Urteil des BVerwG vom 28.03.2012

Rechtliches Gehör, Enteignung, Rückgabe, Aktenwidrige Feststellung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 76.11
VG 6 K 985/08 Ge
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. März 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser und Dr. Held-Daab
beschlossen:
Das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2011
ergangene und mit Beschluss vom 15. August 2011 berichtigte
Urteil des Verwaltungsgerichts Gera wird aufgehoben. Die Sa-
che wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an
das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbe-
halten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 500 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin begehrt die Rückgabe unter anderem von Waldgrundstücken, die sei-
nerzeit zu einem holzverarbeitenden Unternehmen gehört hatten, das von ihrer
Rechtsvorgängerin in Gehren/Thüringen betrieben, aber am 5. Juli 1951 enteignet
und in Volkseigentum überführt worden war. Die Berechtigung der Klägerin an dem
entzogenen Unternehmen ist unanfechtbar festgestellt. Mit Bescheid vom 13. August
2008 lehnte der Beklagte die Rückübertragung des noch lebenden Unternehmens
ab, weil dieses 1991 privatisiert worden war, sprach der Klägerin aber den von der
Treuhandanstalt erzielten Veräußerungserlös zu. Zugleich lehnte er die Rücküber-
tragung unter anderem der Waldgrundstücke mit der Begründung ab, diese hätten im
Zeitpunkt der Veräußerung nicht mehr zum Unternehmensvermögen gehört, sondern
seien zuvor „weggeschwommen“; ihre Rückgabe könne neben der Restitution des
Unternehmens nicht verlangt werden. Mit ihrer Klage hat die Klägerin im Wesentli-
chen geltend gemacht, die Waldgrundstücke hätten schon im Zeitpunkt der Schädi-
gung nicht mehr zum Betriebsvermögen des Unternehmens gehört und unterlägen
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deshalb der Einzelrestitution. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und
die Revision nicht zugelassen.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin unter
anderem als Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), das Urteil des Verwal-
tungsgerichts beruhe auf aktenwidrigen Feststellungen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO)
und, sinngemäß, auf einer Verletzung des Gebots, rechtliches Gehör zu gewähren
(§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG). Das trifft zu. Der Senat macht zum Zwe-
cke der Verfahrensbeschleunigung von der Möglichkeit Gebrauch, das Urteil im Be-
schlusswege aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).
1. Ohne Erfolg bleiben allerdings diejenigen Rügen, mit welchen die Klägerin ihren
hauptsächlichen Klagevortrag weiterverfolgt, die Waldgrundstücke hätten im Zeit-
punkt der Schädigung nicht mehr zum Betriebsvermögen des Unternehmens gehört.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin, die
einen Antrag auf Rückgabe des Unternehmens gestellt hat und dem Grunde nach
stellen konnte, nicht daneben oder stattdessen die Rückgabe einzelner Vermögens-
gegenstände verlangen kann (§ 3 Abs. 1 Satz 3 VermG). Der Berechtigte hat nicht
die Wahl zwischen einem Anspruch auf das Unternehmen als Ganzes und der Rück-
forderung einzelner seiner Teile, insbesondere der Betriebsgrundstücke. Das dient
dem Zweck, lebensfähige Unternehmen zu erhalten und die Gläubiger vor einer
Schmälerung der Haftungsgrundlage zu schützen (Urteil vom 6. April 1995 - BVerwG
7 C 11.94 - BVerwGE 98, 154 <159> = Buchholz 111 Art. 22 EV Nr. 10). Daraus folgt
aber zugleich, dass sich dieser Vorrang der Unternehmensrestitution auf diejenigen
Vermögensgegenstände beschränkt, die im Zeitpunkt der Schädigung zum Betriebs-
vermögen des Unternehmens gehörten (vgl. Urteil vom 13. Februar 1997 - BVerwG
7 C 54.96 - BVerwGE 104, 92 <97> = Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 25). Ob ein Ver-
mögensgegenstand zum Betriebsvermögen eines Unternehmens gehört, richtet sich
nach seiner Widmung zum Unternehmenszweck, also nach seiner betrieblichen
Zweckbestimmung (Urteil vom 20. November 1997 - BVerwG 7 C 40.96 - Buchholz
428 § 2 VermG Nr. 35 S. 49 f.).
