Urteil des BVerwG vom 30.04.2014

Rechtliches Gehör, Entziehung, Bier, Aktiengesellschaft

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 48.13
VG 29 K 404.10
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. April 2014
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom
5. Juni 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 0,37 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Kläger begehren als gemeinschaftliche Erben nach Dr. Paul M. die Rück-
übertragung eines Miteigentumsanteils von 1/8000 an dem 33 m² großen Flur-
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stück 51/3 der Flur 2 der Gemarkung …, eingetragen im Grundbuch von …,
Blatt … . Dieses Grundstück ging aus dem 57 m² großen Flurstück 1028/51 der
Flur 2 der Gemarkung … hervor, das von 1931 bis 1978 im Eigentum der B.-
Aktiengesellschaft stand. Der 1938 verstorbene Rechtsvorgänger der Kläger
verwendete zur Begleichung der Judenvermögensabgabe unter anderem Ak-
tien an dieser Gesellschaft im Nennwert von 30 000 RM. Seine unmittelbaren
Erben meldeten nach Kriegsende Wiedergutmachungsansprüche an und erhiel-
ten eine rückerstattungsrechtliche Entschädigung für die Entziehung von Wert-
papieren ihres Rechtsvorgängers. Mit Schreiben vom 18. September 2007
machten die Kläger vermögensrechtliche Ansprüche auf Einräumung von
Bruchteilseigentum am verfahrensgegenständlichen Grundstück geltend. Das
Verwaltungsgericht hat die Klage mangels fristgerechter Anmeldung nach § 30a
VermG abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Die dagegen eingelegte Beschwerde der Kläger, die sich auf die grundsätzliche
Bedeutung der Sache berufen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die erstinstanzliche
Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG beanstanden und eine Verletzung
des Rechts auf rechtliches Gehör rügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m.
Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg. Soweit der Revisi-
onszulassungsgrund des Verfahrensmangels geltend gemacht wird, sind schon
die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht erfüllt.
1. Mit den materiell-rechtlichen Einwänden gegen die Richtigkeit der Anwen-
dung des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG ist kein Revisionszulassungsgrund im Sinne
des § 132 Abs. 2 VwGO dargetan. Zwar kann der Antrag auf Zulassung der
Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO mit ernsthaften Zweifeln an der Rich-
tigkeit des angegriffenen Urteils begründet werden. Die Revision ist jedoch
nach § 132 Abs. 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der drei abschließend
aufgezählten Revisionszulassungsgründe gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
substanziiert dargelegt ist und vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.
2. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO reicht es nicht aus, im Stil einer Berufungsbe-
gründung materiell-rechtliche Mängel des angegriffenen Urteils geltend zu ma-
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chen. Vielmehr muss eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für
die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts formu-
liert werden, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeu-
tung zukommt (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buch-
holz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Dazu genügt nicht, dass die Frage
noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung war. Nur wenn
ihre Klärung gerade eine solche Entscheidung verlangt, muss zur Wahrung der
Rechtseinheit einschließlich der gebotenen Rechtsfortentwicklung ein Revi-
sionsverfahren durchgeführt werden. Daran fehlt es, wenn die Frage sich an-
hand der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation auf der Grund-
lage der vorhandenen Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt (vgl.
Beschluss vom 24. August 1999 - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268
<270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228).
a) Die Frage:
Genügt es für die fristgemäße Geltendmachung des
„Grundanspruches“ innerhalb der Anmeldefrist des § 30
Abs. 1 VermG für den Anspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 4
Teilsatz 2, Satz 5 VermG, dass die Kläger die Anteils-
schädigungen bereits im Bundesrückerstattungsverfahren
ausdrücklich geltend gemacht hatten und über diese An-
sprüche wegen der Belegenheit der Vermögenswerte au-
ßerhalb des damaligen Anwendungsbereichs des Geset-
zes noch nicht entschieden worden war?
