Urteil des BVerwG vom 28.04.2010

Firma, Trennung der Verfahren, Unternehmen, Berechtigung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 8 C 18.09
VG 6 K 1540/04 Ge
Verkündet
am 28. April 2010
Thiele
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. April 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser und Dr. Held-Daab
für Recht erkannt:
Soweit die Klägerin ihre Revision zurückgenommen hat,
wird das Revisionsverfahren eingestellt. Im Übrigen wird
die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Gera vom 6. November 2008 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin macht Ansprüche nach dem Vermögensgesetz geltend hinsichtlich
der Teilfläche des heutigen Grundstücks Flurstück Nr. … der Flur … der Ge-
markung E., die vormals im Eigentum der Firma Kurt J. & Co. i.L. stand.
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Das streitgegenständliche und weitere Grundstücke, die Gegenstand anderer
vermögensrechtlicher Verfahren sind, standen seit 1918 im Eigentum der Firma
Sally J. OHG in E. Seit dem Jahr 1924 waren Gesellschafter der OHG Emil J.
(50 %) und die Kinder des verstorbenen Bruders Julius, Kurt und Hilda J. (je
25 %). Alle Gesellschafter waren Angehörige der jüdischen Glaubensgemein-
schaft. Nachdem im August 1931 ein Vergleichsverfahren zur Abwendung des
Konkurses der OHG eröffnet und im September 1931 nach Bestätigung des
Vergleichs wieder aufgehoben worden war, beschlossen die Gesellschafter am
21. Oktober 1931 die Auflösung der Sally J. OHG mit Wirkung zum 1. Oktober
1931. Das Geschäft nebst Firma und Übernahme der Aktiva und Passiva, je-
doch mit Ausnahme der zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Grundstücke
…, wurde an den bisherigen Gesellschafter Emil J. veräußert. Hinsichtlich des
Restvermögens in Form der Grundstücke wurde die Liquidation beschlossen
und unter der neu angenommenen Firma „Kurt J. & Co. i.L.“, E., weitergeführt.
Die Firma war im Handelsregister eingetragen; als Liquidatoren wurden Emil J.
sowie ein in E. ansässiger Rechtsanwalt bestellt. Auf mehrere Nachfragen des
Amtsgerichts hinsichtlich des Standes des Liquidationsverfahrens antwortete
der Liquidator zwischen Dezember 1932 und April 1937 regelmäßig dahinge-
hend, dass die Liquidation noch nicht beendet werden konnte, weil die Lage am
Grundstücksmarkt und die allgemeine wirtschaftliche Depression eine ange-
messene Verwertung des Grundbesitzes der Liquidationsgesellschaft derzeit
nicht möglich mache. Zwei Parzellen wurden 1934 verkauft und die Erlöse an
die Hypothekengläubiger zur anteilmäßigen Befriedigung abgeführt.
Mit Kaufvertrag vom 7. Juli 1937 wurden die der Firma Kurt J. & Co. i.L. gehö-
renden Grundstücke (zusammen 29 375 m
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, darunter auch das streitgegen-
ständliche, später abgeteilte Flurstück Nr. …) lasten- und hypothekenfrei der
Stadt E. zur Errichtung von Volkswohnungen verkauft. Der Kaufpreis betrug
45 000 RM (1,53 RM/m
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) und war durch die Stadthauptkasse bei Auflassung
der Grundstücke an die Verkäuferin zu zahlen. Die Stadt E. wurde am
11. Oktober 1937 im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen. Auf Antrag der
Liquidatoren vom 18. Oktober 1937 wurde die Firma Kurt J. & Co. i.L. am
26. Oktober 1937 im Handelsregister gelöscht.
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Das streitgegenständliche Grundstück wurde nach 1945 als in Volkseigentum
stehend in die Rechtsträgerschaft des VEB … und mit Vermögenszuordnungs-
bescheid vom 1. April 1992 auf den Eigentümer … E. übertragen. Mit Kaufver-
trag vom 10. November 1997 wurde es an Wolfgang und Marianne G. veräu-
ßert. Die Klägerin erklärte später ihre Zustimmung zu diesem Verkauf.
