Urteil des BVerwG vom 29.01.2014

Befangenheit, Berufliches Fortkommen, Wirtschaftliches Interesse, Datenbank

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 C 13.13
VGH 10 S 281/12
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Januar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Brandt
beschlossen:
Die Ablehnungsgesuche der Klägerin gegen den Vorsit-
zenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß, die
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp, den
Richter am Bundesverwaltungsgericht Guttenberger, die
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und den
Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt sowie gegen
alle weiteren Richterinnen und Richter des Bundesverwal-
tungsgerichts werden abgelehnt.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin betreibt eine juristische Datenbank. Sie verlangt von der Beklagten
die Übermittlung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in der-
selben von Dokumentaren des Gerichts aufbereiteten Form, wie sie der beige-
ladenen juris GmbH zur Verfügung gestellt werden. Der Verwaltungsgerichtshof
hat dem Klagebegehren auf der Grundlage des Gleichbehandlungsanspruchs
nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Informationsweiterverwendungsgesetz (IWG) und Art. 3
1
- 3 -
Abs. 1 GG stattgegeben. Gegen dieses Urteil richten sich die vom Verwal-
tungsgerichtshof zugelassenen Revisionen der Beklagten und der Beigelade-
nen.
Die Klägerin hat die Richter des 7. Revisionssenats sowie alle weiteren Richter
des Bundesverwaltungsgerichts wegen der Besorgnis der Befangenheit abge-
lehnt. Sie macht geltend, dass alle Richter wegen ihrer Mitgliedschaft im Verein
der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht e.V. (Richterverein) ein
wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hätten. Die Richter
könnten sich darüber hinaus von den Rechtsansichten, die die Präsidentin des
Bundesverwaltungsgerichts zu den dem Rechtsstreit zugrunde liegenden ver-
traglichen Regelungen verlautbart habe, nicht freimachen. Die Richter des
7. Senats zeigten durch die Zitierweise in ihren Entscheidungen eine besondere
Nähe zur Beigeladenen. Schließlich sei bei den Mitgliedern des Präsidiums des
Bundesverwaltungsgerichts die Vermutungsregelung des § 54 Abs. 3 VwGO zu
beachten.
II
1. Über die Ablehnungsgesuche entscheidet der Senat gemäß § 10 Abs. 3
Halbs. 2 VwGO in seiner im Beschluss nach § 21g GVG vom 17. Dezember
2013 (BVerwG 7 ER2 4.13) vorgesehenen Zusammensetzung unter Mitwirkung
der abgelehnten Richter. Das grundsätzliche Verbot der Selbstentscheidung
(§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO) steht dem nicht entgegen.
a) Nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO entscheidet über das Ab-
lehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mit-
wirkung. Hiernach ist die zur Entscheidung berufene „Spruchgruppe“, der die
abgelehnten Richter angehören, zunächst durch andere Mitglieder des Spruch-
körpers nach Maßgabe der senatsinternen Regelung, sodann durch die übrigen
nach der Geschäftsverteilung des Gerichts zur Vertretung heranzuziehenden
Richter dieses Gerichts zu ergänzen. Schließlich ist in § 45 Abs. 3 ZPO vorge-
sehen, dass das im Rechtszug zunächst höhere Gericht entscheidet, falls das
Gericht durch Ausscheiden der abgelehnten Mitglieder beschlussunfähig wird.
2
3
4
- 4 -
Durch diese Bestimmungen bleibt die nötige professionelle Distanz des ent-
scheidenden Richters bei der Bewertung der zur Begründung des Befangen-
heitsantrags vorgebrachten Umstände gewahrt. Damit wird vermieden, dass der
Abgelehnte zum Richter in eigener Sache wird.
