Urteil des BVerwG vom 11.05.2015

DDR, Verkündung, Zustellung, Genehmigung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 18.14
OVG 1 A 258/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Mai 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Keller
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 11. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdever-
fahren wird auf 30 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin baut im Tagebau Dolomitkalkstein ab. Sie ist Rechtsnachfolgerin
eines schon in der DDR tätigen Bergbaubetriebs. Nachdem zunächst das so-
genannte Nordfeld des Bergwerksfelds ausgebeutet worden war, begehrte die
Klägerin die Zulassung eines bergrechtlichen Hauptbetriebsplans für Bereiche
des Südfeldes, wo mittlerweile ein FFH-Gebiet und ein Naturschutzgebiet aus-
gewiesen sind. Trotz Aufforderung der Bergbehörde legte die Klägerin Unterla-
gen zur Prüfung der naturschutzrechtlichen Anforderungen nicht vor. Auf die
gegen den ablehnenden Bescheid erhobene Klage verpflichtete das Verwal-
tungsgericht die Beklagte, über den Antrag der Klägerin erneut zu entscheiden:
Eine FFH-Verträglichkeitsprüfung sei entbehrlich, da das Abbauvorhaben eini-
gungsvertraglichen Bestandsschutz beanspruchen könne; es handele sich um
einen unselbstständigen Teil eines Gesamtvorhabens, das bereits vor dem 3.
Oktober 1990 begonnen worden sei. Einer Befreiung von den Vorschriften der
Naturschutzverordnung bedürfe es nicht; denn es handele sich insoweit um ei-
ne bisher rechtmäßig ausgeübte Nutzung.
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Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen: Die von der Klägerin im
Verwaltungsverfahren eingereichten und bis zur Berufungsverhandlung nicht
ergänzten Betriebsplanunterlagen seien nicht in der erforderlichen Weise prüf-
fähig. Angesichts der infolge des geplanten Abbaus nahe liegenden Beeinträch-
tigungen von naturschutzrechtlichen Belangen müsse der eingereichte Plan der
Bergbehörde die Prüfung der Frage ermöglichen, ob gesetzliche Versagungs-
gründe vorlägen. Um eine bisher rechtmäßig ausgeübte Nutzung der Grundstü-
cke handele es sich bei dem Vorhaben nicht, weil im wirksam festgesetzten
Naturschutzgebiet vor Inkrafttreten der Verordnung Dolomit nicht abgebaut
worden sei. Es fehle darüber hinaus an jeglichen Unterlagen zur Prüfung der
FFH-Verträglichkeit; der großflächige Tagebau sei offenkundig geeignet, die für
das FFH-Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu beeinträchtigen. Die FFH-
Verträglichkeitsprüfung sei erforderlich, auch wenn mit dem Gesamtvorhaben
des Dolomitabbaus bereits vor dem 3. Oktober 1990 begonnen worden sei.
Selbst bestandskräftige Planfeststellungsbeschlüsse unterfielen nachträglich in
Kraft getretenen Vorschriften des Unionsrechts; auch für Teile eines einheitli-
chen alten Projekts, die nach Inkrafttreten der FFH-Richtlinie ausgeführt wür-
den, ergäben sich aus dem FFH-Regime Schutzpflichten. Das gelte auch für
Projekte, die unter der Geltung des Bergrechts der DDR ins Werk gesetzt wor-
den seien.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelas-
sen; hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Mit den geltend gemachten Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO)
dringt die Klägerin nicht durch.
a) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht verfahrensfehlerhaft gehandelt und
insbesondere den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs
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nicht dadurch verletzt, dass es nach Eingang des Schriftsatzes der Klägerin
vom 29. Januar 2014, mit dem diese ein Gutachten zur FFH-
Verträglichkeitsprüfung vorlegte, die Wiedereröffnung der mündlichen Verhand-
lung abgelehnt hat. Hierfür war kein Raum, denn das Oberverwaltungsgericht
war ungeachtet der erst im März 2014 erfolgten Zustellung des vollständigen
Urteils an die Beteiligten schon zu einem früheren Zeitpunkt gemäß § 173 Satz
1 VwGO i.V.m. § 318 ZPO an seine Entscheidung gebunden; es durfte mithin
eine Änderung nicht mehr vornehmen.