Emil J. verstarb 1948 und wurde von seiner Witwe Adele J. allein beerbt. Diese
verstarb 1963 und wurde von ihrem Sohn Ernst J. beerbt, der 1973 verstarb
und von seiner Witwe Anna J. allein beerbt wurde. Die Klägerin ist alleinige Er-
bin der 1987 verstorbenen Hilda und Kurt J.
Am 12. September 1990 bevollmächtigte Anna J. notariellbeglaubigt die Kläge-
rin, alle Anträge und Anfragen hinsichtlich des in E. befindlichen Grundbesitzes
oder anderweitigen Vermögens, soweit es in ihrem oder im Eigentum ihres ver-
storbenen Ehemannes steht, zu stellen. Die Klägerin sei zudem befugt, den
entsprechenden Grundbesitz und das anderweitige Vermögen zu beliebigen
Bedingungen zu veräußern, auch schenkweise und auch an sich selbst. Die
Klägerin übertrug ausweislich einer notariellen Beglaubigung vom 12. Februar
2001 die vermögensrechtlichen Ansprüche der Anna J. im Oktober 1990
schenkweise an sich selbst.
Mit Antrag vom 18. September/1. Oktober 1990 meldete die Klägerin bei der
Stadtverwaltung E. Ansprüche als Erbin für die Grundstücke in E., … an. Aus-
weislich des Antrages waren beigefügt u.a. „Protokoll des Verkaufs von Emil J.
an die Stadt E. vom 7.7.1937“ und „Verzichtserklärung von Aenne J. (wird
nachgereicht)“. Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen E. gab den
Antrag zuständigkeitshalber nach § 25 VermG an das Thüringer Landesamt zur
Regelung offener Vermögensfragen ab.
Im Verwaltungsverfahren trug die Klägerin vor, der Verkauf der Grundstücke
ihrer Familie sei unter Zwang erfolgt, da die Familie der jüdischen Glaubens-
gemeinschaft angehört habe. Emil J. sei in der sog. Reichskristallnacht ins Kon-
zentrationslager Buchenwald verbracht worden. Die Liquidation der Firma Kurt
J. & Co. i.L. sei beschlossen worden, weil ihr Vater Kurt J. schon seit 1929 kei-
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ne Kunden mehr gefunden habe. Mit Schreiben vom 18. Oktober 1996 wies das
Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen die Klägerin
darauf hin, dass das ehemalige Unternehmen Kurt J. & Co. i.L. Geschädigte
wäre.
Mit Bescheid vom 17. Juni 2003 lehnte das Thüringer Landesamt zur Regelung
offener Vermögensfragen den Antrag der Klägerin im Wesentlichen mit der Be-
gründung ab, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 VermG lägen nicht vor.
Mit ihrer fristgemäß erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst angekündigt zu
beantragen, die Beklagte zu verpflichten, die im Einzelnen mit dem Altbestand
angeführten Grundstücke an die Klägerin zurück zu übertragen. Das Verwal-
tungsgericht hat durch Beschluss vom 28. September 2004 die Verfahren nach
den einzelnen Flurstücknummern und den jeweiligen Verfügungsberechtigten
abgetrennt und unter neuen Aktenzeichen weitergeführt. Mit Beschluss vom
10. März 2008 hat es im vorliegenden Verfahren die B. beigeladen.
In der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2008 hat der Prozessbevoll-
mächtigte der Klägerin nach Erörterung der Sach- und Rechtslage beantragt,
den Bescheid des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögens-
fragen vom 17. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Be-
rechtigung der Klägerin bezüglich der Teilfläche des heutigen Flurstücks Nr. …
der Flur … von E., Blatt …, die vormals das Unternehmensgrundstück der Fir-
ma Kurt J. & Co. i.L. ausmachte, festzustellen. Daraufhin hat das Verwaltungs-
gericht die Beiladung der B. aufgehoben.
