Urteil des BVerwG vom 24.11.2011

Einstellung des Verfahrens, Aufschiebende Wirkung, Öffentliche Bekanntmachung, Stadt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 7 C 12.10
OVG 1 A 112/09
Verkündet
am 24. November 2011
Hardtmann
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 24. November 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und Guttenberger,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt
für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Sächsischen
Oberverwaltungsgerichts vom 19. August 2010 wird zu-
rückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens als
Gesamtschuldner.
- 3 -
G r ü n d e :
I
Die Kläger sind Miteigentümer der Musikbibliothek P. Sie wenden sich gegen
die Einleitung eines Verfahrens zur Eintragung der Musikbibliothek in das Ver-
zeichnis national wertvollen Kulturgutes nach dem Gesetz zum Schutz deut-
schen Kulturgutes gegen Abwanderung (KultgSchG). Die Einleitung des Verfah-
rens hat ein Ausfuhrverbot zur Folge, das bis zur Unanfechtbarkeit der Eintra-
gung andauert.
Die Musikbibliothek P. war Eigentum der C. … OHG, deren Vermögen während
der NS-Zeit enteignet wurde. Geschäftsbetrieb und Musikbibliothek wurden
1939/1940 auf die neu gegründete OHG C. … übertragen. Zu den Gesellschaf-
tern der C. … OHG gehörte auch Dr. H. H, der 1942 in Auschwitz ermordet
wurde. Die überlebenden Kinder von H. H. verzichteten seinerzeit zugunsten
des in die USA emigrierten Sohnes W. H. auf ihr Erbe. Ab 1950 wurde der Mu-
sikverlag - nach kurzzeitiger Rückgabe an W. H. während der Besatzungszeit -
vom VEB … P. weitergeführt. Der VEB übergab die Bibliothek 1954 dem Rat
der Stadt L.
Mit Bescheid vom 1. September 1993 übertrug das Sächsische Landesamt zur
Regelung offener Vermögensfragen alle Anteile an der … P. L. GmbH, die aus
dem VEB … P. hervorgegangen war, nach § 1 Abs. 6 i.V.m. § 6 VermG an die
Alleinerbin nach W. H., Frau E. H. Diese übertrug ihre Anteile an die C. …
GmbH & Co. KG in F., die am Revisionsverfahren nicht beteiligte Klägerin zu 1.
Die Musikbibliothek befand sich zu DDR-Zeiten und nach 1990 in der Stadt-
und Musikbibliothek der Stadt L. sowie - teilweise - im Bestand des Bach-
Archivs L. Die C. … GmbH & Co. KG schloss mit der Stadt L. im Jahre 1998
schiedene Überlassungs- und Verwahrungsverträge, die die Musikbibliothek
bzw. einzelne im Besitz des Bach-Archivs befindliche Stücke der Musikbiblio-
1
2
3
4
- 4 -
diese Verträge (teilweise) und forderte die Stadtbibliothek L. sowie das Bach-
Archiv auf, die von der Kündigung betroffenen Gegenstände herauszugeben.
Der von der Kündigung betroffene Teilbestand, der insgesamt 206 Einzelstücke
der Musikbibliothek umfasste, wurde zu einer Kunstspedition in Berlin ver-
bracht.
Hinsichtlich dieses Teilbestandes leitete das Land Berlin Ende August 2004 ein
Verfahren nach dem Kulturgutschutzgesetz ein und verfügte im Februar 2006
die Eintragung des Teilbestandes in das Verzeichnis national wertvollen Kultur-
gutes. Die dagegen vor dem Verwaltungsgericht Berlin erhobene Klage hatte
teilweise Erfolg. Das Berliner Verfahren hat sich erledigt, nachdem der betroffe-
ne Teilbestand inzwischen wieder dauerhaft in L. verwahrt wird.
Mit streitgegenständlichem Schreiben vom 27. August 2004 an die C. … GmbH
& Co. KG leitete der Beklagte unter Hinweis auf das strafbewehrte Ausfuhrver-
bot nach § 4 Abs. 1 KultgSchG hinsichtlich der in L. verbliebenen Bestände der
Musikbibliothek ebenfalls ein Eintragungsverfahren nach dem Kulturgutschutz-
gesetz ein. Die Einleitung des Verfahrens wurde im Sächsischen Amtsblatt vom
13. August 2010 wurde das Verfahren auf den Berliner Teilbestand erweitert.
Der nach § 2 Abs. 2 KultgSchG im Freistaat Sachsen gebildete Sachverständi-
genausschuss sprach sich in einer Stellungnahme vom 17. März 2005 für die
Eintragung der Musikbibliothek in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgu-
tes aus.
Im August/September 2005 schlossen die Kläger und die anderen Nachkom-
men nach Dr. H. H. mit der Komplementärin der C. … GmbH & Co. KG, der …
P. L. GmbH, einen Vertrag, in dem das Eigentum an der Musikbibliothek auf die
H.-Erben übertragen wurde. Ende August 2005 erhob die C. … GmbH & Co.
KG vor dem Verwaltungsgericht Dresden Klage gegen die Einleitung des Ver-
5
6
7
8
- 5 -
Die dagegen gerichtete Berufung der Kläger hat das Oberverwaltungsgericht
mit Urteil vom 19. August 2010 zurückgewiesen:
verfahrens vom 27. August 2004 und 13. August 2010 sei unzulässig, weil es
sich dabei nicht um Verwaltungsakte handele. Die hilfsweise erhobene allge-
meine Leistungsklage sei zulässig, aber nicht begründet. Die Kläger hätten kei-
nen Anspruch auf Einstellung des Verfahrens. Die Einleitung stehe nicht im Er-
messen der Behörde, die Mitteilungen seien hinreichend bestimmt. Anhalts-
punkte für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen seien nicht ersichtlich. Das
Verfahren sei zwar nicht mit der gebotenen Zügigkeit abgeschlossen worden.
Bei unzumutbarer Verfahrensdauer stehe den Betroffenen aber nur ein An-
spruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Aus-
fuhrgenehmigung in entsprechender Anwendung der § 1 Abs. 4, § 5 Abs. 1
KultgSchG zu.
Bedenken gegen die Anwendung des Kulturgutschutzgesetzes auf die Musik-
Völker-, Verfassungs- und Unionsrecht. Die Anwendbarkeit des Kulturgut-
schutzgesetzes werde durch die Grundsätze der Washingtoner Erklärung vom
3. Dezember 1998 und die Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der
Länder und der kommunalen Spitzenverbände vom 9. Dezember 1999 sowie
die dazu erlassene Handreichung nicht in Frage gestellt. Abweichendes folge
auch nicht aus der Vereinbarung der Bundesrepublik Deutschland mit den drei
Westmächten vom 27./28. September 1990.
Die mit der Anwendung des Kulturgutschutzgesetzes für die Eigentümer ver-
bundenen Folgen stellten zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmungen i.S.v.
Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Die Regelungen des Kulturgutschutzgesetzes
verstießen nicht gegen den EU-Vertrag. Nach Art. 36 Satz 1 AEUV dürfe vom
Grundsatz des freien Warenverkehrs u.a. zum Schutz nationalen Kulturgutes
abgewichen werden.
