Urteil des BVerwG vom 30.08.2012

DDR, Entschädigung, Rechtliches Gehör, Umfang der Enteignung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 8 C 5.11
VG 4 K 1191/08
Verkündet
am 30. August 2012
Hardtmann
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 30. August 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser, Dr. Held-Daab
und Dr. Rudolph
für Recht erkannt:
Die Revision wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass
der Bescheid des Beklagten vom 14. Dezember 2001 hin-
sichtlich der Ziffer 2 nur in Satz 2 und 3 aufgehoben wird.
Die Beigeladene und der Beklagte tragen die Kosten des
Revisionsverfahrens jeweils zur Hälfte.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin wendet sich gegen eine Verfügung des beklagten Landesvermö-
gensamtes, mit welcher sie zur Auskehr des Erlöses aus einer investiven Ver-
äußerung von Grundstücken an die Beigeladene verpflichtet wurde. Das Ver-
waltungsgericht hat der Klage stattgegeben; hiergegen richtet sich die Revision
der Beigeladenen.
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Die Beigeladene wurde 1923 errichtet und firmierte seit 1924 als „A. Aktienge-
sellschaft“ mit Sitz in B. Gegenstand des Unternehmens war laut Handelsregis-
ter „Ankauf und Betrieb von Ziegelwerken, Erzeugung von Tonwaren aller Art,
Handel mit solchen Gegenständen“. Mehrheits- oder Alleinaktionärin war im
Jahr 1955 Frau Emilie B. Die Gesellschaft betrieb ein Unternehmen in B., das
dort bis 1941 Ton abbaute und daraus im Wesentlichen Bauziegel herstellte.
Seither ruhte der Betrieb. Zum Anlagevermögen gehörten etwa 34,8 ha Grund-
flächen, die teilweise mit Wohn- und Geschäftsgebäuden oder Fabrikanlagen
bebaut waren, teilweise als Tongrube genutzt wurden und im Übrigen Wiesen
und Wald trugen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Fabrikationsanlagen von der sowjeti-
schen Besatzungsmacht in im Einzelnen strittigem Umfang demontiert; 1950
wurde der Einheitswert des Anlagevermögens noch auf 158 000 M festgesetzt.
Weil die Mehrheits- oder Alleinaktionärin ihren Wohnsitz in West-Berlin hatte,
wurde der Betrieb nach der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten
vom 17. Juli 1952 in staatliche Verwaltung genommen. Bemühungen des Re-
präsentanten der Beigeladenen um Freigabe des Betriebes nach Aufhebung
dieser Verordnung durch die Verordnung vom 11. Juni 1953 blieben erfolglos.
Jedenfalls seit Dezember 1950 bemühte sich der Rat des Kreises O., den Be-
trieb wieder in Gang zu bringen. Auch der Leiter der Kommission für Wirtschaft
beim Rat des Bezirkes F. verwies auf die reichen und besonders qualitätsvollen
Tonvorkommen, die angesichts der Baustoffknappheit nicht ungenutzt bleiben
dürften. Anträge des staatlichen Verwalters auf Aufbaukredite blieben jedoch
wegen des zu geringen Anlagevermögens zunächst ohne Erfolg.
Am 15. Juni 1954 beschloss der Rat des Bezirkes, das A. auf der Grundlage
des brandenburgischen Bodenschätzegesetzes (BrBSchG) vom 28. Juni 1947
in die Hand des Volkes zu überführen und zum Wohl des Volkes zu nutzen. Der
Betrieb verspreche eine Produktion von 12 Mio. Ziegeln pro Jahr für wenigstens
zwei Menschenalter. Das Innen- und das Finanzministerium sowie die Staats-
anwaltschaft hielten die Enteignung indes für ungesetzlich. Das Bodenschätze-
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gesetz sehe nur die Enteignung von Alaun vor; dies könne zwar auf Ton erwei-
tert werden, aber nur mit Zustimmung des Landtages. Hiervon dürften indes
keine Betriebe erstmals betroffen werden, die in der Liste zum Bodenschätze-
gesetz nicht bereits aufgeführt seien. Der Rat des Bezirkes verwies demgegen-
über darauf, dass auf dem Betriebsgelände auch Alaun vorhanden sei, der im
19. Jahrhundert auch geschürft worden sei. Der Betriebsinhaber sei nach dem
Bodenschätzegesetz verpflichtet gewesen, dieses Vorkommen zu melden. Nur
weil er diese Pflicht verletzt habe, sei der Betrieb 1947 nicht auf die Liste der zu
enteignenden Betriebe gesetzt worden. Eine Nacherfassung sei zulässig und
geboten, um die „demokratische Gesetzlichkeit“ wiederherzustellen. Eine Ent-
eignung sei auch geboten, weil der Betrieb die Produktion von 30 Mio. Ziegeln
pro Jahr zulasse, was einem Drittel des Bedarfs im ganzen Bezirk entspreche.
Unter Einschaltung des Justizministeriums und der Generalstaatsanwaltschaft
wurde in der Folge eine Einigung dahin erzielt, dass eine Enteignung des Ton-
vorkommens und der bebauten und unbebauten Grundstücke der Alaunwerke
nach § 1 Abs. 2 und § 4 BrBSchG zulässig sei, wenn für die Grundstücke und
für das Anlagevermögen eine Entschädigung gewährt werde. Daraufhin be-
schloss der Bezirkstag am 6. Dezember 1955 auf Antrag des Rates des Bezir-
kes, das A. zu enteignen, das Anlagevermögen auf der Grundlage eines neu
festzusetzenden Einheitswertes zu entschädigen sowie „die Entschädigung in
Naturalersatz für die 28 Hektar Grund und Boden zu überprüfen“. Der Betrieb
bzw. seine Grundflächen wurden in Volkseigentum überführt; Rechtsträger
wurde zunächst der Rat des Bezirkes, 1957 dann der VEB Z., der die Ziegel-
produktion alsbald wieder aufnahm. Eine Entschädigung erfolgte nicht.
Die Produktion wurde 1969 eingestellt. Die Betriebsgrundstücke wurden auf
verschiedene Rechtsträger verteilt. Im Juni 1990 standen die seinerzeit enteig-
neten Grundflächen zum großen Teil in der Rechtsträgerschaft des VEB Z., der
in die Treuhandgesellschaft Z.-D. GmbH umgewandelt wurde, und zu weiteren
Teilen in der Rechtsträgerschaft des VEB Wohnungswirtschaft B., der in die
W. mbH umgewandelt wurde, sowie der Stadt B. Privatisierungsversuche für
die Treuhandgesellschaft scheiterten zunächst, weshalb die Gesellschafterver-
sammlung am 28. September 1992 die Liquidation der Gesellschaft beschloss.
In der Folgezeit fand sich in der Gesellschaft für G. mbH doch ein Investor, an
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den die Treuhandanstalt die Anteile an der Z.-D. GmbH mit Vertrag vom 6. April
1993 verkaufte. Am selben Tage beschloss die Gesellschafterversammlung die
Fortführung des Unternehmens. Der Unternehmensverkauf wurde mit Investi-
tionsvorrangbescheid vom 2. Juli 1993 zugelassen und alsbald vollzogen. Die
neue Eigentümerin baute das Unternehmen zur Ziegelproduktion aus.
