Urteil des BVerwG vom 09.03.2012

Materielles Recht, Öffentliche Bekanntmachung, Körperschaft, Satzung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 9.12
VGH 7 A 203/11
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. März 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Brandt
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 11. November 2011 wird zurückgewie-
sen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beige-
ladenen, die dieser selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 2 268,94 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Kläger wendet sich gegen an ihn als Verbandsmitglied gerichtete Beitrags-
bescheide des beklagten Wasser- und Bodenverbandes.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Beitragsbescheide
seien rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten, da dieser nicht
Mitglied des Beklagten sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des
Beklagten zurückgewiesen. Der Beklagte sei nicht zur Geltendmachung von
Ansprüchen durch Verwaltungsakt berechtigt; denn der Beklagte existiere nicht
als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Dies ergebe sich zum einen aus feh-
lerhaften öffentlichen Bekanntmachungen der Aufsichtsbehörde, die die Un-
1
2
- 3 -
wirksamkeit der in der Gründungsverhandlung im Mai 1996 getroffenen Be-
schlüsse bewirkten. Zum anderen fehle für die rechtliche Existenz des Beklag-
ten als Körperschaft des öffentlichen Rechts eine wirksame Gründungssatzung.
Letzteres folge zum einen aus den Fehlern der öffentlichen Bekanntmachung.
Darüber hinaus sei die Gründungssatzung auch wegen Verstoßes gegen hö-
herrangiges materielles Recht unwirksam. Die Bestimmung des Verbandsge-
biets in der Gründungssatzung verletze mangels Bestimmtheit § 6 Abs. 2 Nr. 3
Wasserverbandsgesetz (WVG), wonach zum Mindestinhalt der Satzung die Be-
stimmung des Verbandsgebiets zähle. Nach der Satzung erstrecke sich das
Verbandsgebiet auf das Gebiet des Lahn-Dill-Kreises sowie dessen Umgebung.
Die Feststellung, dass der Beklagte mangels wirksamer Errichtung von Anfang
an als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der Befugnis, Verwaltungsakte
zu erlassen, nicht bestanden habe, sei auch im Hinblick auf dessen Auftreten
und Wirken als Wasser- und Bodenverband seit diesem Zeitpunkt mit der
Rechtsordnung vereinbar.
Selbst bei unterstellter Existenz des Beklagten als Körperschaft des öffentlichen
Rechts sei der Kläger nicht dessen Mitglied, das durch Leistungsbescheid zur
Zahlung von Mitgliedsbeiträgen herangezogen werden könne. Er habe der Er-
richtung des Beklagten nicht zugestimmt. Auch die Zustimmungsfiktion greife
nicht ein; denn er sei zur Gründungsverhandlung nicht ordnungsgemäß geladen
worden.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Be-
schwerde des Beklagten.
II
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche
Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
3
4
5
6
- 4 -
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine
Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klä-
rung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der
Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden entscheidungser-
heblichen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137
Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Ist das Berufungsurteil auf zwei oder mehrere
die Entscheidung selbstständig tragende Gründe gestützt, kann die Revision
nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jedes dieser Gründe ein Revisionszu-
lassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt. Anderenfalls fehlt es an der
Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage.
Hier liegt hinsichtlich keiner der die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs
tragenden Gründe ein Revisionszulassungsgrund vor. Deshalb kann dahinste-
hen, ob die Beschwerde bei der Geltendmachung der einzelnen Fragen dem
Darlegungsgebot (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) genügt.
Die Beschwerde hält zum einen sinngemäß für klärungsbedürftig die Frage, ob
für die Bezeichnung des Verbandsgebiets gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 3 WVG das
Bestimmtheitsgebot auch dann gilt, wenn es um einen Zusammenschluss einer
ursprünglich nach genossenschaftlichen Grundsätzen organisierten Gemein-
schaft geht. Diese Frage ist ohne Weiteres zu bejahen. Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 3
WVG muss die Satzung mindestens Bestimmungen enthalten über das Ver-
bandsgebiet. Eine solche Bezeichnung muss in allen Fällen hinreichend be-
stimmt sein. Dies ist hier - wie der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat -
zweifellos nicht der Fall.
Weiter hält die Beschwerde sinngemäß für klärungsbedürftig die Frage, ob ge-
mäß § 67 WVG eine öffentliche Bekanntmachung stets im gesamten Ver-
bandsgebiet geboten ist. Auch diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revi-
sion nicht. Öffentliche Bekanntmachungen erfolgen gemäß § 67 Satz 2 WVG
nach Landesrecht, soweit dort eine von § 67 Satz 1 WVG abweichende Rege-
lung getroffen ist. Dies ist hier mit § 5 Abs. 3 des Hessischen Ausführungsge-
setzes zum Wasserverbandsgesetz geschehen. Diese Vorschrift ist nicht revisi-
bel (§ 137 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen ist es ein allgemeiner Grundsatz des öf-
7
8
9
10
- 5 -
fentlichen Rechts, dass zwingende Bekanntmachungsvorschriften nicht auf-
grund besonderer Interessen von Beteiligten einschränkend ausgelegt werden
können.
Soweit die Beschwerde anschließend rügt, das angegriffene Urteil befasse sich
nicht mit der Frage, ob dem Beklagten, sollte er nicht existent sein, ein öffent-
lich-rechtlicher Erstattungsanspruch zustehe, wird keine entscheidungserhebli-
che Frage gestellt. Im Rahmen der vorliegenden Anfechtungsklage war nur zu
prüfen, ob der Beklagte befugt ist, Verwaltungsakte zu erlassen. Ob dem Be-
klagten möglicherweise andere öffentlich-rechtliche Ansprüche zustehen kön-
nen, war nicht entscheidungserheblich.
Schließlich führen die unter Buchstabe d der Beschwerdeschrift geltend ge-
machten formellen Fehler der Gründungssatzung - wie im Berufungsurteil im
Einzelnen dargelegt wird - zur Nichtigkeit der Satzung. Eine Frage von grund-
sätzlicher Bedeutung wird insoweit nicht prozessordnungsgemäß dargelegt
(§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Dies gilt nicht zuletzt deswegen, weil die Annah-
me des Vorliegens materiell-rechtlicher Fehler nicht mit durchgreifenden Rügen
in Frage gestellt worden ist.
Soweit der Beigeladene darlegt, warum seines Erachtens die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat, ist dem nicht weiter nachzugehen. Denn diese
Ausführungen des Beigeladenen erfolgten erst in dessen Stellungnahme zu der
Beschwerde des Beklagten und damit nach Ablauf der Fristen zur Einlegung
und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Da
der Beigeladene sich auf Seiten des unterliegenden Beklagten beteiligt hat,
entspricht es nicht der Billigkeit, dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten
des Beigeladenen aufzuerlegen.
11
12
13
14
- 6 -
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 GKG.
Sailer
Krauß
Brandt
15