Urteil des BVerwG vom 21.11.2013

Stadt Oldenburg, Bundesamt, Passiven, Aktiven

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 7 A 28.12 (7 A 22.12)
Verkündet
am 21. November 2013
Scholz
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 21. November 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Guttenberger und Brandt
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verpflichtet, über eine Ergänzung des
Planfeststellungsbeschlusses des Eisenbahn-Bundes-
amtes - Außenstelle Hannover - für das Vorhaben „ABS
Oldenburg - Wilhelmshaven: Ausbaustufe III, PFA 2 Rast-
ede - Hahn“ der Strecke 1522 Oldenburg Hbf. - Wilhelms-
haven Hbf. vom 2. August 2011 um Maßnahmen zum
Schutz der Kläger vor Lärmimmissionen und des Planfest-
stellungsbeschlusses des Eisenbahn-Bundesamtes -
Außenstelle Hannover - für das Vorhaben „ABS Olden-
burg - Wilhelmshaven: Ausbaustufe III, PFA 3 Jaderberg -
Varel“ der Strecke 1522 Oldenburg Hbf. - Wilhelmshaven
Hbf. vom 2. August 2011 um Maßnahmen zum Schutz der
Kläger zu 4 bis 7 vor Lärmimmissionen unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Die Planfeststellungsbeschlüsse werden aufgehoben, so-
weit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen.
Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
Die Kläger zu 1 und 2 - diese als Gesamtschuldner -, die
Klägerin zu 3 sowie die Kläger zu 4 bis 7 - auch diese als
Gesamtschuldner - tragen je zwei Neuntel der Gerichts-
kosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten
und der Beigeladenen. Die Beklagte und die Beigeladene
tragen je ein Sechstel der Gerichtskosten und der außer-
gerichtlichen Kosten der Kläger. Im Übrigen tragen die Be-
teiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
G r ü n d e :
I
Die Kläger zu 1, 2, 3, 5, 6, und 7 sind (Mit-)Eigentümer von, der Kläger zu 4 ist
Inhaber eines dinglichen Wohnrechts an Wohngrundstücken, die im Oldenbur-
ger Stadtgebiet an der Eisenbahnstrecke 1522 Oldenburg - Wilhelmshaven lie-
gen. Sie wenden sich gegen zwei Planfeststellungsbeschlüsse zum Ausbau
dieser Eisenbahnstrecke in weiter nördlich gelegenen Abschnitten.
Die Beigeladene plant die Ertüchtigung der Bahnstrecke 1522 insbesondere
durch (Wieder-)Herstellung der durchgängigen Zweigleisigkeit, Anhebung der
Streckenhöchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf 120 km/h, Erhöhung der
Radsatzlast auf 23,5 t sowie Elektrifizierung der Strecke. Dieses Vorhaben soll
gemeinsam mit der Ertüchtigung der Strecken 1552 (Nordstrecke) und 1553,
die über die Strecke 1540 (Sande - Jever) an die Strecke 1522 angebunden
sind, eine leistungsfähige Hinterlandanbindung für den am 27. September 2012
offiziell eröffneten tideunabhängigen Tiefwasserhafen „Jade-Weser-Port“ schaf-
fen. Das Ausbauvorhaben für die Strecke 1522 ist in fünf Abschnitte unterteilt.
Der Planfeststellungsabschnitt (PFA) 1 von Bahn-km 0,841 bis Bahn-km 9,772
durchquert vom Hauptbahnhof Oldenburg kommend zunächst das Stadtgebiet
und endet nach der Gemeindegrenze kurz vor der Überführung der Autobahn
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A 29. Daran schließt sich bis Bahn-km 21,236 der PFA 2 (Rastede - Hahn) und
sodann bis Bahn-km 35,200 der PFA 3 (Jaderberg - Varel) an. In diesen Ab-
schnitten war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Gleis der ursprünglich durchgän-
gig zweigleisigen Strecke an zwei Stellen auf einer Gesamtlänge von etwa
10 km abgebaut worden. Die PFA 4 und 5 betreffen die Abschnitte von Varel
über Sande bis Wilhelmshaven. Die Anbindung des Jade-Weser-Ports ab San-
de bildet den PFA 6.
Die Planunterlagen zum PFA 2 lagen in der Gemeinde Rastede vom 23. August
bis 22. September 2010 öffentlich aus. Die Planunterlagen zum PFA 3 lagen in
der Gemeinde Jaderberg und in der Stadt Varel vom 30. September bis zum
29. Oktober 2010 öffentlich aus. Eine Auslegung der Planunterlagen in der
Stadt Oldenburg erfolgte nicht.
Mit im Wesentlichen gleichlautenden (Formular-)Schreiben vom 4. Oktober
bzw. 22. September 2010 erhoben der Kläger zu 2 und die Klägerin zu 3 Ein-
wendungen gegen das Vorhaben im PFA 2; sie machten Beeinträchtigungen
durch die bevorstehende Zunahme des Güterzugverkehrs insbesondere in den
Nachtstunden geltend und verlangten die Prüfung einer Umfahrungstrasse so-
wie Schutz gegen Immissionen durch Lärm und Erschütterungen. Da zum
PFA 2 insgesamt weit über 300 Einwendungen aus Oldenburg vorlagen, wurde
dort am 13. Dezember 2010 ein Erörterungstermin durchgeführt; ein dort von
Einwendern gestellter Antrag auf Aussetzung des Termins und auf Auslegung
der Unterlagen in Oldenburg wurde abgelehnt.
Mit zwei Beschlüssen vom 2. August 2011 stellte das Eisenbahn-Bundesamt
die Pläne für die Vorhaben im PFA 2 und im PFA 3 fest. Die Einwendungen der
Kläger zu 2 und 3 wurden zurückgewiesen. In den Gründen der Planfeststel-
lungsbeschlüsse wird u.a. zum Vorbringen der Einwender aus Oldenburg aus-
geführt, dass eine Auslegung der Planunterlagen nur in den Gemeinden erfor-
derlich gewesen sei, in denen sich die verfahrensgegenständlichen Bauab-
schnitte befänden. Es habe kein Anlass bestanden, vom Grundsatz der ab-
schnittsbezogenen Auslegung abzugehen und die Planunterlagen auch in der
Stadt Oldenburg auszulegen. Die planfestgestellten Streckenausbauten seien
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mit keinen Auswirkungen verbunden, die nicht im PFA 1 bewältigt werden könn-
ten. Zwar werde die rechnerische Kapazität des Streckenabschnitts zwischen
Oldenburg und Sande durch die Herstellung der durchgängigen Zweigleisigkeit
gegenüber dem bestehenden Zustand mit eingleisigen Abschnitten erhöht.
Gleichwohl hätten die planfestgestellten Bauvorhaben keine Auswirkungen auf
das Stadtgebiet von Oldenburg. Denn die Anlieger müssten die plangegebene
Vorbelastung der gegenwärtigen Streckenkapazität unabhängig von
Schwankungen in den Verkehrsströmen dulden. Die Beigeladene habe aus-
weislich der Niederschrift über den Erörterungstermin vom 13. Dezember 2010
im Anhörungsverfahren ausdrücklich zugesagt, dass sie bis zu einer Fertigstel-
lung der Ausbaumaßnahmen in Oldenburg einschließlich der Schutzvorkehrun-
gen gegen Immissionen, insbesondere der Schallschutzwände, auf der Strecke
keinen Zugverkehr zulassen und abwickeln werde, der über die jetzt schon vor-
handene Kapazität hinausgehe. Vor diesem Hintergrund seien Schallschutz-
maßnahmen für den PFA 1, in dem Baumaßnahmen nicht vor der ersten Teilin-
betriebnahme des Jade-Weser-Ports abgeschlossen würden, nicht festzuset-
zen. Die Abschnittsbildung sei inhaltlich gerechtfertigt und orientiere sich an der
Dringlichkeit der Teilmaßnahmen der Streckenertüchtigung. Die Variantenent-
scheidung für die planfestgestellten Maßnahmen sei sachgerecht und nicht zu
beanstanden. Die Nullvariante sei nicht vorzugswürdig. Eine mögliche Bahn-
umgehung Oldenburg entlang der Autobahn A 29 werde durch die Baumaß-
nahmen im PFA 2 nicht verbaut, so dass in den Planfeststellungsbeschlüssen
insoweit keine abschließende Entscheidung getroffen werden müsse. Eine al-
ternative Streckenführung über die Trasse der 1958 stillgelegten und danach
vollständig abgebauten Strecke Varel - Rodenkirchen sei eindeutig nicht vor-
zugswürdig, so dass es einer näheren Untersuchung nicht bedürfe.
