Urteil des BVerwG vom 09.03.2015

Rechtliches Gehör, Genehmigung, Kritik, Verfahrensrecht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 25.14
OVG 2 L 117/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. März 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Keller
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
des Landes Sachsen-Anhalt vom 15. Mai 2014 wird zu-
rückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beige-
ladenen, die dieser selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die der Sache nach auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
gestützte Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat
keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde wendet sich zunächst gegen die Annahme des Berufungs-
gerichts, dass die angefochtene Genehmigung für die Legehennenanlage des
Beigeladenen zu Recht im Verfahren nach § 19 BImSchG erteilt worden und ein
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förmliches Verfahren nach § 10 BImSchG nicht erforderlich gewesen sei. Mit
diesem Vorbringen wird kein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO dargelegt. Verfahrensmängel im Sinne dieser Bestimmung sind
Verstöße gegen das Prozessrecht, also Fehler, die das Gericht bei der Hand-
habung seines Verfahrens begeht. Mängel des Verwaltungsverfahrens genügen
nicht, es sei denn, der Mangel hätte zu einer auch in das gerichtliche Verfahren
hineinwirkenden Verkürzung des rechtlichen Gehörs geführt, ohne dass das
Gericht Abhilfe geschaffen hätte (BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 1959 - 6 C
455.56 - BVerwGE 10, 37 <43>; Beschluss vom 17. März 1994 - 3 B 12.94 -
Buchholz 316 § 26 VwVfG Nr. 1). Dieser Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die
Beschwerde macht lediglich eine fehlerhafte Anwendung der Verfahrensvor-
schriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes geltend, die aber - selbst
wenn sie vorläge - ersichtlich nicht zu einer Verkürzung des rechtlichen Gehörs
geführt hätte.
2. Ein Verfahrensfehler ergibt sich nicht aus der von der Beschwerde beanstan-
deten Anwendung des § 5 Abs. 1 BImSchG durch das Berufungsgericht. Bei
dieser Norm handelt es sich wiederum nicht um Verfahrensrecht im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Im Übrigen hat das Berufungsgericht entgegen dem
Vorbringen der Beschwerde § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG und nicht § 5 Abs. 1
Nr. 2 BImSchG als rechtlichen Maßstab herangezogen, was sich unter anderem
daraus ergibt, dass das Berufungsgericht im Einklang mit der ständigen Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 11. Dezember
2003 - 7 C 19.02 - BVerwGE 119, 329 <332>) eine drittschützende Wirkung des
§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ausdrücklich bejaht, eine solche des § 5 Abs. 1 Nr. 2
BImSchG hingegen verneint hat.
3. a) Ebenso wenig liegt ein Verfahrensfehler im Hinblick darauf vor, dass das
Berufungsgericht das vom Beigeladenen vorgelegte Gutachten des Prof. Dr. O.
vom 25. Januar 2012 verwertet hat. Die Kritik der Beschwerde an der inhaltli-
chen Richtigkeit dieses Gutachtens führt nicht auf einen Verfahrensfehler. Mit
ihr wird lediglich eine fehlerhafte Würdigung des Vorbringens der Beteiligten
und des dem Berufungsgericht vorliegenden Tatsachenmaterials beanstandet,
nicht jedoch ein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO be-
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zeichnet. Mit der Rüge einer fehlerhaften Verwertung des dem Gericht vorlie-
genden Tatsachenmaterials wird zunächst nur ein - angeblicher - Fehler in der
Sachverhaltswürdigung angesprochen. Ein solcher Fehler ist revisionsrechtlich
regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzu-
ordnen und kann deshalb einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom
2. November 1995 - 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f.
und vom 21. September 2011 - 5 B 11.11 - juris Rn. 9). Ausnahmefälle kommen
bei einer Aktenwidrigkeit der getroffenen Feststellungen oder bei einer gegen
die Denk- oder Naturgesetze verstoßenden oder sonst von Willkür geprägten
Sachverhaltswürdigung in Betracht; das Vorliegen eines derartigen Ausnahme-
falles lässt sich der Beschwerde indessen nicht entnehmen.
b) Sollte die Beschwerde auf eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungs-
pflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) zielen, wäre eine solche ebenfalls nicht hinreichend
dargelegt. Hierfür wären Darlegungen dazu erforderlich, dass bereits im Verfah-
ren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung,
auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr
gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich
dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken
hätten aufdrängen müssen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um
Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem
das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (BVerwG,
Urteil vom 22. Januar 1969 - 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 <217 f.>; Beschluss
vom 21. September 2011 - 5 B 11.11 - juris Rn. 15). Diese Voraussetzungen
sind hier nicht erfüllt. Einen Beweisantrag im Sinne des § 86 Abs. 2 VwGO hat
der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausweis-
lich der Sitzungsniederschrift nicht gestellt.
