biotopschutz stehender Binsen- und Simsenried auf
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- 47 -
einer Nasswiese ausgebildet sowie an den Grenzen zur landwirtschaftlichen
Nutzung eine Feldhecke bzw. ein Knick mit waldmantelähnlichem Bestand,
ebenfalls ein gesetzlich geschütztes Biotop. Herausragendes Merkmal des ge-
samten Maßnahmegebiets ist die Störungsarmut. Der vom Vorhaben ebenfalls
beeinträchtigte LRT *9180 Schlucht- und Hangmischwälder ist an der Süder-
beste zurzeit nicht ausgeprägt, aber standörtlich möglich. Die Bodenverhältnis-
se und die Krautschicht zeigen nach Einschätzung der Gutachter an, dass die
typkennzeichnende Linde dort vorkommen könnte; die aktuelle Dominanz der
Buche sei das Ergebnis der selektiven Buchenförderung durch Forstwirtschaft.
Die Planung geht davon aus, dass sich die gewünschte Verbesserung des Er-
haltungszustands im Umfeld der Kalktuffquellen durch den natürlichen Abgang
der dort noch vorhandenen Fichten von selbst einstellen wird; die forstwirt-
schaftliche Nutzung sowie die Gewässerunterhaltung soll vollständig eingestellt
werden (vgl. zum Vorstehenden Planfeststellungsbeschluss S. 237 f. und
S. 852 sowie Nebenbestimmung 2.3.8 Nr. 13, Maßnahmenblatt A 32.1; sowie
Unterlage Kohärenzsicherung S. 6 f. und S. 15 ff.).
Auch in Bezug auf diese Maßnahme greift die Kritik der Kläger nicht durch.
Dass die Flächen bereits jetzt unter gesetzlichem Biotopschutz nach § 30
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 BNatSchG bzw. § 21 Abs. 1 Nr. 5 LNatSchG SH ste-
hen, betrifft zum einen nur einen Teil der Maßnahmefläche; im Übrigen haben
die Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zu Recht darauf
hingewiesen, dass der FFH-Gebietsschutz über den Biotopschutz hinausgehen
kann (vgl. § 30 Abs. 8 BNatSchG). Im Hinblick auf die vollständige Einstellung
der forstwirtschaftlichen Nutzung ist das hier auch tatsächlich der Fall.
Soweit die Kläger beanstanden, dass Aufwertungsmaßnahmen fehlen, kann der
Senat offenlassen, ob solche Maßnahmen für eine Kohärenzsicherungsmaß-
nahme unabdingbar sind. Dafür spricht der ausdrückliche Hinweis im EU-
Auslegungsleitfaden (S. 15 Mitte), wonach die Ausweisung neuer Natura 2000-
Gebiete zwar Teil eines Ausgleichspakets sein könne, allerdings reiche „eine
Ausweisung allein, ohne entsprechende Begleitmaßnahmen, nicht aus“. Dage-
gen spricht der auf derselben Seite enthaltene Hinweis, der Ausgleich könne in
der Eingliederung eines neuen Gebiets in das Netz „Natura 2000“ bestehen,
100
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- 48 -
das ähnliche Eigenschaften wie das ursprüngliche Gebiet aufweise; denn das
Projekt würde zwar zu einem Verlust bei diesem Lebensraumtyp auf der Ebene
des Mitgliedstaates führen, auf der Ebene der Gemeinschaft komme aber ein
neues Gebiet in den Genuss des in Art. 6 FFH-RL vorgesehenen Schutzes. Der
zuletzt beschriebene Fall liegt hier aus Sicht des Senats vor. Die Frage des Er-
fordernisses von Aufwertungsmaßnahmen kann aber dahinstehen, da die ge-
plante Herausnahme aus der forstlichen Nutzung, die den Zweck verfolgt, die
aktuelle Dominanz der Buche zurückzudrängen, in Verbindung mit der Absicht,
die Lebensraumflächen der natürlichen Sukzession zu überlassen, damit sich
die bereits im Unterwuchs vorhandenen standortgerechten Laubhölzer entwi-
ckeln können, als eine solche Aufwertungsmaßnahme angesehen werden
kann.
c) Die naturschutzfachliche Einschätzung der Planfeststellungsbehörde, dass
durch beide Maßnahmen gemeinsam der Zusammenhang des Netzes „Natura
2000“ gesichert wird, ist vertretbar.
Der Eingriff besteht hier in einer erheblichen Beeinträchtigung des Waldgürtels
am Osthang der Trave (LRT 9130, 9160, *9180, *7220 und *91E0) durch ver-
schiedene Wirkfaktoren (Flächenverlust, Zerschneidung, Störung von charakte-
ristischen Vogelarten und Stickstoffbelastung); der Eingriffsumfang wird in den
verschiedenen Planungsunterlagen näher beschrieben und soweit möglich, d.h.
in Bezug auf die Stickstoffbelastung (5,55 ha) sowie in Bezug auf den Flächen-
verlust durch Überbauung (1 027 m² durch das Brückenwiderlager) quantifiziert
(vgl. Fachgutachten zur FFH-Verträglichkeitsprüfung „Travetal“, aktualisiert
2011, S. 141 ff. und S. 153; Anhang V zur FFH-Ausnahmeprüfung S. 5 ff.). Die-
sem Eingriff stehen insgesamt ausreichend Kompensationsmaßnahmen ge-
genüber. Für den überbauten Eichen-Hainbuchenwald (LRT 9160) steht ein
Kohärenzausgleich im Verhältnis von 1:12, für den nicht überbauten Komplex
der Quell- und Auenwälder (LRT *7220 und *91E0) im Umfang von 1:2,5 und
für den nicht überbauten Komplex der Laubwälder (LRT 9130, 9160 und *9180)
im Umfang von 1:8 zur Verfügung. Dieses Verhältnis erscheint ausreichend, um
den im Bereich der zu entwickelnden Lebensraumtypen im Seitental der Trave
entstehenden Zeitversatz und die Problematik der Bewältigung der bereits be-
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- 49 -
stehenden hohen Hintergrundbelastung durch Stickstoff, die in Schleswig-
Holstein mehrfach die Critical Loads für naturnahe Laubwälder überschreitet,
aufzufangen (vgl. genauer Planfeststellungsbeschluss S. 238, Erläuterungsbe-
richt zur FFH-Ausnahmeprüfung S. 39).
Beide außerhalb des bisherigen FFH-Gebiets „Travetal“ neu entwickelten Flä-
chen werden entsprechend den oben beschriebenen Anforderungen in das
FFH-Gebiet einbezogen und die Änderung der Grenzziehung an die EU-
Kommission bekannt gegeben. Soweit die Kläger Bedenken hinsichtlich der
fehlenden Kompetenz des Beklagten zur Meldung sowie hinsichtlich des Mel-
dezeitpunkts geäußert haben, sind diese inzwischen ausgeräumt. Hinsichtlich
des Meldezeitpunkts hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung durch
Protokollerklärung die Nebenbestimmung 2.3.8 Nr. 10 dahin geändert, dass die
Gebiete nunmehr „sogleich nach Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlus-
ses“ (statt „in einem angemessenen zeitlichen Zusammenhang mit der Projekt-
umsetzung und der Durchführung der Kohärenzsicherungsmaßnahmen“) zu
melden sind. Zudem haben die Vertreter des Beklagten erläutert, dass es im
Zusammenhang mit der Ausnahmeprüfung bereits Absprachen mit dem zu-
ständigen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
gegeben habe. Danach steht hinreichend sicher fest, dass eine Meldung recht-
zeitig erfolgen wird.
Für die Übergangszeit ist die erforderliche rechtliche Sicherung der Maßnahme
gegenüber der Flächeneigentümerin durch den Eintrag einer Grunddienstbar-
keit gewährleistet (vgl. Planfeststellungsbeschluss S. 238, 572). Ein Monitoring
wurde festgelegt (siehe Nebenbestimmungen 2.3.8 = Planfeststellungsbe-
schluss S. 25 ff.).
VII. Die artenschutzrechtliche Beurteilung des Vorhabens enthält zum Teil
Mängel.
Bei der Prüfung, ob artenschutzrechtliche Verbotstatbestände erfüllt sind, steht
der Planfeststellungsbehörde eine naturschutzfachliche Einschätzungspräroga-
tive sowohl bei der ökologischen Bestandsaufnahme als auch bei deren Bewer-
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107
- 50 -
tung zu, namentlich bei der Quantifizierung möglicher Betroffenheiten und bei
der Beurteilung ihrer populationsbezogenen Wirkungen. Die gerichtliche Kon-
trolle ist darauf beschränkt, ob die Einschätzungen der Planfeststellungsbehör-
de im konkreten Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und nicht auf ei-
nem unzulänglichen oder gar ungeeigneten Bewertungsverfahren beruhen
(stRspr, vgl. nur Urteile vom 28. März 2013 - BVerwG 9 A 22.11 - BVerwGE
146, 145 Rn. 114 und vom 6. November 2012 -- BVerwGE
145, 40 Rn. 100). Wegen der bereits im Zusammenhang mit dem Gebiets-
schutz festgestellten methodischen Mängel bei der Erfassung der Fledermäuse
erweist sich diesbezüglich auch die artenschutzrechtliche Bestandsaufnahme
- und infolgedessen auch die artenschutzrechtliche Bewertung etwaiger Ver-
botstatbestände - als fehlerhaft; hiervon abgesehen bleibt die allgemeine Kritik
der Kläger hinsichtlich der artenschutzrechtlichen Bestandsaufnahme sowie
hinsichtlich der Bauzeitenregelungen zu vage (1.). Die artenschutzrechtliche
Behandlung der Haselmaus erweist sich als unzureichend (2.); demgegenüber
ist diejenige der Reptilien (3.), der europäischen Vogelarten (4.), der Schmetter-
linge (5.) und der Amphibien (6.) nicht zu beanstanden.