9
10
11
- 6 -
Gegen dieses Urteil haben die Kläger die vom Oberverwaltungsgericht zuge-
lassene Revision eingelegt, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vortra-
gen:
Die Anfechtungsklage sei zulässig. Die Mitteilung über die Einleitung des Ein-
tragungsverfahrens entfalte unmittelbare Außenwirkung, weil sie ein absolutes
Ausfuhrverbot zur Folge habe. Dieses Ausfuhrverbot dauere inzwischen seit
über sieben Jahren an. Schon daraus folge ein Anspruch auf Einstellung des
Verfahrens wegen überlanger Verfahrensdauer.
Ungeachtet dessen erweise sich die Einleitung des Eintragungsverfahrens we-
gen einer Vielzahl weiterer Rechtsverstöße als rechtswidrig. Die Ausführungen
des Oberverwaltungsgerichts zum fehlenden Ermessen seien unzutreffend und
praxisfern. So belegten etwa die Rückgabe des Kirchner-Bildes „Berliner Stra-
ßenszene“, das Restitutionsverhalten der Stadt L. und nicht zuletzt die allge-
mein geübte Praxis beim Vollzug des Kulturgutschutzgesetzes, dass die zu-
ständigen Behörden und Ämter weitreichende Ermessensspielräume in An-
spruch nähmen. Die Rechtsmissbräuchlichkeit des Verfahrens zeige sich weiter
darin, dass der Beklagte von 1993 bis 2004 zu keiner Zeit auf die Idee gekom-
men sei, die Musikbibliothek in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes
einzutragen. Die Bescheide seien überdies nicht hinreichend bestimmt, weil
darin nur auf nicht detailliert bezeichnete Einheiten der Musikbibliothek Bezug
genommen werde.
§ 1 Abs. 6 VermG werde durch die Anwendung des Kulturgutschutzgesetzes in
unzulässiger Weise eingeschränkt. Da das Vermögensgesetz keinen Vorbehalt
zugunsten des Kulturgutschutzes enthalte, seien nach § 1 Abs. 6 VermG resti-
tuierte Gegenstände dem Kulturgutschutz von vornherein entzogen. Nicht um-
sonst sei der vorliegende Fall in der Bundesrepublik Deutschland einzigartig.
Das angegriffene Urteil verkenne den besonderen Stellenwert, der § 1 Abs. 6
VermG durch seine Funktion zur Umsetzung von die Bundesrepublik Deutsch-
land unmittelbar bindenden völkerrechtlichen Verträgen zukomme. Nach den
völkerrechtlichen Vorgaben aus dem sog. Zwei-plus-Vier-Vertrag sei die Bun-
12
13
14
15
16
- 7 -
desrepublik verpflichtet, im Beitrittsgebiet alliiertes Rückerstattungsrecht in Kraft
zu setzen, das eine vorbehaltlose Rückgabe fordere. Diese höherrangige Ver-
pflichtung könne nicht durch einfachgesetzlichen Kulturgutschutz wieder einge-
schränkt werden. Anderenfalls laufe § 1 Abs. 6 VermG leer. Das alliierte Recht,
auf das sich § 1 Abs. 6 VermG beziehe, habe die Restitution immer vor den
Kulturgutschutz gestellt. Dafür gebe es unzählige Beispielsfälle.
Das Oberverwaltungsgericht habe zudem die Bedeutung der Washingtoner Er-
klärung vom 3. Dezember 1998 und der Gemeinsamen Erklärung vom
9. Dezember 1999 verkannt. Der Washingtoner Erklärung und den Umset-
zungsakten müssten zumindest Auslegungshinweise für das Verhältnis von § 1
Abs. 6 VermG zum Kulturgutschutz entnommen werden.
Das Kulturgutschutzgesetz sei - soweit es auch auf Vermögensgegenstände
Anwendung finde, die nach § 1 Abs. 6 VermG restituiert wurden - mit Art. 14
GG nicht vereinbar. Insbesondere könne keine Rede davon sein, dass die Mög-
lichkeit zur wirtschaftlichen Nutzung den Eigentümern auch nach Eintragung in
die Kulturgutliste grundsätzlich erhalten bleibe und die Eintragung daher keine
übermäßige Belastung darstelle. Die Restitutionsberechtigten und ihre Nach-
kommen seien vielfach im Ausland wohnhaft und könnten die restituierten Kul-
turgüter daher nicht einmal in Besitz nehmen.
Die Einleitung des Eintragungsverfahrens verstoße schließlich auch gegen Uni-
onsrecht, weil sie sich vorliegend, wie etwa anhand der Restitution des Kirch-
ner-Bildes „Berliner Straßenszene“ oder der Speck von Sternburg`schen
Sammlung belegt werden könne, als ein Mittel willkürlicher Diskriminierung er-
weise.
Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt.
17
18
19
20
21
- 8 -
II
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Kläger ohne Verstoß gegen
revisibles Recht zurückgewiesen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Auf-
hebung der Mitteilungen vom 27. August 2004 und 13. August 2010 oder Ein-
stellung des Eintragungsverfahrens. Die im Hauptantrag erhobene Anfech-
tungsklage ist unzulässig (1). Die hilfsweise erhobene allgemeine Leistungskla-
ge ist zulässig, aber nicht begründet (2).
1. Das Oberverwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage zutreffend mit der Be-
gründung als unzulässig erachtet, dass die streitgegenständlichen Mitteilungen
vom 27. August 2004 und 13. August 2010 über die Einleitung bzw. Erweite-
rung des Eintragungsverfahrens nach dem Gesetz zum Schutz deutschen Kul-
turgutes gegen Abwanderung (KultgSchG) vom 6. August 1955 (in der Fassung
der Neubekanntmachung vom 8. Juli 1999, BGBl I S. 1754, zuletzt geändert
durch Art. 2 des Gesetzes vom 18. Mai 2007, BGBl I S. 757) nicht als Verwal-
tungsakte zu qualifizieren sind. Nach der gesetzlichen Definition in § 35 Satz 1
VwVfG ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitli-
che Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Ge-
biet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach
außen gerichtet ist. Eine behördliche Maßnahme stellt nur dann eine Regelung
mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen dar, wenn sie darauf gerichtet ist,
eine verbindliche Rechtsfolge zu setzen, d.h. wenn Rechte des Betroffenen
unmittelbar begründet, geändert, aufgehoben, mit bindender Wirkung festge-
stellt oder verneint werden (Urteil vom 20. Mai 1987 - BVerwG 7 C 83.84 -
BVerwGE 77, 268 = Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 24).