Von diesem Grundsatz sind allerdings Ausnahmen anerkannt. Soweit das Ab-
lehnungsgesuch offensichtlich unzulässig, insbesondere rechtsmissbräuchlich
ist, kann ohne Beachtung dieser Verfahrensgarantie unter Mitwirkung des abge-
lehnten Richters selbst entschieden werden (vgl. zuletzt etwa Beschluss vom
11. Dezember 2012 - BVerwG 8 B 58.12 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 74
Rn. 23 m.w.N.; Gehrlein, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2013,
§ 45 Rn. 2; siehe auch Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 54
Rn. 119 ff.). Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn pauschal alle Richter ei-
nes Gerichts abgelehnt werden oder das Gesuch nur mit solchen Umständen
begründet wird, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt
rechtfertigen können. Allerdings ist eine enge Auslegung dieser Ausnahmetat-
bestände geboten. Es reicht insbesondere nicht aus, dass das Ablehnungsge-
such als offensichtlich unbegründet angesehen wird. Vielmehr soll das verein-
fachte Ablehnungsverfahren wegen Vorliegens eines gänzlich untauglichen Ab-
lehnungsgesuchs nur eine Formalentscheidung ermöglichen, die lediglich nach
der Prozessordnung vorgeschriebene Handlungen des Richters zu bewerten
hat, während jegliches Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehr-
lich ist. Ist dies hingegen, wenn auch nur in geringfügigem Umfang, geboten,
scheidet die Ablehnung als unzulässig grundsätzlich aus (siehe BVerfG, Kam-
merbeschlüsse vom 18. Dezember 2007 - 1 BvR 1273/07 - NVwZ-RR 2008,
289 <291> und vom 11. März 2013 - 1 BvR 2853/11 - juris Rn. 30).
b) An diesen Kriterien gemessen wäre eine Selbstentscheidung hier nicht in
jeglicher Hinsicht zulässig.
Die Ablehnungsgesuche sind nicht bereits deswegen als rechtsmissbräuchlich
einzustufen, weil es sich um eine Pauschal- bzw. Globalablehnung handelte.
Die Klägerin hat zwar neben sämtlichen Richtern des 7. Revisionssenats auch
alle übrigen Richter des Bundesverwaltungsgerichts als befangen abgelehnt.
5
6
7
- 5 -
Die Ablehnung auch der namentlich nicht genannten, aber gleichwohl ohne
Weiteres bestimmbaren Richter wird jedoch nicht allein mit deren Zugehörigkeit
zum Bundesverwaltungsgericht als solcher begründet. Vielmehr macht die Klä-
gerin in Bezug auf alle abgelehnten Richter einen - wenn auch vermittelt über
die Mitgliedschaft im Verein der Bundesrichter beim Bundesverwaltungsgericht
e.V. (Richterverein) gleich gearteten - darüber hinausgehenden Umstand gel-
tend, aus dem sich die Befangenheit ergeben soll (vgl. dazu Urteil vom 5. De-
zember 1975 - BVerwG 6 C 129.74 - BVerwGE 50, 36 <37 f.> = Buchholz 448.0
§ 34 WehrPflG Nr. 48 S. 11 f. und Beschluss vom 31. Januar 2013 - BVerwG
2 AV 1.13 - NVwZ-RR 2013, 343 Rn. 5; Czybulka, a.a.O., § 54 Rn. 85). Der in-
soweit behauptete Befangenheitsgrund eines wirtschaftlichen Interesses der
abgelehnten Richter am Ausgang des anhängigen Revisionsverfahrens erfor-
dert ein Eingehen auf den Gegenstand dieses Rechtsstreits. Der Rahmen einer
bloßen Formalentscheidung, wie in der Rechtsprechung bislang für die Zuläs-
sigkeit einer Selbstentscheidung zwingend vorausgesetzt, ist damit überschrit-
ten.
c) Die vorliegende Fallgestaltung zeigt indessen, dass die in der Rechtspre-
chung der Fachgerichte entwickelten und durch das Bundesverfassungsgericht
präzisierten Ausnahmen vom Verbot der Selbstentscheidung nicht als abschlie-
ßend verstanden werden können. Eine restriktive Handhabung der Möglichkeit
einer Selbstentscheidung setzt nämlich immer voraus, dass über die geltend
gemachten Ablehnungsgründe gleichwohl von dem hierfür vorgesehenen ge-
setzlichen Richter entschieden werden kann. Das will insbesondere die Rege-
lung des § 45 Abs. 3 ZPO für den - abgesehen von der Ablehnung von Richtern
an sehr kleinen Gerichten - wohl seltenen Fall gewährleisten, dass nach dem
Ausschöpfen der gerichtsinternen Vertretungsregelungen ein beschlussfähiger
Spruchkörper nicht zur Verfügung steht. Auf oberste Bundesgerichte ist die Be-
stimmung indessen nicht anwendbar; denn diese sind keinem anderen Gericht
im Instanzenzug untergeordnet. Es ist auch nicht ersichtlich, wie eine solche
Regelungslücke geschlossen werden könnte. Im Wege richterlicher Rechtsfort-
bildung kann eine Ersatzzuständigkeit anderer Richter jedenfalls nicht begrün-
det werden; denn das an den Instanzenzug anknüpfende Regelungsmodell des
§ 45 Abs. 3 ZPO kann nicht fortentwickelt werden.
