Urteil des BVerwG vom 10.09.2015

Verordnung, Öffentliche Sicherheit, In Verkehr Bringen, Kommission

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 C 10.14
OVG 3 Bf 5/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. September 2015
durch die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Schipper
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt, Dr. Keller und
Dr. Schemmer
beschlossen:
Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wird
ausgesetzt.
Der Gerichtshof der Europäischen Union wird um Klärung
folgender Frage im Wege der Vorabentscheidung gemäß
Art. 267 AEUV gebeten:
Ist Artikel 5 REACH-Verordnung dahingehend auszu-
legen, dass vorbehaltlich der Artikel 6, 7, 21, 23 REACH-
Verordnung Stoffe nur dann aus dem Unionsgebiet expor-
tiert werden dürfen, wenn sie nach den einschlägigen
Bestimmungen des Titels II der REACH-Verordnung,
soweit vorgeschrieben, registriert wurden?
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt die Genehmigung des Exports von Nikotinsulfat nach Russ-
land und die Aufhebung der Untersagung dieses Exports.
Der Kläger handelt mit Chemikalien. Nach dem 1. Dezember 2008 importierte
er mindestens 19,4 Tonnen Nikotinsulfat aus China ohne eine Vorregistrierung
gemäß Art. 28 REACH-Verordnung. Es erfolgte bisher auch keine Registrierung
nach Art. 6 REACH-Verordnung. Die Beklagte ordnete daraufhin an, der Kläger
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dürfe den Stoff bis auf Widerruf nur verwenden oder in Verkehr bringen, wenn
sie den beabsichtigten Zweck zuvor schriftlich genehmigt habe.
Den Antrag des Klägers, den Export des Nikotinsulfats nach Russland zu ge-
nehmigen, wo es als Desinfektionsmittel in Stallungen und in der Industrie ein-
gesetzt werden solle, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Juni 2009 ab
und untersagte ihm diesen Export. Das Nikotinsulfat befinde sich illegal in
Hamburg; die Ausfuhr in ein Drittland diene nicht der Legalisierung dieses Zu-
standes, sondern stelle selbst eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ord-
nung dar. Den Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid wies die Be-
klagte zurück.
Die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Auf die Berufung
des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 25. Februar 2014
das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Beklagte unter Aufhe-
bung des angefochtenen Bescheids in der Fassung des Widerspruchsbe-
scheids verpflichtet, dem Kläger den beantragten Export des Nikotinsulfats zu
genehmigen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der beabsichtigte Export eines
unter Verstoß gegen Art. 5 REACH-Verordnung importierten Stoffes sei jeden-
falls dann kein neuer Verstoß gegen Art. 5 i.V.m. Art. 3 Nr. 12 REACH-Verord-
nung, wenn der Stoff - wie hier - dem europäischen Markt wegen eines Verwer-
tungsverbots nicht zur Verfügung stehe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten, die beantragt, das
Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufzuheben und die Berufung des Klägers
gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückzuweisen. Die Beklagte ist mit
dem Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht der Auf-
fassung, dass Art. 5 REACH-Verordnung den Export von in der Europäischen
Union befindlichen Stoffen in Drittländer verbiete, solange und soweit diese
Stoffe nicht gemäß der REACH-Verordnung registriert worden seien.
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II
Die maßgeblichen Vorschriften des Unionsrechts finden sich in der Verordnung
(EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschrän-
kung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemika-
lienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der
Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der
Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien
91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission
(ABl. L 396 S. 1, 2007 L 136 S. 3) - REACH-Verordnung - zuletzt geändert
durch Verordnung (EU) Nr. 2015/830 der Kommission vom 28. Mai 2015
ABl. L 132 S. 8). Einschlägig sind neben Art. 5 vor allem Art. 1 Abs. 1, Art. 3
Nr. 12 und Art. 6 Abs. 1 REACH-Verordnung.