Die Planfeststellungsbeschlüsse wurden durch Auslegung vom 5. bis 19. Sep-
tember 2011 öffentlich bekannt gemacht (§ 74 Abs. 5 VwVfG). Zuvor hatte der
Kläger zu 4 - zugleich im Namen der Kläger zu 5 bis 7 - mit einem an die Be-
klagte gerichteten Schreiben vom 23. August 2011 in beiden Planfeststellungs-
verfahren Einwendungen erhoben, mit denen er den Verfahrensfehler einer un-
zureichenden Auslegung der Planunterlagen, die Abschnittsbildung und unzu-
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längliche Erwägungen zu Planungsalternativen rügte sowie Lärmschutz forder-
te.
Am 16. Oktober 2011 haben die Kläger - gemeinsam mit anderen Klägern -
Klage erhoben. Die Kläger zu 4 bis 7 haben zugleich vorläufigen Rechtsschutz
beantragt. Diesen Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 24. Januar 2012
- BVerwG 7 VR 13.11 - abgelehnt. Die Verfahren der meisten anderen Kläger
sind durch gerichtlichen Vergleich vom 5. Juli 2012 (BVerwG 7 A 22.12) been-
det worden, in dem sich die Beigeladene zu Maßnahmen des vorgezogenen
passiven Lärmschutzes für alle betroffenen Anwohner der Bahnstrecke in Ol-
denburg verpflichtet hat. In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die
Planfeststellungsbeschlüsse in einer Protokollerklärung um noch weiter rei-
chende Schallschutzmaßnahmen zugunsten der Kläger ergänzt; zu diesen
Maßnahmen hatte die Beigeladene sich schon im Anschluss an den Vergleich
ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bereit erklärt.
Zur Begründung ihrer Klagen tragen die Kläger vor: Mit ihren Einwendungen
seien sie nicht präkludiert. Einer Präklusion stehe die unzureichende Auslegung
der Planunterlagen entgegen. Die Unterlagen hätten auch in Oldenburg ausge-
legt werden müssen; denn die Vorhaben wirkten sich auch dort aus. Der
Grundsatz der abschnittsbezogenen Auslegung bei linienförmigen Planvorha-
ben gelte nur bei einer zulässigen Abschnittsbildung, die hier nicht vorliege. Die
Alternativenprüfung sei rechtsfehlerhaft. Insbesondere eine Stadtumfahrung für
den Güterverkehr entlang der Autobahn A 29 sei eindeutig vorzugswürdig. Dies
werde durch verschiedene Gutachten belegt, die im Hinblick auf die Planungen
im PFA 1 erstellt worden seien. Jedenfalls müsse einer grundrechtlich relevan-
ten Lärmbetroffenheit aufgrund des zu erwartenden Verkehrszuwachses Rech-
nung getragen werden. Die von der Beigeladenen vorgetragene plangegebene
Vorbelastung im Bereich des PFA 1 von 94 Zügen pro Tag sei nicht nachvoll-
ziehbar belegt. Des Weiteren könne eine so bestimmte Vorbelastung nicht aus-
schlaggebend sein, da die grundrechtliche Zumutbarkeitsschwelle überschritten
sei. Mit einer deutlichen Zunahme gerade des Güterverkehrs habe im betref-
fenden Bereich seit Jahren nicht gerechnet werden müssen. Da die Abfolge der
Anträge auf Planfeststellung in den verschiedenen Planfeststellungsabschnitten
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nicht nachvollziehbar sei, sei der Lärmschutz im PFA 1 bis zum dortigen Aus-
bau unter Beachtung des Gleichheitssatzes ebenfalls nach den so genannten
Lärmvorsorgewerten zu gewähren. Es sei folglich eine Auflage zu erlassen,
dass der Zugverkehr bis zum vollständigen Ausbau der Gesamtstrecke die der-
zeit tatsächlich gegebene Situation nicht übersteigen dürfe. Jedenfalls müsse
der Lärmschutz in der Übergangszeit nach den so genannten Sanierungswer-
ten gewährt werden. Dabei sei der Schienenbonus nicht zu berücksichtigen.
Dem Erlass von Betriebsregelungen wie Nachtfahrverboten oder Geschwindig-
keitsbeschränkungen stünden insbesondere unionsrechtliche Vorgaben nicht
entgegen.
Die Kläger zu 1 bis 3 beantragen,
festzustellen, dass der Planfeststellungsbeschluss für das
Vorhaben „ABS Oldenburg - Wilhelmshaven: Ausbaustufe
III, PFA 2 Rastede - Hahn“ der Strecke 1522 Oldenburg
Hbf. - Wilhelmshaven Hbf. vom 2. August 2011 rechtswid-
rig ist und nicht vollzogen werden darf,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, den vorgenannten Planfest-
stellungsbeschluss um Schutzauflagen zugunsten der
Kläger zu ergänzen.
Die Kläger zu 4 bis 7 beantragen,
festzustellen, dass der Planfeststellungsbeschluss für das
Vorhaben „ABS Oldenburg - Wilhelmshaven: Ausbaustufe
III, PFA 2 Rastede - Hahn“ der Strecke 1522 Oldenburg
Hbf. - Wilhelmshaven Hbf. vom 2. August 2011 und der
Planfeststellungsbeschluss für das Vorhaben „ABS Ol-
denburg - Wilhelmshaven: Ausbaustufe III, PFA 3 Jader-
berg - Varel“ der Strecke 1522 Oldenburg Hbf. - Wil-
helmshaven Hbf. vom 2. August 2011 rechtswidrig sind
und nicht vollzogen werden dürfen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, die vorgenannten Planfest-
stellungsbeschlüsse um Schutzauflagen zugunsten der
Kläger zu ergänzen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Planfeststellungsbeschlüsse.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Klagen abzuweisen.
Sie hält die Klagen der meisten Kläger wegen Präklusion und darüber hinaus
alle Klagen wegen fehlender Klagebefugnis für unzulässig. Jedenfalls seien die
Klagen unbegründet, da die Lärmproblematik in Oldenburg auch im Rahmen
der planerischen Abwägung nicht habe berücksichtigt werden müssen. Sowohl
wegen der Zusage der Einhaltung der plangegebenen Kapazität als auch we-
gen der Eingleisigkeit der Strecke im PFA 6 fehle es an einem eindeutigen
Ursachenzusammenhang zwischen den angefochtenen Maßnahmen und der
Lärmerhöhung. Die Sonderkonstellation der teilungsbedingten Streckenstillle-
gungen sei hier nicht einschlägig und auch nicht vergleichbar. Jedenfalls stehe
der Beklagten ein Abwägungsspielraum bezüglich des Wie einer Lärmsanie-
rung zu; einen Anspruch auf bestimmte Maßnahmen könnten die Kläger nicht
geltend machen. Der Beklagten komme aufgrund der gegenständlichen Be-
schränkung der Planfeststellung eine Befugnis zur Anordnung verkehrsregeln-
der Maßnahmen nicht zu. Aus dem Unionsrecht folge schließlich die uneinge-
schränkte Verpflichtung, die vorhandene Kapazität zur Nutzung bereitzustellen.
II
Die Klagen sind zulässig (1.), aber nur zum Teil begründet. Mit ihren Hauptan-
trägen dringen die Kläger nicht durch. Die Planfeststellungsbeschlüsse leiden
nicht an einem Rechtsfehler, der die Feststellung ihrer Rechtwidrigkeit und
Nichtvollziehbarkeit zur Folge hätte (2.). Die Kläger können aber verlangen,
dass die Beklagte nochmals über Maßnahmen zum Lärmschutz entscheidet
(3.).
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1. Die nach ordnungsgemäßer öffentlicher Bekanntmachung der angefochtenen
Planfeststellungsbeschlüsse (§ 18b Nr. 5 AEG, § 74 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5
Satz 1 bis 3 VwVfG) fristgerecht (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO) erhobenen Klagen
sind auch im Übrigen zulässig. Die Kläger sind insbesondere klagebefugt. Als
lärmbetroffene Anlieger der Bahnstrecke können sie geltend machen, in ihren
durch Art. 2 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechten verletzt zu sein.