Ein aufgrund mündlicher Verhandlung ergangenes Urteil ist nach § 116 Abs. 1
VwGO mit seiner Verkündung wirksam erlassen und damit bindend. Statt der
Verkündung ist nach § 116 Abs. 2 VwGO die Zustellung des Urteils zulässig; es
ist dann binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Ge-
schäftsstelle zu übermitteln. Dieser Vorschrift ist in entsprechender Anwendung
des § 117 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 VwGO auch dann genügt, wenn zunächst die
unterschriebene Urteilsformel der Geschäftsstelle übergeben wird (BVerwG,
Urteil vom 10. November 1999 - 6 C 30.98 - BVerwGE 110, 40 <47>). Spätes-
tens mit der anschließenden formlosen Bekanntgabe der Urteilsformel an einen
Beteiligten gilt die Entscheidung als verkündet (BVerwG, Urteil vom 11. Juni
1993 - 8 C 5.92 - Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 20 und Beschluss vom 1. Feb-
ruar 1988 - 7 B 15.88 - Buchholz 310 § 130 VwGO Nr. 11; siehe zu den Paral-
lelvorschriften der FGO BFH, Beschluss vom 8. März 2011 - IV S 14/10 -
BFH/NV 2011, 1161 Rn. 9 m.w.N.; zur Bindung bereits mit Übergabe siehe
BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1987 - 9 C 247.86 - BVerwGE 75, 337 <342>).
Das Oberverwaltungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 10. Okto-
ber 2013 statt der Verkündung die Zustellung des Urteils beschlossen, die
Streitsache am folgenden Tag beraten und sodann den von den Richtern unter-
schriebenen Urteilstenor an die Geschäftsstelle gegeben, so dass er entspre-
chend der Verfügung des Vorsitzenden von den Beteiligten fernmündlich abge-
fragt werden konnte; dies ist am 14. und 15. Oktober 2013 geschehen. Folglich
war das Oberverwaltungsgericht spätestens mit dem 14. Oktober 2013 an seine
Entscheidung gebunden.
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b) Zu Unrecht rügt die Klägerin, dass das angefochtene Urteil im Sinne von
§ 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen sei.
aa) Ein bei seiner Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil gilt im
Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO als nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand
und Entscheidungsgründe innerhalb einer - in Anlehnung an die zivilprozessua-
len Rechtsmittelfristen (§§ 516, 552 ZPO a.F., §§ 517, 548 ZPO n.F.) bestimm-
ten - Frist von fünf Monaten nach Verkündung nicht unterschrieben der Ge-
schäftsstelle übergeben worden sind. Der zeitliche Zusammenhang zwischen
der Beratung und Verkündung des Urteils einerseits und der Übergabe der
schriftlichen Urteilsgründe andererseits ist dann so weit gelockert, dass in An-
betracht des nachlassenden Erinnerungsvermögens der Richter die Überein-
stimmung zwischen den schriftlich niedergelegten und den für die richterliche
Überzeugung tatsächlich leitend gewordenen Gründen nicht mehr gewährleistet
erscheint (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Be-
schluss vom 27. April 1993 - GmS-OGB 1/92 - BVerwGE 92, 367 <375 f.>;
BVerwG, Urteil vom 10. November 1999 - 6 C 30.98 - BVerwGE 110, 40 <47>).