Mit Schreiben vom 2. August 1990 hatte Herr Günter B. als Erbeserbe seiner
Mutter Emilie B. vermögensrechtliche Ansprüche „an dem Objekt A. in B.“ an-
gemeldet. Das beklagte Landesvermögensamt wertete diesen Antrag als An-
trag der Beigeladenen und zugleich als Beschluss des Mehrheitsaktionärs ge-
mäß § 6 Abs. 1a VermG, dass die Gesellschaft fortbestehe. Mit Bescheid vom
14. Dezember 2001 stellte es die Berechtigung der Beigeladenen an den 1969
noch vorhanden gewesenen Vermögensgegenständen des Unternehmens fest
und übertrug ihr die in der Verfügungsberechtigung der Wohnungsbaugesell-
schaft und der Stadt B. stehenden Grundstücke zurück (Ziff. 1). Es lehnte aber
die Rückübertragung der ehedem in der Verfügungsberechtigung der Z.-D.
GmbH stehenden Grundstücke ab, weil die Rückgabe infolge der investiven
Veräußerung nicht mehr möglich sei, und sprach der Beigeladenen einen An-
spruch gegen die Klägerin, die Nachfolgerin der Treuhandanstalt, auf Auskehr
entsprechender Anteile des bei der Privatisierung erzielten Veräußerungserlö-
ses zu (Ziff. 2). Die Enteignung von 1955 stelle eine rechtsstaatswidrige Maß-
nahme im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG dar, weil eine Entschädigung
nicht gezahlt worden sei. Die Rückgabe des entzogenen Unternehmens sei
nicht mehr möglich, weil die Produktion 1969 eingestellt worden sei; die Rechte
der Beigeladenen richteten sich auf die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Un-
ternehmensreste. Hinsichtlich der Grundstücke, die bis 1993 der Z.-D. GmbH
gehört hätten, stehe der Beigeladenen ein Anspruch auf Herausgabe des antei-
ligen Veräußerungserlöses zu. Die Grundstücke seien nicht betriebsnotwendig
gewesen, weil sich die Z.-D. GmbH bei ihrer Veräußerung in Liquidation befun-
den habe. Gegenläufige Gläubigeransprüche gemäß § 6 Abs. 6 Buchst. a
Satz 2 VermG bestünden nicht (Ziff. 4); sie seien nicht geltend gemacht und
vom Beklagten auch nicht ermittelt worden.
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Mit ihrer Klage hat die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 14. Dezember 2001
aufzuheben, soweit die Berechtigung und der Erlösaus-
kehranspruch der Beigeladenen festgestellt und sie - die
Klägerin - zur Auskehr des Erlöses verpflichtet wird,
hilfsweise,
den Beklagten unter Aufhebung von Ziff. 4 des genannten
Bescheides zu verpflichten, einen Anspruch der Klägerin
auf Zahlung von vorrangigen Verbindlichkeiten gemäß § 6
Abs. 6 Buchst. a Satz 2 VermG in Höhe von 953 925,57 €
festzustellen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 8. November 2007 die die Klägerin
betreffende Ziff. 2 des Bescheides vom 14. Dezember 2001 aufgehoben, weil
die Enteignung von 1955 keine schädigende Maßnahme im Sinne des § 1
VermG gewesen sei. Mit Beschluss vom 15. Juli 2008 hat der erkennende Se-
nat dieses Urteil aufgehoben, weil es auf einer Verletzung des Gebots beruhe,
rechtliches Gehör zu gewähren.
Mit Urteil vom 25. Februar 2010, berichtigt am 8. Juni 2010, hat das Verwal-
tungsgericht Ziff. 2 des Bescheides wiederum aufgehoben. Die dort verfügte
Auskehrpflicht der Klägerin an die Beigeladene sei rechtswidrig. Die Auskehr-
verpflichtung setze voraus, dass der Beigeladenen an den von der Treuhand-
anstalt veräußerten Vermögenswerten vermögensrechtliche Ansprüche zustün-
den. Sie sei jedoch insofern nicht Berechtigte; denn sie sei nicht von einer
schädigenden Maßnahme im Sinne von § 1 VermG betroffen worden. Die Ent-
eignung von 1955 habe sich ohnehin nicht mehr gegen das Unternehmen rich-
ten können, weil dessen Betrieb zuvor bereits stillgelegt gewesen sei, sondern
sich nur auf die einzelnen Grundstücke bezogen. Entgegen der Annahme des
Beklagten seien diese jedoch nicht entschädigungslos enteignet worden, viel-
mehr sei eine Entschädigung festgesetzt worden. Insofern komme es allein auf
den Enteignungsbeschluss an; ob eine Entschädigung tatsächlich bezahlt wor-
den sei, sei unerheblich. Die Enteignung stelle auch keine unlautere Machen-
schaft dar. Das könne nur angenommen werden, wenn im Einzelfall in manipu-
lativer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR zielgerichtet auf
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bestimmte Vermögenswerte zugegriffen worden, nicht hingegen, wenn bei dem
Erwerbsvorgang - gemessen an den in der DDR gültigen Rechtsvorschriften
und den sie tragenden ideologischen Grundvorstellungen - „alles mit rechten
Dingen zugegangen“ sei. Die Enteignung der Grundstücke der Beigeladenen
sei auf das Bodenschätzegesetz von 1947 gestützt worden. Ob dessen Vo-
raussetzungen tatsächlich sämtlich vorgelegen hätten, sei unerheblich; das
Vermögensgesetz diene nicht dazu, einfache Rechtsverstöße nachträglich zu
korrigieren. Es lasse sich aber nicht feststellen, dass das Bodenschätzegesetz
in manipulativer Weise nur vorgeschoben worden sei, um einen anders nicht
zulässigen Zugriff auf das Eigentum zu legitimieren. Dagegen spreche bereits,
dass verschiedene staatliche Stellen am Enteignungsverfahren beteiligt worden
seien und gerade um die Anwendbarkeit des Bodenschätzegesetzes gestritten
hätten. Der gefundene Weg habe durchaus als „gangbar“ angesehen werden
können. Den DDR-Behörden sei es vor allem auf die Tonvorkommen ange-
kommen, die zur Herstellung von Tonziegeln zur Deckung des Baustoffbedarfs
benötigt worden seien. Die Enteignung sei dementsprechend auf § 1 Abs. 2 und
§ 4 Abs. 2 des Bodenschätzegesetzes gestützt worden. § 1 Abs. 2 BrBSchG
habe die Enteignung von Tonvorkommen, § 4 Abs. 2 BrBSchG die Enteignung
der zur Erschließung nötigen Grundstücke zugelassen. Zwar habe § 3 Abs. 2
BrBSchG eine Enteignung nicht „gelisteter“ Betriebe verboten. Ein Betrieb sei
jedoch nach der Stilllegung von 1941 und nach der Demontage nicht mehr vor-
handen gewesen. Er sei im Übrigen bei der Erstellung der Liste nur deshalb
übersehen worden, weil der Eigentümer die gebotene Meldung des Alaunvor-
kommens unterlassen habe; die Berufung auf § 3 Abs. 2 BrBSchG könne unter
diesen Umständen auch nach rechtsstaatlichen Maßstäben als rechtsmiss-
bräuchlich angesehen werden. Das Verwaltungsgericht hat auch den Einwand
der Beigeladenen zurückgewiesen, es liege eine „überschießende“ Enteignung
vor, weil die „Tongrube“ nur 1,25 ha umfasst habe und die Enteignung der rest-
lichen Flächen nicht erforderlich gewesen sei. Zum einen sei unklar, wie um-
fangreich die Alaun- oder Tonvorkommen gewesen seien und auf welchen Flä-
chen sie abgebaut worden seien; die damaligen Behörden seien - ohne weitere
Ermittlung - davon ausgegangen, dass ringsum tonhaltige Flächen gelegen hät-
ten, worauf schon die Annahme hinweise, das Vorkommen reiche für „mehrere
Menschenalter“ aus. Zum anderen habe die 1947 unterbliebene Enteignung
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nachgeholt werden sollen und können; bei vorschriftsgemäßer Meldung wäre
der Betrieb aber ohnehin zur Gänze enteignet worden.
