Urteil des BVerwG vom 16.05.2013

Juristische Person, Eugh, Rechtswidrigkeit, Wirtschaftliches Interesse

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 8 C 35.12
VGH 10 BV 11.2152
Verkündet
am 16. Mai 2013
Hardtmann
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 20. und 21. März 2013
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser, Dr. Held-Daab und
Dr. Rudolph
am 16. Mai 2013 für Recht erkannt:
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend
- bezüglich der Zeit seit dem 1. Juli 2012 - für in der
Hauptsache erledigt erklärt haben, wird das Verfahren
eingestellt. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsge-
richtshofs vom 12. Juni 2012 und das Urteil des Bayeri-
schen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 21. Juli 2011
sind insoweit wirkungslos.
Im Übrigen wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 12. Juni 2012 geändert. Die Berufung
der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwal-
tungsgerichts Regensburg vom 21. Juli 2011 wird zurück-
gewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens
und drei Viertel der Kosten des Revisionsverfahrens; die
übrigen Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Beklag-
te.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Untersagungs-
verfügung, mit der ihr die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung von
Sportwetten verboten wurde.
In der S. Straße … in Ma. vermittelte die Klägerin Sportwetten an Wettanbieter
in M. Nach Anhörung der Klägerin untersagte das Landratsamt K. dieser mit
Bescheid vom 20. Dezember 2010 die Veranstaltung, Durchführung und Ver-
mittlung unerlaubter Glücksspiele in dieser Betriebsstätte. Es forderte sie auf,
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diese Tätigkeiten mit Ablauf des auf die Zustellung des Bescheides folgenden
Tages einzustellen, und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 1 000 € an. Das
Landratsamt stützte die Untersagungsverfügung auf § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3
Nr. 3 GlüStV. Die Vorschrift bezwecke, das Glücksspielangebot zu begrenzen,
den Spieltrieb zu kanalisieren und so die Spielsucht zu bekämpfen. Ein zusätz-
liches Wettangebot widerspreche den Zielen des Sportwettenmonopols, das mit
Unionsrecht vereinbar sei. Im Übrigen sei die Untersagung auch bei Rechtswid-
rigkeit des Monopols ermessensgerecht. Die Klägerin biete Sportwetten an und
vermittle diese, ohne über die erforderliche glücksspielrechtliche Erlaubnis zu
verfügen. Der gesetzliche Erlaubnisvorbehalt sei verfassungs- und unions-
rechtskonform und sei auch nicht allein auf die Durchsetzung des staatlichen
Sportwettenmonopols zugeschnitten. In Ausübung des behördlichen Ermes-
sens werde nach Abwägung des Interesses der Klägerin an einer Fortführung
der unerlaubten Tätigkeit und des öffentlichen Interesses an der Wiederherstel-
lung eines rechtmäßigen Zustandes die unerlaubte Tätigkeit untersagt.
Ein Antrag der Klägerin auf vorläufigen Rechtsschutz blieb ohne Erfolg. Die ge-
gen die Untersagungsverfügung erhobene Klage hat das Bayerische Verwal-
tungsgericht Regensburg mit Urteil vom 21. Juli 2011 abgewiesen. Im Beru-
fungsverfahren hat die Klägerin ihr Klagebegehren für die Zeit bis zur Beru-
fungsentscheidung auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt und an
der Anfechtung nur für den anschließenden Zeitraum festgehalten. Sie meint,
ihr Feststellungsinteresse für die Vergangenheit ergebe sich aus ihrer Absicht,
unionsrechtliche Staatshaftungsansprüche geltend zu machen. Darüber hinaus
bestehe eine Wiederholungsgefahr und - wegen des Vorwurfes strafrechtswid-
rigen Verhaltens - ein Rehabilitierungsinteresse.
Mit Urteil vom 12. Juni 2012 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das
erstinstanzliche Urteil geändert, die Untersagungsverfügung des Beklagten im
Bescheid vom 20. Dezember 2010 aufgehoben und deren Rechtswidrigkeit im
Zeitraum bis zur Berufungsentscheidung festgestellt. Der Untersagungsbe-
scheid habe sich nicht endgültig dadurch erledigt, dass die Klägerin in der Be-
triebsstätte derzeit kein Wettbüro unterhalte. Sie habe glaubhaft vorgetragen,
dass ihr die Betriebsstätte nach wie vor zur Verfügung stehe und dass sie im
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Erfolgsfall dort die Vermittlung von Sportwetten wieder aufnehmen wolle. Die
Untersagung sei rechtswidrig und deshalb für die Zukunft aufzuheben, weil
zwar die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 Nr. 3
GlüStV erfüllt seien, der Beklagte jedoch sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt
habe. Er habe die Untersagung maßgeblich auf das Sportwettenmonopol ge-
mäß § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV gestützt. Diese Vorschrift sei wegen konterkarie-
render Regelung des Sektors der gewerblichen Automatenspiele inkohärent
und beschränke die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit gemäß
Art. 49, 56 AEUV unverhältnismäßig; sie dürfe deshalb nicht angewendet wer-
den. Der Beklagte habe sein Ermessen überdies nicht ergebnisoffen ausgeübt.
Er habe die materiellen Erlaubnisvoraussetzungen nicht zumindest rudimentär
überprüft und sich nicht mit den konkret in Rede stehenden Rechtspositionen
und den widerstreitenden Interessen auseinandergesetzt. Zudem habe der
Verwaltungsgerichtshof bereits entschieden, dass der Erlaubnisvorbehalt eine
vollständige Untersagung der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten
nur bei fehlender Erlaubnisfähigkeit rechtfertige.
Aus den dargelegten Gründen sei die Untersagung auch in der Vergangenheit
rechtswidrig gewesen. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an dieser Fest-
stellung ergebe sich unabhängig von der Absicht, Staatshaftungsansprüche
geltend zu machen, jedenfalls wegen des tiefgreifenden Eingriffs in die Berufs-
freiheit.
Mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision macht der Be-
klagte geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe zu Unrecht ein berechtigtes
Feststellungsinteresse der Klägerin bejaht. Ein Rehabilitierungsinteresse schei-
de aus, da die Klägerin sich als juristische Person nicht strafbar machen könne.
Die Untersagungsverfügung bewirke auch keinen tiefgreifenden Grundrechts-
eingriff, sondern erschöpfe sich in einer Berufsausübungsregelung. Materiell-
rechtlich wende das Berufungsgericht das unionsrechtliche Kohärenzerfordernis
unzutreffend an. Unabhängig davon sei die Untersagung auch unabhängig von
der Anwendbarkeit des Sportwettenmonopols ermessensgerecht. Außerdem
macht der Beklagte Verfahrensmängel geltend.