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Mit Urteil vom 6. November 2008 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des
Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 17. Juni
2003 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass das ehema-
lige Unternehmen Kurt J. & Co. i.L. Berechtigte im Sinne des Vermögensgeset-
zes in Bezug auf die im Grundbuch von E. auf Blatt … eingetragene Teilfläche
des Flurstücks Nr. … ist, die vormals im Eigentum der Firma Kurt J. & Co. i.L.
stand. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, die Klägerin habe ei-
nen Anspruch auf die Feststellung der Beklagten, dass die Firma Kurt J. & Co.
i.L. Berechtigte im Sinne des § 6 Abs. 1a Satz 1 VermG bezüglich des in Streit
stehenden Grundstücks ist. Der entgegenstehende Bescheid des Thüringer
Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen sei rechtswidrig und ver-
letze die Klägerin in ihren Rechten. Gemäß § 6 Abs. 1a Satz 1 VermG sei Be-
rechtigter bei der Rückgabe oder Rückführung eines Unternehmens derjenige,
dessen Vermögenswerte von Maßnahmen nach § 1 VermG betroffen seien.
Der Anspruch der Klägerin hinsichtlich des streitgegenständlichen Flurstückes
richte sich entsprechend dem Normzweck nach § 6 Abs. 1, Abs. 6a Satz 1
VermG und nicht nach § 3 Abs. 1 VermG, der Ansprüche der Einzelrestitution
betreffe. Das Unternehmen selbst habe seinen Geschäftsbetrieb eingestellt und
könne nicht mehr zurückgegeben werden. Der Antrag der Klägerin erfülle das
erforderliche Quorum nach § 6 Abs. 1a VermG. Die Klägerin sei alleinige
Rechtsnachfolgerin nach Kurt und Hilde J. und repräsentiere damit 50 % der
Anteile. Weitere Anteile könne sie nicht in eigenem Namen auf sich vereinen.
Sie habe allerdings als Vertreterin der Anne J. wirksam Ansprüche angemeldet.
Die von der Klägerin aufgrund der von Anne J. erteilten Vollmacht vorgenom-
mene Abtretung der vermögensrechtlichen Ansprüche an sich selbst sei nicht
wirksam im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 3 VermG. Für die Anmeldung
sei die Unwirksamkeit der Abtretung aber unschädlich, weil ihre Wirksamkeit
nicht rückwirkend, sondern nur mit Wirkung für die Zukunft entfallen sei. Daraus
folge, dass die von der Klägerin zuvor vorgenommenen Rechtshandlungen, die
Anmeldung der vermögensrechtlichen Ansprüche für Anna J. als deren bevoll-
mächtigte Vertreterin, ihre Wirksamkeit behalte. Anna J. repräsentiere als Er-
beserbin nach Emil J. weitere 50 % der Anteile der ehemaligen Firma Kurt J. &
Co. i.L. Die Voraussetzungen des Schädigungstatbestandes des § 1 Abs. 6
Satz 1 VermG seien gegeben. Die Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 i.V.m.
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Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO, dass es sich bei dem Verkauf der Grundstücke um
einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust gehandelt habe, sei nicht wider-
legt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichts ha-
ben sowohl die Klägerin als auch die Beklagte Beschwerde eingelegt. Mit Be-
schluss vom 12. Februar 2009 half das Verwaltungsgericht den Beschwerden
ab und ließ die Revision zu.
Die Klägerin hat zunächst angekündigt, die Herausgabe des der Teilfläche ent-
sprechenden Veräußerungserlöses an sie selbst zu beantragen. Im erstinstanz-
lichen Verfahren habe sie ihren Klageantrag auf die Berechtigtenfeststellung
beschränkt. Nachdem das Verfahren jedoch nicht rechtskräftig abgeschlossen
worden sei, verfolge sie ihren Hauptsacheanspruch mit dem Revisionsantrag
weiter.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu Gunsten der Firma Kurt J. & Co.
i.L. verletze ihre Dispositionsbefugnis. Sie habe mit ihrem Antrag im erstin-
stanzlichen Verfahren die Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihre Berechti-
gung - und nicht diejenige der Liquidationsgesellschaft - festzustellen. Eine
Rückübertragung des untergegangenen Unternehmens sei ausdrücklich nicht
beantragt worden.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
unter Aufhebung des Bescheids des Thüringer Landes-
amtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom
17. Juni 2003 und des Urteils des Verwaltungsgerichts
Gera vom 6. November 2008 die Beklagte zu verpflichten,
die Berechtigung der Klägerin bezüglich der Teilfläche des
heutigen Flurstücks Nr. … der Flur …, eingetragen im
Grundbuch von E., Blatt …, die vormals ein Unterneh-
mensgrundstück der Firma Kurt J. & Co. i.L. war, festzu-
stellen
und
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
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Im Übrigen hat die Klägerin ihre Revision zurückgenommen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen
und
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 6. Novem-
ber 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletze § 30 Abs. 1 Satz 1 VermG, weil für
das Unternehmen Kurt J. & Co. i.L., dessen Berechtigung an dem betroffenen
Vermögenswert festgestellt werden solle, keine Anmeldung vorgenommen wor-
den sei. Deshalb bestehe auch kein materieller Anspruch auf Feststellung der
Berechtigung des Unternehmens. Die Klage sei unbegründet, weil die Klägerin
die Feststellung ihrer eigenen Berechtigung nicht beanspruchen könne.