Mit ihrer Revision gegen dieses Urteil rügt die Beigeladene eine Verletzung ma-
teriellen Rechts sowie Verfahrensmängel. Das Verwaltungsgericht habe schon
den Begriff des Unternehmens in § 6 VermG verkannt, indem es das bloße Ru-
hen und die - nicht vollständige - Demontage des Betriebes für die Annahme
habe ausreichen lassen, der Betrieb sei schon vor 1955 stillgelegt gewesen.
Ohne diesen Fehler hätte es erkennen müssen, dass 1955 nicht nur einzelne
Grundstücke, sondern ein einheitlicher Betrieb enteignet worden sei. Dann hät-
te es auch nicht ohne Verletzung von § 1 Abs. 3 VermG annehmen können, die
Enteignung habe keine unlautere Machenschaft dargestellt. Das Verwaltungs-
gericht habe nur unter verfahrensfehlerhafter Verkürzung des Akteninhalts ver-
kennen können, dass es den DDR-Behörden von vornherein auf die Enteignung
des Betriebes und in der Folge um dessen Wiederaufnahme sowie darauf an-
gekommen sei, den westdeutschen Eigentümer zu verdrängen. Ebenso ergebe
der Akteninhalt zweifelsfrei, dass ihnen bewusst gewesen sei, dass nach dem
Bodenschätzegesetz allenfalls eine Enteignung von Grundflächen zulässig ge-
wesen sei, die Bodenschätze bargen oder zu deren Erschließung benötigt wur-
den, nicht jedoch eine „Überenteignung“ der 80 Werkswohnungen oder von
Wald- und Wiesenflächen und vollends nicht die Enteignung des gesamten Be-
triebes. Hierüber hätten sie sich manipulativ hinweggesetzt. Namentlich sei die
gegebene Begründung, die Alleinaktionärin habe die gebotene Anzeige des
Alaunvorkommens unterlassen, offensichtlich nicht tragfähig gewesen. Zwi-
schen der Meldepflicht und der Liste zu § 3 Abs. 1 BrBSchG habe schon wegen
der zeitlichen Abfolge kein Zusammenhang bestanden. Zudem habe die Mel-
dung nicht der Aktionärin, sondern den staatlichen Stellen selbst oblegen, die
den Betrieb beschlagnahmt hätten; die Verantwortlichkeit sei bewusst auf die
Aktionärin abgewälzt worden. Schließlich habe das Verwaltungsgericht über-
gangen, dass die Enteignung des Betriebes nach dem Bodenschätzegesetz
entschädigungslos erfolgt und deshalb schon nach § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG
rechtsstaatswidrig gewesen sei. Das nach allem fehlerhafte Urteil lasse sich
auch nicht im Ergebnis aus anderen Gründen aufrecht erhalten. Namentlich
liege der Restitutionsausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG nicht
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vor, denn die Z.-D. GmbH sei bereits vor der investiven Veräußerung liquidiert
worden.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom
25. Februar 2010, berichtigt mit Beschluss vom 6. Juni
2010, zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Eine entschädigungslose Enteignung
habe schon deshalb nicht vorgelegen, weil die Enteignung auf § 4 Abs. 2
BrBSchG gestützt worden sei, der eine Entschädigung vorgesehen habe, und
weil der Enteignungsbeschluss eine Entschädigung angeordnet habe. Die Ent-
eignung stelle auch keine unlautere Machenschaft dar. Sie habe die Inan-
spruchnahme der Vermögenswerte zur Erschließung der Tonvorkommen auf
dem Gelände der Beigeladenen sowie die anschließende dortige Tonverarbei-
tung zum Zweck gehabt. Dieser Zweck habe die Enteignung legitimiert; ob die
DDR-Behörden daneben auch die Verdrängung der West-Eigentümerin beab-
sichtigt hätten, sei damit gleichgültig. Ausgehend von seiner Feststellung, ein
werbender Betrieb sei 1954/55 gar nicht mehr vorhanden gewesen, habe das
Verwaltungsgericht auch die Auffassung der DDR-Behörden, die Enteignung
lasse sich auf § 1 Abs. 2 und § 4 Abs. 2 BrBSchG stützen, für vertretbar und
nicht für manipulativ halten können. Angesichts dessen habe keine Veranlas-
sung bestanden, sich mit der Frage zu befassen, ob das Bodenschätzegesetz
auch die Enteignung eines lebenden Betriebes zugelassen hätte. Ebensowenig
habe das Verwaltungsgericht den Umfang der Tonvorkommen aufklären müs-
sen. Für seine Entscheidung sei allein die Vorstellung der DDR-Behörden maß-
geblich gewesen; hiernach aber sei die Inanspruchnahme des gesamten Areals
zur Erschließung der Tonvorkommen erforderlich gewesen. Das Bodenschät-
zegesetz hätte im Übrigen auch die Nacherfassung eines werbenden Betriebes
erlaubt, der dem Abbau von Bodenschätzen im Sinne von § 1 Abs. 2 BrBSchG
gedient habe, sofern dies zum allgemeinen Wohl erforderlich gewesen sei und
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das Parlament - wie hier der Bezirkstag - zugestimmt habe. Angesichts dessen
könne dahinstehen, ob 1954/55 noch ein Betrieb vorhanden gewesen sei. Das
habe das Verwaltungsgericht indes im Ergebnis mit Recht verneint; die eigentli-
che Schädigung sei schon durch die Demontage durch die sowjetische Besat-
zungsmacht erfolgt. Sollten die bisherigen Feststellungen dies nicht bereits
zweifelsfrei ergeben, so hätte das Verwaltungsgericht den Umfang der Demon-
tage näher ermitteln müssen. Das angefochtene Urteil erweise sich jedenfalls
aus anderen Gründen als richtig; denn das Unternehmen sei bereits durch den
SMAD-Befehl Nr. 167 entzogen worden, weshalb vermögensrechtliche Ansprü-
che schon nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausschieden. Jedenfalls liege der
Restitutionsausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. d VermG vor; das müsse
für jedes einzelne Grundstück noch geprüft werden. Ferner habe das Verwal-
tungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - noch nicht über Ver-
bindlichkeiten entschieden, die dem Auskehranspruch nach § 6 Abs. 6
Buchst. a Satz 2 VermG entgegengehalten worden seien. Im Übrigen fehle es
schon an einer wirksamen Antragstellung der Beigeladenen; das Verwaltungs-
gericht habe die Rechtsnachfolge des Günter B. nach seiner Mutter Emilie B.
und dessen Vertretungsmacht für die Beigeladene ungeprüft, aber zu Unrecht
unterstellt.
Der Beklagte tritt der Revision in Antrag und Begründung bei. Für die Stilllegung
eines Unternehmens komme es nicht darauf an, ob Arbeitnehmer beschäftigt
würden oder in welchem Umfang Anlagevermögen vorhanden sei; Arbeitneh-
mer könnten wieder eingestellt, Anlagevermögen wieder angeschafft werden.