Entsprechendes gilt, wenn das Urteil - wie hier - nicht verkündet, sondern zuge-
stellt worden ist und zwischen Niederlegung des Tenors und Übergabe des
vollständigen Urteils an die Geschäftsstelle ein Zeitraum von mehr als fünf Mo-
naten liegt (BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2012 - 9 C 5.11 - Buchholz 406.11
§ 246a BauGB Nr. 1 Rn. 23). Die Fünfmonatsfrist stellt somit eine absolute
Grenze dar, jenseits derer es in jedem Fall an einer alsbaldigen Übermittlung im
Sinne des § 117 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 VwGO fehlt. Diese Frist ist hier noch
eingehalten, denn das Oberverwaltungsgericht hat nach der Niederlegung der
Urteilsformel am 11. Oktober 2013 das vollständig abgefasste Urteil ausweislich
des darauf angebrachten Eingangsvermerks am 5. März 2014 der Geschäfts-
stelle übergeben. Hierauf, nicht aber auf die Ausfertigung des Urteils durch die
Geschäftsstelle oder dessen Zustellung an die Beteiligten kommt es an
(BVerwG, Beschlüsse vom 11. Juni 2001 - 8 B 17.01 - Buchholz 310 § 116
VwGO Nr. 26 und vom 3. Mai 2004 - 7 B 60.04 - juris Rn. 3).
Wird ein Urteil noch vor Ablauf von fünf Monaten der Geschäftsstelle überge-
ben, kann allerdings gleichwohl im Einzelfall ein kausaler Verfahrensmangel
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vorliegen, wenn nämlich zu dem Zeitablauf besondere Umstände hinzukom-
men, die wegen des Zeitablaufs bereits bestehende Zweifel zu der Annahme
verdichten, dass der gesetzlich geforderte Zusammenhang zwischen der Fäl-
lung des Urteils und der zuverlässigen Wiedergabe der für die Entscheidungs-
findung leitenden Erwägungen nicht mehr gewahrt ist (BVerwG, Beschlüsse
vom 25. April 2001 - 4 B 31.01 - Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 47 und vom
9. August 2004 - 7 B 20.04 - juris Rn. 17, Urteil vom 30. Mai 2012 - 9 C 5.11 -
Buchholz 406.11 § 246a BauGB Nr. 1 Rn. 24). Dabei ist u.a. die Dauer der Ver-
zögerung, aber auch der konkrete Verfahrensablauf - etwa die Maßgeblichkeit
einer aufwändigen Beweisaufnahme - von Bedeutung.
Anhaltspunkte, die vor dem Hintergrund der fast vollständigen Ausschöpfung
der äußersten "Absetzungsfrist" dafür sprechen könnten, dass dem Oberver-
waltungsgericht bei Abfassung des Urteils die Gründe der Entscheidungsfin-
dung nicht mehr gegenwärtig waren, zeigt die Beschwerde indessen nicht auf.
So belegt die ausführliche Darstellung des Tatbestands, dass dem Oberverwal-
tungsgericht der Sachverhalt in seiner zeitlichen Abfolge und Entwicklung sowie
das umfängliche Vorbringen der Beteiligten hierzu vor Augen standen. Auch die
daran anschließenden Rechtserwägungen bieten keinen Anlass für die Annah-
me, sie würden ihrer Funktion, die das Beratungsergebnis tragenden Gründe zu
dokumentieren, nicht gerecht.
bb) Eine unabhängig hiervon nach allgemeinen Grundsätzen im Sinne von
§ 138 Nr. 6 VwGO unzureichende Begründung liegt ebenso wenig vor.