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Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Waldgrundstücke nicht vor dem
Zeitpunkt der Schädigung aus dem Betriebsvermögen des Unternehmens ausge-
schieden waren. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Grundsatzrüge (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dabei knüpft sie an den Umstand an, dass das Unternehmen
1946 auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 beschlagnahmt, dann aber 1948
auf die Freigabeliste B gesetzt worden war, dass jedoch nur die Sägewerke tatsäch-
lich zurückgegeben worden waren, nicht jedoch die Waldflächen. Sie hält den
Rechtsstreit mit Blick auf die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob ein Grundstück
auch dann seine betriebliche Zweckbestimmung verloren habe, wenn es durch eine
behördliche Entscheidung - hier eine Anordnung des Fortbestandes der staatlichen
Verwaltung - von dem übrigen, freigegebenen Unternehmensvermögen abgetrennt
worden sei und in der Folge von dem Unternehmen bis zu dessen Enteignung auch
nicht mehr habe genutzt werden können.
Hieraus ergibt sich nicht, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukäme.
Die von der Klägerin aufgeworfene Frage würde sich in dem angestrebten Revisi-
onsverfahren nicht stellen; denn sie beruht auf tatsächlichen Annahmen, die den
Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht entsprechen. Das Verwaltungsgericht
hat nicht festgestellt, dass der Waldbesitz von der Freigabe ausgenommen oder gar
der Fortbestand der Beschlagnahme angeordnet worden wäre. Vielmehr ist es in tat-
sächlicher Hinsicht davon ausgegangen, dass sich der Verwalter des Unternehmens
nach Aufhebung der Sequestration und der Rückgabe des Unternehmens aus steu-
erlichen Gründen geweigert hatte, den Waldbesitz zurückzunehmen; dies hatte dazu
geführt, dass der Waldbesitz bis auf Weiteres vom staatlichen Forstamt treuhände-
risch verwaltet wurde (UA S. 3). Bei dieser Sachlage aber hat das Unternehmen aus
freien Stücken - einstweilen - darauf verzichtet, die Waldgrundstücke betrieblich zu
nutzen. Das allein konnte ihre Widmung zu betrieblichen Zwecken nicht aufheben.
Dass der betriebliche Zweckzusammenhang aber durch staatlichen Hoheitsakt
durchtrennt worden wäre, hat das Verwaltungsgericht damit nicht festgestellt.
2. Das Verwaltungsgericht ist aber im Weiteren davon ausgegangen, dass die Wald-
grundstücke ihre Unternehmenszugehörigkeit erst nach der im Jahr 1951 erfolgten
Enteignung verloren haben (UA S. 26); es hat das gegenteilige Vorbringen der Klä-
gerin, die eine Ausgliederung spätestens im Zuge der Enteignung geltend macht,
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übergangen. Damit hat es den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO)
und das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) verletzt.
a) Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien,
aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es gehört
hiernach zur Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Wege der freien Beweiswürdi-
gung seine Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden.
Dem hat es das Gesamtergebnis des Verfahrens zu Grunde zu legen. Wie es seine
Überzeugung bildet, wie es also die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise wür-
digt, unterliegt seiner „Freiheit“. Die Einhaltung der daraus entstehenden verfahrens-
rechtlichen Verpflichtungen ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteilig-
ter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigen oder aus ihm andere
Schlüsse ziehen will als das Gericht. Die „Freiheit“ des Gerichts ist aber dann über-
schritten, wenn es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das
Gesamtergebnis des Verfahrens zu Grunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffas-
sung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen
annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkge-
setze verstoßen; diese Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz können als
Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr; vgl. Urteile vom 2. Februar 1984 - BVerwG
6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339 f.> = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 145 und
vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 f.> = Buchholz
310 § 108 VwGO Nr. 225; Beschlüsse vom 26. Mai 1999 - BVerwG 8 B 193.98 -
Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 4 und vom 17. Mai 2011 - BVerwG 8 B 88.10 -
juris).
