Urteil des BVerwG vom 11.09.2015

Rechtliches Gehör, Beiladung, Mangel, Rüge

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 21.15
OVG 10 A 10472/14.OVG
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. September 2015
durch die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Schipper
und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 12. März 2015 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt auf der Grundlage des Landesgesetzes über die Freiheit
des Zugangs zu Informationen (Landesinformationsfreiheitsgesetz - LIFG -)
vom 26. November 2008 (RP GVBl. 2008, 296) Zugang zu der Kalkulation des
Nahwärmepreises in einem Neubaugebiet, für das die Beklagte einen An-
schluss- und Benutzungszwang an die Versorgung mit Nahwärme begründet
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hat. Die Nahwärmeversorgung ist der Beigeladenen übertragen. Das Verwal-
tungsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat das
Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Dem Anspruch auf Informationszu-
gang stehe der in § 11 Satz 2 LIFG gewährleistete Schutz von Betriebs- und
Geschäftsgeheimnissen entgegen. Die genannte Vorschrift finde auf die Beige-
ladene Anwendung. Sie stehe zwar nicht im hier in Rede stehenden Baugebiet,
aber im übrigen Gemeindegebiet im Wettbewerb zu anderen Anbietern. Diese
könnten aus den Unterlagen zur Wärmepreiskalkulation den einheitlichen Gas-
einkaufspreis entnehmen und hieraus in Verbindung mit den allgemein zugäng-
lichen weiteren Kostenpositionen die Gewinnmarge der Beigeladenen ermitteln.
Dadurch könne ihr ein Wettbewerbsnachteil entstehen.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelas-
sen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Der Kläger rügt, dass das Oberverwaltungsgericht ihm kein Schriftsatzrecht
zu den Gasbezugsbedingungen der Beigeladenen und den Rückschlüssen von
diesen Bedingungen auf die Preiskalkulation im "Wettbewerbsbereich" gewährt
habe. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs könnte hierin allenfalls dann liegen,
wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die mit gerichtlichem
Schreiben vom 10. März 2015 in Aussicht gestellte Entscheidung über seinen
schriftsätzlich angekündigten Antrag, ihm Schriftsatznachlass zu gewähren,
bestanden hätte. Das hat er ausweislich der Niederschrift über die öffentliche
Sitzung des Oberverwaltungsgerichts (GA Bd. III, Bl. 697) nicht getan. Die
schlüssige Rüge, das rechtliche Gehör sei verletzt, erfordert zudem regelmäßig
die substanziierte Darlegung dessen, was der Beteiligte bei ausreichender Ge-
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hörsgewährung noch vorgebracht hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur
Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2003 - 4 B 4.03 - juris Rn. 4). Auch daran
fehlt es hier.
b) Eine Verletzung von Beweisgrundsätzen sieht der Kläger darin, dass das
Oberverwaltungsgericht der von der Beklagten und der Beigeladenen erstmals
in der Berufungsinstanz unternommenen Substanziierung der Betriebsgeheim-
nisse gefolgt sei. Insoweit verkennt er, dass (angebliche) Fehler der Sachver-
halts- und Beweiswürdigung regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern
dem sachlichen Recht zuzuordnen sind. Die Freiheit der richterlichen Überzeu-
gungsbildung mit der Folge des Vorliegens eines Verfahrensfehlers ist erst
überschritten, wenn das Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung
nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner
Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder akten-
widrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolge-
rungen gegen die Denkgesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür ge-
prägt sind (BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2012 - 7 BN 6.11 - juris Rn. 13
m.w.N.). Hierfür trägt der Kläger nichts vor. Soweit er einen Verstoß gegen die
Darlegungs- und Beweislast rügt, betrifft auch dies eine Frage des sachlichen
Rechts (BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2012 a.a.O.).
c) Der Kläger meint, die Vorinstanzen hätten durch die Beiladung der Gemein-
dewerke H. GmbH das Gebot fairen Verfahrens verletzt. Das Verfahren nach
dem Landesinformationsfreiheitsgesetz sei zweipolig, die Beigeladene von der
Beklagten nur intern zu beteiligen. Es verschiebe die prozessuale Chancen-
gleichheit, wenn er auch die Prozesslasten und -kosten der Beigeladenen zu
tragen habe.