Daran fehlt es hier. Die Schreiben vom 27. August 2004 und 13. August 2010
messen sich zu Recht keinen Regelungscharakter bei, sondern haben erkenn-
bar nur die Funktion, die Kläger über die Einleitung des Eintragungsverfahrens
zu informieren, ihnen die Gelegenheit zur Stellungnahme zu eröffnen und vor-
sorglich auf das Ausfuhrverbot nach § 4 Abs. 1 KultgSchG sowie dessen Straf-
22
23
24
25
- 9 -
bewehrung hinzuweisen. Dies entspricht der Rechtslage, denn die Mitteilung
über die Einleitung eines Eintragungsverfahrens nach dem Kulturgutschutzge-
setz entfaltet keine unmittelbare Rechtswirkung im o.g. Sinne, sie ist insbeson-
dere nicht konstitutiv für das Wirksamwerden des Ausfuhrverbots nach § 4
Abs. 1 KultgSchG. Die Einleitung eines Verfahrens nach dem Kulturgutschutz-
gesetz stellt lediglich eine vorläufige Entscheidung dar, die mit Hilfe des gesetz-
lichen Ausfuhrverbots eine geordnete Weiterführung des Verfahrens sicherstel-
len und die abschließende Entscheidung - Einstellung des Verfahrens oder Ein-
tragung des Kulturgutes - vorbereiten soll. Im Einzelnen ergibt sich das aus fol-
genden Erwägungen:
Nach dem Wortlaut von § 4 Abs. 1 KultgSchG tritt das Ausfuhrverbot mit der
Einleitung des Verfahrens kraft Gesetzes ein, ohne dass es einer auf dieses
Ziel gerichteten behördlichen Verfügung bedarf. Diese Regelungstechnik be-
gegnet keinen Bedenken. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, eine gesetzliche
Rechtsfolge an ein behördliches Handeln anzuknüpfen, das nicht die Rechts-
qualität eines Verwaltungsaktes hat. Auch in einem solchen Fall wird die ge-
setzlich geregelte Folge nicht zum Inhalt einer durch die Behörde getroffenen
Maßnahme (Urteil vom 27. Juni 1991 - BVerwG 2 C 26.89 - BVerwGE 88,
332 ff. = Buchholz 237.7 § 47 NWLBG Nr. 4).
Sinn und Zweck des Kulturgutschutzgesetzes sowie die Gesetzessystematik
sprechen ebenfalls dafür, dass die Einleitung des Eintragungsverfahrens bzw.
die Mitteilung der Verfahrenseinleitung gegenüber den Eigentümern nicht als
Verwaltungsakt zu qualifizieren ist. Der mit dem vorläufigen absoluten Ausfuhr-
verbot verfolgte Sicherungszweck würde verfehlt, wenn die zuständige Behörde
in jedem Einzelfall nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung an-
ordnen und dies den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entspre-
chend begründen müsste, um die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen
die Einleitung des Verfahrens auszuschließen. Wenn der Gesetzgeber die Ein-
leitung als Verwaltungsakt verstanden wissen wollte, hätte sich ihm daher die
Notwendigkeit aufdrängen müssen, die aufschiebende Wirkung mittels spezial-
gesetzlicher Regelung auszuschließen. Eine solche Regelung enthält das Kul-
turgutschutzgesetz nicht.
26
27
- 10 -
Anhaltspunkte für eine entsprechende Regelungsabsicht ergeben sich auch
nicht aus den Gesetzesmaterialien. § 4 Satz 2 des Gesetzentwurfs sah vor,
dass das Nähere zur Einleitung des Verfahrens in Durchführungsbestimmungen
geregelt wird. Die Durchführungsbestimmungen sollten u.a. Regelungen zur
Bekanntgabe und über eine etwaige zeitliche Beschränkung des vorläufigen
Ausfuhrverbots enthalten (BTDrucks 2/76 S. 2 und 8). Zudem war in § 8 Abs. 1
Satz 2 des Gesetzentwurfs bestimmt, dass die Beschwerde gegen die Ausfuhr-
genehmigung aufschiebende Wirkung hat, weil - so die Begründung - der
Zweck des Gesetzes sonst verfehlt würde (BTDrucks 2/76 S. 3 und 9). § 4
Satz 2 des Entwurfs wurde im Verlaufe des weiteren Gesetzgebungsverfahrens
zugunsten einer Verordnungsermächtigung in § 23 - ebenso wie § 8 des Ent-
wurfs - gestrichen (BTDrucks 2/76 S. 15 und 18). Eine Durchführungsverord-
nung wurde nicht erlassen, inzwischen ist § 23 weggefallen.
Die Einleitung des Verfahrens hat schließlich nicht deshalb Verwaltungsaktcha-
rakter, weil sie nach § 4 Abs. 2 KultgSchG öffentlich bekanntzumachen ist. Die
öffentliche Bekanntmachung nach dieser Vorschrift stellt keinen feststellenden
Verwaltungsakt dar, der für das Wirksamwerden des Ausfuhrverbots konstitutiv
ist (vgl. zu einem so gelagerten Fall Urteil vom 16. Januar 2003 - BVerwG 7 C
31.02 - BVerwGE 117, 322 ff. = Buchholz 451.221 § 24 KrW-/AbfG Nr. 3). Die
Bekanntmachungsregelung in § 4 Abs. 2 KultgSchG ist mehr als 40 Jahre nach
Inkrafttreten des Kulturgutschutzgesetzes durch Art. 2 Nr. 1 Buchst. b des Kul-
turgutsicherungsgesetzes vom 15. Oktober 1998 (KultgutSiG, BGBl I S. 3162)
eingefügt worden. Nach der Gesetzesbegründung dient sie zur Sicherung der
Transparenz (BTDrucks 13/10789 S. 6 und 10). Daraus ergibt sich nichts für die
Annahme, dass die öffentliche Bekanntmachung der Einleitung Verwaltungs-
aktcharakter verleiht und das Ausfuhrverbot erst mit der Bekanntmachung in
Kraft gesetzt wird. Dies gilt umso mehr, als § 4 Abs. 1 KultgSchG, nach dessen
Wortlaut das Ausfuhrverbot an die Einleitung als solche geknüpft ist, im Zuge
der Ergänzung der Norm um die Bekanntmachungsregelung in Absatz 2 nicht
geändert worden ist. Die im Kulturgutschutzgesetz nicht explizit vorgesehene
Mitteilung an den Eigentümer des betroffenen Kulturgutes und die öffentliche
Bekanntmachung der Einleitung eines Eintragungsverfahrens stellen danach
28
29
- 11 -
lediglich sicher, dass das Ausfuhrverbot und die Strafvorschrift des § 16
KultgSchG nicht leerlaufen.
Die Verwaltungsaktqualität der Einleitung des Eintragungsverfahrens muss
nicht aus Rechtsschutzgründen bejaht werden. Unter der Geltung des Art. 19
Abs. 4 GG und der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel (§ 40 VwGO) ist
die Möglichkeit, vor Gericht Rechtsschutz gegen hoheitliche Maßnahmen zu
suchen, nicht von der Rechtsnatur der angegriffenen Maßnahme und damit
nicht von der zur Verfügung stehenden Klageart, sondern allein davon abhän-
gig, ob sich der Betroffene auf eine Verletzung eigener Rechtspositionen beru-
fen kann. Unter diesen Voraussetzungen kann ein Betroffener, z.B. im Wege
einer allgemeinen Leistungs-, Unterlassungs- oder der Feststellungsklage, auch
gegen eine hoheitliche Maßnahme ohne Verwaltungsaktcharakter vorgehen
(Urteil vom 20. Mai 1987 - BVerwG 7 C 83.84 - BVerwGE 77, 268 ff. =
Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 24). Von dieser Möglichkeit haben die Kläger
Gebrauch gemacht.