8
- 6 -
Die Möglichkeit, das aufgezeigte Problem durch eine gestaffelte Entscheidung
über die Ablehnungsgesuche gegen jeweils einzelne Richter zu entschärfen, ist
nicht eröffnet. Denn über gemeinsam angebrachte Ablehnungsgesuche ist in
einem einheitlichen Beschluss zu entscheiden. Im Übrigen ließe ein anderes
Vorgehen schon außer Betracht, dass gerade gleich gelagerte Befangenheits-
gründe geltend gemacht werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. April
2004 - 2 BvR 2225/03 - NJW 2004, 2514 <2515>).
Diese Rechtslage darf dann aber nicht zur Folge haben, dass eine ordnungs-
gemäße Entscheidung über den Befangenheitsantrag von vornherein ausge-
schlossen und in der Folge eine Sachentscheidung blockiert ist. Sollte letztlich
dieses Ergebnis mit den Ablehnungsgesuchen bezweckt sein - öffentliche Äu-
ßerungen eines der Geschäftsführer der Klägerin könnten so verstanden wer-
den (siehe Sonntagsgespräch 29.09.2013, www.buchmarkt.de/content/56237-
christoph-schwalb-ueber-verfassungsrichter-die-vom-verkauf-eigener-urteile-
feste-und-ausfluege-bezahlen.htm?hilite=schwalb) -, wären sie, da damit letzt-
lich von der Prozessordnung nicht gedeckte Ziele erstrebt würden, rechtsmiss-
bräuchlich (vgl. auch Beschluss vom 22. August 2013 - BVerwG 2 AV 5.13 -
juris Rn. 20).
Zur Wahrung der Anforderungen aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3
GG) und auch aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, die
den rechtskräftigen Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreits um-
fasst und deswegen die Beschlussfähigkeit der Gerichte erfordert, ist folglich in
der vorliegenden Sondersituation eine einschränkende Handhabung der Ver-
fahrensgarantie des § 45 Abs. 1 ZPO geboten (vgl. dazu auch SächsVerfGH,
Beschluss vom 15. November 2013 - Vf. 56-IV-13 (HS), Vf. 57-IV-13 (e.A.) -
juris Rn. 14). Bei den inhaltlichen Kriterien für die Prüfung der Besorgnis der
Befangenheit dürfen jedoch keine Abstriche gemacht werden.
2. Die Ablehnungsgesuche haben insgesamt keinen Erfolg.
9
10
11
12
13
- 7 -
a) Die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzenden Richter der anderen Senate
des Bundesverwaltungsgerichts, einschließlich der Präsidentin und des Vize-
präsidenten, sind mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig, weil
sie nach den Vertretungsregelungen im Geschäftsverteilungsplan des Bundes-
verwaltungsgerichts für das Geschäftsjahr 2014 (Abschnitt C. II., III.) zur Mitwir-
kung als Vertreter im 7. Revisionssenat nicht herangezogen werden können.
b) Soweit die Klägerin die Besorgnis der Befangenheit der übrigen Richter des
Bundesverwaltungsgerichts in deren vermuteter wirtschaftlicher Nähe zum Ver-
fahrensgegenstand begründet sieht, ist dem nicht zu folgen.
Zur Prüfung dieser Frage war die Einholung dienstlicher Äußerungen aller be-
treffenden Richter gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO nicht er-
forderlich. Dies ist entbehrlich, weil die Bewertung des generalisierend vorge-
brachten Einwands keiner weiteren auf die Person des jeweils abgelehnten
Richters bezogenen Aufklärung mehr bedarf (vgl. Meissner, in: Schoch/Schnei-
der/Bier, VwGO, § 54 Rn. 51).
Nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung eines
Richters wegen Besorgnis der Befangenheit voraus, dass ein Grund vorliegt,
der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfer-
tigen. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit verlangt dagegen
nicht, dass der Richter tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch
ist. Es genügt, wenn vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen hinreichende
objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände An-
lass geben, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln. Allein die subjektive
Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund
ersichtlich ist, reicht dagegen zur Ablehnung nicht aus (stRspr, vgl. etwa
BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2003 - 2 BvR 383/03 - BVerfGE 108, 122
<126>; BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1975 a.a.O. S. 38 f. bzw. S. 13).
Ein eigenes Interesse des Richters am Verfahrensausgang kann zwar die Be-
sorgnis der Befangenheit begründen. Das setzt allerdings voraus, dass echte
wirtschaftliche oder nicht unerhebliche persönliche Belange für den Richter auf
14
15
16
17
- 8 -
dem Spiel stehen (siehe etwa Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 42
Rn. 11 m.w.N.). Das ist hier - für den vernünftigen Betrachter erkennbar - nicht
der Fall.
