Urteil des BVerwG vom 31.08.2012

Satzung, Überzeugung, Genehmigung, Übertragung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 93.11
OVG 10 LB 63/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. August 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 127 822,97 €
festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Die Verfahrensbeteiligten streiten über den von der Klägerin geltend gemachten
Anspruch auf Rückgewähr von Verwaltungsträgeranteilen der Beklagten an der
Beigeladenen.
Die Beigeladene ist ein öffentlich-rechtliches Versicherungsunternehmen in der
Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 1
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Nr. 5, Abs. 2 des Gesetzes über die öffentlich-rechtlichen Versicherungsunter-
nehmen in Niedersachsen - NöVersG - vom 10. Januar 1994 - Nds. GVBl S. 5),
deren Zweck im Betrieb der Schadenversicherung mit Ausnahme der Kraft-
fahrtversicherung in ihrem Geschäftsgebiet, dem ehemaligen Regierungsbezirk
Aurich, besteht.
Die Klägerin war bis Dezember 1992 alleinige Verwaltungsträgerin der Beigela-
denen. Im März 1992 beschloss die Landschaftsversammlung der Klägerin als
Satzungsorgan der Beigeladenen eine Änderung ihrer Verfassung, wonach
künftig die Klägerin zusammen mit der Beklagten und dem Niedersächsischen
S…verband (N.) paritätische Mitträger der Beigeladenen sind. Im Juni 1992 ver-
einbarten die Klägerin, die Beklagte und der N. einen Konsortialvertrag, der im
Dezember 1992 geändert wurde. Dieser sieht vor, dass die Klägerin, der N. und
die Beklagte bei der Beigeladenen künftig gemeinsam die Verwaltungsträger-
schaft übernehmen; die Klägerin einerseits sowie der N. und die Beklagte ande-
rerseits sollten „paritätisch Träger“ der Beigeladenen werden; von dem Träger-
kapital sollte die Klägerin einen Trägeranteil von 50 % sowie die Beklagte und
der N. jeweils 25 % halten. Der Konsortialvertrag, der weitere Regelungen unter
anderem zur Übertragung des Versicherungsbestandes der Beklagten in den
von der Beigeladenen betriebenen Sparten auf diese enthielt, sollte gleichzeitig
mit der Neufassung der Satzung der Beigeladenen in Kraft treten und frühes-
tens zum 31. Dezember 2004 kündbar sein. Die von der Landschaftsversamm-
lung der Klägerin als Satzungsorgan der Beigeladenen beschlossene Neufas-
sung der Satzung der Beigeladenen vom 28. November 1992 trat nach ihrer
Genehmigung durch das Niedersächsische Finanzministerium und ihrer Veröf-
fentlichung am 1. Januar 1993 in Kraft. Eine weitere Änderung der Satzung
wurde am 25. März 1995 beschlossen, die nach Genehmigung durch das zu-
ständige Ministerium und ihrer Veröffentlichung am 1. Januar 1995 in Kraft trat.
Die Beklagte, die Beigeladene sowie die P. Lebensversicherung Han…, die mit
der Beklagten die Versicherungsgruppe H. bildet, hatten zuvor 1993 eine Ver-
einbarung geschlossen, wonach der Beigeladenen in der Funktion einer Lan-
desdirektion der Beklagten und der P. Lebensversicherung Han… bestimmte
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Aufgaben übertragen wurden; diese Vereinbarung wurde 1995 durch eine wei-
tere Kooperationsvereinbarung und einen Landesdirektionsvertrag ergänzt.
Nachdem es zu schwerwiegenden Unstimmigkeiten insbesondere bei der Be-
stellung des Vorstandes der Beigeladenen und hinsichtlich gemeinsamer Versi-
cherungsagenturen gekommen war, kündigte die Beklagte unter dem 22. Okto-
ber 1997 die Kooperationsvereinbarung und den Landesdirektionsvertrag frist-
los. Außerdem kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 22. Januar 2002 den
im Juni/Dezember 1992 mit der Klägerin und dem N. geschlossenen Konsor-
tialvertrag.
Da die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit ungeachtet der erfolgten Kündigungen
im Geschäftsgebiet der Beigeladenen fortsetzte, erstrebt die Klägerin nach dem
Scheitern außergerichtlicher Schlichtungsversuche die gerichtliche Verpflich-
tung der Beklagten, einer Änderung der Satzung der Beigeladenen in deren
Trägerversammlung dahingehend zuzustimmen, dass Träger der Beigeladenen
nur die Klägerin und der N. sind, hilfsweise festzustellen, dass nur sie selbst
Trägerin der Beigeladenen ist, und äußerst hilfsweise festzustellen, dass die
Beklagte nicht mehr Mitträgerin der Beigeladenen ist. Klage und Berufung hat-
ten keinen Erfolg.