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Mit Schriftsatz vom 6. November 2012 hat der Beklagte erklärt, aus der ange-
fochtenen Untersagungsverfügung ab dem 1. Juli 2012 keine Rechte mehr her-
zuleiten. Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit überein-
stimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
12. Juni 2012 zu ändern und die Berufung der Klägerin
gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts
Regensburg vom 21. Juli 2011 zurückzuweisen, soweit
der Rechtsstreit noch nicht - in Bezug auf die Zeit seit dem
1. Juli 2012 - in der Hauptsache erledigt ist, sowie der
Klägerin die Kosten des Berufungs- und des Revisionsver-
fahrens insgesamt aufzuerlegen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass an-
stelle der Aufhebung der Untersagungsverfügung deren
Rechtswidrigkeit - auch - in der Zeit von der Entscheidung
des Verwaltungsgerichtshofs bis zum 30. Juni 2012 fest-
gestellt wird, sowie die Kosten des Revisionsverfahrens
insgesamt dem Beklagten aufzuerlegen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil und meint, ein ideelles Feststellungsinte-
resse ergebe sich auch aus dem tiefgreifenden Eingriff in unionsrechtliche
Grundfreiheiten in Verbindung mit der Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs
nach Art. 47 Abs. 1 der Grundrechtecharta der Europäischen Union (GRC). Da-
zu regt die Klägerin eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union
an. Für die von ihr formulierte Vorlagefrage wird auf die Anlage zur Sitzungs-
niederschrift verwiesen. Ferner macht die Klägerin ein Präjudizinteresse wegen
unionsrechtlicher Staatshaftungsansprüche geltend. Die formelle Illegalität ihrer
Tätigkeit könne ihr nicht entgegengehalten werden, weil ihr die Erlaubnis zur
Vermittlung an private Wettanbieter unionsrechtswidrig vorenthalten worden sei.
Ein Verneinen des Feststellungsinteresses entwerte ihren prozessualen Auf-
wand und bringe sie um die Früchte des mehr als vierjährigen Verfahrens. Ma-
teriell-rechtlich hält die Klägerin den Erlaubnisvorbehalt nach § 4 Abs. 1 GlüStV
für unionsrechtswidrig und die Monopolregelung für inkohärent.
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II
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend - bezüglich der Zeit
seit dem 1. Juli 2012 - für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, war das
Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzu-
stellen. Im Umfang der Teilerledigung sind das erstinstanzliche und das Beru-
fungsurteil wirkungslos geworden.
Im Übrigen - soweit die Klägerin begehrt, die Rechtswidrigkeit der Untersagung
bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts und darüber hinaus bis zum
30. Juni 2012 festzustellen - ist die zulässige Revision begründet. Das Urteil
des Verwaltungsgerichtshofs verletzt revisibles Recht, weil es unzutreffend an-
nimmt, die Klägerin habe gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ein berechtigtes
Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit für den bereits abgelaufenen
Zeitraum. Das Urteil beruht auch auf dieser Rechtsverletzung und erweist sich
nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 137 Abs. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Bei
zutreffender Rechtsanwendung hätte es die Fortsetzungsfeststellungsklage für
unzulässig halten müssen. Dies führt zur Änderung des Berufungsurteils und
zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen - klagabweisenden - Urteils. Dem
steht nicht entgegen, dass der Klagantrag umgestellt wurde.
1. In Bezug auf den noch verfahrensgegenständlichen, bereits abgelaufenen
Zeitraum bis zum 30. Juni 2012 kann die Untersagungsverfügung nur mit der
Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO angegriffen
werden.
a) Zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof den entsprechenden Antrag der
Klägerin für die Zeit bis zur Berufungsentscheidung für statthaft gehalten, da die
Untersagung sich als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung grundsätzlich fortlau-
fend für den jeweils abgelaufenen Zeitraum erledigt. Ein Verbot wird durch Zeit-
ablauf gegenstandslos, weil es nicht rückwirkend befolgt oder durchgesetzt
werden kann. Maßnahmen zur Vollstreckung der Untersagung schließen eine
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Erledigung nur aus, wenn sie bei Aufhebung der Grundverfügung noch rück-
gängig zu machen sind. An solchen fehlt es.
b) Für den Zeitraum von der Berufungsentscheidung bis zum Ablauf der Wir-
kung der Untersagung infolge ihrer nachträglichen Befristung zum 30. Juni 2012
hat die Klägerin ihr Anfechtungsbegehren im Revisionsverfahren zulässig auf
einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt. Das Verbot der Klageände-
rung gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO steht nur einer Änderung des Streitge-
genstandes entgegen. Es schließt jedoch nicht aus, von der Anfechtung eines
Verwaltungsakts zu einem Fortsetzungsfeststellungsantrag überzugehen. Die-
ser Antrag ist für die Zeit bis zum 30. Juni 2012 auch statthaft, da die angegrif-
fene Untersagung sich bis zu diesem Tag weiter fortlaufend und mit seinem
Ablauf endgültig erledigt hat. Vorher ist keine endgültige Erledigung eingetreten,
weil die Klägerin ihre Betriebsstätte trotz der Beendigung der Vermittlungstätig-
keit weiter hätte nutzen und auch die Vermittlung von Sportwetten dort jederzeit
hätte wieder aufnehmen können.
2. Zulässig ist die statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage allerdingsnur, wenn
die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit
des erledigten Verwaltungsakts hat. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirt-
schaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtli-
che Entscheidung geeignet ist, die Position der Klägerin in den genannten Be-
reichen zu verbessern (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 4. März 1976 - BVerwG
1 WB 54.74 - BVerwGE 53, 134 <137> und vom 24. Oktober 2006 - BVerwG
6 B 61.06 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 24 Rn. 3). Als Sachentschei-
dungsvoraussetzung muss das Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Zeitpunkt
der gerichtlichen Entscheidung vorliegen. Danach kommt es hier auf den
Schluss der mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz an.
a) Für diesen Zeitpunkt lässt sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse nicht
mit einer Wiederholungsgefahr begründen. Dazu ist nicht nur die konkrete Ge-
fahr erforderlich, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird.
Darüber hinaus müssen die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und
tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sein (Urteil
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vom 12. Oktober 2006 - BVerwG 4 C 12.04 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO
Nr. 23 Rn. 8 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Die für die Beurteilung einer glücks-
spielrechtlichen Untersagung maßgeblichen rechtlichen Umstände haben sich
mit dem Inkrafttreten des Ersten Staatsvertrages zur Änderung des Staatsver-
trages zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15. Dezember 2011
(BayGVBl 2012 S. 318) und dessen landesrechtlicher Umsetzung in Bayern
zum 1. Juli 2012 gemäß §§ 1 und 4 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes
zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland und
anderer Rechtsvorschriften vom 25. Juni 2012 (BayGVBl S. 270) grundlegend
geändert. Dem steht nicht entgegen, dass der allgemeine Erlaubnisvorbehalt für
die Veranstaltung und Vermittlung öffentlichen Glücksspiels nach § 4 Abs. 1
Satz 1 GlüStV und die Ermächtigung zur Untersagung der unerlaubten Veran-
staltung und Vermittlung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV fortgelten. Für die
rechtliche Beurteilung einer Untersagung kommt es auch auf die Verhältnismä-
ßigkeit des mit ihr durchgesetzten Erlaubnisvorbehalts sowie des Verbots selbst
und damit auf Fragen der materiellen Erlaubnisfähigkeit des untersagten Ver-
haltens an (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11
Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 55; dazu näher unten Rn. 45 f.). Insoweit ergeben sich
aus den in Bayern zum 1. Juli 2012 in Kraft getretenen, § 4 GlüStV ergänzen-
den Spezialregelungen betreffend die Veranstaltung und Vermittlung von
Sportwetten erhebliche Unterschiede zur früheren, bis zum 30. Juni 2012 gel-
tenden Rechtslage. Nach § 10a Abs. 1 und 2 i.V.m. §§ 4a ff. GlüStV wird das
staatliche Sportwettenmonopol - zunächst für eine Experimentierphase von sie-
ben Jahren - durch ein Konzessionssystem ersetzt. Gemäß § 10a Abs. 3
GlüStV können bundesweit bis zu 20 Wettunternehmen eine Veranstalterkon-
zession erhalten. Für die Konzessionäre wird das Internetverbot des § 4 Abs. 4
GlüStV, von dem ohnehin nach Absatz 5 der Vorschrift dispensiert werden darf,
nach Maßgabe des § 10a Abs. 4 Satz 1 und 2 GlüStV gelockert. Die Vermitt-
lung konzessionierter Angebote bleibt nach § 10a Abs. 5 Satz 2 GlüStV i.V.m.