1. Die artenschutzrechtliche Bestandsaufnahme beruht hinsichtlich der Fleder-
mäuse auf methodischen Mängeln; insofern kann auch die Bewertung etwaiger
Verbotstatbestände nicht gerichtlich bestätigt werden. Hinsichtlich der übrigen
artenschutzrechtlichen Bestandsaufnahme, die die Kläger ebenfalls für unzurei-
chend halten, bleibt ihre Kritik zu allgemein. Gleiches gilt für die Bauzeitenrege-
lungen.
Regelmäßig speisen sich die erforderlichen fachgutachtlichen Untersuchungen
zur Ermittlung deBetroffenheiten im Planungsraum aus
zwei wesentlichen Quellen: der Bestandserfassung vor Ort sowie der Auswer-
tung bereits vorhandener Erkenntnisse und Fachliteratur. Eine aus beiden Quel-
len gewonnene, sich wechselseitig ergänzende Gesamtschau wird der Plan-
feststellungsbehörde regelmäßig die erforderliche hinreichende Erkenntnis-
grundlage verschaffen können (Beschluss vom 14. April 2011 - BVerwG 4 B
77.09 - juris Rn. 67; ausführlich zur artenschutzrechtlichen Bestandsaufnahme
Urteil vom 9. Juli 2008 - BVerwG 9 A 14.07 - BVerwGE 131, 274 Rn. 63 ff.
108
109
- 51 -
= Buchholz 406.400 § 42 BNatSchG 2002 Nr. 6). Wegen der bereits im Zu-
sammenhang mit dem Gebietsschutz festgestellten methodischen Mängel bei
der Erfassung der Fledermäuse erweist sich die artenschutzrechtliche Be-
standsaufnahme insoweit - und infolgedessen auch die Bewertung etwaiger
Verbotstatbestände - als fehlerhaft. Namentlich im Hinblick darauf, dass die Au-
tobahntrasse den südöstlichen Teil des Segeberger Forstes durchschneidet,
genügt das Vorgehen des Beklagten, eine „flächendeckende Nutzung aller ge-
eigneten Waldbereiche durch die wertgebenden Fledermausarten“ zu unterstel-
len und auf diese Annahme - ohne konkrete Erfassung der Quartiere - ein Maß-
nahmekonzept aufzubauen, das die „nicht ausgeschlossenen Konflikte“ maß-
geblich mindern soll (Stellungnahme des Gutachters Dr. M. vom 27. August
2013 S. 40 f.), auch in artenschutzrechtlicher Hinsicht nicht den methodischen
Anforderungen. Anders ist die Situation freilich im Bereich der Travequerung.
Angesichts des die Flugrouten weiträumig überspannenden, mit Kollisions-
schutzwänden ausgestatteten Brückenbauwerks (BW 5.08) hat der Beklagte
insoweit ein signifikantes Kollisionsrisiko im Ergebnis zu Recht ausgeschlossen.
Hinsichtlich aller übrigen Tierarten, bei denen es „Datenlücken“ gab, durfte die
Bestandserfassung auf eine Potentialanalyse beschränkt werden. Der Beklagte
hat dieses methodische Vorgehen nachvollziehbar damit gerechtfertigt, dass es
in den Jahren 2003 ausreichende faunistische Erfassungen der Tiergruppen
Brutvögel, Amphibien, Libellen, Heuschrecken, Tagfalter und Nachtfalter gege-
ben habe; die Auswahl dieser Indikatorengruppen sowie die Methodik der Er-
fassung werde im biologischen Fachbeitrag und in seiner Aktualisierung
(KIFL 2005 und 2009) näher beschrieben und begründet. Eine nochmalige Ak-
tualisierung sei im Rahmen der 2. Planänderung im Jahre 2011 nicht erforder-
lich gewesen. Die Kläger haben sich nur in allgemeiner Form gegen dieses me-
thodische Vorgehen gewandt, ohne der Argumentation des Beklagten etwas
Konkretes entgegenzusetzen. Infolgedessen muss der Senat der Frage der Be-
standsaufnahme - mit Ausnahme der nachfolgend speziell geprüften Arten -
nicht weiter nachgehen.
110
- 52 -
Ähnlich allgemein bleibt die Kritik in Bezug auf die für verschiedene Arten fest-
gesetzten Bauzeitenregelungen. Diese können nicht pauschal mit dem Argu-
ment mangelnder Durchsetzbarkeit in Frage gestellt werden. Bauzeitenregelun-
gen stellen nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich wirksame Maßnah-
men dar. Allerdings ist im Einzelfall zu untersuchen, ob die Regelung artange-
messen ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Einhaltung der Bauzeiten-
regelungen nicht - wie in Nebenbestimmung 2.3.8 Nr. 7 vorgesehen - durch die
Umweltbaubegleitung überwacht wird, werden von den Klägern nicht benannt;
solche Anhaltspunkte sind auch im Übrigen nicht erkennbar. Auch der Um-
stand, dass hiervon bereits im Planfeststellungsbeschluss selbst Ausnahmen
vorgesehen und im näher begründeten Einzelfall etwa Vergrämungsmaßnah-
men zugelassen werden (vgl. Nebenbestimmung 2.3.8 Nr. 30), steht der grund-
sätzlichen Wirksamkeit nicht entgegen.
dor erfasst (a); auch die Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände
(b) kann wegen der auch vom Planfeststellungsbeschluss selbst erkannten
Probleme der räumlichen Entfernung der Umsiedlungsflächen nicht überzeugen
(c).
a) Die im Herbst 2008 durchgeführte systematische Erfassung des Eingriffsbe-
reichs nach Kobeln (Nestern) und Fraßspuren, die insgesamt 29 Nachweise (22
durch Kobel und 7 durch Fraßspuren) erbracht hat, stellt wegen des zu engen
Untersuchungskorridors von nur 50 m beidseits der Trasse keine ausreichende
Bestandsaufnahme dar. Der Gutachter hat hierzu auf gerichtliche Nachfrage
erläutert, dass der Untersuchungsraum aufgrund der konkreten Lebensraum-
struktur der Habitate im Umfeld des Eingriffs auf diese Breite festgelegt worden
sei. Die Haselmaus besiedele im Raum Segeberg vorwiegend lineares Stra-
ßenbegleitgrün sowie Knicks, nur in Einzelfällen flächige Gehölze. Die Konzen-
tration auf Straßenbegleitgrün erkläre sich aus dem sehr geringen Nahrungsan-
gebot in den intensiv „gepflegten“ und dadurch weitgehend degradierten Knicks
in der im Raum Segeberg vorherrschenden Agrarlandschaft (Stellungnahme
des Gutachters Dr. M. vom 27. August 2013 S. 30 f.; vgl. im Übrigen Planfest-
stellungsbeschluss S. 565 f.; Fachgutachten zur Prüfung der Artenschutzrecht-
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- 53 -
lichen Belange nach § 42 BNatSchG, 2009, aktualisiert Juni 2011, S. 38, künf-
tig: Artenschutzbeitrag, sowie Formblatt A-5; Biologischer Fachbeitrag aus Au-
gust 2009 S. 9 und Blatt 1.1). Dieses Vorgehen erscheint fachlich nicht vertret-
bar. Dass Haselmäuse im Straßenbegleitgrün teilweise in hohen Dichten auftre-
ten können, wird auch von den Klägern nicht bestritten. Da es hier aber um ei-
nen Neubau und nicht etwa um eine nachträgliche Maßnahme an einer be-
stehenden Straße geht, gibt es noch kein Straßenbegleitgrün. Vielmehr muss
sich der Untersuchungsraum nach dem typischen Aktionsradius der Art richten.
Zwar hat die Haselmaus einen vergleichsweise geringen Aktionsradius. Die
Weibchen legen meist nur Entfernungen von weniger als 50 m zurück, während
die Männchen größere Ortswechsel bis über 300 m in einer Nacht vornehmen
können (vgl. Infosysteme und Datenbanken des Landesamtes für Natur, Um-
welt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen „Geschützte Arten in NRW“,
Stichwort Haselmaus ; etwas größere Radien ergeben sich
aus dem Endbericht zum FuE-Vorhaben im Rahmen des Umweltforschungs-
planes des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz „Rahmenbedingungen für die
Wirksamkeit von Maßnahmen des Artenschutzes bei Infrastrukturvorhaben“,
künftig: Endbericht Rahmenbedingungen, Artensteckbrief zur Haselmaus
A 102, sowie aus den Angaben auf S. 150 der Klagebegründungsschrift im Ver-
fahren BVerwG 9 A 15.12). Vor diesem Hintergrund bedürfte die Bemessung
des Untersuchungsraums, jedenfalls soweit er einen Korridor von 100 m beid-
seits der Trasse unterschreitet, einer plausiblen naturschutzfachlichen Begrün-
dung, an der es bislang fehlt. Ob sogar der von den Klägern in der mündlichen
Verhandlung geforderte 500 m-Korridor beidseits der Trasse geboten ist, mag
der Beklagte im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens fachlich bewerten.