II
Die Beschwerde der Klägerin gegen die im Urteil des Oberverwaltungsgerichts
vom 30. Juni 2011 erfolgte Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Der
allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Verletzung des Überzeugungs-
grundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht ersichtlich.
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Gementscheidet das Gericht nach seiner freien,
aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es ge-
hört hiernach zur Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Wege der freien Be-
weiswürdigung seine Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sach-
verhalt zu bilden. Dem hat es das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu
legen. Wie es seine Überzeugung bildet, wie es also die ihm vorliegenden Tat-
sachen und Beweise würdigt, unterliegt seiner „Freiheit“. Die Einhaltung der
daraus entstehenden verfahrensrechtlichen Verpflichtungen ist nicht schon
dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial
anders würdigen oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Die
„Freiheit“ des Gerichts ist erst dann überschritten, wenn es entweder seiner
Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens
zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserhebli-
chen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn
die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen;
diese Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz können als Verfahrens-
mängel gerügt werden (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 17. Mai 2011 - BVerwG
8 B 88.10 - juris und vom 28. März 2012 - BVerwG 8 B 76.11 - juris m.w.N.).
Solche Verstöße sind mit der Beschwerde nicht dargetan.
Soweit die Klägerin rügt, das angegriffene Urteil sei widersprüchlich begründet
und verstoße deshalb gegen die Denkgesetze, weil das Berufungsgericht einer-
seits annehme, dass sich die Rechtsverhältnisse von öffentlich-rechtlichen Ver-
sicherungsunternehmen ausschließlich nach dem Gesetz über die öffentlich-
rechtlichen Versicherungsunternehmen in Niedersachsen (NöVersG) richteten,
während es andererseits von der Möglichkeit vertraglicher Regelungen mit
Auswirkungen auf die Rechtsverhältnisse ausgehe, ergibt sich daraus kein Ver-
stoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Eine Verletzung der Denkgesetze stellt nur dann auch eine Verletzung von
§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO dar, wenn er sich auf die tatsächliche Würdigung
bezieht und nicht die rechtliche Subsumtion betrifft (vgl. z.B. Urteil vom 19. Ja-
nuar 1990 -- BVerwGE 84, 271 = Buchholz 310 § 108
VwGO Nr. 225 und Beschlüsse vom 3. April 1996 --
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Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 269 und vom 2. August 2007 - BVerwG 8 B
23.07 - juris). Die Beschwerde bemängelt aber letztlich nicht die Würdigung tat-
sächlicher Umstände durch das Berufungsgericht, sondern dessen rechtliche
Folgerungen.
Unabhängig davon ist ein Verstoß gegen die Denkgesetze auch nicht ersicht-
lich. Ein Tatsachengericht hat nicht schon dann gegen die Denkgesetze versto-
ßen, wenn es nach Meinung des Beschwerdeführers unrichtige oder fernlie-
gende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeu-
gende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen. Es muss sich viel-
mehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss han-
deln (stRspr; Urteil vom 20. Oktober 1987 - - Buchholz
310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 37; Beschlüsse vom 14. März 1988 -
- Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 199 und vom 8. Juli 1988 -
- Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 34). Nach dem Sachverhalt darf denk-
gesetzlich ausschließlich eine einzige Folgerung möglich sein, die das Gericht
aber nicht gezogen hat.
Einen solchen Verstoß legt die Beschwerde nicht dar.
Die Aussage im Berufungsurteil, landesrechtliche Bestimmungen ließen ver-
tragliche Vereinbarungen über die Begründung einer Mit-Verwaltungsträger-
schaft zu, steht zu der weiteren Aussage, einem Träger stehe keine „Ausschlie-
ßungsbefugnis“ gegenüber einem anderen Mitträger zu, nicht in denkgesetzli-
chem Widerspruch.
Wenn zur Begründung einer Verwaltungsträgerschaft eine (zustimmende) ver-
tragliche Vereinbarung unter den Trägern notwendig ist, folgt daraus logisch
nicht zwingend, dass dann ein Träger unter bestimmten Voraussetzungen auch
einen Anspruch auf Ausschluss der anderen Mitträger oder einen Anspruch auf
Übertragung der Trägerschaft auf sich selbst hat. Die jeweiligen Rechtsfolgen
dafür bestimmen sich nach den insoweit maßgeblichen gesetzlichen Vorschrif-
ten, die vorliegend als Landesrecht nicht revisibel sind (§ 137 Abs. 1 VwGO).