Die Rüge ist unbegründet. Die erfolgte Beiladung ist unanfechtbar (§ 65 Abs. 4
Satz 3 VwGO) und daher grundsätzlich der Beurteilung durch das Revisionsge-
richt entzogen (§ 173 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO). Eine Verfahrensrüge,
die im Zusammenhang mit einer unanfechtbaren Vorentscheidung erhoben
wird, ist deshalb nur dann zulässig, wenn sie sich nicht unmittelbar gegen die
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revisionsgerichtlich nicht nachprüfbare Vorentscheidung als solche wendet,
sondern einen Mangel betrifft, der als Folge der beanstandeten Vorentschei-
dung weiterwirkend der angefochtenen Sachentscheidung anhaftet; andernfalls
würde der gesetzlich angeordnete Beschwerdeausschluss umgangen und da-
mit die aus prozessökonomischen Gründen vorgesehene Bindungswirkung des
§ 557 Abs. 2 ZPO missachtet werden können (BVerwG, Beschluss vom
22. Juli 2013 - 6 B 3.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 55
Rn. 16). Einen weiterwirkenden Mangel des angefochtenen Urteils in diesem
Sinne zeigt der Kläger nicht auf. Dass das Gericht der Beigeladenen aufgrund
ihrer Beteiligtenstellung (§ 63 Nr. 3 VwGO) rechtliches Gehör gewährt und dem
Kläger als unterlegener Partei gemäß § 162 Abs. 3 VwGO die außergerichtli-
chen Kosten der Beigeladenen auferlegt hat, ist eine typische prozessuale Be-
gleiterscheinung der Beiladung und kein weiterwirkender Mangel im dargeleg-
ten Sinne. Unabhängig hiervon zeigt der Kläger nicht auf, warum das Oberver-
waltungsgericht die vom Verwaltungsgericht nach § 65 Abs. 2 VwGO ausge-
sprochene Beiladung (GA Bd. I, Bl. 108) hätte aufheben sollen. Die Vorausset-
zungen einer notwendigen Beiladung haben zwar nicht vorgelegen, weil die
Beigeladene auch im Falle einer Verpflichtung zur positiven Bescheidung des
Informationszugangsantrags nicht Adressatin des begehrten Verwaltungsakts
wäre (BVerwG, Urteil vom 27. November 2014 - 7 C 18.12 - juris Rn. 13). Wenn
Informationen begehrt werden, die - wie hier - Betriebs- und Geschäftsgeheim-
nisse eines Dritten enthalten können, berührt die Entscheidung über den Infor-
mationszugang jedoch rechtliche Interessen des Dritten; dies rechtfertigt eine
einfache Beiladung. Auf die Unterscheidung zwischen notwendiger und einfa-
cher Beiladung kam es vorliegend nicht an. Einen abweichenden Sachantrag
kann zwar nur ein notwendig Beigeladener stellen (§ 66 Satz 2 VwGO); die
Beigeladene hat einen abweichenden Sachantrag aber nicht gestellt. Beklagte
und Beigeladene haben sowohl vor dem Verwaltungs- als auch vor dem Ober-
verwaltungsgericht denselben Sachantrag gestellt.
d) Der Kläger sieht schließlich eine Verletzung des fairen Verfahrens, des recht-
lichen Gehörs und eine Überraschungsentscheidung darin, dass das Oberver-
waltungsgericht das Urteil auf die Versorgungssituation innerhalb des gesamten
Gemeindegebiets gestützt habe und damit auf einen Umstand, zu dessen Vor-
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trag es die Berufungsklägerinnen neun Tage vor der Verhandlung aufgefordert
habe; er selbst habe keinen Hinweis erhalten, was zur Verteidigung des erstin-
stanzlichen Urteils sachdienlich und notwendig sei. Die Behörde müsse das
Vorliegen von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen selbst und innerhalb der
im Landesinformationsfreiheitsgesetz bestimmten Frist für die Entscheidung
über einen Antrag auf Informationszugang prüfen.
