Urteil des BVerwG vom 17.09.2014

Subjektives Recht, Grundstück, Nummer, Beweisantrag

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 15.14
VG 1 K 25/11
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. September 2014
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Christ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Pots-
dam vom 25. Juli 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 50 490 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Rückübertragung eines Hausgrundstücks, das
mit Bescheid des Rates des Kreises Zossen vom 9. Oktober 1984 mit Wirkung
zum 1. Dezember 1984 in Volkseigentum überführt wurde. Im Jahre 1985 er-
warben die Beigeladene und ihr Ehemann das Eigenheim. Mit Urkunde vom
14. Mai 1985 wurde ihnen ein dingliches Nutzungsrecht an dem Grundstück
verliehen. Mit Kaufvertrag vom 3. Mai 1990 erwarben die Beigeladene und ihr
Ehemann das Eigentum an dem Grundstück.
Die zwischenzeitlich verstorbene Klägerin beantragte mit Schreiben vom 1. Ok-
tober 1990 die Rückübertragung des Grundstücks. Mit Bescheid vom 28. April
2010 lehnte der Beklagte die Rückübertragung ab und stellte zugleich fest, dass
die Klägerin Anspruch auf eine Entschädigung hinsichtlich ihres Miteigentums-
anteils habe. Der Anspruch auf Rückübertragung hinsichtlich ihres Miteigen-
tumsanteils scheiterte am redlichen Erwerb der Beigeladenen. Nach Durchfüh-
rung eines erfolglosen Widerspruchsverfahrens erhob die Klägerin Klage zum
1
2
- 3 -
Verwaltungsgericht Potsdam, die mit Urteil vom 25. Juli 2013 unter Nichtzulas-
sung der Revision abgewiesen wurde. Gegen die Nichtzulassung der Revision
wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
II
Die allein auf Verfahrensrügen gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Be-
schwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat mit der Ablehnung der
in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge nicht verfahrensfeh-
lerhaft gehandelt.
1. Der Beschwerde fehlt es bereits an der ausreichenden Darlegung des be-
haupteten Verfahrensverstoßes, soweit sie in der Ablehnung des Beweisan-
trags Nummer 4 mit der Begründung, es könne als wahr unterstellt werden,
„dass der Ehemann der Beigeladenen mit dem zuständigen Mitarbeiter des Ra-
tes des Kreises Zossen, Herrn K., besprochen hatte, dass er das streitgegen-
ständliche Gebäude kaufen wolle, die bisherigen Kaufanträge abgelehnt wor-
den seien, da die Voraussetzungen der Inanspruchnahme nicht vorgelegen hät-
ten, daraufhin von dem Mitglied des Rates des Kreises Zossen ihm erklärt wor-
den sei, er solle einen weiteren Antrag stellen, diesen direkt an den Direktor der
KWV Blankenfelde richten, worauf dann dem Antrag stattgegeben werde“, eine
Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes gemäß § 108 Abs. 1 VwGO und der
Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG
geltend macht.
Die Verfahrensweise der „Wahrunterstellung“ setzt voraus, dass die behauptete
Beweistatsache im Folgenden so behandelt wird, als wäre sie wahr (§ 244
Abs. 3 Satz 2 am Ende StPO); was regelmäßig nur für nicht entscheidungser-
hebliche Behauptungen infrage kommt (Beschluss vom 12. August 1998
- BVerwG 7 B 162.98 - juris). Das Gericht darf sich im weiteren Verlauf nicht in
Widerspruch zu den als wahr unterstellten Annahmen setzen und muss sie
„ohne jede inhaltliche Einschränkung“ in ihrem mit dem Parteivorbringen
gemeinten Sinn behandeln, als wären sie nachgewiesen (Urteil vom 24. März
1987 - BVerwG 9 C 47.85 - BVerwGE 77, 150 <155>; Beschlüsse vom 20. Sep-
3
4
5
- 4 -
tember 1993 - BVerwG 4 B 125.92 - juris und vom 3. Dezember 2012 - BVerwG
2 B 32.12 - juris). Gegen diese Grundsätze hat das Verwaltungsgericht nicht
verstoßen.
Die Beschwerde beanstandet, das Verwaltungsgericht habe entgegen der
Wahrunterstellung der Tatsachenbehauptung in Nummer 4 des Beweisantrags
den Sachverhalt bei seiner Überzeugungsbildung nicht berücksichtigt, dass der
Ehemann der Beigeladenen die Enteignung durch Ausnutzung seiner berufli-
chen Stellung beeinflusst habe, um das Grundstück bzw. das Gebäude erwer-
ben zu können. Das Verwaltungsgericht hat die unter Beweis gestellten Tatsa-
chen bezüglich der beruflichen Stellung des Ehemanns der Beigeladenen und
seiner Anträge - zuletzt über den Direktor der KWV Blankenfelde - zum Kauf
des streitgegenständlichen Anwesens bei seiner Entscheidung weder unbe-
rücksichtigt gelassen noch sich in Widerspruch zu der Unterstellung als wahr
gesetzt, sondern aus diesem Sachverhalt lediglich andere rechtliche Schlüsse
gezogen (UA S. 10, vorletzter Absatz), die denkgesetzlich möglich sind.