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Tatbestand des Tö-
tungsverbots mit Blick auf die bei einem Bauvor-
haben nie völlig auszuschließende Gefahr von Kollisionen geschützter Tiere mit
Kraftfahrzeugen erst dann erfüllt, wenn das Vorhaben dieses Risiko in einer für
die betroffene Tierart signifikanten Weise erhöht (stRspr, vgl. nur Urteile vom
14. Juli 2011 --= Buchholz
406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 13 und vom 9. Juli 2008 -
114
- 54 -
-Rn. 91 = Buchholz 406.400 § 42 BNatSchG 2002
Nr. 6). Dabei sind Maßnahmen, mittels derer solche Kollisionen vermieden wer-
den können, in die Betrachtung einzubeziehen. Der Störungstatbestand des
kann vor allem durch bau- und betriebsbedingte
Beeinträchtigungen der geschützten Tierarten in Gestalt von akustischen und
optischen Störwirkungen (Urteile vom 9. Juni 2010 -- Buch-
holz 407.4 § 17 FStrG Nr. 208 Rn. 49 und vom 9. Juli 2008 a.a.O. Rn. 104 f.),
aber auch durch Trennwirkungen erfüllt werden, die von der vorgesehenen
Trasse ausgehen (Urteile vom 14. April 2010 --
= Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 45 und vom 9. Juli
2008 a.a.O. Rn. 105). Dabei enthält das Störungsverbot bereits im Wortlaut ei-
nen populationsbezogenen Ansatz. Eine erhebliche Störung liegt nach der De-
finition desvor, wenn sich durch die Stö-
rung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert (s.
dazu Urteil vom 12. März 2008 --
= Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 30). Der Begriff der „Fortpflan-
zungsstätte“ iist eng auszulegen. Dies folgt zum
einen aus der scharfen systematischen Trennung zwischen der Teilregelung
des Beschädigungs- und Zerstörungstatbestandes i
der die eingriffsbetroffenen Lebensstätten nennt, und der ergän-
zenden Regelung i die im Rahmen einer funktionalen
Betrachtung den räumlichen Zusammenhang einbezieht. Dasselbe folgt zum
anderen daraus, dass esauch verbietet, Fortpflan-
zungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten
Arten aus der Natur zu entnehmen, und damit dem Wortlaut nach eine enge
Auslegung des Begriffs der Fortpflanzungs- oder Ruhestätte nahelegt, die jeden
einer solchen Entnahme zugänglichen, als Ort der Fortpflanzung oder Ruhe
dienenden Gegenstand - wie einzelne Nester oder Höhlenbäume - einschließt.
In zeitlicher Hinsicht betrifft die Verbotsnorm primär die Phase aktueller Nut-
zung der Lebensstätte. Unter Berücksichtigung des verfolgten Zwecks der Re-
gelung, die Funktion der Lebensstätte für die geschützte Art zu sichern, ist die-
ser Schutz aber auszudehnen auf Abwesenheitszeiten der sie nutzenden Tiere
einer Art, sofern nach deren Lebensgewohnheiten eine regelmäßig wiederkeh-
- 55 -
rende Nutzung zu erwarten ist (Urteil vom 18. März 2009 --
c) Hiervon ausgehend sind dem Planfeststellungsbeschluss in der Fassung des
Änderungsbescheides vom 16. Oktober 2013 bei der Prüfung der Verbotstatbe-
stände teilweise Fehler unterlaufen.
aa) Der mit der Baufeldfreimachung einhergehende Tötungstatbestand sowie
die Zerstörung der Fortpflanzungs- und Ruhestätten der Haselmaus soll durch
artenschutzrechtliche Vermeidungsmaßnahmen (Fangen und Umsiedlung in
besonders zu sichernde Maßnahmegebiete; Festlegung artspezifischer Fäll-
zeitpunkte) sowie durch vorgezogene artenschutzrechtliche Ausgleichsmaß-
nahmen (langfristige Entwicklung neuer Knickanlagen) vermieden werden (vgl.
genauer Planfeststellungsbeschluss S. 32 ff. und S. 565 sowie Artenschutzbei-
trag S. 38 ff.). Das Umsiedlungskonzept ist im Grundsatz nicht zu beanstanden;
die Ersatzlebensräume sind allerdings überwiegend so weit entfernt, dass die
ökologische Funktion der Fortpflanzungs- und Ruhestätten entgegen der An-
nahme im Planfeststellungsbeschluss nicht im räumlichen Zusammenhang
i.S.derhalten bleibt; zudem ist die vorgesehene
Funktionskontrolle ergänzungsbedürftig.
(1) Der Senat lässt weiterhin offen, ob das der Umsiedlung vorangehende Fan-
gen wild lebender Tiere neben dem Entzug der Bewegungsfreiheit als solchem
eine gewisse Dauer des Entzugs voraussetzt (Urteil vom 14. Juli 2011
- BVerwG 9 A 12.10 - BVerwGE 140, 149 Rn. 130 = Buchholz 406.400 § 61
BNatSchG 2002 Nr. 13). Denn insoweit läge eine objektive Ausnahmelage vor,
sodass der etwaige Mangel unerheblich wäre (vgl. Urteil vom 28. März 2013
- BVerwG 9 A 22.11 - NuR 2013, 565 Rn. 143
BVerwGE 146, 145> unter Hinweis auf Urteil vom 14. April 2010 - BVerwG 9 A
5.08 - BVerwGE 136, 291 Rn. 147 = Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 45).
Die Umsiedlung der Haselmaus wird in den Nebenbestimmungen 2.3.8 Nr. 20
und 21 näher geregelt. Danach sind im Jahr der Baufeldfreimachung im April
geeignete Kunstnester auszubringen und im September auf Besatz zu kontrol-
115
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- 56 -
lieren. Besiedelte Kobel und Kunstnester sind zu verschließen und in die hierfür
vorgesehenen Ersatzlebensräume zu versetzen; der Vorgang ist mehrfach zu
wiederholen, bis davon ausgegangen werden kann, dass sich keine Haselmaus
mehr im Baufeld aufhält. Die betroffenen Gehölze sollen unmittelbar nach der
Umsiedlung der Tiere - Anfang bis Mitte Oktober - gefällt, gerodet und abtrans-
portiert werden, um eine kurzfristige Wiederbesiedlung der Standorte durch die
Haselmaus, deren Winterruhe Ende Oktober einsetzt, zu verhindern. Zwar ist
nicht auszuschließen, dass sich vereinzelt noch gehölzbewohnende Fleder-
mäuse, deren Winterschlaf ebenfalls noch nicht begonnen hat, in den Bäumen
befinden und sich, statt zu fliehen, noch tiefer in die Spalten und Höhlen ver-
kriechen. Diese vereinzelt möglichen Tötungen der Fledermaus nimmt der Plan-
feststellungsbeschluss aber zugunsten der Haselmaus ausdrücklich hin. Ledig-
lich für den Bereich des Segeberger Forstes, dem für die Fledermäuse eine
herausragende Bedeutung zukomme, nimmt der Planfeststellungsbeschluss
eine andere Wertung vor. Hier ist zum Schutz der Fledermäuse eine Fällung
der Gehölze erst ab 1. Dezember, also dem endgültigen Beginn der Winterruhe
der Fledermäuse, zulässig (vgl. Nebenbestimmung 2.3.8 Nr. 24). Hierdurch be-
steht eine Tötungsgefahr für die Haselmaus, da nicht auszuschließen ist, dass
sie vereinzelt nach erfolgter Umsiedlung in das Baufeld zurückwandert und sich
im Winterversteck oder im Boden aufhält. Angesichts dieser Konfliktlage hat der
Beklagte mit Änderungsbescheid vom 16. Oktober 2013 die Nebenbestim-
mung 2.3.5 dahin neu gefasst, dass nunmehr für 14 näher bezeichnete Fleder-
mausarten außerhalb des Segeberger Forstes sowie für die Haselmaus im Se-
geberger Forst nach § 45 Abs. 7 BNatSchG eine artenschutzrechtliche Aus-
nahme von dem Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG erteilt wird.