Ein Verstoß gegen das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (§ 108 Abs. 2 VwGO,
Art. 103 Abs. 1 GG), liegt vor, wenn das Gericht seiner Verpflichtung, die für die Ent-
scheidung erheblichen Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in
Erwägung zu ziehen, nicht nachkommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. November
1992 - 1 BvR 168/89 u.a. - BVerfGE 87, 363 <392>; BVerwG, Urteile vom
29. November 1985 - BVerwG 9 C 49.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 und
vom 20. November 1995 - BVerwG 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267
; jeweils m.w.N.).
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b) Bei seiner Entscheidungsfindung ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen,
die Waldgrundstücke seien erst nach der Enteignung des Unternehmens aus dem
Betriebsvermögen ausgegliedert worden, und hat angenommen, diese zeitliche Rei-
henfolge stehe zwischen den Beteiligten „nicht im Streit“. Damit hat es vernachläs-
sigt, dass die Klägerin substantiiert vorgetragen hatte, die Zugehörigkeit der Grund-
stücke zum Betriebsvermögen habe nicht erst nach der Enteignung des Unterneh-
mens, sondern spätestens mit ihr geendet, da das Unternehmensvermögen im Zuge
der Enteignung in Sägewerke und Waldflächen aufgeteilt und beides verschiedenen
Rechtsträgern zugewiesen worden sei. Diese Aufteilung entspricht dem Aktenbe-
fund. Ausweislich des bei den Verfahrensakten gesammelten Archivmaterials wurden
die Waldflächen in die Rechtsträgerschaft der Forstverwaltung gegeben und nur die
Sägewerke und holzverarbeitenden Betriebe selbst in diejenige des VEB Kombinat
S. Das Verwaltungsgericht hat die getrennte Zuweisung zwar im Tatbestand seines
Urteils wiedergegeben (UA S. 3). Es hat diesen Umstand und das darauf bezogene
klägerische Vorbringen aber bei der Entscheidungsfindung ignoriert. Vielmehr ist es
davon ausgegangen, dass die Waldflächen erst später aus dem in der Rechtsträger-
schaft des VEB Kombinat S. stehenden Unternehmen ausgeschieden seien. Es hat
nämlich angenommen, der volkseigene Betrieb und seine Nachfolger hätten „nicht
alle der ursprünglich zum (Unternehmen) gehörenden Grundstücke genutzt“, son-
dern Betriebsteile stillgelegt (UA S. 26), weshalb die stillgelegten Grundstücke als
„weggeschwommene Grundstücke“ anzusehen seien (UA S. 25).