Diese Vorschriften lauten wie folgt:
"Art. 1
Ziel und Geltungsbereich
(1) Zweck dieser Verordnung ist es, ein hohes Schutz-
niveau für die menschliche Gesundheit und für die
Umwelt sicherzustellen, einschließlich der Förderung
alternativer Beurteilungsmethoden für von Stoffen
ausgehende Gefahren, sowie den freien Verkehr von
Stoffen im Binnenmarkt zu gewährleisten und gleich-
zeitig Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zu verbes-
sern.
…"
"Art. 3
Begriffsbestimmungen
Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Be-
griffsbestimmungen:
12. Inverkehrbringen: entgeltliche oder unentgeltliche Ab-
gabe an Dritte oder Bereitstellung für Dritte. Die Einfuhr
gilt als Inverkehrbringen;
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…"
"Art. 5
Ohne Daten keinen Markt
Vorbehaltlich der Art. 6, 7,21 und 23 dürfen Stoffe als sol-
che, in Gemischen oder in Erzeugnissen nur dann in der
Gemeinschaft hergestellt oder in Verkehr gebracht wer-
den, wenn sie nach den einschlägigen Bestimmungen
dieses Titels, soweit vorgeschrieben, registriert wurden."
"Art. 6
Allgemeine Registrierungspflicht für Stoffe als solche oder
in Gemischen
(1) Soweit in dieser Verordnung nicht anderweitig be-
stimmt, reicht ein Hersteller oder Importeur, der einen
Stoff als solchen oder in einem oder mehreren Ge-
misch(en) in einer Menge von mindestens 1 Tonne
pro Jahr herstellt oder einführt, bei der Agentur ein
Registrierungsdossier ein.
…"
Die maßgeblichen Vorschriften des nationalen Rechts sind im Gesetz zum
Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz - ChemG) in der Fassung
der Bekanntmachung vom 28. August 2013 (BGBl I S. 3498, 3991) und im
Hamburgischen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
(SOG) vom 14. März 1966 (HmbGVBl S. 77) enthalten.
Die §§ 21, 23 und 27b ChemG lauten wie folgt:
"§ 21 Überwachung
(1) Die zuständigen Landesbehörden haben die Durchfüh-
rung dieses Gesetzes und der auf dieses Gesetz gestütz-
ten Rechtsverordnungen zu überwachen, soweit dieses
Gesetz keine andere Regelung trifft.
(2)
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Absatz 1 gilt auch für EG- oder EU-Verordnungen, die
Sachbereiche dieses Gesetzes betreffen, soweit die Über-
wachung ihrer Durchführung den Mitgliedstaaten obliegt.
…"
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"§ 23 Behördliche Anordnungen
(1) Die zuständige Landesbehörde kann im Einzelfall die
Anordnungen treffen, die zur Beseitigung festgestellter
oder zur Verhütung künftiger Verstöße gegen dieses Ge-
setz oder gegen die nach diesem Gesetz erlassenen
Rechtsverordnungen oder gegen eine in § 21 Abs. 2
Satz 1 genannte EG- oder EU-Verordnung notwendig
sind.
…"
"§ 27b Zuwiderhandlungen gegen die Verordnung (EG)
Nr. 1907/2006
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geld-
strafe wird bestraft, wer gegen die Verordnung (EG)
Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewer-
tung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe
(REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemika-
lienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und
zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des
Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission,
der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richt-
linien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und
2000/21/EG der Kommission (ABl. EU Nr. L 396 S. 1,
2007 Nr. L 136 S. 3) verstößt, indem er
1.
entgegen Artikel 5 einen Stoff als solchen, in einem Ge-
misch oder in einem Erzeugnis herstellt oder in Verkehr
bringt,
…"
§ 3 Abs. 1 SOG in der maßgeblichen Fassung vom 16. Juni 2005 (HmbGVBl
S. 233) lautet:
"§ 3 Aufgaben
(1) Die Verwaltungsbehörden treffen im Rahmen ihres
Geschäftsbereichs nach pflichtgemäßem Ermessen die
im Einzelfall zum Schutz der Allgemeinheit oder des Ein-
zelnen erforderlichen Maßnahmen, um bevorstehende
Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ab-
zuwehren oder Störungen der öffentlichen Sicherheit oder
Ordnung zu beseitigen (Maßnahmen zur Gefahrenab-
wehr).