2. Das Verwaltungsgericht hat auch nicht gegen das Gebot der Gewährung
rechtlichen Gehörs verstoßen, weil es den Beweisantrag Nummer 3 als unge-
eignet abgelehnt hat. Die Ablehnung eines Beweisantrags verstößt dann gegen
den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO,
Art. 103 Abs. 1 GG), wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. § 86
Abs. 2 VwGO, § 244 StPO). Das ist nicht feststellbar.
Eine Beweiserhebung ist u.a. dann nicht erforderlich, wenn das Beweismittel
ungeeignet ist, es auf die zu beweisende Tatsache nach Ansicht des Gerichts
nicht ankommt (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO entsprechend; Urteile vom 6. Februar
1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41>, vom 24. März 1987 a.a.O.
S. 157 und vom 15. März 1994 - BVerwG 9 C 510.93 - NVWZ 94, 1119) oder
die Beweisaufnahme nicht notwendig ist, weil die Beweistatsache zugunsten
des Betroffenen als wahr unterstellt werden kann (BVerfG, Kammerbeschluss
vom 18. Februar 1988 - 2 BvR 1324/87 - NVWZ 1988, 524; BVerwG, Beschluss
vom 30. Juni 1994 - BVerwG 4 B 136.94 - juris). Das Verwaltungsgericht hat
den Beweisantrag Nummer 3 deshalb abgelehnt, weil es das Beweisthema und
6
7
8
- 5 -
das Beweismittel im Hinblick auf die zu beurteilende Rechtsfrage, ob die Beige-
ladenen beim Erwerb des Hausgrundstücks im Jahre 1985 redlich waren, als
ungeeignet und unerheblich angesehen hat. Der unter Beweis gestellte Sach-
verhalt bezog sich auf Vorgänge aus dem Jahre 1966 und stand im Zusam-
menhang mit der Beantragung eines Instandsetzungsdarlehens an die Kreis-
sparkasse Zossen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsge-
richts hat der Ehemann der Beigeladenen den Kauf des Hauses mit Schreiben
vom 21. Januar 1980 und 15. September 1981 beantragt. Beide Anträge wur-
den abgelehnt. Der Antrag des Ehemanns der Beigeladenen vom 28. Januar
1984 führte schließlich zum Erfolg. Mit Eigenheimkaufvertrag vom 3. April 1985
erwarben diese das auf dem Grundstück stehende Eigenheim und mit Urkunde
vom 14. Mai 1985 wurde ihnen ein dingliches Nutzungsrecht am Grundstück
verliehen. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht Vorgänge,
die 18 Jahre vor dem Erwerb des streitgegenständlichen Anwesens lagen und
die Bewilligung eines Instandsetzungsdarlehens zum Gegenstand hatten, nicht
als relevant für die Beurteilung der Rechtsfrage angesehen hat, ob die Beigela-
denen zum Zeitpunkt des Erwerbs redlich waren oder nicht.
3. Zu Unrecht rügt die Beschwerde auch die Ablehnung des Beweisbegehrens
Nummer 5 der Klägerin hinsichtlich der Zeugeneinvernahme des Direktors und
einer Mitarbeiterin der KWV Blankenfelde zu der Beweisbehauptung, dass der
Ehemann der Beigeladenen seine berufliche Stellung als Leiter des Jugendrefe-
rats des Rates des Kreises Zossen ausgenutzt habe, um den Kauf zu beein-
flussen. Das Verwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag als unzulässigen
Ausforschungsbeweis abgelehnt. Die Ablehnung erfolgte nicht verfahrensfeh-
lerhaft.
Ein als unzulässig ablehnbarer Ausforschungsbeweis liegt in Bezug auf Tatsa-
chenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine ge-
wisse Wahrscheinlichkeit spricht (Beschluss vom 29. April 2002 - BVerwG
1 B 59.02 - Buchholz 402.240 § 53 Ausländergesetz Nr. 60; BVerfG, Kammer-
beschluss vom 26. August 1996 - 2 BvR 1968/94 - juris). Die Klägerin hat nicht
hinreichend substanziiert dargelegt, welche Indizien aus ihrer Sicht dafür spre-
chen, dass der Ehemann der Beigeladenen seine berufliche Stellung als Leiter
9
10
- 6 -
des Jugendreferats des Rates des Kreises Zossen als Druckmittel benutzt ha-
ben soll, in unredlicher Weise den Kauf des Eigenheimes über den Direktor und
eine Mitarbeiterin der KWV Blankenfelde im Jahre 1985 zu erreichen. Die Tat-
sache allein, dass der Ehemann der Beigeladenen zu diesem Zeitpunkt Refe-
ratsleiter Jugendhilfe beim Rat des Kreises war, besagt für sich gesehen noch
nichts. Nach den tatsächlichen, von der Beschwerde nicht substanziiert bestrit-
tenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts sind weder dem Vortrag der Klä-
gerin noch den Akten konkrete Anhaltspunkte zu entnehmen, dass der Ehe-
mann der Beigeladenen gerade seine berufliche Stellung ausgenutzt habe, um
das Eigenheim und das Grundstück in unredlicher Weise zu erwerben. Ent-
sprechende Hinweise sind auch nicht dem schriftlich formulierten und zu den
Akten gereichten Beweisantrag zu entnehmen. Eine Verletzung der gerichtli-
chen Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO, des Grundsatzes der Ge-
währung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) sowie
der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO) sind damit nicht
hinreichend dargelegt.