§ 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV erlaubnispflichtig. Die Anforderungen an die gewerbli-
che Spielvermittlung werden aber in § 19 i.V.m. §§ 5 bis 8 GlüStV in wesentli-
chen Punkten neu geregelt. So wurden die Werbebeschränkungen des § 5
GlüStV deutlich zurückgenommen (dazu im Einzelnen Beschluss vom 17. Ok-
tober 2012 - BVerwG 8 B 47.12 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 208 Rn. 6). Ande-
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rerseits enthält § 7 Abs. 1 Satz 2 GlüStV eine weitgehende Konkretisierung der
zuvor nur allgemein statuierten Aufklärungspflichten. Außerdem bindet § 8
Abs. 6 GlüStV erstmals auch die Vermittler in das übergreifende Sperrsystem
nach § 23 GlüStV ein. Insgesamt schließen die erheblichen Änderungen der für
die materiell-rechtliche Beurteilung der Untersagung erheblichen Vorschriften
es aus, von einer im Wesentlichen gleichen Rechtslage auszugehen.
Aus der Befristung der experimentellen Konzessionsregelung lässt sich keine
konkrete Wiederholungsgefahr herleiten. Ob der Gesetzgeber das Konzessi-
onssystem und dessen materiell-rechtliche Ausgestaltung nach Ablauf der sie-
benjährigen Experimentierphase auf der Grundlage der inzwischen gewonne-
nen Erfahrungen fortschreiben, modifizieren oder aufgeben wird, ist ungewiss.
Eine Rückkehr zur alten Rechtslage ist jedenfalls nicht abzusehen.
b) Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist auch nicht wegen eines Rehabili-
tierungsinteresses der Klägerin zu bejahen. Die gegenteilige Auffassung der
Vorinstanz beruht auf der Annahme, ein solches Interesse bestehe schon we-
gen des Vorwurfs objektiver Strafbarkeit des untersagten Verhaltens. Dem ver-
mag der Senat nicht zu folgen.
Allerdings fehlt ein Rehabilitierungsinteresse nicht etwa deshalb, weil die Kläge-
rin sich als juristische Person nicht strafbar machen kann. Ebenso wenig kommt
es darauf an, ob der Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1
i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sich nach Art. 19 Abs. 3 GG insgesamt auf juristische
Personen erstreckt. Sie können jedenfalls Ausprägungen dieses Rechts geltend
machen, die nicht an die charakterliche Individualität und die Entfaltung der na-
türlichen Person anknüpfen, sondern wie das Recht am eigenen Wort oder das
Recht auf Achtung des sozialen Geltungsanspruchs und auf Abwehr von Ruf-
schädigungen auch Personengesamtheiten und juristischen Personen zustehen
können (BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 805/98 -
BVerfGE 106, 28 <42 ff.>; BGH, Urteil vom 3. Juni 1986 - VI ZR 102/85 - BGHZ
98, 94 <97>). Die bloße Einschätzung eines Verhaltens als objektiv strafbar hat
aber keinen den Betroffenen diskriminierenden Charakter und kann deshalb
noch kein Rehabilitierungsinteresse auslösen.
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Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht nur, wenn
sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen
ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Um-
feld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben
und noch in der Gegenwart andauern (Beschlüsse vom 4. März 1976 a.a.O.
S. 138 f. und vom 4. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 64.06 - Buchholz 310 § 132
Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 36 S. 4 f.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Soweit die Begründung der Untersagungsverfügung ausführt, die Klägerin habe
strafbare Beihilfe zum unerlaubten Glücksspiel geleistet, kann offen bleiben, ob
darin nur ein Hinweis auf die Erfüllung des objektiven Straftatbestandes oder
ein stigmatisierender Vorwurf schuldhaft-kriminellen Verhaltens der Geschäfts-
führung der Klägerin liegt. Jedenfalls hat eine etwaige Stigmatisierung keine
Außenwirkung erlangt. Der Bescheid war ausschließlich an die Klägerin adres-
siert. Aus den Feststellungen der Vorinstanz ergibt sich weder eine Kundgabe
des Vorwurfs gegenüber Dritten noch die Einleitung eines Strafverfahrens we-
gen der unerlaubten Sportwettenvermittlung. Auch im Revisionsverfahren sind
solche Vorgänge im vorliegenden Fall nicht substantiiert vorgetragen oder sonst
erkennbar geworden. Von einer regelmäßigen Benachrichtigung der Staatsan-
waltschaft hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nur für den - hier nicht
betroffenen - Zuständigkeitsbereich der Stadt München berichtet.
Nachteilige Auswirkungen der Untersagung in künftigen Verwaltungsverfahren
- etwa zur Erlaubniserteilung nach aktuellem Recht - sind nach der im Termin
zur mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebenen Erklärung des Vertreters
des Freistaates Bayern ebenfalls nicht zu besorgen. Danach werden Monopol-
verstöße dort zukünftig nicht als Anhaltspunkt für eine Unzuverlässigkeit von
Konzessionsbewerbern oder Bewerbern um eine Vermittlungserlaubnis gewer-
tet.
c) Entgegen dem angegriffenen Urteil lässt sich ein berechtigtes Feststellungs-
interesse nicht mit dem Vorliegen eines tiefgreifenden Eingriffs in die Berufs-
freiheit nach Art. 12 GG begründen. Die Annahme des Berufungsgerichts,
§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO müsse wegen der Garantie effektiven Rechtsschut-
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zes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Sinne ausgelegt werden, trifft nicht zu.