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…"
III
1. Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich.
a) Verneint der Gerichtshof die Frage, ist die Revision der Beklagten zurück-
zuweisen. Die Exportuntersagung könnte keinen Bestand haben; dem Kläger
wäre die kraft behördlicher Anordnung erforderliche Exportgenehmigung zu
erteilen. Der beabsichtigte Export verstieße nicht gegen Art. 5 REACH-Verord-
nung, so dass insoweit die Voraussetzungen für ein behördliches Einschreiten
auf der Grundlage der in Betracht kommenden gesetzlichen Ermächtigungen
- § 23 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 ChemG und § 3 Abs. 1 SOG - nicht er-
füllt wären. Ein Verstoß gegen eine andere unionsrechtliche Verordnungsnorm
ist nicht ersichtlich. Auch eine sonstige den Tatbestand der landesrechtlichen
Vorschrift des § 3 Abs. 1 SOG erfüllende Gefahr für die öffentliche Sicherheit
scheidet nach den insoweit gemäß § 137 Abs. 1 und 2 VwGO revisionsgericht-
lich nicht nachprüfbaren Ausführungen des Berufungsgerichts aus. Danach ge-
fährden insbesondere der Transport des Nikotinsulfats nach Russland und
dessen dortige Verwendung nicht erkennbar Menschen oder die Umwelt.
b) Bejaht der Gerichtshof die Vorlagefrage, ist das Urteil des Oberverwaltungs-
gerichts aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsge-
richts zurückzuweisen. Das Ausfuhrverbot wäre rechtmäßig, weil der ohne vor-
herige Registrierung nach Art. 6 REACH-Verordnung vorgesehene Export
gegen Art. 5 REACH-Verordnung verstieße, dessen Anwendungsbereich so-
wohl in sachlicher Hinsicht (Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Nr. 1 REACH-Verord-
nung) als auch - mangels Vorregistrierung des als Phase-in-Stoff (Art. 3 Nr. 20
Buchst. a REACH-Verordnung) zu qualifizierenden Nikotinsulfats - in zeitlicher
Hinsicht (Art. 28 i.V.m. Art. 23 REACH-Verordnung) eröffnet ist.
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2. Die Vorlagefrage bedarf der Beantwortung durch den Gerichtshof, denn die
richtige Auslegung des Art. 5 REACH-Verordnung ist weder durch seine Recht-
sprechung geklärt noch offenkundig.
a) Der Wortlaut der Vorschrift gibt keinen sicheren Aufschluss darüber, ob der
Export eines unter die Verordnung fallenden Stoffes der Registrierungspflicht
unterliegt. Nach Art. 5 REACH-Verordnung dürfen Stoffe "nur dann in der Ge-
meinschaft hergestellt oder in Verkehr gebracht werden, wenn sie … registriert
wurden". Die Tätigkeit des Inverkehrbringens ist in Art. 3 Nr. 12 Satz 1 REACH-
Verordnung zwar als "entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe an Dritte oder
Bereitstellung für Dritte" und somit ohne territorialen Bezug definiert worden; es
liegt aber nahe, den in der deutschen Fassung des Art. 5 REACH-Verordnung
enthaltenen, einen solchen Bezug herstellenden Zusatz "in der Gemeinschaft"
nicht nur auf das Herstellen, sondern auch auf das Inverkehrbringen zu bezie-
hen. Exportvorgänge, bei denen ein Stoff außerhalb des Unionsgebiets an den
Empfänger ausgeliefert wird, wären danach nicht erfasst. Sprachlich möglich ist
aber auch eine Deutung, die den erwähnten Zusatz nur auf das Herstellen be-
zieht.
Ist demnach schon der deutsche Verordnungstext nicht eindeutig, so trifft Ent-
sprechendes erst recht für die englische Fassung zu, auf deren Grundlage nach
den Darlegungen des Vertreters des Bundesinteresses im Revisionsverfahren
die Verhandlungen zur REACH-Verordnung vornehmlich geführt worden sind.