Entscheidend sei der Wille des Unternehmers, das Unternehmen fortzuführen
oder zu beenden. Im vorliegenden Falle sei der Wille der Aktionärin, das A. wie-
der in Betrieb zu nehmen, in den Akten dokumentiert. Den DDR-Behörden sei
es 1954/55 darauf angekommen, die 1947 unterbliebene Enteignung des Be-
triebes nachzuholen. Ihnen sei bewusst gewesen, dass dies nach dem Boden-
schätzegesetz nicht zulässig gewesen sei; sie hätten dieses Gesetz gleichwohl
- mithin manipulativ - herangezogen. Hätten sie stattdessen tatsächlich - wie
vom Verwaltungsgericht angenommen - lediglich die Bodenschätze und die zu
deren Erschließung benötigten Grundstücke enteignen wollen, so hätten sie
sich mit dem Umfang der Enteignung befassen müssen; denn dann habe die
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Überenteignung jedenfalls für die Gebäude- und Gebäudenebenflächen auf der
Hand gelegen.
II
Die Revision bleibt ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsge-
richts beruht weder auf einer Verletzung von Vorschriften des Vermögensge-
setzes noch auf Verfahrensmängeln.
1. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass der Enteignungsbeschluss
des Bezirkstages F. vom 6. Dezember 1955, durch welchen die Beigeladene
die in Ziff. 2 des angefochtenen Bescheides aufgeführten Grundstücke verloren
hat, keine schädigende Maßnahme im Sinne des § 1 VermG gewesen sei. Das
hält den Angriffen der Revision stand, ohne dass näher geklärt werden müsste,
ob von der Enteignung lediglich einzelne Vermögensgegenstände, wie das
Verwaltungsgericht angenommen hat, oder aber ein Unternehmen im Sinne von
§ 2 Abs. 2, § 3 Abs. 1 Satz 3, § 6 VermG betroffen war, wie die Beigeladene
behauptet und die Klägerin bestreitet. Für die Würdigung des Verwaltungsge-
richt war allerdings entscheidend, dass die DDR-Behörden bei der Enteignung
davon ausgegangen seien, dass kein lebender Betrieb im Sinne des § 3 des
brandenburgischen Gesetzes zur Überführung der Bodenschätze und Kohlen-
bergbaubetriebe in die Hand des Volkes - Bodenschätzegesetz (BrBSchG) -
vom 28. Juni 1947 (GVBl Mark Brandenburg S. 15) mehr vorhanden, der Be-
trieb vielmehr längst stillgelegt sei; hierauf wird noch einzugehen sein. Der Be-
griff des Betriebes im Sinne des § 3 BrBSchG muss aber mit dem des Unter-
nehmens im Sinne des Vermögensgesetzes nicht übereinstimmen.
2. Dass die Enteignung eine schädigende Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 1
Buchst. a VermG gewesen sei, hat das Verwaltungsgericht fehlerfrei verneint.
a) Nach § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG begründet das Vermögensgesetz Ansprü-
che an Vermögenswerten, die entschädigungslos enteignet und in Volkseigen-
tum überführt wurden. Grundlegende Voraussetzung für die Anwendung dieser
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Vorschrift ist, dass der rechtsstaatswidrige Gehalt der betreffenden Maßnahme
in dem diskriminierenden und gerade deshalb entschädigungslos bleibenden
Zugriff auf das Eigentum liegt, nicht aber in dem bloßen Unterbleiben einer Ent-
schädigung. Dieser besondere Unrechtsgehalt liegt nur vor, wenn bereits nach
den einschlägigen Vorschriften der DDR für bestimmte Enteignungsmaßnah-
men eine Entschädigung generell ausgeschlossen war. Derartige Vorschriften
stellten schon nach dem Selbstverständnis der Rechtsordnung der DDR eine
bewusste Diskriminierung bestimmter Personengruppen oder bestimmter Ver-
haltensweisen dar. Demgegenüber begründet der Umstand, dass eine nach
den anzuwendenden Rechtsvorschriften der DDR an sich bestehende Entschä-
digungsverpflichtung im Einzelfall nicht erfüllt wurde, etwa weil die staatlichen
Stellen die Entschädigung nicht festgesetzt haben, für sich genommen keine
entschädigungslose Enteignung im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG; in-
sofern verbleibt es bei den Ansprüchen nach dem DDR-Entschädigungs-
erfüllungsgesetz (stRspr; grundlegend Urteil vom 24. März 1994 - BVerwG 7 C
16.93 - BVerwGE 95, 284 <286 ff.> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 19).
Hiernach können Enteignungen von Bergbaubetrieben auf der Grundlage von
§ 4 Abs. 1 des Bodenschätzegesetzes von 1947 Maßnahmen im Sinne von § 1
Abs. 1 Buchst. a VermG sein; nach dieser Vorschrift erfolgt die Enteignung „der
Betriebe, welche in § 3 genannt und in beiliegender Liste II aufgeführt sind (Mo-
nopolbetriebe, Betriebe der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten),“ entschädi-
gungslos. Hingegen kann in der Enteignung von bebauten oder unbebauten
Grundstücken zur Erschließung von Bodenschätzen nach § 4 Abs. 2 BrBSchG
keine Maßnahme nach § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG gesehen werden; denn
hierfür sah das Bodenschätzegesetz eine Entschädigung vor, die nach Mög-
lichkeit als Naturalersatz, also durch die Verschaffung von Austauschland ge-
währt werden sollte.
Auch die Enteignung der Bodenschätze selbst - unabhängig davon, ob es sich
hierbei überhaupt um Vermögenswerte im Sinne von § 2 Abs. 2 VermG han-
delt - kann nicht als Maßnahme im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG an-
gesehen werden. Zwar sah § 4 Abs. 1 BrBSchG auch insofern keine Entschä-
digung vor, und in der Regel kann der Umstand, dass eine Entschädigung ge-
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nerell ausgeschlossen war, als diskriminierend angesehen werden (Urteil vom
29. März 2006 - BVerwG 8 C 19.04 - BVerwGE 125, 353 Rn. 25 = Buchholz
428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 24). Anderes muss indes bei Vermögenswerten gel-
ten, deren entschädigungslose Enteignung auch in Rechtsstaaten als nicht dis-
kriminierend und - gegebenenfalls unter weiteren Voraussetzungen - als legitim
angesehen wird. So liegt es jedenfalls bei Bodenschätzen wie etlichen der in
§ 1 Abs. 1 BrBSchG genannten, die schon seit alters her als bergfrei angese-
hen und einer besonderen Bergbauberechtigung unterstellt werden, die dem
Staat zusteht (Bergregal) und von diesem entweder selbst genutzt oder Dritten
- auf Zeit - verliehen wird (vgl. dazu u. a. Lück, Artikel Bergrecht, Bergregal,
in: Cordes u. a. , Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte,
2. Aufl., Band 1, 2008, S. 527 ff.). In Deutschland zählte dies im 19. Jahrhundert
zum gefestigten Rechtsbestand des Landesbergrechts, das auch nach Inkraft-
treten des Bürgerlichen Gesetzbuchs zunächst unberührt blieb (Art. 67
EGBGB). Auch das Bergrecht der Bundesrepublik Deutschland unterscheidet
zwischen bergfreien und grundeigenen Bodenschätzen; auf bergfreie Boden-
schätze erstreckt sich das Eigentum an einem Grundstück nicht (§ 3 BBergG).