Eine Ausweitung des Tatbestandsmerkmals des berechtigten Feststellungsinte-
resses über die einfach-rechtlich konkretisierten Fallgruppen des berechtigten
rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses (aa) hinaus verlangt
Art. 19 Abs. 4 GG nur bei Eingriffsakten, die sonst wegen ihrer typischerweise
kurzfristigen Erledigung regelmäßig keiner gerichtlichen Überprüfung in einem
Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten (bb). Eine weitere Ausdehnung
des Anwendungsbereichs, die ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse allein we-
gen der Schwere des erledigten Eingriffs in Grundrechte oder Grundfreiheiten
annimmt, ist auch aus Art. 47 GRC in Verbindung mit dem unionsrechtlichen
Effektivitätsgebot nicht herzuleiten (cc).
aa) Aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO und dem systematischen
Zusammenhang mit § 42 VwGO ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichte nur
ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte in Anspruch
genommen werden können. Nach dem Wegfall der mit dem Verwaltungsakt
verbundenen Beschwer wird gerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nur zur
Verfügung gestellt, wenn der Kläger ein berechtigtes rechtliches, wirtschaftli-
ches oder ideelles Interesse an einer nachträglichen Feststellung der Rechts-
widrigkeit der erledigten Maßnahme hat (dazu oben Rn. 16)Das berechtigte
Feststellungsinteresse geht in all diesen Fällen über das bloße Interesse an der
Klärung der Rechtswidrigkeit der Verfügung hinaus. Dies gilt unabhängig von
der Intensität des erledigten Eingriffs und vom Rang der Rechte, die von ihm
betroffen waren.
bb) Die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG differenziert
ebenfalls nicht nach diesen beiden Kriterien. Sie gilt auch für einfach-rechtliche
Rechtsverletzungen, die - von der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2
Abs. 1 GG abgesehen - kein Grundrecht tangieren, und für weniger schwerwie-
gende Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten. Umgekehrt gebietet die
Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG selbst bei tiefgreifenden Eingriffen in
solche Rechte nicht, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzunehmen, wenn
dies nicht erforderlich ist, die Effektivität des Rechtsschutzes zu sichern.
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Effektiver Rechtsschutz verlangt, dass der Betroffene ihn belastende Eingriffs-
maßnahmen in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen
kann. Solange er durch den Verwaltungsakt beschwert ist, stehen ihm die An-
fechtungs- und die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zur Verfügung.
Erledigt sich der Verwaltungsakt durch Wegfall der Beschwer, wird nach § 113
Abs. 1 Satz 4 VwGO Rechtsschutz gewährt, wenn der Betroffene daran ein be-
rechtigtes rechtliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse hat. In den übri-
gen Fällen, in denen sein Anliegen sich in der bloßen Klärung der Rechtmäßig-
keit des erledigten Verwaltungsakts erschöpft, ist ein Fortsetzungsfeststellungs-
interesse nach Art. 19 Abs. 4 GG zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer
Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon ist nur bei Maß-
nahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie
ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig kei-
ner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könn-
ten. Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflich-
tungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungs-
akts selbst ergibt (BVerfG, Beschlüsse vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99,
1337/00, 1777/00 - BVerfGE 104, 220 <232 f.> und vom 3. März 2004 - 1 BvR
461/03 - BVerfGE 110, 77 <86> m.w.N).
Glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3
GlüStV zählen nicht zu den Verwaltungsakten, die sich in diesem Sinne typi-
scherweise kurzfristig erledigen. Vielmehr sind sie als Verwaltungsakte mit
Dauerwirkung (Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12
GG Nr. 276 Rn. 19 m.w.N.) gerade auf langfristige Geltung angelegt. Dass sie
sich regelmäßig fortlaufend für den bereits zurückliegenden Zeitraum erledigen,
lässt ihre gegenwärtige, sich täglich neu aktualisierende Wirksamkeit und damit
auch ihre Anfechtbarkeit und Überprüfbarkeit im Hauptsacheverfahren unbe-
rührt (vgl. Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Januar 2012,
§ 113 Rn. 85 a.E.). Änderungen der Rechtslage führen ebenfalls nicht zur Erle-
digung. Vielmehr ist die Untersagung anhand der jeweils aktuellen Rechtslage
zu prüfen. Dass ihre Anfechtung sich regelmäßig nur auf eine Aufhebung des
Verbots mit Wirkung ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung richten
kann, stellt keine Rechtsschutzbeschränkung dar. Vielmehr trägt dies dem Um-
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stand Rechnung, dass das Verbot in der Vergangenheit keine Regelungswir-
kung mehr entfaltet, die aufgehoben werden könnte. Im Ausnahmefall, etwa bei
einer noch rückgängig zu machenden Vollziehung der Untersagung, bleibt die-
se wegen ihrer Titelfunktion als Rechtsgrund der Vollziehung rückwirkend an-
fechtbar (Beschluss vom 25. September 2008 - BVerwG 7 C 5.08 - Buchholz
345 § 6 VwVG Nr. 1 Rn. 13; zur Vollzugsfolgenbeseitigung vgl. Urteil vom
14. März 2006 - BVerwG 1 C 11.05 - BVerwGE 125, 110 = Buchholz
402.242 § 63 AufenthG Nr. 2 Rn. 17).
Dass eine untypisch frühzeitige Erledigung im Einzelfall einer streitigen Haupt-
sacheentscheidung zuvorkommen kann, berührt Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Die
Rechtsweggarantie verbietet zwar, gesetzliche Zulässigkeitsanforderungen so
auszulegen, dass ein gesetzlich eröffneter Rechtsbehelf leerläuft, weil das wei-
tere Beschreiten des Rechtswegs unzumutbar und ohne sachliche Rechtferti-
gung erschwert wird (BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 2010 - 2 BvR 1023/08 -
NJW 2011, 137 m.w.N.). Einen solchen Leerlauf hat die dargestellte
Konkretisierung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses aber nicht zur Folge.
Ihre sachliche Rechtfertigung und die Zumutbarkeit ihrer prozessualen Konse-
quenzen ergeben sich daraus, dass eine großzügigere Handhabung dem Klä-
ger mangels berechtigten rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses
keinen relevanten Vorteil bringen könnte und auch nicht dazu erforderlich ist,
maßnahmenspezifische Rechtsschutzlücken zu vermeiden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin wird deren prozessualer Aufwand mit der
endgültigen Erledigung des Verfahrens, wenn kein Fortsetzungsfeststellungsin-
teresse zu bejahen ist, auch nicht entwertet. Das ursprüngliche Klageziel, die
Beseitigung der Untersagung, wird infolge der zur Erledigung führenden Befris-
tung durch das Unwirksamwerden der Verbotsverfügung mit Fristablauf er-
reicht. Das prozessuale Vorbringen zur Zulässigkeit und Begründetheit der Kla-
ge im Zeitpunkt der Erledigung kann sich bei der Kostenentscheidung nach
§ 161 Abs. 2 VwGO zugunsten der Klägerin auswirken. Eine Hauptsacheent-
scheidung in jedem Einzelfall oder gar ein vollständiger Instanzenzug wird
durch Art. 19 Abs. 4 GG nicht gewährleistet.
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cc) Aus der Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs im Sinne des Art. 47 GRC
ergibt sich keine Verpflichtung, das Merkmal des berechtigten Interesses nach
§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO weiter auszulegen.