II
Soweit die Klägerin ihre Revision zurückgenommen hat, war das Verfahren
gemäß § 140 Abs. 1, § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1, § 92 Abs. 3 VwGO einzustel-
len.
Die im Übrigen zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Urteil des
Verwaltungsgerichts verletzt zwar Bundesrecht (1.); die Klägerin hat aber kei-
nen Anspruch auf Feststellung ihrer Berechtigung an dem streitgegenständli-
chen Vermögenswert (2.). Die Revision der Beklagten ist zulässig und begrün-
det (3.).
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht. Mit der Verpflich-
tung der Beklagten, die Berechtigung der Kurt J. & Co. i.L. hinsichtlich des
streitgegenständlichen Grundstücks festzustellen, ist das Verwaltungsgericht
über das Begehren der Klägerin, ihre Berechtigung festzustellen,
hinausgegangen und hat damit § 88 VwGO verletzt. Dieser Antrag beinhaltete
die Rechtsbehauptung, ihr selbst stehe ein Anspruch auf Singularrestitution zu.
Stattdessen hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass die Beklagte die
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Firma Kurt J. & Co. i.L. als Berechtigte festzustellen habe. Für diese Entschei-
dung hätte es eines Klageantrags bedurft, der die geschädigte Unternehmens-
trägerin als Restitutionsberechtigte zum Gegenstand hat. Das Verwaltungsge-
richt hatte die Klägerin im vorbereitenden Verfahren ausdrücklich darauf hinge-
wiesen. Die Klägerin hat dennoch in der mündlichen Verhandlung daran fest-
gehalten, dass sie selbst und nicht die Unternehmensträgerin als Berechtigte
festzustellen sei. Das Verwaltungsgericht verletzt deshalb die Dispositionsbe-
fugnis der Klägerin, wenn es einen Berechtigten feststellt, der es nach dem Wil-
len der Klägerin nicht sein soll. Auch wenn dieser Wille auf einer fehlerhaften
Rechtsauffassung beruht, ist das Verwaltungsgericht gehindert, das ausdrück-
lich nicht Gewollte zuzusprechen.
Eine Auslegung des Antrags der Klägerin dahingehend, dass sie die Feststel-
lung der Berechtigung der Firma Kurt J. & Co. i.L. begehrt, ist nicht möglich.
Hiergegen spricht auch, dass für diesen Unternehmensträger kein Restitutions-
antrag gemäß § 30 Abs. 1 VermG in der Frist des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG
gestellt wurde. Zwar hätte die Klägerin ihren Antrag vom 18. September 1990
unter Umständen dahingehend konkretisieren können, dass sie für das ehema-
lige Unternehmen Kurt J. & Co. i.L. Ansprüche geltend macht. Das Thüringer
Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen hat sie darauf ausdrücklich
hingewiesen. Es mag auch sein, dass der Antrag der Klägerin zusammen mit
den von ihr nach ihrer Auffassung ebenfalls geltend gemachten Ansprüchen der
Anna J. das erforderliche Quorum gemäß § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG erreicht
hätte. Die Klägerin hat aber mehrfach und ausdrücklich auch im Klage- und im
Revisionsverfahren immer wieder darauf bestanden, dass sie nicht für den
Unternehmensträger Kurt J. & Co. i.L., sondern im eigenen Namen Antrag-
stellerin ist und Berechtigte sei. Im Revisionsverfahren hat sie darüber hinaus
die Auffassung vertreten, dass die Firma Kurt J. & Co. i.L. kein Unternehmen im
Sinne des § 6 VermG gewesen sei.
