Urteil des BVerwG vom 16.02.2012

Formelles Recht, Überprüfung, Akte, Verfassungsbeschwerde

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 3.12 (8 B 59.11)
VG 1 K 9/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Februar 2012
durch die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Dr. Hauser und Dr. Held-Daab
beschlossen:
Die Anhörungsrüge der Kläger gegen den Beschluss vom
30. November 2011 - BVerwG 8 B 59.11 - wird zurückge-
wiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens mit Ausnah-
me der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
G r ü n d e :
Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg.
Die Kläger greifen mit ihrer Anhörungsrüge die rechtliche Würdigung des Se-
nats als fehlerhaft an und wollen auf diese Weise eine erneute Überprüfung des
Beschwerdevorbringens in einem fortgeführten Beschwerdeverfahren errei-
chen. Das ist nicht Aufgabe und Gegenstand einer Anhörungsrüge (vgl. dazu
u.a. Beschlüsse vom 1. April 2008 - BVerwG 9 A 12.08 <9 A 27.06> - und vom
24. November 2011 - BVerwG 8 C 13.11 <8 C 5.10> - jeweils juris). Sie stellt
keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit des angefoch-
tenen Beschlusses dar. Es handelt sich vielmehr um ein formelles Recht, das
dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Betei-
ligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm
nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat. Das Gebot des rechtli-
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chen Gehörs verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag oder
der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. Be-
schlüsse vom 11. Februar 2008 - BVerwG 5 B 17.08 <5 B 110.06> -, vom
2. November 2006 - BVerwG 7 C 10.06 <7 C 18.05> - und vom 24. November
2011 a.a.O. - jeweils juris). Das Gericht ist ebenso wenig verpflichtet, jedes Vor-
bringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu
bescheiden. Es ist daher verfehlt, aus der Nichterwähnung einzelner Begrün-
dungsteile des Beschwerdevorbringens in den gerichtlichen Entscheidungs-
gründen zu schließen, das Gericht habe sich nicht mit den darin enthaltenen
Argumenten befasst (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. April 1980
- 1 BvR 1365/78 - BVerfGE 54, 43 <46> m.w.N.; BVerwG, Beschlüsse vom
17. August 2007 - BVerwG 8 C 5.07 - Buchholz 310 § 152a VwGO Nr. 4 und
vom 21. Juli 2005 - BVerwG 9 B 9.05 - juris). Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt ins-
besondere keinen Schutz davor, dass ein Gericht aus Gründen des materiellen
Rechts Parteivorbringen nicht weiter aufnimmt (BVerfG, Beschluss vom
21. April 1982 - 2 BvR 810/81 - BVerfGE 60, 305 <310> m.w.N.).
Der Senat hat in seinem Beschluss vom 30. November 2011 das entschei-
dungsrelevante Vorbringen der Kläger im Beschwerdeverfahren zur Kenntnis
genommen und sich damit im gebotenen Maße auseinandergesetzt. Auf das
vermeintlich übergangene Beschwerdevorbringen kam es für die Entscheidung
nicht an.
Die Kläger verkennen auch mit ihrem Vorbringen zur Begründung der Anhö-
rungsrüge, dass das Verwaltungsgericht sein Ergebnis der Unbegründetheit der
Klage auf zwei selbstständig tragende Gründe gestützt hat. Wie bereits im Be-
schluss vom 30. November 2011 ausgeführt, kann in einem solchen Fall die
Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich beider Begründungen Revi-
sionszulassungsgründe geltend gemacht werden und vorliegen. Wenn nur be-
züglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Be-
gründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens
ändert. In diesem Fall beruht das erstinstanzliche Urteil nicht auf der hinweg-
denkbaren Begründung (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 9. Dezember 1994
- BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4
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und vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 15).
In ihrer Beschwerdebegründung vom 4. Mai 2011 hatten die Kläger hinsichtlich
der Begründung des Verwaltungsgerichts, eine schädigende Maßnahme im
Sinne des § 1 Abs. 2 VermG liege nicht vor, weil es an dem von der Vorschrift
vorausgesetzten Ursachenzusammenhang zwischen der Mietenpolitik der DDR
sowie der daraus resultierenden Überschuldung mit dem Eigentumsverzicht
fehle, keine Revisionszulassungsgründe geltend gemacht. Auf die in der Be-
gründung der Anhörungsrüge erneut vorgetragene Argumentation zur Bestim-
mung des Grundstücksbegriffs im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG kam es dafür
nicht an. Auch die Ausführungen des Beklagten im Widerspruchsbescheid, auf
die sich die Kläger nunmehr berufen, waren für die Frage der Zulassung der
Revision ohne Bedeutung. Das Verwaltungsgericht hatte im Übrigen in seiner
Begründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der vorausgesetzte Ursa-
chenzusammenhang auch hinsichtlich der an die Kläger bereits zurück übertra-
genen Vermögenswerte fehle.
Soweit sich die Kläger erstmals in der Begründung der Anhörungsrüge gegen
die Annahme wenden, sie hätten das Grundstück in Kenntnis der Überschul-
dungssituation durch Rechtsgeschäft erworben, weil sie als Erben der Vorei-
gentümerin kraft Gesetzes in die Eigentümerstellung eingetreten seien, ist die-
ses Vorbringen nicht nur verspätet, sondern widerspricht auch den tatsächli-
chen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die bisher von den Klägern nicht
bestritten worden waren. Danach sind die Kläger nicht Erben, sondern Ver-
mächtnisnehmer der Voreigentümerin. In Erfüllung dieses Vermächtnisses sind
sie auf Grund eines Grundstücksüberlassungsvertrages vom 15. August 1985
Eigentümer geworden.
Die Rüge, der Senat habe die Kläger im Beschluss vom 30. November 2011
wegen der Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht zu Unrecht auf
eine Anhörungsrüge gemäß § 152a VwGOgegen den dortigen Streitwertbe-
schluss verwiesen, weil deren Voraussetzungen nicht gegeben seien, geht
ebenfalls fehl. Sie verkennt, dass der Streitwertbeschluss des Verwaltungsge-
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richts gemäß § 37 Abs. 2 VermG unanfechtbar ist und nicht Gegenstand ihrer
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision sein konnte.
Der von den Klägern beantragten Beiziehung der Akte des Bundesverfas-
sungsgerichts bedurfte es nicht. Da die Kläger ihre Verfassungsbeschwerde
erst nach Erlass des Beschlusses vom 30. November 2011 eingelegt haben,
kann in dieser Akte nichts enthalten sein, was der Senat bei seinem Beschluss
vom 30. November 2011 hätte berücksichtigen müssen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Dr. von Heimburg
Dr. Hauser
Dr. Held-Daab
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