Der festgesetzte Pflegezeitraum, der einen Verzicht auf einen Gehölzrück-
schnitt für zwei Vegetationsperioden vorsieht, ist entgegen der Auffassung der
Kläger nicht zu kurz bemessen. Vielmehr hat ihn der Gutachter in seiner Stel-
lungnahme vom 27. August 2013 (S. 30 f.) überzeugend begründet: Knicks, die
in Schleswig-Holstein verbreitet Ersatzlebensräume der Haselmäuse sind, wer-
den traditionell alle 8 bis 15 Jahre auf den Stock gesetzt, wobei die Gehölze
rasch wieder ausschlagen. Ohne dieses „Knicken“ verarmen die Knicks langfris-
tig. Haselmäuse sind zwar an diese Vorgänge gewöhnt; da die beabsichtigte
119
- 57 -
Umsiedlung für sie aber eine besondere Stresssituation darstellt, soll der neue
Lebensraum zumindest die halbe normale Lebensspanne einer Haselmaus op-
timale Bedingungen bieten, bevor der Knick dann - aus Gründen der langfristi-
gen Erhaltung - mit Eintritt der Winterruhe der Haselmaus erneut auf den Stock
gesetzt wird. Bis zu diesem Zeitpunkt werden sich umgesetzte Haselmäuse in
ihrem neuen Lebensraum bereits ein- bis mehrfach reproduziert haben (erster
Wurf normalerweise nach einem Jahr, ein bis drei Würfe pro Jahr).
Auch der angenommene Ausgleichsbedarf ist im Grundsatz nicht zu beanstan-
den. Die Knicklänge von 50 m pro Haselmaus soll neben der Sicherstellung des
Ersatzlebensraums zugleich den Verlust der Lebensstätten ausgleichen. Durch
das Einbringen zusätzlicher Nistkästen wird zudem die Attraktivität des Lebens-
raums gesteigert; die neuen Lebensräume sollen in das bestehende und für die
Art geeignete Knicknetz eingebunden werden. Zusätzlich werden weitere
Knicks in einem Umfang von 6,6 km als artenschutzrechtliche Ausgleichsmaß-
nahmen neu angelegt, diese können langfristig u.a. auch der Haselmaus als
Lebensräume dienen. Die neuen Knickanlagen sollen möglichst frühzeitig, je-
doch nicht vor der Baufeldfreimachung hergestellt werden, um Haselmäuse
nicht in den Baustellenbereich zu locken. Zwar ist insoweit nicht sichergestellt,
dass die Ersatzflächen rechtzeitig hergestellt werden. Dennoch hat die Planung
den Konflikt aus Sicht des Senats angemessen gelöst, da eine Rückwanderung
der Haselmaus in den Baustellenbereich verhindert werden soll. Der entstehen-
de Zeitverzug muss im Rahmen der Kompensationsbilanz berücksichtigt wer-
den.
(2) Die ökologische Funktion der Fortpflanzungs- und Ruhestätten bleibt aber
für einen überwiegenden Teil der Maßnahme nicht im räumlichen Zusammen-
hang i.S.d.erhalten.
Die vorgesehenen Umsiedlungsflächen befinden sich nur zu einem geringen
Teil in Vorhabennähe, im Übrigen liegen sie im Bereich der 15 km entfernten
Kompensationsflächen am Zarpener Oser, da eingriffsnähere Maßnahmeorte
für den Vorhabenträger nicht verfügbar waren. Der Planfeststellungsbeschluss
(S. 566) geht zu Recht davon aus, dass bei dieser Entfernung kein Zusammen-
120
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- 58 -
hang mehr zwischen der lokalen Population des Eingriffgebiets und der Popula-
tion des Umsiedlungsgebiets besteht. Die Planfeststellungsbehörde will die
Maßnahme dennoch in Abstimmung mit dem Landesamt für Landwirtschaft,
Umwelt und ländliche Räume als CEF-Maßnahme anerkennen, weil die Um-
siedlungsmaßnahmen und die geplanten Ausgleichsmaßnahmen „in Kombina-
tion“ dazu führten, dass die ökologische Funktion der Fortpflanzungs- und Ru-
hestätten der Haselmaus im räumlichen Zusammenhang erhalten bleibt (Plan-
feststellungsbeschluss S. 32 ff. und S. 566). Das vermag nicht zu überzeugen.
Die geplanten Ausgleichsmaßnahmen - Herstellung neuer Knickanlagen - kön-
nen den Verlust der Fortpflanzungs- und Ruhestätten nicht kompensieren; denn
auch bei der Vernetzung kleiner Teilhabitate darf die Entfernung zwischen der
zentralen Population und kleineren Teilpopulationen nicht mehr als 500 m be-
tragen (Endbericht Rahmenbedingungen, Artensteckbrief zur Haselmaus
A 103). Konsequenterweise hätte der Beklagte daher - wie von den Klägern
gefordert - die Erteilung einer Ausnahme erwägen müssen.
(3) Die schon jetzt im Planfeststellungsbeschluss umfassend vorgesehene
Funktionskontrolle i.S.d. § 17 Abs. 7 BNatSchG (vgl. Nebenbestimmungen
2.3.8 Nr. 2 und 7 sowie der in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärte
allgemeine Auflagenvorbehalt) bedarf der Ergänzung. Angesichts der mit der
geplanten Umsiedlung verbundenen Unsicherheiten genügt es nicht, die Funk-
tionalität der Ersatz-Lebensstätten zu prüfen. Vielmehr erscheint es geboten,
die Ersatzlebensräume in einem festgelegten Turnus nach der Umsiedlung auf
Besatz durch die Haselmaus zu kontrollieren. In diesem Zuge sollten auch die
Nisthilfen instandgehalten und gesäubert werden (vgl. Endbericht Rahmenbe-
dingungen, Artensteckbrief zur Haselmaus A 104). Einer aufwändigen Fang-
Wiederfangmethode mit markierten Haselmäusen, wie sie der Gutachter Dr. M.
in seiner Stellungnahme vom 27. August 2013 (S. 31) als Gegenargument für
eine Populationsüberwachung anführt und wie sie offenbar auch die Kläger für
geboten halten (vgl. hierzu zuletzt in der mündlichen Verhandlung überreichte
Folie Nr. 41 „Risikomanagement“), bedarf es hingegen nicht.
bb) Soweit, wie oben beschrieben, aus Gründen des Fledermausschutzes im
Segeberger Forst eine Tötung der Haselmaus während des Winterschlafs nicht
123
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- 59 -
ausgeschlossen werden kann, durfte der Beklagte - ebenso wie außerhalb des
Forstes für den umgekehrten Fall vereinzelter Tötungen von Fledermäusen zu
Gunsten der Haselmaus - mit Änderungsbescheid vom 16. Oktober 2013
grundsätzlich eine Ausnahme von den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten
naczulassen.
(1) Der die Ausnahmeregelung enthaltende Änderungsbescheid ist formell
rechtmäßig.
Nach § 76 Abs. 2 VwVfG, der hier über die Verweisung des § 17d FStrG An-
wendung findet, da es um eine Planänderung vor Fertigstellung des Vorhabens
geht, kann die Planfeststellungsbehörde bei Planänderungen von unwesentli-
cher Bedeutung von einem neuen Planfeststellungsverfahren absehen, wenn
die Belange anderer nicht berührt werden oder wenn die Betroffenen der Ände-
rung zugestimmt haben. Die Voraussetzungen der Vorschrift liegen vor. Eine
Planänderung ist gegeben, da es um eine nachträgliche Änderung des festset-
zenden Teils (hier: inhaltliche Änderung der Nebenbestimmung 2.3.5) und nicht
nur um eine bloße Änderung der Begründung geht (vgl. Kopp/Ramsauer,
VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 76 Rn. 5 m.w.N.). Dass die Planänderung von unwe-
sentlicher Bedeutung ist, wird im Änderungsbescheid (S. 7 f.) zutreffend damit
begründet, dass sie im Verhältnis zur abgeschlossenen Gesamtplanung un-
erheblich ist, also Umfang, Zweck und Auswirkungen des Vorhabens gleich
bleiben. Die Erteilung der artenschutzrechtlichen Ausnahme führt nicht einmal
zu einer Änderung des Schutzkonzepts für die von der Ausnahme betroffenen
Arten; es wird lediglich der bereits im Planfeststellungsbeschluss beschriebene
artenschutzrechtliche Konflikt rechtlich anders bewertet. Hieraus folgt zugleich,
dass auch „die Belange anderer“ nicht berührt werden. Der Beklagte hat auch
von dem ihm eingeräumten Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht; dass er
sich hierbei statt auf § 76 Abs. 2 VwVfG irrtümlich auf die wortgleiche Vorschrift
des § 143 Abs. 2 LVwG gestützt hat, ist unschädlich.
Entgegen der Auffassung der Kläger mussten sie nicht an dem Änderungsbe-
scheid beteiligt werden. Selbst wenn die Planfeststellungsbehörde hier statt
einer Planänderung nach § 76 Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 17d FStrG ein vereinfach-
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tes Planfeststellungsverfahren durchgeführt hätte, hätte es nach § 76 Abs. 3
VwVfG keines Anhörungsverfahrens und keiner öffentlichen Bekanntgabe des
Planfeststellungsbeschlusses und nach § 63 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG auch kei-
ner Beteiligung der nach § 3 UmwRG anerkannten Naturschutzvereinigungen
bedurft. Denn dies hätte vorausgesetzt, dass die Planänderung zu neuen oder
zusätzlichen Eingriffen in Natur und Landschaft geführt hätte (vgl. Hüting/Hopp,
UPR 2003, 1 <6> m.w.N.), zumindest hätten sich durch die Planänderung zu-
sätzliche naturschutzrechtliche Fragen stellen müssen, zu deren Beantwortung
der sachverständige Rat der Naturschutzverbände geboten erscheint (vgl. zur
Funktion des Beteiligungsrechts Urteil vom 12. November 1997 - BVerwG 11 A
49.96 - BVerwGE 105, 348 <350 f.> = Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 16
S. 41 f.). Das ist hier nicht der Fall.
Die Planfeststellungsbehörde hat auch keine neuen Untersuchungen angestellt
(vgl. Urteil vom 12. Dezember 1996 - BVerwG 4 C 19.95 - BVerwGE 102, 358
<362> = Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 12 S. 25 f.), sondern ist lediglich
zu einer anderen rechtlichen Bewertung gelangt.