Allerdings ist nach der unionsgerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen,
dass der sachliche Anwendungsbereich der Grundrechtecharta nach Art. 51
Abs. 1 Satz 1 GRC eröffnet ist, weil die Klägerin Rechtsschutz wegen einer Be-
schränkung ihrer Dienstleistungsfreiheit begehrt. Zur mitgliedstaatlichen Durch-
führung des Unionsrechts im Sinne der Vorschrift rechnet der Gerichtshof nicht
nur Umsetzungsakte im Sinne eines unionsrechtlich - zumindest teilweise - de-
terminierten Vollzugs, sondern auch mitgliedstaatliche Eingriffe in Grundfreihei-
ten nach Maßgabe der allgemeinen unionsrechtlichen Schrankenvorbehalte. An
dieser Rechtsprechung, die vor Inkrafttreten der Charta zur Abgrenzung des
Anwendungsbereichs unionsrechtlicher Grundrechte als allgemeiner Grundsät-
ze des Unionsrechts entwickelt wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juni 1991
- Rs. C-260/89, ERT - Slg.1991 I-2951 ), hält der Gerichtshof weiterhin
fest. Er geht von einer mitgliedstaatlichen Bindung an die Unionsgrundrechte im
gesamten Anwendungsbereich des Unionsrechts aus und verweist dazu auf die
Erläuterungen zu Art. 51 GRC, die nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV, Art. 52
Abs. 7 GRC bei der Auslegung der Charta zu berücksichtigen sind (EuGH, Ur-
teil vom 26. Februar 2013 - Rs. C-
617/10, Ǻkerberg Fransson - EuZW 2013,
302 ). Wie diese Abgrenzungsformel im Einzelnen zu verstehen ist,
inwieweit bei ihrer Konkretisierung grammatische und entstehungsgeschichtli-
che Anhaltspunkte für eine bewusste Begrenzung des Anwendungsbereichs
durch Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC maßgeblich und welche Folgerungen aus
kompetenzrechtlichen Grenzen zu ziehen sind (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom
24. April 2013 - 1 BvR 1215/07 - NJW 2013, 1499 Rn. 88 und 90; zur Entste-
hungsgeschichte Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäi-
schen Union, 3. Aufl. 2011, S. 643 ff.), bedarf hier keiner Klärung. Geht man
von der Anwendbarkeit des Art. 47 GRC aus, ist dieser jedenfalls nicht verletzt.
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- 15 -
Mit der Verpflichtung, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Rechtsverletzun-
gen zur Verfügung zu stellen, konkretisiert Art. 47 Abs. 1 GRC den allgemeinen
unionsrechtlichen Grundsatz effektiven Rechtsschutzes (dazu vgl. EuGH, Urteil
vom 22. Dezember 2010 - Rs. C-279/09, DEB - EuZW 2011, 137 und
Beschluss vom 13. Juni 2012 - Rs. C-156/12, GREP - juris ). Er hin-
dert den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber aber nicht, für die Zulässigkeit eines
Rechtsbehelfs ein qualifiziertes Interesse des Klägers zu fordern und diese An-
forderung im Sinne der soeben unter aa) und bb) (Rn. 24 und 25 ff.) dargeleg-
ten Kriterien zu konkretisieren.
Wie sich aus den einschlägigen unionsgerichtlichen Entscheidungen ergibt,
bleibt es grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen, im Rahmen der Ausge-
staltung ihres Prozessrechts die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse
des Einzelnen zu normieren. Begrenzt wird das mitgliedstaatliche Ermessen bei
der Regelung solcher Zulässigkeitsvoraussetzungen durch das unionsrechtliche
Äquivalenzprinzip, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Effektivitätsge-
bot (EuGH, Urteile vom 11. Juli 1991 - Rs. C-87/90 u.a., Verholen u.a. ./. Socia-
le Verzekeringsbank - Slg. 1991 I-3783 und vom 16. Juli 2009 - Rs.
C-12/08, Mono Car Styling ./. Dervis Odemis u.a. - Slg. 2009 I-6653 ;
Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. ).
Das Äquivalenzprinzip verlangt eine Gleichwertigkeit der prozessrechtlichen
Bedingungen für die Durchsetzung von Unionsrecht und mitgliedstaatlichem
Recht (EuGH, Urteil vom 13. März 2007 - Rs. C-432/05, Unibet ./. Justitiekans-
ler - Slg. 2005 I-2301 ). Es ist hier nicht betroffen, weil die dargelegte
verfassungskonforme Konkretisierung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses
gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht danach unterscheidet, ob eine Verlet-
zung von Unions- oder mitgliedstaatlichem Recht geltend gemacht wird.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verbietet eine Zulässigkeitsregelung, die
das Recht auf Zugang zum Gericht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträch-
tigt, ohne einem unionsrechtlich legitimen Zweck zu dienen und im Verhältnis
dazu angemessen zu sein (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 a.a.O.
; Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. ). Hier fehlt schon
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eine den Wesensgehalt des Rechts selbst beeinträchtigende Rechtswegbe-
schränkung. Sie liegt vor, wenn dem Betroffenen der Zugang zum Gericht trotz
einer Belastung durch die beanstandete Maßnahme verwehrt wird, weil die
fragliche Regelung für den Zugang zum Recht ein unüberwindliches Hindernis
aufrichtet (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 a.a.O. ; Be-
schluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. ). Danach kommt es - nicht anders
als nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 19 Abs. 4
GG - maßgeblich darauf an, dass der Betroffene eine ihn belastende Eingriffs-
maßnahme gerichtlich überprüfen lassen kann. Das war hier gewährleistet, da
die Untersagungsverfügung bis zu ihrer endgültigen Erledigung angefochten
werden konnte und § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eine Fortsetzungsfeststellung
ermöglichte, soweit diese noch zur Abwendung fortwirkender Nachteile von
Nutzen sein konnte. Dass die Vorschrift keinen darüber hinausgehenden An-
spruch auf eine Fortsetzung des Prozesses nur zum Zweck nachträglicher
Rechtsklärung vorsieht, widerspricht nicht dem Wesensgehalt der Garantie ei-
nes wirksamen Rechtsbehelfs. Unabhängig davon wäre selbst eine Beeinträch-
tigung des Rechts in seinem Wesensgehalt verhältnismäßig. Sie wäre geeignet,
erforderlich und angemessen, die Prozessökonomie zur Verwirklichung des
unionsrechtlich legitimen Ziels zügigen, effektiven Rechtsschutzes für alle
Rechtssuchenden zu wahren.
Das Effektivitätsgebot ist ebenfalls nicht verletzt. Es fordert eine Ausgestaltung
des mitgliedstaatlichen Rechts, die die Ausübung unionsrechtlich gewährleiste-
ter Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder unzumutbar erschwert (EuGH,
Urteile vom 11. Juli 1991 a.a.O. und vom 13. März 2007 a.a.O. ). Be-
zogen auf die mitgliedstaatliche Regelung prozessualer Zulässigkeitsvorausset-
zungen ergibt sich daraus, dass den Trägern unionsrechtlich begründeter Rech-
te gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung stehen muss, der eine wirksame
Kontrolle jeder Rechtsverletzung und damit die Durchsetzbarkeit des betroffe-
nen Rechts gewährleistet. Diese Anforderungen gehen nicht über die aus
Art. 19 Abs. 4 GG herzuleitende Gewährleistung einer gerichtlichen Überprüf-
barkeit jedes Eingriffs in einem Hauptsacheverfahren hinaus. Insbesondere
lässt sich aus dem Effektivitätsgebot keine Verpflichtung herleiten, eine Fortset-
zung der gerichtlichen Kontrolle nach Erledigung des Eingriffs unabhängig von
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- 17 -
einem rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Nutzen für den Kläger allein
unter dem Gesichtspunkt eines abstrakten Rechtsklärungsinteresses vorzuse-
hen (vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro, in: - Rs. C-83/91,
Meilicke/ADV/ORGA AG - vom 8. April 1992, Slg. 1992 I-4897 ). Das
gilt erst recht, wenn die Maßnahme bereits Gegenstand einer gerichtlichen
Hauptsacheentscheidung war und sich erst im Rechtsmittelverfahren erledigt
hat.
