Urteil des BVerwG vom 08.12.2014

Treu Und Glauben, Verwirkung, Grundstück, Körperschaft

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 14.14
VG 1 K 241/12
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Dezember 2014
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Christ
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab und Hoock
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Pots-
dam vom 14. November 2013 wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 40 500 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechts-
sache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unzulässig
und deshalb zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung genügt bereits nicht
den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Die Darlegung des Zulassungsgrundes rechtsgrundsätzlicher Bedeutung (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich
noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage
des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine,
über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr, vgl. Be-
schluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26 S. 14). Im Falle einer mehrfachen, die Entscheidung je-
weils selbstständig tragenden Begründung des angefochtenen Urteils bedarf es
zur Zulässigkeit der Beschwerde in Bezug auf jede dieser Begründungen eines
geltend gemachten und vorliegenden Zulassungsgrundes (Beschluss vom
19. August 1997 a.a.O. S. 15). Daran fehlt es hier. Das Verwaltungsgericht hat
die Klage sowohl für unzulässig als auch für unbegründet gehalten und damit
das angefochtene Urteil auf zwei jeweils selbstständig tragende Begründungen
gestützt. Die Beschwerde der Klägerin legt in Bezug auf keinen der beiden tra-
genden Begründungen des verwaltungsgerichtlichen Urteils einen Zulassungs-
grund in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise dar.
Soweit die Beschwerde der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung insoweit
beimisst, „als es um die Frage von Änderungsbescheiden im Verwaltungspro-
zess“ sowie „die Frage der Verwirkung“ gehe, benennt sie nur den Gegenstand
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und eine Erwägung des angegriffenen Urteils, formuliert jedoch keine Rechts-
fragen von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung. Ihre weiteren Ausführungen wen-
den sich allein gegen die Rechtsanwendung durch die Vorinstanz im konkreten
Einzelfall. Das Verwaltungsgericht hat die Klage für unzulässig gehalten, weil
der Bescheid des Beklagten vom 20. Mai 2010 bestandskräftig geworden sei.
Anders als die Klägerin ist es davon ausgegangen, dass dieser Bescheid nach
seinem objektiven Erklärungsgehalt keinen in einem erneuten Widerspruchsver-
fahren angreifbaren (neuerlichen) Ausgangsbescheid darstellt. Unabhängig da-
von hat es die Einlegung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20. Mai
2010 durch die Klägerin in Anbetracht des Verfahrensablaufs als Verstoß gegen
Treu und Glauben gewertet, so dass zudem eine Verwirkung des verfahrens-
rechtlichen Widerspruchsrechts eingetreten sei. Das auf die Zulässigkeit der
Klage bezogene Beschwerdevorbringen der Klägerin (vgl. S. 2 ff. der Be-
schwerdebegründung) erschöpft sich im Stil einer Berufungsbegründung in der
Kritik an der rechtlichen Würdigung der Vorinstanz, ohne rechtsgrundsätzliche
Fragen herauszuarbeiten. Es kritisiert die vom Verwaltungsgericht vorgenom-
mene Auslegung der in der mündlichen Verhandlung vom 20. Mai 2010 im Ver-
fahren VG 1 K 1138/08 abgegebenen Erklärung des Beklagten und damit die
tatrichterliche Würdigung und Subsumtion im konkreten Einzelfall, ohne revisib-
le Rechtsfragen zur Auslegung aufzuzeigen. Gleiches gilt in Bezug auf die An-
nahme der Vorinstanz, das Widerspruchsrecht der Klägerin sei verwirkt. Die
Beschwerde führt in diesem Zusammenhang im Wesentlichen nur aus, weshalb
die vom Verwaltungsgericht herangezogene höchstrichterliche Rechtsprechung
nach Auffassung der Klägerin nicht einschlägig sei. Damit wird ebenfalls keine
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt. Eine Umdeutung in eine
Divergenzrüge kommt nicht in Betracht, weil kein Rechtssatzwiderspruch her-
ausgearbeitet wird.