(2) Die Voraussetzungen für eine Ausnahme nac
liegen grundsätzlich vor. Ob eine zumutbare Alternative im Sinne
desgegeben ist, kann jedoch mit Blick auf die
Ausführungen zu einer großräumigen Südumfahrung (s. dazu oben unter
A.VI.3.c) derzeit nicht abschließend festgestellt werden.
Nackönnen die nach Landesrecht für Na-
turschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden - wegen der Konzentra-
tionswirkung des Planfeststellungsbeschlusses also auch die Planfeststellungs-
behörden - im Einzelfall Ausnahmen von den Verboten desaus
zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich
solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art zulassen. Darüber hinaus erfordert ei-
ne Ausnahme nac dass zumutbare Alternativen
nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art
nicht verschlechtert. Anders als beim Verbotstatbestand des
ist im Rahmen der Ausnahme nicht der Erhaltungszustand des von
128
129
130
- 61 -
dem Vorhaben unmittelbar betroffenen lokalen Vorkommens maßgeblich, son-
dern eine gebietsbezogene Gesamtbetrachtung anzustellen, die auch die ande-
ren (Teil-)Populationen der Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet in den
Blick nimmt. Entscheidend ist, ob die Gesamtheit der Populationen in ihrem na-
türlichen Verbreitungsgebiet, das über das Plangebiet hinausreicht, als lebens-
fähiges Element erhalten bleibt. Diese Voraussetzung wurde von der Planfest-
stellungsbehörde im Rahmen des ihr dabei zustehenden Beurteilungsspiel-
raums (s. Urteile vom 9. Juni 2010 -- Buchholz 407.4 § 17
FStrG Nr. 208 Rn. 60 und vom 28. März 2013 - BVerwG 9 A 22.11 - BVerwGE
146, 145 Rn. 133 ff.) fehlerfrei angenommen.
Ob im Rahmen der artenschutzrechtlichen Prüfung eine zumutbare Alternative
besteht, kann hingegen nicht abschließend beurteilt werden. Zu den möglichen
anderen zufriedenstellenden Lösungen i.S.d. Art. 16 Abs. 1 FFH-RL können
alternative Standorte (oder Trassen), andere Größenordnungen oder alternative
Aktivitäten, Prozesse oder Methoden gehören (vgl. Leitfaden zum strengen
Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der
Februar 2007, III.2.2 Rn. 37). Andere Trassenalter-
nativen hat der Beklagte hier mit der Erwägung verworfen, dass damit keine
grundsätzlich bessere Lösung des unvermeidbaren Konflikts zu erwarten sei
(Änderungsbescheid vom 16. Oktober 2013 S. 5). Diese Aussage kann ange-
sichts der obigen Ausführungen zu einer denkbaren großräumigen Südumfah-
rung - jedenfalls derzeit - nicht bestätigt werden; eine Südumfahrung würde ge-
rade den Segeberger Forst und damit den konkret betroffenen Konfliktraum un-
ter Umständen meiden. Dass für den in Rede stehenden Prozess - die Freima-
chung des Baufeldes - weniger eingreifende Varianten zur Verfügung stünden,
ist hingegen weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Planfeststellungsbehörde
hat hierzu nachvollziehbar dargelegt, dass eine Änderung des Schutzkonzepts
das Tötungsrisiko für eine andere Art - verschiedene Fledermausarten - erhö-
hen würde; auch die Höhergewichtung der Schutzbelange dieser betroffenen
Fledermausarten hält der Senat für überzeugend begründet. Schließlich wird
sich auch der Erhaltungszustand der betroffenen Populationen aufgrund der
vereinzelt möglichen Tötungen von Haselmäusen im Segeberger Forst nicht
verschlechtern. Der Änderungsbescheid vom 16. Oktober 2013 geht davon aus,
131
- 62 -
dass hierzu auch das festgesetzte Schutzkonzept beitragen wird. Diese Bewer-
tung ist nicht zu beanstanden, zumal sich - bezogen auf die hier in Rede ste-
hende Konfliktsituation - auch CEF-Maßnahmeflächen in enger räumlicher Ver-
bindung zu den Eingriffsflächen befinden.
3. Hinsichtlich der Reptilien (Zauneidechse und Schlingnatter) ist die arten-
schutzrechtliche Prüfung nicht zu beanstanden.
a) Die Kläger wenden sich ohne Erfolg gegen die artenschutzrechtliche Daten-
erfassung, die auf einer Potentialanalyse aufbaut und eine Sichtbeobachtung
der Zauneidechse einschließt.
Die Kriterien für die Annahme potentiell geeigneter Lebensräume für Zaun-
eidechse und Schlingnatter hat der Gutachter in seiner Stellungnahme vom
27. August 2013 (S. 32 f.), auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen
wird, näher dargelegt; sie sind nicht zu beanstanden. Auch gegen die hieraus
abgeleiteten weiteren Untersuchungen und Annahmen ist nichts zu erinnern:
Die für die Zauneidechse potentiell geeigneten Flächen westlich bzw. nordwest-
lich der geplanten A 20 im Bereich des Rummelsberges im Segeberger Forst
wurden im Sommer 2008 (Juni bis September) mehrfach abgesucht, ohne dass
ein Nachweis erbracht werden konnte. Da die Witterungsbedingungen dabei
ungünstig waren (kühl und nass), fand eine zusätzliche Begehung im Juli 2009
- ebenfalls ohne Nachweis - statt. Da zum Zeitpunkt der Untersuchung der
Zauneidechse in 2008/2009 kein rezentes Schlingnattervorkommen aus dem
Raum Bad Segeberg bekannt war, wurde zwar nicht gezielt nach der Schling-
natter gesucht. Der Gutachter konnte aber davon ausgehen, dass sie bei der
Suche mit angetroffen worden wäre, da sie die gleichen Habitate besiedelt wie
die Zauneidechse. Die Schlingnatter wurde erst 2010 auf einer größeren Heide-
fläche westlich des Standortübungsplatzes (StÜP) Wittenborn, ca. 400 m nörd-
lich der Ausgleichsfläche A 22.1 nachgewiesen. Der Artenschutzbeitrag schließt
weitere Vorkommen beider Reptilien in weiteren Offenlandbereichen und an
Saumstrukturen in Waldbereichen nicht aus; er nimmt potentielle Lebensräume
im Umfeld des Rummelsberges (Binnendüne) und auf der Ausgleichsfläche im
Segeberger Forst an (vgl. zum Vorstehenden Biologischer Fachbeitrag aus Au-
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gust 2009 S. 24 f., Artenschutzbeitrag S. 48 f. sowie Stellungnahme Dr. M. vom
27. August 2013 S. 31 f.).
b) Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Prüfung der Verbotstatbestände.
Der Artenschutzbeitrag (S. 48) geht davon aus, dass eine Baufeldfreiräumung
außerhalb der Reproduktions- und Ruhezeit der Zauneidechse nicht möglich ist,
da diese ihre Lebensräume ganzjährig besiedele und sehr ortstreu sei. Als
Vermeidungsmaßnahme ist eine näher beschriebene temporäre Sperreinrich-
tung sowie das Einfangen und Umsiedeln in geeignete Ersatzhabitate vorgese-
hen; der Beitrag enthält genauere Angaben zum Zeitpunkt der Aufstellung des
Zauns und zur Anzahl der Begehungen (sechs). Eine Rückwanderung werde
durch die Dauer der Sperre - gesamte Bauzeit - verhindert. Da im Umfeld der
Maßnahme (Binnendüne beim Rummelsberg sowie StÜP Wittenborn) geeigne-
te Ersatz-Lebensräume ausgebildet seien, die sich in einem ausreichenden Ab-
stand zum Baufeld befinden, könnten die Zauneidechsen dorthin umgesiedelt
werden (Maßnahme S 2.1); zusätzliche CEF-Maßnahmen seien nicht erforder-
lich. Relevante Zerschneidungseffekte seien nicht zu erwarten.
Die Ausführungen zur Schlingnatter sind vergleichbar (Artenschutzbeitrag
S. 48a f.); hier sind allerdings zehn Begehungen sowie die Einrichtung detailliert
beschriebener, dauerhafter Ersatzlebensstätten als CEF-Maßnahme (Aus-
gleichsfläche A 22.1) vorgesehen. Als Entwicklungszeit werden - bei ausrei-
chender Einbringung reptiliengeeigneter Strukturen - zwei Jahre als ausrei-
chend angesehen; die Entwicklung sei durch Fachleute zu begleiten und ggf.
durch die Einbringung weiterer Kleinstrukturen zu fördern.