An der Richtigkeit dieser Auslegung des Art. 47 Abs. 1 GRC und des unions-
rechtlichen Grundsatzes effektiven Rechtsschutzes bestehen unter Berücksich-
tigung der zitierten unionsgerichtlichen Rechtsprechung keine ernsthaften Zwei-
fel im Sinne der acte-clair-Doktrin (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs.
C-283/81, C.I.L.F.I.T. u.a. -, Slg. 1982, S. 3415 ). Die von der Kläge-
rin angeregte Vorlage an den Gerichtshof ist deshalb nach Art. 267 Abs. 3 Ver-
trag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht geboten.
d) Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich schließlich nicht aus der
Präjudizwirkung der beantragten Feststellung für den von der Klägerin ange-
strebten Staatshaftungsprozess. Auch das Berufungsgericht hat das nicht an-
genommen. Ein Präjudizinteresse kann nur bestehen, wenn die beabsichtigte
Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen nicht offensichtlich aussichts-
los ist. Bei der Prüfung dieses Ausschlusskriteriums ist ein strenger Maßstab
anzulegen. Die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs im zivilgerichtlichen Haf-
tungsprozess genügt nicht. Offensichtlich aussichtslos ist eine Staatshaftungs-
klage jedoch, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren
rechtlichen Gesichtspunkt besteht und dies sich ohne eine ins Einzelne gehen-
de Würdigung aufdrängt (Urteile vom 14. Januar 1980 - BVerwG 7 C 92.79 -
Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 95 , vom 29. April 1992 - BVerwG 4 C
29.90 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 247 und vom 8. Dezember 1995
- BVerwG 8 C 37.93 - BVerwGE 100, 83 <92> = Buchholz 454.11 WEG Nr. 7).
Der Verwaltungsprozess muss nicht zur Klärung öffentlich-rechtlicher Vorfragen
der Staatshaftung fortgeführt werden, wenn der Kläger daraus wegen offenkun-
digen Fehlens anderer Anspruchsvoraussetzungen keinen Nutzen ziehen könn-
te. Hier drängt sich schon ohne eine detaillierte Würdigung auf, dass der Kläge-
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rin selbst bei Rechtswidrigkeit der Untersagung keine staatshaftungsrechtlichen
Ansprüche zustehen.
aa) Die Voraussetzungen der Amtshaftung gemäß Art. 34 Satz 1 GG, § 839
BGB oder des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs (zu dessen Herlei-
tung vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 1991 - Rs. C-6/90 und 9/90, Franco-
vich u.a. - Slg. 1991 I-5357 ) liegen ersichtlich nicht vor, ohne dass es
insoweit einer ins Einzelne gehenden Prüfung bedürfte.
Dabei bedarf keiner Prüfung, ob für den hier allein in Rede stehenden Zeitraum
ab Dezember 2010 eine schuldhaft fehlerhafte Rechtsanwendung der Behörden
oder ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht zu bejahen
ist. Jedenfalls fehlt offensichtlich die erforderliche Kausalität zwischen einer et-
waigen Rechtsverletzung und dem möglicherweise geltend zu machenden
Schaden. Das ergibt sich schon aus den allgemeinen Grundsätzen zur Kausali-
tät von fehlerhaften Ermessensentscheidungen für einen etwaigen Schaden.
(1) Die Amtshaftung setzt gemäß § 839 BGB voraus, dass der Schaden durch
das schuldhaft rechtswidrige Handeln des Amtsträgers verursacht wurde. Bei
Ermessensentscheidungen ist das zu verneinen, wenn nicht ausgeschlossen
werden kann, dass auch bei fehlerfreier Rechtsanwendung dieselbe zum Scha-
den führende Entscheidung getroffen worden wäre (BGH, Beschlüsse vom
21. Januar 1982 - III ZR 37/81 - VersR 1982, 275 und vom 30. Mai 1985 - III ZR
198/84 - VersR 1985, 887 f.; Vinke, in: Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch,
Bd. 12, Stand: Sommer 2005, § 839 Rn. 176, zur Unterscheidung von der Figur
rechtmäßigen Alternativverhaltens vgl. ebd. Rn. 178).
Die unionsrechtliche Staatshaftung greift nur bei einem unmittelbaren Kausal-
zusammenhang zwischen der hinreichend qualifizierten Unionsrechtsverletzung
und dem Schaden ein. Diese unionsrechtlich vorgegebene Haftungsvorausset-
zung ist im mitgliedstaatlichen Recht umzusetzen (EuGH, Urteil vom 5. März
1996 a.a.O. ). Sie ist erfüllt, wenn ein unmittelbarer ursächlicher und
adäquater Zusammenhang zwischen dem hinreichend qualifizierten Unions-
rechtsverstoß und dem Schaden besteht (BGH, Urteil vom 24. Oktober 1996
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- III ZR 127/91 - BGHZ 134, 30 <39 f.>; Papier, in: Münchener Kommentar zum
BGB, 5. Aufl. 2009, § 839 Rn. 101). Bei Ermessensentscheidungen ist dieser
Kausalzusammenhang nicht anders zu beurteilen als in den Fällen der Amts-
haftung. Er fehlt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Schaden
auch bei rechtsfehlerfreier Ermessensausübung eingetreten wäre.
Nach beiden Anspruchsgrundlagen käme daher eine Haftung nur in Betracht,
wenn feststünde, dass der Schaden bei rechtmäßiger Ermessensausübung ver-
mieden worden wäre. Das ist für den noch offenen Zeitraum vom Herbst 2010
bis zum 30. Juni 2012 offenkundig zu verneinen. In dieser Zeit war eine Unter-
sagung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV zur Durchsetzung des glücksspiel-
rechtlichen Erlaubnisvorbehalts nach § 4 Abs. 1 GlüStV ermessensfehlerfrei
gemäß Art. 40 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG)
möglich. Es steht auch nicht fest, dass der Beklagte in Kenntnis dieser Befugnis
von einer Untersagung abgesehen hätte.
(2) Der Erlaubnisvorbehalt selbst war unabhängig von der Rechtmäßigkeit des
Sportwettenmonopols verfassungskonform (BVerfG, Kammerbeschluss vom
14. Oktober 2008 - 1 BvR 928/08 - NVwZ 2008, 1338
Rn. 32, 45 und 52>; BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C
13.09 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 273 Rn. 73, 77 ff.) und verstieß auch nicht
gegen Unionsrecht. Er diente nicht allein dem Schutz des Monopols, sondern
auch unabhängig davon den verfassungs- wie unionsrechtlich legitimen Zielen
des Jugend- und Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung. Das in
Art. 2 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum
Glücksspielwesen in Deutschland (BayAGGlüStV) näher geregelte Erlaubnis-
verfahren ermöglichte die präventive Prüfung, ob unter anderem die für die Tä-
tigkeit erforderliche persönliche Zuverlässigkeit vorlag (Art. 2 Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 BayAGGlüStV) und die in Art. 2 Abs. 1 BayAGGlüStV in Bezug genom-
menen Anforderungen des Jugend- und Spielerschutzes nach §§ 4 ff. GlüStV
sowie die besonderen Regelungen der gewerblichen Vermittlung und des Ver-
triebs von Sportwetten nach §§ 19, 21 GlüStV beachtet wurden. Diese gesetzli-
chen Anforderungen waren im Hinblick auf das damit verfolgte Ziel verhältnis-
mäßig und angemessen (Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 80 f., 83).