Das wurde schon zur Zeit der Weimarer Republik als Inhaltsbestimmung des
Grundeigentums angesehen, die auch ohne Entschädigung mit dem Eigen-
tumsgrundrecht vereinbar sei (Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, Urteil
vom 23. März 1929 - StGH 8/28 - RGZ 124, Anhang 19 <32 ff.>; vgl. auch BGH,
Urteil vom 16. Februar 1970 - III ZR 136/68 - BGHZ 53, 226 <234 f.>; allgemein
Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, 1985, S. 235). Bei Bodenschätzen wie
Sand, Kies und Ton, für die § 1 Abs. 2 BrBSchG eine ebenfalls entschädigungs-
lose Administrativenteignung zuließ, liegt es zwar anders. Sie gelten zumeist
als grundeigen. Gerade in Zeiten besonderer Baustoffknappheit mögen sie je-
doch durchaus ebenfalls für bergfrei oder gemeinfrei erklärt werden, ohne dass
der Grundeigentümer für den damit verbundenen Rechtsverlust entschädigt
würde. § 1 Abs. 2 BrBSchG kann durchaus in diese Tradition gestellt werden;
das Gesetz wurde 1947 in der unmittelbaren Nachkriegszeit und damit in Zeiten
besonderer Baustoffknappheit in einem weithin kriegszerstörten Land erlassen.
b) Die vorliegend in Rede stehende Enteignung könnte demnach nur von § 1
Abs. 1 Buchst. a VermG erfasst werden, wenn von ihr auch ein Betrieb im Sin-
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ne von § 3 Abs. 1 BrBSchG betroffen war und nach § 4 Abs. 1 BrBSchG ent-
schädigungslos enteignet wurde. Das war aber nach den tatsächlichen Feststel-
lungen des Verwaltungsgerichts nicht der Fall. Anders als der Rat des Bezirkes
F. beim ersten Enteignungsbeschluss vom 15. Juni 1954, dessen Gesetzmä-
ßigkeit und Wirksamkeit in der Folgezeit von verschiedenen höheren DDR-
Stellen bestritten wurde, ging der Bezirkstag bei seinem Enteignungsbeschluss
vom 6. Dezember 1955 nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts da-
von aus, dass ein arbeitender und funktionsfähiger Betrieb nicht mehr vorhan-
den war. Enteignet wurden nur das Tonvorkommen als solches sowie die Be-
triebsreste, nämlich die Grundstücke und das restliche Anlagevermögen; für die
Grundstücke und das Anlagevermögen war jedoch eine Entschädigung vorge-
sehen. Danach beruhte die Enteignung - auch wenn der Enteignungsbeschluss
§ 4 BrBSchG pauschal zitiert - der Sache nach auf § 4 Abs. 1 BrBSchG nur in
Ansehung der Bodenschätze selbst, im Übrigen aber auf § 4 Abs. 2 BrBSchG.
c) Ohne Erfolg rügt die Beigeladene, das Verwaltungsgericht habe seine tat-
sächlichen Feststellungen aktenwidrig und damit unter Verletzung von § 108
Abs. 1 Satz 1 GG gewonnen.
aa) Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner
freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.
Es gehört hiernach zur Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Wege der frei-
en Beweiswürdigung seine Überzeugung von dem entscheidungserheblichen
Sachverhalt zu bilden. Dem hat es das Gesamtergebnis des Verfahrens zu
Grunde zu legen. Wie es seine Überzeugung bildet, wie es also die ihm vorlie-
genden Tatsachen und Beweise würdigt, unterliegt seiner „Freiheit“. Die Einhal-
tung der daraus entstehenden verfahrensrechtlichen Verpflichtungen ist nicht
schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachen-
material anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Ge-
richt. Die Grenzen der „Freiheit“ des Gericht sind erst dann überschritten, wenn
es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamt-
ergebnis des Verfahrens zu Grunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffas-
sung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsa-
chen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolge-
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rungen gegen die Denkgesetze verstoßen; diese Verstöße gegen den Über-
zeugungsgrundsatz können als Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr, vgl.
Beschlüsse vom 17. Mai 2011 - BVerwG 8 B 88.10 - juris und vom 28. März
2012 - BVerwG 8 B 76.11 - ZOV 2012, 160 m.w.N.).
Die Rüge einer „aktenwidrigen Entscheidung“ bietet nicht die Handhabe, über
die Feststellung von Verfahrensfehlern hinaus die Sachwürdigung des Tatsa-
chengerichts durch eine eigene Sachwürdigung des Revisionsgerichts zu erset-
zen. Eine „aktenwidrige Entscheidung“ liegt erst vor, wenn der Streitstoff, den
das Tatsachengericht seiner Entscheidung zu Grunde legt, von dem tatsächli-
chen Streitstoff, wie er sich aus den Akten ergibt, zu entscheidungserheblichen
Fragen abweicht, sei es dass er darüber hinausgeht, indem aktenwidrig - „ins
Blaue hinein“- Tatsachen angenommen werden, sei es dass er dahinter zu-
rückbleibt, indem Akteninhalt übergangen wird. Letzteres kann aber nicht schon
dann angenommen werden, wenn das Verwaltungsgericht in den Gründen sei-
ner Entscheidung nicht auf sämtliche Umstände eingeht, die sich aus den Akten
ergeben und die für die jeweils behandelte Frage von Bedeutung sein können.
Welche Grundsätze insoweit gelten, hat die Rechtsprechung mit Blick auf die
vorrangige Funktion der Entscheidungsgründe entwickelt, sicherzustellen, dass
dem Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, genügt wird. Das Gericht ist hier-
nach verpflichtet, in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für seine Überzeu-
gungsbildung leitend gewesen sind (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Es ist aber
nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Ent-
scheidung ausdrücklich zu bescheiden. Auch wenn ein einzelnes Vorbringen in
den Entscheidungsgründen unerwähnt bleibt, hat es das Gericht allein deshalb
also noch nicht „übergangen“. Vielmehr ist als Regel davon auszugehen, dass
das Gericht den Beteiligtenvortrag zur Kenntnis genommen und bei seiner Ent-
scheidungsfindung in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung des Gebots, den
Beteiligtenvortrag zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, kann
deshalb nur dann angenommen werden, wenn sich dies aus den besonderen
Umständen des Einzelfalles ergibt (stRspr, BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997
- 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216 f.>). Mit Blick auf die Pflicht zur Aus-
wertung des Akteninhalts bestehen keine strengeren Maßstäbe. Das gilt nicht
nur bei solchem Akteninhalt, den ein Beteiligter zum Gegenstand seines Vor-
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trages gemacht hat, sondern auch und erst recht bei dem sonstigen Aktenin-
halt.