Die genannten Vorschläge werden im Planfeststellungsbeschluss in den Ne-
benbestimmungen 2.3.8 Nr. 22 und 23 (Planfeststellungsbeschluss S. 34 f.,
243 f.) im Einzelnen umgesetzt.
Die unter verschiedenen Gesichtspunkten geübte Kritik der Kläger an diesem
Konzept greift nicht durch. Ihnen kann zunächst nicht darin gefolgt werden,
dass das Aufstellen eines mobilen Absperrzauns keinen ausreichenden Schutz
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biete. Der Zaun soll nach der Nebenbestimmung 2.3.8 Nr. 22 mindestens 70 cm
über Geländeoberkante hoch und mindestens 30 cm in den Boden eingegraben
sein, aus glattem Material bestehen und einen Überkletterschutz nach außen
aufweisen und damit die Anforderungen der beiden einschlägigen Merkblätter
(Merkblatt zur Anlage Querungshilfen für Tiere, Ausgabe 2008 sowie Merkblatt
zum Amphibienschutz an Straßen, Ausgabe 2000) erfüllen. Ebenso wenig
überzeugt das klägerische Argument, die Termine zum Abfangen der Schling-
natter seien unzureichend, der Zeitraum sei falsch gewählt und die Wirksamkeit
der Maßnahme sei unsicher. Der Gutachter hat sich hierzu in seiner Stellung-
nahme vom 27. August 2013 ausführlich geäußert und die einzelnen Maßnah-
men nachvollziehbar erläutert. Danach bestehen gegen die Wirksamkeit des
Maßnahmekonzeptes keine durchgreifenden Bedenken. Der Umsiedlung von
Reptilien wird im Übrigen auch im Endbericht Rahmenbedingungen des o.g.
FuE-Vorhabens eine „sehr hohe Erfolgswahrscheinlichkeit als vorgezogene
Ausgleichsmaßnahme“ zugebilligt (Artensteckbrief zurA 173).
Soweit die Kläger schließlich bemängeln, sämtliche Zeitfaktoren (Waldrodung,
Wirksamkeit) seien unspezifiziert und nicht auf einen quantitativen Erfolg hin
ausgelegt, ist auch dem zu widersprechen. Die Formulierung in der Nebenbe-
stimmung 2.3.8 Nr. 23 („Die CEF-Maßnahme A 22.1 im Segeberger Forst ist
mindestens drei Vegetationsperioden vor Beginn der Waldrodung und Baufeld-
freimachung …durchzuführen“) ist hinreichend bestimmt. Sofern die Kläger eine
genaue zeitliche Eingrenzung der Waldrodung für erforderlich halten, ist diese
nun in der überarbeiteten Fassung des Maßnahmenblattes (planfestgestellte
Unterlage 12.0 S. 587) enthalten („Waldrodung vom 01.09. - 28.02.“).
Verstöße gegen artenschutzrechtliche Bestimmungen. Sowohl die Bestands-
aufnahme (a) als auch der Prüfungsmaßstab in Bezug auf die Lärmauswirkun-
gen (b) sowie die Prüfung der einzelnen Verbotstatbestände (c) halten einer
gerichtlichen Prüfung stand.
a) Die Bestandsaufnahme hat in einem vertretbaren Umfang stattgefunden. Die
Brutvögel wurden im Jahre 2009 erstmals flächendeckend erfasst, und zwar in
einem Korridor um die Vorzugstrasse von 600 m Breite bzw. bei Offenland-
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- 65 -
schaften bis zu 1 000 m Breite (Biologischer Fachbeitrag aus August 2009
S. 27). Soweit die Kläger den gewählten Korridor für zu klein halten, kann dem
nicht gefolgt werden. Nach der „Arbeitshilfe Vögel und Straßenverkehr“, he-
rausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,
Ausgabe 2010, bearbeitet von A. Garniel und Dr. U. Mierwald, S. 6, künftig: Ar-
beitshilfe Vögel und Straßenverkehr, liegen die empirisch festgestellten Effekt-
distanzen in der Größenordnung von 100 m bis max. 500 m, im Übrigen bei
max. 300 m (S. 6 ff.). Der einzige hier vorkommende Vogel mit einer Effektdis-
tanz von 500 m ist die Feldlerche, die weite Offenflächen bewohnt; auch für sie
ist deshalb der gewählte Korridor ausreichend groß.
b) Die Lärmauswirkungen auf die Vögel wurden nicht unterschätzt. Hinsichtlich
des aus Sicht der Kläger zu niedrig angesetzten Lkw-Anteils kann auf die Aus-
führungen zu V. verwiesen werden. Soweit die Kläger sich unter Hinweis auf
das mit dem Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau Nr. 22/2010 (VkBl 2010,
397) veröffentlichte sog. „Statuspapier Gussasphalt“ der Bundesanstalt für
Straßenwesen darauf berufen, der sog. Referenzpegel liege um 0,6 dB(A) zu
niedrig, was zumindest bei naturschutzfachlichen Betrachtungen hätte berück-
sichtigt werden müssen, nimmt der Senat auf die umfangreiche Erwiderung des
Beklagten im Schriftsatz vom 29. August 2013 Bezug. Darin wird unter Hinweis
auf die beigefügte Stellungnahme des Ingenieurbüros Förster & Wolgast vom
27. August 2013 (Anlage B 7) ausgeführt, dass die Lärmimmissionen eines
Straßenbauprojektes - wie hier geschehen - nach der RLS-90 zu berechnen
sind (vgl. Arbeitshilfe Vögel und Straßenverkehr S. 4). Die Aussagen des sog.
„Statuspapier Gussasphalt“ haben in das dort festgelegte Verfahren keinen
Eingang gefunden. Hiervon unabhängig wird die in dem Papier geäußerte
Schlussfolgerung, dass bei Fortschreibung des Trends zwischen 1990 und
1998 der Referenzwert heute um 0,6 dB(A) höher liege als 1998 insofern relati-
viert, als eingeräumt wird, dass genauere Untersuchungen dazu nicht vorlägen;
messtechnisch ist also der höhere Referenzpegel nicht belegt.
c) Auch die Prüfung der einzelnen Verbotstatbestände ist hinsichtlich der Vögel
nicht zu beanstanden.
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Der Artenschutzbeitrag (S. 65) kommt zu dem Ergebnis, dass bezüglich aller in
Schleswig-Holstein gefährdeten, seltenen oder im Anhang I der Vogelschutz-
richtlinie geführten Brutvögel (Eisvogel, Feldlerche, Fichtenkreuzschnabel, Hei-
delerche, Kiebitz, Kranich, Neuntöter, Schwarzspecht und Trauerschnäpper)
sowie hinsichtlich der ungefährdeten europäischen Brutvogelarten, die in ihren
nach Bruthabitaten unterschiedenen Artengilden betrachtet wurden (etwa Kolo-
niebrüter, Gehölzbrüter etc.), die Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1
BNatSchG generell oder jedenfalls unter Berücksichtigung artspezifischer
Schutz-, Vermeidungs-, Ausgleichsmaßnahmen oder CEF-Maßnahmen ausge-
schlossen werden können. Der Planfeststellungsbeschluss schließt sich dieser
Einschätzung an (S. 249 ff.). Insbesondere die verschiedenen Bauzeitenrege-
lungen (vgl. Nebenbestimmungen 2.3.8 Nr. 29 ff.) gewährleisteten, dass Tötun-
gen vermieden werden können. Auch gegen das Zugriffsverbot der Zerstörung
von Fortpflanzungs- und Ruhestätten nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG werde
nicht verstoßen. Zwar sei mit dem Verlust verschiedener Brutreviere, etwa der
Heidelerche, der Feldlerche und des Neuntöters zu rechnen. Die Vögel könnten
aber teilweise in angrenzende geeignete Habitate ausweichen; teilweise werde
durch verschiedene vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen (CEF-Maßnahmen)
sichergestellt, dass die ökologische Funktion der Fortpflanzungs- und Ruhestät-
ten im räumlichen Zusammenhang erhalten bleibe.