Der Zusatz "in the community" ist hier nur dem Herstellungsvorgang ("be manu-
factured"), nicht hingegen dem Vermarktungsvorgang ("placed on the market")
zugeordnet; Entsprechendes gilt für die französische Version ("fabriquées dans
la Communauté ou mises sur le marché"). Auch diese Fassungen lassen indes
Auslegungsspielräume, da die Wendung "placed on the market"/"mises sur le
marché" nicht nur gebietsneutral als Vermarkten, sondern auch bezogen auf die
Gemeinschaft/Union als Platzieren auf dem Binnenmarkt verstanden werden
kann.
b) Die Entstehungsgeschichte der REACH-Verordnung ergibt gleichfalls kein
klares Bild. Sie zeigt vielmehr, dass die im Verordnungstext angelegten unter-
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schiedlichen Deutungsmöglichkeiten bereits im Normsetzungsverfahren Aus-
druck gefunden haben, ohne jedoch den Normgeber zu einer eindeutigen Klar-
stellung zu veranlassen.
In den Verhandlungen zur REACH-Verordnung vertrat Deutschland die Auffas-
sung, dass die Legaldefinition des Inverkehrbringens die Ausfuhr (Abgabe eines
Stoffes an einen Dritten in einem anderen Land) umfasse (Arbeitsdokument
168/05 der ad-hoc-Arbeitsgruppe Chemikalien vom 30. Mai 2005). Die Vertreter
Deutschlands sprachen diesen Punkt im Zusammenhang mit den Beschrän-
kungen des Inverkehrbringens im Verbotsanhang (nach damaligem Stand An-
hang XVI, letztlich Anhang XVII) mit dem Anliegen an, die Einträge des An-
hangs auf die Erforderlichkeit von Exportausnahmen hin zu überprüfen, die sich
bei einem Verständnis des Exports als Inverkehrbringen ergeben könne. Wie in
der Stellungnahme des Vertreters des Bundesinteresses näher ausgeführt wor-
den ist, vertrat die Kommission demgegenüber die Position, dass der Begriff
des Inverkehrbringens den Export nicht umfasse. Nach Diskussion im REACH-
Regelungsausschuss wurde schließlich - wohl als Kompromiss - in der Vorbe-
merkung zum Verbotsanhang eine Formulierung gewählt, die eine allgemeine
Ausnahme von den Beschränkungen des Anhangs zwar nicht für den Export als
solchen, wohl aber für bestimmte zum Zwecke des Exports erforderliche Tätig-
keiten enthält. Eine eindeutige Positionierung zur streitigen Frage der Behand-
lung des Exports als Inverkehrbringen sollte auf diese Weise offenbar vermie-
den werden.
Die Auslegungsfrage ist auch in der Folgezeit zwischen der Europäischen
Kommission und Deutschland umstritten geblieben, wie das von der Kommis-
sion im Rahmen der regelmäßigen Treffen der u.a. für die REACH-Verordnung
zuständigen Behörden (CARACAL) vorgelegte Arbeitsdokument CA/20/2012
vom 9. März 2012 einerseits und die Stellungnahme der deutschen zuständigen
Behörde zu diesem Dokument andererseits belegen. Trotz dieses offenen Dis-
senses ist davon abgesehen worden, anlässlich einer der zahlreichen Änderun-
gen der REACH-Verordnung die Streitfrage ausdrücklich zu klären.
c) Auch systematische Erwägungen führen auf kein eindeutiges Ergebnis.
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Art. 2 Abs. 1 Buchst. b REACH-Verordnung, der Stoffe, die zollamtlicher Über-
wachung unterliegen, unter bestimmten Voraussetzungen vom Anwendungsbe-
reich der Verordnung ausnimmt, könnte den Schluss erlauben, dass die
REACH-Verordnung nur für innerhalb der Europäischen Union hergestellte bzw.
in Verkehr gebrachte Stoffe gelten soll. Denkbar ist aber auch, der Vorschrift
keine über die in der Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 23. April 2008 (ABl. L 145 S. 1) unionseinheitlich
normierte zollamtliche Überwachung hinausgehende Bedeutung beizumessen.