Dem steht bei den Klägern zu 1 und zu 4 bis 7 nicht die Tatsache entgegen,
dass sie - im Gegensatz zu den Klägern zu 2 und 3 - innerhalb der Einwen-
dungsfrist des § 18a AEG i.V.m. § 73 Abs. 4 Satz 1 VwVfG Einwendungen nicht
erhoben haben. Denn daraus folgt nicht, dass ihr Vorbringen im Gerichtsverfah-
ren wegen Präklusion (§ 18a Nr. 7 Satz 1 AEG) unbeachtlich ist.
Die einschneidenden Folgen des Ausschlusses verspäteter Einwendungen im
gerichtlichen Verfahren sind mit Blick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19
Abs. 4 GG nur dann hinnehmbar, wenn dem Betroffenen sowohl die Möglichkeit
einer eigenen Betroffenheit als auch seine Mitwirkungsobliegenheit im Verwal-
tungsverfahren mit hinreichender Deutlichkeit vor Augen geführt werden (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 - BVerfGE 61, 82
<110 ff.>). Die hiernach für die Präklusion erforderliche Anstoßwirkung wird für
die ortsansässigen Betroffenen durch die Bekanntmachung der Auslegung der
Planunterlagen nach § 18a AEG, § 73 Abs. 5 Satz 1 VwVfG bezweckt (Urteile
vom 3. Mai 2013 - BVerwG 9 A 16.12 - NVwZ 2013, 1209 Rn. 15 und vom
16. August 1995 - BVerwG 11 A 2.95 - Buchholz 407.3 § 3 VerkPBG Nr. 1). Sie
beschränkt sich demnach auf den von der Anhörungsbehörde gewählten Aus-
legungsbereich, wobei es nicht darauf ankommt, ob dieser Bereich nach Maß-
gabe des § 18a Nr. 1 AEG zutreffend bestimmt worden ist.
2. Die Hauptanträge bleiben ohne Erfolg. Die Planfeststellungsbeschlüsse wei-
sen keine Rechtsfehler auf, die - wie von den Klägern insoweit lediglich bean-
tragt - jedenfalls die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit
nach sich ziehen.
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a) Mit ihrer Rüge, die Planfeststellungsbeschlüsse litten mangels Auslegung der
Planunterlagen in Oldenburg an einem beachtlichen Verfahrensfehler, dringen
die Kläger nicht durch. Dabei kann offenbleiben, ob das Anhörungsverfahren
den gesetzlichen Bestimmungen entsprochen hat (aa). Denn es ist nicht er-
kennbar, dass sich ein etwaiger Auslegungsfehler auf den Inhalt der Planfest-
stellungsbeschlüsse ausgewirkt haben könnte (bb). Unionsrechtliche Bestim-
mungen stehen der Einstufung eines solchen Fehlers als unerheblich nicht ent-
gegen (cc).
aa) Nach § 18a Nr. 1 AEG erfolgt die Auslegung der Planunterlagen in den
Gemeinden, in denen sich das Vorhaben voraussichtlich auswirkt. Der weite
Begriff des Auswirkens erhält rechtliche Konturen, wenn und soweit er nur sol-
che Auswirkungen umfasst, die eine planerische Konfliktbewältigung gerade im
anstehenden Planfeststellungsverfahren erforderlich machen können. Auf die-
sen im Wege einer Prognoseentscheidung ermittelten räumlichen Bereich ist
die Auslegung zu erstrecken (Urteil vom 31. Juli 2012 - BVerwG 4 A 7001.11
u.a. - BVerwGE 144, 44 Rn. 32 = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 39).
Grundsätzlich berücksichtigungsfähige und -bedürftige Auswirkungen sind nicht
von vornherein auf die unmittelbare Nachbarschaft des Vorhabens beschränkt;
vielmehr kann das Vorhaben auch mittelbare (Fern-)Wirkungen entfalten. Bei
linienförmigen Vorhaben wie hier beim Ausbau eines Verkehrswegs können
Maßnahmen auf einem Streckenabschnitt zu einer Steigerung des Verkehrs
und folglich einer erhöhten Immissionsbelastung auch auf nachfolgenden Stre-
ckenabschnitten führen. Die Feststellung, dass insbesondere der Lärmzuwachs
anlässlich des geplanten Vorhabens bewältigungsbedürftig ist, erfolgt nach
Maßgabe rechtlicher Wertungen.
(1) Zum einen muss der Verkehrszuwachs aufgrund der Verkehrsbeziehungen
dem Ausbauvorhaben zurechenbar sein (Urteil vom 17. März 2005 - BVerwG
4 A 18.04 - BVerwGE 123, 152 Rn. 18 = Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 44
S. 136; siehe dazu auch Füßer, UPR 2012, 92 mit weiteren Rechtsprechungs-
nachweisen). Diese Feststellung ist beim engmaschigen Straßennetz, in dem
die Verkehrsströme sich vielfältig aufspalten können, im Ansatz auf einen enge-
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ren Bereich beschränkt als beim Schienennetz. Denn dieses fächert sich nicht
in gleicher Weise „in die Fläche“ aus, so dass auch weiträumige Ursachenzu-
sammenhänge bestehen können. Hier kann indessen im Interesse der Hand-
habbarkeit von Planungsprozessen eine wertende Beschränkung der Zurech-
nung angezeigt sein (vgl. hierzu etwa OVG Koblenz, Urteil vom 14. August
1997 - 1 C 11506/96 - juris Rn. 16 a.E.).
Eine durch den Ausbau eines Schienenwegs hervorgerufene Lärmbelastung ist
zum anderen in der Regel nur dann rechtlich beachtlich, wenn sie die gegebene
Vorbelastung übersteigt (Urteil vom 9. Juli 2008 - BVerwG 9 A 5.07 - Buchholz
442.09 § 18 AEG Nr. 66 Rn. 17). Dabei kommt es nicht auf die tatsächliche
Ausnutzung des Schienenwegs, sondern auf dessen rechtlich zulässige Aus-
nutzbarkeit an.
(2) Die Feststellung, dass zurechenbare Auswirkungen auf anderen Strecken-
abschnitten hervorgerufen werden können, ist nur notwendige, nicht jedoch hin-
reichende Bedingung für die Erweiterung des räumlichen Bereichs der Ausle-
gung.
Darüber hinaus muss es nach dem Gebot der planerischen Konfliktbewältigung
geboten sein, diese Auswirkungen bereits bei der anstehenden Entscheidung
über das Planvorhaben in den Blick zu nehmen. Dies ist nur ausnahmsweise
der Fall. Bei einem in mehrere Planungsabschnitte unterteilten Gesamtvorha-
ben gilt der Grundsatz der abschnittsbezogenen Auslegung (Kipp/Schütz, in:
Hermes/Sellner , Beck´scher AEG-Kommentar, 2006, § 20 Rn. 60).
Denn bei einer solchen Verfahrensgestaltung ist in der Regel davon auszuge-
hen, dass die (Fern-)Wirkungen des Ausbaus auf den nachfolgenden Pla-
nungsabschnitt mit den beim dortigen Ausbau entstehenden unmittelbaren
Auswirkungen verschmelzen und erst in der darauf bezogenen Planfeststellung
bewältigt werden müssen. Daraus folgt, dass die Auslegung regelmäßig örtlich
auf den unmittelbaren Einwirkungsbereich des Vorhabens beschränkt werden
kann.
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Ausnahmen vom Grundsatz der abschnittsbezogenen Auslegung sind demnach
dann zu machen, wenn die Konfliktbewältigung nicht in die Entscheidung über
den nachfolgenden Abschnitt verschoben werden kann. Das kann zum einen
dann der Fall sein, wenn das Gesamtvorhaben mit dem nunmehr geplanten
Abschnitt endet und es an einer daran anschließenden Planung überhaupt fehlt.
Zum anderen kann ungeachtet einer vorgesehenen Anschlussplanung der Ver-
weis auf die dann anstehende Möglichkeit der Konfliktbewältigung wegen der
zeitlichen Verhältnisse unzureichend sein.
Nach diesen rechtlichen Maßstäben spricht viel dafür, dass die Entscheidung,
von einer Auslegung der Planunterlagen in Oldenburg abzusehen, rechtswidrig
war.