bb) Die Beigeladene wendet sich vor allem gegen die Feststellung des Verwal-
tungsgerichts, dass ein Betrieb, der gemäß § 4 Abs. 1 des Bodenschätzegeset-
zes vom 28. Juni 1947 entschädigungslos und damit rechtsstaatswidrig hätte
entzogen werden können, 1955 gar nicht mehr vorhanden gewesen sei. Soweit
sich dies an die Sachrüge anschließt, das Verwaltungsgericht habe den Unter-
nehmensbegriff des Vermögensgesetzes verkannt, geht die Verfahrensrüge
schon im Ansatz fehl. Es kommt insofern nicht auf den Unternehmensbegriff
des Vermögensgesetzes, sondern auf den Betriebsbegriff des Bodenschätze-
gesetzes an, und zwar in der Auslegung der damals handelnden DDR-
Behörden. Dem Verwaltungsgericht kam es für die Anwendung des § 1 Abs. 1
Buchst. a VermG deshalb nicht darauf an, ob der frühere Tongewinnungs- und
Ziegeleibetrieb der Aktiengesellschaft tatsächlich bereits vor 1955 stillgelegt
worden war; das hat es in anderem Zusammenhang geprüft (und bejaht). Im
Kontext des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG war allein erheblich, ob die DDR-
Enteignungsstellen vom Vorhandensein eines noch werbend tätigen Betriebes
ausgegangen waren, den sie gemäß § 4 Abs. 1 BrBSchG - dann entschädi-
gungslos - enteignet hätten. Dies hat das Verwaltungsgericht verneint, ohne
dass die Beigeladene aufgewiesen hätte, inwiefern dies auf einer selektiven
Auswertung des vorliegenden historischen Aktenmaterials beruhen soll. Danach
ruhte der Betrieb schon seit 1941, mithin seit vierzehn Jahren. Er war weitge-
hend demontiert; das restliche Anlagevermögen war über mehrere Jahre unge-
schützt dem Verfall und auch dem Diebstahl ausgesetzt; Kreditanträge wurden
mangels Sicherheiten abgelehnt; die DDR-Akten bezeichnen den Betrieb selbst
wiederholt als stillgelegt. Zu diesem Akteninhalt steht die Sachwürdigung des
Verwaltungsgerichts nicht im Widerspruch.
Die Beigeladene wendet sich außerdem gegen die Feststellung des Verwal-
tungsgerichts, dass der Enteignungsbeschluss für die gesamte Grundstücksflä-
che der Aktiengesellschaft eine Entschädigung vorgesehen habe. Die Rüge ist
unerheblich; denn sie richtet sich nicht gegen einen Entschädigungsausschluss
im Gesetz, sondern behauptet eine (teilweise) Vorenthaltung einer Entschädi-
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gung in der konkreten Gesetzesanwendung und damit einen Umstand, auf den
es nach der eingangs zitierten Rechtsprechung zu § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG
nicht ankommt. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Feststellung
des Verwaltungsgerichts durchaus nicht aktenwidrig ist. Nach dem Enteig-
nungsbeschluss sollte „das gesamte Grundstück des A.“ enteignet und ent-
schädigt werden. Zwar nahmen der Bezirkstag und der antragstellende Rat des
Bezirkes diese gesamte Grundfläche lediglich mit „ca. 28 Hektar“ - genau mit
28,4014 ha - an, was der Flächensumme der Grundstücke der Beigeladenen
entsprach, welche in Band … Blatt … Nr. … des damaligen Grundbuchs von B.
verzeichnet waren; die weiteren Grundstücke, die in Band … Blatt … eingetra-
gen waren und die zusammen 6,4152 ha umfassten, wurden offenkundig über-
sehen und erst nachträglich in die Rechtsträgernachweise von 1956 aufge-
nommen. Das allein belegt aber nicht, dass diese 6,4152 ha nicht vom Enteig-
nungsbeschluss hätten umfasst sein und entschädigungslos gesondert hätten
enteignet werden sollen. Das Verwaltungsgericht durfte der Akte durchaus ent-
nehmen, dass die gesamten Flächen nach § 4 Abs. 2 BrBSchG entzogen und
entschädigt werden sollten, also auch die irrtümlich übersehenen Grundstücke,
die auf Blatt … des Grundbuchs geführt wurden, zumal gerade hierzu das
Grundstück gehört, auf dem die damals vornehmlich genutzte „Tongrube“ lag.
3. Das Verwaltungsgericht hat auch das Vorliegen einer unlauteren Machen-
schaft im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG ohne Rechtsfehler verneint.
a) Unlautere Machenschaften im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG sind nur bei Vor-
gängen gegeben, in denen im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer
Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR zielgerichtet auf be-
stimmte Vermögenswerte zugegriffen wurde, nicht aber, wenn bei dem Er-
werbsvorgang - gemessen an den in der DDR gültigen Rechtsvorschriften und
den sie tragenden ideologischen Grundvorstellungen - „alles mit rechten Dingen
zugegangen ist“. Die Vorschrift erfasst vor allem zwei Fallgruppen: sei es, dass
ein den gesetzlichen Bestimmungen grundsätzlich entsprechender Enteig-
nungszweck nur vorgeschoben wurde, sei es dass der wahrheitsgemäß ange-
gebene Zweck offenkundig von keiner Rechtsgrundlage gedeckt sein konnte
(stRspr, Urteile vom 28. Juli 1994 - BVerwG 7 C 41.93 - Buchholz 428 § 1
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VermG Nr. 28 und vom 31. August 1995 - BVerwG 7 C 39.94 - Buchholz 428
§ 1 VermG Nr. 53).
b) Das Verwaltungsgericht hat sich von diesen Grundsätzen leiten lassen. Ent-
gegen der Ansicht der Beigeladenen hat es sie auch seiner Rechtsanwendung
zu Grunde gelegt. Es hat in tatsächlicher Hinsicht angenommen, dass Zweck
der Enteignung war, die Tonvorkommen zu sozialisieren, um den Ton abzu-
bauen und zu Bauziegeln zu verarbeiten, und dass dieser Enteignungszweck
nicht lediglich vorgeschoben wurde, sondern in der tatsächlichen Absicht der
Enteignungsbehörden lag. Eine unlautere Machenschaft konnte damit nur nach
der zweiten oben genannten Fallgruppe und also nur dann vorliegen, wenn die-
ser Enteignungszweck offenkundig von keiner Rechtsgrundlage gedeckt sein
konnte. Die Enteignung wurde aber auf eine Rechtsgrundlage gestützt, nämlich
auf das Bodenschätzegesetz vom 28. Juni 1947. Das Verwaltungsgericht ver-
kennt nicht, dass die Tragfähigkeit dieser Rechtsgrundlage in mehrfacher Hin-
sicht zweifelhaft war. Es gelangt aber zu der Wertung, dass ein Überschreiten
der angeführten Rechtsgrundlage weder bewusst erfolgte noch offenkundig
war, so dass der Vorwurf sittlich vorwerfbarer Manipulation sich nicht erheben
lasse. Hierfür spreche, dass die DDR-Stellen seinerzeit über die Tragfähigkeit
und Reichweite des Bodenschätzegesetzes gerade gestritten und erst im Zuge
dieser Diskussion die dann getroffene Entscheidung als „gangbaren Weg“ er-
arbeitet hätten, neben den Bodenschätzen selbst nicht den - nach ihrer Ansicht
stillliegenden - Betrieb als solchen nach § 4 Abs. 1 BrBSchG entschädigungs-
los, sondern dessen noch vorhandenes Anlagevermögen nach § 4 Abs. 2
BrBSchG gegen Entschädigung zu enteignen. Das hält der rechtlichen Überprü-
fung stand. Namentlich lässt sich den Ausführungen des Verwaltungsgerichts
nicht entnehmen, dass es auch bewusste oder offensichtliche Rechtsverletzun-
gen aus dem Anwendungsbereich von § 1 Abs. 3 VermG hätte ausnehmen wol-
len.