Nach § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO müssen im Urteil die
Gründe schriftlich niedergelegt werden, die für die Überzeugungsbildung des
Gerichts maßgeblich waren. Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung
nur dann, wenn die Entscheidungsgründe keine Kenntnis darüber vermitteln,
welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte für die Entscheidung
maßgebend waren und wenn den Beteiligten und dem Rechtsmittelgericht des-
halb die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung zu überprüfen. Das ist der
Fall, wenn die Entscheidungsgründe vollständig oder zu wesentlichen Teilen
des Streitgegenstandes fehlen oder rational nicht nachvollziehbar, sachlich in-
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haltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass sie unter
keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen. Der
in § 138 Nr. 6 VwGO vorausgesetzte grobe Verfahrensfehler liegt indessen
nicht schon dann vor, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvoll-
ständig, oberflächlich oder unrichtig sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. Juni
1998 - 9 B 412.98 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 32 und vom 25. Sep-
tember 2013 - 1 B 8.13 - juris Rn. 16, jeweils m.w.N.). Hiernach werden die
Entscheidungsgründe ihrer Aufgabe gerecht; denn sie lassen ohne weiteres
erkennen, welche Überlegungen für das Oberverwaltungsgericht maßgebend
gewesen sind. Insbesondere wird nachvollziehbar ausgeführt, warum nach
dessen Auffassung die geplante Ausdehnung des Tagebaus auf das sogenann-
te Südfeld von der Beachtung naturschutzrechtlicher Vorschriften nicht von
vornherein freigestellt ist.
c) Der Beschwerde kann schließlich auch nicht gefolgt werden, soweit sie sich
auf eine als Verfahrensfehler rügefähige Verletzung des Überzeugungsgrund-
satzes beruft. (Angebliche) Fehler der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des
Tatsachengerichts, die dem Überzeugungsgrundsatz gemäß § 108 Abs. 1
VwGO genügen muss, sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern
dem sachlichen Recht zuzuordnen (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 14. Juli
2010 - 10 B 7.10 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 4 m.w.N.). Die
Grenzen der Freiheit der richterlichen Überzeugungsbildung sind aber mit der
Folge des Vorliegens eines Verfahrensfehlers dann überschritten, wenn das
Gericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis
des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung ent-
scheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen an-
nimmt oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denk-
gesetze verstoßen oder sonst von objektiver Willkür geprägt sind (vgl. BVerwG,
Beschlüsse vom 28. März 2012 - 8 B 76.11 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 7b
Rn. 8, vom 13. Februar 2012 - 9 B 77.11 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO
Nr. 73 Rn. 7 und vom 17. Mai 2011 - 8 B 98.10 - juris Rn. 8, jeweils m.w.N.).
Der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen Denkgesetze wegen einer nur un-
zureichenden Behandlung des geltend gemachten Bestandsschutzes liegt nicht
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vor. Soweit das Oberverwaltungsgericht - selbstständig tragend - den geltend
gemachten Anspruch wegen des Fehlens von prüffähigen Unterlagen für eine
FFH-Verträglichkeitsprüfung verneint, hat es sich unter Verweis auf das Urteil
des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Januar 2010 - C-226/08
[ECLI:EU:C:2010:10], Stadt Papenburg - sehr wohl mit dem Ausmaß und den
Grenzen eines möglichen Bestandsschutzes auseinandergesetzt.
2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
a) Die von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage:
Ist die zuständige Bergbehörde berechtigt, einen Antrag
auf Zulassung eines Hauptbetriebsplans deshalb zu ver-
sagen, weil der Antragsteller das Nichtvorliegen eines
Versagungsgrundes nach § 48 Abs. 2 Satz 1 BBergG bei
der Antragstellung nicht nachgewiesen hat, obwohl ein
Versagungsgrund lediglich möglich ist?,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie ist, soweit sie sich als im an-
gestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich erweist, nicht klärungs-
bedürftig. Ihre Beantwortung ergibt sich ohne weiteres aus dem Gesetz.