Das Eisenbahn-Bundesamt geht in den Planfeststellungsbeschlüssen noch da-
von aus, dass die Kapazität der bereits jetzt zweigleisigen Strecke im PFA 1
durch den Ausbau in den anderen Abschnitten erhöht werden wird. Diese Ein-
schätzung erscheint angesichts der dann wiederhergestellten durchgängigen
Zweigleisigkeit der Strecke Oldenburg - Wilhelmshaven plausibel. Dass darin
zugleich eine Steigerung gegenüber der plangegebenen Vorbelastung liegt,
versteht sich von selbst, wenn von dem vor Ausbau vorhandenen tatsächlichen
Zustand mit eingleisigen Streckenabschnitten ausgegangen wird.
Eine Beschränkung auf die bereits vor dem Streckenausbau vorhandene Kapa-
zität und Vorbelastung entnimmt das Eisenbahn-Bundesamt der als Zusage
qualifizierten Erläuterung der Beigeladenen im Erörterungstermin, wonach sie
bis zur Fertigstellung von Schallschutzwänden in Oldenburg wegen der von
Sande bis zum Jade-Weser-Port bestehenden einschränkenden Infrastruktur
nicht mehr Züge fahren lassen könne und werde als bereits jetzt möglich. Wenn
für das Eisenbahn-Bundesamt erst diese Willens- oder Wissenserklärung der
Beigeladenen im Anhörungsverfahren den Schluss auf einen die plangegebene
Vorbelastung nicht überschreitenden Verkehrszuwachs und damit das Fehlen
einer bewältigungsbedürftigen Lärmproblematik erlaubt, dürfte sich die zeitlich
vorausliegende Entscheidung über die Auslegung, die auf solchen Erkenntnis-
sen gerade nicht aufbaut, als nicht tragfähig erweisen.
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Aber auch wenn die Erkenntnisse über die Auswirkungen fortbestehender ka-
pazitätsbestimmender Engstellen in der für die Auslastung der Strecke maß-
geblichen Anbindung des Jade-Weser-Ports hier zu berücksichtigen sein soll-
ten, wäre zu erwägen, ob der befürchtete merkliche Anstieg und die kritische
Höhe insbesondere der nächtlichen Lärmbelastung Anlass für eine Erweiterung
des Auslegungsbereichs hätten bieten müssen. Denn es war nicht davon aus-
zugehen, dass die Bewältigung der aufgezeigten Lärmproblematik ohne Weite-
res in die Planung zum PFA 1 verschoben werden konnte. Aufgrund der sich
schon während des Anhörungsverfahrens abzeichnenden Verzögerungen der
Planungen im Oldenburger Stadtgebiet, insbesondere wegen der Frage der
Aufhebung schienengleicher Bahnübergänge, lag es jedenfalls nicht fern, eine
Ausnahme vom Grundsatz der abschnittsbezogenen Auslegung anzunehmen.
bb) Eine - unterstellt - verfahrensfehlerhafte Auslegung der Planunterlagen führt
indessen nicht zum Erfolg der Klagen, denn ein solcher Verfahrensmangel ist
auch im Hinblick auf die Kläger, die Einwendungen nicht fristgerecht erhoben
haben, jedenfalls nach § 18e Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 AEG i.V.m. § 46 VwVfG
unerheblich. Die Vorschrift des § 46 VwVfG, der unmittelbar nur den Aufhe-
bungsanspruch im Rahmen einer Anfechtungsklage ausschließt, bezieht sich
auch auf den „gekappten“ Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit und
Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses. Es wäre schwerlich
nachvollziehbar, wenn dieser Entscheidungsausspruch, der dem Ziel der Plan-
erhaltung Rechnung tragen soll, in einer solchen Konstellation zu einer Erweite-
rung des Rechtsschutzes führte (vgl. zur Fortsetzungsfeststellungsklage
Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 46 Rn. 43).
Das Eisenbahn-Bundesamt hat sich nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Vor-
bringens von nahezu 350 Einwendern aus dem Gebiet der Stadt Oldenburg, für
die am 13. Dezember 2010 ein Erörterungstermin in Oldenburg stattgefunden
hat, mit der nunmehr auch von den Klägern geltend gemachten Lärmproblema-
tik und der Frage von Trassenalternativen befasst. Insbesondere angesichts
dieses Umstands ist die konkrete Möglichkeit einer anderen Entscheidung im
Planfeststellungsbeschluss bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensman-
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gels nicht ansatzweise zu erkennen (vgl. zu diesem rechtlichen Maßstab Urteil
vom 12. August 2009 - BVerwG 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 Rn. 31 = Buch-
holz 407.4 § 17 FStrG Nr. 203).
cc) Die Berücksichtigung der fehlenden Kausalität eines Verfahrensfehlers für
das Entscheidungsergebnis ist auch mit Unionsrecht vereinbar.
Das Erfordernis der Auslegung der Planunterlagen folgt für die gemäß § 2
Abs. 2, § 3 Abs. 1 UVPG i.V.m. Nummer 14.7 der Anlage 1 UVP-pflichtigen
Vorhaben - insoweit inhaltlich übereinstimmend mit § 18a Nr. 1 AEG - aus § 9
Abs. 1 Satz 3 UVPG i.V.m. § 73 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 VwVfG. Diese Vor-
schriften dienen der Umsetzung der Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 und 3 der
Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträg-
lichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl EG
Nr. L 175 S. 40) - UVP-RL - in der durch die Richtlinie 97/11/EG des Rates vom
3. März 1997 (ABl EG Nr. L 73 S. 5) geänderten Fassung. Art. 10a UVP-RL in
der durch die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Ra-
tes vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbei-
tung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung
der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffent-
lichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten - Öffentlichkeitsbeteiligungs-
Richtlinie - ABl EG Nr. L 156 S. 17) geänderten Fassung - nunmehr Art. 11 der
Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom
13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öf-
fentlichen und privaten Projekten (ABI EG 2012 Nr. L 26 S. 1) - gebietet zwar
den Zugang zu Gericht, um sowohl die materiellrechtliche als auch die verfah-
rensrechtliche Rechtmäßigkeit anfechten zu können. Ungeachtet der besonde-
ren Bedeutung, die das Unionsrecht der Einhaltung von Verfahrensvorschriften
im Umweltrecht beimisst, folgt daraus aber nicht, dass - über das vollständige
Fehlen einer Umweltverträglichkeitsprüfung hinaus (siehe § 4 Abs. 1 UmwRG) -
jeder Verfahrensfehler bei der Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung
die Rechtswidrigkeit der anschließend erlassenen Zulassungsentscheidungen
im Sinne dieses Artikels nach sich zieht. Vielmehr steht Art. 10a UVP-RL der
Verneinung der Rechtswidrigkeit nicht entgegen, wenn bei Berücksichtigung
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des Schweregrads des geltend gemachten Fehlers nach Würdigung aller Um-
stände des konkreten Einzelfalles „nachweislich die Möglichkeit besteht“, d.h.
davon auszugehen ist, dass die Entscheidung ohne den Verfahrensfehler nicht
anders ausgefallen wäre (vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - Rs.
C-72/12, Altrip - Rn. 57). Das ist hier der Fall.
Der geltend gemachte Verfahrensfehler eines zu eng bemessenen Ausle-
gungsgebiets wiegt als solcher zwar grundsätzlich schwer, da er geeignet ist,
Teilen der betroffenen Öffentlichkeit den Zugang zu Informationen abzuschnei-
den und deren Beteiligung am Entscheidungsprozess zu unterbinden. Die
Tragweite dieses Fehlers wird jedoch deutlich gemindert, wenn sich Teile der
Öffentlichkeit aus den Gebieten, in denen eine Auslegung unterblieben ist, auf-
grund sonstiger Kenntnis vom Vorhaben gleichwohl am Verfahren beteiligen.
Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - gleichgerichtete Einwendungen
vorgebracht werden. Die nunmehr auch von den Klägern vorgetragenen Ein-
wendungen sind im Wesentlichen im Erörterungstermin in Oldenburg von dort
anwesenden Einwendern, die sich teilweise ausdrücklich als Sprachrohr der
Interessen aller Oldenburger Bahnanlieger verstanden haben, umfassend dar-
gelegt worden. Aufgrund des Umgangs mit den Einwendungen im Verfahren
und deren Verarbeitung in den Planfeststellungsbeschlüssen ist davon auszu-
gehen, dass eine zahlenmäßig geringere Beteiligung von Oldenburger Bahnan-
liegern am Verwaltungsverfahren eine Auswirkung auf die Sachentscheidung
nicht gehabt hat.
b) Die angefochtenen Planfeststellungsbeschlüsse leiden weder mit Blick auf
die Prüfung der Alternativtrassen noch in Bezug auf die Abschnittsbildung an ei-
nem Mangel der nach § 18 Satz 2 AEG gebotenen Abwägung. Mängel bei der
Bewältigung der die Kläger in Oldenburg betreffenden Lärmproblematik lassen
sich durch Planergänzung beheben und rechtfertigen deshalb nicht die mit den
Hauptanträgen begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollzieh-
barkeit der Planfeststellungsbeschlüsse.
aa) Der Senat hat bereits im Beschluss vom 24. Januar 2012 im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes ausgeführt, dass die Variantenprüfung in den ange-
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- 16 -
fochtenen Planfeststellungsbeschlüssen jedenfalls im Ergebnis von Rechts we-
gen nicht zu beanstanden ist. Daran hält der Senat fest. Dies gilt sowohl hin-
sichtlich der Ablehnung einer weiträumigen Umfahrung von Oldenburg und
Rastede, die eine von der Bestandsstrecke abweichende Trassenführung
schon in den PFA 2 und 3 zur Folge hätte, als auch hinsichtlich der Weigerung
der Planfeststellungsbehörde, bereits in eine Prüfung der von den Klägern er-
strebten Umfahrungsstrecke entlang der Autobahn A 29 einzutreten. Zu Letzte-
rem ist ergänzend anzumerken, dass dahinstehen kann, ob schon der Um-
stand, dass die betreffende Strecke im Bedarfsplan für die Bundesschienenwe-
ge (Anlage zu § 1 des Gesetzes über den Ausbau der Schienenwege des Bun-
des - Bundesschienenwegeausbaugesetz - vom 15. November 1993, BGBl I
S. 1874, zuletzt geändert durch Verordnung vom 31. Oktober 2006, BGBl I
S. 2407) unter Ziffer 1 b) lfd. Nr. 3 als Ausbaustrecke verzeichnet ist, sogar die
Prüfung einer Umfahrung von Oldenburg von vornherein ausschließt. Jedenfalls
ist aufgrund des abschließenden Vorbringens der Kläger zur Umfahrungstrasse
nicht ansatzweise dargetan, dass durch den Planfeststellungsbeschluss zum
PFA 2 insoweit ein rechtlich beachtlicher Zwangspunkt festgelegt wurde (vgl.
hierzu zuletzt Urteil vom 25. Januar 2012 - BVerwG 9 A 6.10 - Buchholz 310
§ 42 Abs. 2 VwGO Nr. 34 Rn. 21 m.w.N.). Denn die Planungen, auf die die Klä-
ger verweisen, sehen eine Trasse westlich der Autobahn vor, die den PFA 2
nicht berührt, sondern noch im PFA 1 auf die Bestandstrasse trifft.
bb) Auch gegen die Abschnittsbildung und die Reihenfolge der Planung in den
Abschnitten wenden die Kläger sich ohne Erfolg.
Die Abschnittsbildung als anerkannter Teil der fachplanerischen Abwägung soll
angesichts beschränkter Kapazitäten bei Planung und Durchführung die prakti-
sche Bewältigung umfangreicher Vorhaben ermöglichen. Denn eine Gesamt-
planung einer Strecke von - wie hier - über 50 km wäre kaum überschaubar.
Dritte haben deshalb grundsätzlich kein Recht darauf, dass über die Zulassung
eines Vorhabens insgesamt, vollständig und abschließend in einem einzigen
Bescheid entschieden wird. Jedoch kann eine Abschnittsbildung Dritte in ihren
Rechten verletzen, wenn sie einen effektiven Rechtsschutz faktisch unmöglich
macht oder dazu führt, dass die abschnittsweise Planfeststellung dem Grund-
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- 17 -
satz umfassender Problembewältigung nicht gerecht werden kann (vgl. Be-
schlüsse vom 22. Juli 2010 - BVerwG 7 VR 4.10 - NVwZ 2010, 1486 Rn. 27 und
vom 23. November 2007 - BVerwG 9 B 38.07 - Buchholz 406.400 § 61
BNatSchG 2002 Nr. 7 Rn. 20, jeweils m.w.N.). Nach diesen Maßstäben ist die
Abschnittsbildung nicht zu beanstanden. So ist nachvollziehbar, dass gerade
auch Abschnitte gebildet werden, in denen die Zweigleisigkeit wiederhergestellt
werden muss; denn dort sind aufwendigere Planungen erforderlich. Die Festle-
gung der nördlichen Begrenzung des PFA 1 an der Autobahnüberführung fin-
det, wie in der mündlichen Verhandlung seitens der Beklagten nochmals erläu-
tert worden ist, ihre Rechtfertigung im Bestreben, den Lärmschutz für die Be-
bauung in Neusüdende, die an der Gemarkungsgrenze liegt, in einem Planfest-
stellungsbeschluss zu regeln.
Die Kläger beanstanden letztlich der Sache nach die Reihenfolge der Planung
und Realisierung des Bauvorhabens in den verschiedenen Abschnitten. Willkür-
liche oder ansonsten rechtlich nicht tragfähige Überlegungen sind aber auch in-
soweit nicht ersichtlich. Insbesondere durfte das Eisenbahn-Bundesamt die
Dringlichkeit des Ausbaus der verschiedenen Streckenabschnitte bewerten und
in seine Erwägungen einstellen. Dabei leuchtet unmittelbar ein, dass der mit
einer völligen Streckensperrung verbundene Ausbau der eingleisigen Abschnit-
te vor der geplanten Eröffnung des Jade-Weser-Ports abgeschlossen werden
sollte. Die Verzögerung der Planungen in Oldenburg wird ebenfalls nachvoll-
ziehbar belegt. Schließlich ist, wie bereits oben zur Auslegung der Planunterla-
gen dargelegt, mit der Abschnittsbildung die Bewältigung der Lärmproblematik
auf erst später zu realisierenden Planungsabschnitten nicht ausgeblendet.
cc) Die Mängel bei der rechtlichen Bewertung der Lärmbetroffenheit der Kläger
(vgl. 3.) schlagen nach § 18e Abs. 6 Satz 2 Halbs. 1 AEG auf die Rechtmäßig-
keit der angefochtenen Planfeststellungsbeschlüsse im Übrigen nicht durch.
Dies gilt nicht nur für darauf bezogene Schutzvorkehrungen auf der Grundlage
von §§ 41 f. BImSchG, sondern auch für Lärmschutzmaßnahmen, über die im
Rahmen der planerischen Abwägung zu entscheiden ist. Denn solche Erwä-
gungen stehen schon aufgrund ihres anderen räumlichen Bezugspunkts neben
der auf das eigentliche Vorhaben bezogenen Abwägung und ergänzen diese
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- 18 -
lediglich; Fehler in der auf die Bewältigung der Lärmsituation bezogenen Abwä-
gung sind demnach nicht geeignet, die Ausgewogenheit der Gesamtplanung in
Frage zu stellen (vgl. Urteil vom 3. März 2011 - BVerwG 9 A 8.10 - BVerwGE
139, 150 Rn. 59).
3. Die Hilfsanträge, mit denen die Kläger eine Planergänzung zum Lärmschutz
erstreben, haben teilweise Erfolg; die Kläger haben einen Anspruch auf erneute
Bescheidung (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
a) Lärmschutz außerhalb des jeweiligen Planfeststellungsabschnitts kann nicht
auf der Grundlage des § 41 BImSchG i.V.m. der Sechzehnten Verordnung zur
Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzver-
ordnung - 16. BImSchV) vom 12. Juni 1990 (BGBl I S. 1036) verlangt werden.
Denn der Regelungsbereich dieser Bestimmungen bezieht sich nur auf die un-
mittelbare Nachbarschaft des Vorhabens. Auch auf § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG
kann aufgrund der insoweit abschließenden Regelung des § 41 Abs. 1
BImSchG nicht zurückgegriffen werden (Urteile vom 15. Dezember 2011
- BVerwG 7 A 11.10 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 59 Rn. 29, vom
9. Juni 2010 - BVerwG 9 A 20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 208 Rn. 114
und vom 17. März 2005 - BVerwG 4 A 18.04 - BVerwGE 123, 152 <155> =
Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 44 S. 135).
b) Dem Lärmzuwachs auf der bereits vorhandenen Strecke ist im Rahmen des
Gebots planerischer Abwägung Rechnung zu tragen (siehe Urteil vom 17. No-
vember 1999 - BVerwG 11 A 4.98 - BVerwGE 110, 81 <86, 88> = Buchholz
406.25 § 41 BImSchG Nr. 53 S. 55 f. sowie Beschluss vom 26. Januar 2000
- BVerwG 4 VR 19.99 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 156 Rn. 12). Den daraus
folgenden Anforderungen werden die angefochtenen Planfeststellungsbe-
schlüsse nicht gerecht.