Das Berufungsgericht ist bei der Auslegung und Anwendung dieser landes-
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rechtlichen Regelungen zu der Schlussfolgerung gelangt, für die wirksame Ein-
räumung der Mitträgerschaft der Beklagten an der Beigeladenen sei allein die in
dem Konsortialvertrag zum Ausdruck gekommene Einwilligung der Beklagten in
die durch Satzungsänderung erfolgende Übertragung dieser Rechtsstellung
eine notwendige, aber auch hinreichende Voraussetzung gewesen. Begründet
hat es diese Rechtsauffassung damit, dass eine Begründung der Mitträger-
schaft hinsichtlich der Beigeladenen allein durch einseitige Beschlussfassung
der Landschaftsversammlung der Klägerin „ohne vorherige, hier vertragliche
Einbindung der Beklagten“ angesichts der daraus resultierenden rechtlichen
Verpflichtungen „schlichtweg unvorstellbar“ sei; eine nach den landesrechtli-
chen Bestimmungen erforderliche Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde
wäre nicht erteilt worden, wenn nicht der Nachweis erbracht worden wäre, dass
die Beklagte bereit gewesen sei, zukünftig als Mitträgerin der Beigeladenen im
Rechtsverkehr aufzutreten und in der Anstalt zu agieren (UA S. 19).
Die Klägerin übersieht, dass von der Frage, welche Bedingungen für die Ein-
räumung einer Mitträgerschaft an der Beigeladenen erfüllt sein müssen, die Vo-
raussetzungen zu unterscheiden sind, unter denen ein Mitträger an einer öffent-
lich-rechtlichen Anstalt einen Anspruch auf Ausschluss eines anderen Mitträ-
gers hat.
Das Berufungsgericht ist in Auslegung und Anwendung der einschlägigen lan-
desrechtlichen Bestimmungen zum Ergebnis gelangt, dass der niedersächsi-
sche Landesgesetzgeber für einen Mitträger nicht die Möglichkeit eröffnet habe,
entsprechend der für Personengesellschaften bestehenden Regelung in § 140
Abs. 1 HGB eine Ausschließungsklage zu erheben, obwohl er nicht übersehen
habe, dass sich ein Bedürfnis für die Beendigung der Trägerschaft an einem
öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen ergeben könne. Für eine ana-
loge Anwendung des § 140 HGB sei unter anderem deshalb kein Raum, weil
sich nach § 4 NöVersG die Rechtsverhältnisse der öffentlich-rechtlichen Versi-
cherungsunternehmen ausschließlich nach diesem Landesgesetz und ihren
Satzungen bestimmten. Nach § 4 NöVersG sei es nicht möglich, die mit der
Klage verfolgten Begehren auf andere Rechtsgrundlagen (öffentlich-rechtlicher
Erstattungsanspruch; Wegfall der Geschäftsgrundlage) zu stützen. Auch wenn
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dieses Ergebnis unbefriedigend sei, sei es im Hinblick auf die landesrechtlichen
Regelungen hinzunehmen, zumal es die Klägerin in der Hand gehabt habe, im
Zuge der Einräumung der Mitträgerschaft der Beklagten an der Beigeladenen
durchzusetzen, dass in die Satzung der Beklagten geeignete Regelungen für
den Fall unüberbrückbarer Unstimmigkeiten zwischen den Trägern der Beigela-
denen aufgenommen wurden. Außerdem sei das Gericht überzeugt, dass die
Klärung der Konkurrenzsituation zwischen der Beklagten und der Beigeladenen
durch sein Urteil vom 30. Juni 2011 im Parallelverfahren (Az.: 10 LB 98/07), in
dem es um den von der Beigeladenen gegen die Beklagte geltend gemachten
Anspruch auf Unterlassung der Verletzung ihres Geschäftsgebietes geht, dazu
beitragen werde, einvernehmliche Lösungen für die zwischen den Beteiligten
bestehenden Konflikte finden zu können.
Die Klägerin mag die einschlägigen landes- und satzungsrechtlichen - nicht re-
visiblen - Regelungen anders interpretieren. Daraus ergibt sich indes noch kein
Verstoß deren Auslegung und Anwendung durch das Berufungsgericht gegen
die Gesetze der Logik und damit gegen den Überzeugungsgrundsatz.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene im
Beschwerdeverfahren keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit auch kei-
nem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es nicht der Billigkeit, ihre außerge-
richtlichen Kosten der unterliegenden Partei aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3
VwGO). Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1
GKG.
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