Urteil des BVerwG vom 13.04.2015

Abwasser, Überwiegendes Öffentliches Interesse, Beweisantrag, Anhörung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 31.14
OVG 2 L 126/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. April 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Brandt
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts des Landes Sachsen-Anhalt vom 4. Juli 2014 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt die Verpflichtung des beklagten Landkreises zur Genehmi-
gung einer Änderung seines Abwasserbeseitigungskonzepts dahin, dass das
Grundstück der Beigeladenen aus seiner Beseitigungspflicht ausgeschlossen
wird. Der Kläger ist ein in seinem Verbandsgebiet abwasserbeseitigungspflich-
tiger Zweckverband. Zu seinem Verbandsgebiet gehört die Gemeinde C. Die
Beigeladene ist ein Fruchtsafthersteller mit einer Betriebsstätte in C.
In der Kläranlage in C. wird sowohl das Abwasser der Beigeladenen als auch
das kommunale Abwasser der Gemeinde C. behandelt. Das Abwasser der Bei-
geladenen wird dabei über einen eigenständigen Zulauf in die Kläranlage gelei-
tet und zunächst gesondert vorbehandelt. Nach dieser Vorbehandlung wird es
gemeinsam mit dem kommunalen Abwasser in der Kläranlage gereinigt.
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Um der Beigeladenen einen Vorsteuerabzug zu ermöglichen, beschloss die
Verbandsversammlung des Klägers eine Änderung des Abwasserbeseitigungs-
konzepts dahin, dass das Grundstück der Beigeladenen von der Beseitigungs-
pflicht ausgeschlossen ist. Das Abwasser soll aber weiterhin unverändert durch
den Kläger in der zu seiner öffentlichen Einrichtung gehörenden Kläranlage C.
beseitigt werden.
Der Beklagte lehnte die Genehmigung der Änderung des Abwasserbeseiti-
gungskonzepts ab.
Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage wies das Verwal-
tungsgericht ab.
Nach Anhörung der Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidungsform hat
das Oberverwaltungsgericht die Berufung durch Beschluss (§ 130a VwGO) zu-
rückgewiesen. Es könne durch Beschluss entschieden werden, da der Senat
das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet sowie eine mündliche Verhand-
lung nicht für erforderlich halte. Die Ausführungen des Klägers gäben keinen
Anlass, von einer Entscheidung durch Beschluss abzusehen.
Die Berufung sei nicht begründet, das Verwaltungsgericht habe die Klage zu
Recht abgewiesen. Der Ausschluss von Abwasser aus der Beseitigungspflicht
der Gemeinde sei nur unter den in § 79a Abs. 1 WG LSA genannten Voraus-
setzungen zulässig, die hier nicht vorlägen.
II
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbe-
gründet. Es liegt kein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO).
1. Das Oberverwaltungsgericht durfte über die Berufung ohne mündliche Ver-
handlung durch Beschluss entscheiden (§ 130a Satz 1 VwGO).
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Ist das sich auf die Begründetheit oder Unbegründetheit der Berufung bezie-
hende Einstimmigkeitserfordernis erfüllt, steht die Entscheidung, ob ohne
mündliche Verhandlung durch Beschluss befunden wird, im Ermessen des Ge-
richts. Die Grenzen des dem Berufungsgericht eingeräumten Ermessens sind
dabei weit gezogen. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung nur daraufhin
überprüfen, ob das Oberverwaltungsgericht von seinem Ermessen fehlerfrei
Gebrauch gemacht hat. Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung ist nur zu
beanstanden, wenn er auf sachfremden Erwägungen oder auf grober Fehlein-
schätzung beruht. Danach überschreitet das Berufungsgericht die Grenzen des
ihm von § 130a Satz 1 VwGO eröffneten Ermessens, wenn es im vereinfachten
Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung entscheidet, obwohl die Sa-
che außergewöhnlich große Schwierigkeiten aufweist (vgl. zu allem BVerwG,
Urteil vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213> m.w.N.).
Nach den in dem zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.
S. 218 ff.) aufgestellten Kriterien kann von außergewöhnlich großen Schwierig-
keiten in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht hier nicht die Rede sein.
Das Berufungsgericht hatte bei der Prüfung der in § 79a Abs. 1 WG LSA (Was-
sergesetz für das Land Sachsen-Anhalt i.d.F. vom 16. März 2011
S. 492>, geändert durch Art. 20 des Gesetzes vom 17. Juni 2014
S. 288, 342>) für den Ausschluss von Abwasser aus der Beseitigungspflicht der
Gemeinde nur eine eher überschaubare Zahl von Rechtsfragen zu beantwor-
ten. Dementsprechend hielt sich der Begründungsaufwand der Entscheidung in
engen Grenzen. So hat das Gericht bei der Prüfung der Voraussetzungen des
§ 79a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WG LSA ausdrücklich offengelassen, aus welchen
Gründen sich ein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne dieser Vor-
schrift im Allgemeinen ergeben kann, und dies damit begründet, dass die Vor-
aussetzungen dieser Vorschrift jedenfalls deshalb nicht vorlägen, weil das Ab-
wasser der Beigeladenen weiterhin unverändert in der zur öffentlichen Einrich-
tung des Klägers gehörenden Kläranlage beseitigt werden solle. Aus dem glei-
chen Grund hat es auch das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Aus-
schluss der Beseitigungspflicht nach § 79a Abs. 1 Satz 2 WG LSA verneint.