4. Schließlich führt auch nicht zur Zulassung der Revision, dass das Verwal-
tungsgericht den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag
Nummer 6 zu einer, im Zeitpunkt der Kaufantragstellung durch die Beigelade-
nen nicht beabsichtigten, Wohnraumerweiterung für deren Sohn, abgelehnt hat.
Es kann dahinstehen, ob die Ablehnung des Beweisantrags mit der Begrün-
dung, es handele sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis, zu Recht
erfolgte. Für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts war der Umstand, wel-
che baulichen Erweiterungsabsichten die Beigeladenen zum Zeitpunkt des be-
antragten Kaufes hatten, jedenfalls nicht entscheidungserheblich, sondern die
Absicht das Eigenheim auch zusammen mit dem Sohn und dessen Familie zu
nutzen (UA S. 11 zweiter Absatz).
5. Das Verwaltungsgericht hat auch nicht deshalb gegen den Grundsatz der
Amtsermittlung und das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen,
weil es nicht gesehen habe, dass dem Ehemann der Beigeladenen 10 Tage
nachdem er eine Bestätigung zur Kenntnis genommen habe, dass ab sofort
keine Rechnungen für wertverbessernde Maßnahmen durch die KWV mehr
11
12
- 7 -
beglichen würden, dennoch einen Betrag von 30 (wohl Mark/Ost) für „Reparatu-
ren, Neuanschaffung“ (vgl. Altakte, Blatt 47 Rückseite) gezahlt worden sei. Hie-
raus ergäben sich Anhaltspunkte für einen unredlichen Erwerb.
Das Verwaltungsgericht hat diesen Sachverhalt erkennbar berücksichtigt (UA
S. 11). Dass es die von der Beschwerde gewünschten Schlussfolgerungen hie-
raus nicht gezogen hat, begründet keinen Verstoß gegen die bezeichneten ver-
fahrensrechtlichen Grundsätze. Mit diesem Vortrag wendet sich die Beschwer-
de im Grunde gegen die tatrichterliche Überzeugungsbildung, die dem materiel-
len Recht zuzurechnen ist.
6. Das Verwaltungsgericht hat auch nicht verfahrensfehlerhaft unterlassen,
Helmut M. gemäß § 65 Abs. 2 VwGO zum Verfahren beizuladen. Der Klägerin
fehlt es insoweit bereits an der nötigen materiellen Beschwer. Diese setzt vo-
raus, dass der Beschwerdeführer durch den geltend gemachten Mangel in
eigenen Rechten betroffen ist. Ein Verfahrensmangel, der ihn nicht in eigenen
Rechten berührt, kann der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhel-
fen. Dieser Grundsatz gilt auch für die Rüge, eine notwendige Beiladung sei
versäumt worden (Beschluss vom 16. September 2009 - BVerwG 8 B 75.09 -
NVWZ-RR 2010, 37). Ein Beiladungsmangel würde die Klägerin nicht in ihren
eigenen Rechten betreffen, weil ihr das Grundstück nur zur Hälfte gehörte.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurde der Anspruch auf
Rückübertragung des Miteigentumsanteils des Helmut M. deshalb abgelehnt,
weil der behauptete Erbe nicht seine Erbenstellung nach dem Anmelder geeig-
net nachgewiesen habe. Die notwendige Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO
bezweckt nicht, die Verfahrensposition eines anderen Prozessbeteiligten zu
stärken und in dessen Interesse die Möglichkeiten der Sachaufklärung zu er-
weitern. Sie soll vielmehr die Rechte des notwendig Beizuladenden schützen
und dient darüber hinaus der Prozessökonomie, indem sie die Rechtskraft des
Urteils auf alle am streitigen Rechtsverhältnis Beteiligten erstreckt. Das schließt
kein subjektives Recht der Prozessbeteiligten auf fehlerfreie Anwendung des
§ 65 Abs. 2 VwGO ein. Wer ordnungsgemäß am Verfahren beteiligt war und
entsprechend auf das Verfahrensergebnis einwirken konnte, wird durch das
Unterlassen der notwendigen Beiladung eines anderen nicht in eigenen Rech-
13
14
- 8 -
ten berührt. Das Risiko, bei Unwirksamkeit der Entscheidung gegenüber dem
nicht Beigeladenen in einen weiteren Prozess einbezogen zu werden, ändert
daran nichts (vgl. Beschluss vom 16. September 2009 - a.a.O. mit weiteren
Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Fest-
setzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1
und Abs. 4 GKG.
Dr. Christ
Dr. Deiseroth
Dr. Hauser
15