Das Eisenbahn-Bundesamt geht in den Planfeststellungsbeschlüssen im An-
schluss an die Rechtsprechung zwar zutreffend davon aus, dass aus der insbe-
sondere bezüglich des Güterverkehrs über einen langen Zeitraum hinweg ge-
ringen tatsächlichen Streckenauslastung ein irgendwie gearteter Vertrauenstat-
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bestand für die Anlieger der Bahnstrecke mit der Folge einer Deckelung der
Lärmbelastung auf den bislang gegebenen Zustand nicht erwächst. Vielmehr ist
eine Lärmbelastung, die die plangegebene Vorbelastung nicht übersteigt,
grundsätzlich hinzunehmen. Soll die Belastung - wie hier - für eine Übergangs-
zeit trotz ausbaubedingter Kapazitätserweiterung auf die plangegebene Vorbe-
lastung beschränkt werden, so muss allerdings die der Vorbelastung zugrunde
liegende Zugmenge im Planfeststellungsbeschluss verlässlich festgelegt wer-
den, damit das Eisenbahn-Bundesamt als Aufsichtsbehörde im Interesse der
Lärmbetroffenen in der Lage ist, die Einhaltung der Grenzen dieser Duldungs-
pflicht zu überwachen. Der Streckenanlieger hat die Vorbelastung grundsätzlich
auch dann zu dulden, wenn die Lärmimmissionen die grundrechtliche Zumut-
barkeitsschwelle, die jedenfalls für Wohngebiete an Werten von 70 dB(A) tags
und 60 dB(A) nachts festzumachen ist, überschreitet (Urteil vom 9. Juli 2008
- BVerwG 9 A 5.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 66 Rn. 17; siehe zur Zu-
mutbarkeitsschwelle zuletzt Urteile vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 9 A 20.11 -
Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 229 Rn. 28 und vom 15. Dezember 2011
- BVerwG 7 A 11.10 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 59 Rn. 30). Die
Schutzpflicht des Staates für Gesundheit und Eigentum steht dem nicht ent-
gegen, weil es insoweit an der normativen Zurechnung der Lärmimmissionen
zum planfestgestellten Vorhaben fehlt.
Unter besonderen Umständen ist aber eine abweichende rechtliche Beurteilung
geboten. Dann kann ungeachtet der Einhaltung der plangegebenen Vorbelas-
tung der Beachtung der grundrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle eine maßgeb-
liche Bedeutung zukommen. Mit der mittlerweile durch Zeitablauf erledigten
Fallkonstellation der Wiedereröffnung teilungsbedingt unterbrochener Eisen-
bahnstrecken (siehe insbes. Urteile vom 28. Oktober 1998 - BVerwG 11 A
3.98 - BVerwGE 107, 350 <355 ff.> = Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 23
S. 65 und vom 17. November 1999 - BVerwG 11 A 4.98 - BVerwGE 110, 81
<86 ff.> = Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 31 S. 54 f.) sind die insoweit an-
zuerkennenden Ausnahmesituationen nicht abschließend umschrieben.
In den so genannten Wiedervereinigungsfällen wird mit der Gewährung von
Lärmschutz ein Billigkeitsausgleich geleistet in einer Situation, in der die plan-
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gegebene Vorbelastung in der Realität keine Entsprechung mehr findet und
sich deswegen einer juristischen Fiktion nähert (vgl. Urteil vom 9. Juli 2008
- BVerwG 9 A 5.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 66 Rn. 18). Auf eine inso-
weit vergleichbare Situation können die Kläger sich nicht berufen. Trotz bedeu-
tender Schwankungen insbesondere in der Güterverkehrsnutzung war die Stre-
cke Oldenburg - Wilhelmshaven immer als eine Hauptbahn mit Güterverkehr
ausgewiesen und ist als solche auch - wenn auch in Abhängigkeit von der wirt-
schaftlichen Entwicklung der Region in unterschiedlichem Ausmaß - tatsächlich
genutzt worden.
Der vorliegende Sachverhalt zeichnet sich indessen durch die Besonderheit
aus, dass ein einheitliches Ausbauvorhaben, das auf die Aufnahme eines er-
höhten Verkehrsaufkommens aus einer neuen Verkehrsquelle gerichtet ist, in
mehrere Abschnitte unterteilt wird. Die Anlieger der Strecke, mit deren Ausbau
eine leistungsfähige Hinterlandanbindung für den Jade-Weser-Port geschaffen
werden soll, bilden insoweit eine planungsrechtliche Schicksalsgemeinschaft
der von den Lärmimmissionen betroffenen Anwohner eines als Einheit anzuse-
henden Ausbauvorhabens. Diese unterscheidet sich deutlich von der der Anlie-
ger einer sonstigen Ausbaustrecke, deren Ertüchtigung ein mehr oder weniger
kontinuierlich steigendes Verkehrsaufkommen aufnehmen soll. Denn die Eröff-
nung einer gänzlich neuen Verkehrsquelle bildet einen zeitlichen Einschnitt und
setzt eine Vorgabe für die Gesamtplanung. Diese muss darauf ausgerichtet
sein, das Ausbauvorhaben so zeitig zu einem Abschluss zu bringen, dass kei-
ner der Betroffenen Gefahr läuft, plötzlich einer signifikant erhöhten Lärmbelas-
tung schutzlos ausgesetzt zu sein. Ist dies - aus welchen Gründen auch immer -
nicht möglich, kann es unbillig und deshalb korrekturbedürftig erscheinen, wenn
ein Teil der von einem Gesamtprojekt Betroffenen allein wegen der Unwägbar-
keiten der von Erfordernissen der Praktikabilität einer komplexen Planung be-
stimmten Abschnittsbildung und wegen des zeitlichen Ablaufs der Ausbauarbei-
ten zwar nur übergangsweise, aber gleichwohl einer hohen und gegebenenfalls
gesundheitsgefährdenden Lärmbelastung ausgesetzt ist. Das rechtfertigt es,
auch diese Fallgestaltung als Ausnahmesituation anzuerkennen, in der die Ge-
währung von Lärmschutz gegenüber Schallimmissionen, die die grundrechtliche
Zumutbarkeitsschwelle überschreiten, sich aber im Rahmen der plangegebenen
48
- 21 -
Vorbelastung halten, nach Maßgabe des Abwägungsgebots in Betracht zu zie-
hen ist.
Über die Gewährung eines auf die Übergangszeit bezogenen (interimistischen)
Lärmschutzes ist unter Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles zu
entscheiden. Dazu zählen neben der voraussichtlichen Länge des Übergangs-
zeitraums das Ausmaß der Lärmsteigerung und das Maß der Überschreitung
der maßgeblichen Schwellenwerte, insbesondere im Hinblick auf die Störung
der Nachtruhe.
aa) Ausgangspunkt der Überlegungen ist die von der Beigeladenen zugesagte
interimistische Beschränkung der Streckennutzung und der damit verbundenen
Lärmbelastung auf die plangegebene Vorbelastung. Eine Festlegung des ent-
sprechenden Zugmengengerüsts fehlt allerdings in den Planfeststellungsbe-
schlüssen und ist vom Eisenbahn-Bundesamt im Rahmen der Ergänzung der
Abwägungsentscheidung nachzuholen.