2. Die Revision der Klägerin ist unbegründet, weil sie keinen Anspruch auf Fest-
stellung ihrer Person als Berechtigte hat. Einer Zurückverweisung an das
Verwaltungsgericht zur weiteren Aufklärung bedarf es nicht. Der Senat kann
vielmehr in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO)
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und die Klage abweisen, da das Verwaltungsgericht die erforderlichen tatsäch-
lichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil getroffen hat.
Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1
VermG natürliche und juristische Personen sowie Personenhandelsgesellschaf-
ten, deren Vermögenswerte von Maßnahmen gemäß § 1 VermG betroffen sind,
sowie ihre Rechtsnachfolger. Das Vermögensgesetz differenziert dabei danach,
ob die Schädigung im Sinne des § 1 VermG einen einzelnen Vermögensgegen-
stand oder ein Unternehmen betraf. Der Berechtigte hat daher nicht die Wahl
zwischen einem Anspruch auf das Unternehmen als Ganzes und der Rückfor-
derung einzelner Teile, insbesondere der Betriebsgrundstücke (§ 3 Abs. 1
Satz 3 VermG). Maßgeblich für die Anwendbarkeit der die Singularrestitution
ausschließenden Vorschriften des § 6 VermG ist, ob das Unternehmen als sol-
ches oder ein einzelner Vermögensgegenstand einer Schädigung im Sinne des
§ 1 VermG ausgesetzt war (stRspr; vgl. Urteil vom 28. März 2001 - BVerwG 8 C
6.00 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 42 m.w.N.). Ob die Rückübertragung eines
Unternehmens begehrt wird, richtet sich nach dem Antrag. Dabei ist nicht auf
den Wortlaut des Rückgabeantrags, sondern maßgeblich darauf abzustellen,
wie der Antrag nach den gesamten Umständen des Falles zu verstehen ist (vgl.
Beschluss vom 27. Juli 1993 - BVerwG 7 B 15.93 - Buchholz 112 § 6 VermG
Nr. 1).
Die Klägerin hat das gesamte Verfahren über ausdrücklich darauf bestanden,
dass sie keine Unternehmensrestitution begehrt, sondern einen Anspruch auf
Singularrestitution geltend macht. Als Singularrestitution im Sinne des § 3
Abs. 1 Satz 1 VermG kann ihr der geltend gemachte Anspruch nicht zustehen,
weil der durch den Verkauf der Grundstücke am 7. Juli 1937 gegebenenfalls
Geschädigte nur der damalige Eigentümer des Grundstücks, die Kurt J. & Co.
i.L., sein kann. Die Klägerin ist zwar Rechtsnachfolgerin einzelner Gesellschaf-
ter, nicht aber Rechtsnachfolgerin der Kurt J. & Co. i.L. Deshalb kann sie inso-
weit nicht Berechtigte sein (vgl. dazu auch Urteil vom 17. Dezember 1993
- BVerwG 7 C 5.93 - BVerwGE 95, 1<5> = Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 4,
demzufolge sich, wenn der Rechtsträger des entzogenen Unternehmens Be-
rechtigter ist, die Annahme verbietet, dass der diesem zustehende Anspruch
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auch durch Rückgabe der Vermögensgegenstände an die Gesellschafter des
Berechtigten erfüllt werden kann.).
Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich ihre Berechtigtenstellung
nicht aus § 6 Abs. 10 Satz 6 VermG. Diese Regelung findet, wie sich aus ihrer
systematischen Stellung ergibt, nur im Fall der Unternehmensrestitution, nicht
aber im Fall der Singularrestitution Anwendung. Darüber hinaus trifft sie nur
eine Regelung über die Abwicklung des rückgabeberechtigten Unternehmens
(vgl. Urteil vom 17. Dezember 1993 a.a.O.), nämlich zu der Frage, ob ein nicht
mehr bestehendes und gemäß § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG wiederbelebtes Un-
ternehmen im Register eingetragen werden muss. Die Vorschrift begründet
aber keine selbstständigen Ansprüche auf Rückgabe oder Berechtigtenfeststel-
lung.