Auch diese Rüge ist unbegründet. Anhaltspunkte dafür, dass das Oberverwal-
tungsgericht den Sachverhalt einseitig ermittelt und dadurch das Gebot fairen
Verfahrens verletzt haben könnte, zeigt der Kläger nicht auf. Die Beklagte hatte
den Antrag auf Informationszugang von vornherein unter Berufung auch auf
den durch § 11 LIFG gewährleisteten Schutz von Betriebs- und Geschäftsge-
heimnissen der Beigeladenen abgelehnt (vgl. Bescheid vom 7. August 2012,
BA 2, Bl. 35). Die Beigeladene hatte bereits in ihrer Berufungsbegründung u.a.
unter Beweis gestellt, dass sie sowohl zur Erzeugung der Nahwärme für das
Neubaugebiet als auch für die allgemeine Erdgasversorgung ihrer Kunden Erd-
gas zu den gleichen Bezugskonditionen einkaufe (Schriftsatz vom 21. August
2014, S. 2 ). Ausgehend hiervon hat das Oberverwaltungs-
gericht die Beklagte und die Beigeladene lediglich um "weitere" Darlegung zur
Frage gebeten, ob der Gasbezug für die Versorgung des Neubaugebiets mit
Nahwärme und für die übrigen Geschäftsbereiche zu gleichen Bezugskondi-
tionen erfolge (GA Bd. III, Bl. 663). Diese Aufforderung ist nicht zu beanstan-
den. Gemäß § 86 Abs. 1 VwGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von
Amts wegen; es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten
nicht gebunden. Welchen Hinweis das Gericht dem Kläger hätte geben sollen
und was er hierauf hätte vortragen können, ist weder dargelegt noch ersichtlich.
Da das Oberverwaltungsgericht seinen Hinweis an die Beklagte und die Beige-
ladene auch dem Kläger zur Kenntnis gegeben hatte und die Sach- und
Rechtslage in der mündlichen Verhandlung erörtert hat, konnte seine Erwä-
gung, dass die Kalkulationsunterlagen für das Neubaugebiet Rückschlüsse auf
die Preiskalkulation der Beigeladenen im Bereich der Erdgasversorgung im üb-
rigen Gemeindegebiet zulassen (UA S. 13), den Kläger nicht überraschen. In
welcher Weise das Oberverwaltungsgericht sonst seinen Anspruch auf recht-
liches Gehör verletzt haben sollte, legt der Kläger selbst nicht dar.
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2. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat der Kläger in der Be-
schwerdebegründung nicht hinreichend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Die Darlegung erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich
noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage
des revisiblen Rechts (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997
- 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328).
Eine solche Rechtsfrage hat der Kläger nicht formuliert. Sie ließe sich dem Vor-
bringen im Übrigen auch nicht sinngemäß entnehmen. Soweit der Kläger gel-
tend macht, dass sich die Berufungsklägerinnen wegen der Erfüllung öffent-
licher Aufgaben auf den Schutz von Betriebsgeheimnissen nur sehr einge-
schränkt berufen könnten, führt dies nicht auf eine klärungsbedürftige Frage
des Bundesrechts. Das Oberverwaltungsgericht hat dem Informationsanspruch
den durch § 11 LIFG gewährleisteten Schutz von Betriebs- und Geschäftsge-
heimnissen, also nicht revisibles Landesrecht entgegen gehalten. Soweit der
Kläger den vom Oberverwaltungsgericht bejahten Wettbewerbsnachteil der
Beigeladenen für nicht plausibel hält, richtet sich seine Kritik gegen die Tatsa-
chenwürdigung des Oberverwaltungsgerichts; eine Rechtsfrage ist nicht er-
kennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die
Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52
Abs. 2 GKG.
Dr. Philipp Schipper Brandt
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