würde sich im angestrebten Revisionsverfahren so nicht stellen, weil sie in tat-
sächlicher Hinsicht von einem Verlauf des Rückerstattungsverfahrens ausgeht,
den die Vorinstanz nicht festgestellt hat. Unabhängig davon ist die Frage aus
den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen unter Berücksichtigung der da-
zu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung - verneinend - zu beantwor-
ten. Schon nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 VermG ist ein Antrag erforder-
lich, der Ansprüche nach dem Vermögensgesetz geltend macht. Diese konnten
nicht vor Inkrafttreten des Gesetzes entstehen. Ebenso wenig konnten vorher
vermögensrechtliche Anträge gestellt werden; dies erklärt auch die Fiktionsre-
gelung des § 30 Abs. 1 Satz 5 VermG. Die Bewertung eines rückerstattungs-
rechtlichen Antrags wegen der Entziehung der Aktien (auch) als vermögens-
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rechtliche Anmeldung einer Anteilsschädigung im Sinne des § 1 Abs. 6, § 3
Abs. 1 Satz 4 Teilsatz 2, Satz 5 VermG scheidet danach aus. Der rückerstat-
tungsrechtliche Antrag bezog sich zwar auf dieselbe Schädigung - die Entzie-
hung der Aktien im Zuge der Einziehung der Judenvermögensabgabe -, aber
nicht auf dieselben daraus abzuleitenden Ansprüche. Der Regelungszusam-
menhang mit § 30a VermG und der Zweck der Regelung des Antragserforder-
nisses und der Ausschlussfrist schließen es ebenfalls aus, den rückerstattungs-
rechtlichen Antrag als vermögensrechtlichen Antrag zu werten. § 30 Abs. 1,
§ 30a VermG sollen eine zügige Individualisierung der nach dem Vermögens-
gesetz restitutionsbelasteten Vermögenswerte herbeiführen und einen schnel-
len Abschluss der Restitutionsverfahren im Interesse von Rechtssicherheit und
Rechtsklarheit gewährleisten (vgl. z.B. Urteil vom 28. März 1996 - BVerwG 7 C
28.95 - BVerwGE 101, 39 <42 f.> = Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 2; Be-
schluss vom 27. Oktober 2009 - BVerwG 8 C 22.09 - juris Rn. 3 ff.). Dem würde
es widersprechen, in Fällen, in denen Schädigungen bereits rückerstattungs-
rechtlich geltend gemacht worden waren, vom Erfordernis eines vermögens-
rechtlichen Antrags zur Geltendmachung etwa weiter gehender vermögens-
rechtlicher Ansprüche abzusehen. Dass auch die Geltendmachung der erst
1997 gesetzlich geregelten Ansprüche auf ergänzende Bruchteilsrestitution
nach einer Unternehmens- oder Anteilsschädigung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4
und 5 VermG eine Anmeldung der Unternehmens- oder Anteilsschädigung vo-
raussetzen, ist in der Rechtsprechung bereits geklärt (Urteil vom 22. April 2009
- BVerwG 8 C 5.08 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 50 Rn. 29; Beschlüs-
se vom 27. Oktober 2009 a.a.O. und vom 9. September 2011 - BVerwG 8 B
15.11 - ZOV 2011, 226 f.),
b) Die weiter aufgeworfene Frage:
War die innerhalb der Frist des § 30 Abs. 1 VermG gefor-
derte „Grundanmeldung“ für Ansprüche nach § 3 Abs. 1
Satz 4 Teilsatz 2, Satz 5 VermG entbehrlich, wenn der
Hauptanspruch nach der materiellen Rechtslage des Ver-
mögensgesetzes in der Fassung bis Ende 1992 gar nicht
bestand, weil das Unternehmen, dessen Anteile verfol-
gungsbedingt im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG geschädigt
wurden, seinen alleinigen Sitz innerhalb des Anmeldezeit-
raums außerhalb des Beitrittsgebiets hatte?
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wäre im angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich und
deshalb nicht zu klären. Sie geht von der unzutreffenden rechtlichen Annahme
aus, für die räumliche Anwendbarkeit des § 1 Abs. 6 VermG komme es auf die
Belegenheit des entzogenen Vermögenswertes im Zeitraum vom Inkrafttreten
des Vermögensgesetzes bis zum Ablauf der Ausschlussfrist des § 30a VermG
an und nicht auf seine Belegenheit im Zeitpunkt der Entziehung. Das Gegenteil
trifft zu. Wie in der Rechtsprechung zu § 1 Abs. 6 VermG geklärt ist, setzt des-
sen räumliche Anwendbarkeit voraus, dass die Schädigung einen räumlichen
Bezug zum Beitrittsgebiet aufweist, was regelmäßig voraussetzt, dass der be-
troffene Vermögenswert im Zeitpunkt der Schädigung im Beitrittsgebiet belegen
war. Bei Anteilsschädigungen ist davon grundsätzlich auszugehen, wenn der
Sitz des Unternehmens im Zeitpunkt der Schädigung im Beitrittsgebiet lag (vgl.