Auch der Senat vermag sich der Ansicht der Beigeladenen, die Grenzen des
Bodenschätzegesetzes seien in einem Maße überschritten, dass die Gesetz-
widrigkeit der Enteignung auch den DDR-Stellen bewusst gewesen sein müsse,
auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts
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nicht anzuschließen. Richtig ist, dass die DDR-Stellen davon ausgingen, die
(seinerzeit möglicherweise noch nicht oder nicht vollends demontierten) A. 1947
hätten auf die Listen I und II des Bodenschätzegesetzes gesetzt und nach § 3
Abs. 1, § 4 Abs. 1 BrBSchG enteignet werden müssen. Insofern ging es ihnen
um eine „Nacherfassung“ zur „Wiederherstellung der demokratischen Gesetz-
lichkeit“. Schon dies entsprach der Rechtsüberzeugung der DDR, welche der
Durchsetzung der „materiellen (sozialistischen) Gerechtigkeit“ gegenüber einer
Buchstabentreue im Geiste der Rechtssicherheit im Zweifel den Vorzug gab.
Hinzu kommt, dass der Einwand des DDR-Finanz- und des Innenministeriums
sowie der Staatsanwaltschaft, § 3 Abs. 2 BrBSchG stehe einer Enteignung nicht
auf der Liste I geführter Betriebe entgegen, ernst genommen wurde. Dem
schließlich gefundenen „gangbaren Weg“ lag ersichtlich die Überzeugung zu
Grunde, dass § 3 BrBSchG nur werbende Betriebe betreffe, das Alaunwerk
aber kein werbender Betrieb mehr sei; für stillgelegte Betriebe fehle eine Rege-
lung, so dass die Enteignung der Betriebsreste in einer analogen Anwendung
von § 4 Abs. 2 BrBSchG - gegen Entschädigung - zulässig sei. Da diese Geset-
zesauslegung obendrein vom Rechtsnachfolger des Gesetzgebers selbst, näm-
lich vom Bezirkstag als dem Nachfolger des Landtages der Mark Brandenburg
gut geheißen wurde, ist gemessen an den in der DDR gültigen Rechtsvorschrif-
ten und den sie tragenden ideologischen Grundvorstellungen durchaus „alles
mit rechten Dingen zugegangen“.
Daraus ergibt sich zugleich, dass die durchgeführte Enteignung auch nicht nach
ihrem Ausmaß offensichtlich rechtswidrig war. Die Beigeladene weist zwar da-
rauf hin, dass § 4 Abs. 2 BrBSchG nach seinem Wortlaut nur die Enteignung
derjenigen Grundstücke erlaubte, die zur Erschließung der Bodenschätze erfor-
derlich waren; hierzu hätten nur die tonhaltigen Flächen selbst und allenfalls
Flächen für Zuwegungen und Abbauanlagen gezählt, keinesfalls aber die
Werkswohnungen und restlichen Fabrikanlagen des ruhenden Betriebes sowie
dessen weitere Wald- und Wiesengrundstücke. Demgegenüber hat das Verwal-
tungsgericht jedoch zutreffend hervorgehoben, dass die Enteignung des ge-
samten restlichen Vermögens des stillliegenden Betriebes in der Konsequenz
der gewollten „Nacherfassung“ lag. Die Beigeladene verkennt, dass § 4 Abs. 2
BrBSchG nicht gemäß seinem Wortlaut auf die Entziehung zur Erschließung
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benötigter Flächen, sondern analog auf die Entziehung der vorhandenen Reste
eines stillgelegten Bergbaubetriebes angewendet wurde. Das umfasste sämtli-
che vorhandenen Grundstücke und etwa noch vorhandenes zusätzliches Anla-
gevermögen und unterwarf all dies der Entschädigungspflicht.
c) Zu Unrecht rügt die Beigeladene, das Verwaltungsgericht habe die seiner
rechtlichen Würdigung insofern zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellun-
gen unter Verletzung von Verfahrensrecht, nämlich aktenwidrig (§ 108 Abs. 1
Satz 1 VwGO) sowie unter Verletzung seiner Pflicht zur Erforschung des Sach-
verhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) gewonnen.
aa) Die Verfahrensrügen der Beigeladenen richten sich vornehmlich gegen die
Annahme des Verwaltungsgerichts, die damalige Enteignungsmaßnahme habe
tatsächlich einem dem Bodenschätzegesetz unterfallenden Enteignungszweck
gedient; in Wahrheit sei dieser Enteignungszweck nur vorgeschoben gewesen.
So habe es bei seiner Annahme, die Enteignung habe die Erschließung des
Tonvorkommens bezweckt, diejenigen Aktenteile übergangen, aus denen sich
ergebe, dass es den DDR-Stellen vorrangig um die Herstellung von Tonziegeln
zur Deckung des Baustoffbedarfs gegangen sei. Der Einwand verfängt nicht.
Natürlich sollte das Tonvorkommen erschlossen und ausgebeutet werden, um
Ziegel herzustellen und ggf. auch weitere Ziele - wie die Deckung des Baustoff-
bedarfs, die Erfüllung des diesbezüglichen Plansolls oder die Schaffung neuer
Arbeitsplätze - zu erreichen. Daraus ergibt sich aber nicht, dass das Ziel, das
Tonvorkommen zu erschließen und auszubeuten, nur vorgeschoben war; im
Gegenteil wird die Annahme des Verwaltungsgerichts hierdurch zusätzlich ge-
stützt. Die Rüge zielt denn auch darauf, dass die Herstellung von Tonziegeln
über die Gewinnung des Bodenschatzes Ton hinaus auch die Inbetriebnahme
von Fabrikationsanlagen erforderte. Auch wenn dies richtig ist, so folgt daraus
entgegen der Ansicht der Beigeladenen doch nicht zwingend, dass die DDR-
Stellen einen vorhandenen Ziegeleibetrieb enteignen wollten und (entgegen § 3
Abs. 2 BrBSchG) enteignet hätten. Ebenso möglich ist, dass sie die Wieder-
errichtung des demontierten Werkes an derselben Stelle mit eigenen Aufbau-
mitteln planten.
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Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Betrieb sei weitgehend demontiert
und nicht mehr funktionsfähig gewesen, ist nicht aktenwidrig. Die Rüge, das
Verwaltungsgericht habe diejenigen Aktenteile übergangen, aus denen sich
ergebe, dass werthaltige Betriebsanlagen - darunter 80 Werkswohnungen - vor-
handen gewesen seien, greift nicht durch. Zwar ergibt sich aus den von der
Beigeladenen angeführten Aktenstellen, dass 80 Wohnungen in 20 Häusern
sowie einige Gerätschaften vorhanden waren. Dass das Verwaltungsgericht
hieraus nicht auf das Vorhandensein eines (zwar ruhenden, aber) funktionsfä-
higen Betriebes geschlossen hat, lässt sich aber nicht beanstanden. Die Häuser
waren ausweislich der Akten, die das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung
zu Grunde gelegt hat, sehr alt und dem Verfall ausgesetzt; wie bereits erwähnt,
waren die Fabrikationsanlagen weitgehend demontiert, die restlichen Gerät-
schaften auf dem über Jahre hinweg unbewachten Gelände der Verrottung und
dem Diebstahl preisgegeben; in den Akten der DDR galt der schon seit 1941
ruhende Betrieb als „stillgelegt“. Bei diesem Aktenbefund ist die Annahme, es
habe nach der eigenen Ansicht der DDR-Behörden kein funktionsfähiger Ziege-
leibetrieb mehr bestanden, keinesfalls aktenwidrig.