Auch die weitere Rüge der Beschwerde (vgl. S. 5 f. der Beschwerdebegrün-
dung), die sich gegen die alternativ tragende Annahme der Unbegründetheit der
Klage richtet, genügt den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO nicht. Die Beschwerdebegründung beschränkt sich darauf, dem ange-
griffenen Urteil eine abweichende rechtliche Bewertung des konkreten Sach-
verhalts gegenüberzustellen, ohne eine rechtsgrundsätzliche Frage herauszu-
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arbeiten. So wendet sich die Klägerin insbesondere gegen die Auffassung des
Verwaltungsgerichts, nicht ihr und ihrer Schwester komme die Stellung als Be-
rechtigte gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG in Bezug auf den hälftigen Miteigen-
tumsanteil ihres Vaters an dem in Rede stehenden Grundstück zu; Berechtigte
sei vielmehr - so das Verwaltungsgericht - die Erbengemeinschaft nach dem
Vater der Klägerin. Die Beschwerdebegründung legt nicht dar, welche rechts-
grundsätzliche Frage des revisiblen Rechts diese rechtliche Bewertung des
Verwaltungsgerichts aufwirft.
Auch das Vorbringen der Beschwerde zum Verhältnis zwischen dem Investiti-
onsvorrangbescheid vom 11. Februar 1994 einerseits und dem Auszahlungs-
anspruch auf der Grundlage von § 21 Abs. 5 Investitionsvorranggesetz (InVorG)
in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung (a.F.) andererseits führt nicht auf
eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Die Klägerin vertritt hierzu die Auf-
fassung, Ziffer 4 des Investitionsvorrangbescheids vom 11. Februar 1994 sehe
(nur) für den Fall des bestandskräftigen Widerrufs des Bescheids die Zahlung
des Verkehrswertes an den berechtigten Alteigentümer gemäß § 21 Abs. 5
InVorG vor; für die Anwendung des § 21 Abs. 5 InVorG (a.F.) bleibe daneben
kein Raum. Das Verwaltungsgericht ist demgegenüber davon ausgegangen,
dass sich dem Investitionsvorrangbescheid nicht entnehmen lasse, dass § 21
Abs. 5 InVorG (a.F.) nur insoweit habe gelten sollen, wie in Ziffer 4 des Be-
scheids dargestellt; vielmehr stelle diese Bestimmung eine zusätzliche Ver-
pflichtung dar. Vor dem Hintergrund dieser gegensätzlichen Sachverhaltswürdi-
gung betrifft die am Ende der Beschwerdebegründung aufgeworfene Frage, „ob
die als berechtigte Anmelder im Sinne des Investitionsvorranggesetzes aner-
kannten ‚Antragsteller‘, die nach dem InVorG ein Grundstück übertragen beka-
men, damit zugleich von Ausgleichsforderungen an die verfügungsberechtigte
Institution/Körperschaft befreit wurden“, keine über den Einzelfall hinaus be-
deutsame abstrakte Rechtsfrage, sondern nur die wiederum im Stil einer Beru-
fungsbegründung kritisierte Anwendung der Vorschrift auf den Einzelfall.
Schließlich genügt auch der allgemein gehaltene Hinweis der Beschwerde, die
Rechtssache der Klägerin sei von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie Rechts-
fragen aufwerfe, die in einer unbestimmten Zahl von Fällen auftreten könnten,
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den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht, weil er
keine bestimmten klärungsbedürftigen abstrakten Rechtsfragen bezeichnet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52
Abs. 1 GKG. Da die Klägerin für den Fall der Durchführung des Revisionsver-
fahrens ihren angekündigten Antrag auf die Aufhebung der Ziffern 1 und 4 des
Bescheids vom 20. Mai 2010 beschränkt hat und der Streitgegenstand insoweit
teilbar ist, bemisst sich der Streitwert für das Beschwerdeverfahren nur noch
nach dem verbliebenen Teil des Streitgegenstands. Die vom Verwaltungsge-
richt bei der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung mit einem Wert von
69 500 € berücksichtigte Anfechtung der Berechtigtenfeststellung in Ziffer 2 des
Bescheids vom 20. Mai 2010 bleibt deshalb für das Beschwerdeverfahren au-
ßer Betracht. Im Übrigen folgt der Senat der Streitwertbegründung der Vor-
instanz.
Dr. Christ
Dr. Held-Daab
Hoock
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