Die Klägerin meint, der Verein der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungs-
gericht e.V. (Richterverein), dem alle Richter des Bundesverwaltungsgerichts
angehören, werde bei einer Bestätigung der im angefochtenen Urteil des Ver-
waltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vertretenen Rechtsauffassung als
Herausgeber der Sammlung „Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts“
Einnahmeverluste erleiden und deswegen weniger finanzielle Mittel für die An-
gelegenheiten seiner Mitglieder verwenden können. Diese Veröffentlichung
werde weniger Abnehmer finden, wenn die Entscheidungen des Bundesverwal-
tungsgerichts in der durch die Dokumentationsstelle bisher nur für die Beigela-
dene aufbereiteten Fassung allgemein zugänglich und damit in verstärktem
Umfang auch in anderen Datenbanken verfügbar seien. Bereits dieser Kausal-
zusammenhang ist indessen wenig wahrscheinlich, da die traditionsreiche, aber
aufwändige Entscheidungssammlung bereits seit Jahren der Konkurrenz nicht
nur durch den Abdruck der Entscheidungen in einer Vielzahl von juristischen
Fachzeitschriften, sondern auch durch die Verfügbarkeit in Datenbanken ein-
schließlich derjenigen der Beigeladenen ausgesetzt ist und der Abnehmerkreis
dieser Sammlung sich - soweit ersichtlich - auch schon jetzt in einem weit über-
wiegenden Teil auf Stellen beschränken dürfte, die daneben auch auf elektroni-
schem Weg auf die Entscheidungen zurückgreifen können. Von Letzterem ist
auszugehen, weil die genannte Sammlung nur einen kleinen Ausschnitt aus der
umfänglichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dokumentiert.
Aber selbst wenn man annehmen wollte, dass die Entscheidung im Verfahren
BVerwG 7 C 13.13 merkliche Auswirkungen auf die Einnahmen des Richterver-
eins haben sollte, sind daraus resultierende „finanzielle Einbußen“ für die Rich-
ter angesichts der Geringfügigkeit der Beträge ersichtlich nicht von Bedeutung.
Für einen besonnenen Kläger besteht kein Anlass zu Zweifeln, dass die Rich-
ter, die nach Art. 97 Abs. 1 GG nur dem Gesetz unterworfen sind, sich von sol-
chen Überlegungen bei ihrer Rechtsfindung nicht werden beeinflussen lassen.
18
19
- 9 -
c) Soweit die Klägerin auf das beim Verwaltungsgericht Leipzig anhängige (Pa-
rallel-)Verfahren gegen die Beklagte wegen Überlassung der durch die Doku-
mentationsstelle des Gerichts aufbereiteten Entscheidungen des Bundesver-
waltungsgerichts sowie auf die von der Präsidentin des Bundesverwaltungsge-
richts mitgetragenen Äußerungen der Konferenz der Präsidenten der obersten
Bundesgerichte sowie andere Äußerungen zum Thema verweist, werden damit
nicht im Ansatz Umstände aufgezeigt, die die Besorgnis der Befangenheit zu
begründen geeignet wären.
Klagen gegen die Anstellungskörperschaft gehören für den Verwaltungsrichter
zum Alltagsgeschäft und rechtfertigen die Ablehnung nicht (vgl. Czybulka,
a.a.O., § 54 Rn. 54). Auf ein Wohlwollen des Dienstherrn ist der Richter bei sei-
ner richterlichen Tätigkeit nicht angewiesen.