Die Kritik der Kläger an dieser Bewertung greift nicht durch. Soweit sie CEF-
Maßnahmen zugunsten der Feldlerche vermissen, was im Widerspruch zum
Artenschutzrechtlichen Fachbeitrag (Formblatt Feldlerche, dort S. A-121 und
A-122) stehe, kann ihre Kritik nicht nachvollzogen werden. Denn solche CEF-
Maßnahmen sind vorgesehen (vgl. Artenschutzbeitrag S. 26, 51 ff. sowie Form-
blatt Feldlerche). So soll dem dauerhaften Verlust von fünf Revieren durch die
Einrichtung von Ersatzhabitaten begegnet werden (Maßnahmen A 19.1, A 21.1
und E 28.1), davon ein Revier vor Baubeginn und vier Reviere vor Betriebsbe-
ginn. Die Lage, weitere Voraussetzungen (wie Art der Bepflanzung und Pflege)
sowie in Betracht kommende Ausgleichsflächen werden im Artenschutzbeitrag
näher beschrieben. Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden im Planfeststel-
lungsbeschluss (Nebenbestimmungen 2.3.8 Nr. 34 und 35) sowie in den ge-
nannten Maßnahmenblättern umgesetzt. Ebenso wenig ist die Kritik bezüglich
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- 67 -
der Heidelerche nachvollziehbar. Hier wird gerügt, die Maßnahme A 22.1 (Um-
feldaufwertung Segeberger Forst) sei unspezifisch und nicht - wie erforderlich -
auf einen quantitativen Erfolg hin ausgelegt. Aus dem Formblatt Heidelerche
(S. A-131) ergibt sich jedoch, dass durch die Maßnahme u.a. ein Ersatzhabitat
für ein Revier der Heidelerche geschaffen werden soll. Sowohl das Formblatt
als auch das Maßnahmenblatt wurden überarbeitet; es wird jetzt genauer be-
schrieben, welche gestalterischen Maßnahmen (insbesondere Abschieben des
Oberbodens zur Schaffung von Rohbodenstandorten) und Pflegemaßnahmen
durchzuführen sind. Ohne Substanz bleibt schließlich auch die Kritik in Bezug
auf den Ziegenmelker, den Raufußkauz, den Schwarzspecht und den Neun-
töter. Hinsichtlich des Ziegenmelkers - einer Nachtschwalbe - beanstanden die
Kläger, dass er im Artenschutzbeitrag - und konsequenterweise in den Maß-
nahmenblättern - fehle. Gleiches gelte für den Raufußkauz, eine Eulenart. Die-
se Kritik ist nicht berechtigt. Der Raufußkauz wird im Artenschutzbeitrag behan-
delt (dort S. 28 f.). Da er im Untersuchungsraum aber aktuell nicht nachgewie-
sen werden konnte, geht der Gutachter aufgrund des Vorkommens des
Schwarzspechts nur vom potentiellen Vorkommen des Raufußkauzes aus.
Konkrete Maßnahmen werden daher nicht abgeleitet. Das erscheint konse-
quent. Hinsichtlich des Ziegenmelkers gilt dasselbe: Er wurde im Untersu-
chungsraum nicht nachgewiesen, so dass keine Maßnahmen abzuleiten sind.
Ähnlich verhält es sich mit dem Schwarzspecht und dem Neuntöter; auch für
diese reklamieren die Kläger Maßnahmen, da diese im Formblatt-Teil des Ar-
tenschutzrechtlichen Fachbeitrages (A-154 ff. und A-150 ff.) verlangt würden.
Auch hier trifft die Kritik nicht zu, denn die im Artenschutzbeitrag lediglich gefor-
derten Bauzeitenregelungen werden im Planfeststellungsbeschluss umgesetzt.
5. Soweit die Kläger geltend machen, auch der Nachtkerzenschwärmer, eine
Schmetterlingsart, der im Untersuchungsgebiet nicht nachgewiesen wurde (vgl.
Artenschutzbeitrag S. 25), habe in die Prüfung miteinbezogen werden müssen,
kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.
6. Auch in Bezug auf Amphibien enthält der Planfeststellungsbeschluss keine
durchgreifenden Mängel. Die Bestandsaufnahme hat in einem vertretbaren Um-
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- 68 -
fang stattgefunden; auch die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen sind nicht
zu beanstanden.
Bereits 1996 wurden die Amphibien flächendeckend in den Korridoren der drei
Trassenalternativen (Untersuchungsraum: 350 m beidseitig der jeweiligen Tras-
senlinie) untersucht. Damals wurden drei Begehungen zur Erfassung der Am-
phibien durchgeführt. Dabei wurde nur in einem Gewässer (seinerzeit Biotop
1706) der Kammmolch nachgewiesen. Im Jahre 2003 wurden erneut alle poten-
tiell als Laichhabitat geeigneten Gewässer (insgesamt 60) im Zeitraum von April
bis einschließlich August 2003 innerhalb des faunistischen Untersuchungs-
raums (Streifen von beidseitig jeweils mindestens 100 m ab Trassenrand aller
untersuchten Trassenvarianten) bis zu sechsmal begangen; dies wurde durch
eine Potentialabschätzung der Landlebensräume ergänzt. Dominant waren die
drei ungefährdeten Arten Grasfrosch, Teichmolch und Erdkröte; die seltenste
Amphibienart ist der Kammmolch mit nur einem Nachweis (Gewässer Nr. 115,
Lage im Bereich einer alternativen Trasse und mindestens 600 m vom planfest-
gestellten Eingriff entfernt). Die Knoblauchkröte wurde nicht nachgewiesen. Da
die streng geschützten Arten (Kammmolch in einem Gewässer und Moorfrosch
in fünf Gewässern) sämtlich außerhalb des 200 m-Korridors festgestellt wurden,
werden artenschutzrechtliche Konflikte für diese beiden Arten im Artenschutz-
beitrag verneint. Beide Arten verblieben in der Nähe ihres Laichplatzes und
fänden im Übrigen in trassenabgewandter Nähe optimale Landlebensräume vor
(vgl. zum Vorstehenden Planfeststellungsbeschluss S. 497, 557, 608). Zum
Schutz der betroffenen Amphibienbestände sieht der Planfeststellungsbe-
schluss ausreichende Sicherungsmaßnahmen vor: Während der Bauphase sind
nach Nebenbestimmung 2.3.8 Nr. 41 Amphibienschutzzäune geplant, die dem
Schutz vorhandener großer Amphibienpopulationen von Erdkröte, Grasfrosch
und Teichmolch dienen sollen. Da Wanderbewegungen bislang nicht erfasst
wurden, wird dies während der Bauphase nachgeholt; ggf. werden dauerhafte
Amphibiensperranlagen errichtet (Planfeststellungsbeschluss S. 40, 260). Da-
rüber hinaus sollen die Querungshilfen (Fahrenkruger Moorgraben, Trave, Nel-
kengraben und Gieselteich) auch den Amphibien dienen (Planfeststellungsbe-
schluss S. 501).
148
- 69 -
Hiervon ausgehend trifft der Vorwurf der Kläger, für die Amphibien werde feh-
lerhaft die Planungsrelevanz verneint, nicht zu. Dass weitere Vorkommen des
Kammmolchs außerhalb des Untersuchungsraums seinerzeit wegen ihrer Lage
- zu große Entfernung vom Vorhabenort - nicht systematisch erfasst wurden, ist
nicht zu beanstanden. Die von den Klägern unter Hinweis auf ihr früheres Vor-
bringen im Linienbestimmungsverfahren behauptete Kammmolchpopulation mit
insgesamt sechs Laichgewässern gehört offenbar zu diesen nicht weiter unter-
suchten Vorkommen. Auch der Umstand, dass im Jahre 1999 sowie offenbar
erneut bei einer aktuellen Erhebung eine Knoblauchkröte gefunden wurde, stellt
die methodische Angemessenheit der Amphibienkartierung nicht grundsätzlich
in Frage. Im Übrigen hat der Planfeststellungsbeschluss sich bereits mit dem
Vorbringen der Kläger auseinandergesetzt (vgl. S. 648); auf diese aus Sicht des
Senats nicht zu beanstandenden Ausführungen wird zur Vermeidung von Wie-
derholungen Bezug genommen. Soweit die Kläger schließlich erstmals in der
mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, die Planung weiche vom Merk-
blatt zum Amphibienschutz an Straßen (MAmS 2000) ab, das eine mindestens
zweijährige Überprüfung der Wanderwege zwischen den Lebensräumen vor-
sieht, hat der Beklagte, sollte es ihm nicht gelingen, sein Vorgehen nachträglich
zu plausibilisieren, die im Merkblatt vorgesehenen Untersuchungen im ergän-
zenden Verfahren vorzunehmen.
B. Die vorgenannten Mängel der Verträglichkeitsuntersuchung und der arten-
schutzrechtlichen Prüfung infizieren nach der Rechtsprechung des Senats (Ur-
teil vom 14. Juli 2011 - BVerwG 9 A 12.10 - BVerwGE 140, 149 Rn. 67, 96
= Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 13) auch die behördliche Beurtei-
lung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung und die planerische Abwä-
gung (§ 17 Satz 2 FStrG). Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass die
Planfeststellungsbehörde aufgrund des Ergebnisses einer ordnungsgemäßen
Verträglichkeitsprüfung eine veränderte Feintrassierung und/oder andere Ver-
meidungs- und Ausgleichsmaßnahmen angeordnet hätte.