Zur Begründung ihrer Annahme, dem Oberverwaltungsgericht habe sich eine
Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens aufdrän-
gen müssen, verweist die Beschwerde auf die angebliche Unrichtigkeit des Par-
teigutachtens Prof. Dr. O. zur Frage der Ableitung beeinträchtigender Geruchs-
stoffe aus der geplanten Anlage. Diese Argumentation erweist sich aber schon
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deshalb als nicht tragfähig, weil weder dargelegt noch sonst ersichtlich ist, dass
es überhaupt zu den Aufgaben des Gutachtens gehörte, die technische Reali-
sierbarkeit der im Genehmigungsantrag zugrunde gelegten Abluftführung zu
beurteilen. Im Übrigen beschränkt sich die Beschwerde der Sache nach auf
eine inhaltliche Kritik an der Methodik des genannten Parteigutachtens, an sei-
ner Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht und an dem Umstand, dass
das Oberverwaltungsgericht sich im Ergebnis nicht der Auffassung der Be-
schwerde angeschlossen hat. Aus diesem Vorbringen ergibt sich nicht die Not-
wendigkeit einer Beweiserhebung durch das Berufungsgericht. Soweit die Be-
schwerde hinreichende Ausführungen des Parteigutachtens zu schädlichen
Umwelteinwirkungen vermisst, trifft dies nicht zu. Das Gutachten setzt sich in
seinem fünften Abschnitt ausführlich mit „Emissionen und Immissionen“ ausei-
nander und erörtert dabei auch die von dem Vorhaben ausgehenden Ge-
ruchsemissionen (S. 6 ff.). Soweit das Gutachten einen Bezug zu § 5 Abs. 1
Nr. 2 BImSchG und nicht zu Nummer 1 dieser Vorschrift herstellt (S. 39), knüpft
es gleichwohl an den auch nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG maßgeblichen Be-
griff der schädlichen Umwelteinwirkungen an, dessen genaue rechtliche Zuord-
nung ohnehin Sache des Gerichts und nicht eines Parteigutachtens ist.
4. Das Berufungsgericht hat auch nicht den Anspruch des Klägers auf rechtli-
ches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt.
a) Das Berufungsgericht hat kein Gutachten verwertet, welches den Beteiligten
und auch dem Kläger nicht bekannt gewesen ist. Bei dem Gutachten, von dem
der Kläger vermutet, es sei ihm nicht zugänglich gemacht worden, handelt es
sich um das Gutachten vom 25. Januar 2012 des Herrn Prof. Dr. O., mit dem
sich die Beschwerde selbst inhaltlich auseinandersetzt. Die in dem Berufungs-
urteil verwendeten, auf das Gutachten bezogenen Seitenzahlen hat das Beru-
fungsgericht den Akten des von den Beteiligten geführten Verfahrens des
einstweiligen Rechtsschutzes (2 M 60/12) entnommen, in die das Gutachten
eingeheftet wurde.
b) Auch im Übrigen lässt sich der Beschwerde ein Gehörsverstoß nicht ent-
nehmen. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gebietet nur, dass
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das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezo-
gen wird, nicht aber, dass das Gericht der Ansicht eines Beteiligten folgt
(BVerfG, Beschluss vom 12. April 1983 - 2 BvR 678/81 u.a. - BVerfGE 64, 1
<12>), und auch nicht, dass sich das Gericht mit jedem Vorbringen in den Ent-
scheidungsgründen ausdrücklich befasst (BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1995 - 9 C
158.94 - BVerwGE 96, 200 <209>). Einen Verstoß gegen diese Grundsätze
vermag die Beschwerde nicht aufzuzeigen. Das Berufungsurteil geht umfas-
send auf die vom Kläger verneinte Vereinbarkeit der dem Beigeladenen erteil-
ten Genehmigung mit § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ein. Dabei hat das Berufungs-
gericht entgegen den Ausführungen der Beschwerde nicht verkannt, dass die
tatsächliche Ausführung des Vorhabens mit der angefochtenen Genehmigung
nicht übereinstimmt, sondern ist im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung zu
dem Schluss gekommen, dass der Beigeladene auf die ihm erteilte Genehmi-
gung teilweise verzichtet habe. Mit dem Einwand des Klägers, die Verwendung
eines Parteigutachtens sei unzulässig, befasst sich das Berufungsgericht eben-
falls ausdrücklich. Ferner trifft es nicht zu, dass das Gericht den Vortrag des
Klägers zu dem vom Beigeladenen vorgelegten Parteigutachten nicht zur
Kenntnis genommen hat. Ausweislich der Entscheidungsgründe des angefoch-
tenen Urteils hat das Gericht diesen Vortrag in Betracht gezogen, aber mangels
ausreichender Substanziierung von einer weiteren Würdigung abgesehen (UA
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5. Soweit sich die Beschwerde schließlich mit der Annahme des Berufungsge-
richts auseinandersetzt, dass die Erschließung des genehmigten Vorhabens
nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BauGB gesichert sei, führt ihr Vorbringen weder auf
einen Verfahrensfehler noch auf einen der anderen Zulassungsgründe des
§ 132 Abs. 2 VwGO. Insofern werden lediglich eine fehlerhafte Würdigung des
Sachverhalts und eine unrichtige Rechtsanwendung durch das Berufungsge-
richt geltend gemacht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Nolte
Brandt
Dr. Keller
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