Urteil des BVerwG vom 08.08.2012

Rechtliches Gehör, DDR, Ausnahme, Einzahlung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 1.12
OVG 4 A 512/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. August 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Brandt
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 20. September 2011 wird zurückgewie-
sen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 1 116 661,47 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin begehrt die Rückzahlung von Wassernutzungsentgelt, das ihre
Rechtsvorgängerin auf der Grundlage der Vorschriften des Wassergesetzes der
DDR für in Sachsen gelegene Kraftwerke für das letzte Quartal 1990 auf ein
Konto der Wasserwirtschaftsdirektion Obere Elbe/Neiße gezahlt hat. Das Ober-
verwaltungsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Der öffentlich-
rechtliche Erstattungsanspruch sei bezüglich der Zahlung für eines der Kraft-
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werke gegeben. Die diesbezügliche Einzahlung auf das Konto der Wasserwirt-
schaftsdirektion bei der Staatsbank Berlin habe zu einer Vermögensverschie-
bung zu Gunsten des Beklagten geführt. Denn nach den Bestimmungen des
Einigungsvertrages habe es sich bei der Direktion im Zeitpunkt der Einzahlung
im November 1990 um eine Behörde des Beklagten gehandelt. Unerheblich sei,
ob der Betrag danach möglicherweise an den Bund weitergeleitet und wie der
Haushalt des Beklagten damals verwaltet worden sei. Die Vermögensverschie-
bung habe materiellem Recht nicht entsprochen. Denn spätestens ab dem
3. Oktober 1990 habe es für die Erhebung eines Wassernutzungsentgelts nach
dem Wassergesetz der DDR eine rechtliche Grundlage nicht mehr gegeben.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelas-
sen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.
II
Die auf die Zulassungsgründe eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Der Anspruch des Beklagten auf recht-
liches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) ist nicht verletzt.
Dieser Anspruch verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur
Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie entscheidungser-
heblich sind (BVerfG, Beschluss vom 17. November 1992 - 1 BvR 168/89 u.a. -
BVerfGE 87, 363 <392 f.> m.w.N.; BVerwG, Urteile vom 29. November 1985
-- Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 S. 65 m.w.N. und
vom 20. November 1995 -- Buchholz 310 § 108 VwGO
Nr. 267 S. 22). Eine Verletzung des Anspruchs ist allerdings nur dann dargetan,
wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachge-
kommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das
von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genom-
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men und in Erwägung gezogen haben (BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1975
- 2 BvR 1086/74 - BVerfGE 40, 101 <104 f.>). Dazu muss das Gericht nicht auf
sämtliches Tatsachenvorbringen und alle Rechtsauffassungen eingehen, die im
Verfahren von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind
(BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juni 1975 a.a.O. und vom 5. Oktober 1976
- 2 BvR 558/75 - BVerfGE 42, 364 <368>). Nur der wesentliche Kern des Tat-
sachenvorbringens einer Partei, der nach der materiellrechtlichen Auffassung
des Gerichts von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens ist,
muss in den Gründen der Entscheidung behandelt werden (Urteil vom 20. No-
vember 1995 a.a.O.). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist dann festzustel-
len und gegeben, wenn auf den Einzelfall bezogene Umstände deutlich erge-
ben, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur
Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen
worden ist (BVerfG, Beschlüsse vom 1. Februar 1978 - 1 BvR 426/77 -
BVerfGE 47, 182 <187 f.> und vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86,
133 <146>). Solche Umstände sind vorliegend nicht erkennbar.
Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorbringen des Beklagten, wonach in Ge-
stalt der Erklärung der Rechtsvorgängerin der Klägerin über die Berechnung
des Wassernutzungsentgelts ein Behaltensgrund für das Erlangte gegeben sei,
ausweislich der diesbezüglichen Ausführungen im Tatbestand seines Urteils
(UA Rn. 2, 23) und der dortigen Wiedergabe der Erwiderung der Klägerin (UA
Rn. 15) zur Kenntnis genommen. Es hat diesen Vortrag in den Entscheidungs-
gründen auch verbeschieden, indem es darauf abstellt, dass es spätestens für
die Zeit ab dem 3. Oktober 1990 für die Erhebung des Wassernutzungsentgelts
keine rechtliche Grundlage mehr gegeben habe (UA Rn. 36), und zur Erläute-
rung auf einschlägige Gerichtsentscheidungen verweist (siehe insbesondere
OVG Frankfurt/Oder, Urteil vom 9. Februar 1994 - 2 A 82/92 - LKV 1994, 260
<261 f.> sowie - dem folgend - OVG Weimar, Urteil vom 5. Oktober 1995
- 2 KO 5/93 - ZfW 1997, 133 ). Darin kommt zugleich die Auf-
fassung zum Ausdruck, dass die Regelungen des DDR-Rechts über Selbstver-
pflichtungen der genannten Art ungeachtet ihrer rechtlichen Einordnung nicht
mehr anwendbar waren. Soweit der Beklagte rügt, dass das Oberverwaltungs-
gericht seinen Vortrag in dessen rechtlicher Bedeutung nur unzulänglich ver-
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arbeitet habe, vermag dies der Gehörsrüge nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn
der Anspruch auf rechtliches Gehör garantiert nicht die Einhaltung eines vom
Betroffenen als angemessen erachteten Umfangs der rechtlichen Auseinander-
setzung mit allen seinen Argumenten.
2. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt
der Rechtssache nicht zu. Dies wäre nur dann der Fall, wenn für die Entschei-
dung des Oberverwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende
Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche
Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheit-
lichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des
Rechts geboten erscheint (vgl. Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B
78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18). Diese
Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Die als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
ob aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1 EV in Verbindung mit § 22
Ländereinführungsgesetz unmittelbar folgt, dass ab
3. Oktober 1990 der Vermögenszuwachs bei dem Beklag-
ten eingetreten und damit das Land Leistungsempfänger
ist,
bezieht sich auch in ihrem fallübergreifenden Gehalt auf ausgelaufenes Recht.
Solche Rechtsfragen haben nach ständiger Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts trotz anhängiger Fälle regelmäßig keine grundsätzliche Be-
deutung, da die Zulassungsvorschrift des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur eine für
die Zukunft geltende Klärung herbeiführen soll (vgl. etwa Beschlüsse vom
9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1
VwGO Nr. 4 S. 3, vom 13. Juli 2007 - BVerwG 3 B 16.07 - Buchholz 451.511
§ 6 MOG Nr. 9 sowie - für das Übergangsstadium der Wiedervereini-
gung - vom 5. Juni 1998 - BVerwG 11 B 45.97 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2
Ziff. 1 VwGO Nr. 18 S. 24 = ). Eine Ausnahme von der Regel, dass
Fragen des auslaufenden bzw. ausgelaufenen Rechts die Zulassung der
Grundsatzrevision nicht rechtfertigen, ist in der Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts dann anerkannt, wenn die Klärung der Rechtsfragen für
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einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiter-
hin von Bedeutung ist. Für das Vorliegen einer solchen Sachlage ist der Be-
schwerdeführer darlegungspflichtig. Es müssen Anhaltspunkte für eine erhebli-
che Zahl von Altfällen dargetan und ersichtlich sein (vgl. Beschluss vom
20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1
VwGO Nr. 9 S. 12). Dem trägt die Begründung der Beschwerde mit dem un-
substantiierten - und von der Beigeladenen bestrittenen - Hinweis auf eine Viel-
zahl von weiteren Fällen nicht ausreichend Rechnung.
Entsprechendes gilt für die Frage, mit der der Beklagte die Rechtsnatur einer
Selbsterklärung nach den Vorschriften des Wasserrechts der DDR geklärt wis-
sen will (siehe Beschluss vom 20. Juli 1994 - BVerwG 8 B 92.94 - ZfW 1995,
16) sowie für die Frage, wer als Empfänger der Zahlung anzusehen und bei
wem demnach die Vermögensmehrung eingetreten ist; für die Beantwortung
der letztgenannten Frage soll nach Auffassung des Beklagten die Überleitungs-
vorschrift des Art. 9 Abs. 2 EV von maßgeblicher Bedeutung sein.
Die Kostenentscheidung beruht aufs. Die
Streitwertfestsetzung folgt auss. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.
Dr. Nolte Krauß Brandt
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