2. Die hilfsweise erhobene allgemeine Leistungsklage auf Einstellung des Ver-
fahrens ist zulässig (a), aber nicht begründet (b).
a) Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Kläger ihr
Begehren auf Einstellung des Verfahrens mit einer allgemeinen Leistungsklage
verfolgen können. Die Vorschrift des § 44a Satz 1 VwGO, wonach Rechtsbehel-
fe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die
Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden kön-
nen, steht dem nicht entgegen. Das in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Prinzip der
Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebietet eine einschränkende Auslegung
des § 44a Satz 1 VwGO in den Fällen, in denen bei einer Abwägung zwischen
dem von § 44a Satz 1 VwGO verfolgten Zweck der Gewährleistung eines effek-
tiven Verwaltungsverfahrens und den Belangen des Betroffenen Letzteren ein-
deutig der Vorrang einzuräumen ist, insbesondere deshalb, weil die negativen
Folgen für diesen besonders schwer wiegen (Geiger, in: Eyermann, VwGO,
13. Aufl. 2010, § 44a Rn. 16). So können etwa Verfahrenshandlungen, die in
materielle Rechtspositionen des Betroffenen eingreifen und dadurch eine
30
31
32
- 12 -
selbständige, im Verhältnis zur abschließenden Sachentscheidung andersartige
Beschwer enthalten, selbständig angefochten werden (Kopp/Schenke, VwGO,
17. Aufl. 2011, § 44a Rn. 10). So liegen die Dinge hier. Eine nachfolgende ge-
richtliche Entscheidung über die Eintragung der Musikbibliothek in das Ver-
zeichnis national wertvollen Kulturgutes könnte das durch die Einleitung des
Verfahrens ausgelöste und bis zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung über die
Eintragung andauernde Ausfuhrverbot rückwirkend nicht mehr beseitigen.
b) Die Kläger haben keinen Anspruch auf Einstellung des Eintragungsverfah-
rens. Das Verfahren ist zu Recht eingeleitet worden. Das Kulturgutschutzgesetz
findet auch auf solche Vermögensgegenstände Anwendung, die ihren jüdischen
Eigentümern in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 durch natio-
nalsozialistische Unrechtsmaßnahmen entzogen und nach der Wiedervereini-
gung gemäß § 1 Abs. 6 VermG restituiert worden sind (aa). Dem stehen weder
Völker- noch Verfassungs- oder Unionsrecht entgegen (bb). Das Eintragungs-
verfahren ist überdies nicht mit materiellen Rechtsfehlern behaftet, die zu seiner
Einstellung führen müssen (cc). Es stellt sich schließlich auch nicht als rechts-
missbräuchlich dar (dd).
aa) Weder das Kulturgutschutzgesetz noch das Vermögensgesetz enthalten
eine ausdrückliche Regelung, nach der das Kulturgutschutzgesetz auf Vermö-
gensgegenstände, die nach § 1 Abs. 6 VermG restituiert worden sind, keine
Anwendung findet.
Entgegen der Auffassung der Kläger stehen auch Sinn und Zweck des § 1
Abs. 6 VermG der Anwendung des Kulturgutschutzgesetzes nicht entgegen.
Dabei kann dahinstehen, ob die Kläger sich schon deshalb nicht auf § 1 Abs. 6
VermG berufen können, weil sie das Eigentum an der Musikbibliothek nicht im
Wege der Restitution, sondern durch Rechtsgeschäft erworben haben. § 1
Abs. 6 VermG würde die Anwendung des Kulturgutschutzgesetzes auf die Mu-
sikbibliothek P. selbst dann nicht hindern, wenn diese an die Kläger restituiert
worden wäre.
33
34
35
- 13 -
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es
Sinn und Zweck des § 1 Abs. 6 VermG, die Wiedergutmachungslücke zu
schließen, die dadurch entstanden ist, dass in der SBZ/DDR keine Wiedergut-
machung nationalsozialistischen Unrechts stattgefunden hat. Mit der Einbezie-
hung von Wiedergutmachungsansprüchen NS-Verfolgter in das Vermögensge-
setz ist die Bundesrepublik Deutschland den von ihr in der Vereinbarung mit
den drei Westmächten vom 27./28. September 1990 (BGBl II S. 1386) einge-
gangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen. Weil die alliierten
Rückerstattungsgesetze nicht auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgedehnt
wurden und das Bundesrückerstattungsgesetz trotz seiner Erstreckung auf das
Beitrittsgebiet durch Art. 8 des Einigungsvertrages wegen der nicht wieder er-
öffneten Antragsfristen (§ 27 Abs. 2 BRüG: 31. Dezember 1958 bzw. 1. April
1959) dort praktisch wirkungslos bleiben musste (BGH, VIZ 1995, 644 <645>
m.w.N.), übernahm § 1 Abs. 6 VermG die Aufgabe der Rückerstattung im Bei-
trittsgebiet. Durch diese Vorschrift sind Rückübertragungsansprüche von Bür-
gern und Vereinigungen, denen Vermögen durch NS-Verfolgungsmaßnahmen
auf dem Gebiet der späteren DDR und des sowjetischen Sektors von Berlin
entzogen wurde, konstitutiv begründet worden (Urteil vom 18. Mai 1995
- BVerwG 7 C 19.94 - BVerwGE 98, 261 ff. = Buchholz 428 § 1
VermG Nr. 44, bestätigt durch BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. Februar
1999 - 1 BvR 1579/95, 1 BvR 495/96 - ZOV 1999, 188; BVerwG, Urteile vom
9. Dezember 2004 - BVerwG 7 C 2.04 - BVerwGE 122, 286 ff. =
Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 31 und vom 25. November 2009 - BVerwG
8 C 12.08 - BVerwGE 135, 272 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG
Nr. 52).
Da der Gesetzgeber zwar keine generelle Übernahme der alliierten Rückerstat-
tungsregelungen, aber eine möglichst weitgehende Anlehnung wollte, ist der
Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 6 VermG anhand der früheren Rückerstat-
tungsregelungen und der dazu ergangenen Rechtsprechung, mithin im Lichte
des Art. 3 Abs. 1 der Anordnung BK/O (49) 180 der Alliierten Kommandatur
Berlin vom 26. Juli 1949 zur Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegen-
stände an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen
(REAO), auf die § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG Bezug nimmt, auszulegen (Urteile
36
37
- 14 -
vom 18. Mai 1995 a.a.O. Rn. 17, vom 24. Februar 1999 - BVerwG 8 C 15.98 -
BVerwGE 108, 301 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 1 und vom
22. Februar 2001 - BVerwG 7 C 12.00 - BVerwGE 114, 68 = Buchholz
428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 10; Beschluss vom 29. Juni 2009 - BVerwG 8 B
129.09 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 53 ). Soweit der Gesetz-
geber Besonderheiten der angestrebten Wiedergutmachung von NS-
Vermögensunrecht berücksichtigt wissen wollte, hat er besondere Regelungen,
etwa § 1 Abs. 6 Satz 2 (Verfolgungsvermutung), § 1 Abs. 8 Buchst. a (Verhält-
nis zu nochmaligen Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungs-
hoheitliche Grundlage), § 2 Abs. 1 VermG (Rechtsstellung jüdischer
Verfolgtenorganisationen) und § 22 InVorG (Einschränkung des Investitionsvor-
rangs bei Grundstücken der Liste C) geschaffen. Fehlt es an Spezialregelungen
für vermögensrechtliche Ansprüche NS-Verfolgter, gelten die allgemeinen Be-
stimmungen des Vermögensgesetzes (Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O. Rn. 16
bis 18).