Demgegenüber begegnet die Abschnittsbildung keinen Bedenken. Die Kläger
stellen diese in Frage, weil die Trasse in späteren Abschnitten auf erhebliche,
teilweise rechtlich unüberwindliche Widerstände stoße. So stelle der spätere
149
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- 70 -
Abschnitt „Elbquerung“ ein Rastgebiet für Nonnengänse dar, das als Ramsar-
Gebiet auszuweisen sei; im Abschnitt „Krempermarsch“ führe die A 20 am FFH-
Gebiet „Wetternsystem Kollmarer Marsch“ entlang, das bei zutreffender Ge-
bietsabgrenzung sogar gekreuzt werde; eine weitere Durchschneidung erfolge
im Abschnitt A 23 bis L 114 („Westerhorn“), dort gebe es Konflikte mit Aus-
gleichsflächen im Zusammenhang mit der Dasa-Erweiterung. Nach der gefes-
tigten Rechtsprechung des Senats erfährt die grundsätzliche Zulässigkeit der
auch durch das Habitatrecht keine Einschränkung; für das
Artenschutzrecht gilt nichts anderes. Erforderlich, aber auch ausreichend ist
eine Vorausschau auf nachfolgende Abschnitte nach Art eines vorläufigen posi-
tiv Die Prognose muss ergeben, dass nach summarischer
Prüfung der Verwirklichung des Vorhabens auch im weiteren Verlauf keine von
vornherein unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen. Diese Prognose fällt
nicht schon deshalb negativ aus, weil das Vorhaben im weiteren Verlauf vo-
raussichtlich nachteilige Auswirkungen auf ein FFH-Gebiet haben kann oder ha-
ben wird; vielmehr ist auch zu berücksichtigen, ob es möglich erscheint, mit
Hilfe von Schutzmaßnahmen die Verträglichkeit zu gewährleisten oder aufgrund
einer Abweichungsprüfung zur Zulässigkeit des Vorhabens zu gelangen (vgl.
zum Ganzen Urteile vom 12. August 2009 - BVerwG 9 A 64.07 - BVerwGE 134,
308 Rn. 114 f. = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 203 und vom 12. März 2008
- BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 270 f. = Buchholz 451.91 Europ.
UmweltR Nr. 30). Nach diesem Maßstab ist die Abschnittsbildung hier auch
nicht aus naturschutzrechtlichen Gründen zu beanstanden. Es wird nicht subs-
tantiiert dargetan, dass dem Gesamtvorhaben der A 20 in den Nachbarab-
schnitten ein unüberwindbares naturschutzrechtliches Planungshindernis ent-
gegensteht.
Nicht gefolgt werden kann den Klägern auch darin, dass die Planung zu Un-
recht die Gesichtspunkte Biodiversität/Klimaschutz nicht geprüft habe, obwohl
das Projekt insbesondere durch die Zerschneidungswirkung und die Stickstoff-
einträge wesentlich zu einer Verschlechterung beitrage. Der Planfeststellungs-
beschluss hält die Biodiversitätskonvention entgegen der Darstellung der Kläger
nicht für unanwendbar; vielmehr geht er - zutreffend - davon aus, dass die Kon-
vention durch die bestehenden Richtlinien der Europäischen Union und durch
152
- 71 -
das nationale Recht, etwa durch den auch von den Klägern zitierten § 2 Abs. 1
Satz 2 Nr. 1 UVPG, umgesetzt worden ist. Der Sache nach sind die genannten
Punkte daher durchaus geprüft worden (so auch Planfeststellungsbeschluss
S. 616 f.).
C. Die aufgezeigten Fehler nötigen nicht zur Aufhebung des Planfeststellungs-
beschlusses. Es genügt, ihn für rechtswidrig und nichtvollziehbar zu erklären.
Die in § 17e Abs. 6 Satz 2 FStrG getroffene Fehlerfolgenregelung findet nicht
nur auf den Abwägungsmangel, sondern - entsprechend - auch auf Verstöße
gegen Vorschriften strikten Rechts Anwendung, die wie die hier festgestellten
Verstöße gegen die FFH-Richtlinie der Abwägung Schranken setzen (vgl.
Urteile vom 14. Juli 2011 - BVerwG 9 A 12.10 - BVerwGE 140, 149 Rn. 68 =
Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 13 und vom 17. Mai 2002
- BVerwG 4 A 28.01 - BVerwGE 116, 254 <268>). Die festgestellten Fehler sind
nicht von solcher Art, dass sie die Planung von vornherein als Ganzes in Frage
stellen. Vielmehr besteht die konkrete Möglichkeit, dass die erforderlichen zu-
sätzlichen Ermittlungen und Bewertungen in einem ergänzenden Verfahren
nachgeholt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
Dr. Bier
Buchberger
Dr. Christ
Prof. Dr. Korbmacher
Dr. Bick
153
154
- 72 -
B e s c h l u s s
Der Streitwert wird bis zur Verbindung auf jeweils 30 000 €, danach auf
60 000 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG).
Dr. Bier
Buchberger
Dr. Bick
Sachgebiet:
BVerwGE: ja
Straßenplanungsrecht
Fachpresse: ja
Naturschutzrecht
Rechtsquellen:
FStrG
§§ 1, 16, 17 Satz 2, §§ 17d, 17e Abs. 6 Satz 2
FStrAbG
§ 1 Abs. 2 Satz 1, § 4 Satz 1 Halbs. 2
VwVfG
§ 76 Abs. 2 und 3
BNatSchG 2010
§ 17 Abs. 7, § 34 Abs. 3, § 44 Abs. 1 und 5, § 45
Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 und Satz 2, § 63 Abs. 2 Nr. 6,
§ 64 Abs. 1 Nr. 1
UVPG
§ 2 Abs. 3 Nr. 2, §§ 9, 11, 12, 15
FFH-RL
Art. 4, 6 Abs. 3 und 4, Art. 16 Abs. 1
UmwRG
§ 3
Stichworte:
Naturschutzvereinigung; Planfeststellung; Linienbestimmung; Habitatschutz;
Kohärenzsicherung; Kohärenzsicherungsmaßnahme; faunistische Potentialana-
lyse; Bedarfsplan; Stadtautobahn; anderes Projekt; FFH-Gebiet; Verträglich-
keitsprüfung; Erhaltungsziel; Ausnahmeprüfung; Abweichungsprüfung; Funk-
tionskontrolle; Einschätzungsprärogative; Bestandsaufnahme; Bestandserfas-
sung und -bewertung; erhebliche Beeinträchtigung; Artenschutz; Tötungsverbot;
signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko; Schutzkonzept; Querungshilfe; Leiteinrich-
tung; Monitoring; Fangverbot; Umsiedlung; Zerstörungsverbot; objektive Aus-
nahmelage; zumutbare Trassenalternative; zwingende Gründe des überwie-
genden öffentlichen Interesses; naturschutzrechtliche Eingriffsregelung; Alter-
nativenprüfung; Biodiversitätskonvention; Öffentlichkeitsbeteiligung; Abschich-
tungsmöglichkeit; charakteristische Arten; Gebietsabgrenzung; Wirkfaktoren;
Worst-Case-Betrachtung; prioritäre Vorkommen; Planungsziele; Lebensraumty-
pen; Alternativenprüfung; Ortsdurchfahrt; Entlastung; Netz „Natura 2000“; Ver-
botstatbestand; CEF-Maßnahmen.
Leitsätze:
1. Ein Bedarfsplan für Bundesfernstraßen (§ 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 FStrAbG),
der entgegen § 4 Satz 1 Halbs. 2 FStrAbG nur unvollständig überprüft worden
ist, wird ebenso wenig automatisch gegenstandslos wie ein Bedarfsplan, des-
sen Anpassungsbedarf nicht innerhalb des Zeitrahmens des § 4 FStrAbG über-
prüft worden ist (Urteil vom 27. Oktober 2000 - BVerwG 4 A 18.99 - BVerwGE
112, 140 <149> = Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr. 29 S. 10).
2. Die Linienbestimmung (§ 16 Abs. 1 FStrG) ist eine vorbereitende Grundent-
scheidung, die Verbindlichkeit gegenüber dem Straßenbaulastträger und Dritten
erst dadurch erlangt, dass sie in den Festsetzungen des Planfeststellungsbe-
schlusses ihren Niederschlag findet (im Anschluss an Urteil vom 12. August
2009 - BVerwG 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 Rn. 26 = Buchholz 407.4 § 17
FStrG Nr. 203).
3. Die Methode der Bestandsaufnahme im Rahmen des Gebietsschutzes ist
nicht normativ festgelegt; die Methodenwahl muss aber die für die Verträglich-
keitsprüfung allgemein maßgeblichen Standards der „besten einschlägigen wis-
senschaftlichen Erkenntnisse“ einhalten (hier: zur Methode der „faunistischen
Potentialanalyse“ zur Bestandserfassung von Fledermäusen).
4. Eine Stadtautobahn ist gegenüber einer Fernautobahn nicht ohne Weiteres
ein „anderes Projekt“, das bei der Alternativenprüfung nach Art. 6 Abs. 4 Unter-
abs. 1 FFH-RL bzw. § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG von vornherein außer Be-
tracht bleiben darf.
5. Ein nach § 3 UmwRG anerkannter Naturschutzverband muss bei einer Plan-
änderung von unwesentlicher Bedeutung i.S.v. § 17d FStrG i.V.m. § 76 Abs. 2
VwVfG nicht beteiligt werden, wenn die Planänderung nicht zu neuen oder zu-
sätzlichen Eingriffen in Natur und Landschaft führt bzw. sich durch die Planän-
derung keine naturschutzrechtlichen Fragen stellen, zu deren Beantwortung der
sachverständige Rat der Naturschutzverbände geboten erscheint.
Urteil des 9. Senats vom 6. November 2013 - BVerwG 9 A 14.12