Ein Hauptbetriebsplan nach § 52 Abs. 1 BBergG ist zuzulassen, wenn - bei Vor-
liegen der Voraussetzungen des § 55 BBergG - insbesondere die Vorausset-
zungen für eine Beschränkung oder Untersagung nach § 48 Abs. 2 BBergG
nicht gegeben sind, die schon in dieser Zulassungsentscheidung zu berücksich-
tigen sind (BVerwG, Urteile vom 4. Juli 1986 - 4 C 31.84 - BVerwGE 74, 315
<323>, vom 16. März 1989 - 4 C 36.85 - BVerwGE 81, 329 <339> und vom
29. Juni 2006 - 7 C 11.05 - BVerwGE 126, 205 Rn. 17). Zu den öffentlichen In-
teressen im Sinne des § 48 Abs. 2 BBergG, die eine Versagung rechtfertigen
können, gehören auch naturschutzrechtliche Belange und das unionsrechtlich
vorgegebene Habitat- und Artenschutzrecht (BVerwG, Beschluss vom 6. Juni
2012 - 7 B 68.11 - ZfB 2012, 236 - juris Rn. 6).
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Hinsichtlich des Habitatschutzes schreibt § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG vor,
dass Projekte vor ihrer Zulassung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszie-
len eines Natura 2000-Gebietes zu überprüfen sind, wenn sie geeignet sind,
das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen. Eine solche Eignung zur erheblichen
Gebietsbeeinträchtigung, die im Wege einer Vorprüfung (Screening) ermittelt
wird, ist nach den - von der Klägerin mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen
und somit bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) - Feststellungen des Oberverwal-
tungsgerichts gegeben. Hiernach greift eine präventive Zulassungssperre ein,
die nur durch das positive Ergebnis einer Verträglichkeitsprüfung (siehe § 34
Abs. 2 BNatSchG) oder - bei Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung -
im Wege einer Abweichung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG überwunden werden
kann. Nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BNatSchG hat der Projektträger die zur Prüfung
der Verträglichkeit sowie der Voraussetzungen nach den Absätzen 3 bis 5 er-
forderlichen Unterlagen vorzulegen. Diese durch das Gesetz zur Neuregelung
des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege vom 29. Juli 2009
(BGBl. I S. 2542) ausdrücklich normierten besonderen Mitwirkungspflichten des
Antragstellers waren im vorliegenden Fall anzuwenden, da nach den zutreffen-
den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für die Beurteilung des geltend
gemachten Zulassungsanspruchs die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner
Entscheidung maßgeblich war. Genügt der Antragsteller diesen Pflichten nicht,
kann mangels Durchführung der erforderlichen Verträglichkeitsprüfung seinem
Antrag auf Zulassung des Betriebsplans nicht stattgegeben werden. Die hierauf
beruhende Ungewissheit über die habitatschutzrechtliche Bewertung des Vor-
habens geht zu seinen Lasten.
Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11. April 2013 - C-258/11
[ECLI:EU:C:2013:220], Sweetman u.a. - ergibt sich nichts anderes. In Rand-
nummer 40 f. der Entscheidungsgründe verhält sich dieses Urteil zu den Vo-
raussetzungen, unter denen die zuständige Behörde nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2
FFH-Richtlinie davon ausgehen darf, dass das Projekt sich nicht dauerhaft
nachteilig auf das betreffende Gebiet auswirkt, und anderenfalls dessen Ge-
nehmigung versagen muss. Insoweit geht es um die inhaltlichen Anforderungen
an die der Behörde obliegende Verträglichkeitsprüfung und deren Ergebnis
(siehe dazu BVerwG, Urteile vom 12. März 2008 - 9 A 3.06 - BVerwGE 130,
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299 Rn. 67 und vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 10),
nicht aber um die dieser vorausliegenden Beibringungslasten des Projektträ-
gers.