Der Zeitpunkt des Ausscheidens der Waldgrundstücke aus dem Betriebsvermögen
war nach der eigenen materiellen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts für
seine Entscheidung auch erheblich. Das Verwaltungsgericht ist - zutreffend - davon
ausgegangen, dass nach der Systematik des Vermögensgesetzes sogenannte weg-
geschwommene Unternehmensgrundstücke von der Rückgabe ausgeschlossen
sind. Wie erwähnt, kann ein Berechtigter, dem ein Unternehmen entzogen wurde,
nur die Rückgabe nach den Vorschriften über die Unternehmensrestitution verlan-
gen, nicht hingegen die Rückgabe einzelner Gegenstände, die im Zeitpunkt der
Schädigung zum Unternehmensvermögen gehörten (§ 3 Abs. 1 Satz 3 VermG). Das
trägt unter anderem dem Umstand Rechnung, dass der Zugriff auf ein Unternehmen
als solches die darin zusammengefassten Vermögensgegenstände nur mittelbar be-
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trifft und diese Gegenstände zudem selbst im Rahmen der normalen (weiteren) Un-
ternehmenstätigkeit laufenden Veränderungen unterworfen sein können, ohne dass
deswegen das Unternehmen ein anderes werden muss. Ist das zurückverlangte Un-
ternehmen mit dem entzogenen im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 VermG vergleichbar,
so bedeutet dies gleichzeitig, dass dem Unternehmen „zugeschwommene“ Vermö-
gensgegenstände vom Rückübertragungsanspruch nach § Abs. 1 Satz 1 VermG er-
fasst werden und dass auf „weggeschwommene“ verzichtet werden muss. Daran
knüpft die Bestimmung des § 6 Abs. 1 Satz 2 VermG an, wonach im Zeitpunkt der
Rückgabe festzustellende wesentliche Verschlechterungen oder wesentliche Ver-
besserungen der Vermögens- oder Ertragslage auszugleichen sind (Urteil vom
13. Februar 1997 - BVerwG 7 C 54.96 - BVerwGE 104, 92 <94 f.> = Buchholz 428
§ 6 VermG Nr. 25).
Daraus ergibt sich aber, dass „weggeschwommene Grundstücke“ nur solche sind,
die ihre Unternehmenszugehörigkeit - erst - nach der Schädigung des Unternehmens
verloren haben (Urteil vom 13. Februar 1997 a.a.O. S. 93). Davon ist auch das Ver-
waltungsgericht bei seiner Entscheidung ausgegangen. Folglich ist ein „Weg-
schwimmen“ zu verneinen, wenn bei der Entziehung des Unternehmens einige da-
zugehörige Vermögensgegenstände nicht dem neuen Unternehmensträger zugewie-
sen, sondern zu Gunsten eines anderen Rechtsträgers enteignet wurden. Dann liegt
eine auf diese Vermögensgegenstände bezogene besondere Schädigungsmaßnah-
me vor, der mit dem jeweils für sie geltenden rückgaberechtlichen Institut Rechnung
zu tragen ist (Urteile vom 13. Februar 1997 a.a.O. S. 97 und vom 20. November
1997 - BVerwG 7 C 40.96 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 35 S. 50 f.), regelmäßig mit
der Einzelrestitution, gegebenenfalls aber - wenn die doppelte Entziehung sich als
Spaltung des Unternehmens in zwei oder mehrere selbstständige Teilunternehmen
darstellt - auch mit der Unternehmensrestitution.
Das Verwaltungsgericht hätte sich daher mit dem Akteninhalt und dem klägerischen
Vorbringen zur differenzierenden Rechtsträgerbestimmung auseinandersetzen und
prüfen müssen, ob ein Fall der Unternehmensspaltung oder der Ausgliederung der
Waldgrundstücke anlässlich der Enteignung vorlag.
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c) Das Verwaltungsgericht hat den Einschub im Text seiner Entscheidungsgründe,
die von ihm angenommene zeitliche Reihenfolge stehe „nicht im Streit“, nachträglich
im Wege der Urteilsberichtigung gestrichen. Das lässt die Aktenwidrigkeit und die
Verletzung des Gebots rechtlichen Gehörs nicht entfallen. Ein auf aktenwidrigen
Feststellungen beruhender Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108
Abs. 1 Satz 1 VwGO wird nicht dadurch geheilt, dass die Aktenwidrigkeit im Wege
der Berichtigung behoben wird. Der Berichtigung fähig sind nur die tatsächlichen
Feststellungen, nicht die darauf bezogenen Wertungen des Gerichts (Beschluss vom
13. Februar 2012 - BVerwG 9 B 77.11 - juris Rn. 15). Sie kann daher nur die fehler-
hafte Feststellung im Urteil, nicht jedoch den Mangel der auf der aktenwidrigen An-
nahme und dem Gehörsverstoß beruhenden Überzeugungsbildung korrigieren.
d) Die angegriffene Entscheidung beruht auf den beiden Verfahrensmängeln.