In der REAO findet sich - ebenso wie in den anderen alliierten Rückerstattungs-
vorschriften - keine Regelung, die sich zum Verhältnis zwischen Rückerstattung
und Kulturgutschutz verhält. Auch die Kläger haben solche Vorschriften weder
konkret benannt noch Substantielles zu einer entsprechenden Spruchpraxis der
Rückerstattungsgerichte dargetan. Ihr Vorbringen beschränkt sich insoweit auf
die nicht näher belegte Behauptung, es sei allgemeine Rückerstattungspraxis
gewesen und habe sich so zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz entwickelt,
dass rückerstattete Vermögensgegenstände dem Kulturgutschutz entzogen
sind. Hierfür fehlt es an Anhaltspunkten. Abweichendes folgt weder aus dem in
der Revisionsbegründung beschriebenen Fall „Pringsheim“ noch der im Schrift-
satz vom 15. November 2011 geschilderten, von der amerikanischen Besat-
zungsmacht unterbundenen Praxis der Finanzbehörden, für rückerstattete Ver-
mögenswerte rückwirkend Steuern zu erheben. Der Umstand, dass der zustän-
dige Ausschuss im Fall „Pringsheim“ die Genehmigung nach § 1 des Bayeri-
schen Gesetzes über die Ausfuhr von Kunstwerken vom 30. Mai 1949 (GVBl
S. 120) erteilt hat, gibt für die Annahme, dass rückerstattete Vermögensgegen-
stände dem Kulturgutschutz von vornherein nicht unterfallen sollten, nichts her.
Auch nach § 1 Abs. 4 KultgSchG kann die Ausfuhr eingetragener Kulturgüter
38
- 15 -
genehmigt werden. Dabei ist im Rahmen der gemäß § 1 Abs. 4 Satz 2
KultgSchG vorzunehmenden Abwägung der Einzelfallumstände u.a. der zeitge-
schichtliche Hintergrund zu berücksichtigen. Der Beispielsfall der rückwirkenden
Erhebung von Steuern stützt das Vorbringen der Kläger schon deshalb nicht,
weil in Art. 79 Abs. 1 REAO ausdrücklich geregelt war, dass die Erhebung von
Steuern und sonstigen öffentlichen Abgaben aus Anlass der Rückerstattung
und für die Zeit der unrechtmäßigen Entziehung der Vermögensgegenstände
unzulässig ist. Die Eigentümer von Vermögensgegenständen, die nach § 1
Abs. 6 VermG restituiert wurden, sind daher denselben Bindungen, namentlich
Inhalts- und Schrankenbestimmungen gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, unter-
worfen wie jeder andere Eigentümer auch. Ob davon - wie der Beklagte meint -
selbst dann auszugehen wäre, wenn das alliierte Rückerstattungsrecht oder die
Spruchpraxis der Rückerstattungsgerichte in solchen Fällen Kulturgutschutz
ausgeschlossen hätte, weil § 16 VermG diesen Fall für Restitutionen nach dem
Vermögensgesetz abweichend regelt, kann dahinstehen.
Entgegen der Auffassung der Kläger läuft § 1 Abs. 6 VermG nicht leer, wenn
das Kulturgutschutzgesetz auf Vermögensgegenstände Anwendung findet, die
nach dieser Vorschrift restituiert wurden. Abgesehen davon, dass nur ein klei-
ner Teil der nach § 1 Abs. 6 VermG restituierten Vermögensgegenstände zu-
gleich national wertvolles Kulturgut i.S.d. Kulturgutschutzgesetzes darstellen
dürfte, hindert die Aufnahme eines Kulturgutes in die Liste national wertvollen
Kulturgutes weder die das NS-Unrecht wiedergutmachende Restitution noch
macht sie die Restitution rückgängig, indem sie das Eigentum erneut entzieht.
Der Eigentümer kann über das Kulturgut - wenngleich mit Einschränkungen -
grundsätzlich verfügen. Daran ändert auch der Einwand der Kläger, die Betrof-
fenen seien oftmals im Ausland wohnhaft und könnten die zurückgegebenen
Vermögensgegenstände nicht in Besitz nehmen, nichts.
bb) Die Anwendung des Kulturgutschutzgesetzes auf Vermögenswerte, die
nach § 1 Abs. 6 VermG restituiert worden sind, wird nicht durch völkerrechtliche
Verpflichtungen ausgeschlossen.
39
40
41
- 16 -
Sofern die Kläger einen Verstoß gegen die Vereinbarung der Bundesrepublik
Deutschland mit den drei Westmächten vom 27./28. September 1990 (BGBl II
S. 1386) geltend machen wollen, können sie damit schon deshalb nicht gehört
werden, weil diese Vereinbarung weder eine allgemeine Regel des Völkerrechts
im Sinne von Art. 25 GG darstellt noch gemäß Art. 59 Abs. 2 GG in das natio-
nale Recht transformiert wurde und daher kein revisibles Bundesrecht ist (Urteil
vom 18. Mai 1995 a.a.O. Rn. 25).
Ungeachtet dessen ist das Kulturgutschutzgesetz entgegen der Auffassung der
Kläger auch nicht im Lichte der Vereinbarung vom 27./28. September 1990 da-
hingehend auszulegen, dass Vermögenswerte, die nach § 1 Abs. 6 VermG re-
stituiert worden sind, dem Kulturgutschutz von vornherein entzogen sind. Aus
der Vereinbarung ergeben sich keine Anhaltspunkte für ein entsprechendes
(Vor-)Verständnis der Vertragsparteien. Nr. 4 Buchst. c Abs. 1 Satz 1 der Ver-
einbarung bezieht sich ausschließlich auf die Wiedergutmachung in den ehe-
maligen westlichen Besatzungszonen und Sektoren. Für das Beitrittsgebiet hat
die Bundesregierung in Nr. 4 Buchst. c Abs. 3 Satz 1 die Absicht erklärt, das
Bundesrückerstattungsgesetz und das Bundesentschädigungsgesetz auf das
Gebiet der gegenwärtigen DDR zu erstrecken. Dies ist vor allem durch den Er-
lass des NS-Verfolgtenentschädigungsgesetzes geschehen, das in seinem § 2
Satz 1 auf die §§ 16 bis 26 des Bundesrückerstattungsgesetzes verweist. Die
alliierten Rückerstattungsgesetze sind dagegen in der Vereinbarung nicht auf-
geführt, offenbar deshalb, weil zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses das In-
krafttreten des Vermögensgesetzes mit der in § 1 Abs. 6 VermG enthaltenen
Regelung unmittelbar bevorstand (Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O. Rn. 26;
Wasmuth, Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen
DDR, Stand Januar 2011, § 1 VermG Rn. 142 f.; Säcker, VermG, 1995, § 1
Rn. 131).
Die Anwendung des Kulturgutschutzgesetzes auf nach § 1 Abs. 6 VermG resti-
tuierte Vermögensgegenstände verstößt überdies nicht gegen die auf der Was-
hingtoner Konferenz vom 3. Dezember 1998 „in Bezug auf Kunstwerke, die von
den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden“ aufgestellten Washingtoner
Grundsätze. Wie schon der den Grundsätzen vorangestellten Einleitung ent-
42
43
- 17 -
nommen werden kann, handelt es sich dabei nicht um einen völkerrechtlich
bindenden Vertrag, sondern lediglich um eine rechtlich unverbindliche Ab-
sichtserklärung, die folglich auch nicht nach Art. 59 Abs. 2 GG in revisibles
Bundesrecht transformiert wurde. Rechtlich gleichermaßen unverbindlich sind
die Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommu-
nalen Spitzenverbände vom 9. Dezember 1999 nebst Handreichung von Feb-
ruar 2001/November 2007.