Die Beigeladene rügt des Weiteren, das Verwaltungsgericht habe diejenigen
Aktenteile übergangen, aus denen sich ergebe, dass die Enteignung auch be-
zweckt habe, die in Westberlin lebende Eigentümerin von der Betriebsführung
auszuschließen. Das wäre erst dann erheblich, wenn die Revision dargetan
hätte, dass sich aus den angeblich übergangenen Aktenteilen ergäbe, dass der
Wohnsitz des enteigneten Eigentümers für die Anwendung oder Nichtanwen-
dung des Bodenschätzegesetzes ausschlaggebend war, m.a.W. dass bei ei-
nem Aktionär mit Wohnsitz in der DDR die Enteignung unterblieben wäre. Das
legt die Revision jedoch nicht dar; allein daraus, dass der Westberliner Wohn-
sitz an einigen Stellen in den DDR-Akten erwähnt - vielleicht sogar hervorgeho-
ben - wurde, ergibt sich hierfür nichts.
bb) Daneben zieht die Beigeladene die Annahme des Verwaltungsgerichts in
Zweifel, dass der - insofern unterstellte - Enteignungszweck der Erschließung
der Tonvorkommen nach dem Bodenschätzegesetz ohne offenkundige Über-
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schreitung dieser Rechtsgrundlage die Enteignung der gesamten Flächen der
Aktiengesellschaft erlaubt habe. Insofern rügt sie, das Verwaltungsgericht habe
diejenigen Aktenteile übergangen, aus denen sich ergebe, dass die ton- oder
alaunhaltigen Flächen nur 1,2500 Hektar und damit nur den geringeren Teil der
enteigneten Grundflächen ausgemacht hätten, oder aus denen sich diese An-
nahme doch jedenfalls in einer Weise aufdränge, die eine Entscheidung ohne
nähere Sachaufklärung - die zudem beantragt worden sei - als Verstoß gegen
§ 86 Abs. 1 VwGO erscheinen lasse.
Das Verwaltungsgericht hat die Beweisangebote für unerheblich erklärt, weil
der Vorwurf einer manipulativen Überschreitung der Rechtsgrundlage voraus-
setze, dass den handelnden DDR-Stellen die Überschreitung bewusst gewesen
sei. Hierfür böten die Altunterlagen jedoch keine Anhaltspunkte. Auch die da-
mals bekannten objektiven Daten zwängen nicht zu diesem Schluss. Zwar sei
nur ein Grundstück im Grundbuch mit einer Teilfläche von 1,2500 Hektar als
„Tongrube“ bezeichnet, während für die übrigen Flächen andere Nutzungsarten
angegeben seien (Holzung, Wald, Acker). Das schließe aber nicht aus, dass die
DDR-Behörden auch unter diesen Flächen Tonvorkommen vermuteten, zumal
sie von einem sehr großen Vorkommen ausgingen, das für mehrere Men-
schenalter ein Drittel des Bedarfs des ganzen Bezirkes decken sollte. Genaue
Untersuchungen habe man damals nicht angestellt; die Unergiebigkeit der übri-
gen Flächen hätte sich aber jedenfalls nicht aufdrängen müssen.
Das ist verfahrensrechtlich einwandfrei; die Beigeladene zeigt nicht auf, dass
dieser Argumentation aktenwidrige Annahmen (oder Ausblendungen) zu Grun-
de lägen, zumal das von ihr selbst vorgelegte historische Gutachten belegt,
dass die gesamte Gegend seit mehreren Jahrhunderten als Tonland bekannt
war und dass in der Umgebung der A. noch andere Tongruben in Betrieb waren
und sind. Die Beigeladene hebt vor allem auf den Grundbuchauszug von 1955
und die dort angegebenen Nutzungsarten der Grundstücke ab. Das Verwal-
tungsgericht hat zwar nur auf den Rechtsträgernachweis von 1957 abgestellt,
hat aber dessen Inhalt - der mit dem Grundbuchauszug übereinstimmt - im Ein-
zelnen gewürdigt; dass der Rechtsträgernachweis erst nach der Enteignung
erstellt wurde und daher den Enteignungsstellen noch nicht bekannt gewesen
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sein konnte, hat es nur als Hilfsargument angeführt (UA S. 23: „zumal ...“). Im
Übrigen verweist das Verwaltungsgericht zusätzlich darauf, dass eine vollstän-
dige Enteignung der Grundflächen in der Konsequenz der „Nacherfassung“ des
(stillliegenden) Betriebes gesehen worden sei; wie gezeigt, trägt schon dies die
angefochtene Entscheidung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 159 VwGO. Die Kos-
tenpflicht des Beklagten ergibt sich dabei aus einer entsprechenden Anwen-
dung des § 154 Abs. 3 VwGO.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Deiseroth
Dr. Hauser
Dr. Held-Daab
Dr. Rudolph
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisions-
verfahren auf 200 000 € festgesetzt.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Deiseroth
Dr. Hauser
Dr. Held-Daab
Dr. Rudolph
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Vermögensrecht
Fachpresse: ja
Verwaltungsprozessrecht
Rechtsquellen:
VermG:
§ 1 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3
VwGO:
§ 108 Abs. 1
Gesetz der Überführung der Bodenschätze und Kohlenbergbaubetriebe in die
Hand des Volkes der Mark Brandenburg vom 28.06.1947
Stichworte:
Vermögensrecht; vermögensrechtliche Ansprüche; Enteignung; entschädi-
gungslose Enteignung; unlautere Machenschaften; offensichtliche Rechtswid-
rigkeit; Bodenschatz; Bodenschätzegesetz; Alaun; Ton; Tonvorkommen; Ziege-
lei; Betrieb; ruhender Betrieb; stillgelegter Betrieb; Demontage; Überzeugungs-
grundsatz; aktenwidrige Feststellungen.
Leitsätze:
Die entschädigungslose Enteignung von Bodenschätzen durch die DDR stellt
keine Maßnahme im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG dar, wenn eine sol-
che Enteignung auch in einem Rechtsstaat als nicht diskriminierend und legitim
angesehen wird.
Unlautere Machenschaften im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG sind nur bei Vor-
gängen gegeben, in denen im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer
Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR zielgerichtet auf be-
stimmte Vermögenswerte zugegriffen wurde, nicht aber, wenn bei dem Er-
werbsvorgang - gemessen an den in der DDR gültigen Rechtsvorschriften und
den sie tragenden ideologischen Grundvorstellungen - „alles mit rechten Dingen
zugegangen ist“ (Bestätigung der Rechtsprechung).
Die Rüge einer „aktenwidrigen Entscheidung“ bietet nicht die Handhabe, über
die Feststellung von Verfahrensfehlern hinaus die Sachwürdigung des Tatsa-
chengerichts durch eine eigene Sachwürdigung des Revisionsgerichts zu erset-
zen. Eine „aktenwidrige Entscheidung“ liegt erst vor, wenn der Streitstoff, den
das Tatsachengericht seiner Entscheidung zu Grunde legt, von dem tatsächli-
chen Streitstoff, wie er sich aus den Akten ergibt, zu entscheidungserheblichen
Fragen offenkundig abweicht, sei es dass er darüber hinausgeht, indem ohne
Grundlage in den Akten - „ins Blaue hinein“ - Tatsachen angenommen werden,
sei es dass er dahinter zurückbleibt, indem Akteninhalt übergangen wird.
Urteil des 8. Senats vom 30. August 2012 - BVerwG 8 C 5.11
I. VG Frankfurt (Oder) vom 25.02.2010 - Az.: VG 4 K 1191/08 -