Das Eisenbahn-Bundesamt hat sich in der Sache die Ergebnisse der von der
Beigeladenen vorgelegten eisenbahnbetriebswissenschaftlichen Untersuchung
vom 1. März 2012 zu eigen gemacht, die von einer Leistungsfähigkeit von 94
Zügen pro Tag, davon 44 im Schienenpersonennahverkehr und 50 im Schie-
nengüterverkehr (30 Züge tags/20 nachts) ausgeht. Es ist indessen noch nicht
hinreichend nachvollziehbar dargetan, dass diese Zahl die plangegebene Vor-
belastung zutreffend wiedergibt. Plausibel - jedenfalls nicht zum Nachteil der
Kläger überhöht - erscheint allerdings die für die Leistungsfähigkeit der Strecke
Oldenburg - Sande angenommene Anzahl von 108 Zügen pro Tag. Aus der der
in Bezug genommenen Untersuchung vom 17. Juni 2009 beigefügten Fahr-
planskizze geht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass die Kapazität vor
der Beseitigung der eingleisigen Streckenabschnitte pro Stunde - neben den
Personenzügen - auch vier Trassen für den Schienengüterverkehr umfasst. Auf
den gesamten Tag hochgerechnet summiert sich allein die Anzahl dieser Tras-
sen auf 96. Da daneben noch die Trassen für den Schienenpersonennahver-
kehr berücksichtigt werden, dürfte die den weiteren Überlegungen zugrunde
gelegte Zahl von 108 Zügen pro Tag nicht zu beanstanden sein. Die eisen-
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- 22 -
bahnbetriebswissenschaftliche Untersuchung stellt im Anschluss daran heraus,
dass diese Kapazität nur bei ungehindertem Zu- und Abfluss des Verkehrs von
bzw. ab Sande ausgeschöpft werden könnte. Da dies insbesondere wegen der
eingleisigen Streckenführung ab Sande zum Jade-Weser-Port nicht der Fall ist,
setzt die Untersuchung einen „Trassenverzehr“ von 14 Trassen an. Es ist aller-
dings zweifelhaft, ob diese - nach den Ursachen für die fehlende Ausnutzbarkeit
von Trassen näher spezifizierte - Betrachtung den Anforderungen an eine
nachvollziehbare Darlegung des Ist-Zustands genügt. Eine Fahrplanskizze ent-
hält die Untersuchung für die Strecke nördlich Sande nur für die „bislang ge-
plante Zielinfrastruktur“. Diese weist maximal drei Fahrplantrassen in der Stun-
de für den Schienengüterverkehr aus, woraus sich in den 16 Tagesstunden
maximal 48 Trassen ergeben. Es spricht alles dafür, dass die „Trassenverzeh-
re“ auch hier zu berücksichtigen sind. Dies gilt jedenfalls hinsichtlich der Leer-
fahrten und der schweren Güterzüge, wohl aber auch für die Synchronisation
mit dem Schienenpersonennahverkehr. Dann bedürfte es näherer Darlegung,
warum - wenn entgegen den Annahmen in der Fahrplanskizze der Zielausbau
noch nicht erreicht sein sollte - mit 30 Trassen eine im Vergleich zu 34 lediglich
unwesentlich geringere Zahl angesetzt wird.
bb) Für die Prüfung der Frage, ob bei Ausnutzung der insoweit limitierenden
Kapazität die grundrechtlichen Zumutbarkeitsschwellen eingehalten werden,
sind zur Bestimmung der Lärmimmissionen die Vorgaben der 16. BImSchV zur
Berechnung der maßgeblichen Beurteilungspegel und damit auch der auf der
Grundlage des § 43 Abs. 1 Satz 2 BImSchG a.F. erlassene so genannte Schie-
nenbonus (Korrektursummand S von minus 5 dB(A) zur Berücksichtigung der
geringeren Störwirkung des Schienenverkehrslärms in der Anlage 2 zu § 3; sie-
he dazu zuletzt Urteil vom 21. Dezember 2010 - BVerwG 7 A 14.09 - Buchholz
316 § 74 VwVfG Nr. 81 Rn. 51 ff.) zu berücksichtigen.
Der unmittelbare Anwendungsbereich der 16. BImSchV ist hier zwar nicht eröff-
net. Es geht jedoch in der Sache um die Bewältigung eines Teilausschnitts der-
selben Problemlage, nämlich der Auswirkungen des Schienenlärms auf die
menschliche Gesundheit, so dass eine unterschiedliche Handhabung von Be-
rechnungsmethoden nicht überzeugen kann (siehe auch Urteil vom
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- 23 -
15. Dezember 2011 - BVerwG 7 A 11.10 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr.
59 Rn. 31). Die 16. BImSchV geht nicht nur davon aus, dass eine Gesundheits-
gefahr nicht eintritt, solange die Immissionsgrenzwerte des § 2 eingehalten
werden. Vielmehr gilt Gleiches, solange eine vorhandene Lärmvorbelastung
sich nicht im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 relevant erhöht
(Urteil vom 3. März 1999 - BVerwG 11 A 9.97 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG
Nr. 26 S. 27). Lärmschutzansprüche werden hier erst gewährt, wenn die unter
Anwendung des Schienenbonus ermittelte Schwelle von 60 dB(A) bzw. 70
dB(A) erreicht ist. Eine auf die Übergangszeit bezogene Ergänzung des Lärm-
schutzkonzepts muss sich hieran orientieren, um ein stimmiges Gesamtbild zu
erreichen. So kann nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 16. BImSchV der Anlieger
einer wesentlich geänderten Eisenbahnstrecke, der bei einer Erhöhung des Be-
urteilungspegels um weniger als 3 dB(A) einem Lärmpegel von 59 dB(A) nachts
ausgesetzt ist - ohne Berücksichtigung des Schienenbonus entspricht dies
einem Wert von 64 dB(A) -, Schutzmaßnahmen nicht beanspruchen. Ange-
sichts dessen wäre es nicht überzeugend, wenn der von den Fernwirkungen
einer Änderung betroffene Anlieger eines nicht geänderten Streckenteils schon
bei einer im Vergleich dazu - ohne Schienenbonus ermittelten - geringeren
Lärmbelastung von 63 dB(A) einen, wenn auch nur auf eine Lärmsanierung ge-
richteten, Schutzanspruch sollte geltend machen können.
cc) Die Einhaltung der grundrechtlich veranlassten Schwellenwerte, die in die
Abwägung einzustellen ist, kann - ebenso wie beim endgültigen Lärmschutz-
konzept - durch Maßnahmen des aktiven Schallschutzes, d.h. solchen an der
Lärmquelle bzw. am Übertragungsweg, erreicht werden. Baumaßnahmen an
der Strecke, insbesondere temporäre Lärmschutzwände, dürften jedoch in aller
Regel ausscheiden.
Als weitere Maßnahme zur Reduzierung des Schienenlärms kommt auch die
Festlegung von Betriebsregelungen im Planfeststellungsbeschluss in Betracht.
Gegenstand der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung nach § 18 Satz 1 AEG
ist zwar nur der Bau und die Änderung von Eisenbahnbetriebsanlagen. Das
schließt es aber nicht aus, dass aus Anlass einer „Bauplanfeststellung“ zur Be-
wältigung der vom Vorhaben und dessen betriebsbedingten Auswirkungen auf-
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- 24 -
geworfenen Konflikte auch betriebsregelnde Anordnungen wie Nutzungsbe-
schränkungen - die durch die Deckelung auf die plangegebene Vorbelastung im
Planfeststellungsbeschluss in der Sache ohnehin bereits verfügt worden sind -
oder Geschwindigkeitsbegrenzungen getroffen werden (vgl. Krappel, DVBl
2012, 674 <676> sowie zu § 41 BImSchG insbes. Jarass, BImSchG, 10. Aufl.
2013, § 41 Rn. 59 und Reese, in: BeckOK BImSchG, § 41 Rn. 34.1). Inwieweit
solchen Regelungen, wenn sie auf Dauer vorgesehen sind, die Beeinträchti-
gung der Funktionsfähigkeit des Schienenwegs entgegengehalten werden kann
(siehe dazu Krappel, a.a.O. S. 677 f.), bedarf hier keiner Entscheidung. Bei
einem Lärmschutz für eine Übergangszeit kann ein Vorrang der üblichen Maß-
nahmen des aktiven Lärmschutzes jedenfalls nicht durchgreifen.
Auch die unionsrechtlich vorgegebenen regulierungsrechtlichen Bestimmungen
über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur stehen der Festsetzung von
Betriebsregelungen nicht entgegen. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG, der der Um-
setzung der von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahr-
wegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von
Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung (ABl EG Nr. L 75,
S. 29), nunmehr Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines ein-
heitlichen europäischen Eisenbahnraums (Neufassung) (ABl EU Nr. L 343,
S. 32) dient (Urteil vom 29. September 2011 - BVerwG 6 C 17.10 - BVerwGE
140, 359 Rn. 22 f. = Buchholz 442.09 § 14e AEG Nr. 1), sind die Eisenbahnin-
frastrukturunternehmen verpflichtet, die diskriminierungsfreie Benutzung der
von ihnen betriebenen Eisenbahninfrastruktur zu gewähren. Der Zugangsan-
spruch kann jedoch nur in den Grenzen der zulässigerweise eröffneten Kapazi-
tät geltend gemacht werden. Insoweit sind auch solche Beschränkungen vorge-
geben, die dem Infrastrukturunternehmen in der Zulassungsentscheidung auf-
erlegt werden. Die Frage, wie flächendeckende Kapazitätsbeschränkungen zu
beurteilen wären, stellt sich hier nicht.