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- 20 -
Darüber hinaus waren sie hinreichend bestimmt, transparent und nicht diskrimi-
nierend. Gegen etwa rechtswidrige Ablehnungsentscheidungen standen wirk-
same Rechtsbehelfe zur Verfügung (zu diesen Anforderungen vgl. EuGH, Urtei-
le vom 9. September 2010 - Rs. C-64/08, Engelmann - Slg. 2010 I-8219
, vom 19. Juli 2012 - Rs. C-470/11, SIA Garkalns - NVwZ 2012,
1162 sowie vom 24. Januar 2013 - Rs. C-186/11 und C-209/11,
Stanleybet Int. Ltd. u.a. - ZfWG 2013, 95 ).
(3) Weil die Klägerin nicht über die erforderliche Erlaubnis für die Veranstaltung
und die Vermittlung der von ihr vertriebenen Sportwetten verfügte, war der Tat-
bestand der Untersagungsermächtigung offenkundig erfüllt. Art. 40 BayVwVfG
ließ auch eine Ermessensausübung im Sinne einer Untersagung zu. Sie ent-
sprach dem Zweck der Norm, da die Untersagungsermächtigung dazu diente,
die vorherige behördliche Prüfung der Erlaubnisfähigkeit der beabsichtigten
Gewerbetätigkeit zu sichern und damit die mit einer unerlaubten Tätigkeit ver-
bundenen Gefahren abzuwehren. Die Rechtsgrenzen des Ermessens schlos-
sen ein Verbot ebenfalls nicht aus. Insbesondere verpflichtete das Verhältnis-
mäßigkeitsgebot die Beklagte nicht, von einer Untersagung abzusehen und die
formell illegale Tätigkeit zu dulden. Das wäre nur anzunehmen, wenn die for-
mell illegale Tätigkeit die materiellen Erlaubnisvoraussetzungen - mit Ausnahme
der möglicherweise rechtswidrigen Monopolvorschriften - erfüllte und dies für
die Untersagungsbehörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung offensichtlich, d.h.
ohne weitere Prüfung erkennbar war. Dann war die Untersagung nicht mehr zur
Gefahrenabwehr erforderlich. Verbleibende Unklarheiten oder Zweifel an der
Erfüllung der nicht monopolabhängigen Erlaubnisvoraussetzungen rechtfertig-
ten dagegen ein Einschreiten. In diesem Fall war die Untersagung notwendig,
die Klärung im Erlaubnisverfahren zu sichern und zu verhindern, dass durch die
unerlaubte Tätigkeit vollendete Tatsachen geschaffen und ungeprüfte Gefahren
verwirklicht wurden.
Aus dem Urteil des Senats vom 1. Juni 2011 (BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11
Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 55; vgl. die Parallelentscheidungen vom selben Tag
- BVerwG 8 C 4.10 - ZfWG 2011, 341 und Urteile vom 11. Juli 2011 - BVerwG
8 C 11.10 und BVerwG 8 C 12.10 - je juris Rn. 53) ergibt sich nichts anderes.
45
46
- 21 -
Die dortige Formulierung, der Erlaubnisvorbehalt rechtfertige eine vollständige
Untersagung nur bei Fehlen der Erlaubnisfähigkeit, mag Anlass zu Missver-
ständnissen gegeben haben. Sie ist aber nicht als Verschärfung der Anforde-
rungen an die Verhältnismäßigkeit präventiver Untersagungen zu verstehen
und behauptet keine Pflicht der Behörde, eine unerlaubte Tätigkeit bis zur Klä-
rung ihrer Erlaubnisfähigkeit zu dulden. Das ergibt sich schon aus dem Zu-
sammenhang der zitierten Formulierung mit der unmittelbar daran anschließen-
den Erwägung, bei Zweifeln hinsichtlich der Beachtung von Vorschriften über
die Art und Weise der Gewerbetätigkeit kämen zunächst Nebenbestimmungen
in Betracht. Dies beschränkt die Durchsetzbarkeit des glücksspielrechtlichen
Erlaubnisvorbehalts nicht auf Fälle, in denen bereits feststeht, dass die mate-
rielle Erlaubnisfähigkeit endgültig und unbehebbar fehlt. Hervorgehoben wird
nur, dass eine vollständige Untersagung unverhältnismäßig ist, wenn Nebenbe-
stimmungen ausreichen, die Legalität einer im Übrigen offensichtlich erlaubnis-
fähigen Tätigkeit zu sichern. Das setzt zum einen den Nachweis der Erlaubnis-
fähigkeit im Übrigen und zum anderen einen Erlaubnisantrag voraus, da Ne-
benbestimmungen sonst nicht erlassen werden können. Solange nicht offen-
sichtlich ist, dass die materielle Legalität vorliegt oder jedenfalls allein mit Ne-
benbestimmungen gesichert werden kann, bleibt die Untersagung zur Gefah-
renabwehr erforderlich. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem vom Ver-
waltungsgerichtshof angeführten Urteil vom 24. November 2010 (BVerwG 8 C
13.09 - a.a.O. ). Es erkennt eine Reduzierung des Untersagungser-
messens zulasten des Betroffenen an, wenn feststeht, dass dessen unerlaubte
Tätigkeit wesentliche Erlaubnisvoraussetzungen nicht erfüllt. Damit bietet es
jedoch keine Grundlage für den - unzulässigen - Umkehrschluss, nur in diesem
Fall sei eine Untersagung verhältnismäßig.
Die unionsgerichtliche Rechtsprechung, nach der gegen den Betroffenen keine
strafrechtlichen Sanktionen wegen des Fehlens einer unionsrechtswidrig vor-
enthaltenen oder verweigerten Erlaubnis verhängt werden dürfen (EuGH, Urtei-
le vom 6. März 2007 - Rs. C-338/04, Placanica u.a. - Slg. 2007 I-1932
ziffer 4 und Rn. 68 ff.> sowie vom 16. Februar 2002 - Rs. C-72/10 und C-77/10,
Costa und Cifone - EuZW 2012, 275 ), schließt eine ordnungsrechtli-
che präventive Untersagung bis zur Klärung der - monopolunabhängigen - Er-
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- 22 -
laubnisfähigkeit ebenfalls nicht aus. Insbesondere verlangt das Unionsrecht
selbst bei Rechtswidrigkeit des Monopols keine - und erst recht keine sofortige -
Öffnung des Markts für alle Anbieter ohne jede präventive Kontrolle. Vielmehr
steht es dem Mitgliedstaat in einer solchen Situation frei, das Monopol zu re-
formieren oder sich für eine Liberalisierung des Marktzugangs zu entscheiden.
In der Zwischenzeit ist er lediglich verpflichtet, Erlaubnisanträge privater Anbie-
ter nach unionsrechtskonformen Maßstäben zu prüfen und zu bescheiden
(EuGH, Urteil vom 24. Januar 2013 - Rs. C-186/11 u. a., Stanleybet Int. Ltd.
u.a. - a.a.O. ). Einen Anspruch auf Duldung einer unerlaub-
ten Tätigkeit vermittelt das Unionsrecht auch bei Unanwendbarkeit der Mono-
polregelung nicht.