Abgesehen davon sind die Washingtoner Grundsätze vorliegend schon in der
Sache nicht einschlägig. Die Prinzipien betreffen nach ihrer Nr. 1 nur solche
Kunstwerke, „die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge
nicht zurückerstattet wurden“. Zum Verhältnis von Rückgabe und Kulturgut-
schutz verhalten sie sich nicht. Ihr Anliegen ist die Identifizierung beschlag-
nahmter und nicht zurückerstatteter Kunstwerke. Zu diesem Zweck sollen der
Provenienzrecherche einschlägige Unterlagen und Archive zugänglich gemacht
werden, ausreichend Mittel und Personal zur Verfügung gestellt werden und
alle Anstrengungen unternommen werden, um durch Veröffentlichungen sowie
Einrichtung eines zentralen Registers mit entsprechenden Informationen die
Vorkriegseigentümer oder ihre Erben ausfindig zu machen (Nr. 1, 2, 3, 5 und 6).
Sofern die Vorkriegseigentümer oder ihre Erben ausfindig gemacht werden
können, sollen rasch die nötigen Schritte unternommen werden, um eine ge-
rechte und faire Lösung zu finden, wobei diese je nach den Gegebenheiten und
Umständen des spezifischen Falls unterschiedlich ausfallen könne (Nr. 8). Da-
bei anerkennt die Washingtoner Konferenz in der Einleitung ausdrücklich, dass
die Teilnehmerstaaten unterschiedliche Rechtssysteme haben und die Länder
im Rahmen ihrer eigenen Rechtsvorschriften handeln. Hierzu gehören auch die
Regelungen des Kulturgutschutzgesetzes.
Die Anwendung des Kulturgutschutzgesetzes auf nach § 1 Abs. 6 VermG resti-
tuierte Kulturgüter begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die
vermögensrechtlichen Ansprüche für Bürger und Vereinigungen, denen durch
NS-Verfolgungsmaßnahmen auf dem Gebiet der späteren DDR und des sowje-
tischen Sektors von Berlin Vermögenswerte entzogen wurden, sind durch die
44
45
- 18 -
Vorschrift des § 1 Abs. 6 VermG konstitutiv und damit von vornherein mit den
Belastungen durch das Kulturgutschutzgesetz begründet worden.
- 19 -
In der Rechtsprechung des Senats ist bereits geklärt, dass die Eintragung eines
Kulturgutes in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes und die damit
verbundenen Ausfuhrbeschränkungen keine Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3
GG, sondern eine verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.v.
Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG darstellen. Den mit der Eintragung verbundenen wirt-
schaftlichen Nachteilen wird angemessen Rechnung getragen (vgl. §§ 8, 1
Abs. 3 KultgSchG), nach fünf Jahren kann bei wesentlicher Veränderung der
Umstände die Löschung der Eintragung beantragt werden (§ 7 Abs. 1
KultgSchG). Das Kulturgutschutzgesetz ist insgesamt auf einen gerechten Aus-
gleich der öffentlichen und privaten Interessen angelegt (Urteil vom 27. Mai
1993 - BVerwG 7 C 33.92 - BVerwGE 92, 288 ff. = Buchholz 406.391
Kulturgutschutz Nr. 2).
Für das vorläufige Ausfuhrverbot nach § 4 Abs. 1 KultgSchG gilt nichts anderes.
Es soll sicherstellen, dass während des schwebenden Verfahrens bis zur Unan-
fechtbarkeit der Eintragung nicht dadurch vollendete Tatsachen geschaffen
werden, dass das Kulturgut aus dem Geltungsbereich des Gesetzes verbracht
wird. Diese Zielsetzung ist verfassungsrechtlich legitim. Das folgt schon aus
Art. 73 Abs. 1 Nr. 5a GG (ex Art. 74 Nr. 5), der „den Schutz deutschen Kulturgu-
tes gegen Abwanderung in das Ausland“ zum Gegenstand bundesgesetzlicher
Fürsorge macht und so die in dieser Hinsicht bestehende besondere So-
zialpflichtigkeit der Eigentümer von Kulturgut unterstreicht. Überdies erfasst das
Kulturgutschutzgesetz die Eigentumsobjekte ausschließlich in ihrer sozialen
Funktion; sie müssen nämlich „national“ wertvoll, d.h. „nach ihrer künstlerischen
Eigenart, nach ihrem kulturellen Wert oder durch ihre Bedeutung für die kultu-
relle Entwicklung in Deutschland als dauernd besonders wertvoller Bestandteil
deutschen Kulturbesitzes anzusehen“ sein. Der Schutz solcher Eigentumsob-
jekte gegen Abwanderung dient mithin allein einem qualifizierten öffentlichen
Interesse an der Bewahrung herausragender deutscher Kulturgüter (Urteil vom
27. Mai 1993 a.a.O. Rn. 15). Ohne vorläufiges Ausfuhrverbot während des Ein-
tragungsverfahrens könnte dieser Schutz nicht gewährleistet werden.
Das Ausfuhrverbot nach § 4 Abs. 1 KultgSchG führt nicht zu einer übermäßigen
Belastung des Eigentümers und ist daher auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu-
46
47
48
- 20 -
mutbar. Verfügungen im Inland bleiben in jeder Hinsicht uneingeschränkt mög-
lich und auch Veräußerungen in das Ausland sind rechtlich nicht ausgeschlos-
sen. Zudem ist das Ausfuhrverbot nur vorläufig, auch dürfte das Eintragungs-
verfahren in der Regel in einem angemessenen Zeitraum abgeschlossen wer-
den; nach Unanfechtbarkeit der Eintragung kann eine Ausfuhrgenehmigung
beantragt werden. Der Gesetzgeber hat zwar für die (atypischen) Fälle, in de-
nen das Eintragungsverfahren unzumutbar lang dauert, keine Regelung getrof-
fen. Diese Lücke kann aber mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG dadurch geschlos-
sen werden, dass die Betroffenen bei unzumutbarer Verfahrensdauer so ge-
stellt werden wie die Eigentümer bereits unanfechtbar eingetragener Kulturgü-
ter. Ihnen steht daher in solchen Fällen ausnahmsweise in entsprechender An-
wendung von § 1 Abs. 4 i.V.m. § 5 Abs. 1 KultgSchG ein Anspruch auf ermes-
sensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung zu.
Der dagegen vom Vertreter des Bundesinteresses erhobene Einwand, der zur
Entscheidung über die Ausfuhrgenehmigung berufene Beauftragte der Bundes-
regierung für Kultur und Medien (BKM) müsste seine Entscheidung in solchen
Fällen auf eine hypothetische Einschätzung des Wertes stützen und die Bewer-
tung durch den vor Erteilung der Ausfuhrgenehmigung zu hörenden Gutachter-
ausschusses vorwegnehmen, greift nicht durch. Der Gutachterausschuss nach
§ 5 Abs. 2 KultgSchG ist vor jeder Entscheidung über die Ausfuhrgenehmigung
anzuhören. Seine Beteiligung hat gerade den Zweck, dem BKM den notwendi-
gen Sachverstand zu verschaffen und sich vor allem zu den öffentlichen Belan-
gen zu äußern (Bernsdorff/Kleine-Tebbe, Kulturgutschutz in Deutschland, 1996,
§ 5 Rn. 4). Regionalen oder landesspezifischen Belangen wird dadurch Rech-
nung getragen, dass zwei der fünf Sachverständigen des Ausschusses auf Vor-
schlag des Landes berufen sind, in dessen Verzeichnis das Kulturgut eingetra-
gen ist (bzw. eingetragen werden soll). Überdies dürfte gerade in den atypi-
schen Fällen mit unzumutbar langer Verfahrensdauer der nach § 2 Abs. 2
KultgSchG zu beteiligende Sachverständigen-Ausschuss des jeweiligen Bun-
deslandes in der Regel - so auch hier - schon eine fachliche Stellungnahme
abgegeben haben, die in die Entscheidungsfindung einbezogen werden kann.