Sie stützt sich nicht alternativ auf selbstständig tragende, nicht mit wirksamen Rügen
angegriffene Erwägungen. Die Anmerkung des Verwaltungsgerichts, bei - unterstell-
ter - Eigenständigkeit der 1928 und 1946 stillgelegten Produktionsstätten fehle es
jedenfalls an einem fristgerechten vermögensrechtlichen Antrag, stellt ein bloßes obi-
ter dictum dar, das im Konjunktiv formuliert ist. Es betrifft zudem nicht die Zuordnung
von Grundstücken zum Betriebsvermögen, sondern die Frage, ob ehemalige Be-
triebsstätten als eigene Unternehmen Gegenstand von Restitutionsansprüchen sein
könnten. Darum geht es bei der Frage, ob sämtliche Waldgrundstücke erst nach der
Unternehmensenteignung aus dem Betriebsvermögen ausgegliedert wurden, jedoch
nicht.
Die Beschwerde scheitert auch nicht daran, dass die Klage auf Rückübertragung der
Grundstücke wegen besatzungshoheitlichen Charakters der Enteignung erfolglos
bleiben müsste. Allerdings hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Enteig-
nung und Überführung des Unternehmens in Volkseigentum nach dem thüringischen
Gesetz über die Bodenreform erfolgt war. Die in den Verwaltungsakten gesammelten
Archivdokumente lassen sogar erkennen, dass es den damaligen DDR-Behörden
gar nicht um die Enteignung des holzverarbeitenden Unternehmens gegangen war,
sondern um die Entziehung der Waldflächen, die mit annähernd 200 ha der Bodenre-
form unterfielen. Gleichwohl kann dem Klaganspruch nicht (mehr) entgegengehalten
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werden, dass diese Enteignung - selbst wenn sie erst nach Gründung der DDR ge-
schah - auf besatzungshoheitlicher Grundlage beruhte (§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG).
Dass die Enteignung der sowjetischen Besatzungsmacht nicht zugerechnet werden
könne, weil sie vor Gründung der DDR weder eingeleitet noch vorgeformt war, hat
das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 18. November 2004 - 6 K 757/03 Ge - festge-
stellt; dies steht zwischen den Beteiligten, die auch an jenem Rechtsstreit beteiligt
waren, rechtskräftig fest (vgl. Urteil vom 16. August 2006 - BVerwG 8 C 14.05 -
Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 69).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1
und 4 GKG.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Hauser
Dr. Held-Daab
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Vermögensrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
VwGO
§ 108 Abs. 1, § 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6
VermG
§ 3 Abs. 1 Satz 3, § 6 Abs. 1, Abs. 6a
Stichworte:
Nichtzulassungsbeschwerde; Verfahrensmangel; Verfahrensfehler; Verfahrens-
rüge; Überzeugungsgrundsatz; aktenwidrige Feststellung; rechtliches Gehör;
Rückgabe; Restitution; Einzelrestitution; Singularrestitution; Unternehmensresti-
tution; weggeschwommenes Grundstück; Bodenreform.
Leitsätze:
Ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz, der als Verfahrensmangel
gerügt werden kann, liegt auch vor, wenn das Gericht entscheidungserhebli-
chen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt.
„Weggeschwommene Grundstücke“ sind nur solche, die ihre Unternehmenszu-
gehörigkeit nach der Schädigung des Unternehmens verloren haben. Daran
fehlt es, wenn bei der Entziehung des Unternehmens einige dazugehörige
Vermögensgegenstände nicht dem neuen Unternehmensträger zugewiesen,
sondern zu Gunsten eines anderen Rechtsträgers enteignet wurden.
Beschluss des 8. Senats vom 28. März 2012 - BVerwG 8 B 76.11
I. VG Gera vom 15.08.2011 - Az.: VG 6 K 985/08 Ge -