Auch der Umstand, dass Art. 3 Nr. 12 Satz 2 REACH-Verordnung die Einfuhr,
nicht aber die Ausfuhr dem Inverkehrbringen gleichstellt, ist ambivalent. Dieser
Fiktion bedurfte es, weil nicht jede Einfuhr die Voraussetzungen eines Inver-
kehrbringens nach Art. 3 Nr. 12 Satz 1 REACH-Verordnung erfüllt. Dagegen
sind Stoffe, die ausgeführt werden sollen, in der Regel bereits aufgrund der
Herstellung in der Europäischen Union bzw. des Imports in sie registriert, so
dass der Verordnungsgeber möglicherweise keine Notwendigkeit für eine ent-
sprechende Regelung gesehen hat. Aber auch bei rechtskonformem Verhalten
aller Beteiligten gibt es Fallkonstellationen, in denen die Frage nach der Regist-
rierung sich erstmals beim Export stellt. Dies gilt etwa dann, wenn ein Exporteur
von einem Stoff mehr als eine Tonne im Jahr exportiert, den er in geringeren
Mengen von mehreren Personen erworben hat, die davon jeweils weniger als
eine Tonne pro Jahr herstellen bzw. importieren, oder wenn ein gemäß Art. 23,
28 REACH-Verordnung vorregistrierter Phase-in-Stoff nach dem 1. Dezember
2010 exportiert wird.
Der Blick auf andere stoffrechtliche Bestimmungen des Unionsrechts erweist
sich letztlich ebenfalls als unergiebig. Darin ist der Ort des Inverkehrbringens
meist entweder ausdrücklich auf das Unionsgebiet beschränkt oder der Export
ausdrücklich ausgenommen (u.a. Art. 2 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 98/8/EG;
Art. 2 Nr. 10 der Richtlinie 91/414/EWG; Art. 3 Nr. 9 der Verordnung (EG)
Nr. 1107/2009; Art. 1 Abs. 4 Spiegelstrich 7 der Richtlinie 93/15/EWG). Ob dem
ein allgemeiner Grundsatz des Inhalts zu entnehmen ist, dass stets nur ein In-
verkehrbringen innerhalb des Unionsgebiets gemeint sei, erscheint fraglich.
Denn eine vergleichende Betrachtung könnte den Schluss nahelegen, dass das
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Stoffrecht eine räumliche Begrenzung ausdrücklich normiert, wenn es eine sol-
che beabsichtigt.
d) Teleologische Argumente sprechen nicht zwingend für eine Verneinung der
Vorlagefrage.
Die in Art. 1 Abs. 1 REACH-Verordnung sowie in mehreren Erwägungsgründen
genannten Verordnungszwecke geben eine Antwort nicht sicher vor. Soweit
darin auf die Funktionsfähigkeit des gemeinschaftlichen Binnenmarkts abge-
stellt wird (siehe Erwägungsgründe 2 und 7), dürfte auch die Harmonisierung
der Regelung des Exports durch die in Rede stehende Registrierungspflicht
diesen Bezug wahren; denn sie trägt ebenfalls dazu bei, spürbare Wettbe-
werbsverzerrungen abzubauen. Die Erreichung eines hohen Schutzniveaus für
die menschliche Gesundheit und die Umwelt, das bereits Art. 114 Abs. 3 AEUV
fordert, hat nicht allein auf dem Territorium der Europäischen Union seine Be-
rechtigung. Auch die Erwägungsgründe 3 Satz 2 und 7 a.E. bringen keine Klar-
heit.
Schließlich ist die Frage nicht etwa zu bejahen, um - bezogen auf Importvor-
gänge - zur praktischen Wirksamkeit des Art. 5 REACH-Verordnung beizutra-
gen. Denn die aus einem Import folgende Registrierungspflicht kann aufgrund
der Vorschriften des nationalen Verwaltungsrechts - gegebenenfalls auch
zwangsweise - durchgesetzt werden. Daneben stehen die nach Art. 126
REACH-Verordnung durch die Mitgliedstaaten vorzusehenden wirksamen, an-
gemessenen und abschreckenden Sanktionen für Verstöße, die in Deutschland
mit § 27b ChemG umgesetzt worden sind.
Dr. Philipp Schipper Brandt
Dr. Keller Dr. Schemmer
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