Das Ausfuhrverbot des § 4 KultgSchG steht im Einklang mit Unionsrecht. Zwar
sind mengenmäßige Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen nach Art. 34, 35
49
- 21 -
AEUV grundsätzlich verboten. Vom Grundsatz des freien Warenverkehrs darf
aber nach Art. 36 AEUV u.a. dann abgewichen werden, wenn es um den
Schutz nationalen Kulturgutes von künstlerischem, geschichtlichem oder archä-
ologischem Wert geht, sofern entsprechende nationale Schutzvorschriften we-
der ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Be-
schränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen. Das ist beim
Kulturgutschutzgesetz, das sich nur auf national wertvolles Kulturgut bzw. auf
das für den deutschen Kulturbesitz wesentliche Kulturgut beschränkt, mithin
einen international üblichen, „normalen“ Kunst- und Antiquitätenhandel weder
verhindert noch erschwert, ersichtlich nicht der Fall (Urteil vom 27. Mai 1993
a.a.O. Rn. 18). Der Einwand der Kläger, die Anwendung des Kulturgutschutz-
gesetzes auf Vermögenswerte, die nach § 1 Abs. 6 VermG restituiert wurden,
stelle eine willkürliche Diskriminierung dar, liegt aus den o.g. Gründen neben
der Sache.
Der Beklagte verweist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf, dass auch
die Europäische Union seit 1992 verbindliche Regelungen zur Ausfuhr von Kul-
turgütern hat, nach denen die Ausfuhr von Kulturgütern einer Genehmigung
bedarf, die verweigert werden kann, wenn die betreffenden Kulturgüter unter
eine Rechtsvorschrift zum Schutz national wertvollen Kulturgutes fallen (vgl.
Art. 2 Abs. 1 und 2 Unterabs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3911/92 des Rates
vom 9. Dezember 1992, ABl L 395/1, sowie Art. 2 Abs. 1 und 2 Unterabs. 3 der
Verordnung (EG) Nr. 116/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008,
ABl L 39/1).
cc) Das Einleitungsverfahren leidet nicht an materiellen Rechtsfehlern, die zu
seiner Einstellung führen müssten.
Entgegen der Auffassung der Kläger ist die Einleitung eines Eintragungsverfah-
rens ebenso wie die Eintragung als solche nicht in das Ermessen der zuständi-
gen Behörde gestellt. Allerdings sind die jeweils anzulegenden Prüfungsmaß-
stäbe unterschiedlich streng. Während die Entscheidung über die Eintragung
eine sorgfältige Prüfung erfordert, ob das betreffende Kulturgut tatsächlich als
national wertvoll einzustufen ist, weil seine Abwanderung aus dem Gebiet der
50
51
52
- 22 -
Bundesrepublik Deutschland einen wesentlichen Verlust für den gesamten
deutschen Kulturbesitz bedeuten würde (vgl. BTDrucks 2/76 S. 7), reicht es für
die Einleitung eines Verfahrens aus, wenn tragfähige und nachvollziehbare An-
haltspunkte dafür vorliegen, dass das betreffende Kulturgut national wertvoll
i.S.d. § 1 Abs. 1 KultgSchG ist. Erscheint eine Eintragung danach nicht von
vornherein als ausgeschlossen, hat die zuständige Behörde das Verfahren ein-
zuleiten. Anderenfalls würde der Gesetzeszweck verfehlt. Das gilt jedenfalls
dann, wenn - wie hier - Kulturgüter betroffen sind, deren Abwanderung aus dem
Bundesgebiet konkret droht. Davon ausgehend begegnet die Verfahrenseinlei-
tung vorliegend angesichts der vom zuständigen Ausschuss nach § 2 Abs. 2
KultgSchG abgegebenen Stellungnahme vom 17. März 2005, die sich für eine
Eintragung der Musikbibliothek ausspricht und dies näher begründet, keinen
Bedenken.
Der Rüge der Kläger, die Schreiben vom 27. August 2004 und 13. August 2010
seien zu unbestimmt, weil darin nur auf nicht detailliert bezeichnete Einheiten
der Musikbibliothek Bezug genommen werde, geht fehl. Ungeachtet dessen,
dass die Kläger selbst es bei Abschluss des Vertrages zur Übereignung der
Musikbibliothek als ausreichend erachtet haben, in § 1 zur Beschreibung des
Vertragsgegenstandes auf den Zettelkatalog der Stadtbibliothek L. zu verwei-
sen, ist ihre Rüge auch in der Sache nicht begründet. Die Einleitung dient - wie
ausgeführt - allein dazu, das Verfahren in Gang zu setzen und mit Hilfe des vor-
läufigen - strafbewehrten - Ausfuhrverbots sicherzustellen, dass vor der ab-
schließenden (bestandskräftigen) Entscheidung über die Eintragung keine voll-
endeten Tatsachen geschaffen werden. Hierfür reicht es aus, wenn sich für den
Betroffenen ausgehend von seinem Empfängerhorizont aus der Mitteilung über
die Einleitung des Verfahrens - ggf. in Verbindung mit der öffentlichen Be-
kanntmachung - hinreichend deutlich ergibt, welche Kulturgüter Gegenstand
des Verfahrens sind und vom Ausfuhrverbot erfasst werden. Diesen Anforde-
rungen genügen die Schreiben vom 27. August 2004 und 13. August 2010. Im
Schreiben vom 27. August 2004 wird der Inhalt der in der Stadtbibliothek L. be-
findlichen Musikbibliothek ausführlich beschrieben und zudem auf die vollstän-
dige Erfassung der Altbestände im „Repertoire International des Sources
Musicales“ (RISM) Bezug genommen. Die öffentliche Bekanntmachung im
53
- 23 -
Sächsischen Amtsblatt vom 30. September 2004 (Nr. 40, S. 1039) verweist
ebenfalls auf das RISM, Katalog und Jahrbuch der Musikbibliothek und biblio-
graphische Veröffentlichungen der Stadt L. Das Schreiben vom 13. August
2010 bezieht sich ausdrücklich auf den sog. „Berliner Teilbestand“, wie er Ge-
genstand des vom Land Berlin betriebenen Eintragungsverfahrens war und
macht sich insoweit die Mitteilung der Senatsverwaltung Berlin vom 26. August
2004 zu eigen, in der die betroffenen 206 Einzelstücke aus der Musikbibliothek
einzeln aufgeführt sind. Von einer mangelnden Konkretisierung kann daher
nicht die Rede sein.
