Urteil des BVerwG vom 02.02.2006

Erbschein, Berechtigung, Erbe, Rechtsnachfolger

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 101.05
VG 5 K 408/01
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Februar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H e r b e r t und N e u m a n n
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom
18. August 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen,
die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 103 537 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin begehrt die vermögensrechtliche Rückübertragung eines
Miteigentumsanteils an einem Grundstück, der früher ihrer Mutter gehörte. Diese
verzichtete im Jahre 1975 auf ihren Miteigentumsanteil. Er wurde daraufhin in Volks-
eigentum überführt. Die Mutter der Klägerin verstarb 1979. Das Staatliche Notariat K.
stellte einen Erbschein vom 16. November 1979 aus, nach dem die Mutter der Klä-
gerin von deren Bruder Peter D. zu 2/3 und von dem weiteren Bruder Dr. Klaus D.
zu 1/3 beerbt wurde.
Die Klage auf vermögensrechtliche Rückübertragung des Miteigentums-
anteils an die Klägerin hat das Verwaltungsgericht unter anderem mit der Begrün-
dung abgewiesen, es lasse sich nicht feststellen, dass die Klägerin Erbin und damit
im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG Rechtsnachfolgerin nach ihrer Mutter sei, weil
der bisher nicht eingezogene Erbschein nicht sie, sondern ihre Brüder als Erben
nach ihrer Mutter ausweise. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Ur-
teil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für
eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, welche die Klägerin ihr beimisst.
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a) Die Klägerin möchte zum einen die Frage geklärt wissen,
ob zum Nachweis der Stellung als Erbe und Rechtsnachfolger im Sinne
des § 2 Abs. 1 VermG zwingend ein Erbschein erforderlich ist.
Diese Frage würde sich indes in dem angestrebten Revisionsverfahren
nicht stellen und rechtfertigt deshalb nicht die Zulassung der Revision. Das Verwal-
tungsgericht hat den geltend gemachten Anspruch nicht daran scheitern lassen, dass
die Klägerin mangels eines auf sie ausgestellten Erbscheins ihre Berechtigung im
Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG nicht nachgewiesen habe. Der Anspruch der
Klägerin ist vielmehr daran gescheitert, dass ein bisher nicht eingezogener Erbschein
vorliegt, der andere als die Klägerin als Erben ihrer Mutter ausweist. Im Revi-
sionsverfahren würde sich deshalb nicht die Frage stellen, ob der Nachweis der Er-
benstellung und damit der Berechtigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG auch
auf andere Weise als durch einen Erbschein geführt werden kann. Es würde sich
vielmehr nur die Frage stellen, ob das Vermögensamt und das Verwaltungsgericht
wegen der Vermutungswirkung des Erbscheins nach § 2365 BGB die Rückübertra-
gung eines Vermögenswerts an einen anderen als den ausgewiesenen Erben ab-
lehnen darf. Diese Frage bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren mehr,
weil das Bundesverwaltungsgericht sie in seiner Rechtsprechung bereits beantwortet
hat. Danach darf von der Berechtigung des durch Erbschein als Erben Ausgewiese-
nen ausgegangen werden, solange dieser Erbschein nicht eingezogen ist (Beschluss
vom 13. März 2001 - BVerwG 8 B 261.00 - VIZ 2001, 367).
Die von der Klägerin angeführten Entscheidungen des Bundesgerichts-
hofs (Urteil vom 10. Dezember 2004 - V ZR 120/04 - FamRZ 2005, 515, und vom
7. Juni 2005 - XI ZR 311/04 - NJW 2005, 2779) geben keinen Anlass, sich mit dieser
Frage erneut zu befassen, weil sie nur die - hier nicht entscheidungserhebliche -
Frage behandeln, ob eine Erbenstellung anders als durch Erbschein nachgewiesen
werden kann. Sie betreffen mithin ebenfalls nicht die hier allein entscheidungserheb-
liche Frage, ob bei Vorliegen eines Erbscheins ein anderer als der dort ausgewiese-
ne Erbe als Erbe angenommen werden kann.
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b) Nicht klärungsfähig sind auch die weiteren von der Klägerin aufgewor-
fenen Fragen,
ob der in einem Erbschein ausgewiesene Erbe zwingend alleiniger
Rechtsnachfolger im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG ist,
ob die Vermutung der Richtigkeit des Erbscheins die negative Vermu-
tung umfasst, dass derjenige, der nicht im Erbschein als Erbe ausge-
wiesen ist, auch nicht Rechtsnachfolger im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG
ist.