Auch wenn man davon ausgeht, dass es sich vorliegend der Sache nach um
einen Fall der Unternehmensrestitution handelt, steht der Klägerin der geltend
gemachte Anspruch nicht zu. Das Unternehmen Kurt J. & Co. i.L., dessen Un-
ternehmenszweck auf die eigene Abwicklung durch Verkauf des Gesellschafts-
vermögens gerichtet war, hatte mit dem Verkauf der das Gesellschaftsvermö-
gen noch ausmachenden Grundstücke am 7. Juli 1937 an die Stadt E. den Ge-
schäftsbetrieb eingestellt. Da die tatsächlichen Voraussetzungen für die Wie-
deraufnahme des Geschäftsbetriebs nach vernünftiger kaufmännischer Beurtei-
lung fehlen, ist eine Rückübertragung des Unternehmens jedoch gemäß § 4
Abs. 1 Satz 2 VermG ausgeschlossen. In Betracht käme zwar, wenn man die
Erfüllung des Quorums gemäß § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG durch die Antragstel-
lung der Klägerin zugleich im Namen ihrer Tante Anna J. unterstellt, ein An-
spruch auf Rückübertragung des streitgegenständlichen Grundstücks nach den
Grundsätzen der sog. Trümmerrestitution im Sinne des § 6 Abs. 6a Satz 1
VermG. Dieser Anspruch würde allerdings wiederum nur der wiederbelebten
Kurt J. & Co. i.L. zustehen, deren Rechtsnachfolgerin die Klägerin nicht ist.
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Als Rechtsnachfolgerin einzelner Gesellschafter der Kurt J. & Co. i.L. könnte
der Klägerin allenfalls ein Anspruch auf Einräumung von Bruchteilseigentum
gemäß § 3 Abs. 1 Satz 10 i.V.m. Satz 4 und 5 VermG zustehen. Diese sog.
ergänzende Singularrestitution kommt hier allerdings nicht zur Anwendung:
Die im Wesentlichen durch das Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz
(WoModSiG vom 17. Juli 1997 - BGBl I S. 1823, 1828) konkretisierte Regelung
stellt zu Gunsten der gemäß § 1 Abs. 6 VermG Geschädigten eine Sonderrege-
lung und eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass eine Rückübertragung
von Vermögenswerten, die vor der Stilllegung eines Unternehmens „wegge-
schwommen“ sind, ausscheidet (vgl. Beschluss vom 22. Dezember 1999
- BVerwG 7 B 141.99 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 37). Aus dieser Sonderre-
gelung erschließt sich die Abgrenzung zwischen § 3 Abs. 1 Satz 10 und § 6
Abs. 6a Satz 1 VermG: Ein Wahlrecht zwischen beiden Anspruchsgrundlagen
kann es bereits wegen der unterschiedlichen (Anspruchs-)Berechtigten nicht
geben. Die Sätze 4 ff. und auch der Satz 10 des § 3 Abs. 1 VermG verfolgen
das Ziel, dem früheren Gesellschafter die „wirtschaftliche Eigentümerstellung“ in
Höhe seines Anteils dadurch möglichst wieder einzuräumen, dass auch nach
der Schädigung aus dem Unternehmensvermögen ausgeschiedene Vermö-
gensgegenstände in die (Bruchteils-)Restitution einbezogen werden (Urteil vom
2. April 2008 - BVerwG 8 C 7.07 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 69 S. 30 f.). Sie
ergänzen damit die Unternehmensrestitution einschließlich der Restitution von
Anteilsrechten und Unternehmensresten durch eine Singularrestitution. Aus
dieser (bloß) ergänzenden Funktion - hier: zur Restitution von Unternehmens-
resten nach § 6 Abs. 6a Satz 1 VermG - folgt, dass der Restitution nach § 6
Abs. 6a Satz 1 VermG Vorrang zukommt. § 6 Abs. 6a Satz 1 VermG ist auf jene
Vermögensgegenstände anzuwenden, die sich im Zeitpunkt der Schädigung
des Unternehmens in seinem Eigentum befanden und zum Zeitpunkt der Still-
legung des Unternehmens zu seinem Vermögen gehörten. Demgegenüber fin-
det § 3 Abs. 1 Satz 10 VermG Anwendung auf solche Vermögenswerte, die
nach § 6 Abs. 6a Satz 1 VermG nicht restituierbar sind, weil sie vor der Stillle-
gung des Unternehmens weggeschwommen sind.