Urteile vom 27. Mai 1997 - BVerwG 7 C 67.96 - Buchholz 428 § 1 VermG
Nr. 112 S. 338, vom 19. Februar 2009 - BVerwG 8 C 4.08 - Buchholz 428 § 2
VermG Nr. 92 Rn. 19 und vom 25. November 2009 - BVerwG 8 C 12.08 -
BVerwGE 135, 272 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 52). Das
Verwaltungsgericht hat deshalb zutreffend darauf hingewiesen, dass der räum-
liche Anwendungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG bezüglich der NS-Schädigung
der Beteiligung an der B.-Aktiengesellschaft wegen des damaligen Sitzes der
Gesellschaft in Berlin-Mitte eröffnet war, und dass die rückerstattungsrechtli-
chen Leistungen wegen der Anteilsschädigung etwaige (weitere) Restitutions-
ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht ausschlossen, sondern allenfalls
gemindert hätten, sodass die Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche we-
gen der Entziehung der Aktien nach § 30 Abs. 1, § 30a VermG erforderlich und
auch nicht von vornherein aussichtslos war.
3. Der gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung des Rechts auf rechtliches
Gehör ist nicht prozessordnungsgemäß nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gel-
tend gemacht. Der Vortrag, der Schriftsatz der Beigeladenen vom 24. Mai 2013
sei zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden, obwohl er
dem Prozessbevollmächtigten erst nach der Verhandlung zugestellt worden und
zuvor lediglich - fehlerhaft - an den Kläger zu 7 persönlich übermittelt worden
sei, genügt dazu nicht. Er umschreibt nur Umstände, aus denen sich eine Ver-
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letzung der gerichtlichen Informationspflicht ergeben kann (vgl. Urteil vom
25. Mai 1988 - BVerwG 6 C 40.86 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 201; Be-
schluss vom 25. Juni 2010 - BVerwG 8 B 128.09 - juris Rn. 6; Pietz-
ner/Buchheister, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand April 2013, § 132
Rn. 106). Zur substanziierten Darlegung eines damit einhergehenden Versto-
ßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör hätten die Kläger außerdem dartun
müssen, inwieweit das Unterbleiben der ordnungsgemäßen, rechtzeitigen Zu-
stellung des Schriftsatzes sie an ergänzendem, relevantem Prozessvortrag hin-
derte. Dazu wäre erforderlich gewesen darzulegen, welche weiteren rechtlich
relevanten Gesichtspunkte oder Argumente die Kläger bei rechtzeitiger Kennt-
nis vom Inhalt des Schriftsatzes vorgetragen hätten (Urteile vom 10. August
1978 - BVerwG 2 C 36.77 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 105 S. 28 und vom
21. Mai 1980 - BVerwG 8 C 87.79 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 116 S. 45;
vgl. Beschluss vom 29. Juni 2005 - BVerwG 1 B 185.04 - Buchholz 310 § 108
Abs. 1 VwGO Nr. 37; Pietzner/Bier, in: Schoch/Schneider/Bier a.a.O. § 133
Rn. 41 m.w.N.). Dazu führt die Beschwerdebegründung jedoch nichts aus. Ent-
gegen der Auffassung der Kläger erübrigte sich der Vortrag auch nicht schon,
weil eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör einen absoluten Revi-
sionsgrund darstellt (§ 138 Nr. 3 VwGO). Dies macht nicht die Substanziierung
des Verfahrensmangels entbehrlich, sondern nur die Darlegung, dass die Ent-
scheidung auf dem Mangel beruht (Urteil vom 10. August 1978 a.a.O.; Pietz-
ner/Bier a.a.O. Rn. 41 f.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO. Die
Billigkeit gebietet nicht, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für er-
stattungsfähig zu erklären, da diese keinen eigenen Antrag gestellt und sich
damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 i.V.m. § 47 Abs. 1 und 3
GKG. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass das Verfahren seit dem verwal-
tungsgerichtlichen Trennungsbeschluss vom 5. November 2012 nur noch den
Miteigentumsanteil von 1/8000 an der 33 m² großen Restfläche zum Gegen-
stand hat und entspricht der darauf bezogenen, von den Beteiligten nicht bean-
standeten Wertbestimmung durch die Vorinstanz.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Deiseroth
Dr. Held-Daab
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