Diese Fragen stellen sich nach dem festgestellten Sachverhalt hier nicht.
Danach weist der Erbschein die beiden Brüder der Klägerin zu 2/3 bzw. zu 1/3 als
Erben nach ihrer Mutter auf. Der Erbschein lässt daher nach seinem Inhalt keinen
Raum für die Annahme, dass neben diesen beiden Erben weitere Erben als Rechts-
nachfolger nach der geschädigten Mutter der Klägerin vorhanden sein könnten.
2. Das angefochtene Urteil leidet nicht an den Verfahrensmängeln, wel-
che die Klägerin geltend macht.
a) Zu Unrecht rügt die Klägerin, das Verwaltungsgericht habe seine
Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts aus § 86 Abs. 1 VwGO verletzt. Inwieweit
das Verwaltungsgericht den Sachverhalt aufzuklären hat, richtet sich nach seiner
materiellen Rechtsauffassung. Das Verwaltungsgericht ging hier davon aus, dass
eine Berechtigung der Klägerin solange nicht festgestellt werden kann, als der ent-
gegenstehende Erbschein nicht eingezogen ist. Von dieser Rechtsauffassung aus-
gehend, musste das Verwaltungsgericht nicht der Frage nachgehen, wie das Testa-
ment der Mutter der Klägerin auszulegen ist und ob sich aus diesem Testament eine
Erbenstellung der Klägerin ergibt.
b) Das Verwaltungsgericht hat nicht den Anspruch der Klägerin auf
Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Es hat keine Überraschungsentscheidung
getroffen.
Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich als Überraschungsurteil dar,
wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Ge-
sichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidungen macht und damit dem Rechtsstreit
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eine Wendung gibt, mit welcher insbesondere der unterlegene Beteiligte nach dem
bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. Das ist der Fall, wenn
eine Entscheidung auf Gründe gestützt wird, die nicht Gegenstand des Verwaltungs-
verfahrens oder des Verwaltungsprozesses waren, es sei denn, das Gericht hat
durch entsprechende Hinweise oder auf andere geeignete Weise die Verfahrensbe-
teiligten auf die Entscheidungserheblichkeit des neues Gesichtspunkts hingewiesen.
Hier hatte bereits das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfra-
gen in seinem Widerspruchsbescheid eine Berechtigung der Klägerin hinsichtlich des
streitigen Miteigentumsanteils unter Hinweis darauf verneint, nicht sie, sondern ihre
Brüder seien Erben nach ihrer Mutter. Der Beklagte hat dies in seiner Klageer-
widerung aufgegriffen und in diesem Zusammenhang auf den erteilten Erbschein
verwiesen. Schon deshalb musste die Klägerin ohne ausdrücklichen Hinweis des
Verwaltungsgerichts damit rechnen, dass für das Verwaltungsgericht die Fragen er-
heblich werden würden, ob sie Erbin und damit Rechtsnachfolgerin nach ihrer Mutter
ist und welche Bedeutung in diesem Zusammenhang dem vorliegenden Erbschein
zukommt. Sie musste sich auch ohne besonderen Hinweis des Verwaltungsgerichts
in ihrem Vortrag auf diese Fragen einstellen.
Auf die weiteren Rügen der Klägerin braucht der Senat nicht einzuge-
hen. Sie betreffen die Hilfserwägungen, auf die das Verwaltungsgericht sich ergän-
zend gestützt hat, auf die es aber nicht ankommt, weil bereits die in erster Linie tra-
gende Begründung nicht mit durchgreifenden Revisionsrügen angegriffen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO,
die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Weil die Klägerin nur die Rückübertragung eines Miteigentumsanteils begehrt, waren
als Streitwert drei Viertel des Verkehrswerts des Grundstücks anzusetzen, den das
Verwaltungsgericht mit 138 048,80 € ermittelt hat. Nach dem Inhalt der Beschwerde-
begründung war nur noch die Rückübertragung dieses Miteigentumsanteils Gegen-
stand des Rechtsmittels. Ihr weitergehendes Begehren erster Instanz hat die Kläge-
rin hingegen nicht mehr verfolgt.
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Sailer Herbert Neumann