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Geht man davon aus, dass auch die Kurt J. & Co. i.L. als Liquidationsgesell-
schaft noch als werbendes Unternehmen anzusehen war - nur für diesen Fall
kommen überhaupt § 3 Abs. 1 Satz 10 und § 6 Abs. 6a VermG als Rechts-
grundlagen in Betracht -, so fiel die Stilllegung des Unternehmens mit der
Schädigung zusammen. Die am 7. Juli 1937 an die Stadt E. verkauften
Grundstücke stellten das restliche Unternehmensvermögen dar. Mit diesem
Verkauf wurde der Geschäftsbetrieb faktisch eingestellt. Gleichzeitig war der
Unternehmenszweck, nämlich der Verkauf des Gesellschaftsvermögens, erfüllt.
Das reicht für die Annahme der Stilllegung aus, weil dafür auf eine wirtschaft-
liche Betrachtungsweise abzustellen ist (vgl. Beschluss vom 27. Juli 1993
a.a.O.; Urteil vom 28. März 2001 a.a.O. S. 35 f.). Fällt die Stilllegung mit der
Schädigung zusammen, so kommt als Rechtsgrundlage einer Rückübertragung
nur § 6 Abs. 6a Satz 1 VermG in Betracht. Für eine Anwendung des § 3 Abs. 1
Satz 10 VermG ist daneben kein Raum.
Der Anspruch nach § 6 Abs. 6a Satz 1 VermG könnte aber, wie dargelegt wie-
derum nur von der Kurt J. & Co. i.L. geltend gemacht werden, nicht von der Klä-
gerin.
Auf die von der Klägerin darüber hinaus aufgeworfene Frage, ob die Abtretung
der Ansprüche der Anna J. an die Klägerin wirksam war, kommt es für das vor-
liegende Verfahren nicht an.
Auch die Auffassung der Klägerin, aus der Trennung der Verfahren nach ein-
zelnen Flurstücken durch das Verwaltungsgericht ergebe sich, dass es sich um
einen Fall der Singularrestitution handeln müsse und ihr Anspruch begründet
sei, trifft nicht zu. Zum einen ist eine solche prozessuale Maßnahme des Ver-
waltungsgerichts nicht geeignet, den Charakter des materiellen Anspruchs zu
verändern; zum anderen würde auch die Annahme einer Singularrestitution
- wie oben dargelegt - der Klage nicht zum Erfolg verhelfen, weil dieser An-
spruch nicht der Klägerin, sondern der Kurt J. & Co. i.L. zustehen würde.
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3. Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts
verletzt Bundesrecht, weil es gegen § 88 VwGO verstößt. Es stellt sich auch
nicht aus anderen Gründen als richtig dar (s.o.1.). Da, wie oben dargelegt, der
Anspruch der Klägerin auf Feststellung ihrer Berechtigung unbegründet ist,
musste die Klage abgewiesen werden, was das Ziel der Revision der Beklagten
war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Gödel
Dr. von Heimburg
Dr. Deiseroth
Dr. Hauser
Dr. Held-Daab
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren bis zur teil-
weisen Rücknahme der Revision auf 22 500 €, danach auf 15 000 € festge-
setzt.
Gödel
Dr. von Heimburg
Dr. Deiseroth
Dr. Hauser
Dr. Held-Daab
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Vermögensrecht
Fachpresse: nein
Rechtsquellen:
VermG
§ 3 Abs. 1 Satz 1 und 10; § 6 Abs. 6a und Abs. 10 Satz 6
Stichworte:
Antragstellung; Singularrestitution; Unternehmensrestitution; Unternehmensträ-
ger; Berechtigter; Rechtsnachfolger; Abwicklungsregelung.
Leitsatz:
§ 3 Abs. 1 Satz 10 VermG findet auf solche Vermögenswerte Anwendung, die
nach § 6 Abs. 6a Satz 1 VermG nicht restituierbar sind, weil sie vor der Stillle-
gung des Unternehmens „weggeschwommen“ sind.
Urteil des 8. Senats vom 28. April 2010 - BVerwG 8 C 18.09
I. VG Gera Urteil vom 06.11.2008 - Az.: VG 6 K 1540/04 -