dd) Die Einleitung des Eintragungsverfahrens erweist sich nicht als rechtsmiss-
bräuchlich. Entgegen der Auffassung der Kläger lässt der Umstand, dass das
Verfahren nicht schon 1990, sondern erst 2004 eingeleitet worden ist, keine
Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten zu. Die Einleitung des
Verfahrens (erst) im Sommer 2004 beruht erkennbar darauf, dass die Stadt L.
die Musikbibliothek zunächst als nicht von dem Restitutionsbescheid erfasst
betrachtete und aufgrund der mit der C. … GmbH & Co. KG auf unbestimmte
Zeit geschlossenen Dauerleih- und Verwahrungsverträge bis zur (teilweisen)
Kündigung der Verträge im Sommer 2004 keine Abwanderung der Musikbiblio-
thek drohte. In § 1 Nr. 3 des Dauerleih- und Verwahrungsvertrages von
Mai/Juni 1998 hatte die C. … GmbH & Co. KG sich in Anbetracht der histori-
schen Bedeutung der Musikbibliothek Peters für die Stadt L. und die gesamte
Musikwelt verpflichtet, die Bestände der Musikbibliothek ohne zeitliche Begren-
zung in L. zu belassen. Der treuhänderische Abschluss des Dauerleih- und
Verwahrungsvertrages ist im Übrigen von den Klägern in § 7 Abs. 1 des Über-
eignungsvertrages von August/September 2005 ausdrücklich akzeptiert wor-
den. Erst nachdem das durch die o.g. Verträge begründete Vertrauen auf einen
dauerhaften Verbleib der Musikbibliothek in L. durch deren teilweise Kündigung
im Sommer 2004 entfallen war und verschiedene Einzelstücke herausgegeben
werden mussten, ist die für die Einleitung des Eintragungsverfahrens zuständi-
ge oberste Landesbehörde informiert und das Verfahren von dort im August
2004 zeitnah eingeleitet worden.
54
- 24 -
Anhaltspunkte dafür, dass die Verfahrenseinleitung in Wahrheit nicht darauf
zielte, die drohende Ausfuhr zu verhindern, sondern den Verkaufswert der Mu-
sikbibliothek und/oder besonderer Stücke zu mindern, um so einen Erwerb
durch die Stadt L. zu ermöglichen oder zu erleichtern, sind nach den von den
Klägern nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen
und den Senat daher gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Tatsachenfeststel-
lungen des Oberverwaltungsgerichts nicht ersichtlich.
Hinweise für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen ergeben sich auch nicht aus
dem Vorbringen der Kläger, die Stadt L. habe nicht nur die Wolff-Dieter Freiherr
Speck von Sternburg-Sammlung (mit 202 Gemälden, 126 Zeichnungen, mehr
als 500 druckgrafischen Blättern sowie einem hervorragenden Bestand an Illus-
trierten, Büchern und Kunstliteratur aus der Zeitspanne vom 14. bis zum
19. Jahrhundert) zurückgegeben, sondern auch diverse Gemälde aus dem Mu-
seum der Bildenden Künste der Stadt L. an sie restituiert, ohne sich auf Kultur-
gutschutz zu berufen. Abgesehen davon, dass die Kläger insoweit einen Sach-
verhalt vortragen, den das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat, kommt
es für die Frage, ob das Eintragungsverfahren vorliegend rechtsmissbräuchlich
eingeleitet worden ist, auf die Restitutionspraxis der Stadt L. nicht an. Die Klä-
ger übersehen, dass die Restitution von Vermögensgegenständen nach dem
Vermögensgesetz von ihrer Unterschutzstellung nach dem Kulturgutschutzge-
setz zu unterscheiden ist und für die Restitution bzw. Eintragung jeweils unter-
schiedliche Behörden zuständig sind. Während die Rückgabe die Wiederein-
räumung der Eigentümerstellung bewirkt, dient die Eintragung nach dem Kul-
turgutschutzgesetz allein dazu, die Abwanderung national wertvollen Kulturgu-
tes aus der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. Die Restitution schließt
eine nachfolgende Eintragung daher ebenso wenig aus wie eine bereits erfolgte
Eintragung die Restitution.
Das Verfahren ist schließlich nicht deshalb rechtsmissbräuchlich, weil es schon
seit mehr als sieben Jahre andauert. Zwar war der Beklagte während des lau-
fenden Gerichtsverfahrens nicht gehindert, das Verfahren fortzuführen und über
die Eintragung der Musikbibliothek zu entscheiden. Sein Vorbringen, er habe
nicht in ein schwebendes Verfahren eingreifen wollen und sei, sofern man die
55
56
57
- 25 -
Einleitung als Verwaltungsakt qualifiziere, durch die aufschiebende Wirkung der
Klage an einer Fortsetzung des Verfahrens gehindert gewesen, liegt neben der
Sache. Dies rechtfertigt aber nicht die Annahme, das Verfahren werde rechts-
missbräuchlich in die Länge gezogen, zumal es nach den Erläuterungen des
Beklagten in der mündlichen Verhandlung im Anschluss an die Erörterungen im
Termin vor dem Oberverwaltungsgericht seinen Fortgang genommen hat und
noch in diesem Jahr abgeschlossen werden soll. Zudem bleibt es den Eigentü-
mern bei unzumutbarer Verfahrensdauer unbenommen, in entsprechender An-
wendung von § 1 Abs. 4 i.V.m. § 5 Abs. 1 KultgSchG eine Ausfuhrgenehmigung
zu beantragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 i.V.m. § 159 Satz 2 VwGO.
Sailer
Dr. Deiseroth Guttenberger
Schipper Brandt
58
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Sonstiges
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
KultgSchG
§ 1 Abs. 1 und 4, § 2 Abs. 2, § 4 Abs. 1, § 5
VermG
§ 1 Abs. 6, § 6 Abs. 1
VwGO
§ 44a
GG
Art. 14 Abs. 1, Art. 25, 59 Abs. 2, Art. 73 Abs. 1 Nr. 5a
AEUV
Art. 34, 35, 36
Stichworte:
Vermögensgesetz; Kulturgutschutzgesetz; Kulturgut, national wertvolles; Eigen-
tum, jüdisches; Restitution; Einleitung; vorläufiges Ausfuhrverbot; Ausfuhrge-
nehmigung; Eintragung; Verwaltungsakt; Verfahrenshandlung; Anfechtungskla-
ge; allgemeine Leistungsklage; Washingtoner Erklärung; Gemeinsame Erklä-
rung; Inhalts- und Schrankenbestimmung; Verfahrensdauer; Ermessen; Be-
stimmtheit; Rechtsmissbrauch.
Leitsätze:
1. Die Mitteilung über die Einleitung eines Eintragungsverfahrens nach dem
Kulturgutschutzgesetz stellt keinen Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Satz 1 VwVfG
dar.
2. Das Kulturgutschutzgesetz findet auch auf solche Vermögensgegenstände
Anwendung, die ihren jüdischen Eigentümern in der Zeit vom 30. Januar 1933
bis zum 8. Mai 1945 durch nationalsozialistische Unrechtsmaßnahmen entzo-
gen und nach der Wiedervereinigung gemäß § 1 Abs. 6 VermG restituiert wor-
den sind.
Urteil des 7. Senats vom 24. November 2011 - BVerwG 7 C 12.10
I. VG Dresden vom 05.11.2008 - Az.: VG 5 K 1837/05 -
II. OVG Bautzen vom 19.08.2010 - Az.: OVG 1 A 112/09 -