Auf die Frage, wie sich Mitwirkungspflichten bezüglich der Prüfung anderer na-
turschutzrechtlicher Vorschriften begründen lassen, kommt es entscheidungs-
erheblich nicht an, da das Oberverwaltungsgericht seine Entscheidung insoweit
auf mehrere selbstständig tragende Erwägungen gestützt hat.
b) Die weiteren Fragen:
Kommt einem nicht UVP-pflichtigen Gesamtvorhaben
auch hinsichtlich seiner unselbstständigen Teilabschnitte
im Rahmen einer den Abbau freigebenden Entscheidung
ein Bestandsschutz aus Art. 19 des Einigungsvertrages
zu? Führt ein aus Art. 19 Einigungsvertrag resultierender
Bestandsschutz eines nicht UVP-pflichtigen Gesamtvor-
habens zu einer Nichtanwendbarkeit naturschutzrechtli-
cher Vorschriften und zu einer Entbehrlichkeit einer FFH-
Verträglichkeitsprüfung?,
führen ebenso wenig auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Im Anschluss an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts zielen die Fragen
darauf ab, ob die rechtliche Einordnung des von der Klägerin betriebenen Ta-
gebaus hinsichtlich der rein verfahrensrechtlichen UVP-Pflicht (vgl. BVerwG,
Urteil vom 29. April 2010 - 7 C 18.09 - Buchholz 406.27 § 55 BBergG Nr. 9
Rn. 12) auf die materiell-rechtlichen Vorschriften des Habitatschutzrechts, die
ihrerseits mit obligatorischen Verfahrensschritten verbunden sind (vgl. BVerwG,
Urteil vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 10), übertragbar
ist. Ansatzpunkt ist dabei der Rechtsbegriff des Projekts, der auch im FFH-
Recht im Anschluss an die in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der UVP-Richtlinie enthal-
tene Definition, dabei allerdings wirkungs- und nicht vorhabenbezogen, auszu-
legen ist (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 14. Januar 2010 - C-226/08 - Rn. 38,
vom 7. September 2004 - C-127/02 [ECLI:EU:C:2004:482], Niederlande -
Rn. 24 ff. und vom 10. Januar 2006 - C-98/03 [ECLI:EU:C:2006:3] - Rn. 40 f.;
BVerwG, Urteile vom 10. April 2013 - 4 C 3.12 - BVerwGE 146, 176 Rn. 29,
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vom 19. Dezember 2013 - 4 C 14.12 - BVerwGE 149, 17 Rn. 28 und vom 12.
November 2014 - 4 C 34.13 - NVwZ 2015, 596 Rn. 29). Die Fragestellung geht
allerdings bereits von einer unzutreffenden Annahme aus, soweit sie einleitend
- wie sich insbesondere aus der Verwendung des Wortes "auch" ergibt - unter-
stellt, dass die Freistellung des von der Klägerin betriebenen Tagebaus als ei-
nes "Gesamtvorhabens" von den Anforderungen der Umweltverträglichkeitsprü-
fung eine Folge eines aus Art. 19 Einigungsvertrag - EV -fließenden Bestands-
schutzes sei. Diese Rechtsfolge beruht vielmehr auf der speziellen Überlei-
tungsvorschrift des Art. 8 EV in Verbindung mit Anlage I Kapitel V Sachgebiet D
Abschnitt III Maßgabe-Nr.1 Buchst. h Doppelbuchst. bb, die der Bestimmung
des Art. 2 Satz 2 des Gesetzes zur Änderung des Bundesberggesetzes vom
12. Februar 1990 (BGBl. I S. 215) entspricht (siehe BVerwG, Urteil vom 12. Juni
2002 - 7 C 2.02 - Buchholz 406.27 § 52 BBergG Nr. 4 sowie Beschluss vom
21. November 2005 - 7 B 26.05 - ZfB 2006, 27; Piens, in: Piens/Schulte/Graf
Vitzthum, Bundesberggesetz, 2. Aufl. 2013, § 52 Rn. 175 ff., Beckmann, in:
Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl. 2012, § 18 Rn. 65). Hiernach wird ein Berg-
bauvorhaben als Ganzes im Sinne eines Gesamtvorhabens, das - auch unge-
achtet einer Genehmigung - vor dem Beitrittszeitpunkt tatsächlich begonnen
worden ist, vom Erfordernis der Zulassung eines obligatorischen Rahmenbe-
triebsplans (§ 52 Abs. 2a BBergG) als des Trägerverfahrens für eine Umwelt-
verträglichkeitsprüfung (§ 57a BBergG) freigestellt.