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Diese und alle anderen rechtlichen Erwägungen in den Entscheidungsgründen
zeigen nicht außergewöhnlich große Schwierigkeiten in rechtlicher Hinsicht auf.
Dass das Verwaltungsgericht die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung
zugelassen hatte, schließt dabei eine Entscheidung ohne mündliche Verhand-
lung nicht aus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 2008 - 7 B 24.08 -
Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 146). Ein Indiz für besondere rechtliche Schwie-
rigkeiten kann darin schon deshalb nicht gesehen werden, weil die Frage, die
zur Zulassung geführt hatte, sich mit nachvollziehbaren Erwägungen in wenigen
Sätzen beantworten ließ.
Ebenso wenig zeichnete sich der zu bewältigende Tatsachenstoff durch eine
aus dem Rahmen des Üblichen fallende Komplexität aus. Die von der Be-
schwerde in diesem Zusammenhang sinngemäß aufgeworfene Frage, ob das
Berufungsgericht vor seiner Entscheidung den Sachverhalt ausreichend aufge-
klärt hat, betrifft den Umfang der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO,
dazu nachfolgend unter 2.).
2. Das Oberverwaltungsgericht hat weder seine Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO)
noch das Recht des Klägers auf Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) verletzt.
a) Das Oberverwaltungsgericht musste über den Beweisantrag des Klägers
nicht gemäß § 86 Abs. 2 VwGO durch einen gesonderten Beschluss entschei-
den und war auch nicht gehalten, den Kläger erneut nach § 130a Satz 2 i.V.m.
§ 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO anzuhören. Teilt das Berufungsgericht den Beteilig-
ten seine Absicht, über die Berufung durch Beschluss (§ 130a VwGO) zu ent-
scheiden, mit und beantragt einer der Beteiligten daraufhin schriftsätzlich eine
Beweisaufnahme, ist die Vorschrift des § 86 Abs. 2 VwGO, wonach ein in der
mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag nur durch begründeten Ge-
richtsbeschluss abgelehnt werden darf, nicht anwendbar. Will das Berufungsge-
richt an der Durchführung des vereinfachten Verfahrens in dieser Prozesslage
festhalten, wird dem Grundsatz rechtlichen Gehörs allerdings in der Regel nur
genügt, wenn das Gericht den Berufungsführer durch eine zweite Anhörungs-
mitteilung auf das unverändert beabsichtigte Verfahren hingewiesen hat
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(BVerwG, Beschlüsse vom 10. April 1992 - 9 B 142.91 - Buchholz 310 § 130a
VwGO Nr. 5 S. 6 und vom 24. November 1994 - 8 B 176.94 - Buchholz 310
§ 130a VwGO Nr. 12 S. 3). In den Gründen seiner abschließenden Entschei-
dung hat das Gericht sodann darzulegen, warum es dem Beweisantrag nicht
gefolgt ist. Von der grundsätzlich gebotenen erneuten Anhörung kann indes
ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn sich der nach der ersten Anhö-
rung gestellte Beweisantrag lediglich als Wiederholung eines früheren Beweis-
antrags darstellt (BVerwG, Urteil vom 16. März 1994 - 11 C 48.92 - Buchholz
442.151 § 46 StVO Nr. 10). Danach erübrigte sich hier eine erneute Anhö-
rungsmitteilung, da der nach der ersten Anhörung im Schriftsatz vom 3. Juli
2014 gestellte Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens sach-
lich dem schon in der Berufungsbegründung vom 29. August 2012 und im
Schriftsatz vom 7. Mai 2013 angekündigten Beweisantrag entspricht.
b) Das Berufungsgericht hat auch seine allgemeine Aufklärungspflicht (§ 86
Abs. 1 VwGO) nicht verletzt.
In den Gründen seiner Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht ausge-
führt, das Abwasser der Beigeladenen könne zusammen mit dem kommunalen
Abwasser beseitigt werden. Es werde auch tatsächlich seit Inbetriebnahme der
Kläranlage im Jahre 1993 zusammen mit diesem in der Kläranlage beseitigt.
Ohne Belang sei es, dass das Abwasser der Beigeladenen zunächst über eine
eigenständige Zuleitung in die Kläranlage gelange und in einem gesonderten
Tank vorbehandelt werde. Dies ändere nichts daran, dass das Abwasser nach
dieser Vorbehandlung in einem Mischtank mit dem kommunalen Abwasser
vermischt werde und anschließend alle weiteren Behandlungsstufen der Kläran-
lage durchlaufe. Von einer fehlenden Möglichkeit der gemeinsamen Beseitigung
des Abwassers der Beigeladenen mit kommunalem Abwasser könne daher
keine Rede sein. Der Einholung des vom Kläger gewünschten Sachverstän-
digengutachtens zu der Frage, ob die von der Beigeladenen in die Kläranlage
eingeleiteten Industrieabwässer gemeinsam mit den in die Kläranlage eingelei-
teten Abwässern aus Haushalten beseitigt werden könnten, bedürfe es deshalb
nicht.
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Die Beschwerde legt nicht dar, warum das Gericht dennoch ein Sachverständi-
gengutachten hätte einholen müssen. Insbesondere führt sie nichts aus, aus
dem sich ergeben könnte, dass dem Gericht die notwendige Sachkunde zu die-
ser Aussage hätte fehlen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Da
die Beigeladene im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt hat und damit
kein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entsprach es nicht
der Billigkeit, deren außergerichtliche Kosten dem Kläger aufzuerlegen.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52
Abs. 1 GKG.
Dr. Nolte Krauß Brandt
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