Die Befürchtung, die Präsidentin könnte im Sinne der von ihr geäußerten
Rechtsansichten Einfluss zu nehmen versuchen oder die Richter könnten aus
eigenem Antrieb auf die Positionierung der Präsidentin zu Rechtsfragen in be-
sonderer Weise Rücksicht nehmen, ist fernliegend und nicht geeignet, an der
Objektivität der abgelehnten Richter zu zweifeln. Die Dienstaufsicht über die
beim Bundesverwaltungsgericht tätigen Richter liegt zwar gemäß § 38 Abs. 1
VwGO bei dem Präsidenten bzw. der Präsidentin des Gerichts. Die Dienstauf-
sicht erstreckt sich aber allein auf die äußere Wahrnehmung der dienstlichen
Aufgaben, nicht aber auf die Ausübung der den Richtern in voller Unabhängig-
keit anvertrauten rechtsprechenden Gewalt (§ 26 Abs. 1 DRiG). Unbegründet
ist ebenso die Befürchtung, die Richter des Bundesverwaltungsgerichts könnten
schon wegen der der Präsidentin dieses Gerichts eröffneten Möglichkeit, Ein-
fluss auf ihr berufliches Fortkommen zu nehmen, nicht frei entscheiden. Soweit
die Präsidentin einen derartigen Einfluss überhaupt ausüben kann, geschieht
dies in dem formalisierten Verfahren der dienstlichen Beurteilung. Eine negative
Beurteilung im Hinblick auf der Präsidentin persönlich unliebsame Entscheidun-
gen wäre unzulässig und würde einer gerichtlichen Kontrolle nicht standhalten
(Beschluss vom 9. Mai 2003 - BVerwG 2 AV 1.03 u.a. - Buchholz 310 § 54
VwGO Nr. 63).
20
21
- 10 -
d) Die von der Klägerin beanstandete Übung, in Entscheidungen des 7. Revi-
sionssenats Rechtsprechung gelegentlich unter Hinweis auf die Verfügbarkeit in
der Datenbank der Beigeladenen zu zitieren, hat keinen hinreichenden Bezug
zum Rechtsstreit und gibt in keiner Weise Anlass, an der Unvoreingenommen-
heit der Richter zu zweifeln. Sie erklärt sich aus der Nutzung eines vom Dienst-
herrn zur Verfügung gestellten Arbeitsmittels, das im Übrigen bei fachlich inte-
ressierten Lesern der Entscheidungen weit verbreitet ist. Die Auffindbarkeit der
Entscheidungen ist, da sie jeweils mit Datum und Aktenzeichen zitiert werden,
in jeglicher Datenbank garantiert. Soweit bei älteren Entscheidungen die Rand-
nummern der juris-Veröffentlichung angegeben werden, ist das als Erleichte-
rung und Dienstleistung für den Leser zu verstehen, der damit die in Bezug ge-
nommene Passage schneller finden kann. Soweit die Entscheidungen seit Au-
gust 2005 bereits durch die Geschäftsstelle des Bundesverwaltungsgerichts mit
Randnummern versehen werden, kann der Leser die bezeichnete Stelle auch in
der Wiedergabe in jeglicher anderen Datenbank bzw. auf der Homepage des
Bundesverwaltungsgerichts selbst finden.
e) Zu Unrecht beruft sich die Klägerin schließlich hinsichtlich der Mitglieder des
Präsidiums des Bundesverwaltungsgerichts auf § 54 Abs. 3 VwGO. Danach ist
die Besorgnis der Befangenheit stets dann begründet, wenn der Richter der
Vertretung einer Körperschaft angehört, deren Interessen durch das Verfahren
berührt werden. Diese Bestimmung ist hier nicht einschlägig. Das Bundesver-
waltungsgericht ist nicht körperschaftlich strukturiert und verfügt deshalb über
kein dem einer (Gebiets-, Real- oder Personal-)Körperschaft vergleichbares
Vertretungsorgan. Eine analoge Anwendung der Vorschrift kommt nicht in Be-
tracht. Das in § 4 Satz 1 VwGO i.V.m. § 21a GVG vorgesehene Präsidium trägt
zwar Verantwortung für die ordnungsgemäße Erledigung der anfallenden
Rechtsprechungsaufgaben durch die dem Gericht zugeteilten Richter. Hierzu
bestimmt es insbesondere nach § 21e Abs. 1 Satz 1 und 2 GVG die Besetzung
der Spruchkörper, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte. An der all-
gemeinen Verwaltung des Bundesverwaltungsgerichts wirkt es aber in keiner
Weise mit.
Dr. Nolte
Krauß
Brandt
22
23
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Informationsweiterverwendungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
VwGO
§ 54 Abs. 1 und 3
ZPO
§ 42 Abs. 2, § 44 Abs. 3, § 45 Abs. 1 und 3
Stichworte:
Befangenheit; Ablehnungsgesuch; Selbstentscheidung.
Leitsatz:
Werden alle Richter des Bundesverwaltungsgerichts wegen der Besorgnis der
Befangenheit abgelehnt, kann über die Ablehnungsgesuche unter Mitwirkung
abgelehnter Richter entschieden werden, selbst wenn die Ablehnungsgesuche
nicht als gänzlich untauglich oder rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren sind.
Beschluss des 7. Senats vom 29. Januar 2014 - BVerwG 7 C 13.13