Keiner näheren Prüfung bedarf die Verhältnismäßigkeit der Durchsetzung des
Erlaubnisvorbehalts für den Fall, dass die Betroffenen keine Möglichkeit hatten,
eine Erlaubnis zu erlangen. Der Freistaat Bayern hat nämlich die Entscheidun-
gen des Gerichtshofs vom 8. September 2010 zum Anlass genommen, das Er-
laubnisverfahren nach Art. 2 BayAGGlüStV für private Anbieter und die Vermitt-
ler an diese zu öffnen. Entgegen der Auffassung der Klägerin bot diese Rege-
lung in Verbindung mit den Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrages eine
ausreichende gesetzliche Grundlage für die Durchführung eines Erlaubnisver-
fahrens. Die Zuständigkeit der Regierung der O. ergab sich aus Art. 2 Abs. 4
Nr. 3 BayAGGlüStV. Der möglichen Rechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols
war durch Nichtanwenden der Monopol- und monopolakzessorischen Regelun-
gen Rechnung zu tragen. Die gesetzlich normierten materiell-rechtlichen Anfor-
derungen an das Wettangebot und dessen Vermittlung ließen sich entspre-
chend auf das Angebot privater Wettunternehmer und dessen Vertrieb anwen-
den. Einzelheiten, etwa die Richtigkeit der Konkretisierung einer solchen ent-
sprechenden Anwendung in den im Termin zur mündlichen Verhandlung ange-
sprochenen, im Verfahren BVerwG 8 C 15.12 vorgelegten Checklisten sowie
die Frage, ob und in welcher Weise private Anbieter in das bestehende Spieler-
sperrsystem einzubeziehen waren, müssen hier nicht erörtert werden. Aus ver-
fassungs- und unionsrechtlicher Sicht genügt es, dass eine grundrechts- und
grundfreiheitskonforme Anwendung der Vorschriften mit der Folge einer Er-
laubniserteilung an private Anbieter und deren Vermittler möglich war und dass
48
- 23 -
diesen gegen etwa rechtsfehlerhafte Ablehnungsentscheidungen effektiver ge-
richtlicher Rechtsschutz zur Verfügung stand. Der vom Berufungsgericht her-
vorgehobene Umstand, eine Erlaubniserteilung sei bisher nicht bekannt gewor-
den, ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zwangsläufig auf systema-
tische Rechtsverstöße zurückzuführen. Er kann sich auch daraus ergeben ha-
ben, dass in den zur Kenntnis des Berufungsgerichts gelangten Fällen mindes-
tens eine wesentliche und auch nicht durch Nebenbestimmungen zu sichernde
Erlaubnisvoraussetzung fehlte.
(4) Im vorliegenden Falle war die materielle Erlaubnisfähigkeit der unerlaubten
Tätigkeit für die Behörde des Beklagten im Zeitpunkt ihrer Entscheidung nicht
offensichtlich. Vielmehr war für sie nicht erkennbar, inwieweit die gewerbliche
Sportwettenvermittlung der Klägerin den ordnungsrechtlichen Anforderungen
insbesondere des Jugend- und des Spielerschutzes genügte. Die Klägerin hatte
dazu keine aussagekräftigen Unterlagen vorgelegt, sondern meinte, ihre uner-
laubte Tätigkeit müsse aus unionsrechtlichen Gründen hingenommen werden.
Nach der Verwaltungspraxis des Beklagten ist auch nicht festzustellen, dass
dieser die unerlaubte Tätigkeit in Kenntnis der Möglichkeit einer rechtsfehler-
freien Untersagung geduldet hätte.
bb) Weitere Anspruchsgrundlagen für eine Staatshaftung kommen nicht in Be-
tracht. Eine über die Amtshaftung und den unionsrechtlichen Staatshaftungsan-
spruch hinausgehende Haftung für eine rechtswidrige Inanspruchnahme als
Störer sieht das bayerische Landesrecht nicht vor (vgl. Art. 70 ff. des Polizei-
aufgabengesetzes - BayPAG).
e) Andere Umstände, aus denen sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse
der Klägerin ergeben könnte, sind nicht erkennbar.
49
50
51
52
- 24 -
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 161 Abs. 2 VwGO.
Bezüglich des für erledigt erklärten, in die Zukunft gerichteten Anfechtungsan-
trags war mangels einvernehmlichen Vorschlags der Beteiligten eine hälftige
Kostenteilung zugrunde zu legen, weil seine Erfolgsaussichten offen waren.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Deiseroth
Dr. Hauser
Dr. Held-Daab
Dr. Rudolph
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 50 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG).
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Deiseroth
Dr. Hauser
Dr. Held-Daab
Dr. Rudolph
53
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Glücksspielrecht
Fachpresse: nein
Rechtsquellen:
AEUV
Art. 49 Abs. 1, Art. 56 Abs. 1, Art. 57 Abs. 1 und 3, Art. 267 Abs. 3
GRC
Art. 47
GG
Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 34
VwGO
§ 113 Abs. 1 Satz 4
BGB
§ 839
StGB
§ 284 Abs. 1
GlüStV a.F. §§ 1, 4 Abs. 1, §§ 5, 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3, § 10 Abs. 1, 2 und 5,
§§ 19, 21
AGGlüStV
Art. 2 Abs. 1 bis 4
Stichworte:
Äquivalenzgebot; Amtshaftung; Dauerverwaltungsakt; Dienstleistung; Dienst-
leistungsfreiheit; Effektivitätsgebot; Feststellung; Feststellungsinteresse, be-
rechtigtes; Fortsetzungsfeststellungsklage; Glücksspiel; Imagewerbung; Inter-
net; Jugendschutz; Monopol; Niederlassungsfreiheit; Präjudizinteresse; Rechts-
behelf, wirksamer; Rechtsschutz, effektiver; Rechtsweggarantie; Rehabilitie-
rungsinteresse; Spielerschutz; Sportwetten; Sportwettenmonopol; Staatshaf-
tung; Suchtbekämpfung; Untersagung; Verhältnismäßigkeit; Wetten; Wiederho-
lungsgefahr; Zulässigkeit.
Leitsätze:
1. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer er-
ledigten glücksspielrechtlichen Untersagung wegen Ermessensfehlern ist nicht
mit einem Präjudizinteresse wegen der beabsichtigten Geltendmachung von
Amtshaftungs- oder unionsrechtlichen Staatshaftungsansprüchen zu begrün-
den, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Untersagung auch bei fehlerfreier
Ermessensausübung ergangen wäre.
2. Weder aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG noch aus der Ge-
währleistung eines wirksamen Rechtsbehelfs nach Art. 47 GRC folgt ein Fort-
setzungsfeststellungsinteresse bei jedem erledigten, tiefgreifenden Eingriff in
(benannte) Grundrechte oder in unionsrechtliche Grundfreiheiten. Ein solches
Interesse kann nur bestehen, wenn die begehrte Feststellung die Position des
Klägers verbessern kann oder wenn Eingriffe dieser Art sich typischerweise so
kurzfristig endgültig erledigen, dass sie sonst nicht gerichtlich in einem Haupt-
sacheverfahren zu überprüfen wären.
Urteil des 8. Senats vom 16. Mai 2013 - BVerwG 8 C 35.12
I. VG Regensburg vom 21.07.2011 - Az.: VG RN 5 K 10.2326 -
II. VGH München vom 12.06.2012 - Az.: VGH 10 BV 10.2152 -