Der Anwendungsbereich von Art. 19 Satz 1 EV ist hingegen insoweit nicht er-
öffnet. Danach bleiben vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene "Ver-
waltungsakte der Deutschen Demokratischen Republik wirksam". Zwar kannte
das Recht der DDR den Begriff des Verwaltungsakts nicht, sondern verwendete
für vergleichbare Fälle denjenigen der "Einzelfallentscheidung" in Ausübung
vollziehend-verfügender Tätigkeit. Aus der Verwendung des Begriffs "Verwal-
tungsakt" im Einigungsvertrag selbst ist aber der Schluss zu ziehen, dass sol-
che Verwaltungsentscheidungen von Behörden der DDR unter Art. 19 Satz 1
EV fallen, die Regelungscharakter haben und auf eine unmittelbare Rechtswir-
kung im Einzelfall gerichtet sind. Darin stimmen der Begriff der „Einzelentschei-
dung“ und der des Verwaltungsakts im Sinne des § 35 VwVfG überein
(BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 2005 - 6 B 52.05 - NVwZ 2006, 1423
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<1424> m.w.N.). Eine mit solchen Rechtswirkungen verbundene Zulassung des
Gesamtvorhabens war im Recht der DDR aber nicht vorgesehen (BVerwG, Ur-
teil vom 12. Juni 2002 - 7 C 2.02 - Buchholz 406.27 § 52 BBergG Nr. 4 = juris
Rn. 13, sowie die Vorinstanz OVG Frankfurt/Oder, Urteil vom 28. Juni 2001 -
4 A 115/99 - ZfB 2001, 257 = juris Rn. 79 ff.). Die Klägerin zeigt nicht auf, dass
diese Einschätzung einer Überprüfung bedürfte.
Nach dem Recht der DDR wurde die jeweilige konkrete Abbautätigkeit durch
den technischen Betriebsplan gestattet. Auch eine solche Einzelentscheidung
wurde nicht über Art. 19 EV, sondern gemäß Art. 8 EV in Verbindung mit Anla-
ge I Kapitel V Sachgebiet D Abschnitt III Maßgabe-Nr.1 Buchst. h Doppel-
buchst. aa mit einer zeitlichen Beschränkung der Laufzeit bis längstens
31. Dezember 1991 in den nunmehr geltenden Rechtsbestand nach dem Bun-
desberggesetz übergeleitet. Den vorangehenden und vorbereitenden Entschei-
dungen, insbesondere auch der Festsetzung von Bergbauschutzgebieten, kam
der Regelungsgehalt einer Genehmigung des "Gesamtvorhabens" nicht zu
(siehe auch Boldt/Weller, Bundesberggesetz, Ergänzungsband, 1992, Anhang
Rn. 23 ff., 28 ff.).
Für einen aus Art. 19 EV folgenden Bestandsschutz des Gesamtvorhabens
fehlt es demnach auch im Hinblick auf die "den Abbau freigebenden Entschei-
dungen", d.h. die Hauptbetriebspläne, am tauglichen Ansatzpunkt.
Die beiden vorgenannten Fragen sind deswegen ebenso wenig wie die daran
anknüpfenden weiteren Fragen:
Ist die Anwendung von transformiertem EU-Recht gegen-
über einem, aufgrund völkerrechtlichen Vertrags begrün-
deten, Bestandsschutz vorrangig? Kann EU-Recht einen
aus Art. 19 Einigungsvertrag resultierenden Bestands-
schutz nachträglich einschränken oder verdrängen?,
in einem Revisionsverfahren klärungsfähig, weil nicht entscheidungserheblich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Nolte
Brandt
Dr. Keller
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