Die Beklagte ist allerdings nicht auf Maßnahmen des aktiven Schallschutzes
beschränkt. Bei der Auswahl der zu ergreifenden Maßnahmen steht dem
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- 25 -
Eisenbahn-Bundesamt ein Gestaltungsspielraum zu. Im Rahmen ihrer Abwä-
gung kann es sich auch dafür entscheiden, einen entsprechenden Schutz im
Wege des passiven Lärmschutzes zu erreichen, der sich auf abgeschlossene
Räume bezieht.
Die Gewährung passiven Lärmschutzes ist in dieser Situation nicht an den Vor-
gaben der Vierundzwanzigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes (Verkehrswege-Schallschutzmaßnahmenver-
ordnung - 24. BImSchV) vom 4. Februar 1997 (BGBl I S. 172, ber. S. 1253)
auszurichten. Dies ist schon deswegen nicht geboten, weil diese Regelungen
sich nach § 1 auf die Bestimmungen der 16. BImSchV und die darin festgeleg-
ten Immissionsgrenzwerte beziehen und deswegen auf die Gewährleistung von
Innenraumpegeln abzielen, die die Lärmvorsorge garantieren. Ein solcher
Lärmschutz wäre gemessen an dem Ziel der Einhaltung der grundrechtlichen
Zumutbarkeitsschwelle während einer Übergangszeit letztlich überschießend.
Im Grundsatz reicht es demgegenüber aus, die Schalldämmung der Räume
jeweils so zu erhöhen, dass der Wert, um den der maßgebliche Beurteilungs-
pegel die Zumutbarkeitsschwelle überschreitet, kompensiert wird. In der Praxis
dürfte dies näherungsweise darauf hinauslaufen, dass bei einer Überschreitung
der Zumutbarkeitsschwelle um 5 dB(A) ein Schallschutzfenster der gegenüber
dem Bestand nächst höheren Schallschutzklasse dem rechtlich gebotenen
Schutzanspruch genügt (vgl. Bracher, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht,
Umweltrecht Besonderer Teil, 24. BImSchV, § 3 Rn. 3). Hierfür wäre dann eine
finanzielle Entschädigung zu leisten. Falls der Lärmbetroffene selbst weiterge-
henden Schutz erreichen will und insofern einen besseren Lärmschutzstandard
begehrt, wäre die Kostendifferenz zu erstatten.
Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass es um den Lärmschutz für eine Über-
gangszeit bis zur Realisierung der Ausbauplanung im betroffenen Abschnitt
geht und deswegen in absehbarer Zeit die Umsetzung eines endgültigen Lärm-
schutzkonzepts ansteht. Deshalb ist es angezeigt zur Vermeidung einer reinen
Übergangslösung, die für die Beigeladene mit nach Ablauf dieser Zeit nutzlosen
finanziellen Aufwendungen und für die Betroffenen mit wiederholten Unan-
nehmlichkeiten durch Umbaumaßnahmen verbunden sein kann, bereits dieses
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- 26 -
zukünftige Lärmschutzkonzept - zumindest in seinen großen Zügen - in die
Überlegungen mit einzubeziehen. Dabei kann das dem im Erörterungstermin
vom 5. Juli 2012 geschlossenen Vergleich zugrunde gelegte Vorgehen im We-
ge eines „vorgezogenen passiven Lärmschutzes“ vielfach zu angemessenen
Ergebnissen führen. Insoweit sind, auch wenn das unterstellte Lärmschutzkon-
zept gemäß § 41 Abs. 1 BImSchG vorrangig auf Maßnahmen des aktiven
Schallschutzes in Gestalt von Lärmschutzwänden beruht, im Wesentlichen drei
Fallkonstellationen zu unterscheiden. Bei Schutzfällen, die von den Lärm-
schutzwänden nicht geschützt werden und denen allein passiver Schallschutz
zugebilligt wird, ist durch das Vorziehen dieses Schutzes dem Anliegen des
interimistischen Lärmschutzes auf jeden Fall genügt. Falls der endgültige
Schallschutz durch eine Kombination von aktivem und passivem Schallschutz
gewährt werden soll, ist zu prüfen, ob das Maß der vorgesehenen Dämmung
ausreicht, um die Überschreitung der Zumutbarkeitsschwelle auszugleichen.
Falls dies nicht zutrifft, ist das Schalldämm-Maß entsprechend zu erhöhen.
Schließlich ist in Fallgestaltungen, in denen im künftigen Schutzkonzept ein
Schutzfall allein durch Maßnahmen des aktiven Schallschutzes bewältigt wer-
den soll und somit ein vorzuziehender passiver Lärmschutz nicht ausgewiesen
ist, über das Maß des nunmehr gebotenen passiven Lärmschutzes unter Be-
achtung der oben skizzierten Vorgaben zu entscheiden.
dd) Den vorstehenden Anforderungen werden die Planfeststellungsbeschlüsse
auch in der durch die Protokollerklärung geänderten Fassung nicht gerecht.
Zwar werden darin Entschädigungsansprüche für Maßnahmen des passiven
Schallschutzes in einem von Rechts wegen nicht zu beanstandenden Umfang
festgesetzt. Die Erfordernisse der erforderlichen Abwägung werden aber jeden-
falls deswegen verfehlt, weil das Eisenbahn-Bundesamt sich mit den von den
Klägern begehrten Maßnahmen des aktiven Schallschutzes nicht in der gebo-
tenen Weise auseinandersetzt.
60
- 27 -
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 3, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 159
Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO und § 100 Abs. 1 und 2 ZPO.
Dr. Nolte
Krauß
Dr. Philipp
Guttenberger
Brandt
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Eisenbahnrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
AEG
§ 14 Abs. 1, § 18 Satz 1 und 2, § 18a Nr. 1 und 7 Satz 1,
§ 18e Abs. 6 Satz 2
BImSchG
§ 41
VwVfG
§ 46
RL 85/337/EWG
Art. 10a
RL 2011/92/EU
Art. 11
16. BImSchG
24. BImSchV
Stichworte:
Eisenbahnstrecke; Ausbau; Planfeststellung; Präklusion; Anstoßwirkung; Aus-
legung; Auslegungsbereich; Verfahrensfehler; Erheblichkeit; Abschnittsbildung;
Variantenprüfung; Lärmschutz, interimistischer; Übergangszeit; Abwägung;
Vorbelastung, plangegebene; Zumutbarkeitsschwelle, grundrechtliche;
Schienenbonus; Betriebsregelung; Schallschutz, passiver.
Leitsätze:
1. Die für den Einwendungsausschluss erforderliche Anstoßwirkung durch Be-
kanntmachung der Auslegung der Planunterlagen müssen sich nur die Betrof-
fenen in dem von der Anhörungsbehörde gewählten Auslegungsbereich ent-
gegenhalten lassen.
2. Wird ein einheitliches Ausbauvorhaben, das der Aufnahme eines erhöhten
Verkehrsaufkommens aus einer neuen Verkehrsquelle dient, in mehrere Pla-
nungsabschnitte unterteilt, muss die Gesamtplanung darauf ausgerichtet sein,
das Ausbauvorhaben als Ganzes so zeitig zu einem Abschluss zu bringen,
dass keiner der Betroffenen Gefahr läuft, plötzlich einer signifikant erhöhten
Lärmbelastung schutzlos ausgesetzt zu sein. Kann dieses Ziel nicht erreicht
werden, ist im Rahmen der Abwägung über die Gewährung eines auf die Über-
gangszeit bezogenen (interimistischen) Lärmschutzes zu entscheiden; dabei ist
ungeachtet der plangegebenen Vorbelastung insbesondere die Einhaltung der
grundrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle zu berücksichtigen.
3. Aus Anlass einer eisenbahnrechtlichen Planfeststellung können zur Bewälti-
gung der vom Vorhaben und dessen betriebsbedingten Auswirkungen aufge-
worfenen Konflikte betriebsregelnde Anordnungen getroffen werden.
Urteil des 7. Senats vom 21. November 2013 - BVerwG 7 A 28.12